Die Zukunft des Islam in NRW Dokumentation eines Fachgesprächs am 08. Oktober 2004 Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen Inhalt Begrüßung Sylvia Löhrmann MdL, Fraktionsvorsitzende.....................................................................................3 Einführung Sybille Haußmann MdL, migrationspolitische Sprecherin....................................................................5 Ziele und Methoden politischer Repräsentanz des Islam Dr. Klaus Lefringhausen, Integrationsbeauftragter der Landesregierung NRW .......................................7 Muslime in Deutschland zwischen sozialer Integration und kultureller Identität Elsayed Elshahed, Al-Azhar Universität Kairo Leiter der “Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien......................................... 10 Statement Marieluise Beck Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration ...................................... 19 Islamische Gemeinschaften und Staat- gibt es Wege zu verbindlichen Vereinbarungen? Referent: Prof. Janbernd Oebbecke, Universität Münster ................................................................... 24 Schutz von Verfassung und Sicherheitsdebatte - können Hindernisse auf dem Weg zu Dialog und Kooperation ausgeräumt werden? Referent: Dr. Peter Frisch, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a.D................................. 30 Unvermeidbare Berührungspunkte: wenn Religionsausübung und –lehre zum Gegenstand staatlichen Handelns werden Referent: Prof. Elsayed Elshahed .................................................................................................. 32 Abschlussrunde Moderation: Kirsten Pape ............................................................................................................ 34 Impressum Herausgeberin Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf Weitere Informationen Sybille Haußmann MdL Migrations- und Rechtspolitische Sprecherin Telefon 0211/884-2030, -2820 [email protected] Marco Becker wissenschaftlicher Mitarbeiter Migrationspolitik Telefon 0211/884-2570 [email protected] 2 Begrüßung Sylvia Löhrmann, MdL Fraktionsvorsitzende Ich bin sehr froh, Sie heute zu unserer Veranstaltung „Zukunft der Islam in NRW“ begrüßen zu dürfen. Ich möchte besonders unsere ReferentInnen und DiskussionsteilnehmerInnen begrüßen. • Herrn Dr. Lefringhausen, unser Integrationsbeauftragter, • Herrn Dr. Frisch, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a.D. • Herrn Professor Oebbecke, Universität Münster • Herrn Dr.Elyas vom Zentralrat des Muslime und die Vertreter weiterer muslimischer Verbände • Herrn Dr. Foesterling von der Staatskanzlei Da wir hier sehr weltoffen sind, wollten wir gerade bei dieser Veranstaltung nicht auf die Teilnahme von Referenten, die nicht aus NRW sind, verzichten. Daher begrüße ich besonders Herrn Professor Elshahed, der die Anreise aus Wien auf sich genommen hat, und schließlich unsere Bundesbeauftragte für Zuwanderung, Integration und Flüchtlinge, Marieluise Beck. Herzlich Willkommen! In NRW leben rund ein Viertel aller Migrantinnen und Migranten bundesweit. Zuwanderung hat bei uns eine sehr lange Tradition, erheblich jünger ist die Einsicht, Integration als Aufgabe für Politik und Gesellschaft zu begreifen. Dabei wurde und wird sehr viel, vielleicht von interessierter Seite auch gern, über die Probleme gesprochen. Ich möchte aber hier eine Feststellung treffen, die mir manchmal zu kurz kommt: Der weit überwiegende Teil der Migrantinnen und Migranten und der weit überwiegende Teil der Mehrheitsbevölkerung haben sehr gut zueinandergefunden: als Nachbarn, als Kolleginnen und Kollegen, als Eltern oder einfach am Büdchen an der Ecke. Ob nun jemand ein Moslem war, hat lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. Die politische Debatte um die Zuwandererreligion Islam begann aber nicht mit dem 11. September 2001. Sie begann, als Muslime sich auf den Verbleib einrichteten, aus den Hinterhofmoscheen herauskamen und sich selbstbewusst repräsentative Moscheebauten erstreiten wollten. Dass wir heute hier zusammen sind, hat also nicht seine Ursache allein in weltpolitischen Ereignissen oder der Sicherheitsdebatte. Der Islam, Muslima und Muslime sind angekommen, sie sind hier zu Hause und möchten in ihrer Glaubensausübung die Rechte, die auch den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften zustehen, für sich in Anspruch nehmen. Für mich ist das ein berechtigtes Anliegen. Staat und Gesellschaft haben zwei ebenso berechtigte Anliegen: Der Angst vor einem Terrorismus, der sich auf den Islam beruft, und dem Terrorismus selbst, muss mit angemessenen Maßnahmen begegnet werden, was auch im Sinne der überwältigenden Mehrheit der hier lebenden Muslime ist. Für den Dialog zwischen Staat und Muslimen über die gegenseitigen Einzelanliegen bedarf es eines Rahmens, der ein gewisses Maß an Verbindlichkeit erfordert. Unsere Fraktion beschäftigt sich nicht nur mit den vielen, im täglichen Geschäft auftauchenden Fragen muslimischer Glaubensausübung in NRW. Wir arbeiteten in den vergangenen Jahren und besonders intensiv in diesem Jahr an diesen eben benannten gegenseitigen Grundanliegen, die für uns der Schlüssel für ein Zusammenleben in Respekt und Anerkennung ist. Im 3 Ergebnis haben wir einen Beschluss gefasst, über den wir heute mit Ihnen und Euch diskutieren möchten. Dabei möchte ich Sie bitten, unseren Beschluss nicht als abschließendes Konzept anzusehen, sondern als einen ersten ernsthaften Vorschlag, in einen Dialog zwischen Staat und Muslimen einzutreten. Wir haben ihn aufgearbeitet, nachdem insbesondere der Facharbeitskreis, allen voran unsere migrationspolitische Sprecherin Sybille Haußmann, intensiv geforscht hat und gereist ist. 4 Eine kleine Gruppe meiner Fraktion – mich inbegriffen – hat sich abschließend in Österreich vom dortigen Weg inspirieren und überzeugen lassen. eingebracht haben. Ich wünsche mir von Ihnen heute und in Zukunft den Ihnen möglichen Beitrag, um diese Initiative zu einem tatsächlichen Erfolg werden zu lassen. Ich möchte nicht verschweigen, dass es mich mit einem gewissen Stolz erfüllt, dass wir als grüne Landtagsfraktion erstmals eine seriöse, ausgearbeitete und fundierte politische Initiative im Sinne eines verbindlichen Dialogs zwischen Staat und Muslimen in die politische Debatte Und ich bin mir sicher, dass wir heute eine sehr anregende Tagung vor uns haben. Dabei möchte ich nicht versäumen, besonders unseren MitarbeiterInnen, allen voran Marco Becker, herzlich für ihr Engagement zu danken. Einführung Sybille Haußmann, migrationspolitische Sprecherin Auch ich freue mich, heute so viele Menschen begrüßen zu dürfen, die sich für die Frage interessieren, wie geht es weiter mit dem Verhältnis zwischen dem Land NRW und seinen muslimischen Bürgerinnen und Bürgern. Wir hatten ja ursprünglich nur einen Raum für 80 Personen gebucht und mussten in dieser Woche umdisponieren, weil die Anmeldezahlen weit über die vorhandenen Plätze gestiegen sind. Schon das ermutigt mich und zeigt, wie sehr dieses Thema auf Resonanz vor allem in einer Fachöffentlichkeit und unter den betroffenen Muslimischen Organisationen stößt. Die GRÜNE Fraktion blickt inzwischen auf eine Geschichte des Dialogs mit den muslimischen Dachorganisationen von mehr als 5 Jahren zurück, ich persönlich bin vor zwei Jahren in diesen Dialog eingestiegen mit der Übernahme der Funktion der migrationspolitischen Sprecherin. In diese Zeit sind eine Reihe von parlamentarischen Debatten zum Thema Muslime gefallen. Wir haben Anhörungen durchgeführt und Gesetze verabschiedet. Ich nenne hier nur exemplarisch das Bestattungsgesetz, den CDU-Antrag zum Schächten, die „Kopftuchdebatte“, die Anträge zu muslimischen Schülerwohnheimen und zur Benachteiligung von Muslimen auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben uns immer bemüht, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen und deren Anregungen in unsere Entscheidungen mit einzubeziehen. Dies ist schon ein guter Schritt nach vorn. Allerdings ist allen Debatten gemeinsam, dass sie auf Problemlagen reagieren und punktuell über Lösungsstrategien nachgedacht wird. Die Muslimischen Dachorganisationen oder auch die Aleviti- sche Gemeinde sind immer erst im laufenden Verfahren und immer nur punktuell, z.B. in den Anhörungen mit einbezogen worden. Dass heißt, die Politik bezogen auf den Islam in NRW ist bisher ausschließlich reaktiv und nicht gestaltend oder gar vorausschauend. Unsere Diskussionen heute finden auf der Grundlage von drei Tatsachen statt: In NRW leben ca. 1 Million Muslime, die sich als eigenständige und zunehmend selbstbewusste Minderheit in unserem Land etabliert haben. Obwohl wir eigentlich alle Kinder Abrahams sind und auch die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam überwiegen, ist der Islam der Mehrheitsgesellschaft nach wie vor fremd und ihm wird mit Misstrauen begegnet. Darüber hinaus kommen wir um die Erkenntnis nicht herum, dass es eine Diskriminierung von Muslimen, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, aber auch bei den Möglichkeiten der Ausübung der eigenen Religion gibt, wenn man zum Beispiel die Auseinandersetzungen um viele Moscheebauten betrachtet. Allein diese drei Faktoren zeigen, dass es politischen Handlungsbedarf gibt, wenn man auf Dauer ein friedliches Zusammenleben organisieren will. Deshalb müssen wir als politisch Handelnde sowohl auf der Ebene des Parlaments als auch auf der Ebene der Landesregierung von einer rein reagierenden zu einer gestaltenden Politik finden. Auch brauchen wir ein Ende der ständigen Forderungen nach nachdrücklichen Distanzierungen von Terror und Gewalt gegenüber den 5 Muslimen, die - wenn sie dann kommen - als taktische Manöver gewertet werden. Diese Rituale können aber nur beendet werden, wenn auf beiden Seiten verbindliche Regeln bestehen. Dazu bedarf es aber eines geregelten Dialoges, der konkretes Handeln auf beiden Seiten zur Folge hat. Wir haben heute zu dieser Fachtagung eingeladen, um uns mit Ihnen darüber auszutauschen, welche Möglichkeiten Sie sehen, zu einem geregelten Dialog zu kommen. Unsere Fraktion hat auf ihrer Reise nach Österreich, wo es seit über einhundert Jahren einen Staatsvertrag mit den Muslimen gibt, ein interessantes Beispiel gefunden. Die Reise einer Delegation des Migrationsausschusses hat sich mit dem Staatsvertrag zwischen der Spanischen Regierung und Islamischen 6 Organisationen befasst. Darüber hinaus haben wir auch die Beispiele Frankreich, Belgien und Italien gefunden. In allen diesen Ländern war es möglich, in eine verbindliche Kooperation zu gelangen. Deshalb gehen wir davon aus, dass es auch in NRW möglich sein muss, zu einer Kooperation zwischen dem Land und seinen Muslimen zu kommen. Der Vorschlag, den die GRÜNE Fraktion dazu macht, ist sehr eng an das Österreichische Modell angelehnt, weil es uns als das demokratischste erschien. Auf unserer Reise haben wir Prof. Elshahed kennen gelernt und freuen uns ganz besonders, ihn heute für diese Veranstaltung gewonnen zu haben. Ich bewundere an Ihnen, Herr Elshahed, dass Sie als Wanderer zwischen den Welten so ein profunder Kenner sowohl der innerislamischen Debatte als auch der deutschen und österreichischen Verhältnisse sind. Ich bin überzeugt, dass es gelingen kann, das gegenseitige Misstrauen zu überwinden und zu einer konstruktiven Kooperation zu gelangen. Die Hürden dafür sind allerdings hoch. Muslime sind gefordert, sich auf Strukturen einzulassen, die ihrer bisherigen inneren Struktur eher fremd sind. Die Politik muss attraktive Angebote zum Abbau der Diskriminierung und zum aktiven Schutz der Religionsausübung machen, z.B. durch konfessionellen muslimischen Religionsunterricht, und einen Vertrauensvorschuss gewähren. Ich bin gespannt, ob wir heute in diesem Anliegen einen Schritt weiter kommen und freue mich auf die Diskussionen, die vor uns liegen. Ziele und Methoden politischer Repräsentanz des Islam Dr. Klaus Lefringhausen, Integrationsbeauftragter der Landesregierung NRW Zum Vorverständnis Es ist Merkmal moderner Integrationspolitik, Migranten und zugewanderte Religionsgemeinschaften einzuladen und zu würdigen, sich an der Lösung von Zukunftsaufgaben ihrer neuen Heimat zu beteiligen und ihr besonderes Profil dabei einzubringen. Eine solche Subjektrolle ist zumindest für Migranten der zweiten und dritten Generation würdiger, als Objekte der Betreuung zu sein. Die Einladung zu einer Verantwortungs- und Zukunftsgemeinschaft ist deshalb zentraler Bestandteil der Integrationspolitik, weil sie den Migranten den Sprung über den Graben der Halbintegration ermöglicht. Der Schwebezustand einer Halbintegration ist gefährlich, weil sie leicht in Rückzugsidentitäten und zur Emigration in das innere Ausland führt. Wichtig daran ist ferner, dass gemeinsam definierte Zukunftsaufgaben der Landespolitik ermöglichen, aus der religiösen Neutralität des Staates mehr eine kooperative und weniger eine distanzierte zu machen. Zudem wecken gemeinsame Zukunftsaufgaben Neugier auf die besonderen Kompetenzen von Migranten und ihren Kulturen, die bisher überwiegend in ihren Defiziten wahrgenommen werden. Ferner führt gemeinsame Verantwortung zu einem würdigeren Themenniveau als das der gegenwärtigen Streitthemen. Eine Verantwortungsgemeinschaft hilft den Migranten, wirklich in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und sich nicht mehr als Sozialfälle am Rande der Gesellschaft zu fühlen. So rückt eine solche integrationspolitische Wende die Migranten der 2. und 3. Generation mehr in den Horizont einer Modernisierungspolitik und weniger in den der Sozialpolitik. Damit sich diese Intention nicht in Einzelinitiativen erschöpft, befassen wir uns heute mit der Frage, wie der Islam in NRW auch strukturell Gesprächspartner der Politik werden kann. Auf diese Frage gibt es bereits Teilantworten: Dazu gehört die langjährige und heute noch moderne Konzeption der Landespolitik, mehr die Selbstorganisation der Migranten und damit ihre Subjektrolle zu unterstützen, als sie zu Objekten der Wohlfahrtspolitik zu machen. Das gilt bundesweit als vorbildlich und ist ein Fundament, auf dem man aufbauen kann. Eine andere Teilantwort ist das multireligiöse Stadttorgespräch, bei dem der Ministerpräsident signalisiert hat, dass es politische Intention ist, Gespräche miteinander statt übereinander zu führen. Eine Teilantwort war auch der Versuch, den Religionsunterricht nicht staatlich zu verfügen, sondern kooperativ zu entwickeln. Das schließt Konflikte nicht aus, ist aber kein Scheindialog, wenn sich alle Seiten produktiv einbringen. Eine weitere Teilantwort waren auch die Initiativen, die Konfliktlandschaft im Umfeld des Schächterlasses kooperativ zu bereinigen und auch in der Kopftuchfrage nicht mit hastigen Sofortmaßnahmen zu reagieren. 7 Hinzu kommt das gemeinsame Votum zum Thema Moscheebauten, das lokale Konflikte entschärft, indem es sie von den generellen Streitthemen entlastet. Etwas unbescheiden möchte ich hinzufügen, dass auch das zweijährige Dialogprogramm ‚Integration mit aufrechtem Gang’, der Integrationskongress NRW und der daraus ent- standene ‚Beirat für religiöse Fragen der Integration beim Integrationsbeauftragten der Landesregierung NRW’ in diesen Kontext gehören. im Vorfeld kann vor Frustrationsfallen bewahren. pluralistischen Welt dadurch zu wahren, dass sie durch Verflechtungen mit anderen Interessenlagen akzeptabler werden. Hingegen wird ein reiner Durchsetzungsglaube selbst bei Siegen vor den Gerichten genau das verspielen, worum es vordringlich geht, nämlich die öffentliche Akzeptanz und die Verwurzelung des Islam im öffentlichen Meinungsklima. Repräsentanz des Islam Nun aber ist zu fragen, wie diese Signale einer kooperativen statt distanzierten Neutralität des Staates Strukturen bekommen können. Wenn ich darüber laut nachdenke, dann nicht als Sprecher hoheitlicher Meinungen, sondern als Makler zwischen vielen Fronten, der versucht, sich dem Thema im Perspektivenwechsel zu nähern. Ausgangspunkt ist, dass der Islam keine Ausländerreligion mehr ist, sondern eine Religion in Deutschland. Diese neue Lage erlaubt kein nachhinkendes Bewusstsein. Zudem braucht die Politik vor allem in Zeiten hoch entzündungsfähiger Kulturkonflikte verlässliche Kommunikationsbrücken - und das möglichst vor den und nicht erst in den Krisen. Festzuhalten ist ferner, dass die innerislamische Lage und die öffentliche Überangst keinen Fehlschlag erlauben. Deshalb sind Reformimpulse von innen denen von außen unbedingt vorzuziehen. Ferner setzt jede Regelung einen breiten islamischen Konsens voraus, der sicherstellt, dass es keine Politik des leeren Stuhles gibt. Zu klären ist ferner, ob eine politische Repräsentanz der Muslime die Frage nach der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bereits beantworten, sie vertagen, sie ersetzen oder einfach umgehen soll. Eine Verständigung 8 Religiösen Gruppen fällt es besonders schwer, sich Mehrheitsmeinungen zu beugen. Es ist also zu prüfen, ob Wahlverfahren wichtige Übungsfelder sein können, oder ob es gegenwärtig noch überfordert. Zu bedenken ist auch, ob die Aleviten mit vertreten sein sollen und wenn nicht, ob sie dann ein eigenes Büro schaffen oder beanspruchen können. Zu entscheiden ist ferner, ob es um politische Repräsentanz als Fertigprodukt geht, oder ob Etappen auf dem Weg zu diesem Ziel vorzuziehen sind. Wer mehr auf den Prozesscharakter setzt, schafft Freiraum, schrittweise Erfahrungen zu sammeln, sich an Abstimmungsmechanismen zu gewöhnen und das, was wächst, letztlich auch als Eigenes zu verstehen. Aber es gibt auch die andere Gefahr, dass das, was als Etappe in einem Prozess gemeint ist, vorschnell zur Endstation wird. Deshalb die verständliche Idee eines Anschubs von außen. Dabei muss jedoch sichergestellt sein, dass der zweite und dritte Schritt aus eigener Kraft gelingt. Sonst nämlich würde das Projekt das Stigma eines Fremdkörpers bekommen und das Ergebnis wäre ein Lernen ohne Einsicht. Eine politische Repräsentanz könnte aber auch den überfälligen Lernprozess anregen, Interessen in einer Eine politische Repräsentanz des Islam wird auch Problemgruppen einbeziehen müssen. In dieser Frage streiten wir wie einst in der Ostpolitik, ob ‚Wandel durch Abschreckung’ oder ‚Wandel durch Annäherung’ angebrachter ist. Wir haben erlebt, dass beide Optionen letztlich keine Alternativen sind, sondern sich gegenseitig stützten: Die Annäherung war nur wirksam, weil es auch das Gegenteil zu ihr gab, und die Abschreckung eskalierte nicht, weil es auch Annäherung gab. Ähnlich braucht die Islampolitik das Gleichgewicht komplementärer Rollen, doch sie hat es noch nicht. Wer innerislamische Entsolidarisierungen voraussetzt und dabei überfordert, trägt zu Solidarisierungen bei, die interne Reformen ersticken. Diese Wechselwirkungen von Druck und Gegendruck, von Ausgrenzung und Solidarisierung und von Anpassungszwängen und kultureller Selbstbehauptung wirken nicht nur weltpolitisch, sondern auch innenpolitisch. Jede Demütigung schafft den Hasspredigten Resonanz; jede verletzte Identität verleitet zu Trotzidentität, jede vorenthaltene Anerkennung führt zu Integrations- blockaden. Vieles, was mit hohem finanziellem Aufwand an Integrationshilfe geleistet wird, verliert seine Wirkung, wenn auf Negativbeispiele hastig, mit harter Hand und mit demonstrativ hohem Grad an Entschlossenheit reagiert wird. Zum Stil der Interessenvertretung Lassen Sie mich zum Schluss die Gelegenheit nutzen, Erfahrungen aus der Mitarbeit beim Bevollmächtigten der EKD am Sitz der Bundesregierung anzufügen. Viele kirchliche Gruppen erwarteten, dass das evangelische Büro ihre Forderungen nahezu wörtlich übernimmt. Bedenken, die mit einer politischen Gesamtperspektive oder mit Stilfragen begründet waren, wurden mit Motivunterstellungen beantwortet. So gab es den Vorwurf harmonistischer Anpassung, mangelnder Streitbereitschaft und identitätsvergessener Verbeugung vor der Macht. Hingegen hatten es die Interessengruppen relativ einfach: Sie addier- ten ihre Forderungen auf, kamen so zu Maximalforderungen, nutzten sie als Gesinnungstests und waren nicht sonderlich unglücklich, wenn ihr Gegenüber in die Rolle des permanenten Neinsagers getrieben wurde und angeblich die Maske der Moral fallen ließ. Damals war die Rede von einer protestantischen Nörgelethik derer, die vom moralischen Feldherrenhügel herab Fallbeilurteile fällten. Diese Zeiten sind zwar vorbei, gleichwohl wird auch ein islamisches Büro vergleichbaren Ansprüchen ausgesetzt sein. Es wird sich nur dann nicht ad absurdum führen, wenn es stark genug ist, gegenüber Eiferern und ihren Detailansprüchen gesamtislamische Perspektiven durchzuhalten. Auch diese Probleme sind bewusstseinspflichtig und nicht erst zu bedenken, wenn entstandene Fronten kaum noch zu beseitigen sind. Ich habe dieses Für und Wider aufgezählt, um deutlich zu machen, dass wir beides zugleich brauchen: Mut und Behutsamkeit. So hoffe ich, dass wir mit dieser Veranstaltung immer weniger einer Feuerwehr gleichen, die sich um Kompetenzen, Initiativrechte und Satzungen streitet, während die Welt brennt und sich auch das Integrationsklima als hoch entzündungsfähig erweist. 