Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen und der Verlauf depressiver Erkrankungen Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Dr. phil. an der Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg vorgelegt von Dipl.-Psych. Eva Daniela Victor Heidelberg, Januar 2004 Referenten: Prof. Dr. Peter Fiedler Prof. Dr. Christoph Mundt Dank Für die Betreuung und Begutachtung der Dissertation danke ich Herrn Professor Dr. Peter Fiedler und Herrn Professor Dr. Christoph Mundt. Herrn Dr. Klaus-Thomas Kronmüller danke ich für die Unterstützung bei der Abfassung der Dissertation. Mein Dank gilt allen Patienten, die trotz ihrer schwierigen gesundheitlichen Situation bereit waren, an der Studie teilzunehmen. Inhaltsverzeichnis I Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Theorie 2 2.1 Depressive Störungen und ihre Behandlung 2.1.1 Major Depression 2.1.1.1 Symptomatik und Diagnostik von Depression 2.1.1.2 Komorbidität bei Depression 2.1.1.3 Häufigkeit von Depression 2.1.1.4 Ätiologie der Depression 2.1.1.5 Verlauf von Depression 2.1.1.6 Behandlung von Depression 2.1.2 Subaffektive depressive Störungen 2.1.2.1 „Minor Depression“ (leichte depressive Störung) 2.1.2.2 Andere Formen subdiagnostischer depressiver Störungen 2.1.3 Dysthymie 2.1.4 Zusammenfassung und Fazit 2 2 2 4 4 5 7 9 9 10 11 12 14 2.2 Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen 2.2.1 Persönlichkeitsmerkmale 2.2.2 Persönlichkeitsstörungen 2.2.3 Typus Melancholicus 2.2.4 Zusammenfassung 16 16 21 28 30 2.3 Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen bei Depression 2.3.1 Allgemeines zur Persönlichkeit bei Depression 2.3.2 Persönlichkeitsstörungen bei unipolarer Depression 2.3.2.1 Allgemeines zu Persönlichkeitsstörungen bei Depression 2.3.2.2 Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen bei Depression für die Therapieresponse und die Remission sowie depressive Residualsymptomatik 2.3.2.3 Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen bei Depression für depressive Rückfälle 2.3.3 Persönlichkeitsmerkmale und -strukturen bei Depression 2.3.3.1 Allgemeines zu Persönlichkeitsmerkmalen und -strukturen bei Depression 2.3.3.2 Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen bei Depression für die Therapieresponse und die Remission sowie depressive Residualsymptomatik 2.3.3.3 Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen bei Depression für Chronifizierung und Rückfälle der Depression 2.3.4 Fazit 32 32 34 34 46 48 2.4 Die depressive Persönlichkeitsstörung 2.4.1 Geschichte und Definition des Konzeptes 49 49 37 38 41 41 45 Inhaltsverzeichnis 2.4.2 Reliabilität und Validität der Diagnose der depressiven Persönlichkeitsstörung bzw. von Instrumenten zu ihrer Erfassung 2.4.2.1 Interrater-Reliabilität (Objektivität) 2.4.2.2 Retest-Reliabilität (Stabilität) 2.4.2.3 Interne Konsistenz 2.4.2.4 Validität 2.4.2.4.1 Diskriminante Validität der depressiven Persönlichkeitsstörung bezüglich psychischer Störungen 2.4.2.4.2 Diskriminante Validität der depressiven Persönlichkeitsstörung bezüglich anderer Persönlichkeitsstörungen, des Typus Melancholicus und Persönlichkeitsmerkmalen 2.4.3 Häufigkeit der depressiven Persönlichkeitsstörung 2.4.4 Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Persönlichkeitsstörung 2.4.5 Behandlung der depressiven Persönlichkeitsstörung 2.4.6 Prognostische Bedeutsamkeit der depressiven Persönlichkeitsstörung bei komorbidem Vorliegen von Depression oder Dysthymie 2.4.7 Diskussion und Fazit zur depressiven Persönlichkeitsstörung II 54 54 55 56 56 56 62 66 66 68 70 71 2.5 Zusammenfassung und Fazit zum Forschungsstand 75 2.6 Ziele, Fragen und Hypothesen 2.6.1 Ziele 2.6.2 Fragen 2.6.3 Hypothesen 2.6.3.1 Querschnitt-Hypothesen 2.6.3.2 Längsschnitt-Hypothesen 2.6.4 Explorative Auswertungen 77 77 77 78 78 78 79 3 Methoden 80 3.1 Untersuchungsdesign 80 3.2 Messinstrumente 3.2.1 Selbstbeurteilungsinstrumente 3.2.1.1 Die Befindlichkeitsskala (Bf-S) 3.2.1.2 Die Symptom-Checkliste (SCL-90-R) 3.2.1.3 Das Beck-Depressionsinventar (BDI) 3.2.1.4 Das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) 3.2.1.5 Der Temperamentsfragebogen TEMPS-A 3.2.1.6 Das Typus-Melancholicus-Persönlichkeitsinventar (TMPI) 3.2.1.7 Das Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI) 3.2.1.8 Das Inventar zur Erfassung Interpersonaler Probleme (IIP) 3.2.2 Fremdbeurteilungsinstrumente 3.2.2.1 Das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse I (SKID-I) 82 82 82 82 83 85 87 88 89 90 91 91 Inhaltsverzeichnis III 3.2.2.2 3.2.2.3 Die „Clinical Global Impressions“ (CGI) 92 Die Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus (GAF) 93 3.2.2.4 Die Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus von Beziehungen (GARF) 94 3.2.2.5 Die Skala zur Erfassung des Sozialen und Beruflichen Funktionsniveaus (SOFAS) 95 3.2.2.6 Die Hamilton-Depressionsskala (HAMD) 96 3.2.2.7 Die Montgomery-Åsberg-Depressionsskala (MADRS) 97 3.2.2.8 Das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse II (SKID-II) 98 3.2.2.9 Die Aachener Merkmalsliste für Persönlichkeitsstörungen, revidierte Version (AMPS-R) 100 3.2.2.10 Das Diagnostische Interview für Depressive Persönlichkeit (DID) 100 3.3 Statistische Datenanalyse 3.3.1 Methodische Vorstudie 3.3.2 Hauptstudie 3.3.2.1 Deskriptive Statistik 3.3.2.2 Assoziationen 3.3.2.3 Unterschiede in der zentralen Tendenz und in Häufigkeiten 3.3.2.4 Unterschiede im Zeitverlauf 3.3.2.5 Gruppierung von Merkmalen 3.3.2.6 Signifikanzniveau 4 Ergebnisse der Vorstudie 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 Stichprobe Itemkennwerte Interne Konsistenz Interraterreliabilität Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar DPSI 4.5.1 Erstellen einer Kurzversion des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars DPSI 4.5.2 Reliabilität des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars DPSI 4.6 Validität des Diagnostischen Interviews für die Depressive Persönlichkeit DID 4.7 Zusammenfassung 5 Ergebnisse der Hauptstudie 5.1 5.2 5.3 5.4 Stichprobe Studienverweigerer und Vergleich mit den Studienteilnehmern Drop-Out-Analysen Persönlichkeitsstörungen 102 102 103 103 103 104 106 108 109 110 110 110 111 113 115 115 117 118 120 122 122 126 129 130 Inhaltsverzeichnis 5.4.1 Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen 5.4.2 Komorbidität und Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen untereinander 5.4.2.1 Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen untereinander 5.4.2.2 Beziehungen zwischen den Persönlichkeitsstörungen 5.4.3 Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen 5.4.4 Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen 5.4.4.1 Faktorenanalyse der Persönlichkeitsstörungen 5.4.4.2 Clusterisierung von Persönlichkeitsmerkmalen 5.4.5 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen 5.4.5.1 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich soziodemographischer Merkmale und Ausgangssymptomatik 5.4.5.2 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich des Therapieergebnisses 5.4.5.3 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich des Therapieverlaufs IV 130 136 136 140 144 150 150 152 155 155 157 168 5.5 Patienten mit und ohne Komorbidität von psychischen Störungen 178 5.6 Patienten mit und ohne Komorbidität von Dysthymie 182 5.7 Zusammenfassung der Ergebnisse der Hauptstudie 185 6 Diskussion 188 6.1 Vorstudie 188 6.2 Hauptstudie 6.2.1 Stichprobe 6.2.2 Methoden 6.2.3 Ergebnisse der Hauptstudie 6.2.3.1 Häufigkeiten und Komorbiditäten 6.2.3.2 Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen 6.2.3.3 Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen 6.2.3.4 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen 6.2.3.5 Komorbidität mit anderen psychischen Störungen 6.3 Schlussfolgerungen und Ausblick 190 190 192 196 196 200 201 204 213 214 7 Zusammenfassung 219 8 Literatur 221 Anhang Erklärung Einleitung 1 1 Einleitung In der vorliegenden Arbeit werden Menschen, die an unipolarer Depression leiden, hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und des Verlaufs der Depression während der ersten stationären psychiatrischen Behandlung untersucht. Bei Depression sind Komorbiditäten mit Persönlichkeitsstörungen relativ häufig. Dabei wird diskutiert, welche Bedeutung die Komorbidität von Depression und Persönlichkeitsstörungen für die Merkmale und den Verlauf der depressiven Erkrankung hat, und ob die Komorbidität überhaupt bedeutsame Konsequenzen hat. Neben Merkmalen der Depression und der betroffenen Patienten beim Vorliegen dieser Komorbidität werden insbesondere der Verlauf und das Behandlungsergebnis der Depression berücksichtigt. Neben den Persönlichkeitsstörungen gibt es Persönlichkeitsmerkmale und -strukturen, deren Vorkommen und Bedeutung bei Depression ebenfalls untersucht werden. Die bisherige Befundlage in diesem Forschungsbereich wird widersprüchlich interpretiert: Manche folgern, dass komorbide Persönlichkeitsstörungen das Ansprechen auf medikamentöse und psychologische Therapie und insbesondere den Verlauf und die Prognose der Depression komplizierter gestalten. Eine andere Schlussfolgerung ist die, dass Persönlichkeitsstörungen nicht zu einem besseren Verlauf der Depression führen, dass jedoch darüber hinausgehende Schlussfolgerungen methodisch anfechtbar seien. Dieses Fazit wird damit begründet, dass bei Kontrolle von Störfaktoren kein Zusammenhang zwischen Depressionsverlauf und Persönlichkeitsstörungen bestehe, wenn die Patienten eine gute Standardbehandlung für die affektive Störung erhalten. Es interessiert daher, in welcher Beziehung Depression und Persönlichkeitsstörungen bzw. Persönlichkeitsmerkmale in der vorliegenden Stichprobe von Patienten mit erstmals stationär behandelter Depression stehen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung. Es ist dabei umstritten, ob es sich um eine reliabel und valide messbare diagnostische Kategorie handelt, die in die internationalen Klassifikationssysteme aufgenommen werden sollte. Auch ist unklar, ob dieses Konzept eher bei den affektiven Störungen oder den Persönlichkeitsstörungen eingeordnet werden sollte, und zu welchen Persönlichkeitsstörungen es in besonders enger Beziehung steht. Bei der depressiven Persönlichkeitsstörung interessiert ebenfalls, ob sie den Verlauf einer komorbiden Depression verändert. Daher wurden in der vorliegenden Arbeit Messinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung evaluiert und die Beziehung der depressiven Persönlichkeitsstörung zu anderen Persönlichkeitsstörungen und zur Depression geprüft. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht also der Kurzzeitverlauf depressiver Erkrankungen in seiner Beziehung zu Persönlichkeitsmerkmalen und -störungen bei erstmals hospitalisierten depressiven Patienten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der depressiven Persönlichkeitsstörung und den Möglichkeiten, sie zu erfassen. 2 Theorie 2 Theorie Zu verschiedenen depressiven Störungen, Persönlichkeitsmerkmalen, -strukturen und Persönlichkeitsstörungen, Persönlichkeitsmerkmalen und -störungen bei Depression und zur depressiven Persönlichkeitsstörung werden Untersuchungsbefunde und Erklärungen vorgestellt. Anschließend werden die Ziele, Fragen und Hypothesen für die vorliegende Untersuchung beschrieben. 2.1 Depressive Störungen und ihre Behandlung Zunächst werden in diesem Kapitel Befunde, z. B. zur Epidemiologie, und Erklärungen zur Major Depression vorgestellt, dann zu subaffektiven Störungen und zur Dysthymie. 2.1.1 Major Depression 2.1.1.1 Symptomatik und Diagnostik von Depression In der vorliegenden Arbeit werden Menschen, die an unipolarer Depression („Major Depression“) leiden, hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und des Verlaufs der Depression untersucht. Der Ausdruck „Major Depression“ bezieht sich auf das Klassifikationssystem des „Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen“ DSM-IV (APA, 1994; Saß, Wittchen & Zaudig, 1998). Depressive Patienten erleiden starke und langdauernde Einbußen in vielen Funktionsbereichen und im Wohlgefühl, die vergleichbar und stärker sind als die von Patienten mit chronischen körperlichen Erkrankungen (Hays, Wells, Sherbourne, Rogers & Spritzer, 1995). Bei den Beeinträchtigungen weltweit befand sich die Depression unter den ersten vier Erkrankungen (Üstün & Kessler, 2002). Gemäß Kupfer (1999) wird erwartet, dass Depression im Jahre 2020 die zweitschwerste Erkrankung sein wird („Global Disease Burden“). Depression ist also eine Erkrankung, die schwere Formen annehmen kann. Sie weist eine heterogene Symptomatik auf. Zu den möglichen Symptomen der Depression zählen depressive Verstimmung, Verlust von Interesse und Freude, erhöhte Ermüdbarkeit, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit, Hemmung des Denkens, depressive Wahngedanken, Vitalstörungen (leibliche Missempfindungen, z. B. Druckempfindungen), vegetative Störungen (z. B. Schlaf- und Verdauungsstörungen), Tagesschwankungen mit Morgentief sowie psychomotorische Hemmung oder Agitation (Huber, 1999; Paykel, 1987). Theorie 3 Dabei fanden sich Unterschiede in der Symptomatik zwischen Männern und Frauen: bei Salokangas, Vaahtera, Pacriev, Sohlman und Lehtinen (2002) wiesen Frauen höhere Werte in Weinen und Libidoverlust auf als Männer, was auf biologische, psychologische und kulturelle Faktoren zurückgeführt wird (und was zu etwas stärkeren Schwereangaben der Depression in Fragebögen wie z. B. dem Beck-Depressionsinventar (vgl. Kap. 3.2.1.3) bei Frauen führen kann; o. c.; vgl. Scheibe, Preuschhof, Cristi & Bagby, 2003). Scheibe et al. (2003) fanden bei Frauen mehr vegetative und atypische Depressionssymptome, Angst und Ärger als bei Männern. Khan, Gardner, Prescott und Kendler (2002) fanden mehr Erschöpfung, Hypersomnie und psychomotorische Verlangsamung bei Frauen, bei Männern mehr Insomnie und Agitierung. Auch transkulturell lässt sich bei Depression ein Kernsyndrom beobachten, das aus depressiver Verstimmung, Retardierung, Interessenverlust, Vital- und Schlafstörungen sowie Appetitminderung besteht (Mundt, 1991). Trotz der heterogenen Symptomatik gibt es insbesondere bei schwereren Formen der Depression Gemeinsamkeiten der Symptomatik, die überwiegend der Major Depression des DSM entsprechen (vgl. Kendell, 1976; Kronmüller & Mundt, 2000). Zusätzlich findet sich bei Depressiven, dass sie den Zeitablauf verlangsamt erleben (Mundt, 1998b). Das Klassifikationssystem, das in der vorliegenden Arbeit verwendet wurde, ist das „Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen“ DSM-IV (APA, 1994; Saß, Wittchen & Zaudig, 1998). Die diagnostischen Kriterien sind als Konvention zu verstehen (Kendler & Gardner, 1998). Zur Diagnose einer Episode einer Major Depression (Ziffern 296.2 und 296.3 bei Rezidiven) verlangt das DSM-IV, dass mindestens fünf aus einer Menge von neun Symptomen während einer Zeitdauer von mindestens zwei Wochen gleichzeitig vorkamen. Mindestens eines der Symptome sollte depressive Verstimmung (1) oder Verlust von Freude oder Interesse (2) sein. Die weiteren Symptome sind: (3) Gewichtsveränderung um mindestens 5 % des vorherigen Gewichts (ohne Diät) oder verminderter / gesteigerter Appetit, (4) Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf, (5) psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung, (6) Müdigkeit oder Energieverlust, (7) Gefühle von Wertlosigkeit oder übermäßige / unangemessene Schuldgefühle, (8) verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren, oder verringerte Entscheidungsfähigkeit und (9) wiederkehrende Gedanken an den Tod, wiederholte Suizidvorstellungen, Suizidpläne oder Suizidversuche. Zudem sollten zur Zeit keine gemischte Episode und in der Vergangenheit keine manische Episode vorliegen. Die Symptome sollten für die Diagnose klinisch bedeutsames Leid oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionen hervorrufen. Sie sollten nicht auf eine Substanz zurückzuführen sein und nicht besser erklärbar sein als einfache Trauer. 4 Theorie 2.1.1.2 Komorbidität bei Depression Bei Depression sind Komorbiditäten mit anderen psychischen Störungen, Persönlichkeitsstörungen und körperlichen Erkrankungen relativ häufig. Mezzich, Fabrega und Coffman (1987) beispielsweise berichten von 26 % der depressiven Patienten, die zusätzlich Diagnosen von der Achse I des DSM erhielten (am häufigsten Substanzmissbrauch und Substanzabhängigkeit und Angst), und Persönlichkeitsstörungen (am häufigsten dependente Persönlichkeitsstörungen bzw. solche aus dem ängstlichen Cluster), zudem 47 % mit körperlichen Erkrankungen. Melartin, Rytsälä, Leskelä, LesteläMielonen, Sokero et al. (2002) fanden bei insgesamt 79 % der depressiven Patienten komorbide psychische oder Persönlichkeitsstörungen. Kronmüller und Mundt (2000) berichten zudem von hoher Komorbidität von Schizophrenie und Depression sowie einer beginnenden Demenz und Depression. 2.1.1.3 Häufigkeit von Depression Depressionen können in jedem Lebensalter auftreten, auch schon bei Kindern. Ungefähr 10,5 % der amerikanischen Bevölkerung leiden an Depressionen (Bougerol & Scotto, 1994; gemäß DSM-III), 8,6 % der Bevölkerung in fünf europäischen Staaten (Ayuso-Mateos, Vázquez-Barquero, Dowrick, Lehtinen, Dalgard et al., 2001), in anderen Studien lagen die Punktprävalenzen zwischen 3 und 5 % (Angst, 1992; Michalak, Wilkinson, Hood, Srinivasan, Dowrick et al., 2002). Die Punktprävalenzen für Kinder werden zwischen 0,4 und 2,5 % geschätzt, für Jugendliche zwischen 0,4 und 8,3 % (Cicchetti & Toth, 1998; Steinhausen & Winkler Metzke, 2003). Bei Kindern fanden sich keine Geschlechtsunterschiede in der Häufigkeit, bei Jugendlichen sind Mädchen ungefähr doppelt so häufig betroffen wie Jungen (Cicchetti & Toth, 1998). Die Ein-Jahres-Prävalenzen liegen zwischen 2,6 und 6,9 % (DSM-III) (Angst, 1992; Takeuchi, Chung, Lin, Shen, Kurasaki et al., 1998), teilweise auch höher (10,3 % und 14,1 % in zwei epidemiologischen Studien; Kessler, DuPont, Berglund & Wittchen, 1999). Haarasilta, Marttunen, Kaprio und Aro (2001) fanden bei Heranwachsenden (15 bis 19 Jahre alt) 5,3 % mit Depression, bei jungen Erwachsenen (20 bis 24 Jahre alt) 9,4 %. Bei älteren Menschen (mindestens 65 Jahre alt) wird die Prävalenz auf 15 % geschätzt (Gottfries, 2001). Bei Menschen mit mindestens 55 Jahren fanden Beekman, Copeland und Prince (1999) in einer Übersicht von 34 Studien Prävalenzen zwischen 0,4 % und 10,2 % (gewichteter Mittelwert: 1,8 %). Die Zehn-Jahres-Prävalenz für 20- bis 30-Jährige lag in der Züricher Studie bei 14,4 % (Angst, 1992). Die Prävalenz für das gesamte Leben beträgt bei Depressionen je nach Untersuchung mindestens 4,4 %, manche Schätzungen reichen bis 17 % oder 20 % (Angst, Theorie 5 1992; Comer, 1995; Kaelber, Moul & Farmer, 1995; Keller, 1994; Spaner, Bland & Newman, 1994; Sturt, Kumakura & Der, 1984; Wittchen, Essau, von Zerssen, Krieg & Zaudig, 1992). Kessler, Berglund, Demler, Jin, Koretz et al. (2003) stellten eine Lebenszeitprävalenz von 16,2 % fest. Bei 70- bis 85-Jährigen fanden Pálsson, Östling und Skoog (2001) bei Frauen eine Lebenszeitprävalenz von 45 % und bei Männern von 23 %. Bei Jugendlichen liegt die Lebenszeitprävalenz bei 15 bis 20 % (Cicchetti & Toth, 1998), also vergleichbar hoch wie die Lebenszeitprävalenz in Studien, in denen nur Erwachsene untersucht wurden (vgl. o. c.). Dabei erkranken in Industrienationen Frauen ungefähr doppelt so häufig wie Männer mindestens einmal in ihrem Leben an Depression (vgl. Brems, 1995; Comer, 1995; Kessler, 2003; Kessler, McGonagle, Swartz, Blazer & Nelson, 1993; Kessler, McGonagle, Zhao, Nelson, Hughes et al., 1994; Wenzel, 1993; Wittchen & von Zerssen, 1987). Mit zunehmendem Alter nimmt der Geschlechtsunterschied ab, bei über 50-Jährigen besteht er gar nicht mehr (Wainwright & Surtees, 2002). Bebbington, Dunn, Jenkins, Lewis, Brugha et al. (1998) fanden bei Menschen über 55 Jahren dagegen eine Umkehrung des Häufigkeitsverhältnisses zwischen Männern und Frauen. Die Häufigkeit depressiver Störungen scheint in den letzten Jahrzehnten weltweit zuzunehmen, wie Studien belegen, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Hagnell, Lanke, Rorsman & Öjesjö, 1982; Knäuper & Wittchen, 1995). Pálsson et al. (2001) berichten von Inzidenzen von 12 pro Tausend Menschen pro Jahr bei Männern und 30 pro Tausend pro Jahr für Frauen bei 70- bis 85-Jährigen (für die 70- bis 79-Jährigen: 17, für die 79- bis 85-Jährigen: 44 pro Tausend pro Jahr). Murphy, Nierenberg, Laird, Monson, Sobol et al. (2002) berichten eine mittlere jährliche Inzidenz von 10 pro Tausend für Major Depression. Murphy, Laird, Monson, Sobol und Leighton (2000) fanden stabile Prävalenzen und Inzidenzen von 1952 bis 1992: die mittlere jährliche Inzidenz in zwei Kohorten (eine wurde von 1952 bis 1970 begleitet, die andere von 1970 bis 1992) lag bei 4,5 bzw. 3,7 pro Tausend pro Jahr. Oldehinkel, Wittchen und Schuster (1999) fanden eine kumulierte Lebenszeitinzidenz für Depression von 20 %. 2.1.1.4 Ätiologie der Depression Die aktuellen Erklärungen der Depression beinhalten meistens mehrere Faktoren: biologische, psychologische und soziale Faktoren mit teilweise unterschiedlicher Gewichtung (Comer, 1995; Hautzinger, 1991b; Hautzinger & de Jong-Meyer, 1994, 1998; Weich, Blanchard, Prince, Burton, Erens et al., 2002; Wittchen & von Zerssen, 1987). Für die Aufrechterhaltung der Depression können dieselben Faktoren verantwortlich sein wie für ihre Entstehung, aber auch andere (von Zerssen, Mombour & Wittchen, 1988). 6 Theorie In einem der zur Zeit präferierten Modelle, dem „Final Common Pathway Model“ von Akiskal und McKinney (1975), wird angenommen, dass fünf Prozesse (genetische Prädisposition, Entwicklungsfaktoren, psychosoziale Bedingungen, physiologische Stressoren, Persönlichkeitsmerkmale) in verschiedenen Kombinationen auftreten können und im Gehirn Regionen beeinflussen, die Erregung, Stimmung, Motivation und psychomotorische Funktionen modulieren. Diese wirken auf eine gemeinsame Endstrecke, die in einer Regulationsstörung im diencephalen Verstärkungssystem besteht (Hautzinger, 1997a). Mit der gemeinsamen diencephalen Endstrecke werden die verschiedenen depressiven Störungen gemeinsamen klinischen Merkmale erklärt, während Unterschiede in der Phänomenologie (z. B. uni- versus bipolarer Verlauf) mit Unterschieden bei den pathogenetischen Faktoren und deren Interaktionen erklärt werden (Akiskal & McKinney, 1975). Parker (2000) bevorzugt dagegen ein Modell, in dem verschiedene neurobiologische Prozesse zu einer obligatorischen Komponente der Depression führen: zu depressiver Stimmung, entweder alleine oder über Einbezug anderer neurobiologischer Prozesse, die den Ausdruck von z. B. Angst, Reizbarkeit / Feindseligkeit und Erschöpfung haben. Je nach Zusammenstellung dieser Komponenten zeigt sich die oberflächliche Gestalt der nichtmelancholischen Depression. Durch die Aktivierung zusätzlicher Prozesse können weitere Komponenten zur Depression hinzukommen, durch psychomotorische Störungen entsteht eine melancholische Depression, durch psychotische Symptome eine psychotische Depression (Parker, 2000). Aufgrund bisheriger Forschungsergebnisse gibt es folgende Risikofaktoren für die Entstehung von Depression: weibliches Geschlecht, jüngeres Lebensalter (in einigen Studien heißt das z. B. unter 55 Jahren), frühere depressive Episoden bzw. Symptome (auch in der Kindheit und Adoleszenz), Leben in der Stadt, niedrigeres Bildungsniveau, geringeres Einkommen, Arbeitslosigkeit, Arbeitssuche, negative Merkmale der Wohngegend (z. B. Vandalismus), Unzufriedenheit mit der sozialen Rolle, disharmonische Beziehung und Ehekonflikte, Depression der Eltern, ledige oder geschiedene Personen, nicht schulpflichtige (Klein-)Kinder in der Familie, finanzielle Sorgen, soziale Isolation und Mangel an Unterstützung, körperliche Misshandlung in der Kindheit (bei Frauen), kritische Lebensereignisse einige Monate vor Beginn der Depression, soziale Abhängigkeiten, emotionale Labilität, Rigidität, ein negatives Selbstschema, geringes Selbstwertgefühl, misserfolgsbetonte Erwartungshaltungen und Erklärungsmuster, eine Neigung zur Selbstaufmerksamkeit, Störungen im Hormonhaushalt (Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-Hormonsystem) und genetische Faktoren (Aalto-Setälä, Marttunen, Tuulio-Henriksson, Poikolainen & Lönnqvist, 2002; Brieger, Blöink, Sommer & Marneros, 2001; Brown, Bifulco, Harris & Bridge, 1986; Fergusson & Woodward, 2002; Hautzinger, 1991b; Lewinsohn, Hoberman & Rosenbaum, 1988; Lewinsohn, Rohde, Klein & Seeley, 1999; Kendler, Gardner & Prescott, 2002; Lieb, Isensee, Höfler, Pfister & Wittchen, 2002; Theorie 7 MacMillan, Fleming, Streiner, Lin, Boyle et al., 2001; Matussek, 1994; Sullivan, Neale & Kendler, 2000; Turvey, Carney, Arndt, Wallace & Herzog, 1999; Weich et al., 2002). Cole und Dendukuri (2003) fanden bei Personen ab 50 Jahren metaanalytisch eine Behinderung, eine neue somatische Erkrankung, einen schlechten Gesundheitszustand, frühere Depressionen, Schlafstörungen, weibliches Geschlecht und Verwitwung als Risikofaktoren. Dagegen sind bislang folgende schützende Faktoren in Studien gefunden worden: soziale Kompetenz, antidepressive Bewältigungsstrategien, Problemlösefähigkeiten, ein hohes Selbstwertgefühl, mehr angenehme und positiv verstärkende Aktivitäten, unterstützende Sozialkontakte, eine Beziehung zu einer vertrauten Person bzw. eine Partnerschaft, extravertierte Persönlichkeitszüge, körperliches Training sowie Gesundheit (Aro, 1994; Hautzinger, 1991b; Murell, Meeks & Walker, 1991; Palenzuela, Calvo & Avero, 1998; Palosaari & Aro, 1995). Gemäß Hautzinger (1997a) haben die vorherrschenden multifaktoriellen Modelle der Depression den Vorteil, empirische Befunde wie die zitierten zu integrieren, verschiedene Auslöser, Aufschaukelungsprozesse und auch verschiedene Wege der Abschwächung oder Beendigung der Depression zuzulassen. Allerdings kann dadurch nie das gesamte Modell geprüft werden, sondern nur Teilbeziehungen daraus (vgl. Hautzinger, 1997a). 2.1.1.5 Verlauf von Depression Heute betrachtet man affektive Störungen bezüglich des Verlaufs als äußerst heterogen. Bei 70 bis 80 % der Depressiven kann ein Verlauf mit mehr als einer depressiven Episode angenommen werden (Hautzinger & de Jong-Meyer, 1994, 1998; Post, 1992; Wolfersdorf, 1995). So werden Depressionen heute im Gegensatz zu früher als rezidivierend und chronisch eingeschätzt (Judd, 1997; Wolfersdorf, 1995). Zu den Faktoren, die zur Chronifizierung einer depressiven Erkrankung beitragen können, zählen insbesondere Entwicklungsfaktoren und außerdem chronische Stressoren sowie Persönlichkeitsmerkmale (Riso, Miyatake & Thase, 2002). Es gibt Befunde, die einen ungünstigeren Verlauf zeigten, wenn komorbid körperliche Erkrankungen vorlagen (Keitner, Ryan, Miller, Kohn & Epstein, 1991), außerdem bei komorbiden psychischen Störungen, komorbiden Persönlichkeitsstörungen oder bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Neurotizismus), kritischen Lebensereignissen und psychosozialen Problemen (z. B. in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz). Depressive Rückfälle werden wahrscheinlicher, wenn die Behandlung früherer depressiver Episoden mit nur teilweiser Remission endete (z. B. Pintor, Gastó, Navarro, Torres & Fañanas, 2003). Auch die depressive Symptomatik selbst beeinflusst den weiteren Erkrankungsverlauf, so ist die depressive Verstimmung stärker, Suizidversuche vor stationärer Aufnahme häufiger 8 Theorie (Kühner, 2000) und die Depression verläuft ungünstiger, wenn psychotische Symptomatik vorliegt (z. B. Flint & Rifat, 1998). Prognostisch günstig für den Verlauf einer Depression waren in Studien z. B. Religiosität (Braam, Beekman, Deeg, Smit & van Tilburg, 1997) und die Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus (Kronmüller, Backenstraß, Reck, Kraus, Fiedler et al., 2002; Marneros, Deister & Rohde, 1991). Posternak und Miller (2001) fanden bei depressiven Personen ohne Behandlung im Rahmen einer Metaanalyse eine Reduktion der depressiven Symptomatik um 10 bis 15 % innerhalb von 2 bis 20 Wochen, dies entspricht dem Spontanverlauf. Bei schätzungsweise 20 % der Personen trat eine Spontanremission auf, d. h. eine Reduktion der Symptomatik, die der bei erfolgreicher Pharmakotherapie entspricht (o. c.). Piccinelli und Wilkinson (1994) berichten in ihrer Übersicht über Verlaufsstudien, dass die Häufigkeit von Gesundung mit der Länge des Zeitraums nach der Indexepisode zunimmt: ca. die Hälfte der Patienten gesundete nach sechs Monaten, in längeren Zeiträumen (bis zu zehn Jahren) war dies bei einem Großteil der Patienten so. Ein Viertel der Patienten erlitt innerhalb eines Jahres Rückfälle, drei Viertel der Patienten hatten in Zeiträumen über zehn Jahren mindestens einen Rückfall. Für mehr als 10 % verlief die Depression chronisch (Piccinelli & Wilkinson, 1994). Außer dem Verlauf nach Beginn der depressiven Erkrankung wird auch der Verlauf der Symptomatik vor und am Beginn der Erkrankung untersucht. Da die Frühsymptome von Depression unspezifisch sind, ist es zur Frühintervention bzw. Rückfallprävention zusätzlich sinnvoll, Risikokonstellationen zu beachten (Mundt, 1998a; Mundt & Fiedler, 1996; vgl. schon beschriebene Risikofaktoren). Betroffene Menschen könnten gemäß Mundt (1998a) von einer präventiven psychotherapeutischen oder sozialpsychiatrischen Maßnahme profitieren. Zu Drogenkonsum, den Vorläufern von Depression werden Panikattacken, Konzentrationsstörungen, Wertlosigkeits- und Angst, Schuldgefühle, Libidoverlust und Schlafstörungen gezählt (Mundt, 1998a). Die Vorläufersymptome können einer voll ausgebildeten depressiven Episode um Wochen und um Monate vorausgehen (Fava & Kellner, 1991; Jackson, Cavanagh & Scott, 2003). Eine Remission der Depression scheint gemäß Befunden immer unwahrscheinlicher zu werden, je länger die depressive Symptomatik schon besteht (Coryell & Winokur, 1992). Das Suizidrisiko bei Menschen mit affektiven Erkrankungen liegt 30 Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung (Guze & Robins, 1970: Literaturübersicht). Bei schwer Depressiven werden 15 % Todesfälle durch Suizid erwartet. Zudem müssen die Anteile von chronifizierten oder therapieresistenten Depressionen (ungefähr 20 %) berücksichtigt werden (Angst, 1988; Wolfersdorf, 1995). Die Mortalität bei depressiven Menschen (und Menschen mit subklinischen Formen der Depression) ist vermutlich auch dadurch erhöht, dass komorbide andere psychische Erkrankungen und körperliche Erkrankungen einen schwereren Verlauf nehmen, die Betroffenen ungesünder leben (z. B. rauchen, sich weniger Theorie 9 bewegen) und unfall-anfälliger sind (vgl. Cuijpers & Smit, 2002). Insgesamt lag das mittlere relative Risiko zu sterben bei depressiven Menschen im Vergleich zu nicht-depressiven Menschen in einer Metaanalyse bei 1,8, also fast doppelt so hoch (Cuijpers & Smit, 2002). 2.1.1.6 Behandlung von Depression Depression gilt heute als eine Erkrankung, die schwierig und langfristig behandlungsbedürftig ist (Wolfersdorf, 1995). Es gibt aber mittlerweile viele und wirksame Behandlungsmöglichkeiten. Es kommen psychopharmakologische und psychotherapeutische Methoden zum Einsatz, bei schwereren depressiven Erkrankungen meistens beide. Die Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie ist dem Einsatz nur einer TherapieArt in Studien eher überlegen (z. B. Hautzinger, 1995; de Jong-Meyer, Hautzinger & Müller, 2000; Keller, McCullough, Klein, Arnow, Dunner et al., 2000; Kool, Dekker, Duijsen, de Jonghe & Puite, 2003; Lenze, Dew, Mazumdar, Begley, Cornes et al., 2002; Mundt, 1996; Thase, Greenhouse, Frank, Reynolds, Pilkonis et al., 1997). Manchmal zeigte sich auch keine höhere Wirksamkeit einer Kombinationstherapie (z. B. Hollon, Shelton & Loosen, 1991). Neben verhaltenstherapeutischen werden beispielsweise auch psychodynamische Behandlungsweisen bei Depression diskutiert (vgl. z. B. Reck & Mundt, 2002). Mundt (1996) empfiehlt vor Beginn einer Psychotherapie die Struktur-Diagnose der Persönlichkeit der Patienten, um die Psychotherapie individuell gestalten zu können, zudem eine Anpassung der Therapie an die Vorerfahrungen des Patienten mit seiner Erkrankung und an die möglicherweise zusätzliche Behandlung mit Psychopharmaka (vgl. auch Kronmüller & Mundt, 1999). 2.1.2 Subaffektive depressive Störungen Psychiatrische Störungen unterhalb der diagnostischen Schwelle werden in letzter Zeit verstärkt untersucht. Rucci, Gherardi, Tansella, Piccinelli, Berardi et al. (2003) fanden bei diesen Störungen, dass sie häufiger auftraten als die psychiatrischen Störungen, die die Kriterien nach ICD-10 erfüllten. Betroffene Menschen berichteten von psychologischem Stress, Behinderungen im Alltag und wahrgenommener Gesundheit, die vergleichbar waren mit denen bei Menschen mit voll ausgeprägten ICD-10-Störungen (Rucci et al., 2003). Die Mortalität bei Menschen mit subklinischen Formen der Depression war in einer Metaanalyse vergleichbar mit der bei Menschen mit depressiven Erkrankungen (Cuijpers & Smit, 2002). Für subdiagnostische depressive Störungen fanden die Autoren ein Prävalenz von 14,9 % 10 Theorie und eine gewichtete Prävalenz von 9,9 % (von depressiven Störungen nach ICD-10: 11,9 % bzw. 4,6 %). Manche Autoren differenzieren unterschwellige depressive Störungen, die das Kriterium der klinischen Bedeutsamkeit des DSM-IV erfüllen, und subklinische Formen depressiver Störungen, die zwar klinische Symptome aufweisen, denen jedoch die klinische Bedeutsamkeit fehlt (Pincus, Wakefield Davis & McQueen, 1999). 2.1.2.1 „Minor Depression“ (leichte depressive Störung) Bei der „Minor Depression“ (leichten depressiven Störung) handelt es sich um eine Variante einer weniger schweren Depression, die 1978 als Teil der „Research Diagnostic Criteria“ (RDC) (Spitzer, Endicott & Robins, 1978) eingeführt wurde. Es wird für die Diagnose einer Minor Depression gemäß DSM-IV (Forschungsanhang) verlangt, dass zwei von neun Depressionssymptomen für mindestens zwei Wochen vorliegen. Im DSM-IV sind die neun Symptome identisch mit denen bei Major Depression. Die vorhandenen Definitionen für die leichte depressive Störung divergieren jedoch derart, dass Feldman, Robbins und Jaffe (1998) vorschlagen, sich auf eine, nämlich die des DSM-IV zu einigen, um die Forschung auf diesem Gebiet zu fördern. Die Lebenszeitprävalenz liegt zwischen ca. 8 und 11 % (Marneros, 1999c). Von Angst, Gamma, Gastpar, Lépine, Mendlewicz et al. (2002) wurden keine signifikanten Geschlechtsunterschiede festgestellt. Allerdings lagen in allen Altersgruppen die Häufigkeiten der leichten Depression bei Frauen höher. Die Prognose der meisten Patienten wird von Marneros (1999c) als gut angesehen, da Befunde darauf hindeuten, dass innerhalb von zehn Jahren mehr als die Hälfte der Betroffenen keine Symptome mehr hat, jeweils ein Fünftel eine depressive Störung bzw. eine rezidivierende kurze depressive Störung („Recurrent Brief Depression“) entwickelt. Es handelt sich also um eine häufig auftretende Erkrankung in der Bevölkerung, die zudem für das Gesundheitssystem von großer Bedeutung ist. So zeigte sich in Studien beispielsweise, dass 9 bis 16 % der Tage von Arbeitsunfähigkeit auf eine Minor Depression zurückzuführen waren. Außerdem hing die leichte depressive Störung zusammen mit Fehlen bei der Arbeit, Trennung und Scheidung (Beck & Koenig, 1996). Gemäß Szegedi (2001) mehren sich die Hinweise für wirksame antidepressive Behandlung von Minor Depression, z. B. mit Selektiven Serotonin-WiederaufnahmeHemmern (SSRI) (z. B. Rapaport & Judd, 1998). Allgemein empfiehlt Helmchen (2001) bei unterschwelligen psychischen Störungen einen schrittweisen Behandlungsplan, der mit Selbsthilfe und prämedizinischer Unterstützung (durch Freunde), aber auch Selbstmedikation (z. B. mit Johanniskraut) beginnt, dann über eine allgemeinärztliche Versorgung in der dritten Stufe zur psychiatrischen Versorgung führt (vgl. Kap. 2.4.5). 11 Theorie Hautzinger (2001) berichtet von der Wirksamkeit von kognitiver Verhaltenstherapie in Gruppen bei Personen mit leichter depressiver Störung. In dieser werden Bewältigungs- und Kontrollstrategien zur Überwindung bzw. Verhinderung von negativen, dysphorischen Stimmungszuständen gezeigt. Zudem werden Kognitionen verändert und soziale Fertigkeiten gelehrt (Hautzinger, 2001). Nach Einschätzung von Hautzinger (2001) ist das Konzept auch auf andere Störungen übertragbar, und es ist gut mit antidepressiver Medikation kombinierbar. 