Die Zukunft des Islam in NRW

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Die Zukunft des Islam
in NRW
Dokumentation eines Fachgesprächs
am 08. Oktober 2004
Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen
Inhalt
Begrüßung
Sylvia Löhrmann MdL, Fraktionsvorsitzende.....................................................................................3
Einführung
Sybille Haußmann MdL, migrationspolitische Sprecherin....................................................................5
Ziele und Methoden politischer Repräsentanz des Islam
Dr. Klaus Lefringhausen, Integrationsbeauftragter der Landesregierung NRW .......................................7
Muslime in Deutschland zwischen sozialer Integration und kultureller Identität
Elsayed Elshahed, Al-Azhar Universität Kairo
Leiter der “Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien......................................... 10
Statement
Marieluise Beck
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration ...................................... 19
Islamische Gemeinschaften und Staat- gibt es Wege zu verbindlichen Vereinbarungen?
Referent: Prof. Janbernd Oebbecke, Universität Münster ................................................................... 24
Schutz von Verfassung und Sicherheitsdebatte - können Hindernisse
auf dem Weg zu Dialog und Kooperation ausgeräumt werden?
Referent: Dr. Peter Frisch, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a.D................................. 30
Unvermeidbare Berührungspunkte: wenn Religionsausübung und –lehre zum Gegenstand
staatlichen Handelns werden
Referent: Prof. Elsayed Elshahed .................................................................................................. 32
Abschlussrunde
Moderation: Kirsten Pape ............................................................................................................ 34
Impressum
Herausgeberin
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
im Landtag Nordrhein-Westfalen
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf
Weitere Informationen
Sybille Haußmann MdL
Migrations- und
Rechtspolitische Sprecherin
Telefon 0211/884-2030, -2820
[email protected]
Marco Becker
wissenschaftlicher Mitarbeiter
Migrationspolitik
Telefon 0211/884-2570
[email protected]
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Begrüßung
Sylvia Löhrmann, MdL
Fraktionsvorsitzende
Ich bin sehr froh, Sie heute zu unserer Veranstaltung „Zukunft der
Islam in NRW“ begrüßen zu dürfen.
Ich möchte besonders unsere ReferentInnen und DiskussionsteilnehmerInnen begrüßen.
• Herrn Dr. Lefringhausen, unser
Integrationsbeauftragter,
• Herrn Dr. Frisch, Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz a.D.
• Herrn Professor Oebbecke, Universität Münster
• Herrn Dr.Elyas vom Zentralrat
des Muslime und die Vertreter
weiterer muslimischer Verbände
• Herrn Dr. Foesterling von der
Staatskanzlei
Da wir hier sehr weltoffen sind,
wollten wir gerade bei dieser Veranstaltung nicht auf die Teilnahme
von Referenten, die nicht aus NRW
sind, verzichten. Daher begrüße ich
besonders Herrn Professor Elshahed,
der die Anreise aus Wien auf sich
genommen hat, und schließlich
unsere Bundesbeauftragte für Zuwanderung, Integration und Flüchtlinge, Marieluise Beck.
Herzlich Willkommen!
In NRW leben rund ein Viertel aller
Migrantinnen und Migranten bundesweit. Zuwanderung hat bei uns
eine sehr lange Tradition, erheblich
jünger ist die Einsicht, Integration
als Aufgabe für Politik und Gesellschaft zu begreifen. Dabei wurde
und wird sehr viel, vielleicht von
interessierter Seite auch gern, über
die Probleme gesprochen.
Ich möchte aber hier eine Feststellung treffen, die mir manchmal zu
kurz kommt: Der weit überwiegende
Teil der Migrantinnen und Migranten
und der weit überwiegende Teil der
Mehrheitsbevölkerung haben sehr
gut zueinandergefunden: als Nachbarn, als Kolleginnen und Kollegen,
als Eltern oder einfach am Büdchen
an der Ecke.
Ob nun jemand ein Moslem war, hat
lange Zeit kaum eine Rolle gespielt.
Die politische Debatte um die Zuwandererreligion Islam begann aber
nicht mit dem 11. September 2001.
Sie begann, als Muslime sich auf den
Verbleib einrichteten, aus den Hinterhofmoscheen herauskamen und
sich selbstbewusst repräsentative
Moscheebauten erstreiten wollten.
Dass wir heute hier zusammen
sind, hat also nicht seine Ursache
allein in weltpolitischen Ereignissen oder der Sicherheitsdebatte.
Der Islam, Muslima und Muslime
sind angekommen, sie sind hier zu
Hause und möchten in ihrer Glaubensausübung die Rechte, die auch
den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften zustehen, für sich
in Anspruch nehmen. Für mich ist
das ein berechtigtes Anliegen. Staat
und Gesellschaft haben zwei ebenso
berechtigte Anliegen:
Der Angst vor einem Terrorismus,
der sich auf den Islam beruft, und
dem Terrorismus selbst, muss mit
angemessenen Maßnahmen begegnet werden, was auch im Sinne der
überwältigenden Mehrheit der hier
lebenden Muslime ist.
Für den Dialog zwischen Staat und
Muslimen über die gegenseitigen
Einzelanliegen bedarf es eines
Rahmens, der ein gewisses Maß an
Verbindlichkeit erfordert.
Unsere Fraktion beschäftigt sich
nicht nur mit den vielen, im täglichen Geschäft auftauchenden
Fragen muslimischer Glaubensausübung in NRW. Wir arbeiteten in den
vergangenen Jahren und besonders
intensiv in diesem Jahr an diesen
eben benannten gegenseitigen
Grundanliegen, die für uns der
Schlüssel für ein Zusammenleben in
Respekt und Anerkennung ist. Im
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Ergebnis haben wir einen Beschluss
gefasst, über den wir heute mit Ihnen und Euch diskutieren möchten.
Dabei möchte ich Sie bitten, unseren Beschluss nicht als abschließendes Konzept anzusehen, sondern als
einen ersten ernsthaften Vorschlag,
in einen Dialog zwischen Staat und
Muslimen einzutreten. Wir haben
ihn aufgearbeitet, nachdem insbesondere der Facharbeitskreis, allen
voran unsere migrationspolitische
Sprecherin Sybille Haußmann, intensiv geforscht hat und gereist ist.
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Eine kleine Gruppe meiner Fraktion
– mich inbegriffen – hat sich abschließend in Österreich vom dortigen Weg inspirieren und überzeugen
lassen.
eingebracht haben. Ich wünsche mir
von Ihnen heute und in Zukunft den
Ihnen möglichen Beitrag, um diese
Initiative zu einem tatsächlichen
Erfolg werden zu lassen.
Ich möchte nicht verschweigen, dass
es mich mit einem gewissen Stolz
erfüllt, dass wir als grüne Landtagsfraktion erstmals eine seriöse, ausgearbeitete und fundierte politische
Initiative im Sinne eines verbindlichen Dialogs zwischen Staat und
Muslimen in die politische Debatte
Und ich bin mir sicher, dass wir
heute eine sehr anregende Tagung
vor uns haben. Dabei möchte ich
nicht versäumen, besonders unseren
MitarbeiterInnen, allen voran Marco
Becker, herzlich für ihr Engagement
zu danken.
Einführung
Sybille Haußmann,
migrationspolitische
Sprecherin
Auch ich freue mich, heute so viele
Menschen begrüßen zu dürfen, die
sich für die Frage interessieren, wie
geht es weiter mit dem Verhältnis
zwischen dem Land NRW und seinen
muslimischen Bürgerinnen und Bürgern. Wir hatten ja ursprünglich nur
einen Raum für 80 Personen gebucht
und mussten in dieser Woche umdisponieren, weil die Anmeldezahlen
weit über die vorhandenen Plätze
gestiegen sind.
Schon das ermutigt mich und zeigt,
wie sehr dieses Thema auf Resonanz
vor allem in einer Fachöffentlichkeit
und unter den betroffenen Muslimischen Organisationen stößt.
Die GRÜNE Fraktion blickt inzwischen auf eine Geschichte des
Dialogs mit den muslimischen
Dachorganisationen von mehr als 5
Jahren zurück, ich persönlich bin
vor zwei Jahren in diesen Dialog
eingestiegen mit der Übernahme der
Funktion der migrationspolitischen
Sprecherin.
In diese Zeit sind eine Reihe von
parlamentarischen Debatten zum
Thema Muslime gefallen. Wir haben Anhörungen durchgeführt und
Gesetze verabschiedet. Ich nenne
hier nur exemplarisch das Bestattungsgesetz, den CDU-Antrag zum
Schächten, die „Kopftuchdebatte“,
die Anträge zu muslimischen Schülerwohnheimen und zur Benachteiligung von Muslimen auf dem
Arbeitsmarkt. Wir haben uns immer
bemüht, die Betroffenen selbst zu
Wort kommen zu lassen und deren
Anregungen in unsere Entscheidungen mit einzubeziehen.
Dies ist schon ein guter Schritt nach
vorn. Allerdings ist allen Debatten
gemeinsam, dass sie auf Problemlagen reagieren und punktuell über
Lösungsstrategien
nachgedacht
wird. Die Muslimischen Dachorganisationen oder auch die Aleviti-
sche Gemeinde sind immer erst im
laufenden Verfahren und immer nur
punktuell, z.B. in den Anhörungen
mit einbezogen worden.
Dass heißt, die Politik bezogen auf
den Islam in NRW ist bisher ausschließlich reaktiv und nicht gestaltend oder gar vorausschauend.
Unsere Diskussionen heute finden
auf der Grundlage von drei Tatsachen statt:
In NRW leben ca. 1 Million Muslime,
die sich als eigenständige und zunehmend selbstbewusste Minderheit
in unserem Land etabliert haben.
Obwohl wir eigentlich alle Kinder
Abrahams sind und auch die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen, Judentum,
Christentum und Islam überwiegen,
ist der Islam der Mehrheitsgesellschaft nach wie vor fremd und ihm
wird mit Misstrauen begegnet.
Darüber hinaus kommen wir um
die Erkenntnis nicht herum, dass
es eine Diskriminierung von Muslimen, auf dem Arbeitsmarkt, bei der
Wohnungssuche, aber auch bei den
Möglichkeiten der Ausübung der eigenen Religion gibt, wenn man zum
Beispiel die Auseinandersetzungen
um viele Moscheebauten betrachtet.
Allein diese drei Faktoren zeigen,
dass es politischen Handlungsbedarf gibt, wenn man auf Dauer ein
friedliches Zusammenleben organisieren will. Deshalb müssen wir als
politisch Handelnde sowohl auf der
Ebene des Parlaments als auch auf
der Ebene der Landesregierung von
einer rein reagierenden zu einer gestaltenden Politik finden.
Auch brauchen wir ein Ende der
ständigen Forderungen nach nachdrücklichen Distanzierungen von
Terror und Gewalt gegenüber den
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Muslimen, die - wenn sie dann kommen - als taktische Manöver gewertet werden. Diese Rituale können
aber nur beendet werden, wenn auf
beiden Seiten verbindliche Regeln
bestehen.
Dazu bedarf es aber eines geregelten
Dialoges, der konkretes Handeln auf
beiden Seiten zur Folge hat. Wir haben heute zu dieser Fachtagung eingeladen, um uns mit Ihnen darüber
auszutauschen, welche Möglichkeiten Sie sehen, zu einem geregelten
Dialog zu kommen.
Unsere Fraktion hat auf ihrer Reise
nach Österreich, wo es seit über
einhundert Jahren einen Staatsvertrag mit den Muslimen gibt, ein
interessantes Beispiel gefunden. Die
Reise einer Delegation des Migrationsausschusses hat sich mit dem
Staatsvertrag zwischen der Spanischen Regierung und Islamischen
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Organisationen befasst. Darüber
hinaus haben wir auch die Beispiele Frankreich, Belgien und Italien
gefunden. In allen diesen Ländern
war es möglich, in eine verbindliche
Kooperation zu gelangen. Deshalb
gehen wir davon aus, dass es auch
in NRW möglich sein muss, zu einer
Kooperation zwischen dem Land
und seinen Muslimen zu kommen.
Der Vorschlag, den die GRÜNE Fraktion dazu macht, ist sehr eng an das
Österreichische Modell angelehnt,
weil es uns als das demokratischste
erschien. Auf unserer Reise haben
wir Prof. Elshahed kennen gelernt
und freuen uns ganz besonders,
ihn heute für diese Veranstaltung
gewonnen zu haben. Ich bewundere
an Ihnen, Herr Elshahed, dass Sie
als Wanderer zwischen den Welten
so ein profunder Kenner sowohl der
innerislamischen Debatte als auch
der deutschen und österreichischen
Verhältnisse sind.
Ich bin überzeugt, dass es gelingen
kann, das gegenseitige Misstrauen zu überwinden und zu einer
konstruktiven Kooperation zu gelangen. Die Hürden dafür sind allerdings hoch. Muslime sind gefordert,
sich auf Strukturen einzulassen, die
ihrer bisherigen inneren Struktur
eher fremd sind. Die Politik muss
attraktive Angebote zum Abbau der
Diskriminierung und zum aktiven
Schutz der Religionsausübung machen, z.B. durch konfessionellen
muslimischen Religionsunterricht,
und einen Vertrauensvorschuss gewähren.
Ich bin gespannt, ob wir heute in
diesem Anliegen einen Schritt weiter kommen und freue mich auf die
Diskussionen, die vor uns liegen.
Ziele und Methoden
politischer Repräsentanz des Islam
Dr. Klaus Lefringhausen,
Integrationsbeauftragter der
Landesregierung NRW
Zum Vorverständnis
Es ist Merkmal moderner Integrationspolitik, Migranten und zugewanderte Religionsgemeinschaften
einzuladen und zu würdigen, sich
an der Lösung von Zukunftsaufgaben ihrer neuen Heimat zu beteiligen und ihr besonderes Profil dabei
einzubringen. Eine solche Subjektrolle ist zumindest für Migranten
der zweiten und dritten Generation
würdiger, als Objekte der Betreuung
zu sein.
Die Einladung zu einer Verantwortungs- und Zukunftsgemeinschaft
ist deshalb zentraler Bestandteil
der Integrationspolitik, weil sie
den Migranten den Sprung über
den Graben der Halbintegration ermöglicht. Der Schwebezustand einer
Halbintegration ist gefährlich, weil
sie leicht in Rückzugsidentitäten
und zur Emigration in das innere
Ausland führt.
Wichtig daran ist ferner, dass gemeinsam definierte Zukunftsaufgaben der Landespolitik ermöglichen,
aus der religiösen Neutralität des
Staates mehr eine kooperative und
weniger eine distanzierte zu machen.
Zudem wecken gemeinsame Zukunftsaufgaben Neugier auf die
besonderen Kompetenzen von Migranten und ihren Kulturen, die bisher überwiegend in ihren Defiziten
wahrgenommen werden.
Ferner führt gemeinsame Verantwortung zu einem würdigeren Themenniveau als das der gegenwärtigen
Streitthemen.
Eine Verantwortungsgemeinschaft
hilft den Migranten, wirklich in der
Mitte der Gesellschaft anzukommen
und sich nicht mehr als Sozialfälle
am Rande der Gesellschaft zu fühlen.
So rückt eine solche integrationspolitische Wende die Migranten der
2. und 3. Generation mehr in den
Horizont einer Modernisierungspolitik und weniger in den der Sozialpolitik.
Damit sich diese Intention nicht in
Einzelinitiativen erschöpft, befassen wir uns heute mit der Frage, wie
der Islam in NRW auch strukturell
Gesprächspartner der Politik werden
kann.
Auf diese Frage gibt es bereits Teilantworten:
Dazu gehört die langjährige und
heute noch moderne Konzeption der
Landespolitik, mehr die Selbstorganisation der Migranten und damit
ihre Subjektrolle zu unterstützen,
als sie zu Objekten der Wohlfahrtspolitik zu machen. Das gilt bundesweit als vorbildlich und ist ein
Fundament, auf dem man aufbauen
kann.
Eine andere Teilantwort ist das
multireligiöse Stadttorgespräch, bei
dem der Ministerpräsident signalisiert hat, dass es politische Intention ist, Gespräche miteinander statt
übereinander zu führen.
Eine Teilantwort war auch der Versuch, den Religionsunterricht nicht
staatlich zu verfügen, sondern kooperativ zu entwickeln. Das schließt
Konflikte nicht aus, ist aber kein
Scheindialog, wenn sich alle Seiten
produktiv einbringen.
Eine weitere Teilantwort waren auch
die Initiativen, die Konfliktlandschaft im Umfeld des Schächterlasses kooperativ zu bereinigen und
auch in der Kopftuchfrage nicht
mit hastigen Sofortmaßnahmen zu
reagieren.
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Hinzu kommt das gemeinsame Votum zum Thema Moscheebauten,
das lokale Konflikte entschärft,
indem es sie von den generellen
Streitthemen entlastet.
Etwas unbescheiden möchte ich hinzufügen, dass auch das zweijährige
Dialogprogramm ‚Integration mit
aufrechtem Gang’, der Integrationskongress NRW und der daraus ent-
standene ‚Beirat für religiöse Fragen
der Integration beim Integrationsbeauftragten der Landesregierung
NRW’ in diesen Kontext gehören.
im Vorfeld kann vor Frustrationsfallen bewahren.
pluralistischen Welt dadurch zu
wahren, dass sie durch Verflechtungen mit anderen Interessenlagen
akzeptabler werden. Hingegen wird
ein reiner Durchsetzungsglaube
selbst bei Siegen vor den Gerichten genau das verspielen, worum
es vordringlich geht, nämlich die
öffentliche Akzeptanz und die Verwurzelung des Islam im öffentlichen
Meinungsklima.
Repräsentanz des Islam
Nun aber ist zu fragen, wie diese
Signale einer kooperativen statt distanzierten Neutralität des Staates
Strukturen bekommen können.
Wenn ich darüber laut nachdenke,
dann nicht als Sprecher hoheitlicher
Meinungen, sondern als Makler zwischen vielen Fronten, der versucht,
sich dem Thema im Perspektivenwechsel zu nähern.
Ausgangspunkt ist, dass der Islam
keine Ausländerreligion mehr ist,
sondern eine Religion in Deutschland. Diese neue Lage erlaubt kein
nachhinkendes Bewusstsein.
Zudem braucht die Politik vor allem
in Zeiten hoch entzündungsfähiger Kulturkonflikte verlässliche
Kommunikationsbrücken - und das
möglichst vor den und nicht erst in
den Krisen.
Festzuhalten ist ferner, dass die innerislamische Lage und die öffentliche Überangst keinen Fehlschlag
erlauben. Deshalb sind Reformimpulse von innen denen von außen
unbedingt vorzuziehen. Ferner
setzt jede Regelung einen breiten
islamischen Konsens voraus, der sicherstellt, dass es keine Politik des
leeren Stuhles gibt.
Zu klären ist ferner, ob eine politische Repräsentanz der Muslime
die Frage nach der Anerkennung
als Körperschaft des öffentlichen
Rechts bereits beantworten, sie
vertagen, sie ersetzen oder einfach
umgehen soll. Eine Verständigung
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Religiösen Gruppen fällt es besonders schwer, sich Mehrheitsmeinungen zu beugen. Es ist also zu
prüfen, ob Wahlverfahren wichtige
Übungsfelder sein können, oder ob
es gegenwärtig noch überfordert.
Zu bedenken ist auch, ob die Aleviten mit vertreten sein sollen und
wenn nicht, ob sie dann ein eigenes
Büro schaffen oder beanspruchen
können.
Zu entscheiden ist ferner, ob es um
politische Repräsentanz als Fertigprodukt geht, oder ob Etappen auf
dem Weg zu diesem Ziel vorzuziehen sind. Wer mehr auf den Prozesscharakter setzt, schafft Freiraum,
schrittweise Erfahrungen zu sammeln, sich an Abstimmungsmechanismen zu gewöhnen und das, was
wächst, letztlich auch als Eigenes zu
verstehen.
Aber es gibt auch die andere Gefahr,
dass das, was als Etappe in einem
Prozess gemeint ist, vorschnell zur
Endstation wird. Deshalb die verständliche Idee eines Anschubs von
außen. Dabei muss jedoch sichergestellt sein, dass der zweite und dritte Schritt aus eigener Kraft gelingt.
Sonst nämlich würde das Projekt
das Stigma eines Fremdkörpers bekommen und das Ergebnis wäre ein
Lernen ohne Einsicht.
Eine politische Repräsentanz könnte
aber auch den überfälligen Lernprozess anregen, Interessen in einer
Eine politische Repräsentanz des
Islam wird auch Problemgruppen
einbeziehen müssen. In dieser Frage
streiten wir wie einst in der Ostpolitik, ob ‚Wandel durch Abschreckung’
oder ‚Wandel durch Annäherung’
angebrachter ist. Wir haben erlebt,
dass beide Optionen letztlich keine
Alternativen sind, sondern sich gegenseitig stützten: Die Annäherung
war nur wirksam, weil es auch das
Gegenteil zu ihr gab, und die Abschreckung eskalierte nicht, weil
es auch Annäherung gab. Ähnlich
braucht die Islampolitik das Gleichgewicht komplementärer Rollen,
doch sie hat es noch nicht. Wer innerislamische Entsolidarisierungen
voraussetzt und dabei überfordert,
trägt zu Solidarisierungen bei, die
interne Reformen ersticken. Diese
Wechselwirkungen von Druck und
Gegendruck,
von
Ausgrenzung
und Solidarisierung und von Anpassungszwängen und kultureller
Selbstbehauptung wirken nicht nur
weltpolitisch, sondern auch innenpolitisch. Jede Demütigung schafft
den Hasspredigten Resonanz; jede
verletzte Identität verleitet zu
Trotzidentität, jede vorenthaltene
Anerkennung führt zu Integrations-
blockaden. Vieles, was mit hohem
finanziellem Aufwand an Integrationshilfe geleistet wird, verliert
seine Wirkung, wenn auf Negativbeispiele hastig, mit harter Hand
und mit demonstrativ hohem Grad
an Entschlossenheit reagiert wird.
Zum Stil der Interessenvertretung
Lassen Sie mich zum Schluss die
Gelegenheit nutzen, Erfahrungen
aus der Mitarbeit beim Bevollmächtigten der EKD am Sitz der Bundesregierung anzufügen.
Viele kirchliche Gruppen erwarteten, dass das evangelische Büro
ihre Forderungen nahezu wörtlich
übernimmt. Bedenken, die mit einer
politischen Gesamtperspektive oder
mit Stilfragen begründet waren,
wurden mit Motivunterstellungen
beantwortet. So gab es den Vorwurf harmonistischer Anpassung,
mangelnder Streitbereitschaft und
identitätsvergessener Verbeugung
vor der Macht.
Hingegen hatten es die Interessengruppen relativ einfach: Sie addier-
ten ihre Forderungen auf, kamen so
zu Maximalforderungen, nutzten sie
als Gesinnungstests und waren nicht
sonderlich unglücklich, wenn ihr
Gegenüber in die Rolle des permanenten Neinsagers getrieben wurde
und angeblich die Maske der Moral
fallen ließ. Damals war die Rede von
einer protestantischen Nörgelethik
derer, die vom moralischen Feldherrenhügel herab Fallbeilurteile
fällten.
Diese Zeiten sind zwar vorbei,
gleichwohl wird auch ein islamisches Büro vergleichbaren Ansprüchen ausgesetzt sein. Es wird sich
nur dann nicht ad absurdum führen,
wenn es stark genug ist, gegenüber
Eiferern und ihren Detailansprüchen
gesamtislamische
Perspektiven
durchzuhalten. Auch diese Probleme sind bewusstseinspflichtig
und nicht erst zu bedenken, wenn
entstandene Fronten kaum noch zu
beseitigen sind.
Ich habe dieses Für und Wider aufgezählt, um deutlich zu machen,
dass wir beides zugleich brauchen:
Mut und Behutsamkeit.
So hoffe ich, dass wir mit dieser
Veranstaltung immer weniger einer Feuerwehr gleichen, die sich
um Kompetenzen, Initiativrechte
und Satzungen streitet, während
die Welt brennt und sich auch das
Integrationsklima als hoch entzündungsfähig erweist.
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Muslime in Deutschland Vorbemerkungen
zwischen sozialer InteEinem zweiseitigen Versäumnis
gration und kultureller verdanken wir die problematische
soziale und kulturelle Situation,
Identität
Elsayed Elshahed, Al-Azhar
Universität Kairo
Leiter der “Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien
in der Muslime in Westeuropa im
Allgemeinen und in Deutschland im
Besonderen leben.