9 Muslime in Deutschland Vorbemerkungen zwischen sozialer InteEinem zweiseitigen Versäumnis gration und kultureller verdanken wir die problematische soziale und kulturelle Situation, Identität Elsayed Elshahed, Al-Azhar Universität Kairo Leiter der “Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien in der Muslime in Westeuropa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen leben. Einerseits lebte die erste Einwanderergeneration in der Vorstellung, dass sie nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückkehren würde und strebte daher keine Integration im Gastland an. Die muslimischen Rechtsgelehrten betrachteten ihrerseits das Verweilen der muslimischen Minderheit als vorübergehend und demzufolge hielten sie jeden Versuch, eine zeit- und situationsgerechte Rechtsgrundlage für die Muslime in Europa zu schaffen für überflüssig. Andererseits verhielten sich die Politiker im Westen zurückhaltend, weil sie ebenfalls die Anwesenheit der Muslime in Europa als eine vorübergehende Situation betrachteten und somit keine effektive Integrationskonzepte entworfenhaben, stattdessen wurde in einer späteren Phase über verwirrende Begriffe wie Euroislam, Leitkultur etc. in den Massenmedien unbedacht debattiert und verschleierte Assimilationsversuche unternommen. Diese Problematik könnte man ebenso gut aus zweierlei Perspektiven betrachten: Aus der Sicht der nichtmuslimischen Deutschen und der Sicht der deutschen bzw. der in Deutschland lebenden Muslime. Diese beiden Perspektiven könnten einerseits nur teilweise unterschiedlich, andererseits aber auch von Grund auf gegensätzlich sein. Dabei spielt die Konzeption der jeweiligen Religion, ihrer Wertvorstellungen, Normen und Maxime sowie der Art ihrer Urteilsquellen eine entscheidende Rolle. 10 Handelt es sich also um zwei verschiedene Kulturkreise oder Religionsgemeinschaften, deren Urteilsquellen gänzlich verschieden sind und somit wesentlich verschiedene Wertvorstellungen, Normen und Maxime haben, so bestehen entsprechend wenig Aussichten auf eine kulturelle Annäherung, geschweige denn auf Integration der neuen Kultur in die Einheimische. Handelt es sich aber um zwei zwar verschiedene Kulturkreise, dennoch mit zumindest vergleichbaren Weltanschauungen, wie dies der Fall bei den drei abrahamitischen monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam ist, so erhöhen sich zumindest theoretisch die Erfolgsaussichten für eine gegenseitige Verständigung und würden den Weg zu einer tauglichen Integration der betroffenen Kulturen ebnen. Dabei muss man darauf bedacht sein, dass die Forderung nach Integration einer neuen Kultur in die Einheimische sehr leicht bewusst oder unbewusst in einen Assimilationsprozess münden könnte, bei der die eigene kulturelle Identität der neuen Mitbürger langsam verloren geht und demzufolge die Grundlage für eine kulturelle Vielfalt mit allen ihren gesellschaftlich positiven Wirkungen nicht mehr existieren würde. Eine besonnene Integration, welche die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kulturen hervorhebt und diese für die gegenseitige kulturelle Befruchtung optimal ausnutzt, ohne dass die Kultur in die andere eingehen muss, soll das Ziel aller aufrichtigen Bestrebungen auf diesem Gebiet sein. Nur diese Art der Integration soll mit allen vorhandenen Mitteln ge- fördert und nicht einseitig gefordert werden. Die Devise heißt dann: Aufrichtig fördern statt egozentrisch fordern. Ein ernst gemeinter Integrationsprozess kann niemals eine Einbahnstraße sein, sie setzt viel mehr eine gegenseitige aufrichtige Anerkennung und mutiges vorurteilsfreies Aufeinanderzugehen sowohl seitens der Aufnahmegesellschaft als auch seitens der zu integrierenden Glaubensgemeinschaft. Eine andere Dimension wird bei dieser Problematik übergangen, die hintergründig für das Scheitern des bislang unternommenen Integrationsversuches mitverantwortlich ist,nämlich dass man sowohl bei der Konzeption als auch bei der Diskussion von einem homogenistischen Kulturverständnis ausgeht, dabei ist weder die islamische noch die deutsche Kultur homogen. Muslime in Deutschland Vier Fragen bilden die Grundlage einer objektiven und konstruktiven Diskussion über den Islam in Deutschland, auf welche sowohl deutsche Muslime als auch Nichtmuslime unvoreingenommen eingehen müssen: • Im Ersten geht es um die Frage, ob der Islam seiner Natur nach offen gegenüber anderen Kulturen ist oder nicht. Wie weit können uns die islamischen Urquellen und die gelebte Geschichte dabei helfen? • Im Zweiten geht es um die Frage, ob der Islam mit dem Verhalten seiner Angehörigen identifiziert werden darf oder nicht. • Im Dritten geht es um die Frage, ob alle Muslime in Deutschland das gleiche soziale kulturelle Niveau haben. • Im Vierten geht es um die Frage, ob diejenigen, die den Islam in Deutschland, insbesondere durch die Massenmedien und Dialogveranstaltungen darstellen, den traditionellen Islam bzw. das von den meisten Muslimen akzeptierte Islambild vermitteln oder nicht. Der Islam sowie jede andere Religion oder Ideologie darf nicht daran gemessen werden, wieweit sie von ihren Anhängern praktiziert wird. Würde man dies dennoch tun, so würden sich alle Religionen und Ideologien als untauglich erweisen. Eine Bestandsaufnahme zeigt, dass wir es in Deutschland, wie auch in vielen europäischen Ländern, mit Muslimen zu tun haben, die von divergenter kultureller und sozialer Herkunft sind. Diese Gegebenheit bestimmt oder beeinflusst zumindest ihre Denkstruktur und ihren Umgang mit Andersgläubigen. Dass die Aufgeschlossenheit dem Anderen gegenüber dem Bildungsniveau entspricht, gilt insbesondere für die erste Einwanderergeneration. Bei der zweiten Generation kann man eine bessere Aufgeschlossenheit feststellen. Bei der dritten Generation findet sich kaum noch ein Unterschied zu den Einheimischen. Diese Feststellung ist zwar durchaus als eine positive Entwicklung zu bewerten, man darf jedoch die Gefahren nicht unterschätzen, welche durch den Verlust der eigenen Identität entstehen können. Den Deutschen, welche bewusst zum Islam konvertiert sind, kommt dabei eine besonders wichtige Aufgabe zu, denn sie sind zum Islam, im Gegensatz zu den geborenen Muslimen, nach einem langen Prozess bewusst konvertiert. Sie gehen an den Islam mit einer völlig neuen, meist kritischen Denkstruktur heran, was eine wesentliche Bereicherung der islamischen Geisteswelt darstellt. Sie gelten, abgesehen von einigen wenigen Personen, als die bestge- eigneten Kulturvermittler zwischen Islam und Christentum. Unter den Islamvertretern in Deutschland gibt es viele identitätsbewusste aufgeschlossene Muslime, welche ihre religiös-gesellschaftliche Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen. Diese werden bedauerlicherweise oft als Konservative oder als Fundamentalisten abgestempelt und ihnen wird dadurch so gut wie kein Platz in den öffentlichen Massenmedien eingeräumt. Auf der anderen Seite gibt es einige muslimische Wissenschaftler, welche die Sprache der Neuzeit verstanden haben, sie bieten einen zurechtgebogenen Islam an und werden dafür als Islamexperten oder gar als Reformer vor allen in den Massenmedien aber auch von einflussreichen Politiker entsprechend hofiert. In Wirklichkeit können diese so genannten Islamexperten für den kulturellen Dialog und die erhoffte Integration am wenigsten beitragen, ganz im Gegenteil, sie stellen meines Erachtens einen wesentlichen Grund für die nicht zufrieden stellende Entwicklung der kulturellen gegenseitigen Verständigung in Deutschland. Dass der Islam in seiner theoretischen und historischen Konzeption von Grund auf offen und aufgeschlossen gegenüber fremden Kulturen ist, beweist u.a. zum einen die Tatsache, dass ohne die islamische kulturelle Aufgeschlos- 11 senheit Europa im Mittelalter von der griechischen Philosophie so gut wie nichts erfahren hätte, und zum anderen die Tatsache, dass einst unter islamischer Herrschaft gewesene europäische Länder nicht zum Islam zwangskonvertiert wurden, obwohl dies seitens der muslimischen Herrschaft möglich gewesen wäre. drang, diejenigen, welche fremdes Gedankengut, wie griechisches, persisches, indisches u.a., aus eigener Initiative erworben und ins Arabische übersetzt, weiterentwickelt und über Spanien und Sizilien nach Europa gebracht haben. Diese Tatsache bestreitet heute kein Fachwissenschaftler, weder im Orient, noch im Okzident. Die religiöse Legitimität dazu haben die Muslime neben zahlreichen Qur`anverse auch durch eine eindeutige Aussage des Propheten Muhammad, welche besagt: “Die Weisheit bzw. die Wahrheit soll das Ziel jedes Gläubigen sein, wo und wann er sie immer findet, muss er sie sich aneignen“. Kulturell waren die Muslime damals, getrieben durch ihren Wissens- Was erwarten deutsche Muslime? • Die Anerkennung des anderen in seinem Anderssein, d.h. nicht den Versuch zu unternehmen, aus dem anderen eine Kopie seiner selbst zu machen. • Jeder Versuch, den Islam zu verkirchlichen, soll unterbunden werden, stattdessen sollen demokratische Strukturen in den islamischen Vereinen und Dachorganisationen gefördert werden. • Integration zu fördern anstatt diese einseitig von Muslimen verbal zu verlangen. Ausgewogene, praktizierbare Integrationskonzepte zu entwickeln und die dafür erforderlichen Mittel zu gewährleisten. • Verhetzenden Beiträgen und veralteten Vorurteilen in vielen Massenmedien, Schulbüchern und sonstigen Schriften Einhalt zu gebieten und entgegenzuwirken. • Einen ernsthaften Dialog mit identitätsbewussten, also nicht mit zurecht gebogenen Gesprächspartnern und Opportunisten, um damit einen konstruktiven Dialog und keinen sinnlosen Monolog zu führen. • Globales, menschliches und gerechtes Denken bzw. konsequentes und verantwortungsvolles Handeln, insbesondere bei den religiösen und politischen Belangen der Muslime. • Muslime müssen sich nicht für jeden Terrorakt entschuldigen, der im Namen des Islam irgendwo auf der Welt geschieht, da solche Terrorakte ebenso von Christen, Juden und von Angehörigen sonstiger Religionsgemeinschaften begangen werden und diese nicht zu Entschuldigungen oder Distanzierungserklärungen aufgefordert werden, wie dies der Fall bei Muslimen ist. • Verbesserungsvorschläge für die aktuelle Situation der Muslime in Deutschland müssen in erster Linie zusammen mit den hier lebenden Muslimen besprochen und Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen gemeinsam gefunden werden. • Freiheit des Denkens und Erscheinens für alle Menschen muss garantiert werden, d.h. es dürfen keine kulturellen, geographischen und nationalen Grenzen für die Menschenrechte und Gleichheit aller Menschen gezogen werden. • Das Recht auf authentischen islamischen Religionsunterricht auf Deutsch durch fachlich ausgebildete LehrerInnen in den öffentlichen Schulen soll gewährleistet und auch finanziell aus eigenem Interesse unterstützt werden. • Eine eindeutige Loyalitätserklärung zum Grundgesetz und den geltenden Gesetzen in Deutschland, und nicht die nichtvorurteilsfreie Vorgeschichte einer Person oder die pauschale Vorurteilung einer Organisation, soll als eine akzeptable Grundlage für einen konstruktiven, unvoreingenommenen aber doch bedachten Umgang bzw. Neubeginn gelten. Was könnten Deutsche von ihren muslimischen Mitbürgern erwarten? • Vergangenheitsbewältigung und unbelastete Geschichtshintergründe sowie gegenwärtige Ko- 12 operationsmöglichkeiten optimal zu investieren. • Die uneingeschränkte Loyalität zur deutschen Verfassung und den geltenden Gesetzen in Deutschland. • Die Religion nicht als Vorwand für die Ablehnung des anderen zu missbrauchen. • Die religiösen Rituale (Gottesdienst) nicht als Vorwand für die Vernachlässigung der berufli- chen Verpflichtungen zu verwenden. • Die religiösen Ausnahmeregelungen in Anspruch zu nehmen, um den Ablauf des Berufs- und Gesellschaftslebens in Deutschland nicht zu stören. • Eigene Bedürfnisse und Belange nur mit Hilfe der in Deutschland geltenden Gesetze und Mittel anzustreben. • Die deutsche Sprache bestmöglich zu lernen und die deutschen Traditionen zu respektieren. Aufforderungen an alle Beteiligten: • Eine aufrichtige multikulturelle Identität, schonende Integrationspolitik, welche von allen Beteiligten getragen werden soll. • Den anderen verstehen und in seinem Anderssein respektieren darf dennoch nicht zum kritiklosen Nacheifern führen. Mit Vertrauen und Mut auf den anderen zugehen und versuchen, ihn zu verstehen. • Misstrauen auf beide Seiten abbauen und nicht durch übertriebene Vorsichtsmaßnahmen Angst erzeugen und Misstrauen verstärken. Die Balance zwischen Schutzmaßnahmen auf der einen Seite und Meinungsund Glaubensfreiheit auf der anderen muss gewahrt bleiben, anderenfalls würde der Freiraum für Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft langsam aber sicher unbemerkt zusammenschrumpfen oder ganz und gar schwinden. • Respekt und angstfreie Aufgeschlossenheit müssen in die Praxis umgesetzt werden. Religiöse und kulturelle Werte müssen in Taten umgesetzt werden, d.h. eine optimale Wort-Tat-Identifikation. • Nur mitten in der Gesellschaft und nicht an deren Rand müssen die Muslime leben und dadurch ein Teil der deutschen Gesellschaft sein bzw. werden. • Authentischer Religionsunterricht in deutscher Sprache soll erteilt werden. Die so genann- te religiöse Unterweisung u. ä. bieten keine überzeugende Alternative zum authentischen Religionsunterricht. • Spezielle islamische Belange, wie z. B. die Einführung des islamischen Strafrechts oder die Abschaffung des säkularen politischen Systems,welche ausschließlich in einer islamischen Gesellschaft durchdiskutiert werden sollen, dürfen seitens der Muslime in Deutschland nicht von der deutschen Gesellschaft erwartet werden. • Die negativen Erfahrungen, die Europa mit der Herrschaft der Kirche im Mittelalter erlebt hat, dürfen nicht ohne weiteres auf den Islam projiziert werden. Der Islam hat seine kulturelle Blütezeit im christlichen Mittelalter erlebt als die muslimischen Staatsoberhäupter bemüht waren, ihre Politik so weit wie möglich islamkonform zu gestalten. • Die muslimischen Dachorganisationen in Deutschland müssen ihren internen Streit überwinden und durch demokratische Strukturen einen Konsens über allgemein anerkannte Richtlinien finden sowie eine von allen Organisationen anerkannte Vertretung wählen, welche die Belange der Muslimen gegenüber den zuständigen politischen Institutionen in Deutschland vertreten kann. • Furchterzeugende manipulierte und manipulierende Massenmedien führen die Masse und demzufolge die Politik, die die Masse für ihre Wiederwahl braucht, in eine sehr gefährliche Richtung mit unabsehbaren Folgen. Diese Tatsache zu unterschätzen oder gar zu verdrängen ist langfristig selbstzerstörerisch. Man muss keinem Verschwörungswahn unterliegen, um anzunehmen, dass die Integration der Muslime im Westen im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen bestimmten Interessenmächten nicht recht ist. Die besonders gute Beziehung zwischen Deutschland und den islamischen Ländern, die sich bis jetzt bewährt hat, beunruhigt die vermeinten Interessenmächte. Wachsamkeit und verantwortungsvolles Handeln ist hier ein hohes Gebot. • Ständiges Misstrauen und Verdächtigungen zerstören Schritt für Schritt das gesellschaftliche Zugehörigkeitsgefühl und führen zwangsläufig zur Abkapselung von der Gesellschaft. Die Abkapselung von der Gesellschaft bietet fruchtbaren Boden und hochgradige Anfälligkeit für extreme Gedanken, die sich mit der Zeit zu einer Zeitbombe entwickeln und den gesellschaftlichen Frieden in große Gefahr bringen könnte, wenn sie nicht rechtzeitig durch besonnene Aufklärungs- und Überzeu- 13 gungsarbeit, und nicht durch die Peitsche, entschärft wird. • Die diesbezüglichen derzeitigen destruktiven Entwicklungen in Europa dürfen nicht unbemerkt zu einer ähnlichen Situation hinführen, die es in Deutschland in den dreißiger Jahren des 20. Jhs. gegeben hat. Der Islam und die Herausforderungen der Moderne bzw. der Postmoderne: 800 Jahre lang konnte sich der Islam mit den unterschiedlichsten Kulturen und veränderten Gegebenheiten auseinandersetzen und die allgemeine Lebensanschauung durch seine dynamischen juristischen Instrumente stets lenken oder zumindest stark beeinflussen. Die Dynamik der islamischen Urteilsfindung, z. B. „Der Konsens“ (Ijma), „Der Analogieschluss“ (Qiyas) und „Das allgemeine Interesse“ (Masalih mursala) sowie die islamische plu- ralistische Grundkonzeption macht jegliche Überlegungen zur Trennung zwischen Politik und Religion in einem islamischen Land überflüssig. Ein islamischer Staat ist keineswegs ein Gottesstaat, eine Theokratie verträgt sich nicht mit der islamischen politischen bzw. gesellschaftlichen Weltanschauung, denn die Primärquellen seiner Weltanschauung und Rechtssprechung, nämlich der Qur`an und die Sunna, stellen lediglich die Rahmenbedingungen und Richtlinien für eine pluralistisch verfasste Staatsordnung dar, der sich alle Muslime, einschließlich des Staatsoberhauptes unterordnen müssen. Es besteht also keine Vollmacht für irgendeinen Menschen im Namen Gottes über alle anderen zu richten. Ein Stammesvertreterrat (Schurarat = Parlament?) und ein von ihm akzeptierter Weisenrat (ahl al-hall wa l-`aqd) sind die einzigen legitimen islamkonformen Entscheidungsinstanzen bei allen Staatsangelegenheiten in Krieg und Frieden. Berührungsangst, das größte Hindernis? Die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John, schreibt in ihrem Vorwort zu „Islam und die Muslime – Geschichte und religiöse Traditionen“: „Obwohl der Islam über die ganze Welt verbreitet ist und inzwischen auch in Berlin die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bildet, herrschen über seine Glaubensinhalte immer noch recht abenteuerliche Vorstellungen. Das hat vielfältige Gründe. Die Religionsausübung der muslimischen Bevölkerung ist weitgehend der Öffentlichkeit entzogen, so dass man sich aus eigener Anschauung kein zutreffendes Bild machen kann. Was man zu wissen glaubt, bezieht sich nur auf Äußerlichkeiten, z. B. Kleidungs- und Essgewohnheiten. Nur wenige Menschen haben einen engeren Kontakt zu gläubigen Muslimen; Gespräche über Glaubensfragen stehen auch dann selten im Vordergrund. Stattdessen erfährt man aus den Medien häufig abstoßende Einzelheiten über die Aktionen muslimischer Glaubensfanatiker. Das trägt zur Aufklärung über den Islam nicht bei, im Gegenteil: Es führt zu Gefühlen von Angst und Abwehr“. Ausführlich über Angst und Abwehrstellung der Christenheit vor fremden Wahrheiten, einschließlich der des Islam, schreibt der ehemalige Nürnberger Kaplan, Dr. der Philosophie und Theologie, Jürgen Kuhlmann in seinem Buch „Ehrfurcht vor fremder Wahrheit“. Auf der islamischen Seite gibt es mindestens so viele Schriften, welche den Muslimen, oft zu Unrecht, Angst und Misstrauen gegenüber all dem, was aus dem Westen kommt, einflößen. Wie könnte man diesen Hindernissen entgegenwirken? Der authentische islamische Religionsunterricht ist, meiner Meinung nach, nicht nur die beste Vorbeugungsmaßnahme gegen die Verbreitung von Fanatismus und Extremismus, vielmehr fördert er sowohl eine binnenislamische als auch 14 eine gesellschaftliche Integration in Deutschland. Ein muslimischer Schüler, der in seiner öffentlichen deutschen Schule von einem ausgebildeten Islamlehrer den Islamunterricht in deutscher Sprache erhält, könnte niemals dem deutschen Staat, der ihm diesen religiösen Dienst gewährt und finanziert, feindselig gesonnen sein. Dazu würde der deutschsprachige Islamunterricht in den öffentli- chen Schulen, der gemeinsam von muslimischen SchülerInnen aus verschiedenen Ländern und Glaubensrichtungen besucht wird, die islamische Binnenintegration fördern und später eine einheitliche islamische Konstellation in Deutschland ermöglichen. Der Bedarf an privatem und undurchsichtigem Religionsunterricht würde damit sehr stark eingegrenzt und käme dem gesellschaftlichen Frieden und somit einer konstruktiven Identität und schonenden Integration zugute. • 35 Millionen Muslime in Europa müssen gleichberechtigt und menschengerecht integriert werden. • 570.000 muslimische SchülerInnen an deutschen Schulen dürfen nicht bei der Lehrplanaufstellung ignoriert werden. • Die islamische Religionsgemeinschaft stellt in Deutschland mit 3,2 Mill. die drittgrößte Religionsgemeinschaft dar und sie wird in der nahen Zukunft nicht kleiner. Ihre Kaufkraft und Sparguthaben bei Banken und Sparkassen dürfen nicht unterschätzt werden. • Gemäßigter Islamunterricht durch entsprechend ausgebildete Lehrkräfte an allgemein anerkannten islamischen Universitäten und öffentliche finanzielle Unterstützung für islamische Gemeinden sind nicht nur die besten Vorbeugungsmaßnahmen gegen fremde, manchmal extremistische Einflussnahme durch Untergrundorganisationen und fanatische Dogmen, sondern stellen ein Grundrecht der Muslime in Deutschland hinsichtlich der Tatsache dar, dass die muslimischen Arbeitnehmer, wie alle ihre deutschen Kollegen, Steuer- und Versicherungsbeiträge zahlen und daher ein Anrecht auf Kulturförderung aus öffentlichen Geldern haben. Österreich, Spanien, Belgien und Holland haben den Islam bereits in unterschiedlichen Formen anerkannt und den islamischen Religionsunterricht an den Schulen unterstützt. Warum ist dies in Deutschland immer noch so problematisch? Exkursion: Religiöse und historische Zeugnisse Als der Prophet Muhammad in Medina ankam und den ersten islamischen Stadtstaat gründen wollte, verfasste er die folgende Erklärung als einen göttlichen Bund, welcher die Beziehung zwischen allen in Medina lebenden Menschen festlegt: „Im Namen Allahs des Barmherzigen und gütigen Gottes. Dies ist eine Urkunde von Muhammad dem Propheten Gottes: „...Die Juden, unsere Mitbürger, genießen die gleiche Hilfe und Unterstützung. Der Friede Gottes ist ein einziger. Alle Verträge unter euch und mit ihnen müssen auf Gerechtigkeit und Gleichheit des Rechtes beruhen. Die Juden regieren sich nach den Gesetzen ihrer eigenen Religion, sie unterstehen ihren Oberhäuptern. Den Juden ihre Religion und den Muslimen die ihre! Unser Gott und ihr Gott ist einer. Juden und Muslime zahlen die gleichen Unkosten für das Allgemeinwohl. Sie helfen einander gegen jeden, der gegen die Leute dieser Urkunde kämpft. Die Leute dieser Urkunde helfen sich gegen jeden, der die Stadt überfällt. Den Quraischiten wird kein Schutz gewährt. Niemand, der in diesen Bund eingetreten ist, darf ihn brechen. Wahrlich, Gott erzürnt, wenn sein Bund gebrochen wird. Gott billigt diese Urkunden. Gott schützt jeden, der aufrichtig ist. Und Muhammad ist der Prophet Gottes.