2.1.2.2 Andere Formen subdiagnostischer depressiver Störungen Neben der leichten depressiven Störung gibt es weitere Formen subdiagnostischer affektiver Störungen. Eine davon ist die „intermittierende Depression“. Sie wird in den „Research Diagnostic Criteria“ RDC als ähnlich zur Minor Depression beschrieben (Hirschfeld, 1994). Allerdings halten die depressiven Symptome hierbei nicht an. Typisch für intermittierende Depression ist, dass die depressive Stimmung zwischen Stunden und über einer Woche anhält, und zusätzlich zwei der Symptome der Minor Depression auftreten (Hirschfeld, 1994). Die für die Diagnose erforderliche Dauer beträgt mindestens zwei Jahre. Eine andere Form der subaffektiven Störung ist die „Recurrent Brief Depression“ („Rezidivierende kurze depressive Störung“): Kennzeichnend für diese Depressionsform, die von Paskind (1929) eingeführt wurde, sind kurze Depressionsattacken, die zwischen Stunden und Tagen andauern. Diese depressiven Episoden erreichen die Stärke einer Major Depression, aber nicht ihre geforderte Mindestdauer von zwei Wochen. Gemäß DSM-IV (Forschungsanhang) dauert die rezidivierende kurze depressive Störung mindestens zwei Tage an. Zudem treten die depressiven Episoden mindestens einmal pro Monat auf über einen Zeitraum von zwölf Monaten (vgl. a. Keller, Hanks & Klein, 1996). Angst, Merikangas, Scheidegger und Wicki (1990) schlugen diagnostische Kriterien vor und untersuchten die Validität des diagnostischen Konzeptes. Für die Diagnose einer rezidivierenden kurzen depressiven Störung wurde in der Studie verlangt, dass die dysphorische Stimmung und der Verlust von Interesse für eine Dauer von weniger als zwei Wochen andauern. Zudem sollten vier der folgenden Symptome vorliegen: Appetitverlust, Schlafstörungen, Agitiertheit, Erschöpfung, Gefühle der Wertlosigkeit, Konzentrationsprobleme und Suizidalität (Hirschfeld, 1994). Die rezidivierende kurze depressive Störung wurde in die ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 1993) aufgenommen (Ziffer F38.10). Diese depressive Erkrankung ist verbunden mit beträchtlichem Leid, sozialen Problemen und erhöhtem Suizidrisiko (Angst, 1994). Die Ein-Jahres-Prävalenz von rezidivierender kurzer depressiver Störung lag bei Angst (1992) in der Zürich-Studie bei 3,7 %, Angst (1994) berichtet von Ein-Jahres-Prävalenzen von ca. 5 % und einer Lebenszeit-Prävalenz von ca. 10 %. Pezawas, Wittchen, Pfister, Theorie 12 Angst, Lieb und Kasper (2003) fanden bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Prävalenz von 2,6 % über einen Zeitraum von 42 Monaten. Die rezidivierende kurze depressive Störung trat nicht signifikant unterschiedlich häufig bei Frauen und Männern auf (Pezawas et al., 2003). In den meisten Indikatoren für Validität war die rezidivierende kurze depressive Störung vergleichbar mit Major Depression, nämlich in der Symptomatik, der Beziehung zu somatischen und psychiatrischen Erkrankungen, dem Ersterkrankungsalter, dem familiären Vorkommen, dem Langzeitverlauf und der Beeinträchtigungsschwere (Angst, Merikangas, Scheidegger & Wicki, 1990). Bei gleichzeitigem Vorliegen einer rezidivierenden kurzen depressiven Störung und einer Major Depression spricht man von „kombinierter Depression“; diese ist mit erhöhtem Suizidrisiko verbunden (Pezawas, Stamenkovic & Kasper, 2001). Zu den subsyndromalen oder subdiagnostischen depressiven Störungen gehört neben der leichten depressiven Störung und der rezidivierenden kurzen depressiven Störung auch die sog. „Subsyndromale (oder unterschwellige) depressive Symptomatik“ (SSD) (Angst & Merikangas, 1997; Kronmüller & Mundt, 2000). Sie bezeichnet ein depressives Syndrom mit zwei oder mehr depressiven Symptomen, aber unterhalb der diagnostischen Schwelle für Minor, Major Depression oder Dysthymie (Judd, Akiskal, Maser, Zeller, Endicott et al., 1998; Judd, Akiskal & Paulus, 1997). Subsyndromale und leichte depressive Symptomatik kam im Laufe einer Major Depression, die wöchentlich untersucht wurde, häufiger vor als depressive Symptomatik über der diagnostischen Schwelle für Major Depression (Judd et al., 1998). 2.1.3 Dysthymie Die Dysthymie („Dysthymia“ in der ICD-10 und „dysthyme Störung“ im DSM-IV) ist eine Erkrankung, die bei der Untersuchung der Beziehungen von Depression und Persönlichkeitsstörungen, insbesondere der depressiven Persönlichkeitsstörung (vgl. Kap. 2.4), berücksichtigt werden muss. Der Begriff der Dysthymie geht auf Hippokrates zurück, der eine bestimmte Form der Schwarzgalligkeit (Melancholie) annahm, die mit Furcht (Phobos) und Verstimmtheit (Dysthymia) verbunden ist. Im DSM-IV (Saß, Wittchen & Zaudig, 1998) und in der ICD10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 1993) wird unter Dysthymie eine chronische leichte depressive Verstimmung verstanden (Bronisch, 1997). Kraepelin (1909) verwendete den Dysthymie-Begriff nicht, verstand aber unter einer bestimmten Art von Zyklothymien Krankheiten, die familiär gehäuft auftreten, in der Jugend schleichend beginnen und lange, oft ein Leben lang, andauern, sowie negative Verzerrungen im Denken und in der Theorie 13 Wahrnehmung beinhalten (Bronisch, 1997). Diese Kennzeichen ähneln denen des heutigen Dysthymie-Konzepts. Das aktuelle Konzept der Dysthymie ist als eine Mischung dreier älterer klinischer Konstrukte anzusehen: neurotische Depression, depressive Persönlichkeit und chronische Depression (Klein, 1995). Die Zeiten mit euthymer Stimmungslage bei dysthymen Patienten lagen in einer Studie von Dunner (1999) zwischen 2 und 30 Tagen mit einem Mittel von 8 Tagen (Standardabweichung von 6,6 Tagen). Die Lebenszeitprävalenzen für Dysthymie liegen zwischen 2 und 6 % (Brieger & Marneros, 1995, 1999). Auch Kinder und Jugendliche erkranken an Dysthymie (vgl. Renouf & Kovacs, 1995). Wie Major Depression findet sich Dysthymie doppelt so häufig bei Frauen wie bei Männern (Akiskal, 2001). Angst und Wicki (1991; auch Angst, 1992) berichten von 1 % reiner Dysthymie (ohne Major Depression) in der Züricher Studie, bzw. 3 % inklusive Dysthymie mit komorbider Depression. Der Spontanverlauf führt nur bei 13 % der Erkrankten innerhalb eines Jahres zur Remission (Akiskal, 2001). Unbehandelt verläuft die Dysthymie chronisch und remittiert selten spontan (Marneros, 1999a). Rückfälle unter Antidepressiva-Behandlung sind seltener (Brieger & Marneros, 1998). Sehr häufig entsteht im Verlauf der Dysthymie eine voll ausgeprägte depressive Störung, weswegen das Konzept der Dysthymie als eigenständige Erkrankung oft hinterfragt wird bzw. die Dysthymie als ein Teil des Spektrums affektiver Störungen aufgefasst wird (Angst & Wicki, 1991; Marneros, 1999a). Etwa 40 % der Patienten mit depressiver Störung haben gleichzeitig eine Dysthymie, was als „Double Depression“ bezeichnet wird, wenn die Dysthymie schon vor der Depression vorlag (Keller, Hirschfeld & Hanks, 1997). Hirschfeld (1994) berichtet von einer Rate von 25 %. Bei solchen Patienten wurde ein ungünstigerer Verlauf der Depression beobachtet (Keller, Lavori, Endicott, Coryell & Klerman, 1983), zudem eine stärkere Beeinträchtigung, schwerere depressive Symptome, größere Komorbidität, mehr Persönlichkeitsauffälligkeiten und geringere soziale Unterstützung (Klein, Taylor, Harding & Dickstein, 1988). Angst und Wicki (1991) hatten gefunden, dass Dysthymie eine relativ geringe diagnostische Stabilität hatte. Von 19 Patienten mit Dysthymie hatten zwei Jahre später nur noch 4 Patienten eine Dysthymie. Es gibt Hinweise darauf, dass Dysthymie medikamentös behandelbar ist und auch eine Rezidivprophylaxe möglich sein könnte (z. B. Vallejo, Gasto, Catalan & Salamero, 1987). Allerdings ist die Befundlage widersprüchlich. Bei der medikamentösen Behandlung der Dysthymie werden überwiegend Antidepressiva eingesetzt (z. B. Amore & Jori, 2001; Barrett, Williams, Oxman, Frank, Katon et al., 2001; Nixon, Milin, Simeon, Cloutier & Spenst, 2001). Ravindran, Anisman, Merali, Charbonneau, Telner et al. (1999) und Hellerstein, Little, Samstag, Batchelder, Muran et al. (2001) fanden eine effektive Symptomreduktion durch ein Antidepressivum, die durch zusätzliche kognitiv-behaviorale Therapie bzw. Gruppenpsychotherapie noch verstärkt wurde. Bei Barrett et al. (2001) erwies sich eine psychotherapeutische Methode als genauso wirksam wie eine Theorie 14 medikamentöse (antidepressive) Behandlung. Akiskal (2001) berichtet von einer neuen abgewandelten Form der kognitiv-behavioralen Therapie, die für chronische Depressionen besonders wirksam erscheint, und die sich auf die präverbale operationale Ebene der Emotionen konzentriert, die bei chronisch depressiven Patienten gewöhnlich beobachtet werden kann. Die psychotherapeutische Behandlung der Dysthymie ist insbesondere für solche Patienten wichtig, die nicht auf die medikamentöse Behandlung ansprechen, was bei ca. 50 % der Betroffenen (Markowitz, 1995) oder 65 % (Brunello, Akiskal, Boyer, Gessa, Howland et al., 1999) der Fall ist. Eine kombinierte Therapie aus pharmakologischen und psychotherapeutischen Ansätzen gilt als am meisten versprechende Behandlung (Schramm, Kronmüller & Mundt, 1999). Bei Dysthymie findet sich eine hohe Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen, und zwar ungefähr bei zwei Dritteln der betroffenen Patienten (Brieger & Marneros, 1999). So fanden sich bei 50 bis 70 % zusätzlich Persönlichkeitsstörungen (z. B. Garyfallos, Adamopoulou, Karastergiou, Voikli, Sotiropoulou et al., 1999: 70 %), bei ca. der Hälfte Angststörungen, bei 30 % im Laufe des Lebens Substanz-Missbrauch oder Abhängigkeit (Brieger & Marneros, 1999). Manche Autoren stellen deswegen und wegen der großen Ähnlichkeit mit Major Depression die Eigenständigkeit der Diagnose in Frage (vgl. Angst & Wicki, 1991). Dysthymie verläuft über fünf Jahre ungünstiger, wenn komorbid Angststörungen vorliegen, Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen, depressive Persönlichkeitsstörung oder chronischer Stress (Hayden & Klein, 2001). In einer naturalistischen Fünf-Jahres-Studie remittierte die Dysthymie bei 53 % der Betroffenen. Das Rückfallrisiko nach Remission innerhalb von 23 Monaten wurde auf 45 % geschätzt (Klein, Schwartz, Rose & Leader, 2000). 2.1.4 Zusammenfassung und Fazit Depressionen sind häufige psychische Erkrankungen weltweit. Die Punkt-Prävalenzen liegen meistens zwischen drei und vier Prozent. Depressionen verlaufen oft episodisch oder chronisch. Teilweise muss eine Depression als lebensbedrohliche Erkrankung eingestuft werden, da die Mortalität bei den Betroffenen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht ist. Dies liegt auch an der Suizidalität, die bei affektiv erkrankten Menschen deutlich höher ist. Die aktuellen ätiologischen Modelle sind multifaktoriell, z. B. das „Final Common Pathway Model“ von Akiskal und McKinney (1975). Es werden genetische Prädisposition, Entwicklungsfaktoren, psychosoziale Bedingungen, physiologische Stressoren und Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigt, die bestimmte Regionen im Gehirn beeinflussen. Zur Behandlung von Depressionen stehen vielfältige und wirksame 15 Theorie psychopharmakologische und psychotherapeutische Methoden zur Verfügung, die überwiegend kombiniert angewendet werden. In letzter Zeit werden zunehmend leichtere Depressionsformen und depressive Symptomatiken unterhalb der diagnostischen Schwelle für Major Depression untersucht. Hirschfeld (1994) zieht aus der Befundlage dazu den Schluss, dass noch keine überzeugenden Belege dafür vorliegen, dass Major Depression, Dysthymie und rezidivierende kurze depressive Störung verschieden und voneinander unabhängig sind. Die definierenden Symptome seien fast identisch, die drei diagnostischen Konzepte sind im Verlauf ähnlich und hinsichtlich der familiären Häufung von Depression nicht verschieden. Zudem sind die diagnostischen Kategorien zeitlich nicht stabil. Die Befunde zum kurzfristigen (wöchentlich untersuchten) zeitlichen Verlauf von depressiven Störungen zeigen, dass die verschiedenen diagnostischen Kategorien wechselnd vorkommen (subsyndromal und leicht depressiv, dysthym und depressiv über der diagnostischen Schwelle) (z. B. Judd & Akiskal, 2000). Daher vertreten manche Autoren die Ansicht, dass es sich um ein Kontinuum symptomatischer Schwere von einer einzigen Erkrankung handelt (o. c.), d. h. es gibt ein „Spektrum“ depressiver Erkrankungen. Im längerfristigen Verlauf zeigte sich Analoges: Angst, Sellaro und Merikangas (2000) fanden eine eher geringe Stabilität von Diagnosen verschiedener Depressionsformen (Major Depression, Dysthymie, rezidivierende kurze depressive Störung und Minor Depression) über 15 Jahre: 51 % der Patienten mit Major Depression und 44 % derer mit „Recurrent Brief Depression“ erfüllten innerhalb des Beobachtungszeitraumes die Kriterien für eine andere depressive Störung. Dies spricht für Depressionen als ein Spektrum bildend (nicht als diskrete Störungstypen) (vgl. auch Akiskal, 1990; Winokur, 1979). Winokur (1979) nahm bei seiner „Depression Spectrum Disease“ eine Verwandtschaft von Depression und Alkoholabhängigkeit an. Zur Zeit wird diskutiert, ob zu dem affektiven Spektrum auch (sub-)affektive Persönlichkeitsstörungen bzw. Temperamente gehören (z. B. Akiskal & Akiskal, 1992). Phillips, Hirschfeld, Shea und Gunderson (1995) argumentieren, dass die depressive Persönlichkeitsstörung, eine der subaffektiven Persönlichkeitsstörungen (vgl. Kap. 2.4), in einer „Spektrums-Beziehung“ zu affektiven Störungen stehe. Andere meinen allerdings, dass es sich dabei um eine Erkrankung handele, die von den depressiven Störungen zu verschieden sei, um sie hinzu zählen zu können (z. B. Hirschfeld, 1994). Theorie 16 2.2 Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen Im Folgenden wird zunächst auf Persönlichkeitsmerkmale im allgemeinen eingegangen, auf die Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus, und dann auf Persönlichkeitsstörungen im allgemeinen. Es werden jeweils u. a. Erklärungen und Häufigkeiten beschrieben. Darauf folgt eine Zusammenfassung zu diesen drei Bereichen der Persönlichkeitsmerkmale, der Persönlichkeitsstörungen und des Typus Melancholicus (Kap. 2.2.3). Danach werden in Kapitel 2.3 diese Persönlichkeitsvariablen in ihrer Beziehung zur Depression beschrieben. 2.2.1 Persönlichkeitsmerkmale Eysenck und Eysenck (1985) definieren Persönlichkeit als relativ stabile Organisation der Person hinsichtlich Charakter (Wille), Temperament (Emotionalität), Intellekt (Intelligenz, System des kognitiven Verhaltens) und Physis (körperliche und neuroendokrine Konstitution). Im psychologischen Sinne ist unter Persönlichkeit ein Bündel von Eigenschaften zu verstehen, die überdauern und der Person ihre andauernde Individualität geben. Zwei spezielle Aspekte von Persönlichkeit sind Temperament und Charakter. „Temperament“ meint die vitale Antriebsseite und die Emotionalität, „Charakter“ dagegen langfristige Einstellungen, Werte und Normen (Akiskal, Brieger, Mundt, Angst & Marneros, 2002; Saß, Houben, Herpertz & Steinmeyer, 1996). Unter Charakter verstand Kretschmer (1921) die psychische Gesamtpersönlichkeit (Marneros, 1999b), Fiedler (1997a, 2001b) jedoch sieht darin ein veraltetes Synonym für „Persönlichkeit“. Manche Autoren verwenden alle drei Begriffe (Persönlichkeit, Temperament und Charakter) synonym, z. B. Eysenck (s. u). Marneros (1999b) versteht unter Temperament eine konstitutionsgebundene individuelle Eigenart in den Reaktionen bei Gefühlen, Willen und Triebleben. Auf diesem Gebiet forschen insbesondere Akiskal (z. B. Akiskal & Akiskal, 1992), Cloninger (z. B. Cloninger, Svrakic & Przybeck, 1993) und Kagan (1994). Gemäß Janzarik (1988) handelt es sich beim Temperament um konstitutionell fundierte Aspekte der Persönlichkeit (dynamischer Aspekt der Persönlichkeit). Aus dem Zusammenwirken des dynamischen (Temperament) und des strukturellen Anteils der Person (Charakter) ergibt sich bei Janzarik (1988) der dritte Teil: die Handlungs- und Impulskontrolle, das Vermögen und die Bereitschaft zur Empathie, zu Beziehung und Bindung. In allen drei Bereichen können Defizite vorliegen (Saß, Houben, Herpertz & Steinmeyer, 1996). Beim Temperament wird der Einfluss genetischer und neurobiologischer Grundlagen als hoch eingeschätzt (Saß, 1988). Die Definitionen verschiedener Autoren differieren, aber gemeinsam scheint allen zu sein, dass für das Temperament als überdauernder Affektanlage Theorie 17 eine biogenetische Basis angenommen wird, und es eng verbunden scheint mit affektiven Störungen (Akiskal & Akiskal, 1992; Akiskal et al., 2002). Es wird davon ausgegangen, dass das Temperament früh im Leben deutlich wird, über die Zeit relativ stabil ist und dadurch eine Vorhersage der emotionalen Reaktionen und des Verhaltens jedes Individuums ermöglicht (Prior, 1992). Allerdings kann der Ausdruck des Temperaments beeinflusst werden durch Erfahrungen in der Entwicklung eines Menschen (Placidi, Maremmani, Signoretta, Liguori & Akiskal, 1998). Akiskal und Akiskal (1992) unterscheiden vier (affektive) Temperamentstypen, nämlich hyperthymes, zyklothymes, dysthymes (depressives) und reizbares Temperament. Es wird angenommen, dass Temperament überwiegend vererbt wird und zur Entwicklung verschiedener Persönlichkeitsstörungen prädisponiert, zudem zur Entwicklung von manischen und depressiven Episoden. Diese Temperamentsformen kommen schätzungsweise bei 3 bis 4 % der Bevölkerung vor, epidemiologische Daten fehlen bislang jedoch (Akiskal et al., 1992). Akiskal et al. (1992) nehmen an, dass diese Temperamente subklinische Spektrumsvarianten von affektiven Störungen darstellen. Sie werden nicht als dysfunktional angenommen, können jedoch unangepasst werden, wenn sie nicht mit einer Umwelt übereinstimmen (Gunderson, Triebwasser, Phillips & Sullivan, 1999). Eine andere Sicht von Temperamenten wird z. B. von Eysenck (1953) vertreten: er fand faktorenanalytisch drei Dimensionen: Neurotizismus, Extraversion und Psychotizismus. Diese Faktoren werden häufig auch als „Persönlichkeits“-Dimensionen bezeichnet. Eine neuere Entwicklung betrifft die fünf großen Persönlichkeitsfaktoren nach Costa und McCrae (z. B. 1990): Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit. Tellegen (1993) kritisierte das Fünf-Faktoren-Modell als nicht passend: er leitete faktorenanalytisch sieben Dimensionen ab, zwei davon waren positive und negative Affektivität, die komplementär zu Extraversion und Neurotizismus sind, aber mehr Stimmungs- und soziale Merkmale enthalten (Tellegen, 1993). Watson und Clark (1995) fanden bei depressiven Personen eine Kombination aus erhöhtem negativen Temperament (auch genannt: negative Affektivität oder negative Emotionalität, vgl. Richter, 2000) und gering ausgeprägtem positivem Temperament, die auch das traditionelle melancholische Temperament kennzeichnen. Allerdings ist dieses Temperamentsmuster gemäß Befunden nicht spezifisch für depressive Erkrankungen, sondern findet sich auch bei anderen psychischen Störungen (Watson & Clark, 1995). Negatives Temperament kann angesehen werden als Disposition, aversive emotionale Zustände zu erleben und als allgemeiner Faktor subjektiven Distresses, der negative Stimmungszustände, Traurigkeit, Ärger und Schuld einschließt, und individuelle Unterschiede im Erleben der Welt als bedrohlich, problematisch und stressreich beinhaltet (Richter, 2000). Das positive Temperament, das die Kernkomponenten der Extraversion enthält, steht in negativer Beziehung zur Depression (Richter, 2000). Anhänger des lexikalischen Persönlichkeitsansatzes haben in vielen Untersuchungen belegt, dass fünf Persönlichkeitsfaktoren (sog. „Big Five“) geeignet erscheinen, um die Theorie 18 Varianz von Persönlichkeitseigenschaften zu erfassen (Becker, 1995). Meist werden diese Faktoren benannt als Lebhaftigkeit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität und Kultur bzw. Kultiviertheit. Ein Persönlichkeitsmodell mit fünf Faktoren stammt von Costa und McCrae (1985). In der deutschen Version ihres Fragebogens zur Erfassung der Persönlichkeit heißen die Faktoren „Extraversion“, „Verträglichkeit“, „Gewissenhaftigkeit“, „Neurotizismus“ und „Offenheit für Erfahrungen“ (NEO-FFI; Borkenau & Ostendorf, 1993; vgl. Kap. 3.2.1.4; Original: Costa, McCrae & Dye, 1991). Forschungsbefunde legen nahe, dass das Fünf-Faktoren-Modell Dimensionen normaler und abnormer Persönlichkeit enthält (Costa & McCrae, 1990). Ein Konstrukt, das zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen vermittelt, sind die akzentuierten Wesenszüge von Leonhard (1968) (Pukrop, Steinmeyer, Woschnik, Czernik, Matthies et al., 2002). Becker (1995) fand die Operationalisierungen der fünf großen Persönlichkeitsfaktoren nicht unabhängig voneinander. So korrelierten beispielsweise Extraversion und emotionale Stabilität positiv miteinander, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen ebenfalls, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit sowie Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität korrelierten auch positiv miteinander. Die Breite der Konstrukte und die relevanten Komponenten sind bei verschiedenen Autoren unterschiedlich. Die faktorenanalytische Persönlichkeitsforschung hat gezeigt, dass sich nur die ersten, varianzstärksten Persönlichkeitsfaktoren ausreichend gut replizieren lassen. Die beiden ersten Faktoren sind die breitesten und damit varianzstärksten. Becker (1995) fand, dass die ersten beiden Hauptkomponenten in vielen Untersuchungen zwei Drittel derjenigen Varianz aufklären, die die ersten fünf Faktoren gemeinsam aufklären. Diese beiden Faktoren erlauben somit eine ökonomischere, aber gleichzeitig auch weniger differenzierte Persönlichkeitsbeschreibung. Becker (1995) interpretiert diese beiden Hauptkomponenten als „seelische Gesundheit“ (z. B. Sinnerfülltheit) und „Verhaltenskontrolle“. Andere Autoren vertreten ein Modell mit sechs Persönlichkeitsfaktoren. Ashton und Lee (2001) beispielsweise nehmen aufgrund lexikalischer Studien der Persönlichkeit Begeisterungsfähigkeit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität, Intellekt / Kreativität und Ehrlichkeit als die Dimensionen der Persönlichkeit an. Dyce (1994) untersuchte verschiedene aktuelle Persönlichkeitsmodelle hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz: das Interpersonale Zirkumplex-Modell von Wiggins (1979), die Neurochemische / Neurobiologische Lerntheorie von Cloninger (1987), die Biosoziale Lerntheorie von Millon (1981) und das Fünf-Faktoren-Modell von Costa und McCrae (1992a). Dabei stellte sich heraus, dass das Interpersonale Zirkumplex-Modell nicht alle Persönlichkeitsstörungen abdecken kann (vgl. a. Widiger & Hagemoser, 1997) und die Neurochemische Lern-Theorie noch nicht sorgfältig genug evaluiert wurde, um klinisch angewendet zu werden. Die Biosoziale Lern-Theorie erschien als die am meisten ausgearbeitete der Alternativen. Das Fünf-Faktoren-Modell erschien als einfache aber umfassende Möglichkeit, alle Persönlichkeitsstörungen des DSM-III-R zu beschreiben. Alle Theorie 19 vier Modelle scheinen nach Faktorenanalysen von Dyce (1994) dieselbe Faktorenstruktur aufzuweisen, was jedoch in weiteren Auswertungen bestätigt werden sollte. Tellegen (1985; Watson & Tellegen, 1985) schlägt zwei dominante Dimensionen affektiver Strukturen vor, die positive und die negative Affektivität. Beide sind Stimmungszustände, die aber auch mit affektiven Merkmalsdimensionen in Beziehung stehen und interindividuelle Unterschiede in der positiven und negativen emotionalen Reaktivität widerspiegeln. Sie entsprechen ungefähr den Persönlichkeitsfaktoren der Extraversion (positive Affektivität) und des Neurotizismus (negative Affektivität) (Shea & Hirschfeld, 1996). Beide werden als stabile, vererbte und allgemeine Merkmale angesehen. Bei der negativen Affektivität werden Aspekte von Stimmung bis Verhalten eingeschlossen, bei positiver Affektivität geht man von einer spezifischeren Verbindung mit Depression aus (Clark, Watson & Mineka, 1994). Als dritte Dimension neben positiver und negativer Emotionalität nimmt Tellegen (1985) Zwang an. Cloninger nimmt drei Dimensionen an, die in neurologisch basierten Lernmechanismen auf Reize bestehen: „Neuigkeiten-Suchen“, „Schadensvermeidung“ und „Belohnungsabhängigkeit“. Sie bilden die Basis für die Entwicklung und die Variation von Persönlichkeitsstörungen (Widiger, Frances, Harris, Jacobsberg, Fyer et al., 1991). Eysenck und Eysenck (1985) haben drei grundlegende Dimensionen vorgeschlagen, die Psychopathologie beschreiben: Neurotizismus (dazu z. B. Merkmale wie geringes Selbstwertgefühl, Ängstlichkeit, Schuldgefühle, Emotionalität), Psychotizismus (z. B. Impulsivität, Aggression, Egozentrizität) und Extraversion (z. B. Soziabilität, Aktivität, Durchsetzungskraft, Aufregung-Suchen und Dominanz). Gemäß Widiger, Frances et al. (1991) reichen zwei Faktoren nicht aus, um die Varianz unter den Persönlichkeitsstörungen (vgl. Kap. 2.2.2) zu erklären. Zusätzliche Varianz könnte auf drei Faktoren, nämlich Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus aus dem Fünf-Faktoren-Modell, zurückgehen. Neurotizismus beinhaltet Facetten von TraitÄngstlichkeit, Feindseligkeit, Depression, Befangenheit, Impulsivität und Verletzlichkeit (vgl. Costa & McCrae, 1985). Auf diesen Merkmalen könnten alle Persönlichkeitsstörungen laden. Offenheit könnte in pathologischer Form bei der schizotypischen Persönlichkeitsstörung in Form von beispielsweise magischem Denken, und bei der histrionischen Persönlichkeitsstörung in Form von schwankenden Affekten vorkommen. Fehlende Offenheit beinhaltet geringe Variation von Emotionen, Unempfindlichkeit gegenüber der Umwelt, Vorliebe für das Vertraute, strenge Routinen, Dogmatismus, Konformität (wie sie in der schizoiden, zwanghaften und der vermeidenden Persönlichkeitsstörung vorkommen) (Widiger, Frances et al. 1991). Die Dimension der Gewissenhaftigkeit ist nützlich zur Kennzeichnung der zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Geringe Gewissenhaftigkeit könnte bei der Borderline-, der antisozialen und der passivaggressiven Persönlichkeitsstörung vorliegen (o. c.). An diesem in letzter Zeit viel untersuchten Modell wird jedoch kritisiert, dass es nur deskriptiv ist (ohne Bezug zu einer Theorie 20 Theorie), die Interpretation der fünf Faktoren in verschiedenen Studien unterschiedlich ist und die fünf Faktoren sich überlappen (Fiedler, 1999b). Im hierarchisch organisierten Modell von Persönlichkeit von Livesley, Jang und Vernon (1998) werden vier umfassende Traits höherer Ordnung angenommen: emotionale Dysregulation, dissoziales Verhalten, Gehemmtheit und Zwanghaftigkeit. Zudem gibt es 18 spezifischere Traits niedrigerer Ordnung (Saß, 2000). In diesem Modell wird jedoch die Dimension der Offenheit für Erfahrungen, die in vielen anderen Persönlichkeitsmodellen enthalten ist, nicht berücksichtigt (o. c.). Die stabile Struktur der Faktoren nach Livesley über klinische, nichtklinische Gruppen und Zwillinge stützt gemäß Saß (2000) ein dimensionales Modell, in dem Persönlichkeitsstörungen sich qualitativ nicht von den normalen Persönlichkeitsmerkmalen unterscheiden, sondern lediglich schlecht angepasste Extremformen davon sind. Hinsichtlich der Entwicklung der Persönlichkeit im Laufe des Lebens verfolgte Caspi (2000) dreijährige Kinder bis zum Alter von 21 Jahren und fand heraus, dass Personen, die im Alter von drei Jahren ein unterkontrolliertes Temperament aufwiesen, im Alter von 21 Jahren impulsiv, unzuverlässig, antisozial waren und mehr Konflikte mit ihrer Umgebung hatten. Personen, die mit drei Jahren gehemmt waren, verhielten sich mit 21 Jahren nicht durchsetzungskräftig, zudem depressiv und hatten weniger Quellen sozialer Unterstützung. Somit beeinflussen Temperamentsmerkmale in der frühen Kindheit die Entwicklung und geben Hinweise auf Persönlichkeitsstruktur, soziale Beziehungen, Psychopathologie und Kriminalität im Erwachsenenalter (vgl. a. Asendorpf & van Aken, 2003; Caspi, 2000). In dieselbe Richtung deuten Ergebnisse von Saum-Aldehoff (2003). Er berichtet von Ähnlichkeiten zwischen dem Temperament von Säuglingen mit der Persönlichkeit derselben Personen mit 17 Jahren. Einen noch stärkeren Zusammenhang kann man erwarten, wenn die erste Persönlichkeitsmessung im Alter von drei Jahren erfolgt, da die Persönlichkeit in jüngerem Alter noch instabiler ist. Die Aussagen über das Verhalten Dreijähriger ließen sich zu 70 % den fünf großen Persönlichkeitsdimensionen zuordnen (Saum-Aldehoff, 2003). Über das gesamte Leben stieg die Stabilität der fünf Persönlichkeitsfaktoren an. Bei allen Menschen nahmen im Alter Neurotizismus, Extraversion und Offenheit ab, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit dagegen nahmen zu (o. c.; Srivastava, John, Gosling & Potter, 2003). Norden, Klein, Donaldson, Pepper und Klein (1995) zeigten, dass antisoziale Persönlichkeitsmerkmale bei Erwachsenen zusammenhingen mit geringer mütterlicher oder väterlicher Fürsorge in der Kindheit sowie mit körperlicher Misshandlung. Borderline- und selbstschädigende Persönlichkeitszüge hingen ebenfalls zusammen mit geringer mütterlicher und väterlicher Fürsorge, zudem mit sexuellem Missbrauch. Andere Persönlichkeitsstörungen zeigten in der Studie von Norden et al. (1995) keinen starken Zusammenhang mit Merkmalen der frühen häuslichen Umgebung der Personen. Beim Vergleich von Männern und Frauen sowie anderer Personengruppen miteinander hinsichtlich der Persönlichkeit wurden in mehreren Untersuchungen Unterschiede gefunden. Theorie 21 Mendlowicz, Jean-Louis, Gillin, Akiskal, Furlanetto, Rapaport et al. (2000) fanden heraus, dass Frauen Belohnungsabhängigkeit stärker aufwiesen. Personen mit höherem beruflichen Status zeigten ebenfalls stärkere Belohnungsabhängigkeit, zudem mehr Kooperativität und Selbst-Transzendenz. Frauen beschrieben sich in einer Studie von Costa, Terracciano und McCrae (2001) als neurotischer (beschrieben mittels der fünf großen Persönlichkeitsfaktoren): Ängste, Depressionen, Scham und andere unangenehme Gefühle belasteten sie mehr als Männer. Sie beschrieben sich zudem als verträglicher, d. h. als hilfsbereiter, vertrauensseliger und angenehmer im Umgang. In den verschiedenen Aspekten der Extraversion waren die Ergebnisse differenzierter: Wärme und Geselligkeit schätzten Frauen bei sich als stärker ein als Männer bei sich, Männer schätzten sich hinsichtlich Selbstbewusstsein und Suchen nach Aufregung stärker ein. Bei Offenheit für Erfahrung fanden die Autoren folgendes Ergebnis: Frauen beschrieben sich als offener für Ästhetisches und Gefühle, Männer sich als offener für Gedanken. Bei Gewissenhaftigkeit gab es nur wenige Unterschiede, Frauen beschrieben sich jedoch in den meisten Kulturen als pflichtbewusster (Costa, Terracciano & McCrae, 2001). Scheibe et al. (2003) fanden bei ambulant behandelten depressiven Frauen in stärkerem Ausmaß Gewissenhaftigkeit, Wärme (eine Facette der Extraversion), Gefühle (zum Persönlichkeitsmerkmal der Offenheit gehörend) und Soziotropie. 2.2.2 Persönlichkeitsstörungen Neben den Persönlichkeitsmerkmalen gibt es Persönlichkeitsstörungen, die ebenso wie die Persönlichkeitsmerkmale in ihrem Vorkommen bei und in ihrer Bedeutung für Depression untersucht werden. Im Folgenden werden Persönlichkeitsstörungen im allgemeinen erörtert, u. a. ihre Definition, ihre Häufigkeit und ihre Behandlung. Gemäß Kendell (2002) werden Persönlichkeitsstörungen im allgemeinen als verschieden von psychischen Störungen (der Achse I des DSM) angesehen, obwohl es keine allgemein anerkannte Definition von „psychischer Störung“ gibt und somit nicht gesagt werden kann, ob Persönlichkeitsstörungen dazu gehören. Zudem sprechen biologische und genetische Forschungsbefunde dafür, dass eine Trennung von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen nicht gerechtfertigt ist. Gemäß Saß (2000) sehen Persönlichkeitsstörungen zwar aus wie Diagnosen, doch lässt sich die Persönlichkeit eines Menschen nicht genauso diagnostisch etikettieren wie Krankheiten und deren psychische Folgen. Mehr als bei anderen Diagnosen wird bei der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung die Person selbst als die Ursache ihrer Probleme angesehen, und die Person eher als „Täter“ und weniger als „Opfer“ betrachtet (Etikettierungs- bzw. Stigmatisierungsproblem) (vgl. z. B. Fiedler, 1997c). Theorie 22 Persönlichkeitsstörungen sind nach heutiger Ansicht gekennzeichnet durch psychopathologische Auffälligkeiten, die zu subjektivem Leiden oder zu Einschränkungen der sozialen oder beruflichen Kompetenz führen. Diese Definition geht auf Schneider (1950) zurück. Teilweise äußern sich Persönlichkeitsstörungen auch durch dissoziales Verhalten. Die Person verhält sich dabei bewusst und dauerhaft abweichend von sozialen Regeln, um ihre Ziele zu erreichen (Saß, Houben, Herpertz & Steinmeyer, 1996). Persönlichkeitsstörungen bedeuten Muster von Persönlichkeitseigenschaften, die von einer gedachten Norm abweichen. Abweichen kann dabei die Kombination der Eigenschaften oder auch ihre Ausprägung. Der Übergang zwischen Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung gilt als fließend (Saß et al., 1996). Wichtig ist die Abgrenzung zu Persönlichkeitsstilen, die auch eine adaptive Kompetenz des Menschen darstellen können (Fiedler, 1995, 1999a). Eine Persönlichkeitsstörung sollte erst dann diagnostiziert werden, wenn die Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen deutlich in Richtung eines Leidens des Betroffenen oder der sozialen Devianz ausgeprägt sind (Fiedler, 1997b, 1999a). Das DSM-IV (Saß et al., 1998) verlangt sechs allgemeine diagnostische Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung. (1) So sollte es sich bei der Persönlichkeitsstörung um ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten handeln, das deutlich von den Erwartungen der Umgebung abweicht. Die Abweichungen sollten in mindestens zwei Bereichen von den folgenden vorkommen: in der Kognition, der Affektivität, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle. (2) Dieses überdauernde Muster von Verhalten und Erleben sollte unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich von Situationen sein. (3) Das Muster sollte in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen. (4) Das vierte Kriterium verlangt, dass das Erlebens- und Verhaltensmuster stabil und langdauernd ist, und sein Beginn bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen ist. (5) Das Erlebens- und Verhaltensmuster der Person ist nicht besser erklärbar als Ausdruck oder Folge einer anderen psychischen Störung. (6) Das sechste Kriterium beinhaltet, dass das Muster nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurückgeht (Saß et al., 1998). Die sozialen Kosten und die Mortalität bei Persönlichkeitsstörungen werden wahrscheinlich unterschätzt (Ruegg & Frances, 1995), denn Persönlichkeitsstörungen hängen zusammen mit Kriminalität, Substanzmissbrauch, Arbeitsunfähigkeit, höherem Bedarf von medizinischer Unterstützung, Suizidversuchen, selbstverletzendem Verhalten, verzögerter Genesung von psychischen und körperlichen Erkrankungen, Institutionalisierung, Leistungsminderungen, Unterbeschäftigung, familiären Problemen, Kindesmisshandlung und Vernachlässigung, Obdachlosigkeit, Armut, Fehldiagnosen und behandlungen von psychischen und körperlichen Erkrankungen, Unzufriedenheit mit und Abbruch von psychiatrischen Behandlungen sowie mit Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung (Ruegg & Frances, 1995). Das Suizidrisiko liegt bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen dreimal höher als in der Allgemeinbevölkerung (Saß, 2000). Theorie 23 Zudem erschweren Persönlichkeitsstörungen die Bewältigung extremer Lebensanforderungen und Lebenskrisen (Fiedler, 1997b). Als problematisch ist bei den bisherigen diagnostischen Gewohnheiten anzusehen, dass von in bestimmten Situationen beobachteten Verhaltensweisen, die möglicherweise zeitlich instabil sind, auf Eigenschaften des betreffenden Menschen geschlossen wird, von denen zeitliche Stabilität vorausgesetzt wird (Fiedler, 1997b; „Trait-State-Problem“ der Persönlichkeitsdiagnostik, vgl. a. Loranger, Lenzenweger, Gartner, Lehmann Susman, Herzig et al., 1991). Fiedler (1997b) plädiert dafür, Persönlichkeitsstörungen aus einer Interaktionsperspektive zu konzeptualisieren, und nicht wie bisher überwiegend, aus einer Personperspektive. Die Persönlichkeitsstörungen lassen sich nach Interaktionseigenarten der Betroffenen grob in drei Gruppen oder Cluster unterteilen. Diese Unterteilung findet sich im DSM-IV (Saß et al., 1998), und auch schon im DSM-III-R (vgl. a. Fiedler, 1997b): in der ersten Gruppe befinden sich paranoide, schizoide und schizotypische Persönlichkeitsstörungen (Cluster A). Menschen mit diesen Diagnosen werden als häufig sonderbar oder exzentrisch beschrieben. Im Cluster B finden sich histrionische, narzisstische, antisoziale und Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Diese Personengruppe wird gekennzeichnet als häufig dramatisch, emotional oder launisch. In der dritten Gruppe (Cluster C) sind vermeidend-selbstunsichere, dependente und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen eingeordnet (APA, 1994). Diese Cluster-Einteilung ist jedoch noch nicht durchgängig empirisch validiert worden und stützt sich hauptsächlich auf deskriptive Ähnlichkeiten (Saß, 2000). Saß, Steinmeyer, Ebel und Herpertz (1995) fanden mittels Cluster-Analyse eine Lösung mit drei Clustern, wobei die zyklothyme Persönlichkeitsstörung keinem Cluster zugeordnet werden konnte. In einen Cluster, der durch die schizoide Persönlichkeitsstörung gebildet wurde, fiel auch die zwanghafte Persönlichkeitsstörung, die schizotypische und die paranoide. In den zweiten Cluster fiel die asthenische, die depressive, die dependente und die ängstliche, in den dritten Cluster die narzisstische, die histrionische, die Borderline-, die antisoziale, die passivaggressive und die hyperthyme Persönlichkeitsstörung. Arntz (1999) konnte die Persönlichkeitsstörungen des DSM (Version III-R) empirisch replizieren, fand sie kohärent, voneinander und von Achse-I-Störungen gut unterscheidbar und fand zudem, dass sich Persönlichkeitsstörungen als Prädiktoren eigneten. Problematisch erwies sich bei Arntz (1999), dass Therapeuten mit „Persönlichkeitsstörungen“ etwas anderes zu meinen schienen als das DSM: Therapeuten tendierten dazu, das Scheitern der Therapie der Persönlichkeit des Patienten zuzuschreiben (vgl. auch Dreessen & Arntz, 1999). Gemäß Arntz (1999) ist es jedoch nicht sinnvoll, in diesen Fällen von Persönlichkeitsstörungen zu sprechen, sondern zunächst nur von Therapieresistenz. Zur Erklärung der Entstehung von Persönlichkeitsstörungen gibt es zur Zeit zwei wichtige ätiologische Modelle. Dies sind die biosoziale Lerntheorie und das DiatheseStress-Modell (Fiedler, 1997b). Die biosoziale Lerntheorie von Millon (z. B. 1981) nimmt Theorie 24 grundlegende biologische Faktoren an: vererbbare Voraussetzungen, die pränatale Entwicklung sowie frühkindliche zwischenmenschliche Erfahrungen und Lernbedingungen, die die weitere neuropsychologische Entwicklung beeinflussen. Diese Faktoren werden durch Umgebungsmerkmale beeinflusst, die sich auf das Lernen der Person auswirken (z. B. instrumentelles Lernen). Entsprechend dem Diathese-Stress-Modell sind Persönlichkeitsstörungen abhängig von einer Vulnerabilität der Person. Diese beinhaltet eine Empfindlichkeit der Person gegenüber Anforderungen und Stress (Fiedler, 1997b). Die Vulnerabilität ist zum einen bestimmt durch eine diathetische Prädisposition. Diathetisch bedeutet dabei, dass Erbeinflüsse und prä-, peri- oder postnatale Traumata ungünstig zusammenwirken und die weitere Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen. Zum anderen wird die Vulnerabilität beeinflusst durch eine psychosoziale Überformung der Diathese, insbesondere durch ungünstige familiäre und erzieherische Einflüsse auf die frühkindliche Persönlichkeitsentwicklung (z. B. Kindesmisshandlung) (Fiedler, 1997b). Hier