Einerseits lebte die erste Einwanderergeneration in der Vorstellung,
dass sie nach einigen Jahren in
ihre Heimat zurückkehren würde
und strebte daher keine Integration
im Gastland an. Die muslimischen
Rechtsgelehrten betrachteten ihrerseits das Verweilen der muslimischen Minderheit als vorübergehend
und demzufolge hielten sie jeden
Versuch, eine zeit- und situationsgerechte Rechtsgrundlage für die
Muslime in Europa zu schaffen für
überflüssig.
Andererseits verhielten sich die
Politiker im Westen zurückhaltend,
weil sie ebenfalls die Anwesenheit
der Muslime in Europa als eine vorübergehende Situation betrachteten
und somit keine effektive Integrationskonzepte entworfenhaben,
stattdessen wurde in einer späteren
Phase über verwirrende Begriffe wie
Euroislam, Leitkultur etc. in den
Massenmedien unbedacht debattiert
und verschleierte Assimilationsversuche unternommen.
Diese Problematik könnte man
ebenso gut aus zweierlei Perspektiven betrachten: Aus der Sicht der
nichtmuslimischen Deutschen und
der Sicht der deutschen bzw. der
in Deutschland lebenden Muslime.
Diese beiden Perspektiven könnten
einerseits nur teilweise unterschiedlich, andererseits aber auch von
Grund auf gegensätzlich sein. Dabei
spielt die Konzeption der jeweiligen
Religion, ihrer Wertvorstellungen,
Normen und Maxime sowie der Art
ihrer Urteilsquellen eine entscheidende Rolle.
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Handelt es sich also um zwei
verschiedene Kulturkreise oder
Religionsgemeinschaften,
deren
Urteilsquellen gänzlich verschieden
sind und somit wesentlich verschiedene Wertvorstellungen, Normen
und Maxime haben, so bestehen
entsprechend wenig Aussichten auf
eine kulturelle Annäherung, geschweige denn auf Integration der
neuen Kultur in die Einheimische.
Handelt es sich aber um zwei zwar
verschiedene Kulturkreise, dennoch
mit zumindest vergleichbaren Weltanschauungen, wie dies der Fall bei
den drei abrahamitischen monotheistischen Religionen, Judentum,
Christentum und Islam ist, so erhöhen sich zumindest theoretisch die
Erfolgsaussichten für eine gegenseitige Verständigung und würden den
Weg zu einer tauglichen Integration
der betroffenen Kulturen ebnen.
Dabei muss man darauf bedacht
sein, dass die Forderung nach Integration einer neuen Kultur in die
Einheimische sehr leicht bewusst
oder unbewusst in einen Assimilationsprozess münden könnte, bei der
die eigene kulturelle Identität der
neuen Mitbürger langsam verloren
geht und demzufolge die Grundlage
für eine kulturelle Vielfalt mit allen ihren gesellschaftlich positiven
Wirkungen nicht mehr existieren
würde.
Eine besonnene Integration, welche
die Gemeinsamkeiten zwischen den
verschiedenen Kulturen hervorhebt
und diese für die gegenseitige kulturelle Befruchtung optimal ausnutzt, ohne dass die Kultur in die
andere eingehen muss, soll das Ziel
aller aufrichtigen Bestrebungen auf
diesem Gebiet sein.
Nur diese Art der Integration soll
mit allen vorhandenen Mitteln ge-
fördert und nicht einseitig gefordert
werden. Die Devise heißt dann:
Aufrichtig fördern statt egozentrisch fordern. Ein ernst gemeinter
Integrationsprozess kann niemals
eine Einbahnstraße sein, sie setzt
viel mehr eine gegenseitige aufrichtige Anerkennung und mutiges
vorurteilsfreies Aufeinanderzugehen
sowohl seitens der Aufnahmegesellschaft als auch seitens der zu integrierenden Glaubensgemeinschaft.
Eine andere Dimension wird bei
dieser Problematik übergangen, die
hintergründig für das Scheitern des
bislang unternommenen Integrationsversuches
mitverantwortlich
ist,nämlich dass man sowohl bei der
Konzeption als auch bei der Diskussion von einem homogenistischen
Kulturverständnis ausgeht, dabei ist
weder die islamische noch die deutsche Kultur homogen.
Muslime in Deutschland
Vier Fragen bilden die Grundlage
einer objektiven und konstruktiven Diskussion über den Islam in
Deutschland, auf welche sowohl
deutsche Muslime als auch Nichtmuslime unvoreingenommen eingehen müssen:
• Im Ersten geht es um die Frage,
ob der Islam seiner Natur nach
offen gegenüber anderen Kulturen ist oder nicht. Wie weit
können uns die islamischen
Urquellen und die gelebte Geschichte dabei helfen?
• Im Zweiten geht es um die
Frage, ob der Islam mit dem
Verhalten seiner Angehörigen
identifiziert werden darf oder
nicht.
• Im Dritten geht es um die Frage,
ob alle Muslime in Deutschland
das gleiche soziale kulturelle
Niveau haben.
• Im Vierten geht es um die Frage,
ob diejenigen, die den Islam in
Deutschland, insbesondere durch
die Massenmedien und Dialogveranstaltungen darstellen, den
traditionellen Islam bzw. das von
den meisten Muslimen akzeptierte Islambild vermitteln oder
nicht.
Der Islam sowie jede andere Religion oder Ideologie darf nicht daran
gemessen werden, wieweit sie von
ihren Anhängern praktiziert wird.
Würde man dies dennoch tun, so
würden sich alle Religionen und
Ideologien als untauglich erweisen.
Eine Bestandsaufnahme zeigt, dass
wir es in Deutschland, wie auch in
vielen europäischen Ländern, mit
Muslimen zu tun haben, die von
divergenter kultureller und sozialer
Herkunft sind. Diese Gegebenheit
bestimmt oder beeinflusst zumindest ihre Denkstruktur und ihren
Umgang mit Andersgläubigen.
Dass die Aufgeschlossenheit dem
Anderen gegenüber dem Bildungsniveau entspricht, gilt insbesondere
für die erste Einwanderergeneration.
Bei der zweiten Generation kann
man eine bessere Aufgeschlossenheit feststellen. Bei der dritten Generation findet sich kaum noch ein
Unterschied zu den Einheimischen.
Diese Feststellung ist zwar durchaus
als eine positive Entwicklung zu
bewerten, man darf jedoch die Gefahren nicht unterschätzen, welche
durch den Verlust der eigenen Identität entstehen können.
Den Deutschen, welche bewusst zum
Islam konvertiert sind, kommt dabei
eine besonders wichtige Aufgabe zu,
denn sie sind zum Islam, im Gegensatz zu den geborenen Muslimen,
nach einem langen Prozess bewusst
konvertiert. Sie gehen an den Islam mit einer völlig neuen, meist
kritischen Denkstruktur heran, was
eine wesentliche Bereicherung der
islamischen Geisteswelt darstellt.
Sie gelten, abgesehen von einigen
wenigen Personen, als die bestge-
eigneten Kulturvermittler zwischen
Islam und Christentum.
Unter den Islamvertretern in
Deutschland gibt es viele identitätsbewusste aufgeschlossene Muslime,
welche ihre religiös-gesellschaftliche Aufgabe nach bestem Wissen
und Gewissen erfüllen. Diese werden
bedauerlicherweise oft als Konservative oder als Fundamentalisten abgestempelt und ihnen wird dadurch
so gut wie kein Platz in den öffentlichen Massenmedien eingeräumt.
Auf der anderen Seite gibt es einige
muslimische Wissenschaftler, welche
die Sprache der Neuzeit verstanden
haben, sie bieten einen zurechtgebogenen Islam an und werden dafür
als Islamexperten oder gar als Reformer vor allen in den Massenmedien
aber auch von einflussreichen Politiker entsprechend hofiert. In Wirklichkeit können diese so genannten
Islamexperten für den kulturellen
Dialog und die erhoffte Integration
am wenigsten beitragen, ganz im
Gegenteil, sie stellen meines Erachtens einen wesentlichen Grund für
die nicht zufrieden stellende Entwicklung der kulturellen gegenseitigen Verständigung in Deutschland.
Dass der Islam in seiner theoretischen und historischen Konzeption von Grund auf offen und
aufgeschlossen gegenüber fremden
Kulturen ist, beweist u.a. zum einen die Tatsache, dass ohne die
islamische kulturelle Aufgeschlos-
11
senheit Europa im Mittelalter von
der griechischen Philosophie so gut
wie nichts erfahren hätte, und zum
anderen die Tatsache, dass einst unter islamischer Herrschaft gewesene
europäische Länder nicht zum Islam
zwangskonvertiert wurden, obwohl
dies seitens der muslimischen Herrschaft möglich gewesen wäre.
drang, diejenigen, welche fremdes
Gedankengut, wie griechisches,
persisches, indisches u.a., aus eigener Initiative erworben und ins
Arabische übersetzt, weiterentwickelt und über Spanien und Sizilien
nach Europa gebracht haben. Diese
Tatsache bestreitet heute kein Fachwissenschaftler, weder im Orient,
noch im Okzident.
Die religiöse Legitimität dazu
haben die Muslime neben zahlreichen Qur`anverse auch durch eine
eindeutige Aussage des Propheten
Muhammad, welche besagt: “Die
Weisheit bzw. die Wahrheit soll das
Ziel jedes Gläubigen sein, wo und
wann er sie immer findet, muss er
sie sich aneignen“.
Kulturell waren die Muslime damals,
getrieben durch ihren Wissens-
Was erwarten deutsche Muslime?
• Die Anerkennung des anderen
in seinem Anderssein, d.h. nicht
den Versuch zu unternehmen,
aus dem anderen eine Kopie
seiner selbst zu machen.
• Jeder Versuch, den Islam zu
verkirchlichen, soll unterbunden werden, stattdessen sollen
demokratische Strukturen in
den islamischen Vereinen und
Dachorganisationen gefördert
werden.
• Integration zu fördern anstatt
diese einseitig von Muslimen
verbal zu verlangen. Ausgewogene, praktizierbare Integrationskonzepte zu entwickeln und die
dafür erforderlichen Mittel zu
gewährleisten.
• Verhetzenden Beiträgen und
veralteten Vorurteilen in vielen
Massenmedien, Schulbüchern
und sonstigen Schriften Einhalt
zu gebieten und entgegenzuwirken.
• Einen ernsthaften Dialog mit
identitätsbewussten, also
nicht mit zurecht gebogenen
Gesprächspartnern und Opportunisten, um damit einen
konstruktiven Dialog und keinen
sinnlosen Monolog zu führen.
• Globales, menschliches und
gerechtes Denken bzw. konsequentes und verantwortungsvolles Handeln, insbesondere bei
den religiösen und politischen
Belangen der Muslime.
• Muslime müssen sich nicht für
jeden Terrorakt entschuldigen,
der im Namen des Islam irgendwo auf der Welt geschieht, da
solche Terrorakte ebenso von
Christen, Juden und von Angehörigen sonstiger Religionsgemeinschaften begangen werden
und diese nicht zu Entschuldigungen oder Distanzierungserklärungen aufgefordert werden,
wie dies der Fall bei Muslimen
ist.
• Verbesserungsvorschläge für die
aktuelle Situation der Muslime
in Deutschland müssen in erster
Linie zusammen mit den hier
lebenden Muslimen besprochen
und Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen
gemeinsam gefunden werden.
• Freiheit des Denkens und
Erscheinens für alle Menschen
muss garantiert werden, d.h.
es dürfen keine kulturellen,
geographischen und nationalen
Grenzen für die Menschenrechte
und Gleichheit aller Menschen
gezogen werden.
• Das Recht auf authentischen
islamischen Religionsunterricht
auf Deutsch durch fachlich
ausgebildete LehrerInnen in den
öffentlichen Schulen soll gewährleistet und auch finanziell
aus eigenem Interesse unterstützt werden.
• Eine eindeutige Loyalitätserklärung zum Grundgesetz und den
geltenden Gesetzen in Deutschland, und nicht die nichtvorurteilsfreie Vorgeschichte einer
Person oder die pauschale
Vorurteilung einer Organisation,
soll als eine akzeptable Grundlage für einen konstruktiven,
unvoreingenommenen aber doch
bedachten Umgang bzw. Neubeginn gelten.
Was könnten Deutsche von ihren muslimischen Mitbürgern erwarten?
• Vergangenheitsbewältigung und
unbelastete Geschichtshintergründe sowie gegenwärtige Ko-
12
operationsmöglichkeiten optimal
zu investieren.
• Die uneingeschränkte Loyalität zur deutschen Verfassung
und den geltenden Gesetzen in
Deutschland.
• Die Religion nicht als Vorwand
für die Ablehnung des anderen
zu missbrauchen.
• Die religiösen Rituale (Gottesdienst) nicht als Vorwand für die
Vernachlässigung der berufli-
chen Verpflichtungen zu verwenden.
• Die religiösen Ausnahmeregelungen in Anspruch zu nehmen,
um den Ablauf des Berufs- und
Gesellschaftslebens in Deutschland nicht zu stören.
• Eigene Bedürfnisse und Belange
nur mit Hilfe der in Deutschland
geltenden Gesetze und Mittel
anzustreben.
• Die deutsche Sprache bestmöglich zu lernen und die deutschen
Traditionen zu respektieren.
Aufforderungen an alle Beteiligten:
• Eine aufrichtige multikulturelle
Identität, schonende Integrationspolitik, welche von allen Beteiligten getragen werden soll.
• Den anderen verstehen und in
seinem Anderssein respektieren
darf dennoch nicht zum kritiklosen Nacheifern führen. Mit Vertrauen und Mut auf den anderen
zugehen und versuchen, ihn zu
verstehen.
• Misstrauen auf beide Seiten
abbauen und nicht durch übertriebene Vorsichtsmaßnahmen
Angst erzeugen und Misstrauen
verstärken. Die Balance zwischen Schutzmaßnahmen auf
der einen Seite und Meinungsund Glaubensfreiheit auf der
anderen muss gewahrt bleiben,
anderenfalls würde der Freiraum
für Meinungsfreiheit in einer
demokratischen Gesellschaft
langsam aber sicher unbemerkt
zusammenschrumpfen oder ganz
und gar schwinden.
• Respekt und angstfreie Aufgeschlossenheit müssen in die Praxis umgesetzt werden. Religiöse
und kulturelle Werte müssen in
Taten umgesetzt werden, d.h.
eine optimale Wort-Tat-Identifikation.
• Nur mitten in der Gesellschaft
und nicht an deren Rand müssen
die Muslime leben und dadurch
ein Teil der deutschen Gesellschaft sein bzw. werden.
• Authentischer Religionsunterricht in deutscher Sprache soll
erteilt werden. Die so genann-
te religiöse Unterweisung u.
ä. bieten keine überzeugende
Alternative zum authentischen
Religionsunterricht.
• Spezielle islamische Belange,
wie z. B. die Einführung des
islamischen Strafrechts oder
die Abschaffung des säkularen
politischen Systems,welche ausschließlich in einer islamischen
Gesellschaft durchdiskutiert
werden sollen, dürfen seitens
der Muslime in Deutschland
nicht von der deutschen Gesellschaft erwartet werden.
• Die negativen Erfahrungen, die
Europa mit der Herrschaft der
Kirche im Mittelalter erlebt hat,
dürfen nicht ohne weiteres auf
den Islam projiziert werden.
Der Islam hat seine kulturelle
Blütezeit im christlichen Mittelalter erlebt als die muslimischen Staatsoberhäupter bemüht
waren, ihre Politik so weit wie
möglich islamkonform zu gestalten.
• Die muslimischen Dachorganisationen in Deutschland müssen
ihren internen Streit überwinden und durch demokratische
Strukturen einen Konsens über
allgemein anerkannte Richtlinien finden sowie eine von
allen Organisationen anerkannte
Vertretung wählen, welche die
Belange der Muslimen gegenüber den zuständigen politischen
Institutionen in Deutschland
vertreten kann.
• Furchterzeugende manipulierte
und manipulierende Massenmedien führen die Masse und demzufolge die Politik, die die Masse
für ihre Wiederwahl braucht, in
eine sehr gefährliche Richtung
mit unabsehbaren Folgen. Diese
Tatsache zu unterschätzen oder
gar zu verdrängen ist langfristig
selbstzerstörerisch. Man muss
keinem Verschwörungswahn
unterliegen, um anzunehmen,
dass die Integration der Muslime
im Westen im Allgemeinen und
in Deutschland im Besonderen
bestimmten Interessenmächten nicht recht ist. Die besonders gute Beziehung zwischen
Deutschland und den islamischen Ländern, die sich bis jetzt
bewährt hat, beunruhigt die
vermeinten Interessenmächte.
Wachsamkeit und verantwortungsvolles Handeln ist hier ein
hohes Gebot.
• Ständiges Misstrauen und Verdächtigungen zerstören Schritt
für Schritt das gesellschaftliche
Zugehörigkeitsgefühl und führen
zwangsläufig zur Abkapselung
von der Gesellschaft. Die Abkapselung von der Gesellschaft
bietet fruchtbaren Boden und
hochgradige Anfälligkeit für
extreme Gedanken, die sich
mit der Zeit zu einer Zeitbombe
entwickeln und den gesellschaftlichen Frieden in große
Gefahr bringen könnte, wenn sie
nicht rechtzeitig durch besonnene Aufklärungs- und Überzeu-
13
gungsarbeit, und nicht durch die
Peitsche, entschärft wird.
• Die diesbezüglichen derzeitigen
destruktiven Entwicklungen in
Europa dürfen nicht unbemerkt
zu einer ähnlichen Situation
hinführen, die es in Deutschland
in den dreißiger Jahren des 20.
Jhs. gegeben hat.
Der Islam und die Herausforderungen der Moderne bzw. der Postmoderne:
800 Jahre lang konnte sich der
Islam mit den unterschiedlichsten
Kulturen und veränderten Gegebenheiten auseinandersetzen und
die allgemeine Lebensanschauung
durch seine dynamischen juristischen Instrumente stets lenken oder
zumindest stark beeinflussen.
Die Dynamik der islamischen Urteilsfindung, z. B. „Der Konsens“ (Ijma),
„Der Analogieschluss“ (Qiyas) und
„Das allgemeine Interesse“ (Masalih
mursala) sowie die islamische plu-
ralistische Grundkonzeption macht
jegliche Überlegungen zur Trennung
zwischen Politik und Religion in einem islamischen Land überflüssig.
Ein islamischer Staat ist keineswegs
ein Gottesstaat, eine Theokratie verträgt sich nicht mit der islamischen
politischen bzw. gesellschaftlichen
Weltanschauung, denn die Primärquellen seiner Weltanschauung
und Rechtssprechung, nämlich
der Qur`an und die Sunna, stellen
lediglich die Rahmenbedingungen
und Richtlinien für eine pluralistisch verfasste Staatsordnung dar,
der sich alle Muslime, einschließlich
des Staatsoberhauptes unterordnen
müssen. Es besteht also keine Vollmacht für irgendeinen Menschen im
Namen Gottes über alle anderen zu
richten. Ein Stammesvertreterrat
(Schurarat = Parlament?) und ein
von ihm akzeptierter Weisenrat (ahl
al-hall wa l-`aqd) sind die einzigen
legitimen islamkonformen Entscheidungsinstanzen bei allen Staatsangelegenheiten in Krieg und Frieden.
Berührungsangst, das größte Hindernis?
Die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John, schreibt
in ihrem Vorwort zu „Islam und die
Muslime – Geschichte und religiöse
Traditionen“: „Obwohl der Islam
über die ganze Welt verbreitet ist
und inzwischen auch in Berlin
die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bildet, herrschen über seine
Glaubensinhalte immer noch recht
abenteuerliche Vorstellungen. Das
hat vielfältige Gründe. Die Religionsausübung der muslimischen
Bevölkerung ist weitgehend der Öffentlichkeit entzogen, so dass man
sich aus eigener Anschauung kein
zutreffendes Bild machen kann. Was
man zu wissen glaubt, bezieht sich
nur auf Äußerlichkeiten, z. B. Kleidungs- und Essgewohnheiten. Nur
wenige Menschen haben einen engeren Kontakt zu gläubigen Muslimen;
Gespräche über Glaubensfragen
stehen auch dann selten im Vordergrund. Stattdessen erfährt man
aus den Medien häufig abstoßende
Einzelheiten über die Aktionen
muslimischer Glaubensfanatiker. Das
trägt zur Aufklärung über den Islam
nicht bei, im Gegenteil: Es führt zu
Gefühlen von Angst und Abwehr“.
Ausführlich über Angst und Abwehrstellung der Christenheit vor
fremden Wahrheiten, einschließlich
der des Islam, schreibt der ehemalige Nürnberger Kaplan, Dr. der
Philosophie und Theologie, Jürgen
Kuhlmann in seinem Buch „Ehrfurcht vor fremder Wahrheit“.
Auf der islamischen Seite gibt es
mindestens so viele Schriften, welche den Muslimen, oft zu Unrecht,
Angst und Misstrauen gegenüber all
dem, was aus dem Westen kommt,
einflößen.
Wie könnte man diesen Hindernissen entgegenwirken?
Der authentische islamische Religionsunterricht ist, meiner Meinung nach, nicht nur die beste
Vorbeugungsmaßnahme gegen die
Verbreitung von Fanatismus und
Extremismus, vielmehr fördert er sowohl eine binnenislamische als auch
14
eine gesellschaftliche Integration in
Deutschland.
Ein muslimischer Schüler, der in seiner öffentlichen deutschen Schule
von einem ausgebildeten Islamlehrer den Islamunterricht in deutscher
Sprache erhält, könnte niemals dem
deutschen Staat, der ihm diesen religiösen Dienst gewährt und finanziert, feindselig gesonnen sein.
Dazu würde der deutschsprachige
Islamunterricht in den öffentli-
chen Schulen, der gemeinsam von
muslimischen SchülerInnen aus
verschiedenen Ländern und Glaubensrichtungen besucht wird, die islamische Binnenintegration fördern
und später eine einheitliche islamische Konstellation in Deutschland
ermöglichen.
Der Bedarf an privatem und undurchsichtigem Religionsunterricht
würde damit sehr stark eingegrenzt
und käme dem gesellschaftlichen
Frieden und somit einer konstruktiven Identität und schonenden
Integration zugute.
• 35 Millionen Muslime in Europa
müssen gleichberechtigt und
menschengerecht integriert werden.
• 570.000 muslimische SchülerInnen an deutschen Schulen
dürfen nicht bei der Lehrplanaufstellung ignoriert werden.
• Die islamische Religionsgemeinschaft stellt in Deutschland
mit 3,2 Mill. die drittgrößte
Religionsgemeinschaft dar und
sie wird in der nahen Zukunft
nicht kleiner. Ihre Kaufkraft und
Sparguthaben bei Banken und
Sparkassen dürfen nicht unterschätzt werden.
• Gemäßigter Islamunterricht
durch entsprechend ausgebildete
Lehrkräfte an allgemein anerkannten islamischen Universitäten und öffentliche finanzielle
Unterstützung für islamische
Gemeinden sind nicht nur die
besten Vorbeugungsmaßnahmen
gegen fremde, manchmal extremistische Einflussnahme durch
Untergrundorganisationen und
fanatische Dogmen, sondern
stellen ein Grundrecht der Muslime in Deutschland hinsichtlich der Tatsache dar, dass die
muslimischen Arbeitnehmer, wie
alle ihre deutschen Kollegen,
Steuer- und Versicherungsbeiträge zahlen und daher ein Anrecht
auf Kulturförderung aus öffentlichen Geldern haben.
Österreich, Spanien, Belgien und
Holland haben den Islam bereits in
unterschiedlichen Formen anerkannt
und den islamischen Religionsunterricht an den Schulen unterstützt.
Warum ist dies in Deutschland immer noch so problematisch?
Exkursion: Religiöse und historische Zeugnisse
Als der Prophet Muhammad in Medina ankam und den ersten islamischen Stadtstaat gründen wollte,
verfasste er die folgende Erklärung
als einen göttlichen Bund, welcher
die Beziehung zwischen allen in Medina lebenden Menschen festlegt:
„Im Namen Allahs des Barmherzigen und gütigen Gottes. Dies ist
eine Urkunde von Muhammad dem
Propheten Gottes: „...Die Juden, unsere Mitbürger, genießen die gleiche
Hilfe und Unterstützung. Der Friede
Gottes ist ein einziger. Alle Verträge
unter euch und mit ihnen müssen
auf Gerechtigkeit und Gleichheit
des Rechtes beruhen. Die Juden regieren sich nach den Gesetzen ihrer
eigenen Religion, sie unterstehen
ihren Oberhäuptern. Den Juden
ihre Religion und den Muslimen
die ihre! Unser Gott und ihr Gott
ist einer. Juden und Muslime zahlen die gleichen Unkosten für das
Allgemeinwohl. Sie helfen einander
gegen jeden, der gegen die Leute
dieser Urkunde kämpft. Die Leute
dieser Urkunde helfen sich gegen
jeden, der die Stadt überfällt. Den
Quraischiten wird kein Schutz gewährt. Niemand, der in diesen Bund
eingetreten ist, darf ihn brechen.
