Teil I: Grundlagen I.1 Historische Voraussetzungen für die Eigenständigkeit der Ökonomik I.2 Einordnung der Ökonomik im System der Wissenschaften I.3 Gegenstand der Mikroökonomik I.4 Einbettung der Mikroökonomik I.5 Sichtweisen/Richtungen der Mikroökonomik I.6 Konzepte und Methoden 1 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.1 Historische Voraussetzungen 2 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.1 Historische Voraussetzungen (I) • Realgeschichte – – – – antike Sklavenhaltergesellschaft Feudalismus Verselbständigung der Wirtschaft Entwicklung wirtschaftlicher Institutionen • Markt • Geld • Privateigentum – Trennung von Kapital und Arbeit 3 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.1 Historische Voraussetzungen 4 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.1 Historische Voraussetzungen (II) • Theoriegeschichte – – – – – – – Vorläufer (Aristoteles, Scholastik) „Klassik“ (Smith, Ricardo) „Neoklassik“ (Walras, Menger) Keynes Evolutorische Ökonomik (Schumpeter, Hayek) Neoklassische Synthese Aufkommen der Unterteilung in „Mikroökonomik“ und „Makroökonomik“ – heutige Mikroökonomik 5 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen 6 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.2 Die Ökonomik im System der Wissenschaften (I) • Übersicht Wissenschaftssystem Formalwissenschaften Mathematik Logik Sozialwissenschaften Naturwissenschaften Physik Biologie Ökonomik Psychologie Soziologie 7 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.2 Die Ökonomik im System der Wissenschaften (II) • Ökonomik als Sozialwissenschaft – Abgrenzung der Ökonomik zu den Naturwissenschaften • Gegenstand ist das Handeln von Menschen in sozialen Zusammenhängen und die dadurch hervorgebrachten Ergebnisse • Ziel ist das Aufspüren und Erklärung von Regelmäßigkeiten menschengemachter Sachverhalte • Problem der 'Reflexivität' wirtschaftswissenschaftlicher Aussagen – Abgrenzung der Ökonomik zu den anderen Sozialwissenschaften • verbindet die Betrachtung der Aktion und Interaktion von Menschen mit materiellen Gütern und Dienstleistungen • handelt primär von den vergleichbaren, insoweit bewertbaren und ggf. quantifizierbaren Dimensionen des menschlichen Handelns • stellt über diese Dimensionen den sozialen Zusammenhang der Handlungen her • damit größere Nähe zu den Naturwissenschaften als in anderen Sozialwissenschaften 8 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.2 Die Ökonomik im System der Wissenschaften (III) • Unterscheidung der Ökonomik in VWL und BWL – BWL als deutsche Besonderheit – in der VWL werden wirtschaftliche Sachverhalte in einem größeren und allgemeineren Zusammenhang betrachtet • keine ausschließliche Fokussierung auf Unternehmen • grundsätzlichere, theorieorientierte Betrachtungsweise – Beispiel: volkswirtschaftliche Theorie der Unternehmung – Möglichkeit der gegenseitigen Befruchtung • Überwindung des volkswirtschaftlichen 'Modellplatonismus' • Überwindung des instrumentellen Charakters der BWL 9 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.2 Die Ökonomik im System der Wissenschaften (IV) • Unterscheidung der VWL in Mikroökonomik und Makroökonomik/Forts. – Besonderheit der Mikroökonomik • • • • • • Perspektive einzelner Akteure: 'Froschperspektive' ‘Akteur‘ als Einzelperson oder funktionale Einheit (Haushalte, Unternehmen) gegebener Handlungsrahmen (z.B. Informationen, Technologien, Bewertungsverfahren) Erklärung des Handelns einzelner Akteure Erklärung der Interaktion vieler Akteure Problem der Zusammenfassung der Akteure zu Gruppen („Aggregation“) – Besonderheit der Makroökonomik • • • • Perspektive von Akteursgesamtheiten: 'Vogelperspektive' Betrachtung von Aggregaten und deren Entwicklung Verbindung zur Wirtschaftsstatistik ("Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung") Problem der "Mikrofundierung" Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen 10 Sozialwissenschaften: Handeln von Menschen in sozialem Zusammenhang Wirtschaftswissenschaften: bewertbare/kalkulierbare Dimensionen sozialen Handelns BWL: pragmatische Behandlung der bew./kalk. Dimension des Handelns in Unternehmen VWL: theoretische Behandlung der bew./kalk. Dimension des Handelns aller Akteure Mikroökonomik Makroökonomik theoretische Behandlung der bew./kalk. Dimension des Handelns aller Akteure in der Froschperspektive theoretische Behandlung der bew./kalk. Dimension des Handelns aller Akteure in der Vogelperspektive 11 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (I) • Überhistorische Definitionen des Gegenstandes – „Economics is the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses“ (Robbins 1932) – Ablösung