erscheinen Persönlichkeitsstörungen als Eigenarten des sozialen Verhaltens, die dazu dienen, bei Stress sich selbst zu schützen. Das Ausmaß der Störung hängt auch davon ab, inwieweit die Betreffenden bei anderen Menschen Verständnis, Akzeptanz und Rückhalt finden (Fiedler, 1997b). Dieses Modell ähnelt der biosozialen Lerntheorie von Millon (1981; auch Millon & Everly, 1985). Soloff (1997) verweist auf die biologischen Grundlagen von Persönlichkeitsstörungen: die Wirksamkeit von SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) bei Impulsivität wird beispielsweise als Hinweis auf medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten und auf die verringerte serotonerge Funktion bei impulsiver Dysregulation interpretiert. Ruegg und Frances (1995) berichten in ihrer Literaturübersicht davon, dass bei Erwachsenen mit Persönlichkeitsstörungen in manchen Studien eine hohe Prävalenz von Kindesmisshandlung und sexuellem Kindesmissbrauch gefunden wurde, insbesondere bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Bernstein, Cohen, Skodol, Bezirganian und Brook (1996) zeigten prospektiv, dass Persönlichkeitsstörungen im jungen Erwachsenenalter Vorgänger hatten in der Kindheit in Form von emotionalen und Verhaltens-Störungen. Die Vererbbarkeit von Persönlichkeitsstörungen wird aufgrund von Zwillingsstudien auf 60 % geschätzt (Bronisch, 2001). Die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen liegt in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Kulturkreisen übereinstimmend über viele Studien zwischen drei bzw. fünf und zehn Prozent (Fiedler, 1997b). Samuels, Eaton, Bienvenu, Brown, Costa et al. (2002) beispielsweise fanden eine Prävalenz von 9 %. Persönlichkeitsstörungen treten häufiger in der Stadtbevölkerung auf und eher in sozial schwächeren Schichten (Saß, 2000). Zudem kommen Persönlichkeitsstörungen bei älteren Menschen genauso häufig vor wie bei jüngeren Menschen (Abrams & Horowitz, 1999; Gradman, Thompson & GallagherThompson, 1999). Verlaufsuntersuchungen konnten allerdings zeigen, dass Persönlichkeitsstörungen zwar in der Störungsspezifität relativ stabil blieben, aber in ihrer Theorie 25 Schwere abnahmen und im hohen Alter der Betroffenen nur noch schwach ausgeprägt waren (Fiedler, 1997b). Die Kriterien für die Vergabe der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sind in der ICD10 etwas weiter gefasst als im DSM-IV (vgl. Saß, Houben, Herpertz & Steinmeyer, 1996). Deutliche Unterschiede in den Häufigkeiten fanden z. B. Saß et al. (1996) bei der dependenten Persönlichkeitsstörung, die nach den Kriterien der ICD-10 doppelt so häufig vorkam wie nach denen des DSM-III-R, sowie bei der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung, die vier Mal so häufig vorkam (Stichprobe psychiatrischer Patienten). Außerdem unterscheiden sich die beiden Klassifikationssysteme in einigen Persönlichkeitsstörungen: die narzisstische Persönlichkeitsstörung des DSM-IV gibt es in der ICD-10 nicht. Die Symptomatik der schizotypischen Persönlichkeitsstörung des DSMIV ist in der ICD-10 als schizotype Störung den schizophrenen Störungen zugeordnet. In der ICD-10 gibt es zwei Typen von emotional instabiler Persönlichkeitsstörung, eine vom impulsiven Typ, eine vom Borderline-Typ. Nur letztere gibt es auch im DSM-IV. Hinzu kommen nur im DSM-IV im Forschungsanhang die negativistische (auch „passivaggressive“) und die depressive Persönlichkeitsstörung. Über alle Persönlichkeitsstörungen insgesamt finden sich keine Geschlechtsunterschiede (Saß, 2000), nur bei einzelnen. Bei Männern fanden Grilo, Becker, Walker, Edell und McGlashan (1996) häufiger Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A, schizotypische und antisoziale Persönlichkeitsstörungen. Persönlichkeitsstörungen weisen untereinander hohe Komorbiditäten auf, was immer wieder zu Diskussionen veranlasst. Oldham, Skodol, Kellman, Hyler, Rosnick et al. (1992) fanden hohe Überlappungen zwischen verschiedenen Persönlichkeitsstörungen (diagnostiziert gemäß DSM-III-R), die zu dem Schluss führten, dass eine kategoriale Unterscheidung zwischen den Persönlichkeitsstörungen illusorisch sei. McGlashan, Grilo, Skodol, Gunderson, Shea et al. (2000) fanden bei einer Persönlichkeitsstörung im Mittel 1,4 weitere Persönlichkeitsstörungen komorbid. Becker, Grilo, Edell und McGlashan (2000) fanden bei Erwachsenen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung nur signifikante Komorbiditäten mit der antisozialen Persönlichkeitsstörung, bei Heranwachsenden mit der schizotypischen und der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung. Auch die Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen mit Achse-I-Störungen ist bedeutsam. McGlashan et al. (2000) beispielsweise fanden bei Borderline- und schizotypischer Persönlichkeitsstörung häufiger Achse-I-Störungen als bei vermeidender und zwanghafter Persönlichkeitsstörung. Im Mittel fanden sie bei vorliegender Persönlichkeitsstörung lebenslang 3,4 Achse-I-Störungen (o. c.). Nach wie vor unklar ist, mittels welcher Kriterien Persönlichkeitsstörungen von Persönlichkeitseigenarten abzugrenzen sind. Zudem ist umstritten, wie stark sich die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen überlappen dürfen. Damit verbunden ist die Frage, wie bedeutsam die immer wieder empirisch gefundene hohe Komorbidität der Persönlichkeitsstörungen untereinander und mit spezifischen psychischen Störungen ist Theorie 26 (Fiedler, 1997b). Der Beantwortung dieser Fragen dient auch die Entwicklung objektiver Erhebungsinstrumente, die die Differentialdiagnostik von Persönlichkeitsstörungen verbessern helfen (o. c.). Das Komorbiditätsproblem ist in letzter Zeit zu einem zentralen Forschungsbereich bei psychischen Störungen geworden (Fiedler, 1997b). Das gemeinsame Auftreten verschiedener psychischer Störungen kann ein Hinweis auf Gemeinsamkeiten in ihrer Entwicklung sein. Die Behandlung einer bestimmten psychischen Störung muss bei Komorbidität mit einer Persönlichkeitsstörung möglicherweise verändert werden (o. c.). Umstritten sind die Kategorien der Persönlichkeitsstörungen (wie im DSM-IV) auch deshalb, weil von klinisch signifikant persönlichkeitsauffälligen Menschen nur ein Teil mit Hilfe des Klassifikationssystems als persönlichkeitsgestört diagnostizierbar ist (bei Westen & Arkowitz-Westen (1998) 39 %). Behandlungsbedürftige Persönlichkeitsprobleme sollten aus diesem Grund mit Hilfe eines breiteren Spektrums von Persönlichkeitsdiagnosen klassifiziert werden können (o. c.). Das Vorliegen der Kriterien muss nicht bedeuten, dass der Betroffene so dysfunktional und beeinträchtigt in seinem Verhalten ist, dass er einer Behandlung bedarf (Saß, 2000). Scheint eine Behandlung jedoch erforderlich, so macht die hohe Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen untereinander und mit anderen psychischen Störungen Behandlungsansätze erforderlich, die über eine einzelne Persönlichkeitsstörung hinausgehen. Über die Behandlungsgrundsätze bei Persönlichkeitsstörungen lassen sich Aussagen treffen (Fiedler, 1997b). Generell gelten Persönlichkeitsstörungen als schwer behandelbar, insbesondere wegen ihrer angenommenen Ich-Syntonie. Diese Annahme der Ich-Syntonie ist jedoch fragwürdig. Personen, die schon eine längere Leidensgeschichte haben, haben vermutlich auch eine gewisse Einsicht in ihren Einfluss auf Interaktionsschwierigkeiten gewonnen. Zudem ist davon auszugehen, dass die Ich-Syntonie in Abhängigkeit von der Persönlichkeitsstörung und den Situationen, in denen sich die Betreffenden befinden, schwankt (Fiedler, 1997b). Aus diesen Gründen erscheint eine psychotherapeutische Behandlung möglich und sinnvoll. Gemäß Fiedler (1997b) sollten Persönlichkeitsstörungen als Interaktionsstörungen behandelt werden. Unter Umständen sollten auch Bezugspersonen an der Therapie beteiligt werden (o. c.). Ziel ist es, die interpersonale oder selbstbezogene Einsicht und die Kompetenzen für soziale Konflikte zu verbessern bzw. andere CopingMöglichkeiten zu lernen (Fiedler, 1995). Durch die Veränderung von Interaktionseigenarten kann es zur Veränderung der Persönlichkeit kommen (o. c.). Bei Komorbidität der Persönlichkeitsstörungen mit Depression sollte je nach Art der Persönlichkeitsstörung und des angenommenen Zusammenhangs zwischen Depression und Persönlichkeitsstörung über die Behandlung entschieden werden: bei komorbider Borderline-Persönlichkeitsstörung beispielsweise und der Annahme, beide Störungen hätten dieselbe Ursache (z. B. Traumata in der Kindheit; sog. Ko-Effekt-Hypothese, auch „Modell gemeinsamer Ursachen“; s. o.) sollte gemäß Fiedler (2001a) zuerst die Depression behandelt werden, da die interaktionellen Probleme danach behoben sein könnten (o. c.). Theorie 27 Perry, Banon und Ianni (1999) fanden nach Durchsicht von 15 Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen, dass diese mit einer bis zu siebenfach schnelleren Gesundungsrate im Vergleich zum natürlichen Verlauf der Störungen verbunden war. Eine Metaanalyse von Leichsenring und Leibing (2003) erbrachte, dass psychodynamische und kognitiv-behaviorale Psychotherapie beide effektiv waren. Pelissolo und Lépine (1999) berichten, dass bei ängstlichen Persönlichkeiten (Cluster C) von einigen Befunden ein günstiger Effekt von Antidepressiva nahegelegt wird (bei zwanghaften Zügen, bei vermeidender Persönlichkeitsstörung, bei Hemmung und TraitÄngstlichkeit), insbesondere von solchen mit serotonergen Wirkstoffen. Manche Studien deuten auf eine mögliche Wirksamkeit geringer Dosen von Antipsychotika bei Cluster-APersönlichkeitsstörungen hin. Bei Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen fand man teilweise eine günstige Wirkung bei der Behandlung von Aggression und impulsivem Verhalten (mit Lithium, Betablockern, Carbamazepin, Valproat, Antipsychotika und Antidepressiva). Selbstschädigendes und suizidales Verhalten wurden teilweise besser durch Antidepressiva und niedrig dosierte Antipsychotika (Bronisch & Klerman, 1991; Pelissolo & Lépine, 1999). Somit gibt es erste Anhaltspunkte für die Wirksamkeit von Psychopharmaka bei Persönlichkeitsstörungen. Prognostisch günstige Merkmale für die Behandlung sind Motivation, Vertrauen in andere Menschen, Flexibilität sowie Einsicht in die eigenen Anteile bei sozialen Problemen. Ungünstig ist psychische Komorbidität (v. a. Suchterkrankungen und affektive Störungen) (Saß, 2000). Psychiater und Kliniker verwenden häufiger eine kategoriale Systematik von Persönlichkeitsstörungen, Psychologen häufiger eine dimensionale, bei der es einen allmählichen Übergang von normalen zu abnormen Persönlichkeitsmerkmalen gibt (Hirschfeld & Shea, 1992). ICD-10 und DSM-IV benutzen den kategorialen Ansatz. Gemäß Bronisch und Mombour (1998) besteht zunehmend die Tendenz, Persönlichkeitsstörungen dimensional zu erfassen. Haslam (2003) bezweifelt aufgrund seiner Studienergebnisse allerdings, dass zum jetzigen Zeitpunkt schon das Fazit gezogen werden könne, dass die dimensionale Konzeption für alle Persönlichkeitsstörungen passender sei als die kategoriale. Für die bisher untersuchten Persönlichkeitsstörungen, die schizotypische, die antisoziale und die Borderline-Persönlichkeitsstörung findet Haslam (2003) gemäß der bisherigen Befundlage das kategoriale Modell passender (vgl. a. Kap. 2.2.2). Widiger und Frances (1994) sehen nur für die schizotypische Persönlichkeitsstörung mehr Argumente für ein kategoriales als für ein dimensionales Modell. Widiger und Sanderson (1995) berichten von einem Vorschlag für das DSM-IV, in dem verschiedene Stufen des Vorhandenseins von Persönlichkeitsstörungen gemacht werden, d. h. es wird nicht nur unterschieden zwischen „vorhanden“ und „nicht vorhanden“. Nur bei keinem erfüllten Kriterium würde dann die Persönlichkeitsstörung als nicht vorhanden gelten, bei 1 bis 2 vorhandenen Kriterien würden die Symptome als Persönlichkeitszüge bezeichnet, bei 3 bis 4 eine Persönlichkeitsstörung als unterschwellig vorhanden Theorie 28 angenommen, bei 4 bis 6 als grenzwertig vorhanden, bei 5 bis 8 als mäßig vorhanden, bei 7 und mehr Kriterien als extrem stark vorhanden (die Grenzen sind bei jeder Persönlichkeitsstörung anders). Die Autoren der verschiedenen dimensionalen Modelle sehen die Unterschiede zwischen ihren Modellen v. a. in den Namen und Beschreibungen der Dimensionen (Widiger & Sanderson, 1995). Persönlichkeitsstörungen lassen sich mit Hilfe von Persönlichkeitsfaktoren beschreiben (untersucht wurde dies bei den großen fünf Persönlichkeitsfaktoren) (vgl. auch Kap. 2.4.2.4.2). So fanden Widiger, Trull, Clarkin, Sanderson und Costa (1994, 2002), dass die meisten Persönlichkeitsstörungen stark mit Verträglichkeit zusammenhingen, und dass die vermeidende (selbstunsichere) Persönlichkeitsstörung beschrieben werden konnte als eine Kombination von hohem Neurotizismus und geringer Extraversion. Duggan, Milton, Egan, McCarthy, Palmer et al. (2003) fanden nur einige signifikante Beziehungen zwischen den fünf Persönlichkeitsmerkmalen und den Persönlichkeitsstörungen. 2.2.3 Typus Melancholicus Im Zusammenhang von Persönlichkeit und Depression begegnet man häufig einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur, dem „Typus Melancholicus“. Bei dem Typus Melancholicus von Tellenbach (1961) handelt es sich um ein bestimmtes Muster von Persönlichkeitszügen, die gewöhnlich innerhalb des nicht-pathologischen Rahmens bleiben (Pössl & von Zerssen, 1990a). Zwar weist der Typus Melancholicus zwanghafte Züge auf, aber es fehlt die starke Rigidität, die die zwanghafte Persönlichkeitsstörung kennzeichnet. Zum Typus Melancholicus gehören Arbeitsfleiß, Ordentlichkeit, Gründlichkeit und die Eigenschaft, sich in Sachen vertiefen zu können (Kraus, 1971). Als zentral wird beim Typus Melancholicus Leistungs- und Ordnungsgebundenheit angesehen (o. c.). Charakteristisch für Menschen mit Typus Melancholicus ist, dass sie in Situationen geraten, in denen sie empfinden, hinter den eigenen Ansprüchen zurückzubleiben (die sog. „Remanenz“) und eingeschlossen zu sein in die selbst gesetzten Grenzen („Inkludenz“), d. h. sich nicht entfalten zu können (Marneros, 1999b). Solche Situationen stellen ein Risiko für eine depressive Erkrankung dar (Kraus, 1971). Weitere Merkmale sind Hypernomie und Heteronomie. Hypernomie heißt eine übertriebene Anpassung an Normen, Heteronomie eine Empfänglichkeit für Normen. Kraus (1977) erweiterte das Konzept von Tellenbach um Ambiguitätsintoleranz, d. h. die Unfähigkeit, gegensätzliche Eigenschaften einer Person, einer Situation oder eines Objektes zu ertragen, bzw. gegensätzliche Gefühle aushalten zu können (vgl. Heerlein, Santander & Richter, 1996a). In der Kindheitsanamnese von Depressiven wurden neben ängstlich-unsicheren und nervös-angespannten Persönlichkeitszügen solche des Typus Melancholicus gefunden (von Theorie 29 Zerssen, 1996, 2000). Vom Erscheinungsbild her stellt der Typus Melancholicus keine abgeschwächte Form der melancholischen Krankheitssymptomatik dar, sondern teilweise das Gegenteil (von Zerssen, 1996). Die Spezifität des Typus Melancholicus für unipolar depressiv Erkrankte, die Tellenbach (1983) angenommen hatte, wird dadurch eingeschränkt, dass er auch bei Migränekranken und anderen Patientengruppen (z. B. bei manchen Formen von Substanzmissbrauch und abhängigkeit) gefunden wurde (von Zerssen, 1996), zudem bei depressiven Patienten ohne Melancholie und bei gesunden Angehörigen von depressiven Personen ohne Melancholie. Typus Melancholicus findet sich bei depressiven Patienten häufiger oder in stärkerer Ausprägung als bei gesunden Kontrollpersonen. Dies zeigten z. B. Kimura, Sato, Takahashi, Narita, Hirano und Goto (2000). Sato, Sakado, Uehara und Sato (1994) fanden bei ambulanten Patienten mit depressiver Störung, dass sich die Ausprägung des Typus Melancholicus nicht in Abhängigkeit vom Alter veränderte. Bei gesunden Kontrollpersonen dagegen wurde die Ausprägung mit zunehmendem Alter stärker (gemessen mit der Kasahara-Skala). Die Ausprägung war bis auf die Gruppe mit dem höchsten Alter (61 bis 70 Jahre) bei den Kontrollpersonen immer geringer als bei den depressiven Patienten (allerdings nicht immer signifikant). Die Autoren folgern hieraus, dass außer in der höchsten Altersgruppe Typus Melancholicus als ein Risikofaktor für Depression angesehen werden kann, und dass er bei nicht-depressiven Personen mit zunehmendem Alter stärker wird. Die Stabilität der Ausprägung des Typus Melancholicus bei den depressiven Patienten könnte bedeuten, dass es sich um einen stabilen Trait-Marker der Depression handelt (Sato, Sakado et al., 1994). Mundt et al. (1997) fanden bei endogen depressiven Patienten mit Hilfe eines ExpertenRatings 51 % mit Typus Melancholicus, Pössl und von Zerssen (1990b) 46 %, Tölle, Peikert und Rieke (1987; auch Tölle, 1987) 37 %, nach weiterem Kriterium 75 % (Pössl & von Zerssen, 1990b) und Sauer, Richter und Saß (1989) 52 %. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Tellenbach die Häufigkeit des Typus Melancholicus bei endogener Depression überschätzt hatte (Mundt et al., 1997), denn Tellenbach hatte angenommen, dass es keine Melancholie ohne Typus Melancholicus gebe (Stanghellini & Mundt, 1997). Nakanishi, Isobe und Ogawa (1993) fanden in einer retrospektiven Studie an depressiven Patienten, dass Typus Melancholicus vorhersagte, dass die Depression chronisch verlief. Eine prognostisch günstige Bedeutung fanden dagegen Marneros, Deister und Rohde (1991) sowie Kronmüller, Backenstraß, Reck et al. (2002). Letztere fanden dies jedoch nur im Zwei-Jahres-Verlauf, im Ein-Jahres-Verlauf war der Typus Melancholicus prognostisch nicht relevant. Kronmüller, Backenstrass, Kocherscheidt, Hunt, Fiedler et al. (in Druck) fanden bei der faktorenanalytischen Untersuchung verschiedener Fragebögen für Typus Melancholicus heraus, dass das Konstrukt des Typus Melancholicus aus vier Dimensionen bestand, die sich von den großen fünf Persönlichkeitsfaktoren unterschieden. Die vier gefundenen Theorie 30 Dimensionen waren: Abhängigkeit, Ambiguitätsintoleranz, Normorientierung und Perfektionismus (Kronmüller et al., in Druck). Unklar ist, ob sich depressive Patienten, die sowohl Typus Melancholicus als auch Persönlichkeitsstörungen aufweisen, von anderen depressiven Patienten unterscheiden (z. B. in anderen klinischen Merkmalen, in der Therapieresponse, in der langfristigen Prognose und im Vorkommen von affektiven Störungen in der Familie) (vgl. Kimura et al., 2000). Mundt et al. (1997) fanden, dass die Skalen der Rigidität und der Normorientierung aus dem Münchner Persönlichkeitstest MPT (von Zerssen, Pfister & Koeller, 1988) depressive Patienten mit und ohne Typus Melancholicus voneinander unterscheiden konnten. Eine multivariate Analyse zeigte, dass beide Konzepte sowie auch geringe Frustrationstoleranz Dimensionen des Typus Melancholicus sind (Mundt et al., 1997). Neurotizismus war bei depressiven Patienten mit Typus Melancholicus geringer ausgeprägt als bei depressiven Patienten ohne Typus Melancholicus, aber nicht anders als bei gesunden Kontrollpersonen (nicht-signifikante Ergebnisse) (Mundt et al., 1997). Typus Melancholicus korrelierte mit Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit (Kronmüller, Backenstrass, Kocherscheidt, Hunt, Unger, Fiedler et al., 2002). 2.2.4 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Persönlichkeit überdauernde Eigenschaften einer Person beinhaltet, die ihr andauernde Individualität verleihen. Zwei besondere Aspekte der Persönlichkeit sind der Charakter und das Temperament. Der Charakter beinhaltet langfristige Einstellungen der Person, ihre Werte und Normen. Das Temperament umfasst die Antriebsseite und die Emotionalität. Es gibt verschiedene Modelle der Persönlichkeit, die unterschiedlich viele Faktoren oder Dimensionen der Persönlichkeit annehmen. Ein häufig untersuchtes Modell ist das FünfFaktoren-Modell, das neben den auch in anderen Modellen oft vorkommenden Faktoren des Neurotizismus und der Extraversion / Introversion die Faktoren der Gewissenhaftigkeit, Offenheit für Erfahrungen und Verträglichkeit annimmt. Persönlichkeitsstörungen sind gekennzeichnet durch psychopathologische Auffälligkeiten, die zu Leiden oder sozialen und beruflichen Kompetenzeinbußen der betroffenen Person führen. Persönlichkeitsstörungen sind mit hohen sozialen Kosten und mit erhöhter Mortalität der Betroffenen verbunden. Häufig treten komorbid psychische Störungen auf. Das Suizidrisiko ist bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das Dreifache höher. Im DSM-IV der American Psychiatric Association werden Persönlichkeitsstörungen in drei Cluster eingeteilt: einen Cluster mit exzentrisch oder sonderbar wirkenden Persönlichkeitsstörungen (A), einen mit dramatisch oder emotional wirkenden (B) und einen mit ängstlichen Persönlichkeitsstörungen (C). In Theorie 31 den Cluster C gehören z. B. die dependente Persönlichkeitsstörung, in den Cluster B z. B. die Borderline-Persönlichkeitsstörung, in den Cluster A z. B. die paranoide. Ein verbreitetes ätiologisches Modell für Persönlichkeitsstörungen ist das DiatheseStress-Modell, das von einer Vulnerabilität der Betroffenen ausgeht als einer Empfindlichkeit gegenüber Stress und Anforderungen. Die Vulnerabilität ist bestimmt durch Erbeinflüsse, natale Traumata und sie ist beeinflusst durch ungünstige familiäre und erzieherische Einflüsse in der frühen Kindheit. Die Persönlichkeitsstörung erfüllt in diesem Modell die Funktion, die Person durch ihre Eigenarten des sozialen Verhaltens bei Stress zu schützen. Persönlichkeitsstörungen sind relativ häufig. Die Prävalenzen liegen zwischen drei und zehn Prozent. Persönlichkeitsstörungen werden überwiegend als psychotherapeutisch zu behandeln angesehen. Es gibt auch Berichte über Behandlungsansätze mit Psychopharmaka. Ein spezielles Muster von Persönlichkeitszügen ist der Typus Melancholicus von Tellenbach (1961) und Kraus (1977), der durch Fleiß, Ordentlichkeit und Gründlichkeit gekennzeichnet ist, des Weiteren durch Ambiguitätsintoleranz, Remanenz und Inkludenz. Theorie 32 2.3 Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen bei Depression 2.3.1 Allgemeines zur Persönlichkeit bei Depression In diesem Kapitel geht es um Persönlichkeitsstörungen bei Depression (2.3.1) und Persönlichkeitsmerkmale bei Depression (2.3.2). Neben Häufigkeiten des gemeinsamen Auftretens der Persönlichkeitsmerkmale und -störungen mit Depression werden Merkmale betroffener Patienten und ihrer depressiven Erkrankung (z. B. Merkmale des Verlaufes) beschrieben. Zunächst werden verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, in welcher Beziehung Depression mit Aspekten der Persönlichkeit stehen kann. Es werden die folgenden verschiedenen möglichen Beziehungen zwischen Depression und Persönlichkeit konzeptualisiert: • Unabhängigkeit: Depression und Persönlichkeit sind verschiedene Zustände mit vollkommen verschiedenen Ursachen. Jedes gemeinsame Auftreten beider Störungen geht auf den Zufall zurück oder auf allgemeine Risiko-Faktoren oder Hilfesuch-Faktoren (Klein, Wonderlich & Shea, 1993). • Persönlichkeitsstörungen, die komorbid zu einer Depression auftreten: die Zuordnung, ob es sich um prä- oder postmorbide Persönlichkeitsaspekte handelt, fehlt. Allerdings bestehen Zusammenhänge zwischen Depression und Persönlichkeitszügen (z. B. sozialem Rückzug, Selbstzentriertheit) (Phillips, Gunderson, Hirschfeld & Smith, 1990). • Prädispositions- / Vulnerabilitätsmodell (d. h. prämorbide Persönlichkeitszüge): Persönlichkeitszüge, die vor einer Depression existieren und sie möglicherweise begünstigen (Phillips et al., 1990). Am häufigsten wird im Rahmen dieses Modells in der Literatur der Persönlichkeitszug der interpersonalen Abhängigkeit diskutiert. • Komplikationsmodell (postmorbide oder postdepressive Persönlichkeit): eine Konsequenz davon, eine Depression erlebt zu haben, ist eine Veränderung der Persönlichkeit, insbesondere bei schweren oder lang anhaltenden depressiven Episoden (Phillips et al., 1990; Veiel, 1996). So könnten z. B. Pessimismus und Abhängigkeit nach einer depressiven Episode permanente Persönlichkeitsmerkmale werden. Manche Autoren sprechen hier auch vom „Scar-Modell“ (Richter, 2000). • Das Spektrum-Modell: Persönlichkeitsmerkmale stellen subklinische Formen der Depression dar (Richter, 2000) (vgl. Kap. 2.1.4). • Pathoplastisches oder Exazerbationsmodell: Persönlichkeitsmerkmale können dabei das klinische Bild, den Verlauf oder (und) das Ansprechen auf die Medikation beeinflussen, nicht jedoch das Risiko für eine Depression erhöhen (Richter, 2000). • Modell gemeinsamer Ursachen: es gebe einen gemeinsamen ätiologischen Faktor für die Persönlichkeit (v. a. das Temperament) und die Depression. Beiden kann eine gemeinsame genetische Diathese zugrunde liegen (Richter, 2000). • Normale depressive Züge: andauernde Persönlichkeitszüge mit depressiver Stimmung werden als Variation des Normalen angesehen, nicht als Varianten einer affektiven Theorie 33 Störung oder Persönlichkeitsstörung. Möglicherweise sind solche Persönlichkeitszüge für eine Depression prädisponierend (Phillips et al., 1990). Für sämtliche Modelle gibt es stützende Daten, die Modelle schließen sich gegenseitig auch nicht aus, sondern stehen nur für unterschiedliche Zeitperspektiven in der Betrachtung der Beziehung zwischen Depression und Persönlichkeit. Lyons, Tyrer, Gunderson und Tohen (1997) stellten sechs verschiedene mögliche Modelle zur Beziehung zwischen Störungen der Achse I und der Achse II des DSM-IV vor: eines davon beinhaltet z. B. völlige Unabhängigkeit beider Störungsgruppen, ein anderes geht von einer gemeinsamen ätiologischen und pathophysiologischen Basis aus. Die Modelle können empirisch überprüft werden. Genauere Erkenntnisse über die verschiedenen Modelle sind von prospektiven Längsschnittuntersuchungen zu erwarten (Richter, 2000). Ein weiteres Modell, das die Beziehung von Achse-I- und Achse-II-Störungen beschreibt, stammt von von Zerssen (2002). Es handelt sich um ein dreidimensionales Modell: zwei Dimensionen werden gebildet von prämorbiden Persönlichkeiten (z. B. Typus Melancholicus) und Persönlichkeitsstörungen. In der dritten Dimension wird die aktuelle Psychopathologie angesiedelt, z. B. die Episode einer bipolaren Störung (o. c.). Skodol, Stout, McGlashan, Grilo, Gunderson et al. (1999; vgl. auch Kasen, Cohen, Skodol, Johnson & Brook, 1999) fanden hinsichtlich der beschriebenen Modelle prospektiv heraus, dass eine Depression mit plötzlichem Beginn, die rezidiviert, chronisch verläuft und immer schwerer wird, bei jungen Erwachsenen schließlich zu Persönlichkeitsstörungen führt. Die Unterscheidung von affektiven Störungen und Persönlichkeitsstörungen ist teilweise mit Annahmen über eine unterschiedliche Ätiologie und Behandlung von beiden verbunden. Bei affektiven Störungen wird eher eine biologische Verursachung und entsprechende Behandlung angenommen, bei Persönlichkeitsstörungen eher eine psychologische Verursachung und Behandlung (Shea & Hirschfeld, 1996). Die Grenzen einer solchen Unterscheidung werden deutlich, wenn depressive Störungen chronisch werden und dem Konstrukt von stabilen Persönlichkeitsmerkmalen nahe kommen (o. c.; vgl. Kap. 2.4). Von Zerssen und Akiskal (1998) nehmen aufgrund der genetischen Studien an, dass Persönlichkeitsfaktoren als Mediatoren zwischen genetischer Prädisposition und Depression (und anderen abnormen seelischen Zuständen) fungieren. Prä- und intermorbide Persönlichkeitsmerkmale von depressiven Patienten werden als wichtige differentielle Indikatoren für psychotherapeutische Angebote angesehen. Indem sie berücksichtigt werden, kann die Psychotherapie optimiert werden (Mundt, 1996). Theorie 34 2.3.2 Persönlichkeitsstörungen bei unipolarer Depression 2.3.2.1 Allgemeines zu Persönlichkeitsstörungen bei Depression Häufig wird diskutiert, welche Bedeutung die Komorbidität von Depression und Persönlichkeitsstörungen, auch bestimmten Persönlichkeitsstörungen, für die Merkmale und den Verlauf der depressiven Erkrankung hat, und ob die Komorbidität überhaupt bedeutsame Konsequenzen hat. In diesem Kapitel wird die aktuelle Befundlage hierzu dargestellt. Neben Merkmalen der Depression und der betroffenen Patienten beim Vorliegen dieser Komorbidität werden insbesondere Ergebnisse zum Verlauf und Behandlungsergebnis der Depression berücksichtigt. Mehrfach wurde eine hohe Komorbidität von Depression und Persönlichkeitsstörungen belegt. Die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen liegt bei stationären depressiven Patienten zwischen 20 und 50 %, bei ambulanten Patienten zwischen 50 und 85 % (Brieger, Ehrt & Marneros, 2003; Corruble, Ginestet & Guelfi, 1996; Patience, McGuire, Scott & Freeman, 1995; Richter, 2000; vgl. auch Farmer & Nelson-Gray, 1990). Andrews, Neilson, Hunt, Stewart und Kiloh (1990) stellten bei 27 % der (endogen) Depressiven eine Persönlichkeitsstörung fest, Shea, Glass, Pilkonis, Watkins und Docherty (1987) fanden bei 35 % ihrer Stichprobe Persönlichkeitsstörungen, Pilkonis und Frank (1988) bei fast der Hälfte Persönlichkeitsauffälligkeiten, Sanderson, Wetzler, Beck und Betz (1992) bei 50 % und Sato, Sakado und Sato (1993a, b) bei 54 % Persönlichkeitsstörungen. Die Prävalenz liegt ungefähr bei 47 % bei Patienten, die nicht zum ersten Mal depressiv erkrankt sind. Der häufigste Cluster von Persönlichkeitsstörungen bei Sato, Sakado und Sato (1993b) war Cluster C (49 %), gefolgt von Cluster B (22 %) und Cluster A (19 %). Bei Brieger, Ehrt et al. (2003) war die Reihenfolge gleich, die Häufigkeiten aber etwas anders: 41, 14 und 9 %. Auch bei Sanderson et al. (1992) waren Persönlichkeitsstörungen aus dem ängstlichen Cluster am häufigsten. Gemäß Tölle (1987) wurde bei Depressiven keine einheitliche Persönlichkeitsstruktur belegt, es ist im Gegenteil mit vielen verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen zu rechnen. Auch gemäß Sato, Sakado, Nishioka, Kasahara, Uehara et al. (1995) wurde bis dahin kein Zusammenhang zwischen einer bestimmten Persönlichkeitsstörung und Depression gefunden. Allerdings gibt es Hinweise, dass für einige Persönlichkeitsstörungen ein solcher Zusammenhang existieren könnte: dies gilt insbesondere für die zwanghafte, die vermeidende und die Borderline-Persönlichkeitsstörung (Alnæs & Torgersen, 1990; Reich, Noyes, Hirschfeld, Coryell & O'Gorman, 1987; Reich & Troughton, 1988; Rossi, Marinangeli, Butti, Scinto, Di Cicco et al., 2001; Skodol et al., 1999). Auch gemäß Koenigsberg, Anwunah, New, Mitropoulou, Schopick und Siever (1999) weisen Depression und Borderline-Persönlichkeitsstörung eine hohe Komorbidität auf, die darauf zurückzuführen ist, dass jede der beiden Störungen infolge der anderen auftreten kann, zudem teilen sie einige biologische Merkmale (z. B. Hypophysen-Nebennierenrinden- Theorie 35 Achsen-Aktivität (HPA) und Dexamethason-Suppression). McGlashan et al. (2000) fanden dagegen keine signifikante Komorbidität zwischen Major Depression und BorderlinePersönlichkeitsstörung. In verschiedenen Studien fanden sich folgende Häufigkeiten von verschiedenen Persönlichkeitsstörungen bei depressiven Patienten: Bei Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C fand sich die vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung bei 2 % (Garyfallos et al., 1999), 32 % (Rossi et al., 2001) oder 35 % (Sato et al., 1993b). Die dependente Persönlichkeitsstörung wurde bei 4 % (Garyfallos et al., 1999) und bei 17 % (Sato et al., 1993b) festgestellt. Die dritte Persönlichkeitsstörung aus dem Cluster C des DSM-IV, die zwanghafte, fand sich bei 10 % (Garyfallos et al., 1999), 23 % der Patienten (Sato et al., 1993b) oder bei 31 % in einer anderen Untersuchung (Rossi et al., 2001). Von den Persönlichkeitsstörungen aus Cluster B fand sich die antisoziale am seltensten, nämlich gar nicht (Garyfallos et al., 1999) oder bei 2 % der depressiven Patienten (Sato et al., 1993b). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung war deutlich häufiger. Sie wurde bei 6 % (Garyfallos et al., 1999), 8 % der Patienten (Sato et al., 1993b) bzw. 31 % (Rossi et al., 2001) diagnostiziert. Die histrionische Persönlichkeitsstörung wiesen in verschiedenen Untersuchungen 4 % (Garyfallos et al., 1999) und 10 % (Sato et al., 1993b) der Patienten auf. Zudem wurde die narzisstische Persönlichkeitsstörung in 1 oder 19 % der Fälle (Garyfallos et al., 1999; Sato et al., 1993b) festgestellt. Von den Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster A schien die paranoide Persönlichkeitsstörung bei depressiven Patienten mit 12 % am häufigsten zu sein (Sato et al., 1993b). Die schizoide Persönlichkeitsstörung wurde bei 7 % der Patienten festgestellt (o. c.), die schizotypische bei 2 % (o. c.). Garyfallos et al. (1999) fanden alle drei Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster A bei höchstens 1 % der ambulanten depressiven Patienten ihrer Studie. Von den Persönlichkeitsstörungen aus dem Forschungsanhang des DSM-IV wurde die passiv-aggressive (negativistische) Persönlichkeitsstörung bei 8 % der depressiven Patienten gefunden (Sato et al., 1993b), bzw. bei 2 % (Garyfallos et al., 1999). Die depressive Persönlichkeitsstörung fand sich bei depressiven Personen in 42 % der Fälle (Klein & Miller, 1993), bei depressiven Patienten in einer anderen Studie bei 45 % (Hirschfeld & Holzer, 1994). In vielen Untersuchungen wurden Patienten, die komorbid zur Depression unter Persönlichkeitsstörungen litten, verglichen mit Patienten, die nur an der Depression litten. Es zeigte sich dabei, dass Patienten mit unipolarer depressiver Störung, die zusätzlich eine Persönlichkeitsstörung aufwiesen, über eine schlechtere seelische Gesundheit und Gesundheitswahrnehmung verfügten, zu Beginn der affektiven Störung jünger waren, stärker depressiv waren (bei Beginn und Ende der Behandlung) und mehr depressive Rezidive hatten. Außerdem fand man bei diesen Patienten häufiger Suizidgedanken, sie begingen häufiger und zudem schwerere Suizidversuche, waren häufiger hospitalisiert, sprachen schlechter auf Antidepressiva an, wiesen weniger soziale Unterstützung und mehr Theorie 36 Lebensstressoren auf, lebten häufiger getrennt oder waren geschieden als depressive Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen (Black, Bell, Hulbert & Nasrallah, 1988; Brophy, 1994; Corbitt, Malone, Haas & Mann, 1996; Corruble et al., 1996; Diguer, Barber & Luborsky, 1993; Farmer & Nelson-Gray, 1990; Hansen, Wang, Stage & Kragh-Sorensen, 2003; McGlashan, 1987; Meyer, Pilkonis, Proietti, Heape & Egan, 2001; Pfohl, Black, Noyes, Coryell & Barrash, 1991; Pfohl, Stangl & Zimmerman, 1984; Ramklint & Ekselius, 2003; Richter, 2000; Sato, Sakado, Nishioka, Uehara, Sato et al., 1996; Sato, Sakado, Uehara, Narita & Hirano, 1999; Skodol et al., 1999; Sullivan, Joyce & Mulder, 1994). Skodol et al. (1999) fanden jedoch nicht, dass ein früherer Beginn der Depression mit einer größeren Zahl von Persönlichkeitsstörungen zusammenhing. Pilkonis, Heape, Ruddy und Serrao (1991) fanden keine signifikanten Unterschiede in der Schwere der allgemeinen und der depressiven Symptomatik bei Beginn der Behandlung. Grilo, Becker, Walker, Edell und McGlashan (1996) fanden Geschlechtsunterschiede bei depressiven Patienten: Männer wiesen häufiger Cluster-A- (schizotypische) und Cluster-CPersönlichkeitsstörungen auf als Frauen. Grilo, Becker, Fehon, Walker, Edell und McGlashan (1996) berichten von mehr depressiven Frauen mit BorderlinePersönlichkeitsstörungen (Cluster B). In methodischer Hinsicht sollte bei den dargestellten Ergebnissen berücksichtigt werden, dass bei den Häufigkeitsangaben von Persönlichkeitsstörungen bei depressiven Patienten, die sich in stationärer Behandlung befinden, Verzerrungen entstehen können, da sich depressive Patienten in Abhängigkeit von ihrer Persönlichkeit darin unterscheiden könnten, ob sie in Behandlung gelangen (Zimmerman, Pfohl, Coryell, Corenthal & Stangl, 1991). Histrionische und Borderline-Persönlichkeitsstörungen könnten in Stichproben depressiver Patienten überrepräsentiert sein, da diese Persönlichkeitsstörungen mehr mit suizidalen Gesten verbunden sind als andere und dieses Verhalten eher zu einer stationären Aufnahme der Patienten führt. Patienten mit vermeidender oder schizoider Persönlichkeitsstörung könnten unterrepräsentiert sein, da diese Patienten ein kleineres soziales Netzwerk haben, das sich so auswirken könnte, dass es unwahrscheinlicher ist, dass diese Patienten von Freunden zu einer Behandlung motiviert werden (o. c.). Auch die Patienten selbst unterscheiden sich vermutlich je nach ihrer Persönlichkeit auch in ihrer Einstellung oder Motivation zu einer Therapie, was sich im Inanspruchnahme-Verhalten niederschlagen könnte. Auch sind Unterschiede in den Prävalenzen von Persönlichkeitsstörungen bei Depression zu erwarten: Ferro, Klein, Schwartz, Kasch und Leader (1998) fanden über einen Zeitraum von 30 Monaten bei depressiven, ambulant behandelten Patienten nur eine geringe bis mittlere Stabilität von Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen, Fava, Farabaugh, Sickinger, Wright, Alpert et al. (2002) zeigten ebenfalls, dass viele Patienten, die im depressiven Zustand Persönlichkeitsstörungen aufwiesen, nach Remission seltener die diagnostischen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen erfüllten (vgl. State-Trait-Problem, Kap. 2.2.2, 3.1). Für die Häufigkeit und Schwere von Persönlichkeitsstörungen bei Depression sollte auch Theorie 37 berücksichtigt werden, ob weitere Achse-I-Störungen vorliegen: So fanden Alnæs und Torgersen (1990), dass depressive Patienten mit komorbider Angststörung schwerere Persönlichkeitsstörungen hatten als solche Patienten, die nur an Depression litten (u. z. Persönlichkeitsstörungen wie paranoide und Borderline- zusätzlich zu vermeidender und abhängiger Persönlichkeitsstörung). Melartin et al. (2002) fanden bei depressiven Patienten mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen signifikant mehr Angststörungen, insbesondere Panikstörungen. Auch Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen waren mit verschiedenen Angststörungen assoziiert (o. c.) 2.3.2.2 Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen bei Depression für die Therapieresponse und die Remission sowie depressive Residualsymptomatik Nach den Merkmalen der Depression und der betroffenen Patienten beim Vorliegen von Persönlichkeitsstörungen bei Depression wird nun über die Befunde zum Verlauf und Behandlungsergebnis der Depression berichtet. Die meisten Studien fanden einen ungünstigeren Verlauf der Depression bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder höheren Werten bei Persönlichkeitsstörungs-Items. So hing ausbleibende Gesundung, langsamere Besserung und schwerere depressive Symptomatik z. B. nach zwei Wochen, vier Monaten, sechs Monaten, bzw. am Ende einer Behandlung, nach einem ganzen Jahr oder zwei Jahren mit Persönlichkeitsstörungen zusammen (Andreoli, Frances, Gex-Fabry, Aapro, Gerin et al., 1993; Bearden, Lavelle, Buysse, Karp & Frank, 1996; Brophy, 1994; Casey, Meagher & Butler, 1996; Diguer, Barber & Luborsky, 1993; Ezquiaga, García, Bravo & Pallarés, 1998; auch Ezquiaga, García, Pallarés & Bravo, 1999; Frank & Kupfer, 1990; Joffe & Regan, 1989; Lewinsohn, Rohde, Seeley & Klein, 1997; O'Leary & Costello, 2001; Parker, Wilhelm, Mitchell & Gladstone, 2000; Peselow, Fieve & DiFiglia, 1992; Pilkonis et al., 1991; Rothschild & Zimmerman, 2002; Sato, Sakado & Sato, 1993b; auch Sato, Sakado, Sato & Morikawa, 1994; Shea, Pilkonis, Beckham, Collins, Elkin et al., 1990; Tyrer & Simmonds, 2003; Viinamäki, Hintikka, Honkalampi, KoivumaHonkanen, Kuisma et al., 2002; Vine & Steingart, 1994; Zimmerman, Coryell, Pfohl, Corenthal & Stangl, 1986). Zudem sprachen depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen schlechter auf die Behandlung an (Psycho- und Pharmakotherapie) (Sato et al., 1994; Shea, Widiger & Klein, 1992; Thompson, Gallagher & Czirr, 1988). Gemäß Sato, Hirano, Narita, Kusunoki, Kato et al. (1999) kann das Ergebnis als relativ gesichert angesehen werden, dass depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wahrscheinlich weniger auf biologische Behandlungen ansprechen (Peselow, Fieve & DiFiglia, 1992; Sato, Sakado, Sato & Morikawa, 1994). Dies gilt auch für die Elektrokonvulsivtherapie (De Battista & Mueller, 2001). Meyers, Sirey, Bruce, Hamilton, Raue et al. (2002) fanden, dass depressive Personen mit leichterer Persönlichkeitsdysfunktion schneller gesund wurden (von einer leichten Depression). Theorie 38 Manche Studien stützen diese Befunde jedoch nicht (Joyce, Mulder & Cloninger, 1994; Stuart, Simon, Thase & Pilkonis, 1992). Im Weiteren zeigten sich ungünstigere Verläufe und Behandlungsergebnisse der Depression, wenn Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A vorlagen (Sato, Sakado, Sato und Morikawa, 1994; Shahar, Blatt, Zuroff & Pilkonis, 2003), zudem auch aus Cluster C (Greenberg, Craighead, Evans & Craighead, 1995; Viinamäki et al., 2002; Viinamäki, Tanskanen, Koivumaa-Honkanen, Haatainen, Honkalampi et al., 2003), teilweise bei Persönlichkeitsstörungen aus allen drei Clustern (Rothschild & Zimmerman, 2002). Auch bei einzelnen Persönlichkeitsstörungen wurden ungünstigere Behandlungsverläufe gefunden: bei antisozialer, Borderline-, vermeidender, zwanghafter, passiv-aggressiver und depressiver Persönlichkeitsstörung (Hirschfeld, Russell, Delgado, Fawcett, Friedman et al., 1998; McGlashan, 1987; Meyer et al., 2001; Papakostas, Petersen, Farabaugh, Murakami, Pava et al., 2003; Reich & Green, 1991; Rothschild & Zimmerman, 2002; Shahar et al., 2003; Shea et al., 1990). Dagegen erwiesen sich bei Brieger, Ehrt, Blöink und Marneros (2002) und Pfohl et al. (1984) Persönlichkeitsstörungen (besonders solche aus Cluster C) als nicht bedeutsam für den Verlauf der Depression. 