“ Paul Schwarzenau kommentiert dazu in seinem Buch „Korankunde für Christen“: „Die Urverfassung von Medina meint eine Staatsgründung von bewusst tolerantem und ökumenischem Charakter, Toleranz allerdings unter gleichzeitiger Hochgestemmtheit des religiösen Verhältnisses.“ Der deutsche Religionswissenschaftler Peter Antes schreibt zu dieser Medina-Urkunde in seinem Buch „Ethik und Politik im Islam“ folgendes: „Die Verfassung von Medina geht von einer Koexistenz zwischen Muslimen und Juden aus, wobei „den Juden ihre Religion und den Muslimen die ihre“ garantiert wird. Ähnliches gilt für den Koran, der „den Leuten des Buches“ (Juden, Christen, Zoroastrier) an vielen Stellen einen Sonderstatus einräumt.“ Die Qur`anverse, welche die Akzeptanz und den Respekt des Islam gegenüber Andersgläubigen in einer islamischen Gesellschaft belegen, sind zahlreich. Sie alle hier zu erwähnen ist überflüssig (s. u. a., S. 2/62,256; 4/123; 5/69; 18/29; 29/46). Um nicht zu theoretisch zu sein, halten wir uns an die Sunna des Propheten Muhammad, denn sie stellt den gelebten Islam dar. Der Prophet sagte: „Wen einer einem Schutzbefohlenen (Jude, Christ oder Zoroastrier) Unrecht tut, bin ich sein Gegner, wenn ich der Gegner von einem im Diesseits bin, werde ich auch im Jenseits sein Gegner sein“. 15 In einem anderen Hadith sagt der Prophet Muhammad: „Wer einem Schutzbefohlenen Unrecht tut, tut mir ebenfalls Unrecht, und wer mir Unrecht tut, wäre dies so, als hätte er Gott Unrecht getan“. Als die Muslime Khaibar erobert hatten, fand der Prophet Muhammad einige Exemplare von der Thora, daraufhin befahl er, sie den Juden zurückzugeben, und zwar aus der Überzeugung heraus, dass die Juden das Recht darauf haben, ihren Kindern ihre heilige Schrift zu vermitteln. Er tat dies im Sinne des Qur‘anverses: „Niemand darf gezwungen werden, gegen seinen Glauben zu handeln = „la ikraha fi d-din“ (Sure 2/256). Als die christlichen Stammesvertreter aus Najran zum Propheten Muhammad nach Medina kamen, um ihm zu sagen, dass sie zwar die islamische Herrschaft über ihr Gebiet akzeptieren aber nicht zum Islam konvertieren wollen, billigte er ihnen nicht nur zu, ihre Religion zu behalten, sondern ihr Pfingst-Gebet in seiner Moschee, der zweitheiligsten Stätte des Islam, zu verrichten. Er schloss mit ihnen auch ein Friedensabkommen mit dem folgenden Wortlaut: „Die Christen in Najran genießen den Schutz Gottes und Muhammads für ihr Vermögen, ihr Leben, ihr Land, ihre Religion, dies gilt ebenso für die Anwesenden sowie die Abwesenden, ihre Stämme, ihre Gebetsstätten und alles, was sie besitzen, ob wenig oder viel. Kein Fremder darf ihre Priester oder ihre Mönche absetzen.“ Als Omar Ibn Al-Khattab Jerusalem eroberte, unterschrieb er dem christlichen Patriarchen Sophrinus eine Sicherheitsurkunde, darin stand folgendes: „Dies ist eine Sicherheitsurkunde vom Gottesknecht Omar, Kalif der Gläubigen, für die Bewohner von Ilya (Jerusalem). Er garantiert ihnen die Sicherheit für ihr Leben, ihr Vermögen, ihre Kirchen, ihre Kreuze und alles, was ihre Religion anbelangt. Niemand darf ihre Kirche als Wohnhäuser verwenden, noch zerstören, noch berauben, noch verkleinern, noch ihre Kreuze schädigen, noch ihr Vermögen beeinträchtigen, noch sie an der Ausübung ihrer religiösen Rituale hindern noch ihnen auf irgendeine Weise Unrecht tun“. Nachdem `Amr Ibn Al-`Aas Ägypten von den Byzantinern befreit und den koptischen Patriarchen Benjamin aus seiner Verbannung geholt und ihn wieder auf seinen heiligen Stuhl hatte setzen lassen, schrieb er eine Urkunde für die Ägypter, darin stand folgendes: „Diese Urkunde ist von Amr Ibn al`Aas für die Ägypter. Sie genießen die Sicherheit für ihr Leben, ihre Religion, ihr Gut, ihre Kirchen, ihre Kreuze, ihr Land und ihre Gewässer. Niemand darf sich in ihre Angelegenheiten einmischen oder ihnen etwas wegnehmen.“ Omar Ibn Abd Al-`Aziz (Mitte des 8. Chr. Jh.) schrieb an alle seine Statthalter folgendes: „Ihr dürft weder eine Kirche noch ein Gebetshaus (Tempel) noch ein Feuerhaus (Zoroastrier Tempel) zerstören.“ Die politische Geschichte zeigt, dass sich die Muslime, abgesehen von einigen geringen Ausnahmen, an diese toleranten Richtlinien bis zum Ende ihrer wirklichen Machtperiode, nicht zuletzt in Südeuropa, wie in Spanien in Sizilien, gehalten haben. Der osmanische Sultan Suleiman Al-Qanuni (1529) war derjenige, der aus Spanien vor der Inquisition geflohene Juden in seinem Reich aufgenommen hat. Sie konnten unter seiner Herrschaft sogar hohe Staatsämter besetzen. Der jüdische Philosoph Musa ibn Maimun (Maimunides) in Ägypten ist nur ein Beispiel von vielen. Der bekannte deutsche Orientalist und Islamkenner Adam Metz (1917) geht in seinem Buch „Die islamische Zivilisation im 4. Th. H./10.Jh. Chr.“ sogar soweit, zu behaupten, „dass die Christen diejenigen waren, welche die wirkliche Macht in den islamischen Länder innehatten“. Ein so verstandener Islam dürfte in einer kulturell, religiös und politisch pluralistischen Gesellschaft wie Deutschland kein unlösbares Problem und noch weniger eine Gefahr darstellen. Christliche Ausführung Das Beispiel Ägypten: Offizielle und inoffizielle christliche Schriften aus allen christlichen Gemeinden in Ägypten äußern sich positiv zur Lage der christlichen Minderheit. Der berühmte christliche ägyptische Nationalführer 16 zur Zeit der englischen Besatzung, Makram `Ibaid Pascha (1889-1960), sagte im Namen der ägyptischchristlichen Gemeinschaft: „National gesehen sind wir Muslime, was aber die Religion betrifft, sind wir Christen. Gott! lasse uns dir gegen- über Muslime (Gottesergebene) und für unsere Nation Helfer sein. Gott! Lasse uns Helfer Deiner Sache (nasara lak) und unserer Nation ergebene Diener (Muslimun) sein“. Der heutige Patriarch der koptisch-orthodoxen Kirche Schenuda III, äußerte sich (in der Zeitung al-Ahram vom 6. März 1985) im Zusammenhang mit der Einführung der islamischen Schari‘a in Ägypten folgendermaßen: „Die Kopten fühlen sich unter der islamischen Schari‘a besser als sonst und genießen mehr Sicherheit. Genauso war es früher, als die Schari‘a für uns alle galt. Wir sehnen uns heute danach, denn für sie, die Muslime, und für uns Christen gelten die gleichen Rechte und Pflichten“. Der stellvertretende Patriarch der katholischen Kopten in Ägypten, Bischof Johann Qulta, schreibt in einem Vortrag im Rahmen der 9. Konferenz des Obersten Rates für islamische Angelegenheiten in Ägypten: „Aus islamischer Sicht darf jeder Mensch der Religion, der Glaubensgemeinde oder der Ideologie angehören, die er selbst auswählt. Er genießt die volle Freiheit, seine religiösen Rituale in der Öffentlichkeit wie im Privaten ungestört auszuüben. Ihm steht auch zu, konfessionsfrei zu leben, solange er die ihm gewährte Glaubensfreiheit nicht zum Nachteil der anderen Menschen missbraucht. Der Islam erlaubt keinen religiösen Zwang, auch wenn der Islam als die Staatsreligion in der Verfassung proklamiert ist“. Der bekannte islamische Rechtsgelehrte Imam as-Schafi’i, so Qulta weiter, „verbot dem muslimischen Ehemann mit seiner christlichen Ehefrau über ihre Religion zu sprechen, um jeden Verdacht auf Manipulation abzuwenden…“ Weiter sagt Bischof Qulta: „Ich bin völlig damit einverstanden, dass ich als christlicher Ägypter in der islamischen Kultur lebe, ich gehe sogar soweit, dass ich mich 100 % als Muslim in Bezug auf die Kultur fühle, ich gehöre zur islamischen Kultur, wie ich sie in der ägyptischen Universität gelernt habe. Ich lernte, dass der Prophet Muhammad den jemenitischen Christen erlaubt hat, ihr Pfingstgebet in der MedinaMoschee zu verrichten. Wenn die islamische Kultur soweit geht, einen Krieg zu führen, um einen Christen aus der Kriegsgefangenschaft zu befreien, und den Menschen zu dem Status des Gottes Vertreters erhebt, dann bin ich stolz darauf, dieser Kultur anzugehören. Kulturell gesehen sind wir alle Muslime“. Der Chríst Dr. Edward Al-Dhahabi, sagte in der gleichen Publikation: „Der Islam ehrt die Natur des Menschen, diese Erfüllung anerkennt keine Unterscheidung zwischen den Menschen, weder aufgrund des Geschlechts, noch der Religion, noch der sozialen Position. Der Mensch darf im Islam weder wegen seiner ethnischen Abstammung noch seiner Hautfarbe noch seines Glaubens noch seiner Religion benachteiligt werden. Diese völlige Gleichheit zwischen den Menschen“, so AdDhahabi weiter, „hat der Islam nicht nur unterstrichen, sondern zu einer unerlässlichen Pflicht jedes Menschen gemacht“. Der christliche Intellektuelle Ghali Schokri sagt: „Die islamische Kultur ist die grundlegende Identität der ägyptischen Kopten. Diese Tatsache muss die koptische Jugend beherzigen. Sie ist die wahrhafte Identität für uns alle…“. Diese authentischen positiven Äußerungen einiger der angesehenen ägyptischen Christen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass beidseitige gewaltvolle Überschreitungen zwischen den Anhängern beider Religionsgemeinschaften ab und zu bedauerlicherweise stattfinden, die aber durch die Sicherheitskräfte schnellstmöglich unterbunden werden. Belege aus der Statistik: Um die soziale Lage der Christen in Ägypten zu verdeutlichen, führe ich hier einige objektive ökonomische Statistiken an, die zwei nichtägyptische Christen, der Franzose Philip Fargue und der Libanese Rafiq alBustani, im Jahre 1994 unter der Überschrift „Die Kopten in Ägypten“ veröffentlich haben: Zwischen 1907 und 1937 stellten die Kopten 8 % der ägypt. Bevölkerung 1947 7,9 % 1960 7,3 % 1986 5,9 % Diese Zahlen weisen eine stets abfallende Tendenz auf und bedeuten, dass die Zahl der koptischen Bürger sich um die 3 Millionen von 60 Mill. bewegt. Der Anteil der 3. Mill. Kopten an der gesamten ägyptischen Wirtschaft sieht nach der o. g. Statistik folgendermaßen aus: 17 Sie besitzen: 22,0 % der gesamten Zahl der Firmen, die zwischen 1974 und 1995 gegründet wurden. 20 % der gesamte Bauunternehmungen 50 % der Beratungsbüros 60 % der Apotheken 45 % der privaten Arztpraxen 35 % der Mitgliedschaften in der amerikanischen und deutschen Handelskammer 60 % der Mitgliedschaften in der französischen Handelskammer 20 % der gesamten Zahl der Geschäftsmänner / Frauen 20 % der Investoren in den neuen Industriesiedlungen 25 % der angesehenen Berufe, wie Ärzte, Tierärzte, Apotheker, Ingenieure und Rechtsanwälte. Wie diese Statistik eindeutig zeigt, besitzen 5,9 % der Bevölkerung zwischen 35 -40 % der gesamten Wirtschaftskapazität des Landes. Auf dem Gebiet der religiösen Gottesdienststätten kommen nach einer Statistik von 1997 auf eine Kirche je 1250 Menschen, demgegenüber kommen auf eine Moschee je 1227 Menschen. Fachleute führen diese positive Entwicklung auf eine Aussage des größten ägyptischen islamischen Rechtsgelehrten Al-Laith Ibn Sa‘d (713-791) zurück, der eine entsprechende Fatwa (einen religiösen Rechtsspruch) verfasst hatte, nämlich, dass der Bau einer Kirche zur Entwicklung des gesamten Landes beiträgt. Der erste ägyptische Präsident, Gamal ’Abd Al-Nasser (1918-1970) förderte den Bau der größten Kathedrale in Ägypten, der MarkusKathedrale, mit einer finanziellen Unterstützung in Millionenhöhe. zweite bzw. dritte Generation der in Deutschland lebenden Muslime, die sich mehr als Deutsche fühlen und dazu die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sowie die deutschen Muslime sind mit den Christen in Ägypten in vielen Hinsichten vergleichbar. Außerdem leben die ägyptischen Christen neben den Muslimen als eine selbständige Religionsgemeinschaft. Nur die natio- nale Zugehörigkeit verbindet sie mit ihren muslimischen Mitbürgern. Schlussbemerkung Man könnte eventuell sagen, in Ägypten handle es sich zwar um zwei verschiedene Religionsgemeinschaften, die aber die gleiche Nationalität haben, was bekanntlich nicht der Fall bei den Muslimen in Deutschland ist. Sie haben zum größten Teil verschiedene Nationalitäten. Diese Betrachtungsweise übersieht, dass Religion und Nationalität nicht unauflöslich miteinander verbunden sein müssen. Die 18 Von außerordentlicher Bedeutung am Beispiel Ägypten ist das gemeinsame kulturelle Bewusstsein, was noch nicht bei den Muslimen in Deutschland der Fall ist. Darauf sind die unterschiedlichen Ergebnisse des Integrationsprozesses zurückzuführen. Statement Marieluise Beck Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Zwei Dinge möchte ich vorab sagen: Zunächst einmal müssen wir nüchtern feststellen, dass wir uns in Deutschland lange Zeit schlichtweg geweigert haben, zu realisieren, dass es Einwanderung gegeben hat. Deswegen haben wir viele Jahre bei der Gestaltung dieser Einwanderung verloren. Neben dieser Hypothek gibt es nunmehr in der Frage des Verhältnisses des Islam zum Christentum - oder zu einer teilweise christlichen Gesellschaft in Deutschland, auch darüber muss man ja sprechen - eine weitere Hypothek: Das ist die außenpolitische Entwicklung. Seit der iranischen Revolution 1979, seit dem Taliban-Regime in Afghanistan und nicht zuletzt seit dem 11. September ist natürlich die Diskussion über den Islam eine andere. Sie ist extrem überlagert von diesen außenpolitischen Entwicklungen. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Es wird hier keine fruchtbare Diskussion über den Islam geben können, ohne dass man diese Entwicklungen auch mit zum Thema macht. Ich meine dies nicht in dem Sinne, dass hier gesagt wird: Bitte Ihr deutschen Muslime, könnt Ihr Euch jetzt bitte mal von der Gewalt distanzieren. Mich hat auch noch niemand gebeten, dass ich mich bitte von der Gewalt der IRA in Großbritannien distanzieren sollte, ich wüsste nicht warum. Trotzdem ist dieses Umfeld absolut präsent. Wir sehen es jeden Tag in den Medien. Wir müssen uns auch mit diesem Umfeld auseinandersetzen. Zweite Vorbemerkung: Die Diskussion über den sichtbaren Islam ist im hiesigen gesellschaftlichen Umfeld schwierig. Der Islam in Deutschland ist zum Teil ein orthodoxer Islam, der in einer deutschen, sehr säkularisierten, teilweise sogar nur noch kulturell-christlichen, teilweise auch atheistischen Gesellschaft, als eine Provokation empfunden wird, wie vielleicht andere orthodoxe Religionsrichtungen auch. Viele der Auseinandersetzungen, die an dem Symbol „Kopftuch“ geführt werden, haben als eine darunter liegende Strömung nicht nur die Auseinandersetzung um Feminismus und Frauenrechte, sondern sie haben auch die Unterströmung: Was wollen die Religiösen, denen wir „endlich einigermaßen entkommen sind“, hier in Deutschland? Was wollen die jetzt hier noch mal von einer anderen Seite - und zwar jetzt über den Umweg des Islam - intervenieren in unsere modernen Gesellschaften? Und wenn man weiß, dass sich in Ostdeutschland nur noch ca. 20 % der Menschen dem Christentum zurechnen, haben wir es weitgehend mit einer Gesellschaft zu tun - und das ist sehr schmerzlich für die Kirchen -, die sich mit einer orthodoxen, einem gläubigen Sichtbarwerden einer Religion extrem schwer tut. Das ist, wenn man so will, fast ein Kulturschock, dass uns nun das Verschwinden des Religiösen so sichtbar noch einmal quasi als Spiegel vorgehalten wird, und dann noch von einer anderen Religion. Also auch diese Hintergrundfolie, dass wir es mit einer tendenziell areligiösen Gesellschaft zu tun haben, muss mit einbezogen werden, wenn wir fruchtbar darüber nachdenken: Was spielt sich eigentlich gesellschaftlich ab? Dann habe ich eine Bitte: Ich kann sie einfach hier nur abladen, denn wir werden noch viele Jahre miteinander diskutieren müssen. Ich glaube zunehmend und wünsche mir zunehmend, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich noch einmal die Mühe macht, in die Geschichte zurück zu blicken. Noch einmal ist der Blick darauf zu werfen, wie in Deutschland die Wanderung des orthodoxen Judentums - als eine Ge- 19 setzesreligion - stattgefunden hat, welche Konfliktlinien es da gegeben hat. In der Regel kam der Zuzug aus den osteuropäischen Städten in ein schon sich modern begreifendes Deutschland, in die Städte, vor allem nach Berlin. Weisen diese früheren Konfliktlinien nicht in gewisser Weise Parallelitäten auf zu den Konflikten, die wir heute mit dem Islam haben? Wir haben es wieder mit einer Gesetzesreligion zu tun, zum Teil auch mit der Orthodoxie einer Gesetzesreligion, die für sich religiös begründet: Kleidungsvorschriften, Speisevorschriften, Vorschriften der Zubereitung von Speisen, wie sie unserer Gesellschaft fremd sind und die an Konsensen rütteln, die wir in der Mehrheitsgesellschaft gefunden haben. Die Diskussion um das Schächten ist ein Beispiel dafür. Wir haben dann hier in Deutschland immer eine kleine versteckte Ecke, wo wir aus historisch schlechtem Gewissen heraus dem Judentum Möglichkeiten eröffnen, während man bei den Muslimen viel schneller bei der Hand ist, Grenzen zu setzen. Das haben wir bei der Diskussion um das Schächten gelernt. Ich wusste bis dato nicht, dass den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern das Schächten erlaubt ist, aber den moslemischen nicht. Und erst das Bundesverfassungsgerichtsurteil hat hier die Verhältnisse wieder gerade gerückt. Und als Letztes, immer noch als Vorbemerkung: Wir haben die Aufgabe und ich freue mich, dass Sie da sind, Herr Frisch (ehemaliger Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz), wir haben die Aufgabe, die Frage zu beantworten: Wie halten wir es mit dem Islam in Deutschland? Wir sollten das nicht dem Verfassungsschutz überlassen. Der Verfassungsschutz ist notwendig, kann hilfreich sein, soll gut und kompetent arbeiten, ohne Frage. Aber es geht auch um politische Fragen, und da ist der 20 Verfassungsschutz, seine Berichte, das, was er berichtet oder auch das, was er nicht berichtet, mit hinzu zu ziehen. Er darf aber nicht die entscheidende Instanz darüber sein, wie der Dialog mit dem Islam in unserer Gesellschaft ausgehen kann. Ich sage das deswegen so explizit, weil es in meiner Wahrnehmung immer eine leichte Tendenz aus dem Bundesinnenministerien heraus gibt, den Blick zu starr in Richtung Verfassungsschutz zu richten, wenn es um die Frage des Dialogs mit dem Islam geht. Und ein Allerletztes, und das sage ich hier auch sehr offensiv an die Vertreterinnen und Vertreter des muslimischen Glaubens: Die Diskussion wird nicht einfacher dadurch, dass wir es immer mit importierten Konflikten aus den Herkunftsländern zu tun haben. Das macht es sehr schwierig. Wenn zum Beispiel in der KopftuchDebatte nicht nur zwischen Mehrheitsgesellschaft und orthodoxer Muslima oder kultureller Muslima diskutiert wird, sondern wenn z. B. die innenpolitische türkische Debatte um die Fragen Kemalismus, oder wie weit sind die religiösen Parteien eine Bedrohung, oder wie weit ist unser Staatssystem dadurch bedroht, wenn dies mit einfließt und die Debatte vehement mit bestimmt, dann gibt es eine Verschiebung in der Wahrnehmung. Das sieht dann so aus, dass - und ich weiß, wovon ich spreche - Medienvertreter, die oft keine differenzierten Kenntnisse über den Islam haben, sondern Woche für Woche ihre Talk-Shows bestücken müssen, sagen: „Ach, da laden wir noch eine Muslima ein“. Die gehen davon aus, sie haben damit die Kronzeugin, die es ja wissen muss. Die kommt aus der Türkei. Und auf einmal haben wir es hier aber mit einer nationalen, innertürkischen Konfliktstruktur zu tun, die wir aber nicht so einfach nach Deutschland übertragen können. Und wir haben damit zu tun, weil die muslimische Einwanderung nach Deutschland, anders als die spanische, portugiesische, zum Teil auch griechische, italienische, nicht anknüpfen konnte an schon vorhandene Strukturen. Die religiöse Einbindung war für Italiener im Wesentlichen kein Problem, da die katholische Kirche in Deutschland bereits etabliert war. Anders war es für muslimische Zuwanderung. Es ist damit die Tendenz verbunden gewesen, sich nicht nur nach der Religion allein, sondern auch noch nach der nationalen Zugehörigkeit zu organisieren. Das hat ein Selbstverständnis hervorgerufen, nach dem ich nicht nur Moslem oder Muslima in Deutschland bin, sondern türkische Muslima, sunnitische oder schiitische Muslima. Wenn es dann noch um die Alewiten geht, wird das Feld noch komplexer. Das alles schwingt noch mit und jetzt habe ich schon ganz viele Minuten gesprochen und ganz viele Vorbemerkungen gemacht und Ihnen damit eigentlich nur dokumentiert, wie unendlich groß das Feld noch ist, das wir abschreiten müssen, und zwar gemeinsam. Wir haben noch sehr viel an Sortierungsarbeit im eigenen Kopf vor uns, aber auch in der Begegnung, bei ihnen und bei uns. Die notwendige Vermittlung in die Mehrheitsgesellschaft hinein habe ich für mich zusammengefasst in dem Schlagwort: „Den Islam einbürgern“. Ich bin dafür auch kritisiert worden. Es hat scheinbar das Missverständnis gegeben, das sollte bedeuten, der Islam sollte jetzt „deutsch“ werden und vielleicht sogar tendenziell christlich. Das war damit natürlich nicht gemeint. „Den Islam einbürgern“ heißt: Es geht um einen Islam in Deutschland, in einem demokratischen Rechtsstaat. Man kann auch sagen, um einen Islam in Europa, wenn das leichter verständlich ist. Das heißt aber auch: Mit dem Recht auf Differenz, denn die Religion, die religiöse Zugehörigkeit ist Differenz an sich. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen, und wir haben unendlich viele Jahre verpasst, das brauche ich jetzt nicht mehr zu wiederholen. Sehen wir uns einmal an, womit wir es in unserem eigenen Staatsverständnis zu tun haben. Die Kopftuch-Debatte ist, weil sie so symptomatisch gewesen ist, die Debatte, die sehr viel offen gelegt hat. Die zentrale Botschaft des Kopftuchurteils war: Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel aufgrund von Migration. Dieser Wandel fordert aktive politische Gestaltung und demokratische Entscheidung, das heißt, es kann nicht alles so bleiben, wie es ist. Das hört man nicht gerne als Mehrheitsgesellschaft. Und wenn das noch die sind, die „von außen“ kommen, hört man es noch viel weniger gerne. Schon die „von innen“ kommen und sagen, wir brauchen Veränderungen von Konsensen, werden ja nicht immer mit Freude empfangen. Man denke nur an den Krach in der Gesellschaft um Homosexualität, um nichteheliche Lebensgemeinschaften u. a. mehr. Aber natürlich ist es noch einmal prekärer, wenn eine Fragestellung quasi als „von außen kommend“ empfunden wird. Da ist es dann auch relativ egal, ob die Menschen dann tatsächlich die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder nicht. Frau Ludin ist ja eingebürgert, sonst hätten wir die Debatte um das Beamtenrecht gar nicht gehabt. Das Verfassungsgericht hat zwei Wege als Antwort eröffnet. Es hat gesagt, wir können uns für eine behutsame Fortsetzung unseres Verständnisses von Religionsfreiheit und staatlicher Neutralität im öffentlichen Raum entscheiden, also Lehrerinnen nicht allein wegen ihres Kopftuches vom staatlichen Schuldienst fern halten. Die Alternative wäre, den gesellschaftlichen Wandel auf Grund der zunehmenden religiösen Vielfalt zum Anlass nehmen, zu einer grundsätzlichen Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule zu kommen. Das hieße zukünftig, alle religiösen Erkennungsmerkmale bei Lehrerinnen und Lehrern zu untersagen. Staatliche Neutralität heißt nicht, alles Religiöse wird rausgehalten aus den staatlichen Institutionen, sondern staatliche Neutralität heißt: Der Staat ist gehalten, sich so zurückzuhalten, dass alle Religionen von ihm gleichermaßen respektiert werden. Das ist staatliche Neutralität, alles andere wäre ein falsches Verständnis, dass sich allerdings zum Teil derzeit aufbaut. Was nicht geht, ist zu sagen: Wir haben ein paar „gute“ religiöse Zeichen, die zu uns gehören, das sind die christlichen. In BadenWürttemberg wurde nach dem ersten Referentenentwurf ganz schnell noch nachgeschoben: “und die jüdischen natürlich auch….“. Dies war offensichtlich zunächst vergessen worden. Aber bei dem Kopftuch wird unterstellt: „Das Kopftuch ist definitiv ein politisches Symbol“. Diese Aussage halte ich für problematisch! Selbstverständlich darf man behaupten, dass es auch ein politisches Symbol ist. Das kann es auch sein. Aber definitiv zu sagen, das Kopftuch ist ein politisches Symbol, ist nichts anderes als das Anheizen einer antimuslimischen Stimmung in unserer Gesellschaft. Wir alle miteinander werden lange damit beschäftigt sein, um das wieder einzufangen. Soviel zum Kopftuch, doch zurück zu unserer Verfassung und dem Umgang mit Vielfalt. Einer der Grundgedanken des traditionellen Verständnisses unseres Verfassungsstaats ist Offenheit gegenüber Vielfalt, nicht die Unterordnung oder der Ausschluss des Fremden. Es muss Platz geben für christliche Bezüge im öffentlichen Raum, das haben Sie auch in einigen Schulverfassungen. Ich sage, und das auch sehr bewusst mit Blick auf unsere deutsche Geschichte: Religionen haben ihren Platz im öffentlichen Raum. Die Väter unserer Verfassung waren ja sehr geschichtsbewusst und natürlich hatten sie die Ausmerzung einer Religion in Deutschland präsent. Unser Asylrecht ist geprägt gewesen von diesem historischen Gedächtnis. Es ist also auch - und das kann man definitiv sagen - natürlich von den Vätern der Verfassung mitgedacht worden, dass es auch differente Religionen in unserer Gesellschaft geben soll. Natürlich konnte man damals nicht wissen, dass das Judentum wieder zurückkehren würde. Genauso wenig konnte man wissen, dass der Islam eines Tages zu uns kommen würde. Aber ich bin mir sicher, dass das Grundgesetz von einer Einheit stiftenden Idee getragen ist, einer Idee, die es in jedem Staatswesen geben muss. Diese Leitidee heißt nicht Homogenität, sondern die Einheit stiftende Idee ist das Recht auf Verschiedenheit und Differenz. Ein solches Recht ist das beste Integrationsprogramm. Denn es heißt Anerkennung, es heißt Respekt, es heißt Religionsfreiheit, es heißt Entfaltungsspielräume für diese Differenzen, für Religionen. Das heißt, es darf die Kippa getragen werden und sichtbar sein, niemand 21 darf deswegen diskriminiert werden. Das heißt auch, das Kopftuch muss sichtbar sein dürfen. Immerhin ist im Arbeitsrecht diese Frage ja positiv für das Kopftuch entschieden. Dies grenzt natürlich an den Bereich der Antidiskriminierung. Ich bin sehr gespannt, wie die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien, die nunmehr kommt, aussehen wird. Gerade die Feministinnen sagen: „Wir brauchen scharfe Antidiskriminierungsgesetze.“ Ich bin sehr gespannt auf die Debatte, wenn es beim Kopftuch um ein sowohl geschlechtspezifisches, wie eben auch religiöses Symbol geht. Ich möchte noch einmal auf Herrn Dr. Lefringhausen zurückkommen, der sagte: „Es gibt keine Alternative zum Dialog als eine vertrauensbildende Maßnahme.“ Und ich fand es wunderbar als er sagte: „Lasst uns auf beiden Beinen gehen. Wir brauchen einen Wandel durch Annäherung. Auf der anderen Seite aber durchaus auch die Politik der harten Abgrenzung“. Es hat überhaupt keinen Wert, hier rührselig drum herum zu reden. Wir wissen, es gibt „harte Kerne“ in Moscheen. Was an Freitagsgebeten aus manchen Moscheen herausdringt ist katastrophal, darf in Deutschland keinen Raum haben, und zwar gerade in Deutschland keinen Raum haben. Alles das, was Sie, Professor Elshahed, aus dem Koran und von Mohammed zitiert haben, der sagt, „sie alle gehören dazu“, auch die Juden, veranlasst mich zu der Frage, wie es sein kann, dass in so manchen Moscheen das Freitagsgebet offensichtlich doch deutlich antisemitisch und antiisraelisch ist? Und diese Frage ist zugleich eine Aufforderung an die Muslime in diesem Land. Das muss offen ausgesprochen werden, weil es keinen Sinn hat, 22 dass wir uns Honig um den Bart schmieren. Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir auch bereit sein, uns gegenseitig ein bisschen konfrontativ gegenüber zu stehen. D. h., wir brauchen Transparenz darüber, was sich hinter den Türen der Moscheen abspielt. Sie sind nicht alle gleich. Sie können nicht alle gegenseitig füreinander verantwortlich gemacht werden. Das ist mir auch vollkommen klar, wegen der Vielfältigkeit und der Pluralität und der fehlenden zentralen Organisationsstrukturen. Es muss eine ganz glasklare Abgrenzung zu Islamisten geben. Es muss klar sein, mit wem der Dialog geführt werden kann und mit wem nicht. Die muss politisch entschieden werden. Ein Wort in diesem Zusammenhang zu Milli Görüs: Der Innenausschuss des Deutschen Bundestags hat vor etwa zwei Wochen eine Anhörung zum Islam in Deutschland gemacht. Da trafen sich viele Islamismusexperten mit oft unterschiedlichen Positionen. Ich kann es nicht entscheiden, wessen Einschätzung zutreffend ist und wessen nicht, dazu fehlen mir die Kenntnisse im Detail. Aber, wenn Professor Schiffauer recht hat, dass es innerhalb von Milli Görüs einen Generationswechsel gibt, dass es eine Ausdifferenzierung gibt, dass das Hinterland in der Türkei sich verändert hat, weil die Erbakan - Partei nicht mehr die Rolle spielt, wenn das wirklich so sein sollte und wir weiterhin sagen: „Da haben wir 30.000 Extremisten schon mal fest gemacht“, dann verpassen wir eine Chance des politischen Dialogs. Dieser Dialog darf und muss konfrontativ sein, keine Frage. Aber zu sagen: Mit denen reden wir nicht, weil die im Verfassungsschutzbericht stehen, kann ich das Risiko nicht eingehen, dann werden wir ganz stumpf. Und wir werden eben auch stumpf gegen unsere eigenen Interessen. Wir werden ja wohl kaum um drei Millionen Muslime in unserem Land einen Zaun ziehen können und sagen können: Alles hoch gefährlich, haltet sie uns vom Leib! Abschließend noch ganz kurz etwas zu unserem Staatskirchenrecht. Denn das, was heute hier Thema ist und vorgestellt wird, ist ja nicht nur die allgemeine Frage des Dialogs, sondern ist auch die Frage: Welche Verfasstheit von Religion tritt uns denn gegenüber? Und das ist extrem wichtig für die Frage des Religionsunterrichts. So wie das in Berlin gelaufen ist, das dann eine, ich sag mal, „gewitzte Organisation“, die die sogenannte Bremer Klausel geschickt zu nutzen wusste, zum Gericht läuft und damit den Pokal davon trägt und alle haben ein ungemütliches Gefühl dabei, so sollte es nicht laufen! Also: Worauf kann es hinauslaufen? Es kann nicht dabei stehen bleiben, dass das, was bei uns im Grundgesetz festgelegt ist, ausgehend von der Struktur der christlichen Kirchen mit ihrer Verfasstheit als Körperschaften des öffentlichen Rechts, dass das so ist und eben auch die nächsten 100 Jahre so bleiben muss. Zugewandert ist eine Religion, deren Strukturen zu dem, was die Väter und Mutter des Grundgesetzes sich damals gedacht haben, nicht mehr passt. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken, ob es jenseits der Körperschaft des öffentlichen Rechts als Religionsgemeinschaft, andere Formen der Anerkennung einer institutionellen Verfasstheit gibt. Dafür gibt es noch keine klaren Bilder. Es ist eine Aufgabe der nächsten Jahre, diese zu entwickeln. Ich sage noch mal, weil man sich ja immer absichern muss, dass man gut auf dem Boden des Grundgesetzes steht, also bitte, ich sage hier noch mal: Das soll keine kulturrelativistische Anpassung bedeuten. Das Grundgesetz in seiner Substanz ist absolut nicht zu hinterfragen. Trotzdem müssten wir doch, wenn wir drei Millionen Menschen muslimischen Glaubens haben, der Frage nachgehen, ob wir mit den traditionellen staatskirchlichen Formen nicht doch jetzt einen Schritt weiter gehen müssen, um eine geregelte Kooperation von Staat und Islam zu ermöglichen. Wir brauchen einen verlässlichen Kooperationspartner. Es geht nicht, dass ich, wenn ich im Arbeitsstab der Beauftragten sage: „Lasst uns wieder einen Runden Tisch machen“, zu hören bekomme. „Wen laden wir denn ein?“ Den Zentralrat der Muslime? Dann sagt Herr Beckstein: „Da sitzen aber die Muslim-Brüder drin!“ Milli Görüs? Da kriege ich ganz, ganz kalte Füße, weil ich da ja, folge ich dem Verfassungsschutzbericht, 27.000 Extremisten ins Haus lade. Das geht nicht. So kann man sich politisch nicht bewegen! Wir brauchen Transparenz, wir brauchen verlässliche Gegenüber. Und dazu muss es auch eine innere organisatorische Verfasstheit von Muslimen geben, die uns als Gegenüber dient. Sie werden mir vielleicht anmerken, dass dieses Thema, diese Auseinandersetzungen, mir wirklich unter die Haut gehen. In was für einer Situation und was für einer Zeit befinden wir uns im Moment? Ich bin besorgt, dass die Zeit uns ein Stück davon läuft. Ich sehe, wie viel Porzellan zerschlagen wird. Ich sehe die Sprachlosigkeit, ich beobachte mit Sorge, dass die Politik sich lieber auf der sicheren Seite bewegt und sich lieber zurückhält, statt den auch immer risikoreichen Dialog zu führen. Das wird aber kein Weg in eine Gesellschaft sein, die pluralistisch ist, die Bürgerinnen und Bürger anderen Glaubens hat, die zu uns gehören sollen und die auch ihre geistigen Wurzeln in anderen Ländern behalten. Es geht um die „Einbürgerung“ des Islams und dazu brauchen wir Transparenz von ihrer Seite, von den Muslimen. Alle die, die sich auf den risikoreichen Weg begeben, mit ihnen in einen offenen Dialog zu gehen, brauchen als ihre Gegenleistung ein hohes Maß an Transparenz. Das ist, ich sage das hier ganz offen, der Schutz, den wir brauchen. Und ich freue mich, dass das heute hier ein Anfang ist, bedanke mich bei den Grünen hier in NordrheinWestfalen und ich wünsche mir, dass wir auf Bundesebene das in dieser Weise konstruktiv weiterführen. 23 Themenforum 1: Diskussionsleitung: Johannes Remmel, MdL Islamische Gemeinschaften und Staatgibt es Wege zu verbindlichen Vereinbarungen? Referent: Prof. Janbernd Oebbecke, Universität Münster Erlauben Sie mir, mit ein paar allgemeinen Bemerkungen zur Rolle von Organisationen und Verbänden im Verhältnis zum Staat zu beginnen. Weil sie allgemein sind, gelten diese Bemerkungen auch für religiöse Organisationen. Der Staat ist darauf angewiesen, dass sich Interessen organisieren. Die Zusammenarbeit mit Organisationen leistet aus seiner Sicht dreierlei: Er erhält Informationen von ihnen, die Zusammenarbeit mit ihnen schafft Legitimation und in gewissem Umfang disziplinieren Organisationen ihre Mitglieder auch, denn ihr Einfluss, ihre Verhandlungsmacht wächst, wenn sie halbwegs glaubwürdig ein bestimmtes Verhalten ihrer Mitglieder in Aussicht stellen können. Allerdings gibt es Verbände unterschiedlichen Stellenwerts. Besonders einflussreich sind diejenigen, die in ihrem Bereich einen hohen Organisationsgrad aufweisen, je näher an 100%, desto besser. Wichtig sind aber auch Verbände, die nur einen kleineren Teil der potentiellen Mitglieder organisieren, wenn es nämlich keine anderen gibt. Denn nur sie können spezielle Interessen überhaupt artikulieren; ohne sie hätte man keinen Ansprechpartner. Dass manche Interessen schwerer zu organisieren sind, macht sie deshalb nicht unbedeutend. Damit sind wir schon mitten im Thema „Islamische Verbände“ Religiöse Organisationen werden in weiten Bereichen durchaus als Verbände wie andere aktiv. Wenn es etwa um die Ladenschlusszeit am Wochenende geht oder die Ganztagsschule, werden sie angehört. Rechtlich ist das aber nichts anderes als die Anhörung etwa der Gewerkschaften oder der Arbeitgeberverbände. In wichtigen Bereichen geht ihre Rolle aber darüber hinaus. Beim Religionsunterricht oder der Seelsorge in Strafanstalten geht es nicht ohne 24 sie. Der Staat darf nicht in eigener inhaltlicher Verantwortung Religionsunterricht anbieten und er darf nicht im Gefängnis Gottesdienst halten. Er darf es nicht, weil die Religionsfreiheit und das Gebot der Nicht-Identifikation mit einzelnen Bekenntnissen es ihm verbieten. In dem Fraktionsbeschluss “Eckpunkte zur Instutionalisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Muslimen“ sind eine Reihe von Handlungsfeldern genannt, auf denen Kooperation zwischen Staat und Muslimen nützlich sein können. Wenn es um Religionsunterricht oder um religiöse Ansprechpartner in den Gefängnissen geht, braucht man Religionsgemeinschaften als solche; die Regelung der Schulpflicht und wohl die Schaffung von Gebetsmöglichkeiten im Krankenhaus sind Dinge, die der Staat allein entscheiden kann. Hier ist eine Mitwirkung muslimischer Organisationen nützlich, die rechtlich aber Verbände sein können wie andere auch, nicht Religionsgemeinschaften sein müssen. Das ist wichtig, weil der Staat sich um die Verhältnisse der Verbände, mit denen er zusammenarbeitet, nicht groß kümmert. Es reicht, wenn sie den Anforderungen des Vereinsrechts entsprechen. Das ist bei den islamischen Verbänden ja unzweifelhaft der Fall. Soweit es also um die Kooperation mit islamischen Organisationen als Verbänden geht, gibt es keine besonderen Schwierigkeiten. Man muss sich nur ebenso wie bei anderen Verbänden auch politisch darüber hinwegsetzen, dass der Organisationsgrad nicht bei 100% liegt. Immerhin sprechen die Verbände jeweils für eine ganze Menge Mitglieder. Dagegen sprechen diejenigen, die in Interviews, Leserbriefen und bei Podiumsdiskussionen darauf hinweisen, in den Verbände sei nur eine Minderheit der Muslime organisiert, nur für sich; die Sache ist ihnen auch nicht so wichtig, dass sie sich selbst organisatorisch engagieren. Wo man eine Religionsgemeinschaft braucht, ist es deutlich komplizierter, und es ist rechtlich eben auch anders als in Spanien, Frankreich oder Österreich. Es ist nämlich inzwischen ganz schwer, wenn nicht unmöglich, zu sagen, wie man eine islamische Religionsgemeinschaft organisieren könnte. Darüber wird vor allem am Beispiel des Religionsunterrichts gestritten. Es hat auf Seiten der Muslime nicht an der entsprechenden Bereitschaft gemangelt, doch wer immer auch auftrat, immer fehlte es an irgendeiner Voraussetzung, die angeblich zwingend erfüllt sein muss. Niemand sagt einmal verbindlich, welche Voraussetzungen das nun wirklich sind. Man hört nur ein mehr oder weniger entschiedenes „so nicht“. Die Debatte hat sich völlig verselbstständigt und die Argumente haben nichts mehr mit der Realität bei anderen Religionsgemeinschaften, mit denen der Staat beim Religionsunterricht kooperiert, zu tun. Das VG Düsseldorf etwa hat bei den islamischen Verbänden eine „hinreichende Legitimation durch natürliche Personen“ vermisst, die „erforderliche Legitimationskette“ zwischen dem einzelnen Gläubigen und dem Dachverband. Als Katholik finde ich die Forderung, die Sprecher einer Religionsgemeinschaft müssten über eine Legitimationskette durch natürliche Personen, also gewissermaßen von unten nach oben, legitimiert sein, fremdartig und ziemlich abwegig. Eine gerichtliche Klärung der Anforderungen, welche ein islamischer Verband erfüllen muss, damit er Religionsgemeinschaft ist, kann noch lange dauern. Das hängt auch damit zusammen, dass Gerichte nicht die Funktion haben, positiv formulierte generell geltende Anforderungskataloge aufzustellen, sondern dass sie Einzelfälle entscheiden. Generell-abstrakte Regelungen zu treffen ist Sache der Politik. Diese ist gefordert. Aber was kann sie tun? Der erwähnte Fraktionsbeschluss sieht den Weg über vertragliche Vereinbarungen vor. Ganz unabhängig davon, ob der Vorschlag Erfolg haben wird und wie man die Einzelheiten beurteilt: Aus drei Gründen ist das ein wichtiger und mutiger Vorschlag, der die Debatte in Deutschland entscheidend voranbringt. Erstens: Der Beschluss formuliert die entscheidende Frage: Wie können eine oder mehrere islamische Religionsgemeinschaft zustande gebracht werden? Zweitens adressiert er sie richtig, nämlich an den Staat und an die Muslime. Die Muslime mussten sich bisher so vorkommen wie der Hase in dem Märchen. Immer wenn sie unter Anstrengungen und Mühen an einer Stelle ankamen, stand da der Igel und sagte: So geht es nicht. Der Religionsunterricht zum Beispiel ist aber keine Gnade, die der Staat gewährt, sondern ein Angebot, für das er den Schülern gegenüber in der Pflicht steht und bei dem er mindestens daran mitwirken muss, dass Klarheit über Anforderungen an seine Partner besteht. Drittens wird der Blick über Rhein und Weser ausgeweitet und deutlich, dass es anderswo nicht nur sehr ähnliche Probleme gibt, sondern erstaunlicherweise auch Lösungen, Lösungen, wie vielleicht nicht perfekt sind, aber doch ganz passabel funktionieren. Die Antwort auf die richtig gestellte Frage muss berücksichtigen, was rechtlich geht. Weil die Probleme auch wissenschaftlich bisher wenig aufbereitet sind, ist das Terrain in Teilen unsicher und wer antworten will, wird ein gewisses Risiko auf sich nehmen müssen. Die Lösung muss rechtlich umso belastbarer sein, je stärker sie politisch im Streit gefunden wird. Wenn alle oder wenigstens die wichtigen Kräfte auf beiden Seiten einig sind, kann man sich weiter auf rechtlich unsicheres Terrain vorwagen. Eine Antwort wäre Gesetzgebung. Man kann sich fragen, ob man nicht gesetzlich vorgeben kann, welchen Anforderung eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 III GG in Nordrhein-Westfalen erfüllen muss. Bei anderen verfassungsrechtlichen Begriffen halten wir