Wahrlich, Gott erzürnt, wenn sein
Bund gebrochen wird. Gott billigt
diese Urkunden. Gott schützt jeden,
der aufrichtig ist. Und Muhammad
ist der Prophet Gottes.“
Paul Schwarzenau kommentiert
dazu in seinem Buch „Korankunde
für Christen“: „Die Urverfassung
von Medina meint eine Staatsgründung von bewusst tolerantem und
ökumenischem Charakter, Toleranz
allerdings
unter
gleichzeitiger
Hochgestemmtheit des religiösen
Verhältnisses.“
Der deutsche Religionswissenschaftler Peter Antes schreibt zu dieser
Medina-Urkunde in seinem Buch
„Ethik und Politik im Islam“ folgendes: „Die Verfassung von Medina
geht von einer Koexistenz zwischen
Muslimen und Juden aus, wobei
„den Juden ihre Religion und den
Muslimen die ihre“ garantiert wird.
Ähnliches gilt für den Koran, der
„den Leuten des Buches“ (Juden,
Christen, Zoroastrier) an vielen Stellen einen Sonderstatus einräumt.“
Die Qur`anverse, welche die Akzeptanz und den Respekt des Islam
gegenüber Andersgläubigen in einer
islamischen Gesellschaft belegen,
sind zahlreich. Sie alle hier zu
erwähnen ist überflüssig (s. u. a.,
S. 2/62,256; 4/123; 5/69; 18/29;
29/46). Um nicht zu theoretisch zu
sein, halten wir uns an die Sunna
des Propheten Muhammad, denn sie
stellt den gelebten Islam dar.
Der Prophet sagte: „Wen einer einem
Schutzbefohlenen (Jude, Christ oder
Zoroastrier) Unrecht tut, bin ich
sein Gegner, wenn ich der Gegner
von einem im Diesseits bin, werde
ich auch im Jenseits sein Gegner
sein“.
15
In einem anderen Hadith sagt der
Prophet Muhammad: „Wer einem
Schutzbefohlenen Unrecht tut, tut
mir ebenfalls Unrecht, und wer mir
Unrecht tut, wäre dies so, als hätte
er Gott Unrecht getan“.
Als die Muslime Khaibar erobert
hatten, fand der Prophet Muhammad einige Exemplare von der
Thora, daraufhin befahl er, sie den
Juden zurückzugeben, und zwar
aus der Überzeugung heraus, dass
die Juden das Recht darauf haben,
ihren Kindern ihre heilige Schrift
zu vermitteln. Er tat dies im Sinne
des Qur‘anverses: „Niemand darf
gezwungen werden, gegen seinen
Glauben zu handeln = „la ikraha fi
d-din“ (Sure 2/256).
Als die christlichen Stammesvertreter aus Najran zum Propheten
Muhammad nach Medina kamen, um
ihm zu sagen, dass sie zwar die islamische Herrschaft über ihr Gebiet
akzeptieren aber nicht zum Islam
konvertieren wollen, billigte er ihnen nicht nur zu, ihre Religion zu
behalten, sondern ihr Pfingst-Gebet
in seiner Moschee, der zweitheiligsten Stätte des Islam, zu verrichten.
Er schloss mit ihnen auch ein Friedensabkommen mit dem folgenden
Wortlaut: „Die Christen in Najran
genießen den Schutz Gottes und
Muhammads für ihr Vermögen, ihr
Leben, ihr Land, ihre Religion, dies
gilt ebenso für die Anwesenden sowie die Abwesenden, ihre Stämme,
ihre Gebetsstätten und alles, was sie
besitzen, ob wenig oder viel. Kein
Fremder darf ihre Priester oder ihre
Mönche absetzen.“
Als Omar Ibn Al-Khattab Jerusalem eroberte, unterschrieb er dem
christlichen Patriarchen Sophrinus
eine Sicherheitsurkunde, darin
stand folgendes: „Dies ist eine Sicherheitsurkunde vom Gottesknecht
Omar, Kalif der Gläubigen, für die
Bewohner von Ilya (Jerusalem).
Er garantiert ihnen die Sicherheit
für ihr Leben, ihr Vermögen, ihre
Kirchen, ihre Kreuze und alles, was
ihre Religion anbelangt. Niemand
darf ihre Kirche als Wohnhäuser
verwenden, noch zerstören, noch
berauben, noch verkleinern, noch
ihre Kreuze schädigen, noch ihr
Vermögen beeinträchtigen, noch
sie an der Ausübung ihrer religiösen
Rituale hindern noch ihnen auf irgendeine Weise Unrecht tun“.
Nachdem `Amr Ibn Al-`Aas Ägypten
von den Byzantinern befreit und
den koptischen Patriarchen Benjamin aus seiner Verbannung geholt
und ihn wieder auf seinen heiligen
Stuhl hatte setzen lassen, schrieb er
eine Urkunde für die Ägypter, darin
stand folgendes:
„Diese Urkunde ist von Amr Ibn al`Aas für die Ägypter. Sie genießen
die Sicherheit für ihr Leben, ihre
Religion, ihr Gut, ihre Kirchen, ihre
Kreuze, ihr Land und ihre Gewässer.
Niemand darf sich in ihre Angelegenheiten einmischen oder ihnen
etwas wegnehmen.“
Omar Ibn Abd Al-`Aziz (Mitte des 8.
Chr. Jh.) schrieb an alle seine Statthalter folgendes: „Ihr dürft weder
eine Kirche noch ein Gebetshaus
(Tempel) noch ein Feuerhaus (Zoroastrier Tempel) zerstören.“
Die politische Geschichte zeigt, dass
sich die Muslime, abgesehen von
einigen geringen Ausnahmen, an
diese toleranten Richtlinien bis zum
Ende ihrer wirklichen Machtperiode,
nicht zuletzt in Südeuropa, wie in
Spanien in Sizilien, gehalten haben.
Der osmanische Sultan Suleiman
Al-Qanuni (1529) war derjenige,
der aus Spanien vor der Inquisition
geflohene Juden in seinem Reich
aufgenommen hat. Sie konnten
unter seiner Herrschaft sogar hohe
Staatsämter besetzen. Der jüdische
Philosoph Musa ibn Maimun (Maimunides) in Ägypten ist nur ein
Beispiel von vielen.
Der bekannte deutsche Orientalist
und Islamkenner Adam Metz (1917)
geht in seinem Buch „Die islamische
Zivilisation im 4. Th. H./10.Jh.
Chr.“ sogar soweit, zu behaupten,
„dass die Christen diejenigen waren,
welche die wirkliche Macht in den
islamischen Länder innehatten“.
Ein so verstandener Islam dürfte
in einer kulturell, religiös und politisch pluralistischen Gesellschaft
wie Deutschland kein unlösbares
Problem und noch weniger eine Gefahr darstellen.
Christliche Ausführung
Das Beispiel Ägypten:
Offizielle und inoffizielle christliche Schriften aus allen christlichen
Gemeinden in Ägypten äußern sich
positiv zur Lage der christlichen
Minderheit. Der berühmte christliche ägyptische Nationalführer
16
zur Zeit der englischen Besatzung,
Makram `Ibaid Pascha (1889-1960),
sagte im Namen der ägyptischchristlichen Gemeinschaft: „National gesehen sind wir Muslime, was
aber die Religion betrifft, sind wir
Christen. Gott! lasse uns dir gegen-
über Muslime (Gottesergebene) und
für unsere Nation Helfer sein. Gott!
Lasse uns Helfer Deiner Sache (nasara lak) und unserer Nation ergebene
Diener (Muslimun) sein“.
Der heutige Patriarch der koptisch-orthodoxen Kirche Schenuda
III, äußerte sich (in der Zeitung
al-Ahram vom 6. März 1985) im
Zusammenhang mit der Einführung
der islamischen Schari‘a in Ägypten
folgendermaßen:
„Die Kopten fühlen sich unter der
islamischen Schari‘a besser als sonst
und genießen mehr Sicherheit. Genauso war es früher, als die Schari‘a
für uns alle galt. Wir sehnen uns
heute danach, denn für sie, die Muslime, und für uns Christen gelten die
gleichen Rechte und Pflichten“.
Der stellvertretende Patriarch der
katholischen Kopten in Ägypten,
Bischof Johann Qulta, schreibt in
einem Vortrag im Rahmen der 9.
Konferenz des Obersten Rates für islamische Angelegenheiten in Ägypten: „Aus islamischer Sicht darf
jeder Mensch der Religion, der Glaubensgemeinde oder der Ideologie
angehören, die er selbst auswählt.
Er genießt die volle Freiheit, seine
religiösen Rituale in der Öffentlichkeit wie im Privaten ungestört
auszuüben. Ihm steht auch zu, konfessionsfrei zu leben, solange er die
ihm gewährte Glaubensfreiheit nicht
zum Nachteil der anderen Menschen
missbraucht. Der Islam erlaubt keinen religiösen Zwang, auch wenn
der Islam als die Staatsreligion in
der Verfassung proklamiert ist“. Der
bekannte islamische Rechtsgelehrte
Imam as-Schafi’i, so Qulta weiter,
„verbot dem muslimischen Ehemann
mit seiner christlichen Ehefrau über
ihre Religion zu sprechen, um jeden
Verdacht auf Manipulation abzuwenden…“
Weiter sagt Bischof Qulta: „Ich bin
völlig damit einverstanden, dass
ich als christlicher Ägypter in der
islamischen Kultur lebe, ich gehe
sogar soweit, dass ich mich 100 %
als Muslim in Bezug auf die Kultur
fühle, ich gehöre zur islamischen
Kultur, wie ich sie in der ägyptischen Universität gelernt habe. Ich
lernte, dass der Prophet Muhammad
den jemenitischen Christen erlaubt
hat, ihr Pfingstgebet in der MedinaMoschee zu verrichten. Wenn die
islamische Kultur soweit geht, einen
Krieg zu führen, um einen Christen
aus der Kriegsgefangenschaft zu
befreien, und den Menschen zu dem
Status des Gottes Vertreters erhebt,
dann bin ich stolz darauf, dieser
Kultur anzugehören. Kulturell gesehen sind wir alle Muslime“.
Der Chríst Dr. Edward Al-Dhahabi,
sagte in der gleichen Publikation:
„Der Islam ehrt die Natur des Menschen, diese Erfüllung anerkennt
keine Unterscheidung zwischen den
Menschen, weder aufgrund des Geschlechts, noch der Religion, noch
der sozialen Position. Der Mensch
darf im Islam weder wegen seiner
ethnischen Abstammung noch seiner Hautfarbe noch seines Glaubens
noch seiner Religion benachteiligt
werden. Diese völlige Gleichheit
zwischen den Menschen“, so AdDhahabi weiter, „hat der Islam nicht
nur unterstrichen, sondern zu einer
unerlässlichen Pflicht jedes Menschen gemacht“.
Der christliche Intellektuelle Ghali
Schokri sagt: „Die islamische Kultur
ist die grundlegende Identität der
ägyptischen Kopten. Diese Tatsache
muss die koptische Jugend beherzigen. Sie ist die wahrhafte Identität
für uns alle…“.
Diese authentischen positiven Äußerungen einiger der angesehenen
ägyptischen Christen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass beidseitige gewaltvolle Überschreitungen
zwischen den Anhängern beider
Religionsgemeinschaften ab und
zu bedauerlicherweise stattfinden,
die aber durch die Sicherheitskräfte schnellstmöglich unterbunden
werden.
Belege aus der Statistik:
Um die soziale Lage der Christen in
Ägypten zu verdeutlichen, führe ich
hier einige objektive ökonomische
Statistiken an, die zwei nichtägyptische Christen, der Franzose Philip
Fargue und der Libanese Rafiq alBustani, im Jahre 1994 unter der
Überschrift „Die Kopten in Ägypten“ veröffentlich haben:
Zwischen 1907 und 1937 stellten die
Kopten 8 % der ägypt. Bevölkerung
1947
7,9 %
1960
7,3 %
1986
5,9 %
Diese Zahlen weisen eine stets abfallende Tendenz auf und bedeuten,
dass die Zahl der koptischen Bürger
sich um die 3 Millionen von 60 Mill.
bewegt.
Der Anteil der 3. Mill. Kopten an der
gesamten ägyptischen Wirtschaft
sieht nach der o. g. Statistik folgendermaßen aus:
17
Sie besitzen:
22,0 %
der gesamten Zahl der Firmen, die zwischen 1974 und 1995 gegründet wurden.
20 %
der gesamte Bauunternehmungen
50 %
der Beratungsbüros
60 %
der Apotheken
45 %
der privaten Arztpraxen
35 %
der Mitgliedschaften in der amerikanischen und deutschen Handelskammer
60 %
der Mitgliedschaften in der französischen Handelskammer
20 %
der gesamten Zahl der Geschäftsmänner / Frauen
20 %
der Investoren in den neuen Industriesiedlungen
25 %
der angesehenen Berufe, wie Ärzte, Tierärzte, Apotheker, Ingenieure und Rechtsanwälte.
Wie diese Statistik eindeutig zeigt,
besitzen 5,9 % der Bevölkerung zwischen 35 -40 % der gesamten Wirtschaftskapazität des Landes.
Auf dem Gebiet der religiösen
Gottesdienststätten kommen nach
einer Statistik von 1997 auf eine
Kirche je 1250 Menschen, demgegenüber kommen auf eine Moschee
je 1227 Menschen.
Fachleute führen diese positive
Entwicklung auf eine Aussage des
größten ägyptischen islamischen
Rechtsgelehrten Al-Laith Ibn Sa‘d
(713-791) zurück, der eine entsprechende Fatwa (einen religiösen
Rechtsspruch) verfasst hatte, nämlich, dass der Bau einer Kirche zur
Entwicklung des gesamten Landes
beiträgt.
Der erste ägyptische Präsident,
Gamal ’Abd Al-Nasser (1918-1970)
förderte den Bau der größten Kathedrale in Ägypten, der MarkusKathedrale, mit einer finanziellen
Unterstützung in Millionenhöhe.
zweite bzw. dritte Generation der in
Deutschland lebenden Muslime, die
sich mehr als Deutsche fühlen und
dazu die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sowie die deutschen
Muslime sind mit den Christen in
Ägypten in vielen Hinsichten vergleichbar. Außerdem leben die
ägyptischen Christen neben den
Muslimen als eine selbständige Religionsgemeinschaft. Nur die natio-
nale Zugehörigkeit verbindet sie mit
ihren muslimischen Mitbürgern.
Schlussbemerkung
Man könnte eventuell sagen, in
Ägypten handle es sich zwar um
zwei verschiedene Religionsgemeinschaften, die aber die gleiche
Nationalität haben, was bekanntlich
nicht der Fall bei den Muslimen in
Deutschland ist. Sie haben zum
größten Teil verschiedene Nationalitäten. Diese Betrachtungsweise
übersieht, dass Religion und Nationalität nicht unauflöslich miteinander verbunden sein müssen. Die
18
Von außerordentlicher Bedeutung
am Beispiel Ägypten ist das gemeinsame kulturelle Bewusstsein,
was noch nicht bei den Muslimen in
Deutschland der Fall ist. Darauf sind
die unterschiedlichen Ergebnisse
des Integrationsprozesses zurückzuführen.
Statement
Marieluise Beck
Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration
Zwei Dinge möchte ich vorab sagen:
Zunächst einmal müssen wir nüchtern feststellen, dass wir uns in
Deutschland lange Zeit schlichtweg
geweigert haben, zu realisieren,
dass es Einwanderung gegeben hat.
Deswegen haben wir viele Jahre bei
der Gestaltung dieser Einwanderung
verloren.
Neben dieser Hypothek gibt es
nunmehr in der Frage des Verhältnisses des Islam zum Christentum
- oder zu einer teilweise christlichen Gesellschaft in Deutschland,
auch darüber muss man ja sprechen
- eine weitere Hypothek: Das ist die
außenpolitische Entwicklung. Seit
der iranischen Revolution 1979, seit
dem Taliban-Regime in Afghanistan
und nicht zuletzt seit dem 11. September ist natürlich die Diskussion
über den Islam eine andere. Sie
ist extrem überlagert von diesen
außenpolitischen Entwicklungen.
Dessen müssen wir uns bewusst
sein. Es wird hier keine fruchtbare
Diskussion über den Islam geben
können, ohne dass man diese Entwicklungen auch mit zum Thema
macht. Ich meine dies nicht in dem
Sinne, dass hier gesagt wird: Bitte
Ihr deutschen Muslime, könnt Ihr
Euch jetzt bitte mal von der Gewalt
distanzieren. Mich hat auch noch
niemand gebeten, dass ich mich
bitte von der Gewalt der IRA in
Großbritannien distanzieren sollte,
ich wüsste nicht warum. Trotzdem
ist dieses Umfeld absolut präsent.
Wir sehen es jeden Tag in den Medien. Wir müssen uns auch mit diesem
Umfeld auseinandersetzen.
Zweite Vorbemerkung: Die Diskussion über den sichtbaren Islam ist im
hiesigen gesellschaftlichen Umfeld
schwierig. Der Islam in Deutschland
ist zum Teil ein orthodoxer Islam,
der in einer deutschen, sehr säkularisierten, teilweise sogar nur noch
kulturell-christlichen,
teilweise
auch atheistischen Gesellschaft, als
eine Provokation empfunden wird,
wie vielleicht andere orthodoxe Religionsrichtungen auch.
Viele der Auseinandersetzungen, die
an dem Symbol „Kopftuch“ geführt
werden, haben als eine darunter
liegende Strömung nicht nur die
Auseinandersetzung um Feminismus und Frauenrechte, sondern sie
haben auch die Unterströmung: Was
wollen die Religiösen, denen wir
„endlich einigermaßen entkommen
sind“, hier in Deutschland? Was
wollen die jetzt hier noch mal von
einer anderen Seite - und zwar jetzt
über den Umweg des Islam - intervenieren in unsere modernen Gesellschaften? Und wenn man weiß, dass
sich in Ostdeutschland nur noch
ca. 20 % der Menschen dem Christentum zurechnen, haben wir es
weitgehend mit einer Gesellschaft
zu tun - und das ist sehr schmerzlich für die Kirchen -, die sich mit
einer orthodoxen, einem gläubigen Sichtbarwerden einer Religion
extrem schwer tut. Das ist, wenn
man so will, fast ein Kulturschock,
dass uns nun das Verschwinden des
Religiösen so sichtbar noch einmal
quasi als Spiegel vorgehalten wird,
und dann noch von einer anderen
Religion. Also auch diese Hintergrundfolie, dass wir es mit einer
tendenziell areligiösen Gesellschaft
zu tun haben, muss mit einbezogen
werden, wenn wir fruchtbar darüber
nachdenken: Was spielt sich eigentlich gesellschaftlich ab?
Dann habe ich eine Bitte: Ich kann
sie einfach hier nur abladen, denn
wir werden noch viele Jahre miteinander diskutieren müssen. Ich
glaube zunehmend und wünsche mir
zunehmend, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich noch einmal
die Mühe macht, in die Geschichte
zurück zu blicken. Noch einmal ist
der Blick darauf zu werfen, wie in
Deutschland die Wanderung des orthodoxen Judentums - als eine Ge-
19
setzesreligion - stattgefunden hat,
welche Konfliktlinien es da gegeben
hat. In der Regel kam der Zuzug aus
den osteuropäischen Städten in ein
schon sich modern begreifendes
Deutschland, in die Städte, vor allem nach Berlin. Weisen diese früheren Konfliktlinien nicht in gewisser
Weise Parallelitäten auf zu den Konflikten, die wir heute mit dem Islam
haben? Wir haben es wieder mit
einer Gesetzesreligion zu tun, zum
Teil auch mit der Orthodoxie einer
Gesetzesreligion, die für sich religiös begründet: Kleidungsvorschriften, Speisevorschriften, Vorschriften
der Zubereitung von Speisen, wie sie
unserer Gesellschaft fremd sind und
die an Konsensen rütteln, die wir
in der Mehrheitsgesellschaft gefunden haben. Die Diskussion um das
Schächten ist ein Beispiel dafür.
Wir haben dann hier in Deutschland
immer eine kleine versteckte Ecke,
wo wir aus historisch schlechtem
Gewissen heraus dem Judentum
Möglichkeiten eröffnen, während
man bei den Muslimen viel schneller bei der Hand ist, Grenzen zu
setzen. Das haben wir bei der Diskussion um das Schächten gelernt.
Ich wusste bis dato nicht, dass den
jüdischen Bürgerinnen und Bürgern
das Schächten erlaubt ist, aber den
moslemischen nicht. Und erst das
Bundesverfassungsgerichtsurteil hat
hier die Verhältnisse wieder gerade
gerückt.
Und als Letztes, immer noch als Vorbemerkung: Wir haben die Aufgabe
und ich freue mich, dass Sie da sind,
Herr Frisch (ehemaliger Leiter des
Bundesamts für Verfassungsschutz),
wir haben die Aufgabe, die Frage
zu beantworten: Wie halten wir es
mit dem Islam in Deutschland? Wir
sollten das nicht dem Verfassungsschutz überlassen. Der Verfassungsschutz ist notwendig, kann hilfreich
sein, soll gut und kompetent arbeiten, ohne Frage. Aber es geht auch
um politische Fragen, und da ist der
20
Verfassungsschutz, seine Berichte,
das, was er berichtet oder auch das,
was er nicht berichtet, mit hinzu
zu ziehen. Er darf aber nicht die
entscheidende Instanz darüber sein,
wie der Dialog mit dem Islam in unserer Gesellschaft ausgehen kann.
Ich sage das deswegen so explizit,
weil es in meiner Wahrnehmung
immer eine leichte Tendenz aus dem
Bundesinnenministerien
heraus
gibt, den Blick zu starr in Richtung
Verfassungsschutz zu richten, wenn
es um die Frage des Dialogs mit dem
Islam geht.
Und ein Allerletztes, und das sage
ich hier auch sehr offensiv an die
Vertreterinnen und Vertreter des
muslimischen Glaubens: Die Diskussion wird nicht einfacher dadurch,
dass wir es immer mit importierten
Konflikten aus den Herkunftsländern zu tun haben. Das macht es
sehr schwierig.
Wenn zum Beispiel in der KopftuchDebatte nicht nur zwischen Mehrheitsgesellschaft und orthodoxer
Muslima oder kultureller Muslima
diskutiert wird, sondern wenn z. B.
die innenpolitische türkische Debatte um die Fragen Kemalismus, oder
wie weit sind die religiösen Parteien
eine Bedrohung, oder wie weit ist
unser Staatssystem dadurch bedroht, wenn dies mit einfließt und
die Debatte vehement mit bestimmt,
dann gibt es eine Verschiebung in
der Wahrnehmung. Das sieht dann
so aus, dass - und ich weiß, wovon
ich spreche - Medienvertreter, die
oft keine differenzierten Kenntnisse über den Islam haben, sondern
Woche für Woche ihre Talk-Shows
bestücken müssen, sagen: „Ach,
da laden wir noch eine Muslima
ein“. Die gehen davon aus, sie haben damit die Kronzeugin, die es
ja wissen muss. Die kommt aus der
Türkei. Und auf einmal haben wir
es hier aber mit einer nationalen,
innertürkischen
Konfliktstruktur
zu tun, die wir aber nicht so einfach nach Deutschland übertragen
können. Und wir haben damit zu
tun, weil die muslimische Einwanderung nach Deutschland, anders als
die spanische, portugiesische, zum
Teil auch griechische, italienische,
nicht anknüpfen konnte an schon
vorhandene Strukturen. Die religiöse Einbindung war für Italiener im
Wesentlichen kein Problem, da die
katholische Kirche in Deutschland
bereits etabliert war.
Anders war es für muslimische Zuwanderung. Es ist damit die Tendenz
verbunden gewesen, sich nicht nur
nach der Religion allein, sondern
auch noch nach der nationalen Zugehörigkeit zu organisieren. Das hat
ein Selbstverständnis hervorgerufen, nach dem ich nicht nur Moslem
oder Muslima in Deutschland bin,
sondern türkische Muslima, sunnitische oder schiitische Muslima. Wenn
es dann noch um die Alewiten geht,
wird das Feld noch komplexer.