2.3.2.3 Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen bei Depression für depressive Rückfälle Außer der Therapieresponse, etwaiger depressiver Residualsymptomatik und der Remission der Depression nach einer antidepressiven Behandlung sind für den Verlauf der Depression auch Rückfälle untersucht worden. Depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und solche ohne wurden bezüglich depressiver Rückfälle verglichen. Mehrere Studien zeigten, dass Persönlichkeitsstörungen bei depressiv erkrankten Personen nach verschiedenen Arten der Therapie zu einem erhöhten Rückfallrisiko führen, so nach Pharmakotherapie, Elektrokonvulsivtherapie und nach Kurzzeitpsychotherapie (Ilardi, Craighead & Evans, 1997). Es wurden solche Zusammenhänge für unterschiedlich lange Beobachtungszeiträume gefunden, z. B. für sechs Monate (Zimmerman et al., 1986) oder sechs Jahre (Alnæs & Torgersen, 1997), und für unterschiedliche Persönlichkeitsstörungen, z. B. für abhängige und Borderline-Persönlichkeitsstörung (Alnæs & Torgersen, 1997; Links, Heslegrave, Mitton, van Reekum & Patrick, 1995). Barrash, Pfohl und Blum (1993) zeigten, dass nur unstabile Persönlichkeitsstörungen (Borderline-, narzisstische, histrionische und antisoziale) nur bei älteren depressiven Patienten (älter als 25 Jahre, im Gegensatz zu 18- bis 25-Jährigen) mehr depressive Episoden vorhersagten. Ilardi et al. (1997) fanden heraus, dass Persönlichkeitsstörungen (gemäß DSM-III-R) signifikant mit höherem Rückfallrisiko zusammenhingen, unabhängig davon, ob ein dimensionales oder ein kategoriales Persönlichkeitsmodell zugrundegelegt wurde. So Theorie 39 dauerte es bei Patienten ohne Persönlichkeitspathologie eine 7,4 Mal längere Zeit bis zum nächsten Rückfall als bei Patienten mit Persönlichkeitspathologie. Hinsichtlich der Cluster von Persönlichkeitsstörungen zeigte sich bei Ilardi et al. (1997), dass der Cluster A mit geringerem Rückfallrisiko einherging, die Cluster B und C dagegen mit erhöhtem Rückfallrisiko. Dieses Ergebnis könnte so interpretiert werden, dass eine gewisse soziale Distanz (Cluster A) vor Zurückweisungserlebnissen schützt und so weniger verwundbar für depressives Erleben bzw. eine depressive Erkrankung macht (Richter, 2000). Im allgemeinen stützen die durchgeführten Studien die Sicht, dass Persönlichkeitsstörungen mit einem schlechteren Ergebnis und mehr Rückfällen von AchseI-Störungen, so auch von Depression, verbunden sind (Reich, 2003; Reich & Green, 1991; Tyrer, Gunderson, Lyons & Tohen, 1997; Vaglum, 2000). Eine steigende Zahl von Studien zeigt aber, dass komorbide Persönlichkeitsstörungen manchmal kein signifikant anderes Behandlungsergebnis (oder andere Rückfallgefahr) bedeuten (z. B. Charney, Nelson & Quinlan, 1981; Davidson, Miller & Strickland, 1985; Kunik, Mulsant, Rifai, Sweet, Pasternak et al., 1993; Molinari & Marmion, 1994, 1995; Mulder, Joyce & Luty, 2003; O'Leary & Costello, 2001; Stuart, Simons, Thase & Pilkonis, 1992). Teilweise wurde sogar ein besseres Behandlungsergebnis gefunden (Tyrer et al., 1997; vgl. a. Fiedler, 2001a), wie z. B. bei der zwanghaften Persönlichkeitsstörung bei Behandlung mit Fluvoxamin (ein SSRI) in einer Studie von Ansseau, Troisfontaines, Papart und von Frenckell (1991) und mit Elektrokonvulsivtherapie in der Studie von Casey und Butler (1985), und bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung des Clusters B bei Fava, Bouffides, Pava, McCarthy, Steingard und Rosenbaum (1994; Behandlung mit Fluoxetin) oder bei der dependenten Persönlichkeitsstörung (Fiedler, 2001a). Dieser Effekt könnte an einem indirekten Einfluss der Persönlichkeitsstörung liegen (z. B. bessere Compliance bei der medikamentösen Behandlung bei manchen Persönlichkeitsstörungen) oder an einem Synergie-Effekt, wenn die Behandlung sowohl für die Depression als auch die Persönlichkeitsstörung vorteilhaft ist (Tyrer et al., 1997). Zudem sollte beachtet werden, dass depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen häufig schwerere depressive Symptomatik aufweisen als depressive Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen, so dass man die Veränderung vom Anfangswert zum Endwert der Depressivität prüfen sollte. Dieser erwies sich z. B. bei Diguer, Barber und Luborsky (1993) bei Patienten mit komorbider Persönlichkeitsstörung als vergleichbar groß dem bei Patienten ohne diese Komorbidität. Es gibt auch Hinweise, dass ein Behandlungsverfahren je nach Komorbidität günstig wirkt oder nicht: so fanden Tyrer, Seivewright, Ferguson, Murphy und Johnson (1993), dass zwar die medikamentöse Behandlung bei depressiven Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen ein ähnliches Ergebnis erbrachte, aber eine Selbsthilfe-Behandlung war bei den Patienten ohne viel wirksamer als bei den Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. Theorie 40 In methodischer Hinsicht sollte beachtet werden, dass die depressive Symptomatik die Erfassung von Merkmalen von Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen beeinflussen könnte. So fanden beispielsweise Peselow, Sanfilipo und Fieve (1994) eine Verringerung der Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen (nach Aussagen der Patienten selbst) aus Cluster A und C von vor der Behandlung bis nach der Behandlung. Die Merkmale aus Cluster B hatten sich bis auf eine Verstärkung bei den histrionischen nicht verändert. Nach Aussagen von Informanten jedoch gab es bei Cluster A und B keine Veränderungen, aber bei Cluster C eine Verringerung der Ausprägungen (außer bei den passiv-aggressiven Merkmalen) (Peselow, Sanfilipo & Fieve, 1994). Persönlichkeitsmaße können durch depressive Symptomatik also verzerrt abgebildet werden, aber sie können dennoch brauchbare Prädiktoren für den Verlauf der Depression sein (Reich & Green, 1991). In der Klinik ist dieses Problem nicht zu umgehen, da die Prädiktion des Depressionsverlaufs zu Beginn der Behandlung, also im Akutstadium der Depression, erwünscht ist (vgl. Reich & Green, 1991). Die Studien sind häufig methodisch kritisierbar, wenn die Residualsymptomatik der Depression bei Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörung nicht kontrolliert wurde. Eine stärkere Residualsymptomatik geht mit häufigeren späteren Rückfällen bzw. häufigerer Chronifizierung einher (z. B. Faravelli, Ambonetti, Pallanti & Pazzagli, 1986; Judd, Paulus, Schettler, Akiskal, Endicott et al., 2000; Paykel, 1998), es handelt sich also um einen Störfaktor. Außerdem untersuchten die meisten Studien die depressiven Patienten bezüglich Persönlichkeitsstörungen, bevor die Behandlung der Depression begonnen hatte. Während depressiver Phasen jedoch berichten die Patienten von signifikant stärkeren Persönlichkeitsauffälligkeiten als nach der Remission (Ilardi et al., 1997). Es gibt allerdings auch Hinweise dafür, dass sich selbstberichtete Persönlichkeitsmerkmale durch eine depressive Episode nicht verändern (Shea, Leon, Mueller, Solomon, Warshaw et al., 1996). Zusammenfassend folgert Richter (2000), dass die Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen als erhöhtes Rückfallrisiko für eine Depression (i. S. des Komplikationsmodells), als einer klinisch relevanten Distress erzeugenden Bedingung (Prädispositions-Sicht) und ihre pathoplastische Wirkung hinsichtlich Verlauf und Ergebnis einer Therapie unbestritten seien. Auch de Jong-Meyer, Hautzinger und Müller (2000) kommen in ihrem Überblick über die Forschungslage zu dem Schluss, dass komorbide Persönlichkeitsstörungen das Ansprechen auf medikamentöse und psychologische Therapie und insbesondere den Verlauf und die Prognose der Depression komplizierter gestalten. Mulder (2002) zieht in seinem Literaturüberblick dagegen das Fazit, dass Persönlichkeitsstörungen nicht zu einem besseren Verlauf bzw. Ergebnis der Depression führen, dass darüber hinausgehende Schlussfolgerungen methodisch anfechtbar seien, sich jedoch die Anzeichen dafür mehren, dass bei Kontrolle von Störfaktoren (z. B. Schwere der depressiven Symptomatik, Alter und Geschlecht der Patienten) kein Zusammenhang von Depressionsverlauf und Persönlichkeitsstörungen bestehe, wenn die Patienten eine gute Standardbehandlung für die affektive Störung erhalten. Dabei scheint es wohl zu geschehen, Theorie 41 dass depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen eine weniger angemessene medikamentöse, psychotherapeutische oder elektrokrampftherapeutische Behandlung ihrer Depression erhalten. 2.3.3 Persönlichkeitsmerkmale und -strukturen bei Depression 2.3.3.1 Allgemeines zu Persönlichkeitsmerkmalen und -strukturen bei Depression Studien mit Merkmalen der Persönlichkeit bei Patienten mit affektiven Störungen haben eine lange Tradition in der Forschung (Böker, Hell, Budischewski, Eppel, Härtling et al., 2000). Hinsichtlich der Beziehung beider werden verschiedene Betrachtungsweisen unterschieden (vgl. von Zerssen, 1996): • „Prämorbide“ oder „Primär-Persönlichkeit“ bedeutet die Persönlichkeitsstruktur vor dem Einsetzen der Depression. • „Morbide“ oder „intramorbide Persönlichkeit“ beinhaltet die Persönlichkeit und ihre Abwandlungen während der aktuellen Depression (angefangen mit möglichen initialen Persönlichkeitsveränderungen im Vorfeld der Erkrankung). • „Postmorbide Persönlichkeit“ umfasst alle bleibenden Persönlichkeitsveränderungen nach einer abgelaufenen depressiven Episode. • „Intermorbide“ oder „Intervall-Persönlichkeit“ schließt zumindest leichtere postmorbide Veränderungen ein. Bei einer Vollremission lässt sich von der Intervallpersönlichkeit auf die prämorbide Persönlichkeit schließen, wobei allerdings von altersbedingten Persönlichkeitsveränderungen abgesehen wird (von Zerssen, 1996). Von Zerssen (1980) geht davon aus, dass es sich bei den Veränderungen von der prämorbiden zur IntervallPersönlichkeit nur um geringfügige Veränderungen handele (nicht belegt). Prämorbid wurden bei später depressiv Erkrankten folgende Persönlichkeitsmerkmale und strukturen festgestellt: erhöhter Neurotizismus (Angst & Ernst, 1996; Boyce, Parker, Barnett, Cooney & Smith, 1991; Chodoff, 1973; Clayton, Ernst & Angst, 1994; Hirschfeld & Cross, 1987; Hirschfeld, Klerman, Lavori, Keller, Griffith et al., 1989; Maier, Lichtermann, Minges & Heun, 1992; Richter, 2000), Introversion, Schüchternheit, interpersonale Sensibilität, weniger Selbstsicherheit, verringerte Dominanz, Nervosität, Zwanghaftigkeit, Dependenz und Typus Melancholicus (Akiskal, Hirschfeld & Yerevanian, 1983; Angst, 1986; Boyce, Parker, Barnett, Cooney & Smith, 1991; Chodoff, 1972; Ebel, Steinmeyer, Houben & Saß, 1997; Hecht, van Calker, Berger & von Zerssen, 1998; Hirschfeld, Lavori et al., 1989; Maier et al., 1992; Nyström & Lindegard, 1975; Söldner, 1994), vegetative Labilität in Verbindung mit Rigidität (Lauer, Bronisch, Kainz, Schreiber, Holsboer & Krieg, 1997; Lauer, von Zerssen, Schreiber, Modell, Holsboer & Krieg, 1998; Maier et al., 1992). Außerdem wurden prämorbid verringerte emotionale Stärke bzw. Theorie 42 Stabilität, verringerte Sachlichkeit, erhöhte Nachdenklichkeit, eine Tendenz zum Grübeln, mangelnde Ausdauer, Reizbarkeit und höhere Aggressionswerte festgestellt (Hirschfeld, Klerman, Lavori et al., 1989; auch Hirschfeld & Shea, 1992; Nyström & Lindegard, 1975). Am häufigsten wurden bei den Betroffenen Neurotizismus und Introversion (de JongMeyer, 2000) sowie Rigidität gefunden. Söldner (1994) fand einige der beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale retrospektiv für die Kindheit jetzt erwachsener depressiver Personen, z. B. Dependenz und Sensibilität. Bei depressiven Menschen wurden in Studien an morbiden Persönlichkeitsmerkmalen erhöhter Neurotizismus, vermehrte psychovegetative Labilität (das sind Neurotizismus und eine verminderte Frustrationstoleranz), verminderte extraversive bzw. zyklothyme Tendenzen und erhöhte schizoide Züge gefunden (Matussek & Feil, 1980, 1981; Wetzel, Cloninger, Hong & Reich, 1980; von Zerssen, 1996; von Zerssen & Pössl, 1990). Unipolare Depression hing auch zusammen mit erhöhter Introversion, Gehemmtheit und interpersonaler Sensibilität (Akiskal, Hirschfeld & Yerevanian, 1983; Hirschfeld, Klerman, Clayton & Keller, 1983; Hirschfeld & Shea, 1992; Möller & von Zerssen, 1987; Ouimette, Klein, Clark & Margolis, 1992; Richter, Diebold & Schützwohl, 1993; Sakado, Kuwabara, Sato, Uehara, Sato et al., 2000). Des Weiteren wurden häufig anankastische oder zwanghafte Persönlichkeitsmerkmale gefunden, z. B. bei 23 % bzw. 51 % aller depressiven Patienten (Sato et al., 1993b; Charney, Nelson & Quinlan, 1981). Außerdem wurde häufig Typus Melancholicus festgestellt (Frey, 1977; von Zerssen, 1991, 1996; von Zerssen & Pössl, 1990). Marneros, Deister und Rohde (1991) fanden bei 52 % der unipolar Depressiven prämorbid die Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus. Sato et al. (1995) vertreten die Auffassung, dass Typus Melancholicus möglicherweise die gesuchte spezifische Persönlichkeit von depressiven Patienten wiedergibt und plädieren daher für seine Aufnahme in die Achse II des DSM (vgl. a. Kap. 2.2.3). Tölle, Peikert und Rieke (1987) berichten, dass Ordentlichkeit als psychologischer Kern des Typus Melancholicus (vgl. Tölle, 1987) bei 40 % der unipolar Depressiven in deutlicher oder starker Ausprägung vorkam. Zudem wurde Ambiguitätsintoleranz gefunden (vgl. Kraus, 1988; Heerlein & Richter, 1991; Heerlein, Santander & Richter, 1996a, b). Gneist (1969) fand heraus, dass depressive Patienten stärker religiös und kirchlich gebunden und interessiert waren. Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal von Depressiven war das asthenische bzw. selbstunsichere (bei 25 % bzw. 28 % der Patienten), geringes Selbstwertgefühl, selbstkritische Haltung und Pessimismus (Marneros et al., 1991 bzw. Andrews et al., 1990; außerdem: Matussek & Feil, 1980; Ouimette et al., 1992). Zudem fanden einige Studien Depressive gekennzeichnet durch eine dependente Persönlichkeitsstruktur (Birtchnell, Deahl & Falkowski, 1991; Boyce, Parker, Hickie, Wilhelm, Brodaty et al., 1990; Hirschfeld et al., 1983; Reich & Troughton, 1988). Die Häufigkeit lag bei Sato et al. (1993b) bei 17 %. Theorie 43 Teilweise wurde bei monopolar Depressiven aber auch keine signifikant anders ausgeprägte Extraversion, Neurotizismus und Psychotizismus als bei verschiedenen Vergleichsgruppen gefunden (Frey, 1977; Hirschfeld et al., 1989). Hirschfeld et al. (1989) z. B. stellten keine auffälligen Werte bei interpersonaler Abhängigkeit fest. Nach der depressiven Erkrankung zeigten die Patienten bei Angst und Ernst (1996) sowie Maier et al. (1992) an postdepressiven Persönlichkeitszügen erhöhten Neurotizismus, Hirschfeld und Shea (1992) sowie Coppen und Metcalfe (1965) berichten jedoch von unauffälligem Neurotizismus. Perris (1971) fand nach der Remission bei depressiven Patienten eine Verringerung der Neurotizismus-Werte, Duggan, Sham, Lee und Murray (1991) fanden stabile Neurotizismus-Werte über 18 Jahre, auch bei ungünstigem Depressionsverlauf. Dies widerspricht der „Konsequenz-Hypothese“ von Akiskal, Hirschfeld und Yerevanian (1983), wonach sich die Erfahrung einer Depression ungünstig auf die Persönlichkeit auswirkt. Zudem berichtet Richter, dass die Introversion von der Remission, anders als der Neurotizismus, nicht beeinflusst wird (Richter, 2000). Daher wird gefolgert, dass Introversion zur Depression prädisponiert. Nach Abklingen einer depressiven Episode wurde bei Patienten erhöhte Introversion festgestellt (Angst & Ernst, 1996; Hirschfeld & Shea, 1992). Coppen und Metcalfe (1965) fanden unauffällige Extraversion, Maier et al. (1992) fanden niedrigere Extraversion als bei Kontrollpersonen. Bagby, Joffe, Parker, Kalemba und Harkness (1995) fanden, dass zwar die Neurotizismus- und Extraversions-Werte in der Depression verändert waren, die Werte für Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit hingegen nicht. Angst und Ernst (1996) fanden bei Depressiven nach Remission ebenfalls keine höheren Werte für Gewissenhaftigkeit als bei gesunden Kontrollpersonen. Interpersonale Abhängigkeit ist das Persönlichkeitsmerkmal, das in der Literatur am häufigsten als prädisponierend für Depression beschrieben wird. Birtchnell et al. (1991) fanden bei Remission eine Abnahme der Dependenz. Hirschfeld, Klerman, Gough, Barrett, Korchin et al. (1977) und Reich et al. (1987) zeigten, dass die Dependenz bei Patienten nach Abklingen einer Depression stärker ausgeprägt war als bei Kontrollpersonen. Tölle, Peikert & Rieke (1987) stellten bei 40 Prozent der vormals depressiven Patienten nach der Remission die Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus fest. Sakado, Sakado, Seki, Kuwabara, Kojima et al. (2001) zeigten an einer nicht-klinischen Stichprobe, dass Rigidität bei Personen ausgeprägter war, die früher schon einmal depressiv erkrankt gewesen waren. Analog fanden Maier et al. (1992) bei depressiven Patienten in Remission höhere Rigidität als bei Kontrollpersonen. In methodischer Hinsicht sollte beachtet werden, dass die Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen bei manchen Untersuchungen als von der Stimmung beeinflusst erscheint: in der akuten depressiven Episode waren z. B. bei Kerr, Schapira, Roth und Garside (1970) die Werte in Neurotizismus deutlich erhöht im Vergleich zu nach der Remission, die Extraversionswerte waren leicht verringert. Diese Effekte fielen viel geringer Theorie 44 aus, wenn die Patienten bei der Bearbeitung des Persönlichkeitsfragebogens die Anweisung erhalten hatten, ihn gemäß ihrer Gefühle und ihres Verhaltens in gewöhnlicher (nichtdepressiver) Verfassung zu beantworten (Kerr et al., 1970). Joiner (1993) fand dagegen bei dysfunktionalen Einstellungen keine Abhängigkeit von der Stärke der depressiven Symptomatik. Neurotizismus ist besonders empfindlich für den Einfluss der Depressivität: ca. 20 % der Varianz des Neurotizismus-Wertes können gemäß Richter (2000) durch die selbsteingeschätzte Depressivität aufgeklärt werden. Dies könnte zum Teil ein Messartefakt sein, da Messinstrumente für Depressivität und Neurotizismus einige Items gemeinsam haben (Duggan et al., 2003). Zudem fanden Hirano, Sato, Narita, Kusunoki, Ozaki et al. (2002) während der depressiven Episode veränderte Werte im Temperaments- und Charakterfragebogen von Cloninger (erhöhte Schadensvermeidung und verringerte Selbstlenkung und Kooperativität). Zusammenfassend meint von Zerssen nach seinem Überblick zur Bedeutung der prämorbiden Persönlichkeit (1996), dass Persönlichkeitsauffälligkeiten innerhalb der Norm (sog. „Persönlichkeitsakzentuierungen“) in der Vorgeschichte psychischer Störungen eine größere Bedeutung haben als Persönlichkeitsstörungen. Aber auch unauffällig erscheinende Persönlichkeitsmerkmale werden als Risikofaktoren für manche psychische Störungen diskutiert. Eysenck, White und Eysenck (1976) fanden, dass sich psychiatrische Patienten verschiedener Erkrankungen in ihren Persönlichkeitsmerkmalen unterscheiden, so wie sie sich durch verschiedene Kombinationen von Symptomen und Anzeichen unterscheiden. Die Autoren plädieren aufgrund ihrer Befunde für eine dimensionale (anstatt kategoriale) Auswertung von Persönlichkeitsmerkmalen und eine Beschreibung von psychischen Störungen auf diesen Dimensionen (Neurotizismus − Psychotizismus, Extraversion − Introversion). Hirschfeld und Shea (1992) ziehen zum Zusammenhang von Persönlichkeitsfaktoren und Depression das Fazit, dass Persönlichkeitsfaktoren einen unspezifischen Effekt auf die Vulnerabilität für Depression haben. Personen, die von einer Depression genesen sind, waren z. B. weniger in der Lage, mit Stress umzugehen und introvertierter als Personen ohne Depression in der Vorgeschichte. Mit der Pathogenese von Depression seien diese Faktoren theoretisch nur schwach assoziiert. Sie wurden auch bei Personen gefunden, die von einer anderen psychischen Erkrankung genesen waren (z. B. einer Angststörung). Auch die interpersonale Abhängigkeit ist bei vormals depressiv erkrankten Personen erhöht. Dabei handele es sich um einen spezifischeren Risikofaktor für Depression (Hirschfeld & Shea, 1992). Theorie 45 2.3.3.2 Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen bei Depression für die Therapieresponse und die Remission sowie depressive Residualsymptomatik Die meisten Studien (und Übersichtsarbeiten) kommen zu dem Resultat, dass Persönlichkeitsmerkmale (und Persönlichkeitsstörungen) zu den wichtigsten Faktoren zur Prognose nicht nur der Entstehung, sondern auch des Verlaufs von Depressionen zählen (vgl. Angst, 1988; de Jong-Meyer, 2000). Es zeigte sich, dass depressive Patienten mit abweichenden Persönlichkeitszügen oder mit Persönlichkeitsstörungen früher erstmals an Depression erkrankten und schlechter auf die Behandlung, auch auf eine PlazeboBehandlung, ansprachen als andere Patienten (Charney, Nelson & Quinlan, 1981; Ebel et al., 1997; Fava, Alpert, Borus, Nierenberg, Pava et al., 1996). Es wurde gezeigt, dass abnorme Persönlichkeitsstrukturen einhergehen mit einer schlechteren Verlaufsprognose, kurz- und langfristig (Angst, 1987; Ciompi, 1973): z. B. wurde das Ansprechen auf Thymoleptika beeinträchtigt durch prämorbide Persönlichkeitsabnormitäten der Patienten (Möller et al., 1987; Philipp, 1992), das Ansprechen auf trizyklische Antidepressiva wurde begünstigt durch eine unauffällige prämorbide Persönlichkeitsstruktur (Benkert & Hippius, 1996), und die Response-Rate auf Doxepin war niedriger bei Persönlichkeitsabnormitäten (Philipp, 1992). Zudem fand sich ein schlechterer Ausgang der Depression nach 15 Jahren (Andrews et al., 1990). Am häufigsten wurden Neurotizismus und Introversion-Extraversion mit Depression in Beziehung gesetzt (vgl. de Jong-Meyer, 2000; Untersuchungen von: Angst & Clayton, 1986; Hautzinger, 1997a; Kerr et al., 1972; Nyström, 1979; Piccinelli & Wilkinson, 1994; Preisig & Angst, 1991). Prämorbider Neurotizismus wurde häufig mit einem jüngeren Ersterkrankungsalter, schwererer depressiver Symptomatik, dem Risiko einer verlängerten Depression, längeren Zeiten bis zur Remission, einem ungünstigeren Ausgang (auch langfristig, z. B. 18 Jahre später) und Chronifizierungstendenzen in Verbindung gebracht. Dies wurde in retrospektiven und prospektiven Studien sowie in klinischen und GemeindeStichproben gefunden (Duggan, Lee & Murray, 1990; Enns, Larsen & Cox, 2000; Lee, Duggan & Murray, 1992; Lozano & Johnson, 2001; O'Leary & Costello, 2001; Richter, 2000; Scott, 1988; Scott, Eccleston & Boys, 1992; Scott, Williams, Brittlebank & Ferrier, 1995; Surtees & Wainwright, 1996; Zuckerman, Prusoff, Weissman & Padian, 1980). Außerdem hing prämorbider Neurotizismus mit schlechterem Ansprechen auf eine Therapie mit trizyklischen Antidepressiva und auf eine Lithium-Prophylaxe zusammen (Abou-Saleh, 1983; Hirschfeld, Klerman, Andreasen, Clayton & Keller, 1986; Maj, Del Vecchio, Starace, Pirozzi & Kemali, 1984). Höhere Extraversion und geringe Introversion sagten einen günstigeren Verlauf der Depression vorher (Geerts & Bouhuys, 1998; Heerlein, Richter, Gonzalez & Santander, 1998; Richter, 2000; Zuckerman et al., 1980). Geringe Verträglichkeit hing mit schwererer Depression zusammen, hysterische Persönlichkeit mit weniger schwerer Depression (Enns et al., 2000; Paykel, Klerman & Prusoff, 1976). Theorie 46 Positivere Selbstbewertung bzw. besseres Selbstwertgefühl hingen mit einem günstigeren Verlauf der Depression bzw. besserem Ansprechen auf die Therapie zusammen (Brown, Bifulco & Andrews, 1990; Duggan, Lee & Murray, 1990; Will, 2000). Zudem ging geringes Selbstwertgefühl mit einer schwereren Depression einher (Bachelor, Bleau & Raymond, 1996). Kerr et al. (1972) fanden einen ungünstigeren Verlauf der Depression bei ängstlichen und zwanghaften Persönlichkeitszügen, Casey und Butler (1995) dagegen ein gutes Therapieergebnis bei Zwanghaftigkeit. Dem widersprechen Wittchen und von Zerssen (1987), die auffällige Persönlichkeitsfaktoren nicht brauchbar zur Vorhersage des Verlaufs von Depression fanden. Neurotizismus hatte bei Heerlein, Richter, Gonzalez und Santander (1998) keinen negativen Effekt. Andrews et al. (1990) stellten nur eine Varianzaufklärung im Ausgang der Depression von 2 % nach 15 Jahren durch Persönlichkeitsauffälligkeiten fest. Sanderman (1993) schätzt den Einfluss von auffälligen Persönlichkeitsvariablen auf die Depression (aufgrund von Querschnittstudien) als nicht so deutlich ein wie den anderer Variablen. Dies wird durch einige Studien belegt, die zeigten, dass akzentuierte Persönlichkeitszüge, Temperaments- und Charakterfaktoren oder die fünf großen Persönlichkeitsfaktoren nicht mit dem Auftreten von Depression oder der Therapieresponse bzw. Remission zusammenhingen (Kendler, Neale, Kessler, Heath & Eaves, 1993; Lingjærde, Føreland & Engvik, 2001; Marijnissen, Tuinier, Sijben & Verhoeven, 2002; Newman, Ewing, McColl, Borus, Nierenberg et al., 2000; O'Leary & Costello, 2001; Petersen, Papakostas, Bottonari, Iacoviello, Alpert et al., 2002). 2.3.3.3 Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen bei Depression für Chronifizierung und Rückfälle der Depression Bei Millon und Kotik-Harper (1995) gingen abnorme Persönlichkeitsstrukturen mit einer höheren Rückfallwahrscheinlichkeit einher. Weissman, Prusoff & Klerman (1978) fanden, dass der beste Prädiktor für eine Chronifizierung der Depression die Persönlichkeit (erhöhter Neurotizismus) eines Patienten war. Mundt, Kronmüller, Backenstraß, Reck und Fiedler (1998; auch Kronmüller, Backenstraß, Reck, Kraus, Fiedler & Mundt, 2002) sowie Clark et al. (1994) fanden heraus, dass Neurotizismus (bzw. „negative Affektivität“) für den Verlauf der Depression ungünstig war. Ulusahin und Ulug (1997) fanden nach der Remission nach mehreren depressiven Episoden geringeren Neurotizismus als nach einer depressiven Episode. Zudem hingen geringere Extraversion (positive Affektivität), Schizoidie und Rigidität mit einem erhöhten Rückfallrisiko zusammen (Clark et al., 1994; Mundt, Kronmüller, Backenstraß & Fiedler, 1996). Bezüglich der Bedeutung von Typus Melancholicus für den Theorie 47 Verlauf fanden Mundt, Kronmüller et al. (1996) ein geringeres Rückfallrisiko, Nakanishi et al. (1993) allerdings eine größere Chronifizierungswahrscheinlichkeit. Surtees und Wainwright (1996) fanden eingeschränktes Selbstvertrauen prognostisch bedeutsam für den ersten Rückfall in einem Zwölf-Jahres-Zeitraum, Cassano, Akiskal, Musetti, Perugi, Soriani und Mignani (1989) fanden bei Patienten mit rezidivierender Depression häufiger depressives Temperament als bei Patienten mit nur einer Episode. Allerdings gibt es auch Studien, die keinen Zusammenhang zwischen einer Persönlichkeitsauffälligkeit und dem Behandlungsergebnis und weiteren Verlauf fanden (Casey & Butler, 1995; Davidson, Miller & Strickland, 1985; Joffe & Regan, 1989; Philipp, 1992). Bei O'Leary und Costello (2001) sowie Surtees und Wainwright (1996) sagte Neurotizismus Rückfälle gar nicht voraus, bei Mundt et al. (1998) nur nach einem Jahr (nicht nach zwei Jahren). Dieses Ergebnis deckt sich mit den Befunden von Angst (1998) und Marneros, Rohde und Deister (1998). Preisig und Angst (1991) kommen in ihrer Übersicht sogar zu dem Schluss, dass eine pathologische Persönlichkeit keinen Einfluss auf das Rückfallrisiko habe. In Hinblick auf die Methoden ist einschränkend zur Interpretation der Ergebnisse zu sagen, dass durch Chronifizierung und wenig erfolgreiche Behandlungsversuche bedingte Veränderungen in den Einstellungen und Verhaltensmustern der Patienten ein Erkennen der prämorbiden und krankheitsunabhängigen Persönlichkeitseigenschaften erschweren (vgl. Ebel et al., 1997). Zudem liegen mehrere Beobachtungen von Persönlichkeitsveränderungen unter dem Einfluss von serotonergen Antidepressiva vor, jedoch sind die Befunde noch nicht schlüssig genug, um sie als sicher zu betrachten oder sie im Falle einer Persönlichkeitsveränderung erklären zu können (Balon, 1999). Hinsichtlich des oft untersuchten Neurotizismus wird diskutiert, ob Neurotizismus-Werte vor Beginn der Depression statt als Risikofaktor auch als Frühstadium der Erkrankung bewertet werden könnten (Angst, 1988). Es kann auf jeden Fall von einer Konfundierung von Neurotizismus und Depression ausgegangen werden, die sich auch an der Ähnlichkeit der Items in Messinstrumenten für beide zeigt (z. B. Beck-Depressionsinventar, vgl. Kap. 3.2.1.3). Zusammenfassend kommen Enns und Cox (1997) nach einer Übersicht über die aktuelle Befundlage zum Thema Persönlichkeit und Depression zu dem Schluss, dass Neurotizismus der stärkste Persönlichkeits-Prädiktor der Depression ist (prognostisch ungünstig). Zudem fand sich für Extraversion eine günstige prognostische Bedeutung, und eine prognostische Bedeutsamkeit der Faktoren Schadensvermeidung, Abhängigkeit von Belohnung und Suche nach Neuem (gemäß Cloningers Theorie), zudem (faktorenanalytisch auf niedrigerer Ebene) v. a. der Abhängigkeit und Selbstkritik, aber auch der Zwanghaftigkeit und des Perfektionismus (Enns & Cox, 1997). Theorie 48 Als Prädiktoren für das gute Ansprechen auf eine psychopharmakologische Behandlung erwiesen sich hohe Autonomie, niedrige Soziotropie, zudem Selbstsicherheit, Unabhängigkeit und Konkurrenzfähigkeit (Ebel et al., 1997). 2.3.4 Fazit Die klinische Relevanz von Persönlichkeitsmerkmalen und -störungen zeigt sich in den häufig gefundenen Unterschieden in der Symptomatik, der Schwere der Depression, ihrem Verlauf nach der Indexepisode und im Ansprechen auf verschiedene Behandlungsmethoden in Abhängigkeit von der Persönlichkeit der depressiven Patienten (vgl. z. B. de Jong-Meyer, Hautzinger, Rudolf, Strauß & Frick, 1996). Insgesamt erwies sich die Depression bei bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Neurotizismus) und bei Persönlichkeitsstörungen meistens als schwieriger, schwerer, schlechter auf Behandlungen ansprechend und mit ungünstigerem Verlauf als ohne Auffälligkeiten in der Persönlichkeit (z. B. Shea et al., 1990). Persönlichkeitsmerkmale gehören zu den Variablen, die die höchste Varianzaufklärung des Verlaufs von Depressionen bringen (z. B. Angst & Clayton, 1986). Bislang fehlen Erklärungen für den Zusammenhang von Persönlichkeitsauffälligkeiten und dem Depressionsverlauf bzw. Therapieerfolg (Duggan et al., 1991). Ebel et al. (1997) nehmen an, dass sich Patienten mit Persönlichkeitsstörungen evtl. schwerer tun, unangenehme Wirkungen der Antidepressiva zu tolerieren. So fanden Reich und Green (1991), dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen häufiger die Therapie abbrechen als solche ohne. Möglicherweise prädisponieren prämorbide Persönlichkeitsmerkmale zu einer Depression und wirken bei einer depressiven Erkrankung negativ auf deren Verlauf. Vielleicht verändert sich die Persönlichkeit aber auch mit jeder depressiven Episode, so dass der Betroffene dadurch immer vulnerabler für weitere depressive Episoden wird. Dies würde in einen Teufelskreis münden. Die beschriebene Befundlage ist umstritten, neben einzelnen Befunden, die keine Unterschiede in der Depression und ihrem Verlauf in Abhängigkeit von der Persönlichkeit fanden, vertritt Mulder (2002) die Ansicht, dass bisher nur das Fazit gezogen werden könnte, dass der Verlauf der Depression bei Persönlichkeitsauffälligkeiten nicht besser sei als ohne Persönlichkeitsauffälligkeiten. Weiterreichende Schlussfolgerungen hält Mulder (2002) derzeit aber für nicht möglich. Theorie 49 2.4 Die depressive Persönlichkeitsstörung Im folgenden Kapitel werden zunächst die Geschichte und die Definition des Konzeptes der depressiven Persönlichkeitsstörung beschrieben, dann Befunde zur Reliabilität und Validität, und schließlich werden im Fazit die wichtigsten aktuellen Diskussionspunkte bezüglich der depressiven Persönlichkeitsstörung dargestellt. 