das auch für möglich. Das wäre eine Option, der man nachgehen könnte. Die Spanier sind wohl diesen Weg gegangen, in dem sie in einem Gesetz über religiöse Freiheit gesetzlich die Voraussetzungen bestimmt haben, unter denen eine Gemeinde registriert werden kann. Ein Gesetz hat den Vorteil, dass es ein anders nur schwer erreichbares Maß an Rechtssicherheit schafft. Man könnte auch überlegen, für bestehende Organisationen durch Gesetz festzulegen, dass sie wie Religionsgemeinschaften behandelt werden. Auch dafür gibt es Vorbilder. Gesetzgebung könnte auch eine Lösung für ein Problem sein, das beim Religionsunterricht eine Rolle spielt und die gesamte Debatte mitbestimmt; der Staat weiß nicht, wer Muslim ist und ob und ggf. welchem Verband er sich zurechnet. Nach dem Meldegesetz des Landes speichern die Meldebehörden die Daten über die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Man kann darüber nachdenken, hier eine Speicherungsmöglichkeit für Muslime vorzusehen. Wenn man das täte, hätten Staat und Muslime vernünftige Daten über die Zugehörigkeit des 25 Einzelnen zu Organisationen, auch über deren Stärke. Ohne gesicherte Informationen darüber, stößt man etwa auch beim Minderheitenschutz an Grenzen. Allein damit hätte man aber keine Religionsgemeinschaft. Der Fraktionsbeschluss schlägt nun nicht gesetzgeberische Maßnahmen vor, sondern eine Vereinbarung, die offenbar nach spanischem Vorbild mit den bestehenden islamischen Verbänden abgeschlossen werden soll. Unklar ist bisher, wer sie auf staatlicher Seite abschlösse. Im Vergleich zum Gesetz haben Vereinbarungen den Nachteil, dass sie nur diejenigen binden, die sie geschlossen haben. Dritte müssen sich nicht daran halten. Das bedeutet, eine islamische Organisation, die nicht mitmacht, kann dennoch behaupten, sie sei Religionsgemeinschaft und es stünden ihr die entsprechenden Rechte zu, und damit kann sie durchaus im Recht sein. Es bedeutet auch, dass jede öffentliche Stelle, die nicht Vertragspartner ist, ebenfalls nicht daran gebunden ist. Gemeinden etwa könnten sagen, egal was das Land da vereinbart, ich sehe keine Religionsgemeinschaft. Das könnte etwa für den Gottesdienst in kommunalen Krankenhäusern bedeutsam sein. Die Frage spielt bei unserer vergleichsweise zerklüfteten Staatlichkeit durchaus eine Rolle. Vereinbarungen haben aber auch einen Vorteil; sie sind von dritter Seite allenfalls ganz schwer juristisch angreifbar. Bevor ich auf das vorgeschlagene Modell näher eingehe, eine Vorbemerkung: In dem Beschluss ist die Rede von den Mindeststandards, die für die registrierten Moscheegemeinden gesetzt werden sollen, “vor allem Bekenntnis zum Grundgesetz und zu den Strafgesetzen“. Auch das lehnt sich an das spanische Vorbild an. Über Mindeststandards lässt sich 26 reden, etwa was die Ausgestaltung der Organisation angeht. Für die ganz breite Mehrheit der Muslime und ihrer Organisationen ist das Bekenntnis zum Grundgesetz oder zum Strafgesetzbuch aber überflüssig, weil sie sich daran genauso selbstverständlich halten wie alle anderen auch. Den sehr wenigen anderen, wenn sie denn Interessen haben, bei einem solchen Modell mitzumachen, dürfte ein solches Bekenntnis nicht schwer fallen; es verpflichtet zu nichts, was nicht ohnehin verbindlich wäre, und Papier ist geduldig. Es mutet ein wenig merkwürdig an, dass im Zusammenhang mit der Schaffung einer religiösen Organisation ein Bekenntnis zu rechtlichen Bindungen verlangt wird, die ohnehin für jedermann gelten. Ähnlich merkwürdig mutet die Passage über die “Höchstquoten für ethnische Mehrheiten“ an. Schon logisch kann es nur eine Mehrheit, nicht Mehrheiten geben. Unter den Muslimen gibt es nur eine ethnische Mehrheit, und die ist türkisch. Wir haben drei große Verbände von Muslimen, die praktisch ausschließlich türkisch geprägt sind, DITIB, VIKZ und IGMG. Offenbar soll der Einfluss dieser Verbände und der türkischstämmigen Muslime überhaupt begrenzt werden. Was heißt “ethnisch“? Geht es um die Nationalität? Wie gehört man nach einer Einbürgerung der „ethnischen Mehrheit“ noch an? Würde hier nicht gegen Artikel 3 III GG verstoßen, der Benachteiligungen und Bevorzugungen u.a wegen Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft verbietet? Das Anliegen des Minderheitenschutzes ist berechtigt, ja ganz unverzichtbar. Höchstquoten sind aber ein ganz ungeeignetes Mittel. Ich komme darauf zurück. Vorher will ich aber auf das Wahlverfahren eingehen. Wie es ausgestaltet werden muss und ob es funktionie- ren kann, hängt davon ab, was es leisten soll. Der Fraktionsbeschluss spricht von “demokratisch legitimierten Ansprechpartnern“. Das muss konkretisiert werden. Genügt es, dass die Wahlberechtigten in geheimer Wahl frei einen Vertreter wählen können? Damit geht man schon deutlich über das hinaus, was nach Vereinsrecht gilt. Oder sollen ähnliche Standards gelten wie etwa bei den Kommunalwahlen? Wer das will, muss sicherstellen, dass jeder nur in einer Moscheegemeinde seine Stimme abgibt und dass nur in Nordrhein-Westfalen ansässige Muslime mitwählen. Dezentrale Wahlen in den Moscheevereinen allein, sie können so sauber durchgeführt werden, wie das nur geht, können das beim besten Willen nicht sicherstellen. Wenn man einen solchen mit staatlichen Wahlen vergleichbaren Standard sicherstellen will, kann ich mir eine Lösung ohne Mitwirkung der Wohnsitzgemeinden nicht vorstellen. Dabei sind verschiedene Wege denkbar: Will man keine Gesetzesänderung, kann man mit einer Bescheinigung arbeiten, dass die Personen auf der Wählerliste in der Gemeinde gemeldet sind. Es fallen dann Kosten für eine Melderegisterauskunft nach § 34 MG NRW an. Soll die mehrfache Stimmabgabe verhindert werden, genügt das aber nicht; alle Wählerlisten müssen zusammengeführt und zentral abgeglichen werden. Damit das datenschutzrechtlich zulässig ist, muss jeder mit seiner Eintragung in die Wählerliste sein Einverständnis damit erklären. Der Abgleich muss rechtzeitig vor den Wahlen abgeschlossen sein. Einfacher ist es, wenn die Gemeinde auf Antrag einmal einen Wahlausweis ausstellt, der zur Wahl berechtigt und bei der Wahl abgegeben wird. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Regelung; dabei ist das neu eingeführte Konnexitätsprinzip in Art. 78 Lverf zu beachten. Noch einfacher ist es, wenn man die Wahl zentral als Briefwahl durchführt; Vorraussetzung wäre ein Antrag, in einer bestimmten Moscheegemeinde zu wählen; den könnte der Einzelne stellen; aber auch mit seinem Einverständnis der Verein. Wird damit eine datenschutzrechtliche Einverständniserklärung verbunden, könnte durch Datenabgleich zentral mit dem Melderegister abgeglichen und festgestellt werden, dass jeder nur einmal wählt. Spätestens hier entstehen nicht ganz unerhebliche Kosten. Man darf auch nicht vergessen, wie die Moscheegemeinden tatsächlich aussehen. Das sind Vereine, die von Menschen gegründet worden sind und überwiegend noch heute getragen werden, die Arbeitnehmer sind oder kleine mittelständische Betriebe leiten. Die Vereine ähneln den frühen Organisationen der Arbeiterbewegung oder Kolpingvereinen: starke Identifikation mit der Sache, hohes Engagement und absolute Ehrenamtlichkeit, da wo Einzelne berufliches Wissen und Fertigkeiten einbringen können auch Professionalität, aber natürlich auch Unsicherheiten in Formalia, in manchen Punkten Unkenntnis von Zusammenhängen, Abhängigkeit von den Aktivitäten Einzelner usw. Was man von den Vereinen verlangt, sollte möglichst unkompliziert sein und das gesamte Verfahren muss fehlertolerant sein. Ich darf daran erinnern, dass bei der Vorbereitung der Kommunalwahl eine wichtige demokratische Partei mit einem hauptamtlichen Apparat in einer Großstadt eine fehlerhafte Reserveliste beim Wahlamt eingereicht hat. Zur Wahlberechtigung: Eines der Probleme, wenn man über islamische Organisationen wie Moscheevereine spricht, liegt darin, dass man wenigstens drei Personenkreise unterscheiden muss: Da sind zuerst die Mitglieder des meist eingetragenen Vereins. Wegen der Geschichte dieser Vereine sind das häufig nur wenige Leute und es sind ganz überwiegend Männer und zwar Familienväter. Zum Verein gehören zwar nicht juristisch, aber praktisch auch die Familien, häufig auch weitere Personen, die regelmäßig mitarbeiten. Schließlich gibt es einen manchmal sehr großen Kreis von Leuten, welche die Moschee an Freitagen und vor allen Dingen an Festtagen und im Ramadan zum Gebet besuchen oder auch sonst an Aktivitäten teilhaben. Wenn der Fraktionsbeschluss von einer Wahl anhand von Wählerlisten spricht, wird damit wohl versucht, über den Kreis der Vereinsmitglieder selbst hinauszugehen; diese haben ja eine Mitgliederliste und einen nach Vereinsrecht gewählten Vorstand und müssten nicht eigens wählen, und wenn sie wählen wollten, könnten sie das in einer Mitgliederversammlung tun. Offenbar sollen Wähler und Wählerinnen also auch aus den beiden weiteren Kreisen der Nicht-Mitglieder kommen. Allerdings verstehe ich das so, dass der Moscheeverein einverstanden sein muss; das scheint mir vernünftig zu sein. Zurück zum Minderheitenschutz. Offenbar geht es hier nicht um die Nationalitätenfrage sondern wohl eher um anders definierte Minderheiten. Möglicherweise geht es um die an den Rändern des Spektrums, die sog. Kulturmuslime ohne jede Bindung an eine Moscheegemeinde oder um Gruppen spezifischer religiöser Ausrichtung. Man wird durch ein solches Wahlsystem jemanden nur erfassen können, wenn er sich beteiligen will. Man wird keine Organisation daran hindern können, sich zu beteiligen, die nicht verboten ist. Allein schon die Wahl der Vertreter in den Moscheegemeinden wird sicherstellen, dass in erheblichem Umfang Minderheiten repräsentiert sein werden. Minderheitenschutz kann meines Erachtens nicht schon auf der Ebene der Wahlberechtigung ansetzen. Er muss durch Entscheidungsregeln in der Versammlung sichergestellt sein; dass die Basis für ihre Stellungnahme möglichst breit ist, darauf kommt es an. Das kann man durch Beschlussfähigkeits- und Mehrheitsanforderungen tun, die auch nach Themen abgestuft sein können. Bestimmte Beschlüsse bedürfen einer Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit. Auch die Repräsentanten sollten sich auf eine breite Mehrheit stützen; auch dafür kann man Regeln entwickeln. Vorbilder gibt es genug. Ich frage mich allerdings, ob der ganze Aufwand gerechtfertigt ist. Es gibt ja auch noch eine ganz andere Lösung, die nichts kostet, sehr schnell geht und deren Risiken sehr überschaubar sind: Die nordrheinwestfälische Politik fasst sich ein Herz und nimmt eine andere Rechtsauffassung ein als die Gerichte - die Finanzämter tun das jeden Tag - und betrachtet die bestehenden Verbände als Religionsgemeinschaften. Das kann man auch versuchsweise für acht bis zehn Jahre tun und man könnte es mit Erwartungen an die Verbände verbinden. Ich rechne damit, dass die Verbände sich dann zusammenfinden würden, um etwa einen einheitlichen Religionsunterricht zustande zu bringen, 27 der breite Akzeptanz hat. Gerade weil der Organisationsgrad nicht sehr hoch ist, muss das Angebot ja auch die nicht organisierten Muslime überzeugen. Wenn sich die Verbände nicht zusammenfinden, wird der eine oder der andere schon Schwierigkeiten bekommen, die Abstimmung mit dem Land inhaltlich und personell zu schaffen und es wird an vielen Stellen Probleme geben, für den jeweiligen Unterricht die gesetzliche Mindestzahl der Schüler zusammen zu bekommen. Die vorübergehende Anstrengung, die mit diesem Vorgehen der Politik und den zuständigen Behörden abverlangt würde, würde dadurch belohnt, dass in der Sache endlich Fortschritt eintritt und die notwendigen Klärungsprozesse auf muslimischer Seite in Gang kommen oder forciert werden. Was leisten gesetzgeberische Lösungen und was leistet die Vereinbarungslösung zusätzlich oder anderes, was durch eine schlichte politische Entscheidung nicht erreicht würde, und rechtfertigt das Kosten und Mühen eines solchen Vereinbarungsverfahrens? Vielleicht kann man darüber noch einmal nachdenken. braucht dies, um Vereinbarungen treffen zu können, die Größe der bisherigen Verbände sei aber durchaus schon ausreichend. Die Verbände würden nach dem Vorschlag der grünen Fraktion auf den ersten Blick eine nachrangige Rolle spielen, dies ist aber nicht das Anliegen des Vorschlags und müsse auch nicht zwangsläufig so sein. Durchaus erwünscht sei aber eine Abnabelung der Verbände von den Herkunftsländern, es müsse etwas Eigenes geschaffen werden und die Herkunftsorientierung der Verbände ersetzen. Die bisher sehr zurückhaltende Reaktion der Verbände auf den Grünen Vorschlag sei verständlich, die Wahrung ihrer speziellen Interessen sei aber auch in einem anderen organisatorischen Rahmen möglich. Aus der Diskussion: Auf die Frage warum man keine bundesweite Lösung anstrebt, wird auf die Kulturhoheit der Länder verwiesen. Nur die Länder können verbindliche Vereinbarungen mit Religionsgemeinschaften schließen, was auch finanzielle Zuwendungen beinhaltet. Der Staatsvertrag der Bundesrepublik mit dem Zentralrat der Juden sein daher eher historisch als verfassungsrechtlich begründet, er beweise aber, dass mit einem Stück Mut und der Einsicht in eine gegebene Notwendigkeit eine politische Mehrheit auch für ein Anliegen möglich ist, die verfassungsrechtlich im Vorfeld zunächst fragwürdig erscheint. Die Repräsentanz sollte sich nach demokratischen Spielregeln konstituieren, der Hinweis darauf, dass dies bei der Katholischen Kirche auch nicht der Fall ist, hilft angesichts der gegebenen Situation und anderer kulturhistorischer Traditionen nicht weiter. Eine Organisation auf muslimischer Seite müsse zwingend vorhanden sein, der Staat 28 Die große Mehrheit der Muslime solle möglichst erfasst werden, dies geschehe so auch in Österreich mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die ihrerseits eher die sunnitische Richtung repräsentiere, keinesfalls aber alle österreichischen Moslems. Um einen internen Pluralismus einer neuen muslimischen Organisation zu gewährleisten müsse keine Quotenregelung geschaffen werden, wie im grünen Fraktionsbeschluss vorgesehen. Die Moscheegemeinden selbst seien bereits im gewissen Rahmen plural, sowohl was Glaubensrichtungen angehe, als auch aufgrund der verschiedenen Herkunftsländer. Dass türkische Muslime z.B. in einem Schurarat eine Mehrheit stellen sei klar, sie stellen auch die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung. Insgesamt seien gerade in Detailfragen - wie z.B. der eines Wahlverfahrens - noch eine Menge Nacharbeiten des Fraktionsbeschlusses notwendig. Zusammenfassendes Fazit von Johannes Remmel: 1. Es wurde allgemein Anerkennung und Dank dafür ausgesprochen, dass die Grüne Fraktion mit ihrem Beschluss einen Anstoß für die Diskussion um einen verbindlichen Dialog und Muslimen gegeben hat. 2. Der Vorschlag will ein mehr an Repräsentanz, Verbindlichkeit und „Disziplin“ von dem Muslimen, er bietet im Gegenzug aber auch Rechte. 3. Der Vorschlag ist ein „Werkstück“, das es weiter zu bearbeiten gilt, die Einwände von Prof. Oebbecke werden von der Fraktion aufgenommen. 4. Ein verbindlicher Dialog unter Einräumung von Rechten zwischen Staat und Muslimen wird evtl. nicht von vornherein in allen Details gängiger Verfassungsauslegung entsprechen. 29 Ergebnisprotokoll Themenforum II Leitung: Monika Düker MdL, Innenpolitische Sprecherin Schutz von Verfassung und Sicherheitsdebatte - können Hindernisse auf dem Weg zu Dialog und Kooperation ausgeräumt werden? Referent: Dr. Peter Frisch, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a.D. In seinem Input betonte Dr. Frisch, der 30 Jahre im Verfassungsschutz tätig war, dass sich der Verfassungsschutz nicht gegen Muslime richtet. Die Zersplitterung des Islams jedoch mündete seiner Ansicht nach in einer fundamentalistischen Strömung, die den Islam auf seine Grundzüge zurückführen möchte. Eine Unterströmung in diesem Fundamentalismus sei der Islamismus, der die Weltherrschaft des Islams fordere. Doch auch dieser Islamismus ist in den Augen Dr. Frischs nicht generell gewaltsam. Denn neben dem gewaltsamen Djihad existiere der politische Islamismus. Beide Ausprägungen werden vom Verfassungsschutz überwacht. Weiterhin führte Dr. Frisch aus, dass auch mit Fundamentalisten Gespräche und Kooperation möglich sind. Nicht jedoch die gewaltbejahenden Strömungen im Islamismus sollten in den Dialog mit dem Land gebracht werden. Er persönlich halte darüber hinaus die Losung „Integration, nicht Assimilation“ für einen streitbaren Standpunkt. Schließlich hetzten immer noch einige Imame intensiv gegen Juden oder die Amerikaner auf. Einige Fundamentalisten seien der Auffassung, ihre Kinder sollten keine deutschen Schulen besuchen. Seiner Auskunft nach leben in Deutschland ca. 300 Islamisten; Eine Gewaltbejahung sei aber sicher weiter verbreitet. Deshalb sei die Einstellung “Jeder Muslim muss selber wissen, wie er zu Allah findet” schlichtweg zu gefährlich. Anschließend erläuterte Dr. Frisch, dass für eine konstruktive Kooperation und ein erfolgreiches Zusammenleben vor allem die Anerkennung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung von 30 Seiten aller Muslime in Deutschland wichtig sei. In vielen Aussagen des Islam sei vor allem die Rolle der Frau fraglich. Außerdem bleibe die Frage des Pluralismus: Der Islam müsse die Gleichberechtigung Andersgläubiger anerkennen. Zu den bisherigen Maßnahmen des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland nannte Dr. Frisch zunächst die so genannten OttoKataloge des Innenministeriums. Darüber hinaus seien die Sicherheitsbehörden häufig jedoch machtlos, da es sich bei den islamistischen Zellen um meist sehr kleine Gruppen ohne einheitliche Leitung handele. Zusätzlich mache der starke Glaube V-Männer in solchen Strukturen unmöglich. Der Verfassungsschutz befasse sich deshalb mit der Frage, woher solche Gruppierungen beeinflusst werden. Außerdem ließe sich feststellen, wer als Mitglied einer solchen Gruppe in Frage kommt. Auffällig seien Studien, finanzielle Unabhängigkeit, Überzeugungen, häufige Reisen in die Heimat. Berechtigte Methoden solcher Informationen habhaft zu werden sind laut Dr. Frisch Rasterfahndungen und die Erfassung biometrischer Daten auch in Kooperation mit dem BND. Die Einreise von Ausländern in die Bundesrepublik wird jedoch weiterhin mindestens einmal gerichtlich überprüft. Der Verfassungsschutz hat keine Befugnis, Personen die Einreise zu verweigern. Er kann lediglich Überprüfungen fordern. Um die Integration der Muslime in unsere Gesellschaft zu erleichtern, müsse mehrheitsgesellschaftlich zwischen Islam und Islamismus differenziert werden. Außerdem betonte Dr. Frisch die Wichtigkeit der Wahrung der Grundrechte und forderte die islamischen Verbände auf, unsere Grundsätze zu propa- gieren und darüber aufzuklären. Unsere Gesellschaft müsse legale Ausprägungen des Islam anerkennen lernen und Integration vor allem auch durch Sprachförderung intensivieren. Man dürfe keine Parallelgesellschaft entstehen lassen. Zum Einstieg in die Diskussion fasste Monika Düker das Referat Dr. Frischs in seiner Kernaussage zusammen: Eine Dreiteilung in den Islam als Religion, den Fundamentalismus und den gewaltbejahenden Islamismus. Die anschließenden Redebeiträge eröffneten ein weites Feld von Positionen und führten zu einer angeregten Diskussion. So seien Islamisten auch eine Gefahr für Muslime, wurde bereits im ersten Redebeitrag festgestellt, da sie eindeutig muslimische Grundsätze verletzten. Im selben Beitrag wurde aber auch die starke Distanzierung der westlichen Medien vom Islam kritisiert. Schließlich brächten sie nur im Falle der Muslime Gewalt und Religion miteinander in Verbindung. Auch übersehe man, dass auch in Palästina Muslime gegen Ungerechtigkeit vorgehen und nicht nur religiösem Fanatismus folgen. Denn der Djihad sei nicht als Streben nach Weltherrschaft, sondern als Streben nach Allahs Wohlgefallen zu verstehen. Der kleine Djihad sei auch Kampf gegen Ungerechtigkeit. Es gäbe schlichtweg eine große Schwierigkeit der westlichen Definitionen. Definitionen müssten endlich den muslimischen Gemeinden überlassen werden. Im Islam gebe es außerdem eigentlich keine Unterscheidungen in verschiedene Strömungen wie Orthodoxe oder Liberale. Doch niemand wolle auch einer Differenzierung innerhalb des Islams widersprechen. Die Vielfalt der islamischen Verbände sei eine Bereicherung. Fast einhellig wurde die Meinung vertreten, dass der Verfassungsschutzbericht Kooperation verhindere und häufig nicht die wahren Überzeugungen innerhalb einer Gruppierung wiederspiegele. Man müsse endlich raus aus dem Teufelskreis der Verfassungsfeindlichkeit. Bis 1992 sei der Begriff des Islamismus unbekannt gewesen, es handele sich um einen erfundenen Begriff (Wie hieße das schließlich bei anderen Religionen?). Daraus ergebe sich eine Diskriminierung des ganzen Islams, eine öffentliche Diffamierung. Und dabei höre man in Deutschland bisweilen zwar häufig von Gewalt gegen Muslime, in vielen Jahrzehnten des Zusammenlebens sei hier jedoch nie gewaltsame Gefahr von Muslimen ausgegangen. Man müsse nun endlich lernen, Muslime als Partner in der Sicherheitspolitik