Das alles schwingt noch mit und
jetzt habe ich schon ganz viele
Minuten gesprochen und ganz viele
Vorbemerkungen gemacht und Ihnen
damit eigentlich nur dokumentiert,
wie unendlich groß das Feld noch
ist, das wir abschreiten müssen,
und zwar gemeinsam. Wir haben
noch sehr viel an Sortierungsarbeit
im eigenen Kopf vor uns, aber auch
in der Begegnung, bei ihnen und bei
uns.
Die notwendige Vermittlung in die
Mehrheitsgesellschaft hinein habe
ich für mich zusammengefasst in
dem Schlagwort: „Den Islam einbürgern“. Ich bin dafür auch kritisiert worden. Es hat scheinbar das
Missverständnis gegeben, das sollte
bedeuten, der Islam sollte jetzt
„deutsch“ werden und vielleicht
sogar tendenziell christlich. Das war
damit natürlich nicht gemeint. „Den
Islam einbürgern“ heißt: Es geht
um einen Islam in Deutschland, in
einem demokratischen Rechtsstaat.
Man kann auch sagen, um einen
Islam in Europa, wenn das leichter
verständlich ist. Das heißt aber
auch: Mit dem Recht auf Differenz,
denn die Religion, die religiöse Zugehörigkeit ist Differenz an sich.
Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen, und wir haben unendlich viele
Jahre verpasst, das brauche ich jetzt
nicht mehr zu wiederholen. Sehen
wir uns einmal an, womit wir es in
unserem eigenen Staatsverständnis
zu tun haben.
Die Kopftuch-Debatte ist, weil sie
so symptomatisch gewesen ist, die
Debatte, die sehr viel offen gelegt
hat. Die zentrale Botschaft des
Kopftuchurteils war: Es gibt einen
gesellschaftlichen Wandel aufgrund
von Migration. Dieser Wandel fordert aktive politische Gestaltung
und demokratische Entscheidung,
das heißt, es kann nicht alles so
bleiben, wie es ist. Das hört man
nicht gerne als Mehrheitsgesellschaft. Und wenn das noch die sind,
die „von außen“ kommen, hört man
es noch viel weniger gerne. Schon
die „von innen“ kommen und sagen, wir brauchen Veränderungen
von Konsensen, werden ja nicht
immer mit Freude empfangen. Man
denke nur an den Krach in der
Gesellschaft um Homosexualität,
um nichteheliche Lebensgemeinschaften u. a. mehr. Aber natürlich
ist es noch einmal prekärer, wenn
eine Fragestellung quasi als „von
außen kommend“ empfunden wird.
Da ist es dann auch relativ egal,
ob die Menschen dann tatsächlich
die deutsche Staatsbürgerschaft
haben oder nicht. Frau Ludin ist ja
eingebürgert, sonst hätten wir die
Debatte um das Beamtenrecht gar
nicht gehabt.
Das Verfassungsgericht hat zwei
Wege als Antwort eröffnet. Es hat
gesagt, wir können uns für eine
behutsame Fortsetzung unseres
Verständnisses von Religionsfreiheit und staatlicher Neutralität im
öffentlichen Raum entscheiden,
also Lehrerinnen nicht allein wegen
ihres Kopftuches vom staatlichen
Schuldienst fern halten.
Die Alternative wäre, den gesellschaftlichen Wandel auf Grund
der zunehmenden religiösen Vielfalt zum Anlass nehmen, zu einer
grundsätzlichen
Neubestimmung
des zulässigen Ausmaßes religiöser
Bezüge in der Schule zu kommen.
Das hieße zukünftig, alle religiösen
Erkennungsmerkmale bei Lehrerinnen und Lehrern zu untersagen.
Staatliche Neutralität heißt nicht,
alles Religiöse wird rausgehalten aus
den staatlichen Institutionen, sondern staatliche Neutralität heißt:
Der Staat ist gehalten, sich so zurückzuhalten, dass alle Religionen
von ihm gleichermaßen respektiert
werden. Das ist staatliche Neutralität, alles andere wäre ein falsches
Verständnis, dass sich allerdings
zum Teil derzeit aufbaut.
Was nicht geht, ist zu sagen: Wir
haben ein paar „gute“ religiöse
Zeichen, die zu uns gehören, das
sind die christlichen. In BadenWürttemberg wurde nach dem ersten Referentenentwurf ganz schnell
noch nachgeschoben: “und die jüdischen natürlich auch….“. Dies war
offensichtlich zunächst vergessen
worden.
Aber bei dem Kopftuch wird unterstellt: „Das Kopftuch ist definitiv
ein politisches Symbol“. Diese Aussage halte ich für problematisch!
Selbstverständlich darf man behaupten, dass es auch ein politisches Symbol ist. Das kann es auch
sein. Aber definitiv zu sagen, das
Kopftuch ist ein politisches Symbol,
ist nichts anderes als das Anheizen
einer antimuslimischen Stimmung
in unserer Gesellschaft. Wir alle
miteinander werden lange damit
beschäftigt sein, um das wieder
einzufangen. Soviel zum Kopftuch,
doch zurück zu unserer Verfassung
und dem Umgang mit Vielfalt.
Einer der Grundgedanken des traditionellen Verständnisses unseres
Verfassungsstaats ist Offenheit
gegenüber Vielfalt, nicht die Unterordnung oder der Ausschluss
des Fremden. Es muss Platz geben
für christliche Bezüge im öffentlichen Raum, das haben Sie auch
in einigen Schulverfassungen. Ich
sage, und das auch sehr bewusst mit
Blick auf unsere deutsche Geschichte: Religionen haben ihren Platz
im öffentlichen Raum. Die Väter
unserer Verfassung waren ja sehr
geschichtsbewusst und natürlich
hatten sie die Ausmerzung einer Religion in Deutschland präsent. Unser
Asylrecht ist geprägt gewesen von
diesem historischen Gedächtnis.
Es ist also auch - und das kann man
definitiv sagen - natürlich von den
Vätern der Verfassung mitgedacht
worden, dass es auch differente
Religionen in unserer Gesellschaft
geben soll. Natürlich konnte man
damals nicht wissen, dass das
Judentum wieder zurückkehren
würde. Genauso wenig konnte man
wissen, dass der Islam eines Tages
zu uns kommen würde. Aber ich bin
mir sicher, dass das Grundgesetz von
einer Einheit stiftenden Idee getragen ist, einer Idee, die es in jedem
Staatswesen geben muss. Diese Leitidee heißt nicht Homogenität, sondern die Einheit stiftende Idee ist
das Recht auf Verschiedenheit und
Differenz. Ein solches Recht ist das
beste Integrationsprogramm. Denn
es heißt Anerkennung, es heißt Respekt, es heißt Religionsfreiheit, es
heißt Entfaltungsspielräume für diese Differenzen, für Religionen. Das
heißt, es darf die Kippa getragen
werden und sichtbar sein, niemand
21
darf deswegen diskriminiert werden.
Das heißt auch, das Kopftuch muss
sichtbar sein dürfen. Immerhin ist
im Arbeitsrecht diese Frage ja positiv für das Kopftuch entschieden.
Dies grenzt natürlich an den Bereich
der Antidiskriminierung. Ich bin
sehr gespannt, wie die Umsetzung
der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien, die nunmehr
kommt, aussehen wird. Gerade die
Feministinnen sagen: „Wir brauchen
scharfe Antidiskriminierungsgesetze.“ Ich bin sehr gespannt auf die
Debatte, wenn es beim Kopftuch um
ein sowohl geschlechtspezifisches,
wie eben auch religiöses Symbol
geht.
Ich möchte noch einmal auf Herrn
Dr. Lefringhausen zurückkommen,
der sagte: „Es gibt keine Alternative
zum Dialog als eine vertrauensbildende Maßnahme.“ Und ich fand
es wunderbar als er sagte: „Lasst
uns auf beiden Beinen gehen. Wir
brauchen einen Wandel durch Annäherung. Auf der anderen Seite aber
durchaus auch die Politik der harten
Abgrenzung“.
Es hat überhaupt keinen Wert, hier
rührselig drum herum zu reden. Wir
wissen, es gibt „harte Kerne“ in Moscheen. Was an Freitagsgebeten aus
manchen Moscheen herausdringt ist
katastrophal, darf in Deutschland
keinen Raum haben, und zwar gerade in Deutschland keinen Raum
haben. Alles das, was Sie, Professor
Elshahed, aus dem Koran und von
Mohammed zitiert haben, der sagt,
„sie alle gehören dazu“, auch die
Juden, veranlasst mich zu der Frage,
wie es sein kann, dass in so manchen Moscheen das Freitagsgebet
offensichtlich doch deutlich antisemitisch und antiisraelisch ist? Und
diese Frage ist zugleich eine Aufforderung an die Muslime in diesem
Land. Das muss offen ausgesprochen
werden, weil es keinen Sinn hat,
22
dass wir uns Honig um den Bart
schmieren. Wenn wir vorankommen
wollen, müssen wir auch bereit sein,
uns gegenseitig ein bisschen konfrontativ gegenüber zu stehen. D.
h., wir brauchen Transparenz darüber, was sich hinter den Türen der
Moscheen abspielt. Sie sind nicht
alle gleich. Sie können nicht alle
gegenseitig füreinander verantwortlich gemacht werden. Das ist mir
auch vollkommen klar, wegen der
Vielfältigkeit und der Pluralität und
der fehlenden zentralen Organisationsstrukturen.
Es muss eine ganz glasklare Abgrenzung zu Islamisten geben. Es
muss klar sein, mit wem der Dialog
geführt werden kann und mit wem
nicht. Die muss politisch entschieden werden.
Ein Wort in diesem Zusammenhang
zu Milli Görüs: Der Innenausschuss
des Deutschen Bundestags hat vor
etwa zwei Wochen eine Anhörung
zum Islam in Deutschland gemacht.
Da trafen sich viele Islamismusexperten mit oft unterschiedlichen
Positionen. Ich kann es nicht entscheiden, wessen Einschätzung zutreffend ist und wessen nicht, dazu
fehlen mir die Kenntnisse im Detail.
Aber, wenn Professor Schiffauer
recht hat, dass es innerhalb von
Milli Görüs einen Generationswechsel gibt, dass es eine Ausdifferenzierung gibt, dass das Hinterland in der
Türkei sich verändert hat, weil die
Erbakan - Partei nicht mehr die Rolle spielt, wenn das wirklich so sein
sollte und wir weiterhin sagen: „Da
haben wir 30.000 Extremisten schon
mal fest gemacht“, dann verpassen
wir eine Chance des politischen Dialogs. Dieser Dialog darf und muss
konfrontativ sein, keine Frage. Aber
zu sagen: Mit denen reden wir nicht,
weil die im Verfassungsschutzbericht
stehen, kann ich das Risiko nicht
eingehen, dann werden wir ganz
stumpf. Und wir werden eben auch
stumpf gegen unsere eigenen Interessen. Wir werden ja wohl kaum um
drei Millionen Muslime in unserem
Land einen Zaun ziehen können und
sagen können: Alles hoch gefährlich, haltet sie uns vom Leib!
Abschließend noch ganz kurz etwas
zu unserem Staatskirchenrecht.
Denn das, was heute hier Thema ist
und vorgestellt wird, ist ja nicht nur
die allgemeine Frage des Dialogs,
sondern ist auch die Frage: Welche
Verfasstheit von Religion tritt uns
denn gegenüber? Und das ist extrem
wichtig für die Frage des Religionsunterrichts. So wie das in Berlin
gelaufen ist, das dann eine, ich
sag mal, „gewitzte Organisation“,
die die sogenannte Bremer Klausel
geschickt zu nutzen wusste, zum
Gericht läuft und damit den Pokal
davon trägt und alle haben ein ungemütliches Gefühl dabei, so sollte
es nicht laufen! Also: Worauf kann
es hinauslaufen? Es kann nicht
dabei stehen bleiben, dass das, was
bei uns im Grundgesetz festgelegt
ist, ausgehend von der Struktur
der christlichen Kirchen mit ihrer
Verfasstheit als Körperschaften des
öffentlichen Rechts, dass das so ist
und eben auch die nächsten 100
Jahre so bleiben muss. Zugewandert
ist eine Religion, deren Strukturen
zu dem, was die Väter und Mutter
des Grundgesetzes sich damals gedacht haben, nicht mehr passt. Das
heißt, wir müssen darüber nachdenken, ob es jenseits der Körperschaft
des öffentlichen Rechts als Religionsgemeinschaft, andere Formen
der Anerkennung einer institutionellen Verfasstheit gibt. Dafür gibt
es noch keine klaren Bilder. Es ist
eine Aufgabe der nächsten Jahre,
diese zu entwickeln. Ich sage noch
mal, weil man sich ja immer absichern muss, dass man gut auf dem
Boden des Grundgesetzes steht, also
bitte, ich sage hier noch mal: Das
soll keine kulturrelativistische Anpassung bedeuten. Das Grundgesetz
in seiner Substanz ist absolut nicht
zu hinterfragen. Trotzdem müssten
wir doch, wenn wir drei Millionen
Menschen muslimischen Glaubens
haben, der Frage nachgehen, ob
wir mit den traditionellen staatskirchlichen Formen nicht doch jetzt
einen Schritt weiter gehen müssen,
um eine geregelte Kooperation von
Staat und Islam zu ermöglichen. Wir
brauchen einen verlässlichen Kooperationspartner. Es geht nicht, dass
ich, wenn ich im Arbeitsstab der Beauftragten sage: „Lasst uns wieder
einen Runden Tisch machen“, zu
hören bekomme. „Wen laden wir
denn ein?“
Den Zentralrat der Muslime? Dann
sagt Herr Beckstein: „Da sitzen
aber die Muslim-Brüder drin!“ Milli
Görüs? Da kriege ich ganz, ganz kalte Füße, weil ich da ja, folge ich dem
Verfassungsschutzbericht,
27.000
Extremisten ins Haus lade. Das geht
nicht. So kann man sich politisch
nicht bewegen!
Wir brauchen Transparenz, wir
brauchen verlässliche Gegenüber.
Und dazu muss es auch eine innere
organisatorische Verfasstheit von
Muslimen geben, die uns als Gegenüber dient.
Sie werden mir vielleicht anmerken,
dass dieses Thema, diese Auseinandersetzungen, mir wirklich unter
die Haut gehen. In was für einer
Situation und was für einer Zeit
befinden wir uns im Moment? Ich
bin besorgt, dass die Zeit uns ein
Stück davon läuft. Ich sehe, wie viel
Porzellan zerschlagen wird. Ich sehe
die Sprachlosigkeit, ich beobachte
mit Sorge, dass die Politik sich lieber auf der sicheren Seite bewegt
und sich lieber zurückhält, statt
den auch immer risikoreichen Dialog
zu führen. Das wird aber kein Weg
in eine Gesellschaft sein, die pluralistisch ist, die Bürgerinnen und
Bürger anderen Glaubens hat, die
zu uns gehören sollen und die auch
ihre geistigen Wurzeln in anderen
Ländern behalten.
Es geht um die „Einbürgerung“
des Islams und dazu brauchen wir
Transparenz von ihrer Seite, von
den Muslimen. Alle die, die sich auf
den risikoreichen Weg begeben, mit
ihnen in einen offenen Dialog zu
gehen, brauchen als ihre Gegenleistung ein hohes Maß an Transparenz.
Das ist, ich sage das hier ganz offen,
der Schutz, den wir brauchen.
Und ich freue mich, dass das heute
hier ein Anfang ist, bedanke mich
bei den Grünen hier in NordrheinWestfalen und ich wünsche mir, dass
wir auf Bundesebene das in dieser
Weise konstruktiv weiterführen.
23
Themenforum 1:
Diskussionsleitung:
Johannes Remmel, MdL
Islamische Gemeinschaften und Staatgibt es Wege zu
verbindlichen Vereinbarungen?
Referent: Prof. Janbernd Oebbecke, Universität Münster
Erlauben Sie mir, mit ein paar allgemeinen Bemerkungen zur Rolle von
Organisationen und Verbänden im
Verhältnis zum Staat zu beginnen.
Weil sie allgemein sind, gelten diese Bemerkungen auch für religiöse
Organisationen. Der Staat ist darauf
angewiesen, dass sich Interessen organisieren. Die Zusammenarbeit mit
Organisationen leistet aus seiner
Sicht dreierlei: Er erhält Informationen von ihnen, die Zusammenarbeit
mit ihnen schafft Legitimation und
in gewissem Umfang disziplinieren Organisationen ihre Mitglieder
auch, denn ihr Einfluss, ihre Verhandlungsmacht wächst, wenn sie
halbwegs glaubwürdig ein bestimmtes Verhalten ihrer Mitglieder in
Aussicht stellen können.
Allerdings gibt es Verbände unterschiedlichen Stellenwerts. Besonders einflussreich sind diejenigen,
die in ihrem Bereich einen hohen
Organisationsgrad aufweisen, je näher an 100%, desto besser. Wichtig
sind aber auch Verbände, die nur
einen kleineren Teil der potentiellen
Mitglieder organisieren, wenn es
nämlich keine anderen gibt. Denn
nur sie können spezielle Interessen
überhaupt artikulieren; ohne sie
hätte man keinen Ansprechpartner.
Dass manche Interessen schwerer zu
organisieren sind, macht sie deshalb
nicht unbedeutend.
Damit sind wir schon mitten im Thema „Islamische Verbände“ Religiöse
Organisationen werden in weiten
Bereichen durchaus als Verbände
wie andere aktiv. Wenn es etwa um
die Ladenschlusszeit am Wochenende geht oder die Ganztagsschule,
werden sie angehört. Rechtlich
ist das aber nichts anderes als die
Anhörung etwa der Gewerkschaften
oder der Arbeitgeberverbände. In
wichtigen Bereichen geht ihre Rolle
aber darüber hinaus. Beim Religionsunterricht oder der Seelsorge in
Strafanstalten geht es nicht ohne
24
sie. Der Staat darf nicht in eigener
inhaltlicher Verantwortung Religionsunterricht anbieten und er darf
nicht im Gefängnis Gottesdienst
halten. Er darf es nicht, weil die
Religionsfreiheit und das Gebot der
Nicht-Identifikation mit einzelnen
Bekenntnissen es ihm verbieten.
In dem Fraktionsbeschluss “Eckpunkte zur Instutionalisierung des
Verhältnisses zwischen Staat und
Muslimen“ sind eine Reihe von
Handlungsfeldern genannt, auf
denen Kooperation zwischen Staat
und Muslimen nützlich sein können.
Wenn es um Religionsunterricht
oder um religiöse Ansprechpartner
in den Gefängnissen geht, braucht
man Religionsgemeinschaften als
solche; die Regelung der Schulpflicht und wohl die Schaffung von
Gebetsmöglichkeiten im Krankenhaus sind Dinge, die der Staat allein
entscheiden kann. Hier ist eine
Mitwirkung muslimischer Organisationen nützlich, die rechtlich aber
Verbände sein können wie andere
auch, nicht Religionsgemeinschaften sein müssen.
Das ist wichtig, weil der Staat sich
um die Verhältnisse der Verbände,
mit denen er zusammenarbeitet,
nicht groß kümmert. Es reicht, wenn
sie den Anforderungen des Vereinsrechts entsprechen. Das ist bei den
islamischen Verbänden ja unzweifelhaft der Fall. Soweit es also um die
Kooperation mit islamischen Organisationen als Verbänden geht, gibt es
keine besonderen Schwierigkeiten.
Man muss sich nur ebenso wie bei
anderen Verbänden auch politisch
darüber hinwegsetzen, dass der
Organisationsgrad nicht bei 100%
liegt. Immerhin sprechen die Verbände jeweils für eine ganze Menge
Mitglieder. Dagegen sprechen diejenigen, die in Interviews, Leserbriefen und bei Podiumsdiskussionen
darauf hinweisen, in den Verbände
sei nur eine Minderheit der Muslime
organisiert, nur für sich; die Sache
ist ihnen auch nicht so wichtig,
dass sie sich selbst organisatorisch
engagieren.
Wo man eine Religionsgemeinschaft
braucht, ist es deutlich komplizierter, und es ist rechtlich eben auch
anders als in Spanien, Frankreich
oder Österreich. Es ist nämlich inzwischen ganz schwer, wenn nicht
unmöglich, zu sagen, wie man eine
islamische
Religionsgemeinschaft
organisieren könnte. Darüber wird
vor allem am Beispiel des Religionsunterrichts gestritten. Es hat
auf Seiten der Muslime nicht an der
entsprechenden Bereitschaft gemangelt, doch wer immer auch auftrat,
immer fehlte es an irgendeiner Voraussetzung, die angeblich zwingend
erfüllt sein muss. Niemand sagt
einmal verbindlich, welche Voraussetzungen das nun wirklich sind.
Man hört nur ein mehr oder weniger
entschiedenes „so nicht“. Die Debatte hat sich völlig verselbstständigt
und die Argumente haben nichts
mehr mit der Realität bei anderen
Religionsgemeinschaften, mit denen
der Staat beim Religionsunterricht
kooperiert, zu tun. Das VG Düsseldorf etwa hat bei den islamischen
Verbänden
eine
„hinreichende
Legitimation durch natürliche Personen“ vermisst, die „erforderliche
Legitimationskette“ zwischen dem
einzelnen Gläubigen und dem Dachverband. Als Katholik finde ich die
Forderung, die Sprecher einer Religionsgemeinschaft müssten über eine
Legitimationskette durch natürliche
Personen, also gewissermaßen von
unten nach oben, legitimiert sein,
fremdartig und ziemlich abwegig.
Eine gerichtliche Klärung der Anforderungen, welche ein islamischer
Verband erfüllen muss, damit er Religionsgemeinschaft ist, kann noch
lange dauern. Das hängt auch damit
zusammen, dass Gerichte nicht die
Funktion haben, positiv formulierte
generell geltende Anforderungskataloge aufzustellen, sondern dass
sie Einzelfälle entscheiden. Generell-abstrakte Regelungen zu treffen
ist Sache der Politik. Diese ist gefordert. Aber was kann sie tun?
Der erwähnte Fraktionsbeschluss
sieht den Weg über vertragliche Vereinbarungen vor. Ganz unabhängig
davon, ob der Vorschlag Erfolg haben wird und wie man die Einzelheiten beurteilt: Aus drei Gründen ist
das ein wichtiger und mutiger Vorschlag, der die Debatte in Deutschland entscheidend voranbringt.
Erstens: Der Beschluss formuliert die
entscheidende Frage: Wie können
eine oder mehrere islamische Religionsgemeinschaft zustande gebracht
werden?
Zweitens adressiert er sie richtig,
nämlich an den Staat und an die
Muslime. Die Muslime mussten sich
bisher so vorkommen wie der Hase
in dem Märchen. Immer wenn sie
unter Anstrengungen und Mühen an
einer Stelle ankamen, stand da der
Igel und sagte: So geht es nicht. Der
Religionsunterricht zum Beispiel
ist aber keine Gnade, die der Staat
gewährt, sondern ein Angebot, für
das er den Schülern gegenüber in
der Pflicht steht und bei dem er
mindestens daran mitwirken muss,
dass Klarheit über Anforderungen
an seine Partner besteht.
Drittens wird der Blick über Rhein
und Weser ausgeweitet und deutlich, dass es anderswo nicht nur
sehr ähnliche Probleme gibt, sondern erstaunlicherweise auch Lösungen, Lösungen, wie vielleicht
nicht perfekt sind, aber doch ganz
passabel funktionieren.
Die Antwort auf die richtig gestellte
Frage muss berücksichtigen, was
rechtlich geht. Weil die Probleme
auch wissenschaftlich bisher wenig
aufbereitet sind, ist das Terrain in
Teilen unsicher und wer antworten
will, wird ein gewisses Risiko auf
sich nehmen müssen. Die Lösung
muss rechtlich umso belastbarer
sein, je stärker sie politisch im
Streit gefunden wird. Wenn alle oder
wenigstens die wichtigen Kräfte auf
beiden Seiten einig sind, kann man
sich weiter auf rechtlich unsicheres
Terrain vorwagen.
Eine Antwort wäre Gesetzgebung.
Man kann sich fragen, ob man nicht
gesetzlich vorgeben kann, welchen
Anforderung eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 III GG in
Nordrhein-Westfalen erfüllen muss.
Bei anderen verfassungsrechtlichen
Begriffen halten wir das auch für
möglich. Das wäre eine Option, der
man nachgehen könnte. Die Spanier
sind wohl diesen Weg gegangen,
in dem sie in einem Gesetz über
religiöse Freiheit gesetzlich die
Voraussetzungen bestimmt haben,
unter denen eine Gemeinde registriert werden kann. Ein Gesetz hat
den Vorteil, dass es ein anders nur
schwer erreichbares Maß an Rechtssicherheit schafft. Man könnte auch
überlegen, für bestehende Organisationen durch Gesetz festzulegen,
dass sie wie Religionsgemeinschaften behandelt werden. Auch dafür
gibt es Vorbilder.