2.4.1 Geschichte und Definition des Konzeptes Die depressive Persönlichkeitsstörung wird zu den subsyndromalen Formen der Depression bzw. den subaffektiven (Persönlichkeits-) Störungen gezählt (Saß, Herpertz & Steinmeyer, 1993). Manche setzen den Begriff der depressiven Persönlichkeit auch gleich mit „melancholischem“ oder „depressivem Temperament“ (Gunderson, Phillips, Triebwasser & Hirschfeld, 1994; Huprich, 2001; Phillips et al., 1990). Subsyndromale Depressionsformen sind Zustände mit depressionsähnlicher Symptomatik, die nicht so stark werden oder so lange dauern wie eine depressive Störung, also nicht den Kriterien für Depression und Dysthymie der Klassifikationssysteme DSM-IV und ICD-10 genügen (Helmchen, 2001; Maier, 2001). Andere subsyndromale Depressions-Formen sind die rezidivierende kurze depressive Störung („Recurrent Brief Depression“; Helmchen, 2001), die leichte depressive Störung („Minor Depression“), und die subsyndromale depressive Symptomatik. Wichtig sind die Abgrenzungen subsyndromaler Depressionsformen von der Dysthymie und dem Persönlichkeitskonstrukt des Typus Melancholicus. Subsyndromale Depressionsformen gehen zum Teil mit erheblichen psychosozialen Beeinträchtigungen, persönlichem Leid der Betroffenen und auch erhöhten Risiken einher (z. B. erhöhtem Suizidrisiko; Maier, 2001). Außerdem sinkt die Lebensqualität, es kommt zu Selbstentwertung, sozialer Isolierung, deutlicher Behinderung und vermehrter Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen (Beekman, Deeg, Braam, Smit & van Tilburg, 1997; Broadhead, Blazer, George & Tse, 1990; Johnson, Weissman & Klerman, 1992). Die Versorgung dieser Menschen wird weitgehend durch Allgemeinärzte geleistet (Helmchen, 2001). Allerdings werden diese Depressionsformen häufig nicht erkannt und bleiben daher oft unbehandelt. Helmchen (2001) schätzt, dass unterschwellige depressive Störungen mehr als doppelt so häufig vorkommen wie ausgeprägte depressive Störungen. Zudem geben viele Kliniker an, Patienten mit depressiver Persönlichkeit zu behandeln: in einer Untersuchung von Westen (1997) waren dies 77 % der Kliniker. Die unterschwelligen psychischen Störungen gehen häufig definierten psychischen Störungen, wie z. B. depressiven Störungen, voraus (z. B. Angst et al., 2000; Helmchen, 2001; Judd, Akiskal, Maser, Zeller, Endicott et al., 1998). Subsyndromale bzw. leichte Theorie 50 Formen der Depression gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung einer Major Depression einher (Kühn, Quednow, Barkow, Heun et al., 2002). Dies gilt gemäß Befunden von Kwon, Kim, Chang, Park, Kim et al. (2000) auch für die depressive Persönlichkeitsstörung (vgl. a. Hautzinger, 2001). Zudem treten unterschwellige psychische Störungen häufig zusammen mit anderen unterschwelligen Störungen wie Angstsymptomatik oder Schlafstörungen auf (Helmchen, 2001), aber auch mit voll ausgebildeten psychischen Störungen (Helmchen, 2001; Lecrubier & Üstün, 1998; Olfson, Broadhead, Weissman, Leon, Farber et al., 1996). Sie komplizieren psychische und insbesondere körperliche komorbide Erkrankungen, die dadurch bis zu 40 % länger dauern (Levenson, Hamer & Rossiter, 1990; Saravay & Lavin, 1994) oder chronifizieren. Auch das Ausmaß der Behinderung steigt (Maier, Gänsicke & Weiffenbach, 1997; Olfson et al., 1996), die Arbeitsfähigkeit wird verringert (Wittchen, Nelson & Lachner, 1998), die Lebensqualität reduziert, die Suizidalität nimmt zu (Lecrubier & Weiller, 1997) und die Kosten steigen um bis zu 35 % (Levenson et al., 1990). Einige Autoren sehen den Beginn der langen Tradition des Konzeptes der depressiven Persönlichkeit bzw. depressiven Persönlichkeitsstörung u. a. bei Hippokrates und Aristoteles, die neben anderen einen schwarzgalligen, d. h. melancholischen, Persönlichkeitstyp beschrieben haben (Phillips et al., 1995). Von diesem Temperament war angenommen worden, dass es für schwerere melancholische Episoden prädisponiert. Es wurde jedoch nicht vollständig als pathologisch angesehen, sondern Aristoteles fand, dass alle Menschen, die in der Philosophie, Politik, Poesie oder Kunst herausragende Leistungen vollbringen, eine melancholische Persönlichkeit haben. Aretaeus war der erste, der die depressive Symptomatik nicht auf Körpersäfte zurückführte, sondern eine rein psychische Entstehung annahm (Millon & Davis, 1996). Später befassten sich die mittelalterliche Mystikerin Hildegard von Bingen und der englische Theologe und Wissenschaftler Robert Burton (1997; im 17. Jahrhundert) mit einem bestimmten Typ Mensch, der möglicherweise eine erhöhte Vulnerabilität für das Auftreten depressiver Verstimmungen aufweist. Bei Kraepelin (1909) taucht die depressive Persönlichkeit wieder auf. Er sah in der depressiven Veranlagung einen andauernden schwermütigen emotionalen Stress bei allen Lebenserfahrungen. Nach seinem Konzept handelte es sich um einen pathologischen Zustand (Phillips et al., 1995), anders als bei Aristoteles und Hippokrates. Doch wie bei diesen hielt Kraepelin diese Persönlichkeit für eine mildere, trait-artige Variante von Stimmungsstörungen, die die Betroffenen für schwerere depressive oder manische Phasen prädisponiert. Die betroffenen Personen sind gemäß Kraepelin (1909) stets schwermütig, freudlos, ängstlich und hauptsächlich depressiv, mutlos und verzweifelt gestimmt. Zudem nahm er diese Personen als ernsthaft an, belastet, bezogen auf Schuld, sich selbst Vorwürfe machend, sich selbst leugnend und mit mangelndem Selbstvertrauen. Kraepelin (1909) hielt das depressive Temperament zudem für ererbt. Es zeige sich erstmals in der Adoleszenz Theorie 51 oder zu Beginn des Erwachsenseins und bleibe danach während des gesamten Lebens kennzeichnend für die Person. Kurt Schneider (1950) nahm als einen seiner elf Persönlichkeitstypen die depressive Persönlichkeit („depressive Psychopathen“) an. Menschen mit dieser Persönlichkeit beschreibt er als schwermütig, pessimistisch oder zumindest skeptisch, ernsthaft und unfähig zu Genuss, Entspannung oder harmloser Freude, ruhig, skeptisch, sorgenvoll, pflichtschuldig und voller Selbstzweifel, sich selbst abwertend (vgl. a. Drouet, Hardy & Féline, 1994; Péron-Magnan, 1992). „Das Leben wird im Grunde verneint, dabei aber oft mit einer Art von unglücklicher Liebe umgeben.“ (Schneider, 1950, S. 79). Die Vergangenheit werde von den Betroffenen als wertlos angesehen, die Zukunft als drohend. Im Gegensatz zu Kraepelin nahm Schneider an, dass die depressive Persönlichkeit Berührungspunkte mit normalen Persönlichkeitszügen und mit Persönlichkeitsstörungen hat, nicht aber mit affektiven Störungen. Schneider (1950) ging davon aus, dass die meisten Personen mit depressiver Persönlichkeit Männer seien. Sowohl Schneider (1950) als auch Kretschmer (1921) waren der Ansicht, dass die depressive Orientierung während des gesamten Lebens anhalten könnte und beschrieben den depressiven Charakter (depressive Persönlichkeit) im Rahmen der Charakterentwicklung (Huprich, 1998). Die psychodynamischen Ansätze (z. B. Arieti & Bemporad, 1980; Kernberg, 1988) lassen sich wie folgt zusammenfassen (Huprich, 1998). (1) Die Betroffenen sind negativ, pessimistisch, übermäßig ernst in der Orientierung gegenüber Erfahrungen und Interaktionen mit anderen und der Welt. (2) Dieser Interaktionsstil scheint in frühem Objektverlust oder Frustration zu wurzeln, wobei der Ärger gegenüber dem Objekt unterdrückt und gegen das Selbst gerichtet wird. Diese Annahme basiert auf Freuds (1917) Beschreibung der Melancholie. (3) Das unterdrückte Muster der Frustration und Enttäuschung wird in vielen Situationen aktiviert, insbesondere in solchen, in denen ein Verlust oder eine Frustration stattfinden. Fiedler (1997a, 2001b) kritisiert an den psychoanalytischen Konzeptionen zur Entstehung der depressiven Persönlichkeitsstörung, dass sie zu verschieden seien: eine depressive Persönlichkeits- oder Charakterstörung könne einen oral-dependenten, einen oral-sadistischen, einen passiv-aggressiven, einen narzisstischen oder anderen Ursprung haben, sie könne aus einem Autonomie-Bindungs-Konflikt entstehen oder auf Traumata zurückgehen. Akiskal (1983) schließlich hat das Konzept von Schneider (1950) modifiziert. Die Kriterien lassen sich bei Akiskal in sieben Gruppen einteilen, von denen fünf Gruppen von Merkmalen auftreten sollten, damit die Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung möglich ist: (1) ruhig, introvertiert, passiv, nicht bestimmend; (2) düster, pessimistisch, ernst, nicht fähig zu Spaß; (3) selbstkritisch, selbst-vorwurfsvoll, selbstabwertend; (4) skeptisch, kritisch gegenüber anderen, schwer zufriedenzustellen; (5) gewissenhaft, verantwortungsvoll, selbstdisziplinierend; (6) grüblerisch, Tendenz zum Sorgen; (7) eingenommen durch negative Ereignisse, Gefühle der Unzulänglichkeit, und persönliche Theorie 52 Fehler. Akiskal gilt als der heutige Vertreter des Ansatzes von Kraepelin (Klein, 1999c). Akiskal sieht die depressive Persönlichkeit als Teil eines Spektrums depressiver Erkrankungen an (z. B. Akiskal, 1989). Im DSM-I und DSM-II (American Psychiatric Association (APA), 1952, 1968) war die depressive Persönlichkeit in die neurotische Depression integriert. Im DSM-III (APA, 1980), einem „atheoretischen“ diagnostischen System (Huprich & Fine, 1997), wurde die neurotische Depression aufgegeben und für chronische, d. h. mindestens zwei Jahre andauernde, Formen der Depression, die nicht schwer genug für die Diagnose einer depressiven Störung sind, das Konzept der dysthymen Störung eingeführt (vgl. Kap. 2.1.3). Die dysthyme Störung wurde auf der Achse I des Klassifikationssystems angesiedelt. Diese Neu-Platzierung der chronischen Depression (oder früheren „depressiven Neurose“) von der Achse II zur Achse I war und ist umstritten (z. B. Cooper & Michels, 1981; Ryder & Bagby, 1999). Die Patienten mit der Diagnose einer Dysthymie sollten mindestens 3 von 13 Depressions-Symptomen aufweisen. Nachteilig an dieser Definition ist, dass sich die Dysthymie nur durch ein Symptom von der depressiven Störung unterscheidet. Zudem wurde bei der Dysthymie zunächst nicht unterschieden zwischen solcher mit frühem oder spätem Beginn (Hirschfeld & Holzer, 1994). Im DSM-III-R (APA, 1987) wurde die Definition der Dysthymie verändert. Die Zahl der möglichen Symptome wurde von 13 auf 6 reduziert und nur 2 Symptome waren für die Diagnose zusätzlich zur depressiven Stimmung notwendig (vorher 3). Zudem wurde ab dann unterschieden zwischen Dysthymie mit frühem und spätem Beginn (nach dem 21. Lebensjahr). Ausgeschlossen wurden Patienten, die während der ersten zwei Jahre einer Dysthymie an einer depressiven Störung erkrankten. Im DSM-III und DSM-III-R war die depressive Persönlichkeitsstörung nicht enthalten, sondern die entsprechende Symptomatik war in der Kategorie der dysthymen Störung enthalten (Klein & Vocisano, 1999). Aufgrund der zunehmenden Beobachtung, dass manche Achse-I- und Achse-IIStörungen biogenetisch miteinander verbunden sein könnten, kam die Frage auf, ob die depressive Persönlichkeitsstörung eine trait-artige Temperaments-Variante der Achse-IStimmungsstörungen sein könnte (Phillips, Hirschfeld, Shea & Gunderson, 1993). Im DSM-IV (APA, 1994; Saß, Wittchen & Zaudig, 1998) wurde das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung zur weiteren Untersuchung in den Forschungsanhang aufgenommen. Die dort formulierten Kriterien liegen auch der vorliegenden Arbeit zugrunde. Im DSM-IV (Saß et al., 1998) werden im Vorschlag zur depressiven Persönlichkeitsstörung als Kernproblem sehr negative und pessimistische Gedanken des Betreffenden über sich selbst und andere angenommen. Zudem wurden weitere sieben Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung zusammengestellt. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und die Störung manifestiert sich in den verschiedensten Lebensbereichen (Fiedler, 1997a). Fünf (oder mehr) der folgenden sieben Kriterien müssen für eine Diagnose gemäß DSM-IV (Saß et al., 1998) erfüllt sein: (1) die Stimmungslage Theorie 53 lässt sich als überwiegend niedergeschlagen, düster, traurig, freudlos und unglücklich charakterisieren; (2) das Selbstkonzept beinhaltet im Kern grundlegende Annahmen über die eigene Unzulänglichkeit, Wertlosigkeit und eine geringe Selbstwertschätzung; (3) die betreffende Person ist selbstkritisch, selbstabwertend bis selbstbestrafend; (4) sie neigt zu pessimistischen Grübeleien und sorgenvollen Gedanken; (5) sie verhält sich anderen gegenüber negativistisch, kritisch und abwertend; (6) sie ist pessimistisch; (7) sie neigt zu Schamgefühlen und Reumütigkeit. Diese Merkmale dürfen nicht ausschließlich während einer Episode einer Majoren Depression beobachtbar sein und die Störung sollte nicht besser als dysthyme Störung zu charakterisieren sein. Weitere Kriterien werden diskutiert und sind für Forschungsarbeiten beachtenswert (Phillips et al., 1993): (a) Die Betroffenen erscheinen überwiegend ruhig, introvertiert, passiv und wenig selbstsicher. (b) Sie sind gewissenhaft, pflichtbewusst und selbstdiszipliniert. (c) Die Betroffenen können ihre negativistischen Einstellungen schwer ausdrücken und behalten sie oft für sich. Die Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung im DSM-IV sind ähnlich denen von Akiskal (1983), allerdings wurde das exzessive Schlafen weggelassen und das bedeutsame Leiden sowie die Funktionsbeeinträchtigung wurde den Kriterien hinzugefügt (McLean & Woody, 1995). Die Liste von sieben Kriterien wurde verändert, indem das Merkmal „gewissenhaft und selbst-disziplinierend“ weggelassen wurde, und neue Beschreibungen aufgenommen wurden, und zwar kognitive, intrapsychische und interpersonale (z. B. eine kritische Haltung gegenüber anderen) (McLean & Woody, 1995). In der Internationalen Klassifikation Psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation wurden beim Wechsel von der ICD-9 zur ICD-10 die depressive Persönlichkeitsstörung und die Dysthymia kombiniert (Dilling et al., 1993; World Health Organization, 1978, 1992). In der ICD-9 war die neurotische Depression die Kategorie, in die die Symptomatik einer depressiven Persönlichkeitsstörung fiel, in der ICD10 ist es die Dysthymia, d. h. im Gegensatz zum DSM-IV wird die Symptomatik der depressiven Persönlichkeitsstörung in der ICD-10 bei den affektiven Störungen eingeordnet und nicht bei den Persönlichkeitsstörungen. Zur Zeit gibt es drei verschiedene Gruppen von diagnostischen Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung: diejenige des DSM-IV, die von Akiskal (1983), die auf den Kriterien von Schneider (1950) basieren, und die von Gunderson et al. (1994) (Klein & Vocisano, 1999). Die drei Kriterien-Gruppen sind zum großen Teil überlappend, variieren aber etwas hinsichtlich des Inhaltes und der Breite (Klein & Vocisano, 1999). Hirschfeld und Holzer (1994) untersuchten die drei Gruppen und fanden, dass die DSM-IV-Kriterien die weitesten waren (41 % der Stichprobe erhielten eine Diagnose nach DSM-IV), gefolgt von den Kriterien von Gunderson et al. (1994) mit 37 % der Stichprobe und den Kriterien nach Akiskal (1983) mit 31 % der Stichprobe. Basierend auf den Befunden von Hirschfeld und Holzer (1994) kommen Klein und Vocisano (1999) zu dem Ergebnis, dass die Kriterien Theorie 54 nach DSM-IV und die von Akiskal zu Kappa von 0,57 übereinstimmen, die von DSM-IV und Gunderson et al. zu Kappa von 0,64 und die von Akiskal und Gunderson et al. zu 0,60. Wolfersdorf (1999) betont, dass die depressive Persönlichkeit auch positive Aspekte aufweist, nämlich Beharrlichkeit, Zuverlässigkeit, damit Berechenbarkeit in den Verhaltensund Denkweisen; außerdem die Fähigkeit zur Tiefe des Erlebens, Ernsthaftigkeit beim Erwägen von Dingen und Leidensfähigkeit. Menschen mit depressiver Persönlichkeit zeigen auch Bereitschaft zur Leistung, zur Übernahme von Verantwortung bis hin zur schuldhaften Verpflichtung. Die Betreffenden zeigen sich zwischenmenschlichen Idealen verbunden, sie vermeiden destruktive Aggressivität und neigen dazu, sich z. B. in psychosozialen Angelegenheiten in Anspruch nehmen, sogar überfordern zu lassen. Diese Eigenschaften werden in einer Gesellschaft gefördert, die Leistungsfähigkeit benötigt (o. c.). 2.4.2 Reliabilität und Validität der Diagnose der depressiven Persönlichkeitsstörung bzw. von Instrumenten zu ihrer Erfassung Im Folgenden werden Befunde der Evaluation der Diagnosestellung bzw. der Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung mittels Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumenten dargestellt. 2.4.2.1 Interrater-Reliabilität (Objektivität) Die Interrater-Reliabilität oder Objektivität bezieht sich auf die Übereinstimmung zwischen verschiedenen Ratern bei der Beurteilung der depressiven Persönlichkeitsstörung. Die vorliegenden Untersuchungen zeigen eine hohe Interrater-Reliabilität bei der Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung. In den Studien wurden allerdings verschiedene Konzepte der depressiven Persönlichkeitsstörung zugrunde gelegt. Klein (1990) fand eine Interrater-Reliabilität bezüglich des Vorliegens einer depressiven Persönlichkeitsstörung von Kappa gleich 0,82, Gunderson et al. (1994) von Kappa gleich 0,62. Die Übereinstimmung (Korrelation) zwischen den Ratern hinsichtlich der Zahl der vorliegenden Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung eines Patienten lag bei 0,86 (Klein, 1990). Gunderson et al. (1994) fanden bei dem Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit DID (vgl. Kap. 3.2.2.10) eine Interrater-Reliabilität von 0,97 (Intra-Klassen-Korrelation), und von Kappa gleich 0,67. Die Interrater-Reliabilität für die Zahl der vorliegenden Merkmale und das Vorliegen einer Diagnose können insgesamt als gut bewertet werden. Theorie 55 2.4.2.2 Retest-Reliabilität (Stabilität) Die Retest-Reliabilität beinhaltet die Stabilität der Beurteilung von Personen hinsichtlich der depressiven Persönlichkeitsstörung. Befunde zu verschiedenen Aspekten der Stabilität werden im Folgenden beschrieben. Die Retest-Reliabilität der Zahl der als vorhanden eingestuften Kriterien der depressiven Persönlichkeitsstörung über einen Zeitraum von einem halben Jahr lag bei Klein (1990) bei 0,43 (Korrelation). Die Stabilität der Diagnose über das halbe Jahr lag bei 71 % und bei Kappa von 0,41 (o. c.). Gunderson et al. (1994) fanden für die Retest-Reliabilität nach einem Jahr für die Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung ein mittleres Kappa von 0,40, eine Intraklassenkorrelation von 0,69 und Kappa von 0,41 für die Klassifikation als depressive Persönlichkeitsstörung über diesen Zeitraum. Phillips, Gunderson, Triebwasser, Kimble, Faedda et al. (1998) folgern aus ihrer Untersuchung, dass es sich bei der depressiven Persönlichkeitsstörung über ein Jahr um einen relativ stabilen Zustand handelt. Die diagnostische Stabilität der depressiven Persönlichkeitsstörung (erfasst mit dem Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit, DID) lag in einer Drei-JahresFollow-up-Untersuchung von Kwon, Kim, Chang, Park, Kim et al. (2000) bei Kappa von 0,66 und einer Intraklassenkorrelation von 0,72. In anderen Studien wurden etwas niedrigere Werte gefunden: Phillips et al. (1998) fanden ein Kappa von 0,55 und eine Intraklassenkorrelation von 0,62, Klein und Shih (1998) ein Kappa von 0,37 und eine Intraklassenkorrelation von 0,51. Diese unterschiedlichen Stabilitätswerte könnten an komorbiden Achse-I- und Achse-II-Störungen liegen, an Unterschieden in der Schwere der depressiven Symptome und damit auch der Behandlung, oder an unzureichenden InterraterReliabilitäten (Kwon et al., 2000). Die Stabilitäten für die Diagnose der depressiven Persönlichkeitsstörung, die in diesen drei Studien ermittelt wurden, entsprechen denen für andere Persönlichkeitsstörungen (Kwon et al., 2000). Die Stabilität der Diagnose der depressiven Persönlichkeitsstörung in Zeiträumen von einem Jahr und länger lag damit nur wenig unter der Stabilität von Lebenszeit-Diagnosen für Stimmungs-, Angst- und Abhängigkeitsstörungen. Dies liegt auch an der geringen Grundrate der meisten Persönlichkeitsstörungen. Ausnahmen davon sind die Borderlineund die ängstliche Persönlichkeitsstörung, bei denen die Stabilitätswerte auch höher lagen (Loranger, Sartorius, Andreoli, Berger, Buchheim et al., 1994). McLean und Woody (1995) schließen aus der damaligen Befundlage, dass insbesondere die Interrater-Reliabilität zur Stützung des Sinns der depressiven Persönlichkeitsstörung angeführt wurde, dass aber die Retest-Reliabilität niedriger sei als bei Depression (Prusoff, Merikangas & Weissman, 1988), was dem Konzept einer Persönlichkeitsstörung als stabilem Merkmal im Vergleich zum eher instabilen Phänomen einer depressiven Episode widerspreche. Theorie 56 2.4.2.3 Interne Konsistenz Unter der internen Konsistenz versteht man, wie homogen ein Messinstrument zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung ist. Die interne Konsistenz erwies sich bei Klein (1990) als relativ gut und vergleichbar der bei anderen Persönlichkeitsstörungen. Klein (1990) verwendete die Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung von Akiskal (1983). Der Wert für Cronbachs Alpha betrug 0,61, wenn die Kriterien als eine Skala behandelt wurden (Klein, 1990). 2.4.2.4 Validität 2.4.2.4.1 Diskriminante Validität der depressiven Persönlichkeitsstörung bezüglich psychischer Störungen Die diskriminante Validität beschreibt, inwiefern sich das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung von anderen Konzepten oder Konstrukten, z. B. der Dysthymie, unterscheidet. Die diskriminante Validität gehört zur Konstruktvalidität. In konzeptueller Hinsicht unterscheidet sich die depressive Störung gemäß Klein und Vocisano (1999) durch folgende Merkmale von der depressiven Persönlichkeitsstörung: anhaltende depressive Stimmung, psychomotorische, Schlaf- und Appetitstörungen, Konzentrations- und Entscheidungsschwierigkeiten sowie Suizidalität. Depressive Episoden können auch nur zwei Wochen dauern (oder länger), bei den meisten Betroffenen remittiert die Depression innerhalb eines Jahres (Klein & Vocisano, 1999). Die Depression verläuft häufig episodisch. Schwierig wird die Unterscheidung bei chronisch verlaufender oder teilweise remittierter Depression (Klein & Vocisano, 1999). Neben dem Vergleich von Depression und depressiver Persönlichkeitsstörung ist es besonders wichtig, Dysthymie und depressive Persönlichkeitsstörung konzeptuell voneinander abzugrenzen. Phillips et al. (1995) sehen in der Dysthymie per Definition eine chronische Stimmungsstörung, keine Persönlichkeitsstörung. Die depressive Persönlichkeitsstörung beginnt früh, d. h. bis zum frühen Erwachsenenalter, die Dysthymie kann jederzeit beginnen. Die depressive Persönlichkeitsstörung ist chronisch, Dysthymie kann remittieren (die Mindestdauer beträgt zwei Jahre). Die depressive Persönlichkeitsstörung wird primär gekennzeichnet durch Persönlichkeitsmerkmale, nicht durch Symptome wie die Dysthymie. Viele der Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung sind kognitiv, temperamentartig, intrapsychisch und interpersonal, die Merkmale der Dysthymie bzw. Stimmungsstörungen allgemein sind überwiegend somatisch (Hirschfeld & Shea, 1992; Phillips et al., 1995). Gemeinsam sind beiden Konzepten z. B. der niedrige Selbstwert und Pessimismus bzw. Hoffnungslosigkeit (Klein & Vocisano, 1999). Viele Menschen mit Theorie 57 Dysthymie sehen ihre depressiven Symptome als Teil ihres gewöhnlichen Selbst an, andere sehen ihre Symptome eher als ich-dyston an, d. h. als nicht zu ihrer Persönlichkeit gehörend. Die Merkmale der depressiven Persönlichkeit werden von den Betreffenden als Teil ihrer Persönlichkeit angesehen (Klein & Vocisano, 1999). Die depressiven Verstimmungen in der depressiven Persönlichkeitsstörung sind ich-dyston, d. h. die Betroffenen leiden unter ihrer chronischen Depressivität (dies ist der Übergang zur Dysthymie). Die chronische Verstimmung macht in sozialen Kontexten meist eine Art von Selbstschutz notwendig, und zwar gegenüber der eigenen depressiogenen Vulnerabilität, um einen Übergang in eine schwere Depression zu vermeiden, und auch als Schutz gegenüber zu hoch erscheinenden Anforderungen und Einschränkungen durch Bezugspersonen, gegen die sich der Betroffene richtet oder denen er zu entsprechen sucht (Fiedler, 2001b). So entwickeln sich Verhaltensgewohnheiten, die die prämorbide Persönlichkeitsstruktur (Typus Melancholicus) oder die depressive Persönlichkeitsstörung ausmachen. Daher wird es als sinnvoll angesehen, neben der dysthymen Stimmungsstörung eine Persönlichkeitsstörung anzunehmen (vgl. Klein, Kupfer & Shea, 1993). Zur Klärung der Beziehung zwischen Dysthymie und depressiver Persönlichkeitsstörung ist es gemäß Phillips und Gunderson (1999) notwendig, die Ätiologie und Pathophysiologie beider zu untersuchen und zu vergleichen. Bei beiden Störungen weiß man darüber bislang nichts. Kleins (1990) Ansicht nach bleibt aufgrund der Befundlage noch zu klären, ob Dysthymie und depressive Persönlichkeitsstörung überlappende, aber doch verschiedene Konzepte sind, oder ob es sich bei der depressiven Persönlichkeitsstörung um eine leichtere und weniger symptomatische Form der Dysthymie handelt. Klein (1990) favorisiert die letztere Ansicht, und plädiert dafür, das Konzept des affektiven Spektrums um weniger symptomatische und mehr eigenschaftsmäßige (trait-mäßige) Formen, wie die depressive Persönlichkeitsstörung, zu erweitern. Klein (1999c) sieht die Möglichkeit, die Personen mit depressiver Persönlichkeit in die diagnostische Kategorie der Dysthymie aufzunehmen, wenn deren Kriterien erweitert würden, da die Personen mit depressiver Persönlichkeit meist nicht über durchgehend depressive Stimmung berichten (Vorschlag: Interesseverlust ausreichend, auch anstatt depressiver Stimmung, vergleichbar den Kriterien für Major Depression). Allerdings würde dadurch die Heterogenität der Kategorie der Dysthymie erhöht (o. c.). Wichtig für diese Diskussion ist möglicherweise auch das im Forschungsanhang des DSM-IV befindliche alternative Forschungskriterium B für die Dysthymie. Dieses sieht vor, dass mindestens drei von den folgenden neun Symptomen vorliegen müssen: (1) geringes Selbstwertgefühl oder Selbstvertrauen oder Gefühle der Unzulänglichkeit, (2) Gefühle von Pessimismus, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, (3) allgemeiner Verlust von Interesse oder von Freude, (4) sozialer Rückzug, (5) chronische Erschöpfung oder Müdigkeit, (6) Schuldgefühle, Grübeln über die Vergangenheit, (7) subjektive Gefühle der Reizbarkeit oder exzessiven Wut, (8) herabgesetzte Aktivität, Effektivität oder Produktivität, (9) Schwierigkeiten beim Denken, ausgedrückt durch Theorie 58 mangelnde Konzentration, schlechtes Gedächtnis oder Unentschlossenheit (Saß et al., 1998). Im Vergleich zum zur Zeit gültigen Kriterium B fehlen die Symptome der Appetitlosigkeit bzw. des übermäßigen Bedürfnisses zu essen und der Schlaflosigkeit bzw. des übermäßigen Schlafbedürfnisses. Hinzu kommen im Forschungskriterium Pessimismus, Verzweiflung, zudem Verlust von Freude oder Interesse, sozialer Rückzug, Schuldgefühle oder Grübeln über die Vergangenheit sowie Reizbarkeit bzw. Wut. Gemäß Shea & Hirschfeld (1996) lassen sich die Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung des DSM-IV mit Hilfe insbesondere der negativen Affektivität (nach Tellegen, 1985; vgl. auch Kap. 2.2.1) beschreiben. Nur beim ersten Kriterium ist auch positive Affektivität enthalten (Shea & Hirschfeld, 1996). Im Gegensatz dazu lassen sich die Kriterien der Dysthymie mit positiver und negativer Affektivität zu ausgewogenen Anteilen beschreiben (Shea & Hirschfeld, 1996). Ryder, Bagby und Schuller (2002; auch Bagby, Ryder & Schuller, 2003) sehen in der depressiven Persönlichkeitsstörung eine bestimmte Variante der Dysthymie, und zwar eine chronische leichte Depression mit geringem Selbstwertgefühl und Gefühlen der Hoffnungslosigkeit. McLean und Woody (1995) sind der Ansicht, dass chronische depressive Zustände am besten in Form von „States“ (Zuständen) und „Traits“ (Eigenschaften) konzeptualisiert werden könnten, wobei der State die depressive Störung ist und der Trait die Dysthymie. Die depressive Persönlichkeitsstörung erfasst gemäß McLean und Woody (1995) andere Facetten als die aktuellen Dysthymie-Kriterien von derselben Sache, nämlich Dysthymie. Das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung halten diese Autoren somit für überflüssig bzw. sehen die Dysthymie als das pathologische Ende der normalen Dimension von depressiver Persönlichkeit oder Neurotizismus an. Neben der konzeptuellen Unterscheidung ist die empirische Unterscheidung wichtig. Mehrere Studien verglichen Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung mit solchen ohne. Dabei fanden sich überwiegend Unterschiede: Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung wiesen eine höhere Stressreagibilität, stärkere Selbstkritik und mehr depressive Attributionen auf, die Betroffenen fühlten sich stärker als Kontrollpersonen beeinträchtigt, waren häufiger in Behandlung als Kontrollpersonen oder ihre Psychotherapien dauerten länger (Hirschfeld & Holzer, 1994; Klein, 1990; Klein & Miller, 1993; McDermut, Zimmerman & Chelminski, 2003; Phillips et al., 1998). Außerdem wurden im Vergleich zu Personen ohne depressive Persönlichkeitsstörung folgende Merkmale gefunden: ein geringerer sozioökonomischer Status und niedrigeres Bildungsniveau. Bei der Untersuchung waren Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung in einer Studie von Schrader und Tsourtos (1996) jünger. Im Geschlecht, in der Rasse, im Familienstand, im sozioökonomischen Status und in der Häufigkeit der psychopharmakologischen Behandlung wurden keine Unterschiede gefunden (Klein, 1990; Klein & Shih, 1998; Schrader & Tsourtos, 1996). Die fehlenden Geschlechtsunterschiede widersprechen der Annahme von Kurt Schneider (1950), dass die depressive Psychopathie bei Männern häufiger sei. Theorie 59 Neben dem Vergleich von Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung bzw. ohne wurde die Beziehung von Depressivität und der depressiven Persönlichkeitsstörung untersucht. Lyoo, Gunderson und Phillips (1998) fanden, dass sich Personen mit einer depressiven Persönlichkeitsstörung und solche ohne nicht in ihrer Depressivität voneinander unterschieden. Dagegen fanden Klein (1990), Kwon et al. (2000) und Schrader und Tsourtos (1996), dass Patienten mit der Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung stärkere Depressivität aufwiesen. Davis und Hays (1997) zeigten in ihrer Studie, dass sich die depressive Persönlichkeitsskala überschnitt mit Depressivität. Huprich (2003a) fand, dass die Beziehung zwischen der depressiven Persönlichkeitsstörung und anderen Merkmalen (z. B. Verlust, Perfektionismus) nur zu einem Teil auf die Depressivität zurückging. Auch Pukrop, Steinmeyer, Steinbring und Klosterkötter (2001) fanden nur eine leichte Konfundierung von depressiver Persönlichkeitsstörung und Depressivität. Pukrop et al. (2001) interpretieren ihre Befunde und die von Herpertz, Steinmeyer und Saß (1998) so, dass die depressive Persönlichkeitsstörung Trait-Anteile hat, die ihre Konzeption als Persönlichkeitsstörung rechtfertigen. Hinsichtlich der Beziehung von Depression und depressiver Persönlichkeitsstörung liegen auch mehrere Befunde vor. Zwischen depressiver Persönlichkeitsstörung und Depression bestand bei bei Klein und Shih (1998) keine signifikante Komorbidität. Bei Phillips et al. (1998) unterschieden sich die Personen mit akuter Major Depression bzw. ohne nicht in den Werten im Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit. Bei zur depressiven Persönlichkeit komorbider Major Depression war die Beeinträchtigung signifikant höher als bei depressiver Persönlichkeit alleine (Klein & Miller, 1993). Nach drei Jahren hatten 7 % der Frauen mit depressiver Persönlichkeitsstörung (zu Beginn der Untersuchung die einzige Diagnose) eine Major Depression entwickelt, aber nur 1 % der Frauen, die zu Beginn der Untersuchung keine depressive Persönlichkeitsstörung hatten. Die Häufigkeit irgendeiner Achse-I-Stimmungsstörung (und zwar Major Depression und Dysthymie) in diesen beiden Gruppen nach drei Jahren betrug 24 % versus 5 % (Kwon et al., 2000). Kwon et al. (2000) schließen aus ihren Analysen, dass die Beziehung zwischen depressiver Persönlichkeitsstörung und irgendeiner Achse-I-Stimmungsstörung eventuell hauptsächlich von der Beziehung zwischen depressiver Persönlichkeitsstörung und Dysthymie bestimmt ist. Somit könnte die depressive Persönlichkeitsstörung ein wichtiger Risikofaktor und früher Indikator für Achse-I-Stimmungsstörungen sein (Kwon et al., 2000). Die Überlappungen von depressiver Persönlichkeit und Depression sehen Klein und Miller (1993) aufgrund ihrer Studie wie folgt: 22 % der Personen mit depressiver Persönlichkeit hatten schon einmal eine Depression gehabt. Außerdem hatten 39 % der Personen mit depressiver Persönlichkeit in ihrem Leben bis dahin keinerlei Stimmungsstörung gehabt (o. c.). Bei Skodol et al. (1999) fand sich bei 49 % der Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung keine aktuelle Depression, bei 22 % keine Theorie 60 Depression jemals in ihrem Leben. Daher kann die depressive Persönlichkeit nicht als eine bloße Folgekrankheit einer Depression angesehen werden. Die Daten zur familiären Häufigkeit von Depression bei Personen mit depressiver Persönlichkeit werden von Klein und Miller (1993) als Hinweis auf eine mögliche bedeutsame ätiologische Überlappung von depressiver Persönlichkeit und Stimmungsstörungen interpretiert. Veränderungen der Diagnosen von Major Depression und depressiver Persönlichkeitsstörung von der Eingangsuntersuchung zur Katamnese ein Jahr später waren unabhängig voneinander (Phillips et al., 1998). Aus der Studie von Kwon et al. (2000) lässt sich folgern, dass Menschen mit der alleinigen Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung, d. h. mit nicht-klinischen depressiven Symptomen, oder Menschen mit Dysthymie, ein höheres Risiko aufweisen, eine Major Depression zu entwickeln. Hier liegt die klinische Relevanz des Konzepts der depressiven Persönlichkeitsstörung (vgl. Kwon et al., 2000). Am meisten diskutiert wird die Beziehung von depressiver Persönlichkeit und Dysthymie. In fünf Studien zur Beziehung von depressiver Persönlichkeit und Dysthymie wurde ein Median von 58 % (zwischen 20 und 81 %) von Personen gefunden, die eine depressive Persönlichkeit, aber keine Dysthymie aufwiesen, bzw. zwischen 15 und 35 %, die keine Dysthymie mit frühem Beginn hatten (Hirschfeld & Holzer, 1994; Klein, 1990; Klein & Miller, 1993; Klein & Shih, 1998; Phillips et al., 1995; Phillips et al., 1998). Von den Personen mit der Diagnose einer Dysthymie wiesen 62 % auch eine depressive Persönlichkeitsstörung auf, von den Personen mit einer Dysthymie mit frühem Beginn waren es 56 % (Phillips et al., 1998). Aus diesen Daten wurde gefolgert, dass sich die beiden diagnostischen Konzepte zwar überlappen, aber eventuell dennoch verschiedene Konstrukte sind (Klein, 1990). Dem widersprechen Ryder und Bagby (1999): sie fanden mittels einer binären diagnostischen Analyse eine Komorbidität von 95 %. Zudem wurden die beiden Konzepte in dieser Studie nicht anhand ihres Verlaufes, ihrer Dauer und der Schwere der depressiven Stimmung gekennzeichnet und unterschieden. Die Autoren folgern daraus, dass das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung nicht in der aktuellen Form in das DSM übernommen werden sollte, und dass es sich möglicherweise um eine Subform der Dysthymie handelt. Widiger (1999) dagegen interpretiert die Forschungsbefunde so, dass die Grenze zwischen Dysthymie und depressiver Persönlichkeit nicht ganz klar sei, dass die Konzepte aber deswegen nicht zu einem Konzept zusammengefasst werden sollten. Bei Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung fanden sich andere Persönlichkeitsstörungen zwar häufiger als bei Personen mit einer Stimmungsstörung, aber 40 % hatten keine andere Persönlichkeitsstörung (Klein, 1990). Beim Vergleich von Patienten, die entweder nur eine depressive Persönlichkeitsstörung oder nur eine Dysthymie als Diagnose erhalten hatten, fand Klein (1990), dass sich die Gruppen im Alter, Familienstand, Bildungsniveau, sozioökonomischen Status und in der Medikation nicht signifikant unterschieden. Allerdings waren unter den Personen mit Theorie 61 depressiver Persönlichkeitsstörung mehr Männer (52 % vs. 21 % bei Dysthymie) (Klein, 1990; Klein, 1999b). Klein und Vocisano (1999) sehen die fehlenden Geschlechtsunterschiede bei der depressiven Persönlichkeitsstörung als ein Unterscheidungsmerkmal von Depression bzw. Dysthymie an, bei denen überwiegend Frauen betroffen sind (vgl. Weissman, Bland, Canino, Faravelli, Greenwald et al., 1996). Dysthyme wiesen außerdem mehr hypomanische und depressive Symptome auf, höhere Depressivität in der Katamnese nach sechs Monaten und häufiger eine schizotypische Persönlichkeitsstörung. Keine signifikanten Unterschiede bestanden in der Häufigkeit von Depression sowie der Depressivität (Klein, 1990). Bei Irastorza Eguskiza (2001) versuchten Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung häufiger als solche mit Dysthymie, sich zu suizidieren. Bagby und Ryder (1999) fanden mittels Cluster- und Faktorenanalyse, dass sich die Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung und die Symptome der Dysthymie als zwei Gruppen voneinander unterscheiden ließen. Niedriger Selbstwert (Kriterium bei Dysthymie) zeigte eine enge Beziehung zu der Gruppe der Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung, Niedergeschlagenheit (Kriterium der depressiven Persönlichkeitsstörung) wies eine enge Beziehung zur Gruppe der Dysthymie-Symptome auf, evtl. weil sie mit depressiver Stimmung (ebenfalls ein Kriterium bei Dysthymie) zusammenhängt. Ryder, Bagby und Dion (2001) haben die Beziehung zwischen Dysthymie und depressiver Persönlichkeitsstörung überprüft, indem sie verschiedene Modelle einer Beziehung mit Hilfe konfirmatorischer Faktorenanalysen überprüft haben (an nichtklinischen Personen). Die Ergebnisse sprachen für die Verschiedenheit der beiden untersuchten Konzepte, da das Ein-Faktoren-Modell nicht gestützt werden konnte. Die Komorbidität beider Störungen lag allerdings über 50 %. Ryder et al. (2001) präferieren eine hierarchische Beziehung zwischen Dysthymie und einer Unterform von ihr, die die depressive Persönlichkeitsstörung wäre. Diesen Vorschlag machen auch Klein und Miller (1993) als Alternative zur Aufnahme beider Konzepte als gleichberechtigt. Dazu dürfte eine chronische Stimmungsstörung nicht mehr verlangt werden für die Diagnose einer Dysthymie. Die vegetativen Symptome (Appetit- und Schlafstörungen) sollten aus der Liste der Symptome bei Dysthymie entfernt werden und durch kognitive oder interpersonale Merkmale ersetzt werden (Klein & Miller, 1993). Ryder et al. (2001) schlagen als zweite Alternative ein Spektrum-Modell (von akut bis chronisch) vor, falls man als den zentralen Unterschied zwischen beiden Konzepten das Vorhandensein oder Fehlen von depressiver Stimmung ansehen würde (wie bei Klein, 1999c). Die Entscheidung hierüber könnte aber erst zukünftige Forschung und die Bedürfnisse der Kliniker ermöglichen (Ryder et al., 2001). Ryder, Bagby und Schuller (2002) schließen aus der Befundlage, dass vieles für die Existenz von Merkmalen der depressiven Persönlichkeit spricht, aber die Aufnahme mit den derzeitigen Kriterien nicht gerechtfertigt sei. Stattdessen plädieren sie dafür, die Merkmale der depressiven Persönlichkeit dimensional zu konzeptualisieren, als Teil eines Modells der Theorie 62 Persönlichkeitsstruktur und nicht als einzelne diagnostische Kategorie (o. c.). Durch ein dimensionales Modell würden dem Kliniker mehr Informationen zur Verfügung stehen. Eine Möglichkeit der Beschreibung von Persönlichkeitsstörungen auf dimensionale Weise besteht im Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (o. c.). Diese Schlussfolgerung finden die Autoren auch gültig für andere Persönlichkeitsstörungen, was für die Konstruktion des DSM-V relevant wäre (o. c.). 