zu gewinnen. Nach dem 11. September habe man von allen Seiten betont, nicht den Islam generell verdächtigen zu wollen. Dennoch wurden Rasterfahndungen und ähnliches veranlasst. Der Innenminister selbst habe dabei festgestellt, dass die Mittäter des 11. September nicht in der muslimischen Gemeinschaft beheimatet waren. Man müsse also nach der Rechtfertigung für ca. 2000 Haus- und Moscheedurchsuchungen fragen. Die Islampolitik dürfe eben nicht vom Verfassungsschutz ausgehen, sondern müsse in den Parlamenten behandelt werden. Man dürfe außerdem das neuerliche Dialogangebot der Generation der in Deutschland Geborenen nicht als Reaktion auf Druck beispielsweise durch den Verfassungsschutz verstehen. Auf den Vorwurf aufhetzender Predigten wurde schließlich noch angeführt, dass es in den Gemeinden oft Schwierigkeiten der befristeten Einstellung ausländischer und da- her gesellschaftunkundiger Imame wegen gebe. Für diese bedeute das Leben in Deutschland eine Fülle ganz neuer Erfahrungen. Dem entgegnend stand jedoch die Aussage, 90% der Imame hätten Diplomatenpässe und wären vertraut mit der deutschen Gesellschaft. Abschließend stellte man fest, den Verfassungsschutz nicht in Frage stellen zu wollen. Es gebe nun eine Entwicklung nach vorne durch einen Generationenwechsel. Auch wenn die Vergangenheit mancher Verbände problematisch sei, man halte fest an der Vision, dass Muslima und Muslime ihren Platz in der Gesellschaft selbst und mehrheitsgesellschaftlich anerkannt einnehmen werden, auch das sicherlich zum Wohlgefallen Allahs. Und schließlich seien bereits heute viele Muslima und Muslime engagierte Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft und müssten als Kooperationspartner nicht erst gewonnen werden. Die Politik solle die Suche nach dem einen Vertreter der Muslime aufgeben und beginnen, die bestehende Vielseitigkeit zu respektieren und auch zu nutzen. Der politische Wille für eine Kooperation müsse Grundlage für ein ganzheitliches Integrationsmodell sein. Es dürfe keine Alibigespräche mehr geben und keine Vorbehalte gegen islamische Institutionen schon im Kooperationsansatz. Noch einmal betont wurde die Forderung nach einer Auswertung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungen nach dem 11. September. Dadurch gebe es zerstörte Vertrauensverhältnisse zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft. Die Debatte über die Untersuchungen müsse in den Parlamenten geführt werden. Die Rasterfahndung könne man mit „außer Spesen, nichts gewesen“ zusammenfassen. Das müs- 31 se man der Mehrheitsgesellschaft vermitteln. Und selbstverständlich bräuchten ganzheitliche Integrationskonzepte die Anerkennung des Protokoll Forum III: Leitung: Sylvia Löhrmann MdL, Fraktionsvorsitzende Unvermeidbare Berührungspunkte: wenn Religionsausübung und –lehre zum Gegenstand staatlichen Handelns werden Referent: Prof. Elsayed Elshahed 32 Pluralismus von Seiten der muslimischen Gemeinschaft sowie eine generelle Kultur der Anerkennung und eine Förderung derjenigen Muslima und Muslime, die unsere Grundordnung wahren und achten. Zur Begriffsklärung: Prof. Elshahed unterscheidet Deutsche und Muslime, wohl wissend, dass es natürlich auch muslimische Deutsche gibt. Den Begriff „Gastland“ nutze er der Einfachheit halber, obwohl sich die vermeintlichen Gäste zu Gebliebenen entwickelt haben. 2. Genauso dachte auch das Aufnahmeland – die Menschen kommen, solange es Arbeit gibt, und gehen, sobald diese Arbeit nicht mehr da ist, sie in Rente gehen etc. Also ist auch von Seiten der Mehrheitsgesellschaft nie umfassend über Integrationsstrategien von Muslimen in Deutschland nachgedacht worden. Für die heutigen Schwierigkeiten im Rahmen der Integrationsbemühungen insbesondere der Muslime in Deutschland macht Elshahed Ursachen aus: 1. Die Muslime in Deutschland sind ursprünglich als Arbeitssuchende gekommen, die nie bleiben wollten und sich von daher selber nie um Integration bemüht haben. Auch die islamischen Rechtsgelehrten haben es nie für notwendig erachtet, sich über das Leben und die Religionsausübung von Muslimen in einem christlichen Aufnahmeland Gedanken zu machen, denn niemand rechnete mit dem Verbleib der Menschen dort. Von daher sind Fragen der Erziehung, Bildung etc. im Rahmen der Selbstdefinition als Muslim und die daraus erwachsenden Ansprüche an Aufnahmeland und Muslime selbst, aber eben auch die Konfliktpotentiale nie umfassend erörtert und gelöst worden. Muslim zu sein in Deutschland bedeutete also zunächst auch immer einen Rückzug auf die Privatsphäre in der Erwartung der Rückkehr in das Herkunftsland. Damit seien über 40 Jahre ungenutzt ins Land gegangen – eine schwere Hypothek. Auch eine offensive Einbürgerungspolitik könne dieses Integrationsdefizit nicht auffangen, denn der Pass mache aus Ahmed in den Augen der Deutschen noch lange keinen Walter. Hier zeige sich, dass die Gegensätze insbesondere durch das anders Aussehen entstehen, weniger aufgrund tatsächlicher Konfrontationen. Grundsätzlich sei die Debatte um Integration in Deutschland zu stark von der mangelnden Differenzierung zwischen Integration und Assimilation gekennzeichnet, letztere fordert die Übernahme der deutschen Leitkultur in Abgrenzung zur Herkunftskultur. Es bedürfe auf deutscher Seite eines mutigen Denkprozesses, der die unreflektierte Angst vor dem angeblich Unbekannten ersetzt durch an den Bedürfnissen von Muslimen und Deutschen orientierte Integrationskonzepte. Auf der anderen Seite müssten jedoch auch die Muslime die laizistische Struktur des Gast- landes akzeptieren und auf dieser Grundlage die Einbindung ihrer Religion in die Gesellschaftsstruktur definieren. Hierzu gehöre ganz zentral das Angebot des islamischen Religionsunterrichts in den Regelschulen. Österreich und Spanien geben gute Beispiele, wie die Einbindung des „Anderen“ in die Lebensstrukturen der Gesellschaft eine Integration fördert, die den Muslimen eine positive Verbindung von Herkunftsund Aufnahmekultur ermöglichen. Der Religionsunterricht wird in Österreich von entsprechend vorgebildeten – auch ausländischen – LehrerInnen auf deutsch gegeben und führt im Nebeneffekt auch zu einer „Binnenintegration“ zwischen den muslimischen Kindern unterschiedlicher Herkunftsländer. In NRW war die islamische Unterweisung bisher im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts erfolgt, was die Vielfalt der Herkunftsländer nicht spiegeln konnte und daher oft ein rein türkischer Unterricht war. Versuche, in Modellprojekten den Islamunterricht in deutscher Sprache zu geben, scheiterten auch am Widerstand der Muslime selber. In einem Modellprojekt „Islamischer Religionsunterricht“ in Erlangen zeigten sich die sehr positiven Effekte des Unterrichtsfachs auf das Selbstverständnis insbesondere muslimischer Jungen, die ein besseres Sozialverhalten zeigten. Offensichtlich wurde diese „Gleichbehandlung“ als Aufwertung des „Ausländers“ gegenüber den „Inländern“ begriffen. In der folgenden Diskussion werden noch einmal die Begrifflichkeiten hinterfragt – etwa: gibt es „die Muslime“? Jede Gruppe ist heterogen, so auch die der Muslime – was sich u.a. darin äußert, dass es bisher, im Gegensatz zu den Juden in Deutschland, keine zentrale Organisation gibt, die für die notwendige Diskussion als Ansprechpartner aufträte. Dies wird von allen Anwesenden als großer Mangel empfunden. So könne Politik immer den Standpunkt vertreten, man wolle ja die Integration, allein der Ansprechpartner fehle. Auf deutscher Seite wird von den Anwesenden die fehlende Möglichkeit einer umfassenden politischen Partizipation als großes Hindernis auf dem Weg zur Integration gesehen. Solange die Menschen mit ihren Bemühungen (etwa im Rahmen des Spracherwerbs o.ä.) keinen Nutzen verbinden, lässt die Motivation extrem stark nach. Also müsste auch für den geforderten Zusammenschluss der Muslime in Deutschland der Nutzen stärker erkennbar werden. Das österreichische Beispiel sollte Schule machen: Bereits 1978 wurde die muslimische Gemeinschaft gegründet und staatlicherseits als der Ansprechpartner anerkannt. D.h., alle muslimischen Zusammenschlüsse hatten sich auf einen Konsens geeinigt und entsenden nun einen Vertreter in das selbst gewählte Zentralorgan, aus dem heraus der Ansprechpartner gewählt wird. In Österreich und Frankreich arbeiten diese Organisationen eng mit der Politik zusammen. Diese Zusammenarbeit hat in Österreich ganz praktisch dazu geführt, dass es mittlerweile Gebetsräume in Kasernen gibt, ein muslimischer Friedhof in Wien eingerichtet wurde u.v.m. Diese „Normalisierung“ des Verhältnisses von Muslimen und Nicht-Muslimen ist der wichtigste Schritt hin zu einer Integration, die den Menschen auf der Grundlage der Verfassung des „Gastlandes“ ihre eigene kulturelle Identität belässt. Auch die evangelische Kirche hat sich in einem Synodenbeschluss für die Einführung des islamischen Unterrichts als Religionsfach ausgesprochen, fordert jedoch auch die Einigung der muslimischen Organisationen auf eine einheitliche Organisationsstruktur. Denn beide Seiten bedürften der Verbindlichkeit! Dafür brauche es die Institutionalisierung der islamischen Gemeinden. Dies würde in der Folge auch zu der dringend notwendigen Transparenz im Miteinander führen. Die christlichen Gemeinden übernehmen in der Alltagsgesellschaft gesamtgesellschaftliche Aufgaben: Kindergärten, Schulen, Gewerkschaften – die Muslime tun dies nicht. Fazit der Diskussion: Integration kann nur auf gleicher Augenhöhe, mit festen Partnern und in Abkehr von alt eingesessenen Ängsten und Vorurteilen realisiert werden. Dafür bedarf es der Transparenz, der institutionalisierten Organisation der muslimischen Gemeinden und der Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten für Ausländer in Deutschland. Im Bereich Schule/ Bildung muss endlich der islamische Religionsunterricht durch fachlich qualifiziertes Lehrpersonal realisiert werden. 33 Abschlussrunde Moderation: Kirsten Pape Moderatorin: Bei den Ergebnissen der Arbeitsgruppen ist das Wort „mutig“ ja mehrfach gefallen. Ich würde jetzt gerne „mutig“, und vor allen Dingen „Ergebnis orientiert“ diskutieren. Da ist ja vieles schon intensiv in den einzelnen Themenforen angesprochen worden, die rechtliche Problematik, die politische, viel ist die Rede gewesen von den Empfindsamkeiten und Befindlichkeiten. Die grüne Landtagsfraktion möchte einen geregelten Dialog über die Zukunft des Islam in NRW, Herr Remmel hat eben gesagt, vielleicht kann es etwas anderes sein als in dem Fraktionsbeschluss. Trotzdem würde ich mich gern auch ein wenig daran orientieren, hier diskutieren. Staat, also das dialogische Handeln zwischen islamischer Institution und staatlicher Institution. Dass dies geregelt werden muss, das liegt auf der Hand und wir merken beide natürlich diese Notwendigkeit. Es fragt sich, in welcher Form kann es z. B. an Hand der vorhandenen Strukturen auch vonstatten gehen oder brauchen wir neue Strukturen? Ich meine, es liegt an dem Willen beider Seiten, die Struktur, die vorhanden ist, kann auch in der Art benutzt werden, dass der Dialog, die Beziehung zwischen Staat und muslimischen Institutionen in geregelte Bahnen kommt. Ich stelle erst noch mal kurz die Teilnehmer vor: Dr. Elyas: Ich nenne trotzdem die zweite Alternative, damit man nicht glaubt, ich wäre nur für die erste. Die zweite Alternative wäre, dass man unabhängig von dem Ist-Zustand sich Gedanken macht, welche Struktur wäre ideal, wäre besser als die Vorhandene? Beides ist möglich und für beide stehen die Muslime offen. Die vorhandenen Strukturen, z. B., dass hier ein Teil der Muslime nicht organisiert ist, ein anderer Teil organisiert in verschiedenen Verbänden und Organisationen. Keine dieser Organisationen erhebt Anspruch auf Vertretung aller Muslime, aber sie können entweder punktuell, themenbezogen oder auch auf Zeit Kooperationen und Zusammenkünfte usw., arrangieren. Nehmen wir das Thema islamischer Religionsunterricht: Der Staat weiß, mit wem er zu diesem Thema oder bei diesem Thema spricht und welche Verbindlichkeit dahinter steht. Es wäre denkbar, dass eine Nutzung der vorhandenen Strukturen möglich ist. Die andere Alternative wäre, dass wir uns unabhängig davon etwas Neues überlegen. Die Muslime selbst machen sich Gedanken darüber und freuen sich, dass • Marie-Luise Beck, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration • Sybille Haußmann von der Landtagsfraktion als migrationspolitische Sprecherin • Wolfram Försterling von der Staatskanzlei NRW • Dr. Nadeem Elyas, vom Zentralrat der Muslime in Deutschland und • Professor Janbernd Oebbecke, Staatsrechtler an der Universität Münster • und Prof. Elshahed, Leiter der Islamischen Religionspädagogischen Akademie in Wien. Ich würde gern mit Herrn Elyas anfangen und Sie fragen, welche realistischen Möglichkeiten es von Ihrer Seite gibt, dieses neue Verhältnis, diesen neuen Dialog anzugehen hier in NRW? Dr. Elyas: Ich versteh den Dialog in diesem Zusammenhang nicht als Dialog der einzelnen Personen und der Religionen untereinander, sondern vielmehr der Muslime mit dem 34 Moderatorin: Was heißt das jetzt konkret von Ihrer Seite? die Grünen jetzt auch Programme und Entwürfe vorlegen. Aber auch die Muslime selber haben sich Gedanken darüber gemacht, und zwar in aller Offenheit, in dem wir uns fragen: Welche Strukturen brauchen wir vielleicht in 5 oder 10 oder 15 Jahren? Unabhängig von dem Namen Zentralrat oder Islamrat: Welche Struktur brauchen wir, damit wir den Erwartungen des Staates genügen werden? Und es könnte sein, dass da ein Zusammenschluss erzeugt wird, z.B. von der Basis her oder dass da diese verschiedenen Gruppierungen bleiben, bestehen bleiben und ein verbindliches Organ gegenüber dem Staat darstellen. Beides wäre für uns möglich. Wenn ich vielleicht zu dem Vorschlag der Grünen Stellung nehmen darf: Grundsätzlich finden wir den Schritt sehr begrüßenswert und lobenswert. Auf der anderen Seite verstehen wir oder möchten wir diesen Vorschlag als einen Denkanstoß verstehen, wie Herr Lefringhausen das auch dargestellt hat, so dass der zweite Schritt, der dritte Schritt dann von den Muslimen selbst übernommen und durchgeführt wird. Wir müssen vielleicht auch intern unter den Muslimen selbst überlegen, ob dieses Modell, was sich sehr an dem österreichischen Modell orientiert, das Richtige für Deutschland ist oder vielleicht auch das spanische Modell. Moderatorin: Sagen Sie noch ganz kurz, bevor ich dann gerne auch weitergehen würde: Was ist denn Ihre Meinung, ist es das richtige Modell oder sind Sie da auch noch sehr offen? Und Sie reden auch von einem sehr langen Zeitraum, 10 bis 15 Jahre. Dr. Elyas: Nein, es muss nicht dieser Zeitraum sein. Es kann auch schneller gehen. Das vielleicht schneller zu realisierende Modell wäre, dass sich die vorhandenen Strukturen wie in Spanien zusammenschließen oder Kooperationen bilden, die dann die offizielle Vertretung gegenüber dem Staat übernehmen. Das wäre schneller durchführbar. Das entlastet uns auf der innerislamischen Seite nicht davon, dass wir eine Basisdemokratie brauchen, so dass hier diese Organisationen nicht nur durch die Vorstände der Moscheen und Moscheengemeinden zusammen gesetzt werden, sondern dass die Basis in jeder Moschee mit einbezogen wird. Das kann man parallel dazu gewährleisten. Moderatorin: Ich würde gern Herrn Försterling von der Staatskanzlei fragen: Wenn Sie jetzt so eine Stellungnahme hören: Wie lautet Ihre Reaktion darauf? Dr. Försterling: Ich kann das begrüßen, was Herr Elias dazu sagt, zu der Problematik der Selbstorganisation der Muslime. Denn ich glaube, das ist der Hauptpunkt, der uns staatlicherseits ja die Schwierigkeiten bereitet. Wenn, ich hab´s mir notiert, Herr Elyas ja deutlich gesagt hat: „Gerade auf muslimischer Seite werden solche Denkanstöße gerne aufgegriffen, die hier in dem Grünen-Antrag ja gemacht worden sind und er sagt natürlich zweierlei: Auf der einen Seite, wenn ich Sie richtig verstanden habe, können wir auch die alten Strukturen nutzen. Alte Strukturen, die im Sinne einer - ich sag mal - rechtsverbindlichen Organisationsform noch nicht vorhanden sind. Zweitens kann man auch daran denken, etwas Neues zu schaffen, aber da im Wege der Selbstorganisation der Muslime. Überhaupt, zu den alten Strukturen will ich mir nur einen Hinweis nicht verkneifen: Ich glaube, wir haben gerade hier in Nordrhein-Westfalen da einiges erreicht, diese alten Strukturen, die hier vorhanden sind, zu nutzen. Wir haben im Frühjahr ein Stadttorgespräch des Ministerpräsidenten durchgeführt, wo es bundesweit zum ersten Male gelungen ist, alle Vertreter, aller Verbände, hier zusammen zu führen, in einer einzigen Veranstaltung. Das ist ein erster Schritt, beruht auf den alten Strukturen, gebe ich zu, das kann man nicht irgendwie rechtsverbindlich machen, aber es ist ganz wichtig, aus unserer Sicht jedenfalls, dass die Muslime selber sich Gedanken machen - so wie Sie es auch ausgedrückt haben - zu einer neuen Organisationsform zu finden, die uns auf staatlicher Seite es auch leichter macht, den Dialog fortzuführen, den wir also schon seit langem in den alten Strukturen ja versuchen. Deshalb habe ich das eigentlich sehr positiv aufgenommen. Moderatorin: Warum ist eigentlich dieser Dialog nicht auf Ebene der Staatskanzlei angesiedelt? Dr. Försterling: Der ist selbstverständlich auf der Ebene der Staatskanzlei angesiedelt, deshalb habe ich ja auch gesagt, der Ministerpräsident hat dieses Stadttorgespräch durchgeführt und die Staatskanzlei ist ja die Behörde des Ministerpräsidenten, d.h., wir sind auch in diesen Religionsangelegenheiten selbstverständlich federführend. Moderatorin: Herr Oebbecke, ich würde Sie gerne noch mal fragen, ich bin selbst keine Juristin, aber habe jetzt Einiges darüber gelesen, wie schwierig es ist, diesen Ansprechpartner zu finden, aus verfassungsrechtlichen Gründen. Ist vielleicht einfach mehr Mut, um auch das Wort „Mut“ nochmals aufzugreifen, mehr Mut notwendig, bei der Auslegung der Rechtsvorschriften? Prof. Oebbecke: Wir stehen einfach vor einer neuen Frage. Die Frage, die 35 sich jetzt stellt, wie muss beispielsweise der staatliche Ansprechpartner in Sachen Religionsunterricht verfasst sein, welche Anforderungen muss er erfüllen? Die hat sich nie gestellt, bisher, weil es die großen Kirchen gab und das, was da neu bisher dazu gekommen ist, etwa die Orthodoxen, das war genau so strukturiert und da hatte man keine Schwierigkeiten. Wir haben es jetzt mit einem völlig anders strukturiertem Phänomen zu tun, mit dem Islam, der eigentlich Organisation in diesem Sinne, von Hause aus nicht kennt, sondern, wo Organisation immer Mittel zu einem begrenzten Zweck ist, etwa zur Trägerschaft einer Moschee oder zur Wahrnehmung von Interessen oder zu solchen Dingen, aber wo nicht so was wie eine Kirche erforderlich ist und darauf versuchen wir zur Zeit zu reagieren, verfassungsrechtlich. Und es gibt immer, wenn man vor so einer neuen Frage steht, rechtlich verschiedene Möglichkeiten: Man kann´s drauf ankommen lassen und warten, bis die Gerichte das entschieden haben. Da würde ich sagen: Meine Prognose ist: Das wird noch geraume Zeit dauern und eigentlich Zeit, die wir nicht warten können. Und man kann hingehen und begrenzte Risiken eingehen. Die Politik tut das permanent in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Da ist große Kreativität darüber, ob man noch eine Milliarde Schulden mehr machen kann und das vielleicht gerade mit der Verfassung hinkriegt und da lässt man es auch darauf ankommen, dass einem ein Verfassungsgericht mal sagt: So geht´s nicht. Ist auch alles nicht so schlimm, nicht? Das Leben ist so, dass man auch mal Fehler macht. Nur in diesem Bereich ist das Sicherheitsdenken in einer Weise ausgeprägt, die für einen, der das seit einer Weile schon beobachtet, inzwischen doch nur mit Mühen erträglich ist. Das muss man doch sehr 36 deutlich sagen. Ich glaube, es gibt verschiedene Möglichkeiten, man müsste nur jetzt mal eine wählen und dann auch mal ein bisschen Geduld mit beiden Seiten damit haben. Das wird nicht sofort perfekt laufen, man muss sagen - ich versteh das ja alles - da sitzen in Ministerien Leute, die sonst zusammen arbeiten, mit den evangelischen Landeskirchen oder mit dieser Arbeitsgemeinschaft heißt sie glaube ich, der Diözese Nordrhein-Westfalen. Da sitzen sich auf beiden Seiten Profis gegenüber, die in Institutionen tätig sind, die das seit 200 Jahren machen, die Ressorteinteilungen aufgebaut haben, dass es Kultuszuständigkeiten gibt usw. Und jetzt müsste man zusammen arbeiten mit Gruppen, Vereinen, die im Grunde Migranten-Organisationen sind. Da ist viel Bewegung. Das entwickelt sich auch, aber es ist natürlich weit von dem ab, was die Kirchen darstellen, hier. Und was ja auch zunehmend, etwa, wenn Sie an die finanzielle Basis denken, unter Druck steht. Das ist natürlich was anderes. Aber es muss angefangen werden damit und es geht auch. Ich glaube viele Vorbehalte, die da bestehen, sind überhaupt nicht berechtigt und das würde sich gut erledigen lassen, wenn man es mal anginge. Aber man muss damit rechnen, dass am Anfang auch mal etwas schief geht. Moderatorin: Können Sie jetzt trotzdem, das