von spezifischem Gegenstand: Ökonomik als gegenstandsunspezifische Methode – Konsum und Bedürfnisbefriedigung steht im Zentrum der Analyse; Preise 12 fungieren als Allokationsinstrument Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (II) • Historische Definition des Gegenstandes – Die Wirtschaftswissenschaft behandelt die (historisch) unterschiedlichen Arten und Weisen, in denen Bedürfnisse sowie Ressourcenausstattungen entstehen, in einer gesellschaftlichen Reproduktion zusammengeführt werden und sich dadurch verändern – Gegenstandsspezifik der Wirtschaftswissenschaften – Kapitalistische Produktion von Waren, Tausch auf dem Markt, Konsum und Erbringung von Faktorleistungen (Preise habe vielfältige Funktionen) 13 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (III) • Knappheit als überhistorische Grundlage wirtschaftlichen Handelns ? – Ressourcen und Bedürfnisse als Pole des wirtschaftlichen Handelns sind selbst das Ergebnis gesellschaftlicher Einflüsse (und damit variabel) – Akteure als Träger der Ressourcenverfügbarkeit (Ausstattung) und der Bedürfnisse nicht hinreichend charakterisiert: unterschiedliche Arten und Weisen, wie diese Elemente zusammengebracht werden – Ressourcenverfügbarkeit der Akteure ist für ihre Bedürfnisse nicht ausreichend: Knappheit der Ressourcen. Das muss nicht so sein! – Knappheit der Ressourcen erfordert eine „Diskriminierung“ zwischen den Handlungsmöglichkeiten. Die Diskriminierung kann auch andere Gründe haben! – Die individuelle Diskriminierung wird von einer „gesellschaftlichen Diskriminierung“ beeinflusst (und umgekehrt). Gesellschaftliche Diskriminierung kann nicht allein aus individueller Diskriminierung erklärt werden. Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen 14 I.3 Gegenstand (VI) • Folgerung: Knappheit als überhistorische Kategorie/Forts. Ressourcen Bedürfnisse Knappheit Diskriminierung: indiv. → gesellsch. 15 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (III) • Knappheit als überhistorische Grundlage wirtschaftlichen Handelns ? – Ressourcen und Bedürfnisse als Pole des wirtschaftlichen Handelns sind selbst das Ergebnis gesellschaftlicher Einflüsse (und damit variabel) – Akteure als Träger der Ressourcenverfügbarkeit (Ausstattung) und der Bedürfnisse nicht hinreichend charakterisiert: unterschiedliche Arten und Weisen, wie diese Elemente zusammengebracht werden – Ressourcenverfügbarkeit der Akteure ist für ihre Bedürfnisse nicht ausreichend: Knappheit der Ressourcen. Das muss nicht so sein! – Knappheit der Ressourcen erfordert eine „Diskriminierung“ zwischen den Handlungsmöglichkeiten. Die Diskriminierung kann auch andere Gründe haben! – Die individuelle Diskriminierung wird von einer „gesellschaftlichen Diskriminierung“ beeinflusst (und umgekehrt). Gesellschaftliche Diskriminierung kann nicht allein aus individueller Diskriminierung erklärt werden. Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen 16 I.3 Gegenstand (VI) • Folgerung: Knappheit als historische Kategorie/Forts. Ressourcen Bedürfnisse Knappheit Diskriminierung: indiv. gesellsch. 17 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (IV) • Vergleich einer überhistorischen und historischen Betrachtungsweise Thema überhistorisch historisch Ressourcen Quelle von Handlungsmöglichkeiten Art der Verfügbarkeit über Ressourcen (Geldbudget) Bedürfnisse gewünschte Handlungsoption/Güter Unterschied Bedürfnis, Bedarf, Nachfrage Akteure Kombination von Ressourcenverfügung und Bedürfnis soziale Einbettung; Unterschiede in Ressourcenverfügung und Bedürfnisumsetzung (Eigentumsklassen, Konsummilieus) Knappheit Ressourcen < Bedürfnisse als historische Konstante Vergleichbarkeit von Ressourcen und Bedürfnissen nur via Geld; Ressourcen < Bedürfnisse als Besonderheit der Marktwirtschaft Diskriminierung ? Zwang, Ächtung, Gewohnheit, Wahl Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen 18 I.3 Gegenstand (V) • Folgerung: Knappheit als historische Kategorie – Einbettung der mikroökonomischen Betrachtung in gesellschaftliche Bewertungen/Diskriminierung • Geldbudget/Einkommen bzw. Preise für Handlungsoptionen als Ergebnis eines externen Marktprozesses • Arbeitsteilung und Geldwirtschaft als Einschränkung für die Budgetveränderung und für die Budgetverausgabung – Wechselwirkung von individueller und gesellschaftlicher Diskriminierung • individuelle Diskriminierung beeinflusst Nachfrage und damit den Preis • gesellschaftliche Diskriminierung beeinflusst Einkommen • Einkommen beeinflusst individuelle Diskriminierung – Veränderlichkeit von individueller und gesellschaftlicher Diskriminierung • Lernen und Innovation als Zugang zu neuen Ressourcen • Erfahrung und Beobachtung als Zugang zu neuen Bedürfnissen 19 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (VII) • Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge mit Hilfe des Effizienzprinzips – Kosten und ‘Alternativkosten‘ als Folge der Knappheit – (Netto-)Ertrag als Maß für die Realisierung von Bedürfnissen/Zielen – Realisierung eines (möglichst) großen Ertrags bei Aufwendung (möglichst) geringer Kosten als Ziel aller ökonomischen Akteure (Effizienzprinzip) – Variante I: • Optimierung als Zielvorgabe • Idealweltansatz – Variante II: • keine Optimierung als Zielvorgabe – Überleben – Verbesserung – Herstellung Zufriedenheit • Realweltansatz Prof. Dr. Frank Beckenbach 20 VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (VIII) • Fragestellungen der Mikroökonomik – Wie lassen sich die Diskriminierungsprozesse bei den verschiedenen ökonomischen Akteuren genauer aufschlüsseln? – Wie werden knappe Ressourcen gemäß dem wirtschaftlichen Prinzip durch die Märkte auf unterschiedliche Verwendungsweisen verteilt? – Wie entsteht durch das Aufeinanderwirken einzelner wirtschaftlicher Handlungen eine gesamtwirtschaftliche Ordnung? – Wie wirken private Haushalte und Unternehmen bei dem Entstehen einer derartigen Ordnung zusammen? – Wie führt der Marktwettbewerb zur Erschließung neuer Handlungsmöglichkeiten (Innovation)? – Zu welchem Zweck und in welcher Form sollen bzw. können staatliche Organe das wirtschaftliche Handeln beeinflussen? 21 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.3 Gegenstand (IX) • Einfluss des gesellschaftlichen Kontextes auf den Gegenstand der Mikroökonomik – Gemeinsamkeit Marktkontext – Unterschiedliche soziale Bedingungen für Akteure • Faktoranbieter vs. Faktornachfrager • Güreranbieter vs. Güternachfrager • Private Haushalte vs. Unternehmen – Unterschiede im Handeln • Ausstattungsunterschied • Unterschiede in den Zielen • Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten 22 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.4 Einbettung (I) • Unterschied zwischen Autonomie und Autarkie wirtschaftlicher Aktivitäten – Autarkie als Geschlossenheit – Autonomie als Eigenständigkeit und Abhängigkeit • Einbettung in eine natürliche Umwelt – Wirtschaft braucht natürliche Ressourcen, die sie nicht selber produzieren kann – Menschen als biologische Wesen – natürliche „Quellen“ (Rohstoffe, Luft, Ökosystemdienstleistungen) – natürliche „Senken“ (Lager für Abfall, Emissionen) • Einbettung in soziale Umwelt – Akteure befinden sich in einem sozialen Kontext – Freundeskreis, Netzwerke, Milieus 23 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.4 Einbettung (II) • Einbettung in psychologische ‚Umwelt‘ – kognitive Ressourcen: Wahrnehmung, Wissen, Gedächtnis, Emotionen – Einfluss dieser Ressourcen auf Entscheidungen im ökonomischen Kontext – Verhaltensökonomik • welche Abweichungen ergeben sich von den Rationalitätsgeboten gibt es beim Wahlhandeln? – Beispiel framing Effekt – Beispiel Ankereffekt • Welche zielorientierten Verhaltensweisen gibt es jenseits des Wahlhandelns? – Routinen – Exploration 24 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.5 Sichtweisen 25 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.5 Sichtweisen 26 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.5 Sichtweisen 27 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.5 Sichtweisen (I) • Warum gibt es unterschiedliche Sichtweisen? wegen der Unmöglichkeit, Gewissheit über die Triftigkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse zu erlangen • Warum ist die Betrachtung unterschiedlicher Sichtweisen sinnvoll? – wegen der Unabdingbarkeit eines Diskurses in den modernen (Sozial)Wissenschaften – wegen der wechselnden Anforderungen für die Anwendung von theoretischen Erkenntnissen • Sichtweise der „Neoklassik“ • Sichtweise der „Evolutorik“ 28 Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen I.5 Sichtweisen (II) • Richtungen der Mikroökonomik: Unterscheidung zwischen „neoklassischer“ und „evolutorischer“ Ökonomik Neoklassik Evolutorik Vorbild Mechanik - einfache Gesetze - Gleichgewicht als Endzustand Biologie - komplizierte Gesetze - Entwicklung als Dauerzustand Methode - isolierte Betrachtung einzelner Teile - Ausgangspunkt Einzelakteur - Objektivismus - Betrachtung der Gesamtheit (Population) - Wechselwirkung Einzelakteur und Population - Konstruktivismus Akteure - autonom - perfekte Information - optimales Handeln - autonom und abhängig - imperfekte Information - suboptimales Handeln - Lernprozesse Fokus Allokation (statisch) Innovation und Diffusion (dynamisch) Prof. Dr. Frank Beckenbach VWL I (Mikroökonomik) Teil I: Grundlagen 29