2.4.2.4.2 Diskriminante Validität der depressiven Persönlichkeitsstörung bezüglich anderer Persönlichkeitsstörungen, des Typus Melancholicus und Persönlichkeitsmerkmalen In konzeptueller Hinsicht werden die depressive Persönlichkeitsstörung und andere Persönlichkeitsstörungen auf verschiedene Weise differenziert. Die größten Überschneidungen werden vom Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung mit den Konzepten der vermeidenden, der abhängigen, der zwanghaften und der selbstschädigenden (masochistischen) Persönlichkeitsstörung angenommen (Phillips et al., 1995), also insbesondere mit Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV. Gemeinsam sind der depressiven und der vermeidenden Persönlichkeitsstörung Schüchternheit und Introversion (Phillips et al., 1995). Im Gegensatz zur vermeidenden Persönlichkeitsstörung sind Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung weniger zögernd, eine Beziehung einzugehen und investieren aufgrund ihres Verantwortungsgefühls viel in eine gute Beziehung zu anderen. Personen mit vermeidender Persönlichkeitsstörung weisen nicht unbedingt eine chronische düstere und unglückliche Stimmung auf (o. c.). Zudem versuchen Menschen mit vermeidender Persönlichkeitsstörung, anders als die mit depressiver, aktiv die Verursachungen ihrer Unzufriedenheit zu vermeiden, Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung geben eher auf (Millon & Davis, 1996). Kurt Schneider (1950) nahm an, dass sich die depressive und die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung ähnelten. Abhängigkeit war in einigen der psychoanalytischen Konzeptionen der depressiven Persönlichkeitsstörung enthalten (z. B. Kernberg, 1988), aber trotz Abhängigkeit von der Zustimmung anderer, hängen diese Personen nicht offen an anderen und erscheinen oft sogar als gewollt unabhängig (Phillips et al., 1995). So lehnen sie andere ab, bevor diese sie zurückweisen könnten, um sich die Enttäuschung zu ersparen, wenn ihre Abhängigkeitsbedürfnisse nicht befriedigt werden (o. c.). In den aktuellen Konzeptionen der depressiven Persönlichkeitsstörung, z. B. im DSM-IV, kommt Abhängigkeit nicht vor. Personen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung sind in ihrem Gefühlsausdruck eingeengter und haben nicht unbedingt eine düstere Stimmung. Oft weisen diese Menschen einen kontrollierenden interpersonalen Stil auf, Menschen mit depressiver Theorie 63 Persönlichkeitsstörung dagegen sind häufig passiv und wenig selbstbewusst (Phillips et al., 1995). Menschen mit masochistischer Persönlichkeitsstörung quälen und erpressen unabsichtlich andere, fordern Vergeltung heraus durch ihr Verhalten, so dass ihr innerer Kampf externalisiert wird. Menschen mit depressiver Persönlichkeitsstörung dagegen internalisieren ihren Konflikt, was zu Selbst-Quälung und Selbst-Schädigung führt. Personen mit masochistischer Persönlichkeitsstörung weisen Möglichkeiten für Vergnügen aktiv zurück und reagieren negativ auf positive Ereignisse, Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung finden es nur schwierig, Freude oder Vergnügen aus solchen Ereignissen zu ziehen (Phillips et al., 1995). Andere sehen als Hauptunterschied das Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei den Menschen mit depressiver Persönlichkeitsstörung und die Unausweichlichkeit ihres affektiven Zustandes an (Millon & Davis, 1996). Menschen mit masochistischer Persönlichkeitsstörung fühlen sich zwar unglücklich und unzufrieden, aber sie nehmen Schmerzen in Kauf, um an ihrer Umgebung teilzunehmen. Daneben lassen sich auch andere Persönlichkeitsstörungen mit der depressiven Persönlichkeitsstörung vergleichen: Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist die Stimmung labil und gekennzeichnet durch Ausbrüche von Wut, wohingegen Ärger bei der depressiven Persönlichkeitsstörung eher nicht ausgedrückt wird (Phillips et al., 1995). Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind Beziehungen häufig instabil, mit Wechseln zwischen Idealisierung und Abwertung bei Enttäuschung der hohen Erwartungen. Bei der depressiven Persönlichkeitsstörung hingegen sind Beziehungen stabiler und beinhalten häufiger unausgedrückte negative Gedanken über andere. Bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen tritt eine Identitätsstörung auf mit Unschlüssigkeit und dem Gefühl extremer „Schlechtheit“, anders als das stabil geringe Selbstwertgefühl bei der depressiven Persönlichkeitsstörung. Menschen mit depressiver Persönlichkeitsstörung tendieren zu zurückhaltendem und gehemmtem Verhalten, bei Menschen mit BorderlinePersönlichkeitsstörung ist das Verhalten impulsiv (Phillips et al., 1995). Der Negativismus von passiv-aggressiv persönlichkeitsgestörten Menschen richtet sich oft gegen Autoritätspersonen und wird häufig auf Anforderungen hin gezeigt, bei Menschen mit depressiver Persönlichkeitsstörung dagegen wird eher Erfüllung von Anforderungen und ein besonderes ängstliches Bemühen angenommen, Autoritätspersonen zu gefallen (Phillips et al., 1995). Menschen mit passiv-aggressiver Persönlichkeitsstörung weisen nicht notwendigerweise eine düstere oder dysphorische Stimmung auf (o. c.). Gemeinsam ist beiden Konzepten Pessimismus und Kritik gegenüber anderen, aber die negativen Reaktionen richten sich bei passiv-aggressiven Menschen v. a. gegen Autoritätspersonen, im Gegensatz zu Menschen mit depressiver Persönlichkeit. Bei letzteren ist auch eine Hemmung des Ausdrucks kritischer, feindseliger oder aggressiver Gedanken und Gefühle wahrscheinlicher, zudem das Gefühl, selber Schuld zu haben. Die Stimmungslage von passiv-aggressiv persönlichkeitsgestörten Menschen ist eher mürrisch, gereizt, verärgert, die Theorie 64 von depressiv persönlichkeitsgestörten Menschen eher düster und unglücklich (Phillips et al., 1995). Sowohl Menschen mit schizoider als auch solche mit depressiver Persönlichkeitsstörung können keine Freude empfinden, bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung jedoch fehlt die Fähigkeit, irgendeine, auch negative, Emotion zu empfinden (Millon & Davis, 1996). Die Beziehung von der depressiven Persönlichkeitsstörung und anderen Persönlichkeitsstörungen wurde in Studien überprüft. Klein und Shih (1998) fanden, dass die meisten Persönlichkeitsstörungen häufiger bei Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung auftraten als bei Patienten ohne depressive Persönlichkeitsstörung. Die Assoziation mit irgendeiner anderen Persönlichkeitsstörung betrug Kappa gleich 0,37, mit vermeidender Persönlichkeitsstörung 0,18, mit paranoider 0,14, die geringste Assoziation bestand zur antisozialen Persönlichkeitsstörung (Kappa von −0,10). Klein (1990) fand, dass die schizotypische Persönlichkeitsstörung signifikant häufiger bei Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung auftrat als bei Personen ohne depressive Persönlichkeitsstörung (23 % Häufigkeit der schizotypischen Persönlichkeitsstörung im Vergleich zu 7 %). Phillips et al. (1995) berichten, dass in einer eigenen Studie mit 54 Personen 13 % der Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung eine Cluster-A-Persönlichkeitsstörung aufwiesen (niemand wies eine schizotypische Persönlichkeitsstörung) auf, 19 % hatten Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen (10 % Borderline-Persönlichkeitsstörungen) und 48 % hatten Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (29 % vermeidende Persönlichkeitsstörung, 10 % abhängige, 10 % passiv-aggressive, 13 % zwanghafte und 13 % selbstschädigende Persönlichkeitsstörungen). Somit war der Zusammenhang mit dem ängstlichen Cluster am höchsten. Phillips et al. (1995) schließen aus dem Ergebnis, dass sich die depressive Persönlichkeitsstörung nicht signifikant überschneidet mit anderen Persönlichkeitsstörungen und auch nicht in einer anderen Persönlichkeitsstörung aufgeht. Klein und Vocisano (1999) kommen zu demselben Fazit und sehen die größten Überschneidungen der depressiven mit der vermeidenden Persönlichkeitsstörung. Auch Davis und Hays (1997) zeigten in ihrer Studie, dass sich die depressive Persönlichkeit überschnitt mit der vermeidenden, selbstschädigenden und abhängigen Persönlichkeit. Bei Phillips et al. (1998) unterschieden sich die Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung bzw. ohne nicht in der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A und B. Außerdem ist der Vergleich von Typus Melancholicus und depressiver Persönlichkeitsstörung naheliegend. Im Gegensatz zur depressiven Persönlichkeit fehlen beim Typus Melancholicus außerhalb depressiver Episoden depressive Symptome (Bronisch, 1997). Der Typus Melancholicus ist dann insbesondere gekennzeichnet durch die folgenden Merkmale: Zum ersten sind die Betroffenen ruhig, introvertiert, passiv und wenig durchsetzungsfähig. Außerdem verhalten sie sich gewissenhaft, pflichtbewusst und selbstdiszipliniert (o. c.). Manche Autoren setzen Typus Melancholicus und depressive Persönlichkeitsstörung fälschlicherweise gleich (Marneros, 1999b). Theorie 65 Untersucht wurde außer der Beziehung verschiedener depressiver Störungen, Kennzeichen von depressiven Störungen (Depressivität) und Persönlichkeitsstörungen zur depressiven Persönlichkeitsstörung auch die Beziehung von Persönlichkeitsmerkmalen zur depressiven Persönlichkeitsstörung. Die großen fünf Faktoren der Persönlichkeit bilden ein Referenzsystem zum Vergleich von Maßen aus unterschiedlichen Theorien (Zuroff, 1994). Gemäß Huprich und Fine (1997) könnten sich Menschen mit depressiver Persönlichkeitsstörung durch ein typisches Profil der fünf großen Persönlichkeitsfaktoren auszeichnen. Es wird angenommen, dass die Betreffenden hohe Werte in Ängstlichkeit, Depression und Befangenheit aufweisen (dies sind Komponenten des Neurotizismus) und niedrige Werte in Verträglichkeit (o. c.). Huprich (2000) dagegen fand keine niedrigere Verträglichkeit bei der depressiven Persönlichkeitsstörung. Shea und Hirschfeld (1996) beschreiben die depressive Persönlichkeitsstörung mit Hilfe des Fünf-Faktoren-Modells folgendermaßen: hohe Ausprägung von Neurotizismus (d. h. Angst, Feindseligkeit, Depression, Befangenheit) und geringe Ausprägung von positiven Emotionen (die eine Facette des Faktors Extraversion sind). Verschiedene Studien fanden, dass Merkmale der depressiven Persönlichkeit bzw. diese Diagnose mit den fünf großen Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhingen: betroffene Personen wiesen stärkere Angst und Depression, höheren Neurotizismus, geringere Extraversion, höhere Introversion, stärkere Offenheit für Erfahrungen und Schadensvermeidung auf (Huprich, 2000; Klein & Shih, 1998; Lyoo et al., 1998; McLean & Woody, 1995; Schrader & Tsourtos, 1996). Kein Zusammenhang fand sich mit Psychotizismus (Klein & Shih, 1998), die Ergebnisse zur Gewissenhaftigkeit sind widersprüchlich. Das Muster mit höherem Neurotizismus und niedrigerer Extraversion fand sich auch bei den Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung, die noch nie an Depression oder Dysthymie erkrankt waren. Es fand sich zudem schon in früheren Studien bei Personen, die später an einer Depression erkrankten (Angst & Clayton, 1986; Hirschfeld et al., 1989). Von den Autoren wird dies als Hinweis darauf bewertet, dass es sich bei der depressiven Persönlichkeitsstörung um eine Spektrumsvariante oder ein Temperamentssubstrat der Major Depression handelt (Lyoo et al., 1998). Klein und Vocisano (1999) schließen aus der Befundlage zu Persönlichkeitsmerkmalen bei depressiver Persönlichkeitsstörung, dass diese für die konvergente Validität des Konzeptes spricht. Zu diesem Schluss kommt auch Huprich (2003b) aufgrund seiner Befunde. 66 Theorie 2.4.3 Häufigkeit der depressiven Persönlichkeitsstörung Klein (1990) fand in einer Stichprobe von 177 ambulanten psychiatrischen Patienten, die zufällig aus einer anfallenden Stichprobe von 550 Patienten gezogen worden war, eine gewichtete Prävalenz von 26 % Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung für die Gesamtstichprobe. Die Höhe der Prävalenz schwankte nur leicht, wenn statt sechs wie hier sieben Kriterien für eine Diagnose verlangt wurden, oder weniger als sechs (Klein, 1990). Placidi, Signoretta, Liguori, Gervasi, Maremmani et al. (1998) fanden bei 1000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen in 3,6 % der Fälle ein depressives Temperament. Klein (1999) fand bei ca. 4 % der Verwandten von gesunden Kontrollpersonen eine depressive Persönlichkeit. Huprich (2000) fand eine Prävalenz von 2,7 %. Diese Häufigkeiten bedeuten, dass die depressive Persönlichkeit bzw. das depressive Temperament in der Normalbevölkerung relativ verbreitet sind. Allerdings scheint es so zu sein, dass viele der Betroffenen erst dann eine Behandlung aufsuchen, wenn eine Achse-IStörung hinzukommt (Klein, 1999c; vgl. Klein & Miller, 1993). Unterschiede in den Häufigkeiten können auch auf leicht unterschiedlichen diagnostischen Kriterien beruhen. 2.4.4 Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Persönlichkeitsstörung Verschiedene theoretische Richtungen haben ähnliche Vorstellungen davon, wie die depressive Persönlichkeitsstörung entstehen könnte: der angenommene Mechanismus besteht aus einem interpersonalen, bedeutsamen Verlust in einem frühen Alter („Objektverlust“) (Huprich, 1998). Millon und Davis (1996) nehmen an, dass in einer frühen Entwicklungsphase der Betroffenen von den Beziehungspersonen keine eindeutigen Zeichen von Wärme und Annehmen kamen, was beim Kind zu Gefühlen der Unsicherheit, emotionaler Distanz und Isolation geführt haben könnte. Außerdem wird erlernte Hilflosigkeit als Reaktion des Kindes auf besserwisserische, kritische und abwertende Verhaltensweisen der Eltern angenommen (Millon & Davis, 1996). Kinder mit solchen Erfahrungen wachsen mit Zweifeln auf, ob sie anderen gefallen. Sie erwarten Desinteresse und Abwertung von ihren Altersgenossen. Da sie bei ihren Eltern keine Akzeptanz und Stärkung erwarten, wenden sie sich nach innen. Es entsteht ein Bild von sich selbst als wertlos, unbedeutend, nicht erfolgreich und unfähig in allen Bereichen (Millon & Davis, 1996). In der Psychoanalyse wird unter depressiver Struktur eine Form oral-aggressiver Gehemmtheit verstanden, für deren Entstehung bei Kindern gemäß Feldmann-Bange (1973) besonders ausgeprägte orale Bedürfnisse und eine erhöhte Frustrationsempfindlichkeit verantwortlich gemacht werden. Bei den Beziehungspersonen, v. a. den Müttern, liege oft ebenfalls eine depressive Persönlichkeitsstruktur vor (o. c.). Theorie 67 Hinzu kommen biologische Faktoren, wobei neuere Studien auf eine geringe, aber bestimmte Rolle genetischer und neurochemischer Faktoren hinweisen (Millon & Davis, 1996). Es gibt Befunde dazu, dass das depressive Spektrum zusammenhängt mit autonomen Dysfunktionen, elektromyographischen Reaktionen, Schlafstörungen u. a. Diese Befunde verweisen auf das Vorliegen von biophysikalischen Substraten. Für neurochemische Faktoren sprechen die Reaktionen Depressiver auf spezifische pharmakologische Wirkstoffe (z. B. Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) (Millon & Davis, 1996). Lyoo et al. (1998) schließen aus dem geringen Suchen nach neuen Erfahrungen und hoher Schadensvermeidung bei Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung, dass Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung, wie Besorgtheit, Pessimismus und Gehemmtheit, eine biologische Ursache haben könnten (TPQ, Tridimensional Personality Questionnaire von Cloninger, Svrakic & Przybeck, 1991; vgl. a. Cloninger, Przybeck & Svrakic, 1991). Gemäß Klein und Vocisano (1999) spricht für eine psychophysiologische Verursachung der depressiven Persönlichkeitsstörung, dass eine verringerte linksfrontale Aktivität gefunden wurde, die ein biologischer Marker für ein Merkmalsmuster sein könnte, das aus einem Temperament entsteht und in Verbindung zur depressiven Persönlichkeitsstörung stehen könnte. Lyoo, Kwon, Lee, Han, Chang et al. (2002) fanden bei (weiblichen) Patienten mit früh beginnender Dysthymie oder depressiver Persönlichkeitsstörung ein signifikant kleineres Genu am Corpus Callosum als bei gesunden Kontrollpersonen. Dies verweist auf strukturelle Abnormitäten des Frontallappens, die in der Pathophysiologie eine Rolle spielen könnten (o. c.). Die depressive Persönlichkeitsstörung wird aufrechterhalten durch sich selbstaufrechterhaltende Kreisläufe: Alsaker (2000) schließt aus den Befunden aus Studien zur Entwicklung einer depressiven Orientierung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass Teufelskreise der Selbstbewertung dabei eine wichtige Rolle spielen: Ablehnung, Ignorierung oder ungerechte Behandlung führen zu negativ verzerrten Selbstwahrnehmungen, d. h. zu Gefühlen der Inkompetenz, Wertlosigkeit und des NichtExistierens. Die erfahrene Zurückweisung wird vom Betroffenen also internal und stabil attribuiert (Alsaker, 2000). Die negativen Attributionen führen zum Rückzug, um sich vor den negativen Bewertungen oder Verhaltensweisen anderer zu schützen. Damit fehlen aber auch mögliche positive Rückmeldungen (Verstärker) aus der Umgebung, was die negativen Selbstbewertungen weiter verstärkt. Dies fördert weiter das Rückzugsverhalten usw. Eine spontane Veränderung des Verhaltens scheint unwahrscheinlich, dazu ist therapeutische Hilfe notwendig. Das Rückzugsverhalten, das eine Folge depressiver Stimmung ist, führt also durch eine negative Rückkopplungsschleife zur Aufrechterhaltung der depressiven Stimmung. Auch Millon und Davis (1996) vertreten die Ansicht, dass durch die pessimistischen und selbst-abwertenden Schemata Informationen in bestimmter Weise verarbeitet werden, sowohl beim Abruf von Informationen als auch beim Blick in die Zukunft treten die typischen kognitiven Verzerrungen auf, die den unglücklichen Zustand Theorie 68 weiter verstärken (Millon & Davis, 1996). Durch die selbstanklagenden Einstellungen werden die eigenen Gefühle der Wertlosigkeit und Jämmerlichkeit verstärkt. 2.4.5 Behandlung der depressiven Persönlichkeitsstörung Bislang wurden keine adäquaten Behandlungsstudien mit reliablen und validen Messinstrumenten für die Diagnostik und den Therapieerfolg durchgeführt (Phillips & Gunderson, 1999). Es ist ungeklärt, ob die depressive Persönlichkeitsstörung auf Medikation oder Psychotherapie anspricht. Bei anderen Persönlichkeitsstörungen gibt es neben der bekannten Wirksamkeit psychosozialer Maßnahmen Hinweise für eine wirksame medikamentöse Behandlung (Soloff, 1997). Hinweise für mögliche effektive Behandlungsmaßnahmen können die Befunde zur Behandlung ähnlicher psychischer Störungen sein. Bei dysthymer (und zyklothymer) Depression, d. h. einer depressiven Störung bei dysthymem (bzw. zyklothymem) Temperament (oder einer Double Depression) stellte Akiskal (1994) ein gutes Ansprechen der betreffenden Patienten auf thymoleptische Behandlung fest. Teilweise haben Patienten mit dysthymen Persönlichkeitsstörungen auf trizyklische Antidepressiva (insbesondere bei Kombination mit Psychotherapie) angesprochen, bei dysphorischer Persönlichkeit wurden unter trizyklischen Antidepressiva allerdings eine Verschlechterung und ein Risiko für schnelle Stimmungsänderungen beobachtet. Reaktive Stimmungslabilität, wie sie u. a. bei der subaffektiven Stimmungsstörung depressiver Art auftritt, spricht möglicherweise besonders auf MAOHemmer an (Saß et al., 1993). Manche Autoren berichten auch stimmungsstabilisierende Effekte von Lithium und Carbamazepin bei dysphorischen Persönlichkeiten (Saß et al., 1993), manche auch von niedrig dosierten Neuroleptika. Insgesamt sehen Saß et al. (1993) allerdings nur wenige überzeugende Befunde zum Einsatz von Psychopharmaka bei Persönlichkeitsstörungen und deren subaffektiven Formen. Millon und Davis (1996) halten eine psychopharmakologische Behandlung für den Therapieeinstieg für sinnvoll. Ihrer Erfahrung nach respondieren die meisten Betroffenen mäßig auf Medikation. So könnten sich die Betroffenen etwas kräftiger fühlen mit ersten Anflügen von Optimismus. Aber auch während einer Psychotherapie könnten unterstützende Antidepressiva hilfreich sein. In der Psychotherapie sollte angestrebt werden, an den Kognitionen und Verhaltensweisen therapeutisch zu arbeiten, die zum depressiven Muster beitragen. Im Training sozialer Kompetenzen können die Patienten lernen, selbstsicherer und gewinnender aufzutreten. Ziel ist es, die Selbstwirksamkeit und den Selbstwert zu erhöhen (Millon & Davis, 1996). Allgemein empfiehlt Helmchen (2001) bei unterschwelligen psychischen Störungen einen schrittweisen Behandlungsplan, der mit Selbsthilfe und prämedizinischer Unterstützung durch Freunde, aber auch mit Selbstmedikation (z. B. mit Johanniskraut) Theorie 69 beginnt, dann über eine allgemeinärztliche Versorgung in der dritten Stufe zur psychiatrischen Versorgung führt. Fiedler (1997a) findet, dass keine unstrukturierte Behandlung (psychoanalytische oder andere tiefenpsychologisch-einsichtsorientierte Verfahren) begonnen werden sollte, solange sich die Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung oder ihre Angehörige stark belastet fühlen. Als weitere Orientierungshilfe sieht Fiedler (1997a) allgemein die detailliert ausgearbeiteten Behandlungsverfahren für Depression an, z. B. verhaltenstherapeutische (Beck, Rush, Shaw & Emery, 1979; Hautzinger, 1997b), psychoanalytisch orientierte Kurzzeit-Therapie (Luborsky, 1984), psychodynamische interpersonelle Therapie (Strupp & Binder, 1984), interpersonelle Therapie (Klerman, Weissman, Rounsaville & Chevron, 1984; Mason, Markowitz & Klerman, 1993). Gemäß Fiedler (2001a) besteht beim depressiven Persönlichkeitsstil die Notwendigkeit, die Negativ-Stimmung aktiv zu kompensieren, um eine Depression oder eine depressive Persönlichkeitsstörung zu verhindern. Es wird angenommen, dass eine gewissenhafte und pflichtbewusste Tätigkeit depressionshemmend wirkt (vgl. Konzept des Typus Melancholicus). Kurt Schneider (1950) fand, dass es für die Betroffenen zwar manchmal hilfreich sein kann, über ihre Probleme zu sprechen, dass jedoch die Arbeit ihr bester Freund sei und die beste Therapie sei es, die Betroffenen hierin zu unterstützen. Hautzinger (2001) berichtet von der Wirksamkeit von kognitiver Verhaltenstherapie in Gruppen bei Personen mit leichter depressiver Störung („Minor Depression“). In dieser werden Bewältigungs- und Kontrollstrategien zur Überwindung bzw. Verhinderung von negativen, dysphorischen Stimmungszuständen gezeigt. Zudem werden Kognitionen verändert und soziale Fertigkeiten gelehrt (Hautzinger, 2001). Nach Einschätzung von Hautzinger (2001) ist das Konzept auch auf andere Störungen übertragbar, und es ist gut mit antidepressiver Medikation kombinierbar. Hiermit übereinstimmend finden Huprich und Fine (1997), dass Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung dazu gebracht werden sollten, ihre Wirkung auf andere zu prüfen. Automatische Gedanken betreffend den Verlust von Zuneigung und die zugrundeliegenden kognitiven Verzerrungen können identifiziert werden. Millon und Davis (1996) plädieren dafür, die affektive und kognitive Zentrierung von Schmerz auf Freude zu verschieben, indem die negativen Kognitionen und die Interaktionsweise mit der Umwelt verändert werden und die Betroffenen empfänglicher werden für Erfahrungen von Freude und Erfolg. Auch Huprich und Fine (1997) sehen die Vermehrung der sozialen Interaktionen und die Verbesserung der Beziehungen als wichtiges Therapieziel an (Huprich & Fine, 1997). Vaslamatzis (2002) sieht für eine psychoanalytische Behandlung der depressiven Persönlichkeitsstörung als zentral an, dass der Unfähigkeit zur Freude und der negativen therapeutischen Reaktion begegnet wird. Das Ziel der Behandlung von Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung sollte die Analyse der Übertragung und die Lösung von Ödipus- und Prä-Ödipus-Komplexen sein. Außerdem ist die Interpretation der Übertragung bei diesen Patienten eine wichtige Intervention (Vaslamatzis, 2002). Theorie 70 In der therapeutischen Beziehung sollte der Behandler gemäß Millon und Davis (1996) darauf achten, eine unterstützende Haltung einzunehmen, um die Abhängigkeitsbedürfnisse des Patienten zu erfüllen, und eine Haltung, die Mut macht gegen die Hilflosigkeit. Den oft exzessiven Schuldgefühlen von Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung könne der Therapeut begegnen, indem er die Last und das Leid anerkenne, die mit den Schuldgefühlen für den Patienten verbunden sind, außerdem könne er dem Patienten versichern, dass dieser genug gelitten habe und nun verdiene, ein besseres Leben zu führen (Millon & Davis, 1996). 2.4.6 Prognostische Bedeutsamkeit der depressiven Persönlichkeitsstörung bei komorbidem Vorliegen von Depression oder Dysthymie Schrader und Tsourtos (1996) fanden, dass die depressive Persönlichkeitsstörung (basierend auf den Kriterien von Kurt Schneider von 1950) nicht mit Veränderungen in der depressiven Symptomatik bei chronisch depressiven Patienten (d. h. Patienten mit mindestens zwei Jahre dauernder Depression) zwischen der ersten Untersuchung und der ein Jahr später zusammenhing, allerdings gab es überhaupt kaum Veränderungen der Symptomatik zwischen den Zeitpunkten. Bei den Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung fand sich ein früherer Beginn der depressiven Symptomatik (Schrader & Tsourtos, 1996). Dies kann als Bedeutung der depressiven Persönlichkeitsstörung für das Verlaufsmerkmal des Erkrankungsalters angesehen werden. Die Autoren denken, dass auch die angesichts der Chronizität der Depression kurze Katamnese-Zeit von einem Jahr das Aufdecken von prognostischer Bedeutung der depressiven Persönlichkeitsstörung verhindert haben könnte. Bei Klein und Shih (1998) fand sich nach 30 Monaten bei depressiven Patienten eine geringere Zahl von Merkmalen der depressiven Persönlichkeitsstörung als bei der ersten Erhebung. Es zeigte sich, dass Patienten, deren Hamilton-Depressions-Wert nach 30 Monaten unter 10 lag („Remission“), bei der Eingangs- und der Katamnese-Untersuchung eine geringere Ausprägung der depressiven Persönlichkeitsstörung aufwiesen, und zudem eine Verringerung der Ausprägung bei der Katamnese, die jedoch nicht signifikant größer ausfiel als bei den nicht remittierten Patienten. Dieses Ergebnis gibt einen Hinweis auf eine mögliche prognostische Bedeutung einer komorbiden depressiven Persönlichkeitsstörung bei einer depressiven Störung: auch bei Kontrolle der Depressivität bei der Eingangsuntersuchung, der Dysthymie und irgendeiner Persönlichkeitsstörung konnte die Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung immer noch bedeutsam zur Vorhersage des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala nach 30 Monaten beitragen. Saß et al. (1993) berichten, dass depressive Patienten mit einer depressiven Persönlichkeit scheinbar weniger günstige Aussichten haben in der Behandlung ihrer Depression (ebenso wie depressive Patienten mit emotional instabiler Persönlichkeit) als Patienten mit zyklothymer Persönlichkeit oder Typus Melancholicus. Theorie 71 2.4.7 Diskussion und Fazit zur depressiven Persönlichkeitsstörung Das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung hat eine längere Tradition und wird zur Zeit vermehrt untersucht. Es ist dabei umstritten, ob es sich um eine reliable und valide diagnostische Kategorie handelt, die in die internationalen Klassifikationssysteme aufgenommen werden sollte. Die Häufigkeit der depressiven Persönlichkeitsstörung lag bei ambulanten psychiatrischen Patienten bei 26 %, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der Allgemeinbevölkerung bei 3,6 %, in einer anderen Bevölkerungsstichprobe bei 2,7 %. Ätiologische Modelle (vgl. auch die für Persönlichkeitsstörungen allgemein relevanten Modelle) beinhalten einen wichtigen interpersonalen Verlust früh im Leben der Betroffenen. Untersuchungen zur Wirksamkeit von verschiedenen therapeutischen Maßnahmen bei depressiver Persönlichkeitsstörung fehlen noch überwiegend, aber es gibt Vorschläge zur psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlung. Bezüglich der Bedingungen, die an eine Persönlichkeitsstörung gestellt werden, ziehen Hirschfeld und Holzer (1994) nach ihrer Untersuchung das Fazit, dass diese überwiegend erfüllt seien, denn die diagnostischen Kriterien, die zugrunde gelegt wurden, beziehen sich auf Persönlichkeitsstile, nicht auf affektive Symptome. Die Kriterien sind konsistent mit den Theorien von Kraepelin, Schneider, Akiskal und anderen. Die Kriterien waren insofern operational definiert, als das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) von Gunderson et al. (1994) zur Erfassung eingesetzt wurde. Die Kriterien sind reliabel erhoben worden, da das DID in einer Studie von Gunderson et al. (1994) eine hohe Interrater-Reliabilität aufwies. Die Prävalenz liegt mit 19 bis 59 % deutlich über Null. Die depressive Persönlichkeitsstörung weist gemäß der Ergebnisse Überlappungen mit Stimmungs-Störungen auf, ist aber nicht mit einer davon identisch. Dies gilt auch für die Überschneidungen mit anderen Persönlichkeitsstörungen. Die Persönlichkeitsstörung sollte außerdem andauernd sein, was Folgeuntersuchungen nach mehreren Jahren notwendig macht. Allerdings wurde dies bisher in der gesamten Persönlichkeitsstörungs-Forschung kaum getan (vgl. Hirschfeld & Holzer, 1994). Die berichteten Ergebnisse ähneln denen anderer Studien, wobei die daraus gezogenen Schlussfolgerungen variieren, z. B. hinsichtlich der noch akzeptablen Überschneidung von Dysthymie und depressiver Persönlichkeitsstörung. Wichtige Diskussionspunkte beim Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung werden im Folgenden dargestellt. Gemäß Helmchen (2001) ist bei unterschwelligen depressiven Störungen noch zu klären, welche Bedeutung neurophysiologische Indikatoren haben, die Akiskal, Judd, Gillin und Lemmi (1997) gefunden haben, genauso wie bei voll ausgeprägten Depressionen: z. B. eine verkürzte REM-Latenz, eine gesteigerte REM-Dichte. Ein weiterer physiologischer Indikator könnte der Kortisolspiegel sein, der bei Depression oft erhöht, bei chronischem Erschöpfungssyndrom jedoch eher erniedrigt ist (Wessely, 2000). Ungeklärt ist gemäß Theorie 72 Helmchen (2001) eine mögliche Bedeutung von neurologischen „Soft Signs“, perinatalen Schädigungen oder familiären Belastungen mit psychischen Störungen, oder Faktoren wie dem Apolipoprotein E4 bei kognitiven Störungen. Des Weiteren ist zu entscheiden, ob es sich bei der depressiven Persönlichkeit gemäß den Kriterien von Phillips et al. (1993) um normale Persönlichkeitszüge oder um eine Persönlichkeitsstörung handelt. Einige Studien (Hirschfeld & Holzer, 1994; Klein, 1990; Klein & Miller, 1993; Klein & Shih, 1998) sprechen für eine Interpretation als Persönlichkeitsstörung, da die Probanden (auch bei depressiver Persönlichkeitsstörung als einziger Diagnose) subjektives Leiden und psychosoziale Beeinträchtigungen aufwiesen. Klein (1999a) fand die Beeinträchtigung bei nicht behandelten Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung signifikant schwerer als bei Personen ohne depressive Persönlichkeitsstörung. Ryder und Bagby (1999) sahen diesen Befund als wenig aussagekräftig an, da die Stichprobe zu klein und die Varianz in der Gruppe zu groß gewesen sei. Fiedler (2001b) differenziert die depressive Persönlichkeit als Persönlichkeitsstil und die depressive Persönlichkeitsstörung. Bei der depressiven Persönlichkeitsstörung stellt sich auch die Frage, ob sie eine prämorbide Persönlichkeitsstruktur bei affektiven Störungen ist, evtl. auch ein Risikofaktor dafür, oder ob ihre Symptomatik nur im Rahmen einer Depression oder nach Abklingen einer Depression in Form einer phasenüberdauernden Persönlichkeitsveränderung oder chronifizierten Restsymptomatik auftritt (Wolfersdorf, 1999). Phillips und Gunderson (1999) finden, dass die Überlappung zwischen depressiver Persönlichkeitsstörung und anderen Persönlichkeitsstörungen ein vergleichbares Ausmaß habe wie die Überlappungen zwischen anderen Persönlichkeitsstörungen. Ryder und Bagby (1999; auch Bagby, Ryder & Schuller, 2003) jedoch sind der Ansicht, dass die Überlappungen zu groß seien und das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung nicht als Achse-II-Störung in das DSM aufgenommen werden sollte. Phillips und Gunderson (1999) sowie Huprich (2001) halten dieses Fazit für voreilig und interpretieren die Befundlage eher als stützend für das Konzept. Anders als Ryder und Bagby (1999) meinen Phillips und Gunderson (1999), dass die Überlappung mit anderen Persönlichkeitsstörungen nicht exzessiv sei, da das durchdringende Muster von depressiven Gedanken und Verhaltensweisen, das zentrale Merkmal der depressiven Persönlichkeit, andere Merkmale (z. B. Düsterheit, Tendenz zu Grübeln und Sorgen, Pessimismus) und deren spezifische Kombination bei keiner anderen Persönlichkeitsstörung zu finden seien. Gemäß Phillips und Gunderson (1999) stützen empirische Daten diese Ansicht ebensowenig. Beispielsweise wiesen in einer Studie von Phillips et al. (1998) 49 % der Personen mit depressiver Persönlichkeit keine weiteren Persönlichkeitsstörungen auf, bei Klein und Shih (1998) 42 %. Die Überlappungen mit anderen Persönlichkeitsstörungen waren gering bis mittelhoch: zwischen 0 % (für schizotypische und schizoide Persönlichkeitsstörung) und 33 % (für vermeidende Persönlichkeitsstörung). Die Überschneidungen mit Borderline-, dependenter, zwanghafter und vermeidender Persönlichkeitsstörung, die konzeptuell gemäß Ryder und Theorie 73 Bagby (1999) besonders stark sind, fielen zwischen 10, 17, 20 und 29 % eher niedrig aus (Klein, 1999a; Phillips et al., 1998). Diese Befunde deuten darauf hin, dass sich die depressive Persönlichkeit nicht schlechter von anderen Persönlichkeitsstörungen abgrenzen lässt als andere Persönlichkeitsstörungen untereinander oder von Achse-I-Störungen (Phillips & Gunderson, 1999), wie andere Studien zeigten (Corruble et al., 1996; Pepper, Klein, Anderson, Riso, Ouimette & Lizardi, 1995; Ruegg & Frances, 1995; Tyrer et al., 1997). Die Studien zur Überschneidung von depressiver Persönlichkeitsstörung und Dysthymie erbrachten Assoziationen zwischen 0,22 und 0,26. Die Zusammenhänge zwischen depressiver Persönlichkeitsstörung und aktueller oder früherer Major Depression waren noch schwächer (Klein & Shih, 1998; zugrundeliegende Studien: Hirschfeld & Holzer, 1994; Klein, 1990; Klein & Miller, 1993). Hinsichtlich der Überlappung mit Dysthymie meinen Phillips und Gunderson (1999), dass ein früher Beginn (der bei Dysthymie gar nicht vorliegen muss) und ein chronischer Verlauf keine ausreichende Überlappung darstellen, um eines der Konzepte in Frage zu stellen. Zudem unterscheiden sich die Störungen konzeptionell: bei der Dysthymie liegt der Schwerpunkt auf somatischen Symptomen, bei der depressiven Persönlichkeit auf psychologischen und kognitiven Merkmalen (o. c.). Phillips und Gunderson (1999) weisen auch auf die teilweise hohen „Überschneidungen“ (meist dann aber „Komorbidität“ genannt) hin, die zwischen verschiedenen Achse-IStörungen bestehen, aber nicht zur Diskussion der Validität einer der Störungen führten. Bei den berichteten Befunden ist zusätzlich stärkend für die Position von Phillips und Gunderson (1999), dass in klinischen Stichproben die Komorbidität tendenziell überschätzt wird (Biases) (o. c.). In einem nicht-klinischen Setting fand sich eine Komorbidität von 19 % Dysthymie bei Personen mit depressiver Persönlichkeitsstörung (Klein & Miller, 1993). Neben den erwähnten Autoren plädieren auch Westen und Shedler (1999) aufgrund ihres Befundes einer großen Gruppe von Personen mit dysphorischer / depressiver Persönlichkeitsstörung dafür, eine solche Persönlichkeitsstörung (vgl. Phillips, Hirschfeld, Shea & Gunderson, 1995) im DSM-V zu berücksichtigen, und auch Huprich (1998) interpretiert die aktuelle Befundlage so, dass sie den Einschluss der depressiven Persönlichkeitsstörung in das DSM-Klassifikationssystem nahelege. Blashfield (1999) dagegen plädiert wie Ryder und Bagby (1999) dafür, das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung nicht in die Klassifikationssysteme aufzunehmen. Als Gründe führt er an: die depressive Persönlichkeitsstörung sei kein wichtiger Bestandteil der Sprache von Klinikern oder Forschern. Zudem würde dieses Konzept von den meisten Forschern als zu einem depressiven Spektrum gehörig wahrgenommen werden, d. h. Informationen über diese Störung würden subsumiert unter die über Depression oder wären mit ihr konsistent. Blashfield (1999) befürwortet auch eine Revision der Persönlichkeitsstörungen. Nur solche Persönlichkeitsstörungen sollten beibehalten werden, über die es ausreichend Literatur zur Reliabilität, Erfassung, deskriptiven und prädiktiven Validität gibt, was nur für die dissoziale, die Borderline- und die schizotypische Theorie 74 Persönlichkeitsstörung zutreffe. Auch spreche gegen das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung, dass es keine klinischen Therapieergebnis-Merkmale gebe, die eine Abgrenzung der depressiven Persönlichkeitsstörung von der Dysthymie erlaubten. Theorie 75 2.5 Zusammenfassung und Fazit zum Forschungsstand Depressionen sind häufige psychische Erkrankungen weltweit. Oft muss eine Depression als lebensbedrohlich eingestuft werden. Manche Autoren plädieren dafür, von einem Kontinuum symptomatischer Schwere für die verschiedenen depressiven und subaffektiven Störungen auszugehen. Teilweise werden auch (sub-)affektive Persönlichkeitsstörungen bzw. Temperamente zu diesem Spektrum gezählt, z. B. die depressive Persönlichkeitsstörung. Persönlichkeit beinhaltet überdauernde Eigenschaften einer Person, die ihr Individualität verleihen. Ein spezielles Muster von Persönlichkeitszügen ist der Typus Melancholicus, der häufig bei Patienten mit Depression festgestellt wird. Persönlichkeitsstörungen sind gekennzeichnet durch psychopathologische Auffälligkeiten, die zu Leiden oder sozialen und beruflichen Kompetenzeinbußen der betroffenen Person führen. Persönlichkeitsstörungen treten häufig komorbid bei Depression auf. Die Bedeutung dieser Komorbidität für die Merkmale und den Verlauf der Depression wurde vielfach untersucht, ebenso die Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen für die Depression. Viele Studien fanden eine schwerere depressive Symptomatik und ein erhöhtes Rückfallrisiko der Depression. Wegen widersprüchlicher Befunde ließe sich aus der gesamten Forschungslage auch schließen, dass diese komplizierende Wirkung von Persönlichkeitsauffälligkeiten bei Depression noch nicht sicher belegt ist, sondern nur, dass von der Komorbidität keine günstige Wirkung auf die Depression ausgeht. An vielen Studien lässt sich kritisieren, dass sie mögliche Störfaktoren der Beziehung von Persönlichkeit(sstörungen) und Depressionsverlauf nicht kontrollierten, z. B. die Schwere der depressiven Symptomatik zu Beginn der Behandlung. Ein weiteres Problem sind zu kleine oder zu wenig homogene Stichproben. In zukünftigen Studien sollte hierauf mehr Wert gelegt werden, um validere Urteile darüber fällen zu können, ob und inwieweit Persönlichkeitsmerkmale und -störungen für die Symptomatik, die Schwere der Depression, ihren Verlauf nach der Indexepisode und das Ansprechen auf verschiedene Behandlungsmethoden relevant sind. Geht man von einer klinischen Relevanz der Komorbidität aus, so fehlen noch Erklärungen für den Zusammenhang von Persönlichkeitsauffälligkeiten und Depressionsverlauf bzw. Therapieerfolg (Duggan et al., 1991). Ebel et al. (1997) nehmen an, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sich evtl. schwerer tun, unangenehme Wirkungen der Antidepressiva zu tolerieren. Möglicherweise prädisponieren prämorbide Persönlichkeitsmerkmale zu einer Depression und wirken bei einer depressiven Erkrankung negativ auf deren Verlauf. Vielleicht verändert sich die Persönlichkeit aber auch mit jeder depressiven Episode, so dass der Betroffene dadurch immer vulnerabler für weitere depressive Episoden wird. Um hierüber Aufschluss zu erhalten, müssten auch prospektive Längsschnitt-Untersuchungen an bis dahin gesunden Personen durchgeführt werden, die hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und psychischer Störungen genau beobachtet werden. Theorie 76 Das Konzept der depressiven Persönlichkeitsstörung hat eine längere Tradition und wird zur Zeit vermehrt untersucht. Es ist dabei umstritten, ob es sich um eine reliable und valide diagnostische Kategorie handelt, die in die internationalen Klassifikationssysteme aufgenommen werden sollte. Auch ist unklar, ob dieses Konzept eher bei den affektiven Störungen der Achse I, oder bei den Persönlichkeitsstörungen der Achse II eingeordnet werden sollte, und zu welchen Persönlichkeitsstörungen es in besonders enger Beziehung steht. Auch bei der depressiven Persönlichkeitsstörung interessiert, ob der Verlauf einer komorbiden Depression anders ist als ohne depressive Persönlichkeitsstörung. Zur Klärung der hier aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Güte des Konzeptes der depressiven Persönlichkeitsstörung, seiner Validität und seiner Beziehungen zu affektiven Störungen und Persönlichkeitsstörungen, zudem zur Beziehung von Persönlichkeitsmerkmalen, -strukturen und -störungen und einer komorbiden Depression sollte mit der vorliegenden Untersuchung beigetragen werden. Theorie 77 2.6 Ziele, Fragen und Hypothesen 2.6.1 Ziele Zwei Messinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung, nämlich das „Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar“ (DPSI) und das „Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit“ (DID), sollen in ihren deutschen Versionen im Rahmen einer Vorstudie psychometrisch evaluiert, d. h. auf Reliabilität und Validität hin, überprüft werden. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, subaffektiven Persönlichkeitsstörungen (insbesondere der depressiven Persönlichkeitsstörung), der Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus und Persönlichkeitsmerkmalen sollen geprüft werden. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Beziehung von Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen einerseits und soziodemographischen, psychopathologischen Merkmalen und Kennzeichen des Depressionsverlaufes andererseits zu untersuchen. 2.6.2 Fragen Hinsichtlich des Ziels der Arbeit, die Beziehungen von Persönlichkeitsmerkmalen, der Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus, subaffektiver Persönlichkeitsstörungen und der Persönlichkeitsstörungen untereinander zu untersuchen, werden folgende Fragen gestellt: Wie hängen die Persönlichkeitsstörungen miteinander zusammen? Wie hängt die depressive Persönlichkeitsstörung mit den übrigen Persönlichkeitsstörungen zusammen? Schließlich wird gefragt, ob und wie Persönlichkeitsmerkmale und Persönlichkeitsstörungen untereinander und mit soziodemographischen und psychopathologischen Merkmalen während der stationären Behandlung zusammenhängen. Eine weitere Frage bezieht sich auf die Beziehung von Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen zu Merkmalen des Depressionsverlaufes: Bestehen Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsauffälligkeiten im Verlauf der depressiven Erkrankung und falls ja, in welcher Form? Hinsichtlich der Komorbidität anderer psychischer Störungen und der Depression interessiert: Wirkt sich die Komorbidität anderer psychischer Störungen, z. B. von Dysthymie, auf den Behandlungsverlauf und das Behandlungsergebnis aus, und falls ja, wie? Theorie 78 2.6.3 Hypothesen 2.6.3.1 Querschnitt-Hypothesen Beziehungen der Persönlichkeitsstörungen untereinander: Es wird angenommen, dass in der untersuchten Stichprobe von Patienten mit Major Depression besonders solche Persönlichkeitsstörungen stark miteinander zusammenhängen, die sich in denselben Clustern des DSM-IV befinden, d. h. dass sich die Cluster in dieser Stichprobe wiederfinden. Beziehungen der depressiven Persönlichkeitsstörung zu anderen Persönlichkeitsstörungen: Von der depressiven Persönlichkeitsstörung wird angenommen, dass sie sich als am ähnlichsten zu den Persönlichkeitsstörungen zeigt, die im Cluster C des DSM-IV eingeordnet werden (also zu der vermeidenden, der abhängigen und der zwanghaften Persönlichkeitsstörung) (vgl. Fiedler, 1997a, 2001b). Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen: Bezüglich der Beziehung von Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen zu Merkmalen der depressiven Patienten und der Depression wird angenommen, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen ein niedrigeres Funktionsniveau aufweisen und bei Aufnahme in die Klinik die depressive Symptomatik schwerer und die allgemeine Befindlichkeit schlechter ist. 2.6.3.2 Längsschnitt-Hypothesen Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen: Aufgrund der bisherigen Befundlage wird angenommen, dass Patienten mit Persönlichkeitsauffälligkeiten (Persönlichkeitsstörungen, Typus Melancholicus) einen ungünstigeren Behandlungsverlauf aufweisen, also im Vergleich zu Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen − länger in stationärer Behandlung sind, − später auf die Behandlung ansprechen, d. h. die Schwere der Depressivität nimmt später ab, − am Ende der stationären Behandlung mehr residuale depressive Symptomatik aufweisen, also die Remissionsrate ist niedriger. Theorie 79 2.6.4 Explorative Auswertungen Evaluation von Messinstrumenten: Explorativ werden im Rahmen einer Vorstudie an einer Stichprobe depressiver Patienten zwei Messinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung, das Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI) und das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID), evaluiert werden. Beziehungen der Persönlichkeitsstörungen untereinander: Neben der Beziehung der Persönlichkeitsstörungen untereinander gemäß DSM-IV werden in die Auswertung auch subaffektive Persönlichkeitsstörungen (zyklothyme, hyperthyme, depressive und asthenische Persönlichkeitsstörungen) einbezogen. Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen: Es soll untersucht werden, wie Persönlichkeitsstörungen mit Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. den großen fünf Persönlichkeitsfaktoren) zusammenhängen. Vergleich von Patienten mit bestimmten Auffälligkeiten der Persönlichkeit bzw. ohne: Es werden nicht nur Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen verglichen, sondern auch Patienten mit bestimmten Persönlichkeitsstörungen bzw. -auffälligkeiten im Vergleich zu den jeweils übrigen Patienten hinsichtlich verschiedener Merkmale der depressiven Erkrankung und des Behandlungsverlaufs. Außerdem sollen die Beziehungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und dem Behandlungsverlauf untersucht werden. Vergleich von Patienten mit psychischer Komorbidität bzw. ohne: Schließlich soll analysiert werden, ob und wie sich die Komorbidität anderer psychischer Störungen, z. B. von Dysthymie, auf den Behandlungsverlauf und das Behandlungsergebnis niederschlägt. Außerdem wird geprüft, wie der Behandlungsverlauf und das Behandlungsergebnis bei psychischer Komorbidität und gleichzeitiger Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen ist. Methoden 80 3 Methoden 3.1 Untersuchungsdesign Es handelt sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine prospektive Verlaufsstudie an Patienten mit einer depressiven Störung gemäß DSM-IV (Major Depression), die zum ersten Mal stationär psychiatrisch behandelt wurden. Die Untersuchung wurde an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg durchgeführt. In die Studie einbezogen wurden 80 Patienten, die von 2000 bis 2002 mit der Diagnose einer Major Depression in der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg behandelt worden waren. Es handelt sich hierbei um eine Inanspruchnahme-Stichprobe konsekutiv behandelter Patienten. Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des von der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg geförderten Studie „Hirnmorphologische Veränderungen als Vulnerabilitätsmarker bei ersterkrankten Patienten mit Major Depression“ (Kronmüller, Sartor & Resch, 1999). Die untersuchten Patienten wurden angesprochen für die Studienteilnahme, wenn sie zum ersten Mal stationär psychiatrisch wegen einer Episode einer Major Depression behandelt wurden. Zudem galten folgende Ausschlusskriterien: die Patienten sollten nicht an einer im Vordergrund stehenden Substanzabhängigkeit leiden, zudem sollte keine demenzielle Erkrankung vorliegen und keine schweren internistischen oder neurologischen Erkrankungen (die mit Veränderungen der Hirnmorphologie einhergehen könnten). Weiterhin sollte die Depression nicht organisch bedingt sein. Die Eingangsuntersuchung fand mit dem Therapiebeginn in der Klinik und nach der schriftlichen Einwilligung des Patienten zur Studienteilnahme statt. Während der stationären Behandlung wurden die Patienten mit Interview- und Fragebogenuntersuchungen in zweiwöchigen Abständen begleitet. Am Ende der stationären Behandlung erfolgte eine Abschlussuntersuchung. Zudem wurde begonnen, die Patienten nach der Entlassung in jährlichen Abständen fünf Mal nachzuuntersuchen. Die Interviews zu Persönlichkeitsstörungen (SKID-II, DID) wurden am Ende der stationären Behandlung durchgeführt, um eine mögliche Verzerrung der Angaben der Patienten und der Beobachtungen der Interviewer zur Persönlichkeit infolge der depressiven Symptomatik zu vermeiden. Dieser Zeitpunkt wurde gewählt, da angenommen wurde, dass dann die Depressivität bei den meisten Patienten ihr Minimum erreicht hat, und kurz vor Entlassung (bzw. bei Remission, z. B. einem Wert unter 10 Punkten in der HamiltonDepressionsskala) die Einschätzung der Persönlichkeit sinnvoll erscheint, weil gezeigt wurde, dass Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit affektiven Störungen relativ stabil sind (Böker et al., 2000). Sato et al. (1995) schätzen die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen mit Hilfe strukturierter Interviews, wie in der vorliegenden Studie, als stabil gegen Zustandseffekte der Depression ein, was einige Studien zeigten (Loranger et al., 1991; Zimmerman et al., 1991). Bagby, Rector, Bindseil, Dickens, Levitan et al. (1998) Methoden 81 fanden beim Vergleich von Selbsteinschätzungen der Persönlichkeit von depressiven Patienten mit Fremdeinschätzungen außer bei der Extraversion (die von den Patienten als geringer eingeschätzt wurde) eine hohe Übereinstimmung. Peselow, Sanfilipo, Fieve und Gulbenkian (1994) schließen jedoch aus ihrer Studie, dass Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster I (dem heutigen Cluster A: schizoide, paranoide und schizotypische Persönlichkeitsstörung) und dem Cluster III (dem heutigen Cluster C mit der abhängigen, der vermeidenden, der zwanghaften und der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung) nach DSM-III etwas von der Depression beeinflusst werden. So waren die Werte nach der Remission weniger ausgeprägt als während der akuten Depression. Stuart et al. (1992) fanden die Persönlichkeitsstörungsdiagnosen von vor der Depressionsbehandlung nach der Behandlung nicht bestätigt. Sie plädieren daher dafür, diese Diagnostik erst nach erfolgreicher Behandlung der Depression durchzuführen. Hirschfeld und Shea (1992) fanden, dass Persönlichkeitsbeurteilungen nach vollständiger Remission einer depressiven Episode möglicherweise nicht die prämorbide Persönlichkeit widerspiegeln, da die Depression die Persönlichkeit verändert haben könnte (diese Annahme entspricht der Komplikationshypothese der Beziehung von Depression und Persönlichkeit, vgl. Kap. 2.3). Um diese Konfundierungsquelle auszuschließen, müssten epidemiologische Studien an Stichproben der Normalbevölkerung, die noch nie an einer Depression litten, durchgeführt werden (o. c.). Kendell & Discipio (1968) fanden allerdings keine signifikanten Unterschiede im Eysenck-Persönlichkeits-Fragebogen während der depressiven Episode und nach Remission der Depression, wenn den Patienten in der Depression gesagt wurde, dass sie sich auf ihre Persönlichkeit vor der depressiven Zeit beziehen sollten. Den in der vorliegenden Studie untersuchten Patienten wurde ebenfalls gesagt, dass sie von ihrer Persönlichkeit vor Auftreten der Depression berichten sollten. Dies schien den meisten Patienten nicht schwer zu fallen, da sie oft auch Unterschiede zu ihrem Erleben und Fühlen während der Depression anmerkten, bzw. zum Zeitpunkt des Interviews häufig feststellten, wieder „ganz die Alte“ oder „wie früher“ zu sein. Zudem wird von Möller (2000) empfohlen, sowohl Selbst- als auch Fremdbeurteilungen einzusetzen, um ein vollständiges Bild von der depressiven Erkrankung und ihrer Veränderung während einer Behandlung zu erhalten. Dies wurde in der vorliegenden Studie getan. So können sie Verzerrungen, die beim Einsatz nur einer Methode auftreten könnten, korrigieren helfen (Möller & von Zerssen, 1995). Wichtig sind auch die Informationen aus unterschiedlichen Perspektiven, die zwar ähnlich sind, aber nicht gleich. Möller (1990) berichtet von höheren Korrelationen zwischen Selbst- und Fremdbeurteilungen der Depressivität am Therapieende als in der Zeit der stärksten Depressivität. Methoden 82 3.2 Messinstrumente 3.2.1 Selbstbeurteilungsinstrumente 3.2.1.1 Die Befindlichkeitsskala (Bf-S) Die „Befindlichkeitsskala“ Bf-S gehört zu den Klinischen Selbsbeurteilungsskalen (KSb-S) von von Zerssen und Koeller (1976). Sie dient dazu, insbesondere momentane Beeinträchtigungen des subjektiven Wohlbefindens zu erfassen (CIPS, 1996). Dazu kann sie auch in kürzeren Zeitabständen ausgefüllt werden. Die Befindlichkeitsskala besteht aus 28 Paaren gegensätzlicher Adjektive, die das Befinden des Probanden beschreiben. Jedes Item ist dreistufig aufgebaut, und der Patient soll entscheiden, wie er sich im Augenblick am ehesten fühlt, z. B. frisch oder matt, verlassen oder umsorgt, minderwertig oder vollwertig sowie beweglich oder starr. Für das Ankreuzen des positiven Pols des Eigenschaftspaares werden bei der Auswertung 0 Punkte berechnet, für die „weder-noch“-Antwort 1 Punkt und für die Wahl des negativen Pols 2 Punkte. Die gewichteten Items werden zu einem Rohwert addiert, der die Beeinträchtigung des subjektiven Befindens angibt. Normwerte wurden ermittelt. Die Paralleltest-Reliabilität lag zwischen 0,86 und 0,95 (CIPS, 1996). Es erscheint insofern nicht sinnvoll, die Retest-Reliabilität zu bestimmen, da mit den Befindlichkeitsskalen kein besonders konstanter Wesenszug erfasst werden soll. Daher variiert die Retest-Reliabilität stark von Untersuchung zu Untersuchung (o. c.). In Bezug auf die Validität lag z. B. die Korrelation mit der klinischen Einschätzung der Depressivität bei 0,85, die Korrelation mit der globalen Einschätzung der Verstimmung von depressiven Patienten bei 0,90 (CIPS, 1996). Die Korrelationen mit Maßen der Intelligenz waren sehr niedrig (von Zerssen & Koeller, 1976). Eine Faktorenanalyse zeigte eine EinFaktoren-Lösung mit 52 % Varianzaufklärung (o. c.). Diese Befunde werden als Belege der Validität der BF-S angesehen (o. c.). 3.2.1.2 Die Symptom-Checkliste (SCL-90-R) Die „Symptom-Checkliste“ SCL-90-R im Original von Derogatis (1977) und in der deutschen Version von Franke (1995) dient zur Selbstbeschreibung von klinischen und nicht-klinischen Personen hinsichtlich verschiedener möglicherweise belastender Symptome. Das Instrument umfasst neun Skalen zu je zehn Items. Von diesen neun Skalen sind fünf in erster Linie neurotischer Natur. Die neun Skalen umfassen Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität bzw. Feindseligkeit, Phobische Angst, Paranoides Denken und Psychotizismus. Jedes Item wird auf fünf Stufen von „überhaupt nicht“ bis „sehr stark“ für den Zeitraum der letzten sieben Tage eingeschätzt. Methoden 83 Beispielsweise sollen die Probanden einschätzen, wie sehr sie in dieser Zeit unter Kreuzschmerzen oder Nervosität bzw. innerem Zittern litten. Für alle Skalen können Mittelwerte gebildet werden, ein Gesamtindex, und ipsatierte Skalenwerte, bei denen jede Skala auf den Gesamtindex hin relativiert wird (für die Analyse der intraindividuellen Verteilung der Symptome). Die SCL-90-R wird zur psychopathologischen Diagnostik eingesetzt. Das Instrument eignet sich darüber hinaus dafür, intraindividuelle Veränderungen über die Zeit festzustellen. Derart kann zum Beispiel die Wirksamkeit von psychotherapeutischen oder psychopharmakologischen Interventionen analysiert werden (CIPS, 1986, 1996). Die internen Konsistenzen (Cronbachs Alpha) der neun Faktoren variieren in verschiedenen Untersuchungen zwischen 0,51 und 0,89 (CIPS, 1996; Essau, Groen, Conradt, Turbanisch & Petermann, 2001). Franke (1992) fand befriedigende Werte für die Interkorrelationen der Einzelskalen und schloss hieraus auf weitgehende Unabhängigkeit der Faktoren der SCL-90-R. Rief und Fichter (1992) konnten die ursprüngliche Faktorenstruktur nicht bestätigen, sondern fanden mittels Faktorenanalyse neun etwas andere Faktoren, die zu einer 7 % besseren Klassifizierungsrate bei einer Diskriminanzanalyse führten. Steer, Clark und Ranieri (1994) dagegen fanden in zwei Hauptkomponentenanalysen insgesamt fünf Faktoren, Carpenter und Hittner (1995) fanden vier Faktoren bei Frauen und sieben bei Männern (und jeweils einen Hauptfaktor), Bonynge (1993) berichtet von einem Generalfaktor, der 66 bis 70 % der gesamten Varianz aufklärte (je nach untersuchter Stichprobe). In einigen anderen Untersuchungen wurde ebenfalls ein Generalfaktor gefunden (Hessel, Schumacher, Geyer & Brähler, 2001; Rauter, Leonard & Swett, 1996; Schmitz, Hartkamp, Kiuse, Franke, Reister & Tress, 2000; Vassend & Skrondal, 1999). 3.2.1.3 Das Beck-Depressionsinventar (BDI) Einer der etabliertesten und am häufigsten verwendeten Fragebögen zur syndromalen Depressionsdiagnostik ist das „Beck-Depressionsinventar“ (BDI) (Beck, Ward, Mendelson, Mock & Erbaugh, 1961). Das Beck-Depressionsinventar (BDI) in der deutschen Fassung von Hautzinger, Bailer, Worall und Keller (1992) wird bei Erwachsenen eingesetzt zur Erfassung 21 depressiver Symptome mit einem Schwerpunkt auf kognitiven Symptomen. Dazu gehören z. B. traurige Stimmung, Pessimismus, Versagen, Schuldgefühle, Suizidimpulse, sozialer Rückzug, Schlafstörungen und Appetitverlust. Die Probanden selbst beurteilen die Stärke ihrer depressiven Stimmung während der letzten Woche bezüglich jedes dieser Symptome auf einer vierstufigen Skala (mit Werten von 0 bis 3), die in Form von Selbstaussagen formuliert ist (Hautzinger, 1991a). Je höher der Skalenwert ist, desto stärker depressiv ist die Stimmung. Methoden 84 Das Beck-Depressionsinventar wurde entwickelt für psychiatrische Patienten, wird aber heute auch im sozialpsychologischen Bereich angewendet. Der Gesamtwert für die Schwere der Depression ergibt sich durch Addition der Werte der vom Probanden angegebenen Skalenstufen. Bei 0 bis 11 Punkten wird keine Depression angenommen, bei mehr als 11 Punkten leichte Depression und ab 27 Punkten schwere Depression. Es können maximal 63 Punkte erreicht werden (vgl. Beck, Rush, Shaw & Emery, 1994; Hautzinger, 1991a). Das Beck-Depressionsinventar (BDI) liegt in mehreren deutschen Übersetzungen und Kurzfassungen vor (z. B. Kammer, 1983), die nicht alle in der gleichen Weise psychometrisch evaluiert sind (Richter, 1991). Die Vorteile des BDI liegen in der hohen internen Konsistenz (bei Kammer (1983) 0,82 für die deutsche Version, im Vergleich zu 0,93 für das amerikanische Original), der hohen Inhaltsvalidität und der differentiellen Validität bei der Trennung depressiver und nichtdepressiver Probanden sowie in der Änderungssensitivität und der internationalen Verbreitung (vgl. Richter, Werner, Heerlein, Kraus & Sauer, 1998). Hautzinger (1991a) berichtet von Korrelationen mit anderen Messinstrumenten von 0,72 und 0,74 sowie Korrelationen mit der Fremdbeurteilung von 0,34 und 0,37. So fanden z. B. auch Schotte, Maes, Cluydts, De Doncker und Cosyns (1997) eine Korrelation zwischen dem BDI und der Hamilton-Depressionsskala (vgl. Kap. 3.2.2.6) von 0,36. Die Übereinstimmung mit der Hamilton-Depressionsskala war in einer Untersuchung von Bailey und Coppen (1976) nur bei zwei Dritteln der untersuchten Patienten vorhanden, d. h. die beiden Instrumente sind nicht austauschbar. Zudem erwiesen sich die Werte als weitgehend unabhängig von Geschlecht und Alter (Bouman & Kok, 1987; Hautzinger, 1991a; Keller & Kempf, 1993). Die interne Konsistenz des BDI liegt über verschiedene psychiatrische Stichproben im Mittel bei Cronbachs Alpha von 0,88, die Werte in verschiedenen Studien schwanken zwischen 0,79 und 0,94 (Keller, Hoffmann & Weithmann, 2002; Richter, Werner & Bastine, 1994). Das BDI kann somit als relativ hoch konsistent gelten. Die Retest-Reliabilität des BDI scheint nicht hoch zu sein, da deutliche Veränderungen der Gesamtwerte auch nach kurzen Zeiträumen beobachtet werden konnten. Dies kann jedoch auch im Sinne von Änderungssensitivität interpretiert werden (o. c.). Problematisch am BDI sind die hohen Itemschwierigkeiten, die angesichts unzureichender Normierung fragliche Interpretationsobjektivität, die umstrittene faktorielle Validität, die Instabilität der Messwerte bei kurzen Zeitabständen und die geringe diskriminative Validität in Abgrenzung der verwandten Konstrukte wie Angst und Depression (Richter et al., 1998). Bei der Interpretation von Untersuchungsbefunden mit dem Beck-Depressions-inventar sollte berücksichtigt werden, dass die Werte beeinflusst werden von unangepassten Persönlichkeitsmerkmalen (vgl. Svanborg & Åsberg, 2001). Insgesamt sprechen die meisten Ergebnisse für eine einfaktorielle Struktur des BeckDepressionsinventars (Richter et al., 1994; Steinmeyer, 1993; Welch, Hall & Walkey, 1990). Widersprechende Ergebnisse fand Kammer (1983), nämlich vier Faktoren, die als „Schuldgefühle“, „Selbstbestrafung“, „somatische Störungen“ und „allgemeine Traurigkeit“ Methoden 85 interpretiert wurden. Auch Bennett, Ambrosini, Bianchi, Barnett, Metz et al. (1997) berichten von vier Faktoren. Schotte et al. (1997) fanden eine sinnvolle Zwei- und DreiFaktoren-Lösung. Die Rasch-Analyse des BDI durch Bouman und Kok (1987) erbrachte drei unidimensionale Subskalen (Stimmung und Hemmung, Schuld und Scheitern, somatische Symptome). Auch Campbell, Finch und Burgess (1984) fanden drei Faktoren (negative Einstellung sich selbst gegenüber, physiologische Symptome und Traurigkeit). Killgore (1999) dagegen fand zwei Faktoren, ebenso Dunkel, Fröhlich, Antretter und Haring (2002), Endler, Rutherford und Denisoff (1999), Helm und Boward (2003) sowie Steer, Ball, Ranieri und Beck (1999). Die beiden Faktoren wurden interpretiert als ein v. a. somatischer Faktor und ein kognitiver, wobei Steer et al. (1999) einen somatisch-affektiven Faktor sehen, Endler et al. (1999) jedoch einen kognitiv-affektiven. Die Eignung des Beck-Depressionsinventars für die Therapieevaluation erschien bei Richter, Heerlein, Kick und Sauer (1993) eingeschränkt, da wahrscheinlich durch den Messvorgang bei kurzen Messabständen Verzerrungen entstehen. Daher werden Messabstände von mehreren Wochen empfohlen (o. c.). Diese Einschränkung wird unterstützt von den Ergebnissen von Ahava, Iannone, Grebstein und Schirling (1998), die eine 40-prozentige Reduktion der BDI-Werte bei Messwiederholung fanden, die nicht auf eine Behandlung der Patienten zurückzuführen war und daher als Messfehler interpretiert wurde. 3.2.1.4 Das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) Das „NEO Fünf-Faktoren-Inventar“ NEO-FFI ist eine Übersetzung des „NEO Five-FactorInventory“ von Costa und McCrae (1992b) durch Borkenau und Ostendorf (1993). Die fünf mit diesem Fragebogen erfassten Merkmalsbereiche sind Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit (engl. „Agreeableness“) und Gewissenhaftigkeit. Diese fünf Bereiche gehen auf den psycho-lexikalischen Ansatz zurück. Das NEO-FünfFaktoren-Inventar von Costa und McCrae (1992b) wurde faktorenanalytisch konstruiert. Hinsichtlich der Interpretation und Benennung der Faktoren sind sich die Forscher uneinig (Borkenau & Ostendorf, 1993). Begründet wird dieser Umstand mit der hohen Abstraktheit der Faktoren. Je nachdem, welche Einzelfacetten eines Faktors man akzentuiert, resultiert eine andere Benennung und Interpretation. Borkenau und Ostendorf (o. c.) halten die Differenzen jedoch nur bei ihrem Faktor „Offenheit für Erfahrung“ für nennenswert. Hier bevorzugen andere Forscher die Interpretation als „Intellekt“ oder „Culture“. Costa und McCrae (1992a) schließen aus der Befundlage, dass die Skalen des NEO-PI bei klinischen und nicht-klinischen Stichproben reliabel und valide sind. Das NEO-FFI besteht als Kurzform des NEO-PI aus 60 Aussagen, 12 zu jeder Persönlichkeitsdimension. Diese Version wurde in der vorliegenden Arbeit verwendet. Die Neurotizismus-Skala des NEO-FFI erfasst nach Borkenau und Ostendorf (1993) Methoden 86 individuelle Differenzen in der emotionalen Stabilität und der emotionalen Labilität. Zentral dabei ist, wie v. a. negative Emotionen erlebt werden. Personen mit einem hohen Neurotizismus-Wert tendieren dazu, nervös, ängstlich, traurig, unsicher und verlegen und besorgt zu sein. Menschen, die hohe Extraversions-Werte im NEO-FFI erreichen, zeichnen sich aus durch Geselligkeit, Selbstsicherheit, Aktivität, Gesprächigkeit, energisches Verhalten, Heiterkeit und Optimismus. Außerdem mögen diese Personen Aufregungen und Anregungen (Borkenau & Ostendorf, 1993). Die Skala „Offenheit für Erfahrung“ erfasst das Interesse an neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken, und in welchem Ausmaß diese auch tatsächlich gesucht werden. Personen mit hohen Offenheits-Werten schätzen neue Erfahrungen, bevorzugen Abwechslung, sind wissbegierig, intellektuell, kreativ, phantasievoll, experimentierfreudig und unabhängig in ihrem Urteil. Außerdem haben sie vielfältige kulturelle Interessen und verhalten sich oft unkonventionell (o. c.). Die Skala für „Verträglichkeit“ erfasst wie die Extraversions-Skala soziale Verhaltensaspekte. Probanden mit hohen Verträglichkeitswerten werden als altruistisch beschrieben, zudem als mitfühlend, verständnisvoll und wohlwollend. Sie sollen zu zwischenmenschlichem Vertrauen neigen, zu Kooperativität und zu Nachgiebigkeit. Ein weiteres Kennzeichen ist laut Borkenau und Ostendorf (1993) das starke Harmoniebedürfnis dieser Menschen. Die fünfte Skala des NEO-FFI schließlich, die „Gewissenhaftigkeit“ heißt, basiert auf einer Art der Selbstkontrolle, die den aktiven Prozess der Planung, Organisation und Durchführung von Aufgaben beinhaltet. Versuchspersonen mit hohen Werten auf dieser Skala werden als ordentlich, zuverlässig, hart arbeitend, diszipliniert, pünktlich, penibel, ehrgeizig und systematisch charakterisiert (o. c.). Analysen der NEO-FFI-Items erbrachten gemäß Borkenau und Ostendorf (1993) hohe interne Konsistenzen. Im Mittel betrugen sie 0,78, bei Borkenau & Ostendorf (1990) zwischen 0,71 und 0,85. Yoshimura, Nakamura, Nathan, Suzuki und Ono (2001) fanden interne Konsistenzen zwischen 0,60 und 0,70 und nur geringe Korrelationen der Skalen untereinander und mit dem Alter, bei Roth (2002) betrugen die internen Konsistenzen der Skalen zwischen Cronbachs Alpha von 0,79 und 0,82. Borkenau und Ostendorf (1990) fanden Korrelationen der Skalen untereinander zwischen 0,05 und −0,33. Die Interkorrelationen der Skalen dieses Fragebogens waren zwar überwiegend statistisch signifikant (p=0,05), aber sie waren deutlich kleiner als die internen Konsistenzen. Die Retest-Reliabilität untersuchten Borkenau und Ostendorf (1993) mit einer Teilstichprobe und fanden dabei Korrelationen zwischen 0,65 und 0,81 für die fünf Skalen des NEO-FFI. Das bedeutet, dass das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar hauptsächlich individuelle Ausprägungen in überdauernden Persönlichkeitseigenschaften − und weniger zeitlich variable Phänomene − erfasst. Satterwhite, Williams und Fogle (1999) fanden heraus, dass es interindividuelle Unterschiede darin gibt, wie stark die Ausprägungen einer Methoden 87 Person im Laufe der Zeit im NEO-FFI schwanken − bei manchen sind nur geringe Schwankungen zu beobachten, bei anderen stärkere, d. h. manche Personen sind variabler als andere. Zur Ermittlung der Konstruktvalidität schätzten sich die Probanden auf einer siebenstufigen Adjektiv-Skala selbst ein und wurden von Bekannten auf den gleichen Skalen beurteilt. Dabei zeigte sich, dass die konvergenten Validitäten stets höher waren als die diskriminanten Validitäten. Die höchste Korrelation betrug 0,45, und auch die übrigen Korrelationen waren nicht sehr hoch (Borkenau & Ostendorf, 1993). Die Struktur des Fragebogens mit fünf Faktoren wird teilweise angezweifelt. Körner, Geyer und Brähler (2002) fanden die faktorenanalytische Stabilität der Skalen problematisch. Tokar, Snell, Harik-Williams und Fischer (1999) fanden mittels Faktorenanalyse ein Sechs-Faktoren-Modell am geeignetesten zur Beschreibung der Daten, ein Ergebnis, das von Rolland, Stumpf und Parker (1998) an einer französischen Stichprobe nicht bestätigt werden konnte. Schmitz, Hartkamp, Baldini, Rollnik und Tress (2001) konnten das Fünf-Faktoren-Modell ebenfalls nicht replizieren. Egan, Deary und Austin (2000) fanden nur für die Faktoren des Neurotizismus, der Verträglichkeit und der Gewissenhaftigkeit eine ausreichende Stabilität und Konsistenz; Extraversion und Offenheit konnten als Faktoren eines Fünf-Faktoren-Modells von den Autoren nicht bestätigt werden. Dagegen fanden Ramanaiah, Rielage und Cheng (2002) eine Bestätigung für die fünf Faktoren durch eine Faktorenanalyse der Items des NEO-FFI und eines anderen Temperaments- und Persönlichkeitsfragebogens. Die Validität des NEO-FFI scheint gefährdet durch den Effekt möglicher Selbstdarstellungstendenzen der Probanden, was Topping und O'Gorman (1997) bei der Langversion (NEO-PI-R) herausfanden, mit Ausnahme des Faktors der Verträglichkeit. Bradshaw (1997) fand jedoch nur geringe Effekte des Vortäuschens, auch hinsichtlich der Gesamt-Persönlichkeits-Profile. 3.2.1.5 Der Temperamentsfragebogen TEMPS-A Temperamente wurden untersucht mittels des Fragebogens „TEMPS-A“ („Temperament Evaluation of Memphis, Pisa, Paris and San Diego − Autoquestionnaire Version“; Brieger, Roettig, Ehrt, Wenzel, Blöink et al., 2003). Dieser wurde hervorgehend aus einem halbstrukturierten Interview zum Temperament von Akiskal und Mitarbeitern entwickelt (z. B. Akiskal, Placidi, Maremmani, Signoretta, Liguori et al., 1998; Placidi et al., 1998). Der Fragebogen wurde mittlerweile ins Deutsche übertragen (Akiskal, Brieger, Mundt, Angst & Marneros, 2002; Akiskal, Mundt, Maier & Angst, 2000) und an einer Stichprobe von Studenten evaluiert (Blöink, Brieger, Akiskal & Marneros, in Druck). Der Fragebogen umfasst 110 Items, eines davon nur für Frauen. Die Items enthalten Aussagen über sich selbst, auf die der Patient mit „trifft zu“ oder „trifft nicht zu“ reagieren kann. Die Items Methoden 88 werden zu fünf Skalen, d. h. fünf Temperamenten, zusammengefasst: diese sind das depressive, das zyklothyme, das hyperthyme, das reizbare und das ängstliche Temperament. Zum depressiven Temperament gehört beispielsweise das Item „Ich scheine nicht so viel Kraft und Energie zu haben wie andere Menschen“. Zur Skala des zyklothymen Temperamentes zählt z. B. „Meine Fähigkeit zu denken schwankt oft ohne ersichtlichen Grund zwischen sehr scharf und ganz dumpf“. Dem hyperthymen Temperament wird zugeordnet: „Ich bin jemand, der denkt, dass am Ende alles doch gut ausgehen wird“. Zum reizbaren Temperament gehört z. B. die Aussage: „Ich bin von Natur aus ein unzufriedener Mensch“. Zum ängstlichen Temperament zählt beispielsweise der Satz „Viele Leute haben mir gesagt, mich weniger zu sorgen“. Akiskal (2001) berichtet von hoher interner Konsistenz des TEMPS-A, mit Werten von Cronbachs Alpha über 0,80. Blöink et al. (in Druck) fanden Werte für Cronbachs Alpha zwischen 0,63 und 0,76. Die Temperamentsskalen wiesen signifikante Zusammenhänge auf. Insbesondere das depressive und das ängstliche Temperament hingen stark (positiv) zusammen (Blöink et al., in Druck). Zudem fanden sich Geschlechtsunterschiede im TEMPS-A. Frauen wiesen signifikant höhere Werte beim depressiven und ängstlichen Temperament, aber niedrigere Werte im hyperthymen Temperament auf (o. c.). Zur externen Validierung wurde der TEMPS-A von Blöink et al. (in Druck) mit dem NEO-FFI in Beziehung gesetzt. Dabei konnte die Varianz jedes der Temperamente des TEMPS-A ungefähr zur Hälfte vom NEO-FFI erklärt werden. Blöink et al. (in Druck) bewerten die Validität des TEMPS-A als gut. 3.2.1.6 Das Typus-Melancholicus-Persönlichkeitsinventar (TMPI) Das „Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar“ TMPI (Kronmüller et al., in Druck) ist ein Fragebogen, der Merkmale des Typus Melancholicus erfasst, wie sie von Tellenbach (1961, 1983) und Kraus (1977, 1996) beschrieben wurden. Demnach ist die prämorbide Persönlichkeit depressiver Patienten charakterisiert durch Ordentlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Fleiß (Tellenbach 1961) (vgl. auch Kap. 2.2.3). Dieses Konzept wurde von Kraus (1977) um die Merkmale der Ambiguitätsintoleranz und interpersonale Aspekte dependenten Verhaltens erweitert (Stanghellini & Mundt, 1997) (vgl. Anhang: TMPI). Das TMPI wurde entwickelt aus der „F-Skala“ von von Zerssen (1969), der „KasaharaSkala“ (Kasahara, 1984), der „Depression-Related-Personality-Trait-Scale“ DRP (Fukunishi, Hattori, Hattori, Imai, Miyake et al., 1992; Yoshimatsu, Miguchi, Miyake, Ozaki, Minagawa et al., 1989) und der „Ambiguitätstoleranz-Skala“ AT-14 (Kischkel, 1984). Die Kasahara-Skala erfasst mit Hilfe von 15 Items den Typus Melancholicus. Sie wurde aus dem Japanischen ins Deutsche übertragen (Kronmüller et al., in Druck). Die Depression-Related-Personality-Trait-Scale DRP ist eine aus dem Japanischen übersetzte Methoden 89 Skala zur Erfassung des Typus Melancholicus (Fukunishi et al., 1992; Yoshimatsu et al., 1989). Die Ambiguitätstoleranz-Skala AT-14 wurde zwar nicht speziell zur Diagnostik des Typus Melancholicus entwickelt, erfasst aber einen von Kraus (1977) weiter ausgearbeiteten Aspekt des Typus Melancholicus, die Ambiguitätsintoleranz. Bei 200 affektiv erkrankten Patienten in stationärer psychiatrischer Behandlung und 64 Kontrollpersonen wurden diese Fragebögen eingesetzt, um das TMPI faktorenanalytisch zu konstruieren. Basierend auf den Itemkennwerten wurden die Items der vier alten Fragebögen auf 26 Items reduziert. Es wurde eine Vier-Faktoren-Lösung als optimale Repräsentation der Daten ausgewählt. Mit diesen vier Faktoren konnten 45 % der Varianz aufgeklärt werden. Die vier Faktoren klärten dabei annäherend gleich große Varianzanteile auf. Inhaltlich ließen sich die ermittelten Faktoren beschreiben als Dependenz, Ambiguitätsintoleranz, Hypernomie und Perfektionismus. Diese vier Skalen wiesen zufriedenstellende bis gute Kennwerte für die Trennschärfe, die Itemschwierigkeit und die interne Konsistenz auf. Cronbachs Alpha lag für den Gesamtwert, in den alle 26 Items eingingen, bei 0,81 und für die vier Subskalen zwischen 0,72 und 0,77. Die Interkorrelationen der Skalen waren niedrig und nicht signifikant mit Ausnahme der Korrelationen zum Perfektionismus, der mittelhoch mit den anderen Dimensionen zusammenhing. Die vier Skalen korrelierten zwischen 0,04 und 0,90 mit den alten Fragebögen für Typus Melancholicus, überwiegend über 0,30 und signifikant (vgl. Kronmüller et al., in Druck). Zur Validierung wurde das TMPI mit dem Fünf-Faktoren-Modell in Beziehung gesetzt. Zwischen dem Gesamtwert des TMPI und der Gewissenhaftigkeit ergab sich eine signifikante Korrelation und eine mittlere Korrelation zu Neurotizismus und Offenheit des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars NEO-FFI (vgl. Kap. 3.2.1.4). Eine negative Korrelation fand sich zu Aggressivität. Die Dependenz des TMPI war charakterisiert durch eine hohe Korrelation mit dem Neurotizismus des NEO-FFI, eine niedrigere Korrelation mit der Gewissenhaftigkeit und der Offenheit. Die Ambiguitätsintoleranz zeigte die niedrigsten Zusammenhänge zu den Merkmalen des NEO-FFI. Hypernomie war gekennzeichnet durch eine hohe Korrelation mit Gewissenhaftigkeit und durch negative Korrelationen mit Neurotizismus und Aggressivität. Perfektionismus korrelierte stark mit Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Neurotizismus. Keine der TMPI-Skalen hing stark mit Extraversion oder der Motivations-Kontrollskala des NEO-FFI zusammen (Kronmüller, Backenstrass, Kocherscheidt et al., 2002). Diese Ergebnisse belegen die konvergente und diskriminante Validität des TMPI. 3.2.1.7 Das Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI) Das Original des Fragebogens „Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar“ DPSI, das „Depressive Personality Disorder Inventory“, wurde von Huprich, Margrett, Barthelemy Methoden 90 und Fine (1996) vorgestellt. Der Fragebogen enthält 41 Items, mit denen Kognitionen, die repräsentativ für die depressive Persönlichkeitsstörung im DSM-IV sind, erfasst werden sollen. Basierend auf den Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung von Phillips et al. (1993) erfasst das Inventar die Kognitionen auf siebenstufigen Skalen (s. Anhang). Die interne Konsistenz war in einer Studie von Huprich et al. (1996) mit Cronbachs Alpha von 0,94 hoch. Huprich, Sanford und Smith (2002) berichten bei einer Stichprobe von Studenten eine interne Konsistenz von Cronbachs Alpha von 0,94, bei einer Stichprobe ambulanter psychiatrischer Patienten von 0,95. Verschiedenartige Faktorenanalysen (mit orthogonaler und obliquer Rotation) fanden übereinstimmend nur einen Faktor. Somit erhebt das Original-Inventar ein einfaktorielles, intern konsistentes Konstrukt. Zu den Items des DPSI zählen beispielsweise „Meistens bin ich schuld, wenn etwas schief geht“, „Ich bin von mir selbst enttäuscht“ und „Ich habe viel Spaß in meinem Leben“. Die Konstrukt-Validität des DPSI untersuchten Huprich et al. (1996) durch Korrelation mit einem Fragebogen zu dysfunktionalen Einstellungen und einem Fragebogen über automatische negative Gedanken (ATQ-R, Automatic Thoughts Questionnaire − Revised, von Kendall, Howard & Hays, 1989), also Messinstrumenten für depressiogene Kognitionen. Das Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar korrelierte mit beiden signifikant, zu 0,57 und 0,85. Dies kann als Hinweis auf die Konstrukt-Validität des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars bewertet werden (Huprich et al., 1996). 