ist jetzt etwas vage, kurz darauf eingehen, „begrenzte Risiken“? Ich nehme an, es ist schwer, das in 2 Minuten bei uns im Hörfunk zusammen zu fassen, aber mal kurz einen Weg beschreiben, den Sie vorschlagen? Prof. Oebbecke: Ich will mal noch Risiken beschreiben: Ein Risiko wäre z. B., dass sich heraus stellt, man hat da jetzt einen Ansprechpartner, der nicht so schnell arbeitet, wie man das erwartet. Ich gehe davon aus, dass das gerade in Sachen Religionsunterricht gut funktionieren könnte: Da gibt´s ja eine Diskussion und die Verbände haben da eine Menge Vorleistungen erbracht. Aber es kann beispielsweise sein, das es in einer anderen Frage nicht so klappt. Ein Beispiel. Zweites Risiko, was passieren kann und was auch ehrlicherweise niemand in den Verbänden völlig ausschließen kann, dass sich heraus stellt, dass an irgendeiner exponierten Stelle jemand sitzt, von dem sich plötzlich heraus stellt, es gibt einen Zusammenhang mit irgend einer terroristischen Geschichte. Wir kennen das ja alle auch, ich erinnere mich noch gut, dass es einen Spion im Bundeskanzler-Amt gegeben hat. Solche Dinge kann es auch in islamischen Verbänden geben. Natürlich ist es für jemanden, der mit dem im Dialog gestanden hat, auf der politischen Seite, sehr unangenehm. Das sind Risiken, die kann man nicht ausschließen. Die muss man auf sich nehmen und man muss das tun. Das geht nicht anders. Moderatorin: Frau Haußmann, Ihre Fraktion hat einen Beschluss vorgelegt. Woran hapert es aus Ihrer Sicht mit der Umsetzung? Sybille Haußmann: Also bis jetzt bin ich noch nicht so weit zu sagen, dass es hapert. Der Beschluss ist ja nun wirklich jung. Wir haben den im Juli dieses Jahres gefasst, und die Sommerpause war auch dazwischen. Insofern freue ich mich ja erstmal, dass so viele Leute gekommen sind, das Thema zu diskutieren. Ich freue mich auch, dass heute alle muslimischen Organisationen, die hier waren und sich zu Worte gemeldet haben, sagen: Wir diskutieren das in unseren Reihen. Das ist schon viel. Da sind wir schon einen großen Schritt weiter, als wir das noch im Juni waren. Und ich möchte noch einen Satz zu den Risiken sagen, die Herr Professor Oebbeke ansprach: Deshalb war es uns so wichtig, zu verlangen, dass man eine neue Organisation bildet und man macht eine, die sich dann auf das Grundgesetz bezieht und dazu bekennt. Das ist in der einen Arbeitsgruppe ein bisschen kritisiert worden als „Generalverdacht“. Ich glaube, dass das der gegenteilige Fall ist. Ich glaube, das nimmt den „Generalverdacht“ erst einmal von einem und es dreht sozusagen die Beweislast um. D. h., ich bekenne mich, ich unterschriebe das jetzt, ich stehe auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dann muss mir erst einmal jemand beweisen, dass ich das nicht bin. Im Moment haben wir ja eine umgekehrte Situation, dass die muslimischen Verbände immer beweisen müssen, dass sie verfassungskonform arbeiten. Ich glaube, man kommt nur mit einer Konstruktion wie der von uns vorgeschlagenen aus dem Dilemma raus, dass alle Ansprechpartner, die wir jetzt haben, gleich wieder kritisiert werden als zu wenig demokratisch, zu sehr verbandet mit irgendwelchen extremistischen Organisationen. Deswegen denke ich, ist eine Neugründung schon eine wichtige Voraussetzung, die deutlich abweicht vom Vorschlag von Herrn Elyas zu sagen: Nehmen wir doch einfach die Verbände, die wir haben. Moderatorin: Frau Beck, jetzt sind gerade schon die begrenzten Risiken angesprochen worden, mit denen man auf Bundesebene auch schon Erfahrungen hat. Sie haben heute einen konfrontativen Dialog angemahnt. Welche Ratschläge haben Sie für Nordrhein-Westfalen? Aus Ihrer Bundessicht? Sie haben alle Länder im Blick. Marieluise Beck: Ich glaube, es gibt keine spezifisch nordrhein-westfälischen Ratschläge. Es gibt allerdings mit Nordrhein-Westfalen ein Land, das nicht nur zahlenmäßig die größte Migration hat. Es ist auch vergleichsweise am erfahrensten im Umgang mit den Folgen von Migration. Insofern sind wir hier schon auf einem guten Terrain. Konfrontativ deswegen, weil wir es ja in der Tat nicht mit einem Kinderspiel zu tun haben. Wenn Herr Professor Oebbeke sagt: “bisschen Mut zum Risiko“, ist das ganz wunderbar. Politik tendiert aber im Augenblick eher dazu lieber unter dem Tisch zu gehen, man weiß ja nicht, wie es ausgehen könnte und wie viel Stimmen es kostet. Es gibt im Augenblick glaube ich kein Terrain, in dem es leichter ist, einen Angriff zu starten, als in der Auseinandersetzung mit dem Islam. Die Folie ist klar: Es handelt sich um Terrorismus und man hat ja viele Bündnispartner, man hat die Feministinnen, die sagen: Ihr wollt uns ins Mittelalter zurück zerren. Man hat die Säkularen, die froh sind, wenn die Religion sowieso endlich verschwindet aus dem öffentlichen Leben. Man hat, wie gesagt, eine Opposition, die sich freut, dass sie der Regierung einen reinwürgen kann. Es ist also wirklich ein absolut vermintes Feld. Und: Es gibt ja in der Tat ernst zu nehmende thematische Fragen, jenseits dieser ganzen politischen Intrigen, die ich eben umschrieben habe. Es ist eine ernst zu nehmende politische Frage: Wie weit sind die universalen Menschenrechte mit dem Islam, wenn es ihn denn so als Religion gibt, vereinbar. Da haben wir das erste Fragezeichen. Wie weit sind die vereinbar? Oder, es müssen sich bestimmte Organisationen, aus bestimmten Ländern, von bestimmten Richtungen fragen lassen oder sich erklären: Für uns ist die Universalität der Menschenrechte absolut vereinbart mit dem Islam unserer Ausrichtung. Auch das Christentum ist ja nicht das Christentum, wie wir am christlichen Fundamentalismus in den USA, der erstarrt, sehen können. Und da gibt es natürlich ganz viele heikle Fragen, die hier gestellt werden, und zwar nicht nur weil beim Verfassungsschutz nun so viele finstere Gestalten sitzen. Der Verfassungsschutz stellt sie zurecht. Und das ist nicht nur der Verfassungsschutz, das sind auch Menschen, die hier in unserem Lande unter religiös begründeten Strukturen gelitten haben, es gab eine Fetwa, wenn ich daran nur mal erinnern kann, gegen Literaten. Es gibt Journalisten, die z. B. sehr unangenehme Fragen gestellt haben, gar nicht religiöser Natur, sondern über das Finanzgebahren von Milli Görüs: Dem geht es nicht gut. Es gibt Journalisten, die sich in sehr kritischer Weise auseinander gesetzt haben mit Beziehungen und Bezügen von islamischen Organisationen ins Ausland oder auch soziale Druckstrukturen, die hier innerhalb von Communities aufgebaut werden. Diesen Journalisten geht es nicht gut. Sie werden überzogen mit Prozessen, was dazu führt, dass zum Teil Journalisten sagen: Ich arbeite für eine klitzekleine Zeitung, verdiene 1.400 Euro im Monat, ich kann es mir gar nicht leisten, mich auf so einen Prozess einzulassen. Damit ist diese Art von Berichterstattung gestorben. 37 Also: Es gibt eine ganze Menge Fragen, die sehr unangenehm sind und die gehören auf den Tisch. Deswegen bin ich eben wirklich der Meinung, dass, wer es gut meint, wer die Türen öffnen will für den Islam als gleichberechtigte Religion mit einer gewissen Normalität in unserem Land, der hat die Verantwortung, in diese Konfrontation zu gehen. Was wir im Augenblick aber eher machen ist Tabus aufbauen. Jeder fragt sich: Um Himmels Willen, mit wem darf ich denn gesehen werden und mit wem werde ich besser nicht gesehen? Und wenn man die Verbände durchgeht im Augenblick, kann man jemandem, der sich von politischer Seite auf der sicheren Seite bewegen möchte, eigentlich nur empfehlen, sich am besten mit überhaupt niemandem blicken zu lassen. Und so kommen wir nicht weiter. Deswegen mein Plädoyer an den Tisch: Konfrontation, fetzt Euch, zwingt zur Transparenz und akzeptiert Differenz! Nur so können wir uns bewegen. Wir können uns auch entscheiden, uns nicht zu bewegen. Dann bleiben wir alle in unseren Bunkern sitzen. Vielleicht sind wir relativ gut geschützt. Vielleicht sind wir dann irgendwann eines Tages nicht mehr geschützt in den Bunkern, denn, und das müssen wir uns klar machen: Alle die, die jetzt am Jagen sind, deren Jagdfieber erweckt ist, die sollen sich fragen, ob das wirklich klug ist. Ich habe vorhin gesagt: Man kann nicht um 3 Millionen Menschen einen Zaun ziehen. Ich sage: Wenn immer wieder mit der Zurückweisungserfahrung gelebt wird, wenn immer wieder die rote Karte gezeigt wird, vollkommen Wurscht, ob Du erste, zweite oder dritte Generation bist. Vollkommen Wurscht, ob Du Dich hast einbürgern lassen oder nicht. Vollkommen 38 Wurscht, ob Du einen bürgerlichen Beruf erlernt hast oder nicht. Du kommst hier nicht rein! Und wenn Du so einen Fetzen auf dem Kopf trägst, sowieso schon gar nicht. So. Wenn ich diese Botschaft mein ganzes Leben lang bekomme, was mache ich denn dann? Dann ziehe ich mich doch zurück. Irgendwann sage ich doch: O.K. Leute, wenn Ihr mich nicht haben wollt, dann gehe ich doch zu meinen eigenen Leuten. Was mich im Augenblick wirklich so unendlich umtreibt ist, dass wir das herstellen, was wir später beklagen werden. Ich möchte mich jetzt hier nicht zu sehr ausbreiten, die Botschaft reicht ja erstmal. Aber ich könnte das, weil ich systematisch versuche, Akteure zusammenzusuchen, die bereit sind, sich zu bewegen. Ich kann eben immer nur erzählen: Eigentlich ist die Botschaft immer: Beweg Dich lieber nicht, es ist brandgefährlich! Darf ich eine kurze Facette noch erzählen? Unser Ministerium, in diesem Falle Familienministerium, nicht die Beauftragte, hat dankenswerter Weise große Programme gegen Fremdenfeindlichkeit, Radikalismus und für Toleranz. Finden wir alle ganz wunderbar. Da gibt es eine Leitlinie, die heisst: „Dialog mit dem Islam“. Dazu brauchten wir ja Dialogpartner, also es geht um Jugendliche, es gibt eine Organisation, die heißt „Islamische Jugend“, geht in die Schulen, hat dort wunderbare Projekte gemacht, kein Mensch hat sich jemals an dem gestört, was in den Schulen passiert ist, ist ja alles offen. Dann findet irgendjemand heraus, dass diese Organisation vor rund 2 Jahren in ihrer Vereinssatzung mal stehen hatte, im Fall der Auflösung des Vereins gehen die Finanzen an die Al Aksa Brigaden. Höchst unappetitlich! Auf der Stelle - das Ministerium zu Tode erschrocken. Wir streichen auf der Stelle alle Gelder. Es hat natürlich ein großes parlamentarisches Nachspiel. Auf der anderen Seite sitzt die Opposition, hach, jetzt haben wir sie! Ja. Was war der Befreiungsschlag? Der Befreiungsschlag war, das Gott Lob unsere Kanäle so gut waren, dass wir wussten, dass einige der inkriminierten Personen, die die Verbindung, vermeintlich die Verbindung zu den Moslembrüdern herstellen, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung unter der Reihe „Dialog mit dem Islam“ aus und ein geht. Uff. Noch einmal hatten wir unsere Haupt gerettet! Aber so kann es nicht gehen! So kann es nicht gehen! Und wenn Politik da steht und jeder hat sein Messerchen in der Hand und guckt, wann fängt der Andere an, sich zu bewegen, oh, er hat sich bewegt. Rumps…. Dann erstarren wir, dann sitzen wir hier alle und gucken halt, was in 10 Jahren mit dem Islam in unserer Gesellschaft ist. Moderatorin: Eine ganze Menge Punkte, die Sie angesprochen haben, Frau Beck. Ich würde gern Herrn Elshahed und Herrn Elyas noch mal Gelegenheit geben, darauf einzugehen. Herr Elshahed, mit dem Blick über den Zaun oder von draußen. Ich bin auch eben gebeten worden, Sie noch mal zu bitten, zu erklären, wie in Österreich denn die Muslime gewählt werden. Prof. Elshahed: Vielen Dank für diese Frage. Es geschieht so, dass dort islamische Vereine gebildet werden und durch die Eintragung und durch die Zahlung des Mitgliedsbeitrages ist man schon Mitglied in diesem Verein. Man ist damit registriert und auch wahlberechtigt. Es ist so, dass die Vereine ihre Mitglieder bei jeder Wahl sozusagen sammeln, jeder Verein wählt dann einen Vertreter. Aus dieser Vertreterschaft aller Vereine, also auch von kleinen Vereinen, wird eine Vollversammlung gebildet. Diese Vollversammlung wählt dann ein Kuratorium. Das ist wie ein Führungsratsausschuss. Das Kuratorium vertritt die Interessen aller Vereine und wählt dann einen Präsidenten. Es wird aber manchmal so gemacht, dass der Präsident zusätzlich direkt von den Vereinen gewählt wird und nicht nur vom Kuratorium. Es gibt auch Wahlempfehlungen wie bei jedem Verein, auch im Kuratorium. Also kurz gesagt: Mitgliedervereine wählen ihren Vertreter, die Vereinsvertreter bilden quasi ein Parlament, eine Vollversammlung. Diese Vollversammlung wählt dann ein Kuratorium, bestehend aus etwa 20 Mitgliedern. Und dieses Kuratorium trifft Entscheidungen. Der Präsident entscheidet also nicht über alles, sondern der Präsident vertritt das Kuratorium bzw. alle Vereine bei dem Staat. Moderatorin: Und ist das aus Ihrer Sicht ein übertragbares Modell? Prof. Elshahed: Das ist sehr wohl ein übertragbares Modell. Es gibt auch hier Vereine, nur bleibt auch das Problem, das Herr Elyas auch angesprochen hat. Es gibt auch Muslime, die sich keinem Verein Mitglied. Was macht man mit denen? Das sind nicht wenige. Entweder sind sie nicht davon überzeugt, dass man in so einen Verein eintreten sollte oder sie haben nicht die Zeit oder das Geld für den Beitrag. Also viele verschiedene Gründe. Deswegen kann man so gut wie unmöglich alle Muslime erfassen und damit die Teilnahme an der Wahl ermöglichen. Auf jeden Fall kann man mit den jetzt bestehenden Organisationen und Vereinen dieses Modell versuchen. Bei Herrn Elyas hat es so geklungen, so habe ich ihn jedenfalls verstanden, dass dieses Modell nicht unbedingt das Beste ist für Deutschland sei, sondern er bevorzugt das spanische Modell. Es ist irgendein Modell, es muss nur funktionieren, es muss nur ernsthaft genommen werden. Und dann konsequent, sowohl von den Muslimen als auch von Politikern. Es kommt darauf an, es wirklich zu wollen. Das gilt für beide Seiten, für die deutsche Politik aber auch für die Muslime. Wenn man wirklich vom Herzen will, dass dieser Prozess erfolgreich zu Ende kommt, dann geschieht das auch so, wie es in anderen Ländern auch der Fall ist. überlegen, nimmt man dies rein oder lässt das raus, usw. Das kann man bis zum Jüngsten Tag treiben, selbst wenn sie nachts weiter diskutieren. Dann kommen sie gar nicht weiter. Moderation: Was meinen Sie genau damit? Ich freue mich wirklich, dass ich so viele kritische Stimmen, auch selbst kritische Stimmen von deutschen Kollegen und Kolleginnen hier höre. Das erspart uns als Muslime sehr viel. Und es ist ein Zeichen der Entwicklung in die richtige Richtung und ermutigt uns. Nur bleibt es auch Aufgabe der Muslime in der neuen Heimat, dass sie wirklich einmal mehr Verantwortung als Muslime hier in Deutschland übernehmen. Und dann muss man nicht mit allen Stimmen sprechen, womöglich mit drei, vier Millionen. Das kann man von der Politik in Deutschland nicht verlangen. Also muss man sich als Muslime auch in Vereine hinein pressen, auch in provisorische. Und dann auch wirklich wählen. Wählen, sich vier, fünf Grundsätze im Konsens geben, sich daran halten. Alle halten sich daran, auch nach außen z.B. als Gesprächspartner der Regierung, der Politiker. Das heißt, jeder Schritt muss erst einmal eine gesetzliche Grundlage haben, bis man so weit ist, dass man ein Gesetz überhaupt entwickelt hat, dauert es Jahre. Und der Streit wird wirklich unendlich gehen. Ich meine, man müsste mit gutem Willen darangehen, ohne große definierte Gesetzesgrundlage, und schauen, wie funktioniert es. Dann könnte man immer noch die Gesetze machen, die Ergebnisse und Erfahrungen einfließen lassen. Bereits existierenden Vereine müssten bei einem Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. Danach könnte man dieses Gesetz verfeinern und beschließen. Aber man muss anfangen, und nicht am Schreibtisch sitzen und schreiben, hin und her Es könnte auch Ziel sein, diese schöne grüne Prinzip, dieses Rotationsprinzip, (Gelächter)……gut ich weiß, Sie haben es abgeschafft, weil sie auch andere politische Gründe in Erwägung gezogen haben. Aber ich glaube, bei islamischen Vereinen, kann es funktionieren. Jedenfalls haben Sie es probiert und dann sind Sie zu der Feststellung gekommen, dass es nicht funktioniert. O. K., aber ich würde unseren islamischen Schwestern und Brüdern dennoch raten, dass sie auch diesen Weg versuchen. Vielleicht klappt es ja. Es hat ja auch anderswo geklappt, warum eigentlich hier nicht? In Österreich wird alle vier Jahre neu gewählt. Und dann ein Präsident, ein Vize und ein Generalsekretär Dass es bis jetzt noch an irgendwelchen Sachen hapert, hat nach meinem Gefühl ohne es zu wissen oder zu merken die Politik vergesetzlicht. Eine reine Vergesetzlichung der Politik ist wirklich eine Riesengefahr. 39 und jeder von denen ist berechtigt, im Namen des Kuratoriums mit der Regierung zu sprechen. Moderatorin: Warum klappt´s hier nicht, Herr Elyas? Dr. Elyas: Der Versuch wurde unternommen. Deshalb sagte ich, es liegt nicht an den Formen, an den Strukturen selbst. Wir können diese Struktur vielleicht diskutieren, oder eine andere, oder die vorhandene Struktur. Deshalb habe ich auch Wert darauf gelegt, die anderen Alternative zu nennen. Damit nicht der Eindruck entsteht, wir wären nur für diese eine Möglichkeit. Wir haben gesagt, wir können beide Alternativen diskutieren. Warum hat es nicht geklappt? In Hessen wurde der Versuch unternommen. Man hat dort eine demokratische, mehr oder weniger demokratische Vertretung für einen Teil der Muslime erreichen können. Ich war nicht dabei. Aber die meisten anderen waren dabei, als Personenmitgliedschaft, als Vertretung, als gewählte Vertreter, die da ein Gremium gebildet haben und sie haben sich als Partner für den Staat dort, für das Land angeboten. Dann hieß es: „Nein!“ XY ist nicht dabei. Milli Görüs ist dabei, usw. Jede Struktur ist akzeptabel, diskutabel für uns Muslime. Dafür brauchen wir kein Gesetz. Obwohl ich manchmal solche Gesetze vermisse, die eine Religionsgemeinschaft zu einer bestimmten Form verpflichten. So was gibt´s nicht. Wir haben die Trennung zwischen Staat und Kirche oder Staat und Religion. Was wir brauchen, sind Empfehlungen von staatlicher Seite und Begleitung eines Prozesses, der aber durch die Muslime selbst durchgeführt werden muss. Denn sonst hat er keine Bedeutung für die Muslime. Begleitung bedeutet 40 für uns, dass man sagt: „In diese Richtung denkt Ihr in Ordnung, plant Ihr richtig. Wenn das und das erreicht worden ist, dann ist das für uns als Staat akzeptabel“. Und dann werden sich die Muslime die Mühe machen und all das durchführen, mit der Erwartung, dass dies dann später anerkannt wird. Das führt auch zu dem, was auch Herr Lefringhausen gesagt hat, nämlich, die komplementären Rollen von Annäherung und Abschreckung. Annäherung, in dem der Staat Empfehlungen gibt, das Ganze begleitet aber mit dem Versprechen: Wenn es erreicht ist, dann kann diese Vertretung, als staatlich anerkannte Vertretung der Muslime angesehen werden. Wenn nicht, dann haben wir eben keine Vertretung der Muslime. Der Staat kann allerdings nicht dazu übergehen, seine eigenen muslimischen Partner zu konstruieren oder dessen Strukturen vorzuschreiben. Moderatorin: Ich merke jetzt hier zunehmende Unruhe bei Herrn Försterling. Möchten Sie trotzdem Stellung dazu nehmen? (Gelächter) Dr. Försterling: Ich möchte auch direkt wieder an das Anknüpfen, was Herr Elyas gesagt hat. Er hat gesagt, eine gesetzliche Vorschrift vermisst er überhaupt nicht. Er möchte Empfehlungen haben. Und wenn es dann auch auf Seiten der Muslime nicht klappt, kann man ja mit den bisherigen Verbänden genau so weiter arbeiten. Genau so findet ja gegenwärtig auch unser Dialog statt. Das ist ja auch überhaupt keine Frage und das Angebot, das wir ja machen und auch gemacht haben, ist glaube ich auch durchaus von Mut geprägt gewesen und wird es auch weiterhin bleiben. Bei dem erwähnten Stadttorgespräch sind selbstverständlich, es war uns bewusst, Organisationen mit dabei, von denen wir wussten, dass sie seitens des Verfassungsschutzes teilweise beobachtet wurden. Der Ministerpräsident hat entschieden, die sollen trotzdem dabei sein, oder gerade. Wir können hier, wenn wir einen offenen Dialog führen wollen nicht so eine Vorauswahl machen, wieso auch immer. Das heißt, das mag in anderen Zeiten auch anders gewesen sein. Ich erinnere mich an andere Situationen, wo es mal um eine Ein- und Ausladung ging. Aber das ist Jahre her. Ich möchte an das anknüpfen, was hier mehrfach an verschiedenen Stellen gesagt wurde. Herr Oebbecke sprach von mehr Mut. Es wurde auch gesagt: „Wir brauchen kleinere Schritte.