Gesetzgebung könnte auch eine
Lösung für ein Problem sein, das
beim Religionsunterricht eine Rolle
spielt und die gesamte Debatte mitbestimmt; der Staat weiß nicht, wer
Muslim ist und ob und ggf. welchem
Verband er sich zurechnet. Nach
dem Meldegesetz des Landes speichern die Meldebehörden die Daten
über die rechtliche Zugehörigkeit zu
einer Religionsgemeinschaft. Man
kann darüber nachdenken, hier eine
Speicherungsmöglichkeit für Muslime vorzusehen. Wenn man das täte,
hätten Staat und Muslime vernünftige Daten über die Zugehörigkeit des
25
Einzelnen zu Organisationen, auch
über deren Stärke. Ohne gesicherte
Informationen darüber, stößt man
etwa auch beim Minderheitenschutz
an Grenzen. Allein damit hätte man
aber keine Religionsgemeinschaft.
Der Fraktionsbeschluss schlägt nun
nicht gesetzgeberische Maßnahmen
vor, sondern eine Vereinbarung, die
offenbar nach spanischem Vorbild
mit den bestehenden islamischen
Verbänden abgeschlossen werden
soll. Unklar ist bisher, wer sie auf
staatlicher Seite abschlösse.
Im Vergleich zum Gesetz haben
Vereinbarungen den Nachteil, dass
sie nur diejenigen binden, die sie
geschlossen haben. Dritte müssen
sich nicht daran halten. Das bedeutet, eine islamische Organisation,
die nicht mitmacht, kann dennoch
behaupten, sie sei Religionsgemeinschaft und es stünden ihr die entsprechenden Rechte zu, und damit
kann sie durchaus im Recht sein. Es
bedeutet auch, dass jede öffentliche
Stelle, die nicht Vertragspartner ist,
ebenfalls nicht daran gebunden ist.
Gemeinden etwa könnten sagen,
egal was das Land da vereinbart, ich
sehe keine Religionsgemeinschaft.
Das könnte etwa für den Gottesdienst in kommunalen Krankenhäusern bedeutsam sein. Die Frage
spielt bei unserer vergleichsweise
zerklüfteten Staatlichkeit durchaus
eine Rolle. Vereinbarungen haben
aber auch einen Vorteil; sie sind von
dritter Seite allenfalls ganz schwer
juristisch angreifbar.
Bevor ich auf das vorgeschlagene
Modell näher eingehe, eine Vorbemerkung: In dem Beschluss ist die
Rede von den Mindeststandards,
die für die registrierten Moscheegemeinden gesetzt werden sollen, “vor
allem Bekenntnis zum Grundgesetz
und zu den Strafgesetzen“. Auch das
lehnt sich an das spanische Vorbild
an. Über Mindeststandards lässt sich
26
reden, etwa was die Ausgestaltung
der Organisation angeht. Für die
ganz breite Mehrheit der Muslime
und ihrer Organisationen ist das Bekenntnis zum Grundgesetz oder zum
Strafgesetzbuch aber überflüssig,
weil sie sich daran genauso selbstverständlich halten wie alle anderen
auch. Den sehr wenigen anderen,
wenn sie denn Interessen haben,
bei einem solchen Modell mitzumachen, dürfte ein solches Bekenntnis
nicht schwer fallen; es verpflichtet
zu nichts, was nicht ohnehin verbindlich wäre, und Papier ist geduldig. Es mutet ein wenig merkwürdig
an, dass im Zusammenhang mit der
Schaffung einer religiösen Organisation ein Bekenntnis zu rechtlichen
Bindungen verlangt wird, die ohnehin für jedermann gelten.
Ähnlich merkwürdig mutet die Passage über die “Höchstquoten für
ethnische Mehrheiten“ an. Schon
logisch kann es nur eine Mehrheit,
nicht Mehrheiten geben. Unter den
Muslimen gibt es nur eine ethnische
Mehrheit, und die ist türkisch. Wir
haben drei große Verbände von
Muslimen, die praktisch ausschließlich türkisch geprägt sind, DITIB,
VIKZ und IGMG. Offenbar soll der
Einfluss dieser Verbände und der
türkischstämmigen Muslime überhaupt begrenzt werden. Was heißt
“ethnisch“? Geht es um die Nationalität? Wie gehört man nach einer
Einbürgerung der „ethnischen Mehrheit“ noch an? Würde hier nicht
gegen Artikel 3 III GG verstoßen,
der Benachteiligungen und Bevorzugungen u.a wegen Rasse, Sprache,
Heimat und Herkunft verbietet? Das
Anliegen des Minderheitenschutzes
ist berechtigt, ja ganz unverzichtbar. Höchstquoten sind aber ein
ganz ungeeignetes Mittel. Ich komme darauf zurück.
Vorher will ich aber auf das Wahlverfahren eingehen. Wie es ausgestaltet
werden muss und ob es funktionie-
ren kann, hängt davon ab, was es
leisten soll. Der Fraktionsbeschluss
spricht von “demokratisch legitimierten Ansprechpartnern“. Das
muss konkretisiert werden. Genügt
es, dass die Wahlberechtigten in
geheimer Wahl frei einen Vertreter
wählen können? Damit geht man
schon deutlich über das hinaus, was
nach Vereinsrecht gilt. Oder sollen
ähnliche Standards gelten wie etwa
bei den Kommunalwahlen? Wer das
will, muss sicherstellen, dass jeder
nur in einer Moscheegemeinde seine Stimme abgibt und dass nur in
Nordrhein-Westfalen ansässige Muslime mitwählen. Dezentrale Wahlen
in den Moscheevereinen allein, sie
können so sauber durchgeführt
werden, wie das nur geht, können
das beim besten Willen nicht sicherstellen.
Wenn man einen solchen mit staatlichen Wahlen vergleichbaren Standard sicherstellen will, kann ich mir
eine Lösung ohne Mitwirkung der
Wohnsitzgemeinden nicht vorstellen. Dabei sind verschiedene Wege
denkbar:
Will man keine Gesetzesänderung,
kann man mit einer Bescheinigung
arbeiten, dass die Personen auf der
Wählerliste in der Gemeinde gemeldet sind. Es fallen dann Kosten für
eine Melderegisterauskunft nach §
34 MG NRW an. Soll die mehrfache
Stimmabgabe verhindert werden,
genügt das aber nicht; alle Wählerlisten müssen zusammengeführt
und zentral abgeglichen werden.
Damit das datenschutzrechtlich
zulässig ist, muss jeder mit seiner
Eintragung in die Wählerliste sein
Einverständnis damit erklären. Der
Abgleich muss rechtzeitig vor den
Wahlen abgeschlossen sein.
Einfacher ist es, wenn die Gemeinde
auf Antrag einmal einen Wahlausweis ausstellt, der zur Wahl berechtigt und bei der Wahl abgegeben
wird. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Regelung; dabei ist das neu
eingeführte Konnexitätsprinzip in
Art. 78 Lverf zu beachten.
Noch einfacher ist es, wenn man
die Wahl zentral als Briefwahl
durchführt; Vorraussetzung wäre
ein Antrag, in einer bestimmten
Moscheegemeinde zu wählen; den
könnte der Einzelne stellen; aber
auch mit seinem Einverständnis
der Verein. Wird damit eine datenschutzrechtliche Einverständniserklärung verbunden, könnte durch
Datenabgleich zentral mit dem Melderegister abgeglichen und festgestellt werden, dass jeder nur einmal
wählt. Spätestens hier entstehen
nicht ganz unerhebliche Kosten.
Man darf auch nicht vergessen, wie
die Moscheegemeinden tatsächlich
aussehen. Das sind Vereine, die
von Menschen gegründet worden
sind und überwiegend noch heute
getragen werden, die Arbeitnehmer
sind oder kleine mittelständische
Betriebe leiten. Die Vereine ähneln
den frühen Organisationen der
Arbeiterbewegung oder Kolpingvereinen: starke Identifikation mit
der Sache, hohes Engagement und
absolute Ehrenamtlichkeit, da wo
Einzelne berufliches Wissen und
Fertigkeiten einbringen können
auch Professionalität, aber natürlich
auch Unsicherheiten in Formalia, in
manchen Punkten Unkenntnis von
Zusammenhängen,
Abhängigkeit
von den Aktivitäten Einzelner usw.
Was man von den Vereinen verlangt,
sollte möglichst unkompliziert sein
und das gesamte Verfahren muss
fehlertolerant sein. Ich darf daran
erinnern, dass bei der Vorbereitung
der Kommunalwahl eine wichtige
demokratische Partei mit einem
hauptamtlichen Apparat in einer
Großstadt eine fehlerhafte Reserveliste beim Wahlamt eingereicht hat.
Zur Wahlberechtigung: Eines der
Probleme, wenn man über islamische Organisationen wie Moscheevereine spricht, liegt darin, dass
man wenigstens drei Personenkreise
unterscheiden muss:
Da sind zuerst die Mitglieder des
meist eingetragenen Vereins. Wegen
der Geschichte dieser Vereine sind
das häufig nur wenige Leute und es
sind ganz überwiegend Männer und
zwar Familienväter.
Zum Verein gehören zwar nicht
juristisch, aber praktisch auch die
Familien, häufig auch weitere Personen, die regelmäßig mitarbeiten.
Schließlich gibt es einen manchmal
sehr großen Kreis von Leuten, welche die Moschee an Freitagen und
vor allen Dingen an Festtagen und
im Ramadan zum Gebet besuchen
oder auch sonst an Aktivitäten teilhaben.
Wenn der Fraktionsbeschluss von
einer Wahl anhand von Wählerlisten
spricht, wird damit wohl versucht,
über den Kreis der Vereinsmitglieder selbst hinauszugehen; diese
haben ja eine Mitgliederliste und
einen nach Vereinsrecht gewählten
Vorstand und müssten nicht eigens
wählen, und wenn sie wählen wollten, könnten sie das in einer Mitgliederversammlung tun. Offenbar
sollen Wähler und Wählerinnen also
auch aus den beiden weiteren Kreisen der Nicht-Mitglieder kommen.
Allerdings verstehe ich das so, dass
der Moscheeverein einverstanden
sein muss; das scheint mir vernünftig zu sein.
Zurück zum Minderheitenschutz.
Offenbar geht es hier nicht um die
Nationalitätenfrage sondern wohl
eher um anders definierte Minderheiten. Möglicherweise geht es um
die an den Rändern des Spektrums,
die sog. Kulturmuslime ohne jede
Bindung an eine Moscheegemeinde
oder um Gruppen spezifischer religiöser Ausrichtung. Man wird durch
ein solches Wahlsystem jemanden
nur erfassen können, wenn er sich
beteiligen will. Man wird keine Organisation daran hindern können, sich
zu beteiligen, die nicht verboten ist.
Allein schon die Wahl der Vertreter
in den Moscheegemeinden wird
sicherstellen, dass in erheblichem
Umfang Minderheiten repräsentiert
sein werden.
Minderheitenschutz kann meines
Erachtens nicht schon auf der Ebene
der Wahlberechtigung ansetzen. Er
muss durch Entscheidungsregeln in
der Versammlung sichergestellt sein;
dass die Basis für ihre Stellungnahme
möglichst breit ist, darauf kommt es
an. Das kann man durch Beschlussfähigkeits- und Mehrheitsanforderungen tun, die auch nach Themen
abgestuft sein können. Bestimmte
Beschlüsse bedürfen einer Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit. Auch
die Repräsentanten sollten sich auf
eine breite Mehrheit stützen; auch
dafür kann man Regeln entwickeln.
Vorbilder gibt es genug.
Ich frage mich allerdings, ob der
ganze Aufwand gerechtfertigt ist.
Es gibt ja auch noch eine ganz andere Lösung, die nichts kostet, sehr
schnell geht und deren Risiken sehr
überschaubar sind: Die nordrheinwestfälische Politik fasst sich ein
Herz und nimmt eine andere Rechtsauffassung ein als die Gerichte - die
Finanzämter tun das jeden Tag - und
betrachtet die bestehenden Verbände als Religionsgemeinschaften. Das
kann man auch versuchsweise für
acht bis zehn Jahre tun und man
könnte es mit Erwartungen an die
Verbände verbinden.
Ich rechne damit, dass die Verbände
sich dann zusammenfinden würden,
um etwa einen einheitlichen Religionsunterricht zustande zu bringen,
27
der breite Akzeptanz hat. Gerade
weil der Organisationsgrad nicht
sehr hoch ist, muss das Angebot
ja auch die nicht organisierten
Muslime überzeugen. Wenn sich die
Verbände nicht zusammenfinden,
wird der eine oder der andere schon
Schwierigkeiten bekommen, die
Abstimmung mit dem Land inhaltlich und personell zu schaffen und
es wird an vielen Stellen Probleme
geben, für den jeweiligen Unterricht
die gesetzliche Mindestzahl der
Schüler zusammen zu bekommen.
Die vorübergehende Anstrengung,
die mit diesem Vorgehen der Politik und den zuständigen Behörden
abverlangt würde, würde dadurch
belohnt, dass in der Sache endlich
Fortschritt eintritt und die notwendigen Klärungsprozesse auf muslimischer Seite in Gang kommen oder
forciert werden.
Was leisten gesetzgeberische Lösungen und was leistet die Vereinbarungslösung zusätzlich oder
anderes, was durch eine schlichte
politische Entscheidung nicht erreicht würde, und rechtfertigt das
Kosten und Mühen eines solchen
Vereinbarungsverfahrens? Vielleicht
kann man darüber noch einmal
nachdenken.
braucht dies, um Vereinbarungen
treffen zu können, die Größe der
bisherigen Verbände sei aber durchaus schon ausreichend.
Die Verbände würden nach dem
Vorschlag der grünen Fraktion auf
den ersten Blick eine nachrangige
Rolle spielen, dies ist aber nicht das
Anliegen des Vorschlags und müsse
auch nicht zwangsläufig so sein.
Durchaus erwünscht sei aber eine
Abnabelung der Verbände von den
Herkunftsländern, es müsse etwas
Eigenes geschaffen werden und die
Herkunftsorientierung der Verbände
ersetzen. Die bisher sehr zurückhaltende Reaktion der Verbände auf
den Grünen Vorschlag sei verständlich, die Wahrung ihrer speziellen
Interessen sei aber auch in einem
anderen organisatorischen Rahmen
möglich.
Aus der Diskussion:
Auf die Frage warum man keine
bundesweite Lösung anstrebt, wird
auf die Kulturhoheit der Länder
verwiesen. Nur die Länder können
verbindliche Vereinbarungen mit
Religionsgemeinschaften schließen,
was auch finanzielle Zuwendungen
beinhaltet. Der Staatsvertrag der
Bundesrepublik mit dem Zentralrat
der Juden sein daher eher historisch
als verfassungsrechtlich begründet,
er beweise aber, dass mit einem
Stück Mut und der Einsicht in eine
gegebene Notwendigkeit eine politische Mehrheit auch für ein Anliegen
möglich ist, die verfassungsrechtlich im Vorfeld zunächst fragwürdig
erscheint.
Die Repräsentanz sollte sich nach
demokratischen Spielregeln konstituieren, der Hinweis darauf, dass
dies bei der Katholischen Kirche
auch nicht der Fall ist, hilft angesichts der gegebenen Situation und
anderer kulturhistorischer Traditionen nicht weiter. Eine Organisation auf muslimischer Seite müsse
zwingend vorhanden sein, der Staat
28
Die große Mehrheit der Muslime solle möglichst erfasst werden, dies geschehe so auch in Österreich mit der
Islamischen Glaubensgemeinschaft,
die ihrerseits eher die sunnitische
Richtung repräsentiere, keinesfalls
aber alle österreichischen Moslems.
Um einen internen Pluralismus einer neuen muslimischen Organisation zu gewährleisten müsse keine
Quotenregelung geschaffen werden,
wie im grünen Fraktionsbeschluss
vorgesehen. Die Moscheegemeinden
selbst seien bereits im gewissen
Rahmen plural, sowohl was Glaubensrichtungen angehe, als auch
aufgrund der verschiedenen Herkunftsländer. Dass türkische Muslime z.B. in einem Schurarat eine
Mehrheit stellen sei klar, sie stellen
auch die Mehrheit der muslimischen
Bevölkerung.
Insgesamt seien gerade in Detailfragen - wie z.B. der eines
Wahlverfahrens - noch eine Menge
Nacharbeiten des Fraktionsbeschlusses notwendig.
Zusammenfassendes Fazit von Johannes Remmel:
1. Es wurde allgemein Anerkennung und Dank dafür ausgesprochen, dass die Grüne
Fraktion mit ihrem Beschluss
einen Anstoß für die Diskussion
um einen verbindlichen Dialog
und Muslimen gegeben hat.
2. Der Vorschlag will ein mehr an
Repräsentanz, Verbindlichkeit
und „Disziplin“ von dem Muslimen, er bietet im Gegenzug aber
auch Rechte.
3. Der Vorschlag ist ein „Werkstück“, das es weiter zu bearbeiten gilt, die Einwände von
Prof. Oebbecke werden von der
Fraktion aufgenommen.
4. Ein verbindlicher Dialog unter
Einräumung von Rechten zwischen Staat und Muslimen wird
evtl. nicht von vornherein in
allen Details gängiger Verfassungsauslegung entsprechen.
29
Ergebnisprotokoll
Themenforum II
Leitung: Monika Düker
MdL, Innenpolitische
Sprecherin
Schutz von Verfassung
und Sicherheitsdebatte
- können Hindernisse
auf dem Weg zu Dialog
und Kooperation ausgeräumt werden?
Referent: Dr. Peter Frisch,
Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz a.D.
In seinem Input betonte Dr. Frisch,
der 30 Jahre im Verfassungsschutz
tätig war, dass sich der Verfassungsschutz nicht gegen Muslime richtet.
Die Zersplitterung des Islams jedoch
mündete seiner Ansicht nach in einer fundamentalistischen Strömung,
die den Islam auf seine Grundzüge
zurückführen möchte. Eine Unterströmung in diesem Fundamentalismus sei der Islamismus, der die
Weltherrschaft des Islams fordere.
Doch auch dieser Islamismus ist in
den Augen Dr. Frischs nicht generell gewaltsam. Denn neben dem
gewaltsamen Djihad existiere der
politische Islamismus. Beide Ausprägungen werden vom Verfassungsschutz überwacht.
Weiterhin führte Dr. Frisch aus, dass
auch mit Fundamentalisten Gespräche und Kooperation möglich sind.
Nicht jedoch die gewaltbejahenden
Strömungen im Islamismus sollten
in den Dialog mit dem Land gebracht werden.
Er persönlich halte darüber hinaus
die Losung „Integration, nicht Assimilation“ für einen streitbaren
Standpunkt. Schließlich hetzten
immer noch einige Imame intensiv
gegen Juden oder die Amerikaner
auf. Einige Fundamentalisten seien
der Auffassung, ihre Kinder sollten
keine deutschen Schulen besuchen.
Seiner Auskunft nach leben in
Deutschland ca. 300 Islamisten;
Eine Gewaltbejahung sei aber sicher
weiter verbreitet. Deshalb sei die
Einstellung “Jeder Muslim muss selber wissen, wie er zu Allah findet”
schlichtweg zu gefährlich.
Anschließend erläuterte Dr. Frisch,
dass für eine konstruktive Kooperation und ein erfolgreiches
Zusammenleben vor allem die
Anerkennung unserer freiheitlich
demokratischen Grundordnung von
30
Seiten aller Muslime in Deutschland
wichtig sei. In vielen Aussagen des
Islam sei vor allem die Rolle der Frau
fraglich. Außerdem bleibe die Frage
des Pluralismus: Der Islam müsse
die Gleichberechtigung Andersgläubiger anerkennen.
Zu den bisherigen Maßnahmen des
Verfassungsschutzes zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus
in Deutschland nannte Dr. Frisch
zunächst die so genannten OttoKataloge des Innenministeriums.
Darüber hinaus seien die Sicherheitsbehörden häufig jedoch machtlos, da es sich bei den islamistischen
Zellen um meist sehr kleine Gruppen
ohne einheitliche Leitung handele.
Zusätzlich mache der starke Glaube
V-Männer in solchen Strukturen
unmöglich. Der Verfassungsschutz
befasse sich deshalb mit der Frage,
woher solche Gruppierungen beeinflusst werden. Außerdem ließe sich
feststellen, wer als Mitglied einer
solchen Gruppe in Frage kommt.
Auffällig seien Studien, finanzielle
Unabhängigkeit, Überzeugungen,
häufige Reisen in die Heimat. Berechtigte Methoden solcher Informationen habhaft zu werden sind laut
Dr. Frisch Rasterfahndungen und die
Erfassung biometrischer Daten auch
in Kooperation mit dem BND.
Die Einreise von Ausländern in die
Bundesrepublik wird jedoch weiterhin mindestens einmal gerichtlich
überprüft. Der Verfassungsschutz
hat keine Befugnis, Personen die
Einreise zu verweigern. Er kann
lediglich Überprüfungen fordern.
Um die Integration der Muslime in
unsere Gesellschaft zu erleichtern,
müsse
mehrheitsgesellschaftlich
zwischen Islam und Islamismus
differenziert werden. Außerdem
betonte Dr. Frisch die Wichtigkeit
der Wahrung der Grundrechte und
forderte die islamischen Verbände
auf, unsere Grundsätze zu propa-
gieren und darüber aufzuklären.
Unsere Gesellschaft müsse legale
Ausprägungen des Islam anerkennen lernen und Integration vor
allem auch durch Sprachförderung
intensivieren. Man dürfe keine Parallelgesellschaft entstehen lassen.
Zum Einstieg in die Diskussion fasste
Monika Düker das Referat Dr. Frischs
in seiner Kernaussage zusammen:
Eine Dreiteilung in den Islam als Religion, den Fundamentalismus und
den gewaltbejahenden Islamismus.
Die anschließenden Redebeiträge
eröffneten ein weites Feld von Positionen und führten zu einer angeregten Diskussion.
So seien Islamisten auch eine Gefahr
für Muslime, wurde bereits im ersten Redebeitrag festgestellt, da sie
eindeutig muslimische Grundsätze
verletzten. Im selben Beitrag wurde
aber auch die starke Distanzierung
der westlichen Medien vom Islam
kritisiert. Schließlich brächten sie
nur im Falle der Muslime Gewalt
und Religion miteinander in Verbindung. Auch übersehe man, dass
auch in Palästina Muslime gegen
Ungerechtigkeit vorgehen und nicht
nur religiösem Fanatismus folgen.
Denn der Djihad sei nicht als Streben nach Weltherrschaft, sondern
als Streben nach Allahs Wohlgefallen zu verstehen. Der kleine Djihad
sei auch Kampf gegen Ungerechtigkeit. Es gäbe schlichtweg eine
große Schwierigkeit der westlichen
Definitionen. Definitionen müssten
endlich den muslimischen Gemeinden überlassen werden. Im Islam
gebe es außerdem eigentlich keine
Unterscheidungen in verschiedene
Strömungen wie Orthodoxe oder
Liberale. Doch niemand wolle auch
einer Differenzierung innerhalb des
Islams widersprechen. Die Vielfalt
der islamischen Verbände sei eine
Bereicherung.
Fast einhellig wurde die Meinung
vertreten, dass der Verfassungsschutzbericht Kooperation verhindere und häufig nicht die wahren
Überzeugungen innerhalb einer
Gruppierung wiederspiegele. Man
müsse endlich raus aus dem Teufelskreis der Verfassungsfeindlichkeit.
Bis 1992 sei der Begriff des Islamismus unbekannt gewesen, es handele
sich um einen erfundenen Begriff
(Wie hieße das schließlich bei anderen Religionen?). Daraus ergebe sich
eine Diskriminierung des ganzen Islams, eine öffentliche Diffamierung.
Und dabei höre man in Deutschland
bisweilen zwar häufig von Gewalt
gegen Muslime, in vielen Jahrzehnten des Zusammenlebens sei hier
jedoch nie gewaltsame Gefahr von
Muslimen ausgegangen.
Man müsse nun endlich lernen,
Muslime als Partner in der Sicherheitspolitik zu gewinnen. Nach dem
11. September habe man von allen
Seiten betont, nicht den Islam generell verdächtigen zu wollen. Dennoch wurden Rasterfahndungen und
ähnliches veranlasst. Der Innenminister selbst habe dabei festgestellt,
dass die Mittäter des 11. September
nicht in der muslimischen Gemeinschaft beheimatet waren. Man müsse also nach der Rechtfertigung für
ca. 2000 Haus- und Moscheedurchsuchungen fragen. Die Islampolitik
dürfe eben nicht vom Verfassungsschutz ausgehen, sondern müsse in
den Parlamenten behandelt werden.
Man dürfe außerdem das neuerliche
Dialogangebot der Generation der in
Deutschland Geborenen nicht als
Reaktion auf Druck beispielsweise
durch den Verfassungsschutz verstehen.
Auf den Vorwurf aufhetzender Predigten wurde schließlich noch angeführt, dass es in den Gemeinden
oft Schwierigkeiten der befristeten
Einstellung ausländischer und da-
her gesellschaftunkundiger Imame
wegen gebe. Für diese bedeute das
Leben in Deutschland eine Fülle
ganz neuer Erfahrungen. Dem entgegnend stand jedoch die Aussage,
90% der Imame hätten Diplomatenpässe und wären vertraut mit der
deutschen Gesellschaft.
Abschließend stellte man fest, den
Verfassungsschutz nicht in Frage
stellen zu wollen. Es gebe nun eine
Entwicklung nach vorne durch einen
Generationenwechsel. Auch wenn
die Vergangenheit mancher Verbände
problematisch sei, man halte fest an
der Vision, dass Muslima und Muslime ihren Platz in der Gesellschaft
selbst und mehrheitsgesellschaftlich
anerkannt einnehmen werden, auch
das sicherlich zum Wohlgefallen Allahs. Und schließlich seien bereits
heute viele Muslima und Muslime
engagierte Bürgerinnen und Bürger
unserer Gesellschaft und müssten
als Kooperationspartner nicht erst
gewonnen werden.
Die Politik solle die Suche nach dem
einen Vertreter der Muslime aufgeben und beginnen, die bestehende
Vielseitigkeit zu respektieren und
auch zu nutzen. Der politische Wille
für eine Kooperation müsse Grundlage für ein ganzheitliches Integrationsmodell sein. Es dürfe keine
Alibigespräche mehr geben und
keine Vorbehalte gegen islamische
Institutionen schon im Kooperationsansatz.
Noch einmal betont wurde die Forderung nach einer Auswertung der
Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungen nach dem 11. September.
Dadurch gebe es zerstörte Vertrauensverhältnisse zwischen Muslimen
und der Mehrheitsgesellschaft. Die
Debatte über die Untersuchungen
müsse in den Parlamenten geführt
werden. Die Rasterfahndung könne
man mit „außer Spesen, nichts gewesen“ zusammenfassen. Das müs-
31
se man der Mehrheitsgesellschaft
vermitteln. Und selbstverständlich
bräuchten ganzheitliche Integrationskonzepte die Anerkennung des
Protokoll Forum III:
Leitung: Sylvia Löhrmann
MdL, Fraktionsvorsitzende
Unvermeidbare
Berührungspunkte:
wenn
Religionsausübung und
–lehre zum Gegenstand
staatlichen Handelns
werden
Referent:
Prof. Elsayed Elshahed
32
Pluralismus von Seiten der muslimischen Gemeinschaft sowie eine generelle Kultur der Anerkennung und
eine Förderung derjenigen Muslima
und Muslime, die unsere Grundordnung wahren und achten.
Zur Begriffsklärung: Prof. Elshahed
unterscheidet Deutsche und Muslime, wohl wissend, dass es natürlich
auch muslimische Deutsche gibt.
Den Begriff „Gastland“ nutze er der
Einfachheit halber, obwohl sich die
vermeintlichen Gäste zu Gebliebenen entwickelt haben.
2. Genauso dachte auch das Aufnahmeland – die Menschen kommen,
solange es Arbeit gibt, und gehen,
sobald diese Arbeit nicht mehr da
ist, sie in Rente gehen etc. Also ist
auch von Seiten der Mehrheitsgesellschaft nie umfassend über Integrationsstrategien von Muslimen in
Deutschland nachgedacht worden.
Für die heutigen Schwierigkeiten
im Rahmen der Integrationsbemühungen insbesondere der Muslime
in Deutschland macht Elshahed Ursachen aus:
1. Die Muslime in Deutschland sind
ursprünglich als Arbeitssuchende
gekommen, die nie bleiben wollten
und sich von daher selber nie um
Integration bemüht haben. Auch
die islamischen Rechtsgelehrten
haben es nie für notwendig erachtet, sich über das Leben und die
Religionsausübung von Muslimen
in einem christlichen Aufnahmeland Gedanken zu machen, denn
niemand rechnete mit dem Verbleib
der Menschen dort. Von daher sind
Fragen der Erziehung, Bildung etc.
im Rahmen der Selbstdefinition als
Muslim und die daraus erwachsenden Ansprüche an Aufnahmeland
und Muslime selbst, aber eben auch
die Konfliktpotentiale nie umfassend erörtert und gelöst worden.
Muslim zu sein in Deutschland bedeutete also zunächst auch immer
einen Rückzug auf die Privatsphäre
in der Erwartung der Rückkehr in
das Herkunftsland.
Damit seien über 40 Jahre ungenutzt
ins Land gegangen – eine schwere Hypothek. Auch eine offensive
Einbürgerungspolitik könne dieses
Integrationsdefizit nicht auffangen,
denn der Pass mache aus Ahmed
in den Augen der Deutschen noch
lange keinen Walter. Hier zeige sich,
dass die Gegensätze insbesondere
durch das anders Aussehen entstehen, weniger aufgrund tatsächlicher
Konfrontationen.
Grundsätzlich sei die Debatte um
Integration in Deutschland zu
stark von der mangelnden Differenzierung zwischen Integration
und Assimilation gekennzeichnet,
letztere fordert die Übernahme der
deutschen Leitkultur in Abgrenzung
zur Herkunftskultur. Es bedürfe
auf deutscher Seite eines mutigen
Denkprozesses, der die unreflektierte Angst vor dem angeblich
Unbekannten ersetzt durch an den
Bedürfnissen von Muslimen und
Deutschen orientierte Integrationskonzepte. Auf der anderen Seite
müssten jedoch auch die Muslime
die laizistische Struktur des Gast-
landes akzeptieren und auf dieser
Grundlage die Einbindung ihrer Religion in die Gesellschaftsstruktur definieren. Hierzu gehöre ganz zentral
das Angebot des islamischen Religionsunterrichts in den Regelschulen.
Österreich und Spanien geben gute
Beispiele, wie die Einbindung des
„Anderen“ in die Lebensstrukturen
der Gesellschaft eine Integration
fördert, die den Muslimen eine
positive Verbindung von Herkunftsund Aufnahmekultur ermöglichen.
Der Religionsunterricht wird in
Österreich von entsprechend vorgebildeten – auch ausländischen
– LehrerInnen auf deutsch gegeben
und führt im Nebeneffekt auch zu
einer „Binnenintegration“ zwischen
den muslimischen Kindern unterschiedlicher Herkunftsländer. In
NRW war die islamische Unterweisung bisher im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts erfolgt,
was die Vielfalt der Herkunftsländer
nicht spiegeln konnte und daher
oft ein rein türkischer Unterricht
war. Versuche, in Modellprojekten
den Islamunterricht in deutscher
Sprache zu geben, scheiterten auch
am Widerstand der Muslime selber.
In einem Modellprojekt „Islamischer
Religionsunterricht“ in Erlangen
zeigten sich die sehr positiven
Effekte des Unterrichtsfachs auf
das Selbstverständnis insbesondere muslimischer Jungen, die ein
besseres Sozialverhalten zeigten.
Offensichtlich wurde diese „Gleichbehandlung“ als Aufwertung des
„Ausländers“ gegenüber den „Inländern“ begriffen.
In der folgenden Diskussion werden
noch einmal die Begrifflichkeiten
hinterfragt – etwa: gibt es „die Muslime“? Jede Gruppe ist heterogen,
so auch die der Muslime – was sich
u.a. darin äußert, dass es bisher, im
Gegensatz zu den Juden in Deutschland, keine zentrale Organisation
gibt, die für die notwendige Diskussion als Ansprechpartner aufträte.
Dies wird von allen Anwesenden
als großer Mangel empfunden. So
könne Politik immer den Standpunkt vertreten, man wolle ja die
Integration, allein der Ansprechpartner fehle. Auf deutscher Seite
wird von den Anwesenden die
fehlende Möglichkeit einer umfassenden politischen Partizipation als
großes Hindernis auf dem Weg zur
Integration gesehen. Solange die
Menschen mit ihren Bemühungen
(etwa im Rahmen des Spracherwerbs
o.ä.) keinen Nutzen verbinden, lässt
die Motivation extrem stark nach.
Also müsste auch für den geforderten Zusammenschluss der Muslime
in Deutschland der Nutzen stärker
erkennbar werden. Das österreichische Beispiel sollte Schule machen:
Bereits 1978 wurde die muslimische
Gemeinschaft gegründet und staatlicherseits als der Ansprechpartner
anerkannt. D.h., alle muslimischen
Zusammenschlüsse hatten sich auf
einen Konsens geeinigt und entsenden nun einen Vertreter in das
selbst gewählte Zentralorgan, aus
dem heraus der Ansprechpartner gewählt wird. In Österreich und Frankreich arbeiten diese Organisationen
eng mit der Politik zusammen. Diese
Zusammenarbeit hat in Österreich
ganz praktisch dazu geführt, dass
es mittlerweile Gebetsräume in
Kasernen gibt, ein muslimischer
Friedhof in Wien eingerichtet wurde
u.v.m. Diese „Normalisierung“ des
Verhältnisses von Muslimen und
Nicht-Muslimen ist der wichtigste
Schritt hin zu einer Integration, die
den Menschen auf der Grundlage der
Verfassung des „Gastlandes“ ihre eigene kulturelle Identität belässt.
Auch die evangelische Kirche hat
sich in einem Synodenbeschluss
für die Einführung des islamischen
Unterrichts als Religionsfach ausgesprochen, fordert jedoch auch die
Einigung der muslimischen Organisationen auf eine einheitliche Organisationsstruktur. Denn beide Seiten
bedürften der Verbindlichkeit! Dafür
brauche es die Institutionalisierung
der islamischen Gemeinden. Dies
würde in der Folge auch zu der
dringend notwendigen Transparenz
im Miteinander führen. Die christlichen Gemeinden übernehmen in der
Alltagsgesellschaft
gesamtgesellschaftliche Aufgaben: Kindergärten,
Schulen, Gewerkschaften – die Muslime tun dies nicht.
Fazit der Diskussion: Integration
kann nur auf gleicher Augenhöhe,
mit festen Partnern und in Abkehr
von alt eingesessenen Ängsten und
Vorurteilen realisiert werden. Dafür bedarf es der Transparenz, der
institutionalisierten Organisation
der muslimischen Gemeinden und
der Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten für Ausländer in
Deutschland. Im Bereich Schule/
Bildung muss endlich der islamische
Religionsunterricht durch fachlich
qualifiziertes Lehrpersonal realisiert
werden.
33
Abschlussrunde
Moderation: Kirsten Pape
Moderatorin: Bei den Ergebnissen
der Arbeitsgruppen ist das Wort
„mutig“ ja mehrfach gefallen. Ich
würde jetzt gerne „mutig“, und
vor allen Dingen „Ergebnis orientiert“ diskutieren. Da ist ja vieles
schon intensiv in den einzelnen
Themenforen angesprochen worden,
die rechtliche Problematik, die politische, viel ist die Rede gewesen
von den Empfindsamkeiten und Befindlichkeiten. Die grüne Landtagsfraktion möchte einen geregelten
Dialog über die Zukunft des Islam in
NRW, Herr Remmel hat eben gesagt,
vielleicht kann es etwas anderes
sein als in dem Fraktionsbeschluss.
Trotzdem würde ich mich gern auch
ein wenig daran orientieren, hier
diskutieren.
Staat, also das dialogische Handeln
zwischen islamischer Institution
und staatlicher Institution. Dass
dies geregelt werden muss, das liegt
auf der Hand und wir merken beide
natürlich diese Notwendigkeit. Es
fragt sich, in welcher Form kann
es z. B. an Hand der vorhandenen
Strukturen auch vonstatten gehen
oder brauchen wir neue Strukturen?
Ich meine, es liegt an dem Willen
beider Seiten, die Struktur, die
vorhanden ist, kann auch in der Art
benutzt werden, dass der Dialog, die
Beziehung zwischen Staat und muslimischen Institutionen in geregelte
Bahnen kommt.
Ich stelle erst noch mal kurz die
Teilnehmer vor:
Dr. Elyas: Ich nenne trotzdem die
zweite Alternative, damit man nicht
glaubt, ich wäre nur für die erste.
Die zweite Alternative wäre, dass
man unabhängig von dem Ist-Zustand sich Gedanken macht, welche
Struktur wäre ideal, wäre besser als
die Vorhandene? Beides ist möglich
und für beide stehen die Muslime
offen. Die vorhandenen Strukturen,
z. B., dass hier ein Teil der Muslime
nicht organisiert ist, ein anderer
Teil organisiert in verschiedenen
Verbänden und Organisationen.
Keine dieser Organisationen erhebt Anspruch auf Vertretung aller
Muslime, aber sie können entweder
punktuell, themenbezogen oder
auch auf Zeit Kooperationen und
Zusammenkünfte usw., arrangieren.
Nehmen wir das Thema islamischer
Religionsunterricht: Der Staat weiß,
mit wem er zu diesem Thema oder
bei diesem Thema spricht und welche Verbindlichkeit dahinter steht.
Es wäre denkbar, dass eine Nutzung der vorhandenen Strukturen
möglich ist. Die andere Alternative
wäre, dass wir uns unabhängig
davon etwas Neues überlegen. Die
Muslime selbst machen sich Gedanken darüber und freuen sich, dass
• Marie-Luise Beck, die Beauftragte der Bundesregierung
für Migration, Flüchtlinge und
Integration
• Sybille Haußmann von der Landtagsfraktion als migrationspolitische Sprecherin
• Wolfram Försterling von der
Staatskanzlei NRW
• Dr. Nadeem Elyas, vom Zentralrat
der Muslime in Deutschland und
• Professor Janbernd Oebbecke,
Staatsrechtler an der Universität
Münster
• und Prof. Elshahed, Leiter der
Islamischen Religionspädagogischen Akademie in Wien.
Ich würde gern mit Herrn Elyas
anfangen und Sie fragen, welche
realistischen Möglichkeiten es von
Ihrer Seite gibt, dieses neue Verhältnis, diesen neuen Dialog anzugehen hier in NRW?
Dr. Elyas: Ich versteh den Dialog
in diesem Zusammenhang nicht als
Dialog der einzelnen Personen und
der Religionen untereinander, sondern vielmehr der Muslime mit dem
34
Moderatorin: Was heißt das jetzt
konkret von Ihrer Seite?
die Grünen jetzt auch Programme
und Entwürfe vorlegen. Aber auch
die Muslime selber haben sich Gedanken darüber gemacht, und zwar
in aller Offenheit, in dem wir uns
fragen: Welche Strukturen brauchen
wir vielleicht in 5 oder 10 oder 15
Jahren? Unabhängig von dem Namen Zentralrat oder Islamrat: Welche Struktur brauchen wir, damit
wir den Erwartungen des Staates
genügen werden? Und es könnte
sein, dass da ein Zusammenschluss
erzeugt wird, z.B. von der Basis her
oder dass da diese verschiedenen
Gruppierungen bleiben, bestehen
bleiben und ein verbindliches Organ
gegenüber dem Staat darstellen.
Beides wäre für uns möglich.
Wenn ich vielleicht zu dem Vorschlag der Grünen Stellung nehmen
darf: Grundsätzlich finden wir den
Schritt sehr begrüßenswert und
lobenswert. Auf der anderen Seite
verstehen wir oder möchten wir diesen Vorschlag als einen Denkanstoß
verstehen, wie Herr Lefringhausen
das auch dargestellt hat, so dass
der zweite Schritt, der dritte Schritt
dann von den Muslimen selbst übernommen und durchgeführt wird. Wir
müssen vielleicht auch intern unter
den Muslimen selbst überlegen, ob
dieses Modell, was sich sehr an dem
österreichischen Modell orientiert,
das Richtige für Deutschland ist
oder vielleicht auch das spanische
Modell.
Moderatorin: Sagen Sie noch ganz
kurz, bevor ich dann gerne auch
weitergehen würde: Was ist denn
Ihre Meinung, ist es das richtige
Modell oder sind Sie da auch noch
sehr offen? Und Sie reden auch von
einem sehr langen Zeitraum, 10 bis
15 Jahre.
Dr. Elyas: Nein, es muss nicht dieser
Zeitraum sein. Es kann auch schneller gehen. Das vielleicht schneller zu
realisierende Modell wäre, dass sich
die vorhandenen Strukturen wie in
Spanien zusammenschließen oder
Kooperationen bilden, die dann die
offizielle Vertretung gegenüber dem
Staat übernehmen. Das wäre schneller durchführbar. Das entlastet uns
auf der innerislamischen Seite nicht
davon, dass wir eine Basisdemokratie brauchen, so dass hier diese
Organisationen nicht nur durch
die Vorstände der Moscheen und
Moscheengemeinden zusammen gesetzt werden, sondern dass die Basis
in jeder Moschee mit einbezogen
wird. Das kann man parallel dazu
gewährleisten.
Moderatorin: Ich würde gern Herrn
Försterling von der Staatskanzlei
fragen: Wenn Sie jetzt so eine Stellungnahme hören: Wie lautet Ihre
Reaktion darauf?
Dr. Försterling: Ich kann das begrüßen, was Herr Elias dazu sagt, zu der
Problematik der Selbstorganisation
der Muslime. Denn ich glaube, das
ist der Hauptpunkt, der uns staatlicherseits ja die Schwierigkeiten
bereitet. Wenn, ich hab´s mir notiert, Herr Elyas ja deutlich gesagt
hat: „Gerade auf muslimischer Seite
werden solche Denkanstöße gerne
aufgegriffen, die hier in dem Grünen-Antrag ja gemacht worden sind
und er sagt natürlich zweierlei: Auf
der einen Seite, wenn ich Sie richtig
verstanden habe, können wir auch
die alten Strukturen nutzen. Alte
Strukturen, die im Sinne einer - ich
sag mal - rechtsverbindlichen Organisationsform noch nicht vorhanden
sind.
Zweitens kann man auch daran
denken, etwas Neues zu schaffen,
aber da im Wege der Selbstorganisation der Muslime. Überhaupt, zu
den alten Strukturen will ich mir
nur einen Hinweis nicht verkneifen:
Ich glaube, wir haben gerade hier
in Nordrhein-Westfalen da einiges
erreicht, diese alten Strukturen,
die hier vorhanden sind, zu nutzen.
Wir haben im Frühjahr ein Stadttorgespräch des Ministerpräsidenten
durchgeführt, wo es bundesweit
zum ersten Male gelungen ist, alle
Vertreter, aller Verbände, hier zusammen zu führen, in einer einzigen Veranstaltung. Das ist ein erster
Schritt, beruht auf den alten Strukturen, gebe ich zu, das kann man
nicht irgendwie rechtsverbindlich
machen, aber es ist ganz wichtig,
aus unserer Sicht jedenfalls, dass
die Muslime selber sich Gedanken
machen - so wie Sie es auch ausgedrückt haben - zu einer neuen Organisationsform zu finden, die uns
auf staatlicher Seite es auch leichter
macht, den Dialog fortzuführen,
den wir also schon seit langem in
den alten Strukturen ja versuchen.
Deshalb habe ich das eigentlich sehr
positiv aufgenommen.
Moderatorin: Warum ist eigentlich
dieser Dialog nicht auf Ebene der
Staatskanzlei angesiedelt?
Dr. Försterling: Der ist selbstverständlich auf der Ebene der Staatskanzlei angesiedelt, deshalb habe
ich ja auch gesagt, der Ministerpräsident hat dieses Stadttorgespräch
durchgeführt und die Staatskanzlei
ist ja die Behörde des Ministerpräsidenten, d.h., wir sind auch in
diesen
Religionsangelegenheiten
selbstverständlich federführend.
Moderatorin: Herr Oebbecke, ich
würde Sie gerne noch mal fragen, ich
bin selbst keine Juristin, aber habe
jetzt Einiges darüber gelesen, wie
schwierig es ist, diesen Ansprechpartner zu finden, aus verfassungsrechtlichen Gründen. Ist vielleicht
einfach mehr Mut, um auch das Wort
„Mut“ nochmals aufzugreifen, mehr
Mut notwendig, bei der Auslegung
der Rechtsvorschriften?
Prof. Oebbecke: Wir stehen einfach
vor einer neuen Frage. Die Frage, die
35
sich jetzt stellt, wie muss beispielsweise der staatliche Ansprechpartner in Sachen Religionsunterricht
verfasst sein, welche Anforderungen
muss er erfüllen? Die hat sich nie
gestellt, bisher, weil es die großen
Kirchen gab und das, was da neu
bisher dazu gekommen ist, etwa
die Orthodoxen, das war genau so
strukturiert und da hatte man keine
Schwierigkeiten. Wir haben es jetzt
mit einem völlig anders strukturiertem Phänomen zu tun, mit dem
Islam, der eigentlich Organisation in
diesem Sinne, von Hause aus nicht
kennt, sondern, wo Organisation
immer Mittel zu einem begrenzten
Zweck ist, etwa zur Trägerschaft einer Moschee oder zur Wahrnehmung
von Interessen oder zu solchen Dingen, aber wo nicht so was wie eine
Kirche erforderlich ist und darauf
versuchen wir zur Zeit zu reagieren,
verfassungsrechtlich. Und es gibt
immer, wenn man vor so einer neuen Frage steht, rechtlich verschiedene Möglichkeiten: Man kann´s
drauf ankommen lassen und warten,
bis die Gerichte das entschieden
haben. Da würde ich sagen: Meine
Prognose ist: Das wird noch geraume Zeit dauern und eigentlich Zeit,
die wir nicht warten können. Und
man kann hingehen und begrenzte
Risiken eingehen. Die Politik tut das
permanent in verfassungsrechtlicher
Hinsicht. Da ist große Kreativität
darüber, ob man noch eine Milliarde
Schulden mehr machen kann und
das vielleicht gerade mit der Verfassung hinkriegt und da lässt man es
auch darauf ankommen, dass einem
ein Verfassungsgericht mal sagt: So
geht´s nicht. Ist auch alles nicht so
schlimm, nicht? Das Leben ist so,
dass man auch mal Fehler macht.
Nur in diesem Bereich ist das Sicherheitsdenken in einer Weise
ausgeprägt, die für einen, der das
seit einer Weile schon beobachtet,
inzwischen doch nur mit Mühen erträglich ist. Das muss man doch sehr
36
deutlich sagen. Ich glaube, es gibt
verschiedene Möglichkeiten, man
müsste nur jetzt mal eine wählen
und dann auch mal ein bisschen Geduld mit beiden Seiten damit haben.
Das wird nicht sofort perfekt laufen,
man muss sagen - ich versteh das ja
alles - da sitzen in Ministerien Leute, die sonst zusammen arbeiten, mit
den evangelischen Landeskirchen
oder mit dieser Arbeitsgemeinschaft
heißt sie glaube ich, der Diözese
Nordrhein-Westfalen. Da sitzen sich
auf beiden Seiten Profis gegenüber,
die in Institutionen tätig sind, die
das seit 200 Jahren machen, die
Ressorteinteilungen aufgebaut haben, dass es Kultuszuständigkeiten
gibt usw.
Und jetzt müsste man zusammen
arbeiten mit Gruppen, Vereinen,
die im Grunde Migranten-Organisationen sind. Da ist viel Bewegung.
Das entwickelt sich auch, aber es ist
natürlich weit von dem ab, was die
Kirchen darstellen, hier. Und was ja
auch zunehmend, etwa, wenn Sie an
die finanzielle Basis denken, unter
Druck steht. Das ist natürlich was
anderes. Aber es muss angefangen
werden damit und es geht auch.
Ich glaube viele Vorbehalte, die
da bestehen, sind überhaupt nicht
berechtigt und das würde sich gut
erledigen lassen, wenn man es mal
anginge. Aber man muss damit
rechnen, dass am Anfang auch mal
etwas schief geht.
Moderatorin: Können Sie jetzt trotzdem, das ist jetzt etwas vage, kurz
darauf eingehen, „begrenzte Risiken“? Ich nehme an, es ist schwer,
das in 2 Minuten bei uns im Hörfunk
zusammen zu fassen, aber mal kurz
einen Weg beschreiben, den Sie vorschlagen?