“ Wir brauchen vor allen Dingen eines, und das glaube ich hier insgesamt heraus gehört zu haben: Wir müssen da anknüpfen und anfangen, auch und gerade auf der kommunalen, auf der lokalen Ebene etwas zu verwirklichen. Wo es gut klappen kann und wo es gut klappt. Gemeinsam mit den Betroffenen etwas aufbauen heißt, von unten herauf eine entsprechende Zusammenarbeit, einen Dialog ermöglichen, zulassen und darauf aufbauend dann vielleicht auch durch die Selbstorganisation der Muslime zu größeren Verbänden und zu der Möglichkeit einer letztlich staatlichen Anerkennung wie auch immer, per Gesetz, zu kommen. Eins wollen wir jedenfalls nicht, da würden sich die Muslime aber auch zu Recht wehren, jetzt per Gesetz vorzuschreiben, was nun ein muslimischer Verband ist oder wie er sein muss. Das kann selbstverständlich nicht der richtige Weg sein. Verschiedentlich ist auch gesagt worden: Wir müssen im konkreten Bereich zusammenarbeiten, etwa beim Religionsunterricht wie zum Beispiel in Erlangen. Da, wo das möglich ist, gemeinsam mit den Muslimen vor Ort, warum sollte man das nicht versuchen? Aber es geht ja auch um den Grünen Antrag, dass von oben herab zu organisieren, ein Moscheenregister staatlicherseits einzurichten. Gut, Herr Elyas hat´s gesagt: Denkanstoß. Aber letztendlich müssten die Muslime selber wollen und soweit sind die Verbände wohl noch nicht, sag ich mal. Fraglich, ob sie es überhaupt wollen. Ein Denkanstoß, der diskutiert wird, o. k. Wir wollen, wir müssen auch eines vermeiden, bei allen Anstößen, die wir geben, darf es nicht zum Diktat führen. Das wird nämlich dann auch sehr schnell missverstanden. Das wollen wir auf gar keinen Fall. Meine Zusammenfassung geht dahin, zu sagen, dort wo punktuell mögliche Zusammenarbeit gut funktioniert, darauf kann man aufbauen. Es ist auch gut zu wissen, da ist möglicherweise der Eine oder Andere, dann ist das vielleicht nicht so ganz beobachtungsfrei. Wichtig auch das da, wo es durchaus in der Sache klappt und wo im Sinne eines, wie Frau Beck es sagte, eines konfrontativen Dialoges, die Probleme wirklich auch aufgearbeitet werden können. Da soll man es ruhig machen und hat insofern ein Guthaben. Die Struktur, eine rechtliche oder gesetzliche Struktur, das ist eigentlich das, was aus meiner Sicht erst ganz am Ende kommt. Moderatorin: Herr Remmel und dann Herr Oebbecke. Johannes Remmel: Ich bin ja normal nicht dabei, aber mich kribbelt es an der Stelle einfach ein bisschen, weil ich merke, genau dass in dieser Podiumsdiskussion das abgebildet wird, von Teilen jedenfalls, was wir durchbrechen müssen, was ich auch nicht mehr bereit bin, als Politik hinzunehmen, wo ich auch eine Forderung stelle. Ich fordere, dass das passiert. Ich will nicht mehr warten. Wir warten viel zu lange. Die Anforderungen, die politischen Anforderungen, dass dieser institutionalisierte Dialog endlich stattfindet, dass es eine Institution gibt, und wenn das sich nicht selber bildet, dann müssen wir es bestimmen. Dann müssen wir es bestimmen. Und dann zieht die Karawane weiter. Weil die Karawane muss ziehen, weil die gesellschaftlichen Anforderungen so sind, dass sie ziehen muss. Wir können uns dieses Vakuum nicht leisten. Wir brauchen eine Auseinandersetzung darüber, was ist sozusagen der Kern des Islam auch im Dialog und im Austausch mit den weltpolitischen Anforderungen, die wir haben? Wir können uns dieses Vakuum in Deutschland, in der Bundesrepublik und in Nordrhein-Westfalen nicht leisten. Deshalb dauert mir das zu lange und deshalb ist das Hin und Her, das Gegenseitige: „Na, ja, wir warten mal, was passiert und wir fangen in der Gemeinde an“, das geht nicht mehr. Das geht nicht mehr, da haben wir lange genug gewartet. Wir brauchen es jetzt. Und wenn es nicht kommt, dann muss die Politik, dann muss das Parlament Gesetze machen. So ist auch unser Vorstoß zu verstehen, ganz klar: Wir wollen nicht mehr warten. Moderatorin: Herr Oebbecke, Sie kennen sich mit der „Kunst der Langsamkeit“ aus als Jurist, wie geht´s schneller? Prof. Oebbecke: Also das kommt immer so drauf an. Ich will mal versuchen, das in Klardeutsch zu übersetzen, was Herr Försterling gesagt hat, mit „von unten wachsen“. Das ist alles ganz wichtig, aber bitte nicht im Verantwortungsbereich der Landesregierung, sondern bei den Kommunen. Das kann´s nicht sein, was wir brauchen, ich will nur mal zwei Beispiele nennen: Im Religionsunterricht und beim Schächten sitzt ausschließlich die Landesregierung bzw. einzelne Häuser am Drücker und wenn da was passieren soll, dann muss hier was passieren und nicht irgendwo unten. Das wird nicht gehen. Das Zweite: Wie ist das denn bisher gelaufen? Man hat eingeladen, wenn eine Organisation dann gesagt hat: “Nein, wir kommen nicht, weil wir uns mit den Brüdern und Schwestern da nicht zusammen setzen.“ Dann hat man´s abgeblasen. Eine Ausnahme hat´s gegeben, nämlich das von Ihnen erwähnte Stadttorgespräch. Warum hat das geklappt? Weil der Ministerpräsident, wie ich gehört habe, gesagt hat: „Wir machen das und wer kommt, kommt.“ Und … ….da sind sie alle gekommen. Denn wenn man weggeblieben wäre, dann hätte es ohne einen stattgefunden. Das will man doch auch nicht. Das ist das Modell, was funktioniert. Es hat einmal funktioniert. Es ist jetzt seitdem wieder ein 1⁄2 Jahr etwa in´s Land gegangen und es wäre sehr schön, wenn dann in vielleicht 1⁄2 Jahr wieder was passiert ist. Ich will auch zu dem noch was sagen, was der Herr Elyas angedeutet hat: Es wird nicht ohne einen gewissen Grad von Verbindlichkeit gehen. Wir brauchen keine Gesetze. Gesetz würde vielleicht funktionieren, aber wir brauchen keine Gesetze. Was wir brauchen, ist für die Muslime eine Aussage, die nicht nur verbindlich ist, solange ein Minister noch da ist, der das gesagt hat, sondern die solange verbindlich ist, dass die Muslime wenigstens Gelegenheit haben, sich organisatorisch daran zu orientieren. Wenn ich eine Organisation, ob das eine Partei ist, ein Automobil-Club oder was auch immer, organisatorisch ändern will, dann brauche ich bei einer großen 41 Organisation zwei Jahre, würde ich mal ungefähr schätzen, bis das unten durch ist, bis die sich alle angepasst haben. Und so, wie Politik in diesem unserem Land gestrickt ist, ist eine einfache Aussage da schon zu wenig, weil man sich auf eine politische Aussage allein nicht verlassen kann. Also, man braucht kein Gesetz, aber vielleicht eine Vereinbarung, oder irgendetwas, dem dann nicht ausgewichen werden kann, wenn man sich an dem orientiert hat, was da vorgegeben worden ist. Das, was Sie Empfehlung nennen, das muss doch wenigstens so verbindlich sein, dass es nach einer Weile noch funktioniert. Und das wäre glaube ich, ganz wichtig, und da haben die Grünen einen Vorschlag gemacht, es gibt auch andere Lösungen, keine Frage, aber das scheint mir als Gedanke völlig zwingend zu sein. Moderatorin: Da ist ja offensichtlich sehr viel mehr Mut notwendig und eben in dem Forum, in dem ich war, mit Herrn Frisch, hieß es von einem Teilnehmer: „….die Islam-Politik darf nicht vom Verfassungsschutz gemacht werden...“. Das geht ja wohl sehr stark auch um diesen Mut, miteinander zu reden und nicht immer schon eine bestimmte Brille auf zu haben. Gleichzeitig gibt es berechtigte Bedenken. Ich würd´ gern Herrn Elyas das Wort noch mal geben und würde dann auch gern die Runde aufmachen für Ihre Fragen und Diskussionsbeiträge. Dr. Elyas: Dass es uns allen zu lange dauert, das liegt auf der Hand, es lag aber nicht an den Muslimen, dass es bisher nicht geklappt hat. Und genau so eifrig und eilig sind wir auch und haben wir es auch. Was wir aber zum Ausdruck bringen möchten, ist, dass die Muslime 42 bereit sind, darüber nachzudenken, mit zu fragen, zu unterstützen. In Klammern: Ohne diese Unterstützung kann es auch nicht klappen. Es ist nicht im Sinne des Antrages, es ohne die Verbände zu versuchen, Klammer zu. Das heißt für uns, wir sind bereit darüber nachzudenken, das mit zu tragen, wenn eine gewisse Verbindlichkeit da ist. Und das müssen Sie als Politiker unter sich schaffen. Unter den Fraktionen. Und wenn diese Zusicherung da ist, werden die Muslime sich die Mühe machen, aber wir lassen uns nicht zu Spielball machen, wie die Muslime in Hessen, die all das hinter sich gebracht haben und dann hieß es: „Nein, das reicht uns nicht.“ Und dann wäre über die Einzelheiten dieses Denkanstoßes, ich sage immer noch Denkanstoß, nachzudenken, zu diskutieren. Es gibt einige Punkte, die nicht ohne Weiteres machbar sind. Und es gibt auch ganz andere Denkweisen und Modelle. Darüber muss man offen sprechen. Moderatorin: Mit Verlaub, Herr Elyas, das hört sich sehr abstrakt an und das ist ein bisschen „Schwarzer Peter Spiel“. Was konkret tun Sie? Sind Sie bereit auf die Landesregierung, auf die Fraktionen hier zuzukommen? Wo sind ihre Schritte? Dr. Elyas: Die Fraktionen? Sie sprechen von Fraktionen. Ich sehe nur einen Antrag der Grünen. Moderatorin: Das ist doch schon mal was. Dr. Elyas: Das ist sehr gut, deshalb sind wir da. Aber wir sagen: „Wir sind bereit mitzumachen, wenn es sich lohnt. Und es wird sich nur lohnen, wenn die anderen Fraktionen das auch tragen und verbindlich - auch auf lange Sicht - auch mitmachen. Ich bin nicht abstrakt. Ich sage: Dann werden die muslimischen Verbände darüber diskutieren und die Einzelheiten mit Ihnen zusammen festlegen. Das ist die Begleitung, die ich gemeint habe, dass Sie diesen Prozess begleiten und wir diese Last auf uns nehmen. Moderatorin: Frau Düker und dann Sie. Monika Düker: Ja, nur eine ganz kurze Anmerkung: Wir hatten ja in dem Themenforum „Sicherheit“ das Stichwort: „Recht auf Differenzen“. Und wenn ich dieses Recht jetzt durchdekliniere, dann ist es doch so: Wenn der Islam dieses Recht von der Mehrheitsgesellschaft einfordert und die Gesellschaft sagt: „Ja, hier sind die Alewiten, hier die Sunniten oder wer auch immer. Dann muss es aber doch auch untereinander dieses Recht auf Differenzen geben. Und an der Stelle meine ich auch in unserer Diskussion, in unserem Themenforum, mitbekommen zu haben, dass der Dialog auch untereinander offensichtlich noch nicht weit gediehen ist. Also ich geb jetzt einfach mal den Ball zurück. Wenn ich mir da die Debatte in unserem Themenforum, zwischen dem Alewiten-Vertreter auf der einen Seite und den Milli Görüs- Vertretern auf der anderen Seite angucke, da hatte ich den Eindruck, da muss auch noch Dialog stattfinden. Also ganz so einfach ist das ja dann auch nicht mit dem Miteinander, sich auf einem Level zu einigen. Und deswegen einfach auch noch mal den Ball zurück. Ein Angebot von unserer Seite, zu sagen: „Wir haben den Anspruch, diese Differenzen zu akzeptieren, aber es braucht einen gewissen Zusammenschluss und eine Organisiertheit auf der anderen Seite, dann müssen auch da die Differenzen akzeptiert werden, untereinander. Und da, denke ich, muss man doch sagen: „Fangen wir da auch mal an.“ Sich zusammensetzen, einen Vertrag, natürlich kein Gesetz, einen Vertrag miteinander machen, Abkommen, da sind ja ganz viele Formen möglich. Aber die liegen doch bei den islamischen Verbänden. Also ich habe nicht den Eindruck, dass da alles so völlig organisiert ist. Moderatorin: Bitte schön. Unbekannt: Ich komme jetzt auf den Punkt „Gesprächspartner“. Also, wenn in der Demokratie die Mehrheit regiert und die Mehrheit wird auch anerkannt. Und wenn die großen Organisationen als Mehrheit der Muslime organisiert in Dachverbänden ist, warum sollte dieses eigentlich demokratische Prinzip nicht anerkannt werden, auch als Gesprächspartner anerkannt? Prof. Elshahed: Ich darf auch mit meinem Bruder, Herrn Elyas anderer Meinung sein. Ich bin nicht der Meinung, dass die Muslime einfach warten, bis der deutsche Staat, bis die Politik auf sie zukommt und sie begleitet und sagt: „Gehen Sie da und da lang“. Ganz sicher nicht. Beide sind gleichzeitig aufgerufen, sich zu bewegen, und zwar mutig aufeinander zu bewegen. Das heißt, die Muslime müssen sich untereinander noch organisieren, Konsens finden. Gleichzeitig kann die deutsche Politik, der deutsche Staat in diese Richtung gehen. Und dann gehen wir Hand in Hand. Aber der Eine sagt: “Bis die Anderen sich organisieren…“, dann kann auch der deutsche Staat sagen: “Wir warten auch bis die Muslime sich organisieren.“ Und dann kommen wir überhaupt nicht weiter und die Zeit ist wirklich viel zu kostbar. Ich hoffe nur, dass die Probleme nicht explodieren. Herr Elyas, Sie haben ja auch diesen Fall von Frankfurt, von Hessen erwähnt. Es ist auch begründet, in der Tat. Nachdem Sie alle sich wirklich organisiert haben, eine Vertretung gebildet haben, alles Mögliche getan haben, hat man das Ganze an eine, den Namen muss ich hier nicht den nennen, an eine „Sachverständige“ sozusagen abgegeben, und die hat gesagt: „Diese Gemeinschaft ist traditionalistisch orientiert.“ Sie hat vorher gesagt: ..“fundamentalistisch“, dann hat sie sich nochmals korrigiert: „traditionalistisch“ und damit war die Sache weg. Deswegen verstehe ich auch dieses Misstrauen, dass man sagt: Gut, wir können uns bemühen, uns vereinen, unsere Vertreter wählen und alles Mögliche und nachher scheitert das Ganze an einem Gutachten, dass auch nicht gerade einfluss- oder vorurteilsfrei gewesen war. Ich kenne die Dame gut, die diesen Bericht geschrieben hat. Ich hoffe, dass sie aus diesem Ding raus ist. Und ich hoffe, dass Sie als Muslime und die hiesige Landesregierung trotzdem mutig aufeinander zugehen. Das ist ein Muss. Dies ist nicht etwas, was man sich leisten oder nicht leisten kann. Das ist ein Muss für uns alle. 43 ������������������������� ������������������ ���������������������������������������������������������� ������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������� ����������� ������������������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������� �������������������������������������������� ��������������������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������������� �������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������ ��������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������� 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23.6.04 Stand: 30.06.04 TeilnehmerInnen: Sylvia Löhrmann Sybille Haussmann Ewald Groth Thema: Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Österreich und der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs (IGGÖ) GesprächspartnerInnen: • Mitglieder der GRÜNEN Fraktion im Bundesparlament • MinR Dr. jur. Anton Stifter, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur • Florian Haug, Vertreter des Außenministeriums • Prof. Potz, Institut für Recht und Religion, Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Wien • Professor Schakfeh, Präsident der IGGÖ • Herr Professor Dr. Elsayed Elshahed, Leiter der Islamischen Religionspädagogischen Akademie IRPA • Herr Aslam, Abteilungsleiter für Lehrerfortbildung • Frau Kahn, ebenfalls IRPA • Herr Dipl.Ing. Omar Al-Rawi, Abgeordneter der SPÖ im Landtag von Wien Hintergrund: Der Österreichische Staat hat seit 1912 ein Gesetz, dass die Muslime in Österreich zu einer islamischen Glaubensgemeinschaft erklärt und sie als Religionsgemeinschaft anerkennt. Dies resultiert aus der Annektion Bosniens und der Notwendigkeit, sich zu einem Staatsgebiet zu bekennen, dass überwiegend von Muslimen bevölkert ist. Anders als in Deutschland, werden Religionsfragen zentralstaatlich geregelt. Situation in Österreich: Zur Zeit leben ca. 339 000 Muslime in Österreich, das sind ca. 10% der Bevölkerung. Die Islamische Glaubensgemeinschaft ist demokratisch verfasst. Alle Muslime in Österreich sind automatisch Mitglieder der IGGÖ. Austritte sind per Antrag durch Verwaltungsakt möglich, vergleichbar mit dem Kirchenaustritt. An den Wahlen können sich alle Mitglieder ab dem wahlberechtigten Alter beteiligen, sofern sie Mitgliedsbeiträge zahlen. (z.Z. ca. 30 – 40 000 WählerInnen) Gewählt wird in den Moscheegemeinden. Jede Gemeinde kann Mitglieder in ein Bundesorgan, den Schura-Rat, entsenden. Der Schura-Rat wählt einen Vorstand, der Vorstand wählt den Vorsitzenden. Der Vorsitzende ist der regelmäßige Ansprechpartner des österreichischen Staates. Im Schura-Rat dürfen nicht mehr als 1/3 der Mitglieder zu einer Glaubensrichtung gehören, um die Vertretung aller Glaubensrichtungen zu gewährleisten. Der Religionsunterricht unterliegt nicht der direkten staatlichen Aufsicht. Unterricht und Schulbücher sind in deutscher Sprache. Die Inhalte werden mit dem Schulministerium abgestimmt. (analog zu allen anderen Religionsgemeinschaften in Österreich). Die Religionslehrer sind der Schulleitung unterstellt und werden vom Staat finanziert. 47 Zur Zeit tagt eine Kommission zur Reform des Lehrplans. Die Ausbildung der ReligionslehrerInnen findet seit 1999 in einer Islamischen Akademie statt. Sie hat den gleichen Status, wie die Ausbildungsstätten der anderen Religionen. Die Ausbildung kostet 400 Euro im Semester und liegt damit auch im vergleichbaren Rahmen anderer Akademien. Die darüber hinaus gehenden Kosten werden von der IGGÖ getragen. Darüber hinaus findet in der Akademie ein intensives Fortbildungsprogramm für die vorhandenen Religionslehrkräfte statt. Der Nachholbedarf ist enorm, da vor 1999 viele Fachfremde als ReligionslehrerInnen eingestellt wurden. Einen hohen Stellenwert hat in der Aus- und Fortbildung die Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse. Spannungsfelder/Konflikte zwischen Muslimen und Mehrheitsbevölkerung: Die in der österreichischen Öffentlichkeit auftretenden Konflikte und Spannungen werden von der IGGÖ aufgegriffen und beantwortet. Z.B. wurde Ängsten nach dem 11. September durch gemeinsame Auftritte des Bundespräsidenten und dem Vorsitzenden der IGGÖ begegnet. Die IGGÖ tritt in diesen Fragen als Stimme der österreichischen Muslime auf und betont die Zugehörigkeit im eigenen Land. Die Kopftuchdiskussion hat in Österreich keine hohen Wellen geschlagen, da durch die selbstverständliche teilhabe der IGGÖ in der demokratischen Öffentlichkeit eine Kopftuchträgerin nicht in dem Maße als Problem oder gar als Bedrohung empfunden wird wie in Deutschland. Selbst die FPÖ nutzt die Muslime nach anfänglichen Vorstößen nicht offensiv als Projektionsfläche für das Schüren von Ängsten in der Bevölkerung. Moscheebauten werden auch in Österreich zu Konfliktfeldern. Dort schaltet sich die IGGÖ als Vermittler ein. Die hohe Anerkennung, die die Vertreter der IGGÖ von Seiten der Bundesregierung genießen, erleichtert in allen Bereichen das Konfliktmanagement sowie staatliche Entscheidungen und administratives Handeln. Konflikte/Spannungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft: - Konflikte bestehen zwischen Sunniten und Schiiten. Im Religionsunterricht wird versucht, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der verschiedenen Glaubensrichtungen deutlich zu machen und damit allen Eltern und Kindern die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Unterricht zu identifizieren. Trotzdem gilt der Unterricht zur Zeit als stärker Sunnitisch und wird von einer Minderheit der Schiiten nicht wahrgenommen. - Aus der Türkei eingewanderte Muslime versuchen in regelmäßigen Abständen ein Recht auf „türkischen Religionsunterricht“ einzufordern, der vom Staat mit Hinweis auf die IGGÖ regelmäßig abgelehnt wird. - Die Aleviten bemühen sich zur Zeit um Anerkennung als eigene Religionsgemeinschaft. Auch die IGGÖ ist der Auffassung, dass sie mit ihrer Auffassung des Islam die Aleviten nicht mit vertreten können. Von allen Gesprächspartnern werden die Konflikte als nicht gravierend eingeschätzt. Sie bewegen sich im Rahmen des normalen Konfliktpotentials eines demokratischen Verbandes. Wünsche/Ziele: Nach Ansicht aller Gesprächpartner bedarf es einer Weiterentwicklung des Islam in Europa. Dazu wäre eine wissenschaftliche Forschungs- und Ausbildungsstätte in islamischer Theologie in deutscher Sprache eine große Hilfe. Die Schwierigkeiten in Deutschland werden insbesondere von Prof. Potz und den muslimischen Gesprächspartnern sehr genau und mit Sorge beobachtet. Sie sehen die Struktur in Österreich als vorbildhaft an, in dem Wissen, dass die historische Situation in Österreich diese begünstigt hat und nicht so ohne weiteres auf Deutschland zu übertragen ist. Es bestand bei vielen Gesprächspartnern eine profunde Kenntnis über die deutsche Situation. Sie führte bei unseren Gesprächspartnern zu der Einschätzung, dass es eine große Bereitschaft unter den Muslimen in 48 Deutschland gebe, sich auf staatlicherseits vorgegebene Strukturen ein zu lassen. Sie rieten zu pragmatischem Vorgehen und zu klaren Vorgaben seitens des Staates respektive der Länder. Dass diese Prozesse möglich sind wurde mit verschiedenen Beispielen in Europa belegt. Belgien, Frankreich, Italien und Spanien haben in verschiedener Weise das Verhältnis des Staates zur muslimischen Minderheit durch Verträge geregelt. Fazit: Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächpartner waren uneingeschränkt der Auffassung, dass sich die Anerkennung der Islamischen Glaubensgemeinschaft als Religionsgemeinschaft positiv auf das Verhältnis zwischen eingewanderten Muslimen und Mehrheitsgesellschaft auswirkt. Die TeilnehmerInnen der Reise konnten sich nach Abschluss aller Gespräche dieser Auffassung nur anschließen. Insbesondere war auffällig, dass alle Gesprächsteilnehmer mit Migrationshintergrund überzeugend als österreichische StaatsbürgerInnen auftraten und mit großem Stolz die Entwicklung des Islam in Österreich präsentierten. Darüber hinaus waren sie sehr daran interessiert, einen aufgeklärten Islam in Europa gemeinsam weiter zu entwickeln. Die Grazer Erklärung vom Juni 2003, Resultat einer Konferenz von Imamen Europas in der Kulturhauptstadt Europas, hat dieses Ziel zum Ausdruck gebracht. 49