Prof. Oebbecke: Ich will mal noch
Risiken beschreiben: Ein Risiko wäre
z. B., dass sich heraus stellt, man
hat da jetzt einen Ansprechpartner,
der nicht so schnell arbeitet, wie
man das erwartet. Ich gehe davon
aus, dass das gerade in Sachen Religionsunterricht gut funktionieren
könnte: Da gibt´s ja eine Diskussion
und die Verbände haben da eine
Menge Vorleistungen erbracht. Aber
es kann beispielsweise sein, das
es in einer anderen Frage nicht so
klappt. Ein Beispiel.
Zweites Risiko, was passieren kann
und was auch ehrlicherweise niemand in den Verbänden völlig ausschließen kann, dass sich heraus
stellt, dass an irgendeiner exponierten Stelle jemand sitzt, von dem
sich plötzlich heraus stellt, es gibt
einen Zusammenhang mit irgend
einer terroristischen Geschichte.
Wir kennen das ja alle auch, ich erinnere mich noch gut, dass es einen
Spion im Bundeskanzler-Amt gegeben hat. Solche Dinge kann es auch
in islamischen Verbänden geben.
Natürlich ist es für jemanden, der
mit dem im Dialog gestanden hat,
auf der politischen Seite, sehr unangenehm. Das sind Risiken, die kann
man nicht ausschließen. Die muss
man auf sich nehmen und man muss
das tun. Das geht nicht anders.
Moderatorin: Frau Haußmann, Ihre
Fraktion hat einen Beschluss vorgelegt. Woran hapert es aus Ihrer Sicht
mit der Umsetzung?
Sybille Haußmann: Also bis jetzt bin
ich noch nicht so weit zu sagen,
dass es hapert. Der Beschluss ist ja
nun wirklich jung. Wir haben den
im Juli dieses Jahres gefasst, und
die Sommerpause war auch dazwischen.
Insofern freue ich mich ja erstmal,
dass so viele Leute gekommen sind,
das Thema zu diskutieren. Ich freue
mich auch, dass heute alle muslimischen Organisationen, die hier
waren und sich zu Worte gemeldet
haben, sagen: Wir diskutieren das
in unseren Reihen. Das ist schon
viel. Da sind wir schon einen großen
Schritt weiter, als wir das noch im
Juni waren. Und ich möchte noch
einen Satz zu den Risiken sagen, die
Herr Professor Oebbeke ansprach:
Deshalb war es uns so wichtig, zu
verlangen, dass man eine neue Organisation bildet und man macht
eine, die sich dann auf das Grundgesetz bezieht und dazu bekennt. Das
ist in der einen Arbeitsgruppe ein
bisschen kritisiert worden als „Generalverdacht“. Ich glaube, dass das
der gegenteilige Fall ist. Ich glaube,
das nimmt den „Generalverdacht“
erst einmal von einem und es dreht
sozusagen die Beweislast um. D. h.,
ich bekenne mich, ich unterschriebe
das jetzt, ich stehe auf dem Boden
der freiheitlich demokratischen
Grundordnung. Dann muss mir erst
einmal jemand beweisen, dass ich
das nicht bin.
Im Moment haben wir ja eine umgekehrte Situation, dass die muslimischen Verbände immer beweisen
müssen, dass sie verfassungskonform arbeiten.
Ich glaube, man kommt nur mit
einer Konstruktion wie der von uns
vorgeschlagenen aus dem Dilemma
raus, dass alle Ansprechpartner,
die wir jetzt haben, gleich wieder kritisiert werden als zu wenig
demokratisch, zu sehr verbandet
mit irgendwelchen extremistischen
Organisationen. Deswegen denke
ich, ist eine Neugründung schon
eine wichtige Voraussetzung, die
deutlich abweicht vom Vorschlag
von Herrn Elyas zu sagen: Nehmen
wir doch einfach die Verbände, die
wir haben.
Moderatorin: Frau Beck, jetzt sind
gerade schon die begrenzten Risiken
angesprochen worden, mit denen
man auf Bundesebene auch schon
Erfahrungen hat. Sie haben heute
einen konfrontativen Dialog angemahnt. Welche Ratschläge haben Sie
für Nordrhein-Westfalen? Aus Ihrer
Bundessicht? Sie haben alle Länder
im Blick.
Marieluise Beck: Ich glaube, es gibt
keine spezifisch nordrhein-westfälischen Ratschläge. Es gibt allerdings
mit Nordrhein-Westfalen ein Land,
das nicht nur zahlenmäßig die
größte Migration hat. Es ist auch
vergleichsweise am erfahrensten im
Umgang mit den Folgen von Migration. Insofern sind wir hier schon auf
einem guten Terrain. Konfrontativ
deswegen, weil wir es ja in der Tat
nicht mit einem Kinderspiel zu tun
haben.
Wenn Herr Professor Oebbeke sagt:
“bisschen Mut zum Risiko“, ist das
ganz wunderbar. Politik tendiert
aber im Augenblick eher dazu lieber
unter dem Tisch zu gehen, man weiß
ja nicht, wie es ausgehen könnte
und wie viel Stimmen es kostet.
Es gibt im Augenblick glaube ich
kein Terrain, in dem es leichter ist,
einen Angriff zu starten, als in der
Auseinandersetzung mit dem Islam.
Die Folie ist klar: Es handelt sich um
Terrorismus und man hat ja viele
Bündnispartner, man hat die Feministinnen, die sagen: Ihr wollt uns
ins Mittelalter zurück zerren. Man
hat die Säkularen, die froh sind,
wenn die Religion sowieso endlich
verschwindet aus dem öffentlichen
Leben. Man hat, wie gesagt, eine
Opposition, die sich freut, dass sie
der Regierung einen reinwürgen
kann. Es ist also wirklich ein absolut vermintes Feld. Und: Es gibt ja in
der Tat ernst zu nehmende thematische Fragen, jenseits dieser ganzen
politischen Intrigen, die ich eben
umschrieben habe.
Es ist eine ernst zu nehmende politische Frage: Wie weit sind die
universalen Menschenrechte mit
dem Islam, wenn es ihn denn so als
Religion gibt, vereinbar. Da haben
wir das erste Fragezeichen. Wie weit
sind die vereinbar? Oder, es müssen
sich bestimmte Organisationen, aus
bestimmten Ländern, von bestimmten Richtungen fragen lassen oder
sich erklären: Für uns ist die Universalität der Menschenrechte absolut
vereinbart mit dem Islam unserer
Ausrichtung. Auch das Christentum
ist ja nicht das Christentum, wie wir
am christlichen Fundamentalismus
in den USA, der erstarrt, sehen können. Und da gibt es natürlich ganz
viele heikle Fragen, die hier gestellt
werden, und zwar nicht nur weil
beim Verfassungsschutz nun so viele
finstere Gestalten sitzen. Der Verfassungsschutz stellt sie zurecht. Und
das ist nicht nur der Verfassungsschutz, das sind auch Menschen, die
hier in unserem Lande unter religiös
begründeten Strukturen gelitten
haben, es gab eine Fetwa, wenn ich
daran nur mal erinnern kann, gegen Literaten.
Es gibt Journalisten, die z. B. sehr
unangenehme Fragen gestellt haben, gar nicht religiöser Natur, sondern über das Finanzgebahren von
Milli Görüs: Dem geht es nicht gut.
Es gibt Journalisten, die sich in
sehr kritischer Weise auseinander
gesetzt haben mit Beziehungen und
Bezügen von islamischen Organisationen ins Ausland oder auch soziale
Druckstrukturen, die hier innerhalb
von Communities aufgebaut werden.
Diesen Journalisten geht es nicht
gut.
Sie werden überzogen mit Prozessen, was dazu führt, dass zum Teil
Journalisten sagen: Ich arbeite für
eine klitzekleine Zeitung, verdiene
1.400 Euro im Monat, ich kann es
mir gar nicht leisten, mich auf so
einen Prozess einzulassen. Damit
ist diese Art von Berichterstattung
gestorben.
37
Also: Es gibt eine ganze Menge
Fragen, die sehr unangenehm sind
und die gehören auf den Tisch.
Deswegen bin ich eben wirklich der
Meinung, dass, wer es gut meint,
wer die Türen öffnen will für den
Islam als gleichberechtigte Religion
mit einer gewissen Normalität in
unserem Land, der hat die Verantwortung, in diese Konfrontation zu
gehen. Was wir im Augenblick aber
eher machen ist Tabus aufbauen. Jeder fragt sich: Um Himmels Willen,
mit wem darf ich denn gesehen
werden und mit wem werde ich besser nicht gesehen?
Und wenn man die Verbände durchgeht im Augenblick, kann man
jemandem, der sich von politischer
Seite auf der sicheren Seite bewegen
möchte, eigentlich nur empfehlen,
sich am besten mit überhaupt niemandem blicken zu lassen. Und so
kommen wir nicht weiter. Deswegen mein Plädoyer an den Tisch:
Konfrontation, fetzt Euch, zwingt
zur Transparenz und akzeptiert
Differenz! Nur so können wir uns
bewegen. Wir können uns auch
entscheiden, uns nicht zu bewegen.
Dann bleiben wir alle in unseren
Bunkern sitzen. Vielleicht sind wir
relativ gut geschützt. Vielleicht
sind wir dann irgendwann eines
Tages nicht mehr geschützt in den
Bunkern, denn, und das müssen wir
uns klar machen: Alle die, die jetzt
am Jagen sind, deren Jagdfieber
erweckt ist, die sollen sich fragen,
ob das wirklich klug ist. Ich habe
vorhin gesagt: Man kann nicht um
3 Millionen Menschen einen Zaun
ziehen.
Ich sage: Wenn immer wieder mit
der Zurückweisungserfahrung gelebt
wird, wenn immer wieder die rote
Karte gezeigt wird, vollkommen
Wurscht, ob Du erste, zweite oder
dritte Generation bist. Vollkommen
Wurscht, ob Du Dich hast einbürgern lassen oder nicht. Vollkommen
38
Wurscht, ob Du einen bürgerlichen
Beruf erlernt hast oder nicht. Du
kommst hier nicht rein! Und wenn
Du so einen Fetzen auf dem Kopf
trägst, sowieso schon gar nicht.
So. Wenn ich diese Botschaft mein
ganzes Leben lang bekomme, was
mache ich denn dann? Dann ziehe
ich mich doch zurück. Irgendwann
sage ich doch: O.K. Leute, wenn Ihr
mich nicht haben wollt, dann gehe
ich doch zu meinen eigenen Leuten.
Was mich im Augenblick wirklich so
unendlich umtreibt ist, dass wir das
herstellen, was wir später beklagen
werden.
Ich möchte mich jetzt hier nicht zu
sehr ausbreiten, die Botschaft reicht
ja erstmal. Aber ich könnte das, weil
ich systematisch versuche, Akteure
zusammenzusuchen, die bereit sind,
sich zu bewegen. Ich kann eben
immer nur erzählen: Eigentlich ist
die Botschaft immer: Beweg Dich
lieber nicht, es ist brandgefährlich!
Darf ich eine kurze Facette noch
erzählen?
Unser Ministerium, in diesem Falle
Familienministerium, nicht die Beauftragte, hat dankenswerter Weise
große Programme gegen Fremdenfeindlichkeit, Radikalismus und für
Toleranz. Finden wir alle ganz wunderbar. Da gibt es eine Leitlinie, die
heisst: „Dialog mit dem Islam“. Dazu
brauchten wir ja Dialogpartner, also
es geht um Jugendliche, es gibt eine
Organisation, die heißt „Islamische
Jugend“, geht in die Schulen, hat
dort wunderbare Projekte gemacht,
kein Mensch hat sich jemals an dem
gestört, was in den Schulen passiert
ist, ist ja alles offen. Dann findet irgendjemand heraus, dass diese Organisation vor rund 2 Jahren in ihrer
Vereinssatzung mal stehen hatte,
im Fall der Auflösung des Vereins
gehen die Finanzen an die Al Aksa
Brigaden. Höchst unappetitlich! Auf
der Stelle - das Ministerium zu Tode
erschrocken. Wir streichen auf der
Stelle alle Gelder. Es hat natürlich
ein großes parlamentarisches Nachspiel. Auf der anderen Seite sitzt die
Opposition, hach, jetzt haben wir
sie! Ja.
Was war der Befreiungsschlag?
Der Befreiungsschlag war, das Gott
Lob unsere Kanäle so gut waren,
dass wir wussten, dass einige der
inkriminierten Personen, die die
Verbindung, vermeintlich die Verbindung zu den Moslembrüdern
herstellen, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung unter der Reihe „Dialog
mit dem Islam“ aus und ein geht.
Uff. Noch einmal hatten wir unsere
Haupt gerettet!
Aber so kann es nicht gehen! So
kann es nicht gehen! Und wenn
Politik da steht und jeder hat sein
Messerchen in der Hand und guckt,
wann fängt der Andere an, sich zu
bewegen, oh, er hat sich bewegt.
Rumps…. Dann erstarren wir, dann
sitzen wir hier alle und gucken halt,
was in 10 Jahren mit dem Islam in
unserer Gesellschaft ist.
Moderatorin: Eine ganze Menge
Punkte, die Sie angesprochen haben, Frau Beck. Ich würde gern
Herrn Elshahed und Herrn Elyas
noch mal Gelegenheit geben, darauf einzugehen. Herr Elshahed, mit
dem Blick über den Zaun oder von
draußen. Ich bin auch eben gebeten
worden, Sie noch mal zu bitten, zu
erklären, wie in Österreich denn die
Muslime gewählt werden.
Prof. Elshahed: Vielen Dank für diese Frage. Es geschieht so, dass dort
islamische Vereine gebildet werden
und durch die Eintragung und durch
die Zahlung des Mitgliedsbeitrages
ist man schon Mitglied in diesem
Verein. Man ist damit registriert und
auch wahlberechtigt. Es ist so, dass
die Vereine ihre Mitglieder bei jeder
Wahl sozusagen sammeln, jeder Verein wählt dann einen Vertreter. Aus
dieser Vertreterschaft aller Vereine,
also auch von kleinen Vereinen,
wird eine Vollversammlung gebildet.
Diese Vollversammlung wählt dann
ein Kuratorium. Das ist wie ein Führungsratsausschuss. Das Kuratorium
vertritt die Interessen aller Vereine
und wählt dann einen Präsidenten.
Es wird aber manchmal so gemacht,
dass der Präsident zusätzlich direkt
von den Vereinen gewählt wird und
nicht nur vom Kuratorium.
Es gibt auch Wahlempfehlungen wie
bei jedem Verein, auch im Kuratorium.
Also kurz gesagt: Mitgliedervereine
wählen ihren Vertreter, die Vereinsvertreter bilden quasi ein Parlament, eine Vollversammlung. Diese
Vollversammlung wählt dann ein
Kuratorium, bestehend aus etwa 20
Mitgliedern. Und dieses Kuratorium
trifft Entscheidungen. Der Präsident
entscheidet also nicht über alles,
sondern der Präsident vertritt das
Kuratorium bzw. alle Vereine bei
dem Staat.
Moderatorin: Und ist das aus Ihrer
Sicht ein übertragbares Modell?
Prof. Elshahed: Das ist sehr wohl ein
übertragbares Modell. Es gibt auch
hier Vereine, nur bleibt auch das
Problem, das Herr Elyas auch angesprochen hat. Es gibt auch Muslime,
die sich keinem Verein Mitglied. Was
macht man mit denen? Das sind
nicht wenige. Entweder sind sie
nicht davon überzeugt, dass man
in so einen Verein eintreten sollte
oder sie haben nicht die Zeit oder
das Geld für den Beitrag. Also viele verschiedene Gründe. Deswegen
kann man so gut wie unmöglich
alle Muslime erfassen und damit die
Teilnahme an der Wahl ermöglichen.
Auf jeden Fall kann man mit den
jetzt bestehenden Organisationen
und Vereinen dieses Modell versuchen.
Bei Herrn Elyas hat es so geklungen, so habe ich ihn jedenfalls
verstanden, dass dieses Modell nicht
unbedingt das Beste ist für Deutschland sei, sondern er bevorzugt das
spanische Modell. Es ist irgendein
Modell, es muss nur funktionieren,
es muss nur ernsthaft genommen
werden. Und dann konsequent,
sowohl von den Muslimen als auch
von Politikern. Es kommt darauf an,
es wirklich zu wollen. Das gilt für
beide Seiten, für die deutsche Politik aber auch für die Muslime. Wenn
man wirklich vom Herzen will, dass
dieser Prozess erfolgreich zu Ende
kommt, dann geschieht das auch so,
wie es in anderen Ländern auch der
Fall ist.
überlegen, nimmt man dies rein
oder lässt das raus, usw. Das kann
man bis zum Jüngsten Tag treiben,
selbst wenn sie nachts weiter diskutieren. Dann kommen sie gar nicht
weiter.
Moderation: Was meinen Sie genau
damit?
Ich freue mich wirklich, dass ich so
viele kritische Stimmen, auch selbst
kritische Stimmen von deutschen
Kollegen und Kolleginnen hier höre.
Das erspart uns als Muslime sehr
viel. Und es ist ein Zeichen der Entwicklung in die richtige Richtung
und ermutigt uns. Nur bleibt es auch
Aufgabe der Muslime in der neuen
Heimat, dass sie wirklich einmal
mehr Verantwortung als Muslime
hier in Deutschland übernehmen.
Und dann muss man nicht mit allen Stimmen sprechen, womöglich
mit drei, vier Millionen. Das kann
man von der Politik in Deutschland
nicht verlangen. Also muss man sich
als Muslime auch in Vereine hinein
pressen, auch in provisorische. Und
dann auch wirklich wählen. Wählen,
sich vier, fünf Grundsätze im Konsens geben, sich daran halten. Alle
halten sich daran, auch nach außen
z.B. als Gesprächspartner der Regierung, der Politiker.
Das heißt, jeder Schritt muss erst
einmal eine gesetzliche Grundlage
haben, bis man so weit ist, dass
man ein Gesetz überhaupt entwickelt hat, dauert es Jahre. Und
der Streit wird wirklich unendlich
gehen. Ich meine, man müsste mit
gutem Willen darangehen, ohne
große definierte Gesetzesgrundlage,
und schauen, wie funktioniert es.
Dann könnte man immer noch die
Gesetze machen, die Ergebnisse und
Erfahrungen einfließen lassen. Bereits existierenden Vereine müssten
bei einem Gesetzgebungsverfahren
einbezogen werden. Danach könnte
man dieses Gesetz verfeinern und
beschließen. Aber man muss anfangen, und nicht am Schreibtisch
sitzen und schreiben, hin und her
Es könnte auch Ziel sein, diese
schöne grüne Prinzip, dieses Rotationsprinzip, (Gelächter)……gut ich
weiß, Sie haben es abgeschafft, weil
sie auch andere politische Gründe in
Erwägung gezogen haben. Aber ich
glaube, bei islamischen Vereinen,
kann es funktionieren. Jedenfalls
haben Sie es probiert und dann sind
Sie zu der Feststellung gekommen,
dass es nicht funktioniert. O. K.,
aber ich würde unseren islamischen
Schwestern und Brüdern dennoch
raten, dass sie auch diesen Weg
versuchen. Vielleicht klappt es ja.
Es hat ja auch anderswo geklappt,
warum eigentlich hier nicht? In
Österreich wird alle vier Jahre neu
gewählt. Und dann ein Präsident,
ein Vize und ein Generalsekretär
Dass es bis jetzt noch an irgendwelchen Sachen hapert, hat nach meinem Gefühl ohne es zu wissen oder
zu merken die Politik vergesetzlicht.
Eine reine Vergesetzlichung der Politik ist wirklich eine Riesengefahr.
39
und jeder von denen ist berechtigt,
im Namen des Kuratoriums mit der
Regierung zu sprechen.
Moderatorin: Warum klappt´s hier
nicht, Herr Elyas?
Dr. Elyas: Der Versuch wurde unternommen. Deshalb sagte ich, es
liegt nicht an den Formen, an den
Strukturen selbst. Wir können diese
Struktur vielleicht diskutieren, oder
eine andere, oder die vorhandene
Struktur. Deshalb habe ich auch
Wert darauf gelegt, die anderen
Alternative zu nennen. Damit nicht
der Eindruck entsteht, wir wären
nur für diese eine Möglichkeit. Wir
haben gesagt, wir können beide Alternativen diskutieren. Warum hat
es nicht geklappt?
In Hessen wurde der Versuch unternommen. Man hat dort eine
demokratische, mehr oder weniger
demokratische Vertretung für einen
Teil der Muslime erreichen können.
Ich war nicht dabei. Aber die meisten anderen waren dabei, als Personenmitgliedschaft, als Vertretung,
als gewählte Vertreter, die da ein
Gremium gebildet haben und sie
haben sich als Partner für den Staat
dort, für das Land angeboten. Dann
hieß es: „Nein!“ XY ist nicht dabei.
Milli Görüs ist dabei, usw. Jede
Struktur ist akzeptabel, diskutabel
für uns Muslime. Dafür brauchen wir
kein Gesetz. Obwohl ich manchmal
solche Gesetze vermisse, die eine
Religionsgemeinschaft zu einer bestimmten Form verpflichten. So was
gibt´s nicht.
Wir haben die Trennung zwischen
Staat und Kirche oder Staat und
Religion. Was wir brauchen, sind
Empfehlungen von staatlicher Seite und Begleitung eines Prozesses,
der aber durch die Muslime selbst
durchgeführt werden muss. Denn
sonst hat er keine Bedeutung für
die Muslime. Begleitung bedeutet
40
für uns, dass man sagt: „In diese
Richtung denkt Ihr in Ordnung,
plant Ihr richtig. Wenn das und das
erreicht worden ist, dann ist das für
uns als Staat akzeptabel“. Und dann
werden sich die Muslime die Mühe
machen und all das durchführen,
mit der Erwartung, dass dies dann
später anerkannt wird.
Das führt auch zu dem, was auch
Herr Lefringhausen gesagt hat,
nämlich,
die
komplementären
Rollen von Annäherung und Abschreckung. Annäherung, in dem
der Staat Empfehlungen gibt, das
Ganze begleitet aber mit dem Versprechen: Wenn es erreicht ist, dann
kann diese Vertretung, als staatlich
anerkannte Vertretung der Muslime
angesehen werden. Wenn nicht,
dann haben wir eben keine Vertretung der Muslime. Der Staat kann
allerdings nicht dazu übergehen,
seine eigenen muslimischen Partner
zu konstruieren oder dessen Strukturen vorzuschreiben.
Moderatorin: Ich merke jetzt hier
zunehmende Unruhe bei Herrn Försterling. Möchten Sie trotzdem Stellung dazu nehmen? (Gelächter)
Dr. Försterling: Ich möchte auch
direkt wieder an das Anknüpfen,
was Herr Elyas gesagt hat. Er hat
gesagt, eine gesetzliche Vorschrift
vermisst er überhaupt nicht. Er
möchte Empfehlungen haben. Und
wenn es dann auch auf Seiten der
Muslime nicht klappt, kann man ja
mit den bisherigen Verbänden genau
so weiter arbeiten. Genau so findet
ja gegenwärtig auch unser Dialog
statt. Das ist ja auch überhaupt
keine Frage und das Angebot, das
wir ja machen und auch gemacht
haben, ist glaube ich auch durchaus von Mut geprägt gewesen und
wird es auch weiterhin bleiben. Bei
dem erwähnten Stadttorgespräch
sind selbstverständlich, es war uns
bewusst, Organisationen mit dabei,
von denen wir wussten, dass sie
seitens des Verfassungsschutzes
teilweise beobachtet wurden. Der
Ministerpräsident hat entschieden,
die sollen trotzdem dabei sein, oder
gerade. Wir können hier, wenn wir
einen offenen Dialog führen wollen
nicht so eine Vorauswahl machen,
wieso auch immer. Das heißt, das
mag in anderen Zeiten auch anders
gewesen sein. Ich erinnere mich an
andere Situationen, wo es mal um
eine Ein- und Ausladung ging. Aber
das ist Jahre her.
Ich möchte an das anknüpfen, was
hier mehrfach an verschiedenen
Stellen gesagt wurde. Herr Oebbecke sprach von mehr Mut. Es wurde
auch gesagt: „Wir brauchen kleinere
Schritte.“ Wir brauchen vor allen
Dingen eines, und das glaube ich
hier insgesamt heraus gehört zu
haben: Wir müssen da anknüpfen
und anfangen, auch und gerade auf
der kommunalen, auf der lokalen
Ebene etwas zu verwirklichen. Wo
es gut klappen kann und wo es gut
klappt. Gemeinsam mit den Betroffenen etwas aufbauen heißt, von
unten herauf eine entsprechende
Zusammenarbeit, einen Dialog ermöglichen, zulassen und darauf
aufbauend dann vielleicht auch
durch die Selbstorganisation der
Muslime zu größeren Verbänden und
zu der Möglichkeit einer letztlich
staatlichen Anerkennung wie auch
immer, per Gesetz, zu kommen.
Eins wollen wir jedenfalls nicht, da
würden sich die Muslime aber auch
zu Recht wehren, jetzt per Gesetz
vorzuschreiben, was nun ein muslimischer Verband ist oder wie er sein
muss. Das kann selbstverständlich
nicht der richtige Weg sein.
Verschiedentlich ist auch gesagt
worden: Wir müssen im konkreten
Bereich zusammenarbeiten, etwa
beim Religionsunterricht wie zum
Beispiel in Erlangen. Da, wo das
möglich ist, gemeinsam mit den
Muslimen vor Ort, warum sollte man
das nicht versuchen?
Aber es geht ja auch um den Grünen Antrag, dass von oben herab zu
organisieren, ein Moscheenregister
staatlicherseits einzurichten. Gut,
Herr Elyas hat´s gesagt: Denkanstoß. Aber letztendlich müssten die
Muslime selber wollen und soweit
sind die Verbände wohl noch nicht,
sag ich mal. Fraglich, ob sie es überhaupt wollen. Ein Denkanstoß, der
diskutiert wird, o. k.
Wir wollen, wir müssen auch eines
vermeiden, bei allen Anstößen, die
wir geben, darf es nicht zum Diktat
führen. Das wird nämlich dann auch
sehr schnell missverstanden. Das
wollen wir auf gar keinen Fall.
Meine Zusammenfassung geht dahin, zu sagen, dort wo punktuell
mögliche Zusammenarbeit gut funktioniert, darauf kann man aufbauen. Es ist auch gut zu wissen, da ist
möglicherweise der Eine oder Andere, dann ist das vielleicht nicht so
ganz beobachtungsfrei.
Wichtig auch das da, wo es durchaus in der Sache klappt und wo im
Sinne eines, wie Frau Beck es sagte,
eines konfrontativen Dialoges, die
Probleme wirklich auch aufgearbeitet werden können. Da soll man es
ruhig machen und hat insofern ein
Guthaben. Die Struktur, eine rechtliche oder gesetzliche Struktur, das
ist eigentlich das, was aus meiner
Sicht erst ganz am Ende kommt.
Moderatorin: Herr Remmel und dann
Herr Oebbecke.
Johannes Remmel: Ich bin ja normal
nicht dabei, aber mich kribbelt es
an der Stelle einfach ein bisschen,
weil ich merke, genau dass in dieser
Podiumsdiskussion das abgebildet
wird, von Teilen jedenfalls, was
wir durchbrechen müssen, was ich
auch nicht mehr bereit bin, als
Politik hinzunehmen, wo ich auch
eine Forderung stelle. Ich fordere,
dass das passiert. Ich will nicht
mehr warten. Wir warten viel zu
lange. Die Anforderungen, die politischen Anforderungen, dass dieser
institutionalisierte Dialog endlich
stattfindet, dass es eine Institution
gibt, und wenn das sich nicht selber
bildet, dann müssen wir es bestimmen. Dann müssen wir es bestimmen. Und dann zieht die Karawane
weiter. Weil die Karawane muss ziehen, weil die gesellschaftlichen Anforderungen so sind, dass sie ziehen
muss. Wir können uns dieses Vakuum nicht leisten. Wir brauchen eine
Auseinandersetzung darüber, was ist
sozusagen der Kern des Islam auch
im Dialog und im Austausch mit den
weltpolitischen Anforderungen, die
wir haben? Wir können uns dieses
Vakuum in Deutschland, in der Bundesrepublik und in Nordrhein-Westfalen nicht leisten. Deshalb dauert
mir das zu lange und deshalb ist das
Hin und Her, das Gegenseitige: „Na,
ja, wir warten mal, was passiert und
wir fangen in der Gemeinde an“,
das geht nicht mehr. Das geht nicht
mehr, da haben wir lange genug gewartet. Wir brauchen es jetzt. Und
wenn es nicht kommt, dann muss
die Politik, dann muss das Parlament Gesetze machen. So ist auch
unser Vorstoß zu verstehen, ganz
klar: Wir wollen nicht mehr warten.
Moderatorin: Herr Oebbecke, Sie
kennen sich mit der „Kunst der
Langsamkeit“ aus als Jurist, wie
geht´s schneller?
Prof. Oebbecke: Also das kommt
immer so drauf an. Ich will mal
versuchen, das in Klardeutsch zu
übersetzen, was Herr Försterling gesagt hat, mit „von unten wachsen“.
Das ist alles ganz wichtig, aber bitte
nicht im Verantwortungsbereich der
Landesregierung, sondern bei den
Kommunen. Das kann´s nicht sein,
was wir brauchen, ich will nur mal
zwei Beispiele nennen: Im Religionsunterricht und beim Schächten
sitzt ausschließlich die Landesregierung bzw. einzelne Häuser am
Drücker und wenn da was passieren
soll, dann muss hier was passieren
und nicht irgendwo unten. Das wird
nicht gehen.
Das Zweite: Wie ist das denn bisher
gelaufen? Man hat eingeladen, wenn
eine Organisation dann gesagt hat:
“Nein, wir kommen nicht, weil wir
uns mit den Brüdern und Schwestern
da nicht zusammen setzen.“ Dann
hat man´s abgeblasen. Eine Ausnahme hat´s gegeben, nämlich das von
Ihnen erwähnte Stadttorgespräch.
Warum hat das geklappt? Weil der
Ministerpräsident, wie ich gehört
habe, gesagt hat: „Wir machen das
und wer kommt, kommt.“ Und …
….da sind sie alle gekommen. Denn
wenn man weggeblieben wäre, dann
hätte es ohne einen stattgefunden.
Das will man doch auch nicht. Das
ist das Modell, was funktioniert. Es
hat einmal funktioniert. Es ist jetzt
seitdem wieder ein 1⁄2 Jahr etwa in´s
Land gegangen und es wäre sehr
schön, wenn dann in vielleicht 1⁄2
Jahr wieder was passiert ist.
Ich will auch zu dem noch was sagen, was der Herr Elyas angedeutet
hat: Es wird nicht ohne einen gewissen Grad von Verbindlichkeit gehen.
Wir brauchen keine Gesetze. Gesetz
würde vielleicht funktionieren, aber
wir brauchen keine Gesetze. Was wir
brauchen, ist für die Muslime eine
Aussage, die nicht nur verbindlich
ist, solange ein Minister noch da
ist, der das gesagt hat, sondern die
solange verbindlich ist, dass die
Muslime wenigstens Gelegenheit
haben, sich organisatorisch daran
zu orientieren. Wenn ich eine Organisation, ob das eine Partei ist,
ein Automobil-Club oder was auch
immer, organisatorisch ändern will,
dann brauche ich bei einer großen
41
Organisation zwei Jahre, würde
ich mal ungefähr schätzen, bis das
unten durch ist, bis die sich alle angepasst haben. Und so, wie Politik
in diesem unserem Land gestrickt
ist, ist eine einfache Aussage da
schon zu wenig, weil man sich auf
eine politische Aussage allein nicht
verlassen kann. Also, man braucht
kein Gesetz, aber vielleicht eine
Vereinbarung, oder irgendetwas,
dem dann nicht ausgewichen werden kann, wenn man sich an dem
orientiert hat, was da vorgegeben
worden ist. Das, was Sie Empfehlung
nennen, das muss doch wenigstens
so verbindlich sein, dass es nach
einer Weile noch funktioniert. Und
das wäre glaube ich, ganz wichtig,
und da haben die Grünen einen
Vorschlag gemacht, es gibt auch
andere Lösungen, keine Frage, aber
das scheint mir als Gedanke völlig
zwingend zu sein.
Moderatorin: Da ist ja offensichtlich
sehr viel mehr Mut notwendig und
eben in dem Forum, in dem ich war,
mit Herrn Frisch, hieß es von einem
Teilnehmer: „….die Islam-Politik
darf nicht vom Verfassungsschutz
gemacht werden...“. Das geht ja wohl
sehr stark auch um diesen Mut, miteinander zu reden und nicht immer
schon eine bestimmte Brille auf zu
haben. Gleichzeitig gibt es berechtigte Bedenken.
Ich würd´ gern Herrn Elyas das Wort
noch mal geben und würde dann
auch gern die Runde aufmachen für
Ihre Fragen und Diskussionsbeiträge.
Dr. Elyas: Dass es uns allen zu lange
dauert, das liegt auf der Hand, es
lag aber nicht an den Muslimen,
dass es bisher nicht geklappt hat.
Und genau so eifrig und eilig sind
wir auch und haben wir es auch.
Was wir aber zum Ausdruck bringen möchten, ist, dass die Muslime
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bereit sind, darüber nachzudenken,
mit zu fragen, zu unterstützen.
In Klammern: Ohne diese Unterstützung kann es auch nicht klappen.
Es ist nicht im Sinne des Antrages,
es ohne die Verbände zu versuchen,
Klammer zu.
Das heißt für uns, wir sind bereit
darüber nachzudenken, das mit zu
tragen, wenn eine gewisse Verbindlichkeit da ist. Und das müssen Sie
als Politiker unter sich schaffen.
Unter den Fraktionen. Und wenn
diese Zusicherung da ist, werden die
Muslime sich die Mühe machen, aber
wir lassen uns nicht zu Spielball machen, wie die Muslime in Hessen, die
all das hinter sich gebracht haben
und dann hieß es: „Nein, das reicht
uns nicht.“ Und dann wäre über die
Einzelheiten dieses Denkanstoßes,
ich sage immer noch Denkanstoß,
nachzudenken, zu diskutieren. Es
gibt einige Punkte, die nicht ohne
Weiteres machbar sind. Und es gibt
auch ganz andere Denkweisen und
Modelle. Darüber muss man offen
sprechen.
Moderatorin: Mit Verlaub, Herr Elyas,
das hört sich sehr abstrakt an und
das ist ein bisschen „Schwarzer Peter Spiel“. Was konkret tun Sie? Sind
Sie bereit auf die Landesregierung,
auf die Fraktionen hier zuzukommen? Wo sind ihre Schritte?
Dr. Elyas: Die Fraktionen? Sie sprechen von Fraktionen. Ich sehe nur
einen Antrag der Grünen.
Moderatorin: Das ist doch schon mal
was.
Dr. Elyas: Das ist sehr gut, deshalb
sind wir da. Aber wir sagen: „Wir
sind bereit mitzumachen, wenn es
sich lohnt. Und es wird sich nur
lohnen, wenn die anderen Fraktionen das auch tragen und verbindlich - auch auf lange Sicht - auch
mitmachen. Ich bin nicht abstrakt.
Ich sage: Dann werden die muslimischen Verbände darüber diskutieren
und die Einzelheiten mit Ihnen
zusammen festlegen. Das ist die Begleitung, die ich gemeint habe, dass
Sie diesen Prozess begleiten und wir
diese Last auf uns nehmen.
Moderatorin: Frau Düker und dann
Sie.
Monika Düker: Ja, nur eine ganz
kurze Anmerkung: Wir hatten ja in
dem Themenforum „Sicherheit“ das
Stichwort: „Recht auf Differenzen“.
Und wenn ich dieses Recht jetzt
durchdekliniere, dann ist es doch
so: Wenn der Islam dieses Recht von
der Mehrheitsgesellschaft einfordert
und die Gesellschaft sagt: „Ja, hier
sind die Alewiten, hier die Sunniten
oder wer auch immer. Dann muss
es aber doch auch untereinander
dieses Recht auf Differenzen geben.
Und an der Stelle meine ich auch
in unserer Diskussion, in unserem
Themenforum, mitbekommen zu
haben, dass der Dialog auch untereinander offensichtlich noch nicht
weit gediehen ist. Also ich geb jetzt
einfach mal den Ball zurück. Wenn
ich mir da die Debatte in unserem
Themenforum, zwischen dem Alewiten-Vertreter auf der einen Seite
und den Milli Görüs- Vertretern
auf der anderen Seite angucke, da
hatte ich den Eindruck, da muss
auch noch Dialog stattfinden. Also
ganz so einfach ist das ja dann auch
nicht mit dem Miteinander, sich
auf einem Level zu einigen. Und
deswegen einfach auch noch mal
den Ball zurück. Ein Angebot von
unserer Seite, zu sagen: „Wir haben
den Anspruch, diese Differenzen
zu akzeptieren, aber es braucht
einen gewissen Zusammenschluss
und eine Organisiertheit auf der
anderen Seite, dann müssen auch
da die Differenzen akzeptiert werden, untereinander. Und da, denke
ich, muss man doch sagen: „Fangen
wir da auch mal an.“ Sich zusammensetzen, einen Vertrag, natürlich
kein Gesetz, einen Vertrag miteinander machen, Abkommen, da sind
ja ganz viele Formen möglich. Aber
die liegen doch bei den islamischen
Verbänden. Also ich habe nicht den
Eindruck, dass da alles so völlig organisiert ist.
Moderatorin: Bitte schön.
Unbekannt: Ich komme jetzt auf
den Punkt „Gesprächspartner“.
Also, wenn in der Demokratie die
Mehrheit regiert und die Mehrheit
wird auch anerkannt. Und wenn die
großen Organisationen als Mehrheit
der Muslime organisiert in Dachverbänden ist, warum sollte dieses
eigentlich demokratische Prinzip
nicht anerkannt werden, auch als
Gesprächspartner anerkannt?
Prof. Elshahed: Ich darf auch mit
meinem Bruder, Herrn Elyas anderer Meinung sein. Ich bin nicht der
Meinung, dass die Muslime einfach
warten, bis der deutsche Staat, bis
die Politik auf sie zukommt und
sie begleitet und sagt: „Gehen Sie
da und da lang“. Ganz sicher nicht.
Beide sind gleichzeitig aufgerufen,
sich zu bewegen, und zwar mutig
aufeinander zu bewegen. Das heißt,
die Muslime müssen sich untereinander noch organisieren, Konsens
finden. Gleichzeitig kann die deutsche Politik, der deutsche Staat in
diese Richtung gehen. Und dann
gehen wir Hand in Hand. Aber der
Eine sagt: “Bis die Anderen sich organisieren…“, dann kann auch der
deutsche Staat sagen: “Wir warten
auch bis die Muslime sich organisieren.“
Und dann kommen wir überhaupt
nicht weiter und die Zeit ist wirklich
viel zu kostbar. Ich hoffe nur, dass
die Probleme nicht explodieren.
Herr Elyas, Sie haben ja auch diesen
Fall von Frankfurt, von Hessen erwähnt. Es ist auch begründet, in der
Tat. Nachdem Sie alle sich wirklich
organisiert haben, eine Vertretung
gebildet haben, alles Mögliche getan
haben, hat man das Ganze an eine,
den Namen muss ich hier nicht den
nennen, an eine „Sachverständige“
sozusagen abgegeben, und die hat
gesagt: „Diese Gemeinschaft ist traditionalistisch orientiert.“ Sie hat
vorher gesagt: ..“fundamentalistisch“, dann hat sie sich nochmals
korrigiert: „traditionalistisch“ und
damit war die Sache weg. Deswegen
verstehe ich auch dieses Misstrauen,
dass man sagt: Gut, wir können
uns bemühen, uns vereinen, unsere
Vertreter wählen und alles Mögliche
und nachher scheitert das Ganze an
einem Gutachten, dass auch nicht
gerade einfluss- oder vorurteilsfrei
gewesen war. Ich kenne die Dame
gut, die diesen Bericht geschrieben
hat. Ich hoffe, dass sie aus diesem
Ding raus ist. Und ich hoffe, dass Sie
als Muslime und die hiesige Landesregierung trotzdem mutig aufeinander zugehen. Das ist ein Muss. Dies
ist nicht etwas, was man sich leisten
oder nicht leisten kann. Das ist ein
Muss für uns alle.
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Vermerk zur Wien-Reise
Vom 21.6. – 23.6.04
Stand: 30.06.04
TeilnehmerInnen:
Sylvia Löhrmann
Sybille Haussmann
Ewald Groth
Thema:
Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Österreich und der Islamischen Glaubensgemeinschaft
Österreichs (IGGÖ)
GesprächspartnerInnen:
•
Mitglieder der GRÜNEN Fraktion im Bundesparlament
•
MinR Dr. jur. Anton Stifter, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
•
Florian Haug, Vertreter des Außenministeriums
•
Prof. Potz, Institut für Recht und Religion, Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Wien
•
Professor Schakfeh, Präsident der IGGÖ
•
Herr Professor Dr. Elsayed Elshahed, Leiter der Islamischen Religionspädagogischen Akademie IRPA
•
Herr Aslam, Abteilungsleiter für Lehrerfortbildung
•
Frau Kahn, ebenfalls IRPA
•
Herr Dipl.Ing. Omar Al-Rawi, Abgeordneter der SPÖ im Landtag von Wien
Hintergrund:
Der Österreichische Staat hat seit 1912 ein Gesetz, dass die Muslime in Österreich zu einer islamischen
Glaubensgemeinschaft erklärt und sie als Religionsgemeinschaft anerkennt. Dies resultiert aus der Annektion
Bosniens und der Notwendigkeit, sich zu einem Staatsgebiet zu bekennen, dass überwiegend von Muslimen
bevölkert ist. Anders als in Deutschland, werden Religionsfragen zentralstaatlich geregelt.
Situation in Österreich:
Zur Zeit leben ca. 339 000 Muslime in Österreich, das sind ca. 10% der Bevölkerung.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft ist demokratisch verfasst.
Alle Muslime in Österreich sind automatisch Mitglieder der IGGÖ. Austritte sind per Antrag durch Verwaltungsakt
möglich, vergleichbar mit dem Kirchenaustritt.
An den Wahlen können sich alle Mitglieder ab dem wahlberechtigten Alter beteiligen, sofern sie Mitgliedsbeiträge
zahlen. (z.Z. ca. 30 – 40 000 WählerInnen)
Gewählt wird in den Moscheegemeinden. Jede Gemeinde kann Mitglieder in ein Bundesorgan, den Schura-Rat,
entsenden. Der Schura-Rat wählt einen Vorstand, der Vorstand wählt den Vorsitzenden.
Der Vorsitzende ist der regelmäßige Ansprechpartner des österreichischen Staates.
Im Schura-Rat dürfen nicht mehr als 1/3 der Mitglieder zu einer Glaubensrichtung gehören, um die Vertretung
aller Glaubensrichtungen zu gewährleisten.
Der Religionsunterricht unterliegt nicht der direkten staatlichen Aufsicht. Unterricht und Schulbücher sind
in deutscher Sprache. Die Inhalte werden mit dem Schulministerium abgestimmt. (analog zu allen anderen
Religionsgemeinschaften in Österreich). Die Religionslehrer sind der Schulleitung unterstellt und werden vom
Staat finanziert.
47
Zur Zeit tagt eine Kommission zur Reform des Lehrplans.
Die Ausbildung der ReligionslehrerInnen findet seit 1999 in einer Islamischen Akademie statt. Sie hat den
gleichen Status, wie die Ausbildungsstätten der anderen Religionen. Die Ausbildung kostet 400 Euro im Semester
und liegt damit auch im vergleichbaren Rahmen anderer Akademien. Die darüber hinaus gehenden Kosten werden
von der IGGÖ getragen.
Darüber hinaus findet in der Akademie ein intensives Fortbildungsprogramm für die vorhandenen
Religionslehrkräfte statt. Der Nachholbedarf ist enorm, da vor 1999 viele Fachfremde als ReligionslehrerInnen
eingestellt wurden.
Einen hohen Stellenwert hat in der Aus- und Fortbildung die Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse.
Spannungsfelder/Konflikte zwischen Muslimen und Mehrheitsbevölkerung:
Die in der österreichischen Öffentlichkeit auftretenden Konflikte und Spannungen werden von der IGGÖ
aufgegriffen und beantwortet. Z.B. wurde Ängsten nach dem 11. September durch gemeinsame Auftritte des
Bundespräsidenten und dem Vorsitzenden der IGGÖ begegnet. Die IGGÖ tritt in diesen Fragen als Stimme der
österreichischen Muslime auf und betont die Zugehörigkeit im eigenen Land.
Die Kopftuchdiskussion hat in Österreich keine hohen Wellen geschlagen, da durch die selbstverständliche
teilhabe der IGGÖ in der demokratischen Öffentlichkeit eine Kopftuchträgerin nicht in dem Maße als Problem oder
gar als Bedrohung empfunden wird wie in Deutschland.
Selbst die FPÖ nutzt die Muslime nach anfänglichen Vorstößen nicht offensiv als Projektionsfläche für das
Schüren von Ängsten in der Bevölkerung.
Moscheebauten werden auch in Österreich zu Konfliktfeldern. Dort schaltet sich die IGGÖ als Vermittler ein.
Die hohe Anerkennung, die die Vertreter der IGGÖ von Seiten der Bundesregierung genießen, erleichtert in allen
Bereichen das Konfliktmanagement sowie staatliche Entscheidungen und administratives Handeln.
Konflikte/Spannungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft:
-
Konflikte bestehen zwischen Sunniten und Schiiten. Im Religionsunterricht wird versucht, die
Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der verschiedenen Glaubensrichtungen deutlich zu machen und
damit allen Eltern und Kindern die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Unterricht zu identifizieren.
Trotzdem gilt der Unterricht zur Zeit als stärker Sunnitisch und wird von einer Minderheit der Schiiten
nicht wahrgenommen.
-
Aus der Türkei eingewanderte Muslime versuchen in regelmäßigen Abständen ein Recht auf „türkischen
Religionsunterricht“ einzufordern, der vom Staat mit Hinweis auf die IGGÖ regelmäßig abgelehnt wird.
-
Die Aleviten bemühen sich zur Zeit um Anerkennung als eigene Religionsgemeinschaft. Auch die IGGÖ ist
der Auffassung, dass sie mit ihrer Auffassung des Islam die Aleviten nicht mit vertreten können.
Von allen Gesprächspartnern werden die Konflikte als nicht gravierend eingeschätzt. Sie bewegen sich im Rahmen
des normalen Konfliktpotentials eines demokratischen Verbandes.
Wünsche/Ziele:
Nach Ansicht aller Gesprächpartner bedarf es einer Weiterentwicklung des Islam in Europa. Dazu wäre eine
wissenschaftliche Forschungs- und Ausbildungsstätte in islamischer Theologie in deutscher Sprache eine große
Hilfe.
Die Schwierigkeiten in Deutschland werden insbesondere von Prof. Potz und den muslimischen Gesprächspartnern
sehr genau und mit Sorge beobachtet.
Sie sehen die Struktur in Österreich als vorbildhaft an, in dem Wissen, dass die historische Situation in Österreich
diese begünstigt hat und nicht so ohne weiteres auf Deutschland zu übertragen ist.
Es bestand bei vielen Gesprächspartnern eine profunde Kenntnis über die deutsche Situation. Sie führte
bei unseren Gesprächspartnern zu der Einschätzung, dass es eine große Bereitschaft unter den Muslimen in
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Deutschland gebe, sich auf staatlicherseits vorgegebene Strukturen ein zu lassen. Sie rieten zu pragmatischem
Vorgehen und zu klaren Vorgaben seitens des Staates respektive der Länder.
Dass diese Prozesse möglich sind wurde mit verschiedenen Beispielen in Europa belegt.
Belgien, Frankreich, Italien und Spanien haben in verschiedener Weise das Verhältnis des Staates zur
muslimischen Minderheit durch Verträge geregelt.
Fazit:
Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächpartner waren uneingeschränkt der Auffassung, dass sich die
Anerkennung der Islamischen Glaubensgemeinschaft als Religionsgemeinschaft positiv auf das Verhältnis
zwischen eingewanderten Muslimen und Mehrheitsgesellschaft auswirkt.
Die TeilnehmerInnen der Reise konnten sich nach Abschluss aller Gespräche dieser Auffassung nur anschließen.
Insbesondere war auffällig, dass alle Gesprächsteilnehmer mit Migrationshintergrund überzeugend als
österreichische StaatsbürgerInnen auftraten und mit großem Stolz die Entwicklung des Islam in Österreich
präsentierten.
Darüber hinaus waren sie sehr daran interessiert, einen aufgeklärten Islam in Europa gemeinsam weiter
zu entwickeln. Die Grazer Erklärung vom Juni 2003, Resultat einer Konferenz von Imamen Europas in der
Kulturhauptstadt Europas, hat dieses Ziel zum Ausdruck gebracht.
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