3.2.1.8 Das Inventar zur Erfassung Interpersonaler Probleme (IIP) Die deutsche Version des „Inventars zur Erfassung Interpersonaler Probleme“ IIP wurde von Horowitz, Strauß und Kordy (1994) entwickelt. Mit Hilfe der Selbstbeurteilungen der Probanden werden häufige Interaktionsprobleme erfasst, die als Ausdruck der Persönlichkeit verstanden werden (Horowitz, 1996). Es wird erwartet, dass das individuelle Muster von interpersonalen Problemen bei jedem relativ stabil und konsistent ist. Die Skalen heißen „zu autokratisch / dominant“, „zu streitsüchtig / konkurrierend“, „zu abweisend / kalt“, „zu introvertiert / sozial vermeidend“, „zu selbstunsicher / unterwürfig“, „zu ausnutzbar / nachgiebig“, „zu fürsorglich / freundlich“ und „zu expressiv / aufdringlich“. Theoretische Basis für das IIP ist das Zirkumplex-Modell von Leary (1957) in verschiedenen Weiterentwicklungen, z. B. von Benjamin (1974). Die Zirkumplex-Struktur wurde von Weinryb, Gustavsson, Hellström, Andersson, Broberg et al. (1996) und Brähler, Horowitz, Kordy, Schumacher und Strauß (1999) repliziert. Die interne Konsistenz war relativ hoch mit Cronbachs Alpha zwischen 0,70 und 0,85 für die verschiedenen Skalen (Weinryb et al., 1996). Die interne Konsistenz wurde von den Autoren als befriedigend angesehen (o. c.). Ähnliche Ergebnisse fanden Alden, Wiggins und Pincus (1990). Das IIP wurde u. a. validiert durch einen Vergleich mit der SCL-90-R (Derogatis, 1977). Dabei fanden sich die höchsten Korrelationen zwischen beiden Fragebögen von der Skala Methoden 91 „Unsicherheit“ der SCL-90-R und dem IIP-Gesamtwert, die niedrigste von der Skala „Somatisierung“ der SCL-90-R mit dem IIP-Gesamtwert. Brähler et al. (1999) fanden als Beleg für die Validität des IIP, dass interpersonale Schwierigkeiten mit anderen psychologischen Merkmalen zusammenhingen, aber von soziodemographischen Merkmalen (wie dem Alter und dem Geschlecht) unabhängig waren. Weinryb et al. (1996) fanden bedeutsame Zusammenhänge der schwedischen Version des IIP mit anderen Selbst- und Fremdrating-Instrumenten für die Persönlichkeit. Gunzelmann, Schumacher, Strauß und Brähler (2000) fanden in einer Stichprobe von Menschen über 60 Jahren, dass das IIP auch für diese Personengruppe geeignet ist und keine altersspezifischen oder geschlechtsspezifischen Effekte auftraten. Allerdings beschrieben sich ältere Personen aus Ostdeutschland als sozial offener, näher zu anderen Menschen und sozial kompetenter als solche aus Westdeutschland. Bei Schauenburg, Pekrun und Leibing (1995) differenzierte das IIP bei depressiven Patienten und in einer Kontrollgruppe eher soziotrope und eher autonome Personen. 3.2.2 Fremdbeurteilungsinstrumente 3.2.2.1 Das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse I (SKID-I) Das „Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse I“ SKID-I (Wittchen, Wunderlich, Gruschwitz & Zaudig, 1997; Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997) dient der Erfassung und Diagnostik ausgewählter psychischer Syndrome und Störungen, wie sie im Diagnostischen und Statistischen Manual für Psychische Störungen (DSM-IV; APA 1994) auf der Achse I definiert werden. Dazu gehören z. B. affektive Störungen, Angst und Zwang, Substanzmissbrauch und -abhängigkeit. Martin, Pollock, Bukstein und Lynch (2000) fanden für die Alkohol- und Substanzabhängigkeit im SKID-I eine hohe Interraterreliabilität auf Symptom-Ebene (Kappa von 0,84 bis 1,0) und auf Diagnose-Ebene (Kappa von 0,82 bis 1,0). Ventura, Liberman, Green, Shaner und Mintz (1998) fanden hohe Interraterreliabilitäten (Kappa von 0,85 insgesamt, Einzelwerte zwischen 0,71 und 0,97). Zanarini, Skodol, Bender, Dolan, Sanislow et al. (2000) berichten ebenfalls von befriedigenden bis guten Werten für die Interrater-Übereinstimmung, zudem befriedigende bis gute Werte für die Test-RetestReliabilität mit Ausnahme für die Dysthymie (Kappa von 0,35). Hippin (2001) fand Interrater-Reliabilitäten für die verschiedenen Diagnosen des SKID-I für DSM-IV zwischen Kappa von 0,30 und 1,00. Bei den affektiven Störungen lagen die Werte zwischen 0,59 und 1,00 (o. c.). Zur aktuellen Version des SKID-I für DSM-IV liegen noch nicht viele Studien zur Prüfung der Reliabilität vor. Für die vorherige Version, das DSM-III-R, fanden beispielsweise Skre, Onstad, Torgersen und Kringlen (1991) Interrater-Übereinstimmungen Methoden 92 zwischen 0,96 und −0,03 (letzteres für somatoforme Störungen). Überwiegend waren die Übereinstimmungen als gut bis sehr gut zu beurteilen (vgl. Landis & Koch, 1977). Validierungsstudien für das SKID-I, auch für ältere Versionen, finden sich in der Literatur selten. Kranzler, Farmington, Kadden, Babor und Tennen (1996) stellten fest, dass die Validität bei Abhängigkeitserkrankungen gut war, mittel bei affektiven Störungen und gering bei Angststörungen (untersucht an Patienten mit Substanzmissbrauch). Allerdings wurde das SKID-I häufig als Kriterium zur Validierung anderer Messinstrumente verwendet und die Übereinstimmung in den Diagnosen, die mit diesen Messinstrumenten und dem SKID-I erhalten wurden, überprüft. So fanden beispielsweise Solomon, Benbenishty, Neria, Abramowitz, Ginzburg et al. (1993) eine Übereinstimmung hinsichtlich der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zwischen dem SKID-I und einem Fragebogen dafür von 85 %. Bei Foa, Cashman, Jaycox und Perry (1997) zeigte sich ebenfalls eine hohe diagnostische Übereinstimmung zwischen dem SKID-I und einem Selbstbeurteilungsinstrument für die posttraumatische Belastungsstörung. Sato, Uehara, Sakado, Sato, Nishioka et al. (1996) fanden zwischen dem SKID-I und dem „Inventory to Diagnose Depression“ eine Übereinstimmung hinsichtlich der Diagnose einer Depression von Kappa von 0,75 und 0,68 (bei einem anderen Messzeitpunkt). Der Vergleich mit einem computergestützten Expertensystem erbrachte bei First, Opler, Hamilton, Linder, Linfield et al. (1993) Übereinstimmungen von Kappa von 0,80 bei Schizophrenie, 0,83 bei Depression und zwischen 0,08 und 1,0 bei den übrigen Störungen. Saile, Weiland-Heil und Schwenkmezger (2000) fanden gute Übereinstimmungen der Diagnosen basierend auf dem SKID-I und einem klinischem Erstgespräch für Angst-, Ess- und somatoforme Störungen, allerdings geringere für affektive Störungen. Freedland, Skala, Carney, Raczynski, Taylor et al. (2002) zeigten, dass ein Depressions-Interview und das SKID-I für DSM-IV in 88 % der Fälle dieselbe Diagnose erbrachten. Kelly und Mann (1996) fanden ein Kappa von 0,85 beim Vergleich der Diagnosen von Klinikern und dem SKID-I. Sheehan, Lecrubier, Harnett Sheehan, Janavs, Weiller et al. (1997) fanden Übereinstimmungen mit einem anderen klinischen Interview von Kappa zwischen 0,43 und 0,90. Überwiegend geringe Übereinstimmungen dagegen wurden von Ross, Swinson, Larkin und Doumani (1994) zwischen dem SKID-I für DSM-III-R und einem computerunterstützten DiagnoseVerfahren festgestellt. 3.2.2.2 Die „Clinical Global Impressions“ (CGI) Die „Clinical Global Impressions“ CGI stellen ein weit verbreitetes klinisches Rating zur Schweregradbeurteilung psychiatrischer Störungen dar (CIPS, 1986). Die Skala dient der Nutzen-Risiko-Abwägung bei der medikamentösen Behandlung psychischer Krankheiten. Dieses Kriterium ist leicht zu erheben und wurde in vielen Studien eingesetzt. Die Originalversion der Clinical-Global-Impressions wurde vom National Institute of Mental Methoden 93 Health (1970) entwickelt. In der neueren Version der CGI, die in der vorliegenden Arbeit verwendet wurde, wird anders als bei der ersten unterschieden zwischen einer GesamtÄnderung und einer Änderung, die der Wirkung des gegebenen Medikamentes zugeschrieben wird. Die CGI-Skala besteht aus insgesamt drei Items: Schweregrad der Erkrankung, Gesamtbeurteilung der Zustandsänderung und therapeutische Wirksamkeit. Die ersten beiden Items enthalten je 7 Antwortkategorien und eine Rubrik „nicht beurteilbar“. Beim ersten CGI-Item soll der klinische Gesamteindruck des Patienten von „Patient ist überhaupt nicht krank“ bis „Patient gehört zu den extrem schwer Kranken“ eingeschätzt werden. Hier soll die einschätzende Person für die Schweregrade ihre gesamte Erfahrung mit der betreffenden Patientengruppe (in der vorliegenden Untersuchung also depressiven Patienten) zugrundelegen (vgl. CIPS, 1986, 1996). Beim zweiten CGI-Item wird die Verbesserung des Zustandes von dem Zeitpunkt der Aufnahme bis zur Entlassung aus der Klinik von „Zustand ist sehr viel besser“ bis „Zustand ist sehr viel schlechter“ eingeschätzt. Das dritte Item ermöglicht die Ermittlung eines „Wirksamkeits-Indexes“, der die Beeinträchtigung des therapeutischen Effekts der medikamentösen Behandlung durch das Auftreten der Nebenwirkungen angibt. Jedes Item wird getrennt ausgewertet. Es gibt keinen Gesamtwert. Bei einer Erstbewertung des Patienten wird nur der Schweregrad der Krankheit eingeschätzt, nicht die Zustandsänderung und die therapeutische Wirksamkeit. Angaben zu Gütekriterien fehlten für die CGI zunächst. Die Augenscheinvalidität ist hoch (CIPS, 1996). Untersuchungen zu den Gütekriterien ergaben höchstens mittlere Interrater-Reliabilitäten zwischen zwei Ratern (o. c.). Die Validität wurde bei Demenzkranken überprüft: die Einschätzung des Schweregrades hing mittel bis hoch zusammen mit anderen Kriterien (z. B. des DSM-III-R), die Zustandsänderung in deutlich geringerem Ausmaß (o. c.). Normen liegen nicht vor (CIPS, 1996). Beneke und Rasmus (1992) kritisieren an der CGI, dass sie möglicherweise zu inkonsistenten Beurteilungen verleiten kann, redundante Informationen enthält und ihre Items nicht normalverteilt sind. 3.2.2.3 Die Skala zur Globalen Erfassung des Funkionsniveaus (GAF) Auf der Achse V des DSM-IV (APA, 1994; Saß et al., 1998) wird das allgemeine Funktionsniveau des Patienten mit Hilfe der „Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus“ GAF erhoben. Diese Informationen können dazu verwendet werden, eine Therapie zu planen, ihre Wirksamkeit zu überprüfen und eine Prognose zu erstellen (Saß et al., 1998). Auf der GAF-Skala werden nur die psychischen, sozialen und beruflichen Funktionen beurteilt. Funktionsbeeinträchtigungen, die auf körperliche oder umgebungsbedingte Einschränkungen zurückgehen, sollen nicht eingeschätzt werden. Der GAF-Wert liegt zwischen 1 und 100 (0 bedeutet unzureichende Informationen), und er kann sich auf den momentanen Zustand beziehen oder das höchste oder niedrigste Methoden 94 Funktionsniveau in einem bestimmten Zeitraum angeben. Ein Wert zwischen 100 und 91 wird beispielsweise folgendermaßen definiert: „hervorragende Leistungsfähigkeit in einem breiten Spektrum von Aktivitäten; Schwierigkeiten im Leben scheinen nie außer Kontrolle zu geraten; wird von anderen wegen einer Vielzahl positiver Qualitäten geschätzt; keine Symptome“. Hippin (2001) fand eine Interrater-Reliabilität für die GAF-Skala des DSM-IV von 0,45 (Intraklassenkorrelation), was als mäßig befriedigend bewertet wurde. Hilsenroth, Ackerman, Blagys, Baumann, Baity et al. (2000) fanden eine hohe Interrater-Reliabilität (Intraklassenkorrelation von 0,86). Gemäß Lange und Heuft (2002) war die Reliabilität hoch, wenn die Einschätzung in Interviews oder anhand von Videoaufnahmen durchgeführt wurde, und wenn die Rater trainiert waren. Zudem wurden Hinweise für Veränderungssensitivität der GAF-Skala gefunden (Junkert-Tress, Tress, Scheibe, Hartkamp, Maus et al., 1999). Die GAF-Skala hing stärker mit dem sozialen Funktionsniveau der SOFAS-Skala und dem Beziehungs-Funktionsniveau der GARF-Skala zusammen als diese beiden untereinander (vgl. Kap. 3.2.2.4 und 3.2.2.5). Zudem korrelierte die GAF-Skala in dieser Studie (o. c.) signifikant mit dem globalen Schwere-Wert der Patienten in der SCL-90-R. Dies wird als Hinweis auf die Validität der GAF-Skala bewertet (o. c.). Dagegen fanden Wetterling, Junghanns und Dilling (1998) keinen Zusammenhang zwischen der GAF-Skala und dem Gesamtwert der SCL-90-R. Außerdem fand sich eine signifikante Korrelation (der GAF-Skala des DSM-III-R) mit der „WHO-DisabilityDiagnostic-Scale“ (Siebel, Michels, Hoff, Schaub, Droste et al., 1997) (zu 0,64). Zudem korrelierte die GAF-Skala hoch mit Symptomen (bei Schizophrenie) und sozialem Verhalten (Startup, Jackson & Bendix, 2002). Die GAF-Werte hingen jedoch nur gering mit dem psychologischen, sozialen und beruflichen Funktionieren ein Jahr später zusammen (Moos, McCoy & Moos, 2000). 3.2.2.4 Die Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus von Beziehungen (GARF) Mit Hilfe der „Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus von Beziehungen“ GARF („Global Assessment of Relational Functioning Scale“), die zur Achse V des DSMIV (APA, 1994; Saß et al., 1998) gehört, soll eine Gesamtbeurteilung der Funktionalität der Familie durch Experten vorgenommen werden. Die GARF-Skala erlaubt dem Untersucher das Ausmaß, in dem eine Familie oder andere Beziehung die affektiven und lebenspraktischen Bedürfnisse ihrer Mitglieder erfüllt, in den Bereichen Problemlösen, Organisation und emotionales Klima, einzuschätzen. Die psychometrische Güte der Skala ist aufgrund von Ankerpunkten und eines Ratingmanuals relativ gesichert. Sie ist analog zur Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus GAF erstellt worden (vgl. Saß et al., 1998). Methoden 95 Wie bei der GAF-Skala werden Punktwerte zwischen 1 und 100 vergeben. Punktwerte zwischen 41 und 60 beispielsweise bedeuten: „Die Beziehungseinheit hat gelegentlich Zeiten des befriedigenden und kompetenten Funktionierens miteinander, aber deutlich dysfunktionale, unbefriedigende Beziehungen überwiegen tendenziell“. Für den Bereich Problemlösen beispielsweise wird diese allgemeine Beschreibung für diesen PunktwerteBereich weiter erläutert: „Die Kommunikation wird häufig durch ungelöste, die tägliche Routine störende Konflikte behindert; es bestehen bedeutsame Schwierigkeiten hinsichtlich der Anpassung an familiäre Belastungen und vorübergehende Veränderungen“. Hilsenroth et al. (2000) fanden eine hohe Interrater-Reliabilität bei der Beurteilung mit der GARF-Skala (Intraklassenkorrelation von 0,85). Bei Rosen, McCollum, Middleton, Locke und Bird (1997) war die Interrater-Reliabilität mit 0,54 prozentualer Übereinstimmung nur mittelhoch. Die GARF-Skala hing stärker mit der GAF-Skala als mit der SOFAS zusammen. Mit der SCL-90-R und dem IIP korrelierte die GARF-Skala nicht signifikant, aber mit dem Urteil von Klinikern hinsichtlich Persönlichkeitsstörungen (o. c.). Hilsenroth et al. (2000) bewerten dies als Hinweis auf die Validität der Skala als Index für Persönlichkeitspathologie. Bei Ross und Doherty (2001) fanden sich signifikante Korrelationen der GARF-Skala mit der Schwere der Probleme der Patienten und der Zahl der Therapiesitzungen (negative Korrelationen). Zudem hing die Veränderung des GARFWertes von vor zu nach der Therapie signifikant mit der Veränderung des Funktionierens des Patienten (aus Sicht von Therapeut und Patient) zusammen (o. c.). Diese Ergebnisse wurden als Belege der Konstruktvalidität der GARF-Skala bewertet (Ross & Doherty, 2001). Außerdem konnte die GARF-Skala bei Dausch, Miklowitz und Richards (1996) zwischen Familien mit hohen und niedrigen Expressed-Emotions unterscheiden. 3.2.2.5 Die Skala zur Erfassung des Sozialen und Beruflichen Funktionsniveaus (SOFAS) Die „Skala zur Erfassung des Sozialen und Beruflichen Funktionsniveaus“ SOFAS („Social and Occupational Functioning Assessment Scale“) gehört zur Achse V des DSM-IV (APA, 1994; Saß et al., 1998). Die Beurteilung soll dabei vom Gesamtschweregrad der psychischen Erkrankung nicht direkt beeinflusst werden (Saß et al., 1998). Es wird beurteilt, inwieweit das berufliche und soziale Funktionieren des Patienten durch medizinische Krankheitsfaktoren beeinträchtig ist. Dabei werden sowohl psychisch als auch körperlich bedingte Beeinträchtigungen berücksichtigt. Auswirkungen durch begrenzte Möglichkeiten sollen nicht erfasst werden (o. c). Wie bei der GAF- und der GARF-Skala werden Punktwerte zwischen 1 und 100 vergeben. Punktwerte zwischen 41 und 50 beispielsweise bedeuten: „Ernste Beeinträchtigung der sozialen, beruflichen oder schulischen Funktionen (z. B. keine Freundschaften, kann keine Arbeitsstelle halten)“ (Saß et al., 1998). Methoden 96 Zur empirischen Anwendung der Skala liegen bislang kaum Informationen vor. Hilsenroth et al. (2000) fanden eine hohe Interrater-Reliabilität (Intraklassenkorrelation von 0,89). Die SOFAS hing stärker mit der GAF-Skala als mit der GARF-Skala zusammen. Zudem korrelierte die SOFAS in dieser Studie signifikant mit dem globalen Schwere-Wert der Patienten in der SCL-90-R und mit dem Gesamtwert des IIP. Dies wird als Hinweis auf die Validität der Skala bewertet (o. c.). Bei Hay, Katsikitis, Begg, Da Costa und Blumenfeld (2003) wies die SOFAS verglichen mit der GAF und der GARF die stärkste prädiktive Validität für die Länge des Klinikaufenthaltes und für den Zwei-Jahres-Verlauf auf. Morosini, Magliano, Brambilla, Ugolini und Pioli (2000) haben auf der Basis der SOFAS eine neue Skala entwickelt, deren Augenscheinvalidität und übrigen Gütekriterien als besser eingestuft werden als bei der SOFAS. 3.2.2.6 Die Hamilton-Depressionsskala (HAMD) Das am meisten angewendete Verfahren zur Erfassung der Schwere einer diagnostizierten Depression mit einem halbstandardisierten Interview ist die „Hamilton-Depressionsskala“ HAMD (Baumann, 1976; CIPS, 1996; Hamilton, 1967, 1980, 1986). Die HamiltonDepressionsskala (HAMD) soll die Schwere der Depression messen, und zwar in Form von Expertenratings. Die Hamilton-Depressionsskala liegt in unterschiedlichen Versionen, verschiedenen Übersetzungen und mit verschiedenen Interviews vor. In der vorliegenden Untersuchung wurde die Skala mit 21 Items verwendet, von denen 17 zur Bildung des Depressions-Wertes verwendet werden (Hamilton, 1986). Die Items befassen sich mit psychologischen und physischen Symptomen von Depression, z. B. depressiver Stimmung, Schuldgefühlen sowie psychomotorischer Agitation oder Verlangsamung (McIntosh, Santos, Hubbard & Overholzer, 1994). Einige Items werden auf einer dreistufigen Skala, andere auf einer fünfstufigen Skala eingeschätzt. Die Beurteilung erfolgt durch den Kliniker auf der Basis des Interviews mit dem Patienten und anderer erhältlicher Daten (Geiger-Kabisch & Weyerer, 1991), z. B. Informationen von Angehörigen oder dem Pflegepersonal (McIntosh et al., 1994). Gesamtwerte von bis zu 6 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala weisen auf Normalität hin, Werte von 7 bis 17 Punkten auf milde Depression, solche von 18 bis 24 auf mäßige Depression und Werte von 25 Punkten und mehr auf eine schwere Depression (Geiger-Kabisch & Weyerer, 1991). Es ist höchstens ein Gesamtwert von 67 Punkten möglich und mindestens einer von 0. Die Interrater-Reliabilität der Hamilton-Depressionsskala in der englischsprachigen Originalfassung der beschriebenen Version mit 21 Items liegt gemäß Hamilton (1986) zwischen Korrelationswerten von 0,87 und 0,95. Diese Werte sind als gut einzustufen. Ramos-Brieva und Cordero-Villafafila (1988) fanden neben einer ebenfalls sehr guten Interrater-Reliabilität bei der spanischen 17-Item-Version eine gute konkurrente Validität (Korrelation von 0,82). Hamilton (1986) empfahl die Berücksichtigung nur der ersten 17 Methoden 97 Items, da die vier letzten entweder zu selten seien, nicht die Schwere der Depression kennzeichnen oder nicht zum Krankheitsbild der Depression gehörten (Williams, 2001). In der Skala wird ein Schwerpunkt auf die somatischen Symptome der Depression gelegt. Trotz der guten bis sehr guten Interrater-Reliabilität (z. B. Bech, 1996) wurde die Hamilton-Depressionsskala kritisiert, weil z. B. für einige Items keine klaren Ankerbeispiele vorgegeben sind und keine expliziten Regeln bestehen, wie Symptomschwankungen im Beurteilungszeitraum zu berücksichtigen sind. Ein weiteres Problem stellt die ungeklärte faktorielle Struktur und niedrige interne Konsistenz der Hamilton-Depressionsskala dar (Maier, Philipp & Gerken, 1985). In Studien wurden unterschiedliche Anzahlen von meist zwei bis sechs Faktoren ermittelt (z. B. Gibbons, Kupfer & Clark, 1993; Pancheri, Picardi, Pasquini, Gaetano & Biondi, 2002). Steinmeyer und Möller (1992) rekonstruierten unter Berücksichtigung facettentheoretischer Überlegungen eine Radexstruktur mit den Facetten „Zentralität und Globalität der Symptomatik“ und „symptomatologische Aspekte“. Da sich ein Generalfaktor nicht extrahieren ließ, bezweifelten Maier et al. (1985), ob die HAMD geeignet sei zur Bestimmung der Schwere der depressiven Symptomatik. Zudem variieren einige Items nicht abhängig von der Depressionsschwere und scheinen daher ungeeignet, als Indikatoren der Depressionsschwere herangezogen zu werden (Santor & Coyne, 2001). Beim Vergleich mit der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala erwies sich die HamiltonDepressionsskala als gleich veränderungssensitiv (Hooper & Bakish, 2000). Verglichen mit dem Beck-Depressionsinventar war die Hamilton-Depressionsskala bei Edwards, Lambert, Moran, McCully, Smith et al. (1984) signifikant liberaler, also weniger streng im Anzeigen einer Besserung. 3.2.2.7 Die Montgomery-Åsberg-Depressionsskala (MADRS) Eine weitere wichtige Skala zur Depressionsbeurteilung ist die „Montgomery-ÅsbergDepressionsskala“ MADRS (Montgomery & Åsberg, 1979; deutsche Fassung: Neumann & Schulte, 1989). In einer Studie von Maier, Philipp, Heuser, Schlegel, Buller et al. (1988) wurden die HAMD, eine weitere Skala und die MADRS bezüglich ihrer psychometrischen Eigenschaften verglichen. Die Ergebnisse legen nahe, dass die HAMD nicht alleiniger Standard in der Depressionsforschung sein sollte. Die MADRS enthält zehn Items, bei denen auf jeweils sieben Stufen (mit Werten von 0 bis 6) durch den Interviewer eingeschätzt werden soll, in welchem Ausmaß das Merkmal vorliegt. Die betrachteten Merkmale sind: sichtbare Traurigkeit, berichtete Traurigkeit, innere Spannung, Schlaflosigkeit, Appetitverlust, Konzentrationsschwierigkeiten, Untätigkeit, Gefühllosigkeit, pessimistische Gedanken und Suizidgedanken. Die Gesamtwerte in der MADRS können zwischen 0 und 60 Punkten liegen. Müller, Szegedi, Wetzel und Benkert (2000) fanden, dass ein MADRS-Wert von 35 Punkten am besten mittelschwere von schwerer Depression trennte, entsprechend einem Methoden 98 Wert von 28 in der HAMD. Müller, Himmerich, Kienzle und Szegedi (2003) fanden einen Trennwert von 31 am besten, wenn gemäß der CGI-Kriterien zwischen mittlerer und schwerer Depression differenziert werden sollte. Benazzi (1999) zeigte, dass ein Cut-Off von 30 geeigneter war zur Kennzeichnung einer schweren Depression als ein Cut-Off von 35, wobei die GAF-Skala zum Vergleich diente. Als Kriterium für die Remission der Depression erwiesen sich die Cut-Offs von 9 und 10 als gleichermaßen sinnvoll (Hawley, Gale & Sivakumaran, 2002) (d. h. Werte in der MADRS unter 10 bzw. unter 9 zeigten Remission an). Mittmann, Mitter, Borden, Herrmann, Naranjo et al. (1997) fanden durch den Vergleich mit der Hamilton-Depressionsskala folgende Trennwerte: bis 8 Punkte einschließlich: keine Depressivität, 9 bis 17 Punkte: milde Depression, ab 18: mittlere bis schwere Depression. Die Veränderungssensitivität der MADRS im Verlauf einer Depression erwies sich bei Schmidtke, Fleckenstein, Moises und Beckmann (1988) als vergleichbar mit der der HAMD. Faktorenanalysen zeigten jedoch, dass die MADRS mehr psychische Depressionssymptome erfasst als die HAMD (o. c.). Neumann und Schulte (1988) fanden mittels Faktorenanalyse zwei Dimensionen: Depressivität und vegetative Störungen. Benazzi (2001) fand drei Faktoren, ebenso Parker, Flint, Bosworth, Pieper und Steffens (2003). Craighead und Evans (1996) stellten vier Faktoren fest. Trotz einer Drei-FaktorenLösung schätzten Galinowksi und Lehert (1995) die MADRS als unidimensional ein. Corruble, Purper, Payan und Guelfi (1998) fanden bei der französischen Version der Skala mit Hilfe eines strukturierten Interviews eine hohe Interrater-Reliabilität (IntraklassenKorrelation von 0,86). Davidson, Turnbull, Strickland, Miller und Graves (1986) fanden eine Interrater-Reliabilität von 0,76 für den Gesamtwert und zwischen 0,57 und 0,76 für die einzelnen Kriterien. 3.2.2.8 Das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse II (SKID-II) Das „Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse II“ SKID-II (Fydrich, Renneberg, Schmitz & Wittchen, 1997; Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997) dient der Erfassung und Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen wie sie im Diagnostischen und Statistischen Manual für Psychische Störungen (DSM-IV; APA, 1994) auf der Achse II definiert werden. Mit Hilfe des SKID-II kann das Vorliegen von zehn Persönlichkeitsstörungen und zwei aus dem Forschungsanhang des DSM-IV untersucht werden. Zudem gibt es die Kategorie der nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung („NNB“). Das SKID-II kann sowohl dimensional (Zahl der erfüllten Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung) als auch kategorial (Persönlichkeitsstörung liegt vor / liegt nicht vor) ausgewertet werden. Eine dimensionale Auswertung erscheint sinnvoll, da die Grenzen zwischen Depression und Persönlichkeitsstörungen, zwischen verschiedenen Methoden 99 Persönlichkeitsstörungen und zwischen Persönlichkeitsstörungen und -stilen unscharf sind (vgl. Farmer & Nelson-Gray, 1990). Konzipiert wurde das SKID-II für eine Durchführung in zwei Stufen: zunächst wird ein Fragebogen als Screening-Instrument verwendet, auf dem das Interview aufbaut, indem es sich nur noch auf die im Fragebogen zustimmend beantworteten Fragen beziehen soll. In der vorliegenden Studie wurde das Interview ohne die vorherige Gabe des Fragebogens eingesetzt. Maffei, Fossati, Agostoni, Barraco, Bagnato et al. (1997) fanden beim SKID-II für DSM-IV Interrater-Reliabilitäten zwischen Kappa von 0,48 und 0,98 für die kategoriale Auswertung der Diagnosen und Intraklassenkorrelations-Koeffizienten von 0,90 bis 0,98 für die dimensionale Auswertung. In einer anderen Evaluation lagen die Kappa-Werte zwischen 0,40 und 0,75 (Zanarini et al., 2000). Bei der deutschen Version des SKID-II für DSM-IIIR berichten Wittchen, Schramm, Zaudig und Unland (1993) von einer prozentualen Interrater-Übereinstimmung von 89 bis 100 % für die einzelnen Persönlichkeitsstörungen, und 87 % für die Übereinstimmung bei der Diagnose mindestens einer Persönlichkeitsstörung. Die Kappa-Koeffizienten lagen zwischen 0,55 und 0,82 bei den einzelnen Persönlichkeitsstörungen (o. c.). Hippin (2001) fand Interrater-Reliabilitäten zwischen 0,20 (paranoide Persönlichkeitsstörung) und 0,89 (BorderlinePersönlichkeitsstörung) für die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen des SKID-II für DSM-IV. Die internen Konsistenzen waren befriedigend hoch mit Werten zwischen 0,71 und 0,94 (Maffei et al., 1997). Die Test-Retest-Reliabilität für die Version des SKID-II für DSM-III-R lag bei First, Spitzer, Gibbon, Williams, Davies et al. (1995) zwischen Kappa gleich 0,24 und 0,74 für die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen. Osone und Takahashi (2003) fanden für einen Zeitraum von einem Jahr eine Retest-Reliabilität von Kappa gleich 0,87 insgesamt, und zwischen 0,86 und 0,93 für die einzelnen Persönlichkeitsstörungen des SKID-II für DSM-IV. Skodol, Oldham, Rosnick, Kellman & Hyler (1991) berichten von mittleren Übereinstimmungen der Persönlichkeitsstörungsdiagnosen von SKID-II (für DSM-III-R) und der Personality-Disorder-Examination, einem anderen strukturierten Interview. Die dimensionalen Einschätzungen stimmten besser überein. Ähnliches beobachteten auch Smith, Klein und Benjamin (2003) hinsichtlich der Übereinstimmung des SKID-II für DSMIV mit einem Fragebogen für Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV. Die Übereinstimmungen mit den Forschungskriterien für die ICD-10 lagen für die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen bei Starcevic, Bogojevic und Kelin (1997) zwischen 0,51 und 0,83. Niedrigere Werte wurden erklärt mit unterschiedlichen diagnostischen Kriterien und Schwellen (o. c.). Renneberg, Chambless, Dowdall, Fauerbach und Gracely (1992) fanden mittlere bis geringe Übereinstimmungen zwischen dem Interview SKID-II für DSM-III-R und dem Millon-Clinical-Multiaxial-Inventory. Die Übereinstimmung des Interviews mit dem Urteil eines erfahrenen Klinikers war ebenfalls eher gering (Skodol et al., 1991). Westen und Shedler (1999) kommen zu dem Schluss, dass bei den Persönlichkeitsstörungen Methoden 100 der Achse II des DSM-III-R bzw. beim Interview SKID-II (ebenso wie bei anderen Erfassungsinstrumenten) die diskriminante Validität fragwürdig ist. 3.2.2.9 Die Aachener Merkmalsliste für Persönlichkeitsstörungen, revidierte Version (AMPS-R) Die revidierte Version der „Aachener Merkmalsliste für Persönlichkeitsstörungen“ AMPS(R) von Saß (1996) dient dazu, überdauernde Persönlichkeitszüge gestörten Verhaltens, Erlebens und Befindens festzustellen. So kann mit Hilfe der beurteilten Merkmale die Persönlichkeit gemäß DSM-IV und ICD-10 klassifiziert werden, zudem vier subaffektive Persönlichkeitsstörungen: depressive, zyklothyme, hyperthyme und asthenische Persönlichkeitsstörungen gemäß Schneider (1950), Kraepelin (1909) und Kretschmer (1921). Die Merkmalsliste wird vom Rater ausgefüllt. Dabei werden Informationen aus der Behandlung, der Anamnese, Fremdanamnese und Verhaltensbeobachtung des Patienten zugrunde gelegt, um seit der Adoleszenz oder dem frühen Erwachsenenalter bestehende Persönlichkeitsmerkmale einzuschätzen. Dabei sollten Symptome, die Folge von Krankheitsepisoden sind, nicht berücksichtigt werden. Die Merkmalsliste sollte erst kurz vor Ende der stationären Behandlung ausgefüllt werden. Die AMPS umfasst 126 Items. Diese werden vom Untersucher jeweils mit Hilfe eines von fünf zur Verfügung stehenden Werten eingeschätzt. Die Werte sind 0, 1, 2, 3 und 9. Die Merkmale können „nicht vorhanden“, „leicht“, „mittel“, „schwer“ ausgeprägt oder „nicht beurteilbar“ sein. Die Items der AMPS enthalten alle Merkmale, die in den verschiedenen Klassifikationssystemen für die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen benötigt werden. So lassen sich die Persönlichkeitsstörungen genau klassifizieren (Saß, 1996). Zu den Items gehören z. B. „Zeigt Vorwürfe und Strenge gegenüber anderen“ (gehört zur depressiven Persönlichkeitsstörung), „Streitbarkeit und beharrliches, situationsunangemessenes Bestehen auf eigenen Rechten“ (zur paranoiden Persönlichkeitsstörung gemäß ICD-10) und „Verlangt nach übermäßiger Bewunderung“ (zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung). Befunde zur Reliabilität wurden bisher scheinbar nicht publiziert. Bei der Validierung fanden Saß, Houben, Herpertz und Steinmeyer (1996), dass sich die Persönlichkeitsdimensionen des Sechs-Faktoren-Tests von von Zerssen in die Gruppen von Persönlichkeitsstörungen der AMPS einordnen ließen. 3.2.2.10 Das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) Bis 1994 hatten die wenigen Studien über die depressive Persönlichkeitsstörung Akiskals Version der deskriptiven Merkmale von Schneider (1950) verwendet (vgl. Akiskal, 1983). Methoden 101 Diese Merkmale decken die Kriterien der depressiven Persönlichkeitsstörung jedoch nicht vollständig ab (Klein, 1990; Klein, Taylor, Dickstein & Harding, 1988). Zudem war die Merkmalsliste von Akiskal (1983) bis dahin nicht systematisch evaluiert worden und es fehlte ein empirisch fundiertes Ratingsystem. Daher wurde ein Interview entwickelt. Es handelt sich bei dem „Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit“ DID um ein Interview von Gunderson et al. (1994), das mit Hilfe von 30 Items Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung erfassen und die Diagnose ermöglichen soll. Die 30 Merkmale werden vier Dimensionen zugeordnet: Zur Skala „negativistisch“ gehört z. B. das Kriterium „Die Person ist verbittert“, zur Dimension „introvertiert / angespannt“ das Kriterium „Die Person erscheint angespannt“, zur Skala „passiv / unsicher“ das Kriterium „Die Person ist übermäßig abhängig von anderen“ und zur Dimension „selbstverleugnend“ das Item „Die Person ist moralisierend“. Die interne Konsistenz für den Gesamtwert im DID war bei Gunderson et al. (1994) hoch mit Cronbachs Alpha von 0,93. In der Studie von Gunderson et al. (1994) zeigte sich eine zufriedenstellende Interrater-Reliabilität mit einem Kappa von 0,67 und einer Intraklassenkorrelation von 0,97, die damit vergleichbar hoch wie bei anderen Interviews für Persönlichkeitsstörungen war (Gunderson et al., 1994). Bei Huprich et al. (2002) fand sich eine Interrater-Reliabilität von Kappa gleich 0,68. Die Test-Retest-Reliabilität mit Kappa von 0,41 und die diagnostische Reliabilität mit Kappa von 0,62 wurden von Gunderson et al. (1994) ebenfalls als befriedigend bewertet. Als Grenzwert für eine depressive Persönlichkeitsstörung schlagen Gunderson et al. (1994) einen Wert von 42 vor. Der maximal erreichbare Score beträgt 60. Mit dem CutOff-Wert von 42 werden 87 % der Probanden richtig klassifiziert in die Gruppen solcher, die wahrscheinlich eine depressive Persönlichkeitsstörung haben und solcher, bei denen dies unwahrscheinlich ist. Die Sensitivität betrug 89 %, die Spezifität 83 % (o. c.). In einer Faktorenanalyse ließen sich vier Faktoren identifizieren, die mit den theoretischen Annahmen in Einklang standen: depressive / negativistische Merkmale, introvertierte / angespannte, nicht-durchsetzungsfähige / passive sowie masochistische Merkmale (Gunderson et al., 1994; vgl. a. Hirschfeld & Holzer, 1994). Die Korrelationen von Merkmalen des Interviews mit Indexen von depressiver Stimmung oder depressiven Störungen waren gering (Gunderson et al., 1994), ebenso die Überschneidung mit früh beginnender Dysthymie oder Dysthymie allgemein. Das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit kann somit als unabhängig von der aktuellen Stimmung des Interviewten angesehen werden (o. c.). Ein anderer Cut-Off-Wert liegt bei 37 Punkten (Hirschfeld & Holzer, 1994). In einer weiteren Studie scheinen die Autoren einen Grenzwert von 30 Punkten verwendet zu haben (Lyoo et al., 1998). Das Interview liegt in einer deutschen Version vor (vgl. Herdtle, 1999), die von den Autoren des Originals autorisiert wurde (s. Anhang). Methoden 102 3.3 Statistische Datenanalyse 3.3.1 Methodische Vorstudie Das Ziel der methodischen Vorstudie bestand darin, zwei Messinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung, nämlich das „Depressive-PersönlichkeitsstörungsInventar“ (DPSI) und das „Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit“ (DID), in ihren deutschen Versionen psychometrisch zu evaluieren. Dazu wurden die beiden Interviews SKID-II (Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung) und DID jeweils von einem Interviewer durchgeführt und auf Tonband aufgezeichnet, das dann vom zweiten Rater, der blind für die Achse-I- und Achse-II-Diagnosen des interviewten Patienten war, abgehört und ebenfalls eingeschätzt wurde. Vier Items des DID werden aufgrund von Beobachtungen im Interview eingeschätzt, daher könnte bei diesen Items durch die Benachteiligung eines Raters, dem nur die Tonbandaufnahme für seine Einschätzungen zur Verfügung stand, eine geringere Übereinstimmung zwischen den Ratern resultieren. Zur Berechnung der Interraterreliabilitäten wurden für kategoriale Übereinstimmungen Kappa-Werte bestimmt und für dimensionale ICC-(Intraklassenkorrelations-)Werte berechnet (vgl. Cohen, 1960; Shrout, 1998; Shrout & Fleiss, 1979). Kappa gibt an, wie groß die Übereinstimmung zwischen zwei Interviewern von der zufällig zu erwartenden Übereinstimmung abweicht (Bronisch, 1992). Zur Berechnung der internen Konsistenz wurde Cronbachs Alpha verwendet. Diese Auswertung basierte auf den zufällig ausgewählten Daten von einem der zwei Rater. Die Auswertungen wurden durchgeführt mit dem Statistik-Programmpaket SAS (SAS-Institute, 1989-1996). Es wurden drei unterschiedlich zusammengesetzte Stichproben zur Evaluation der Messinstrumente verwendet. 36 depressive Patienten wurden mit DID, BDI und SKID-II untersucht. Die Interraterreliabilität wurde bei den Interviews durch den Vergleich der Interviewergebnisse von zwei Ratern überprüft. Das DPSI wurde an 102 Personen untersucht. Davon waren 68 Patienten mit Major Depression, die sich in der Psychiatrischen Klinik der Universität in stationärer Behandlung befanden, und 34 gesunde Kontrollpersonen (Studierende). Die Stichprobenbeschreibungen sind in den Ergebnis-Kapiteln 4 und 5 enthalten. 103 Methoden 3.3.2 Hauptstudie 3.3.2.1 Deskriptive Statistik Daten zur deskriptiven Statistik, d. h. das arithmetische Mittel, Maximum, Minimum, der Range (die Variationsbreite) und die Standardabweichung wurden mit Hilfe der Prozedur MEANS des Statistik-Pakets SAS (SAS Institute Inc., 1989-1996) gewonnen. Das arithmetische Mittel und die Standardabweichung wurden für Merkmale auf Intervallskalenniveau berechnet (vgl. Bortz, 1993, 1999). Der Median wurde jeweils berechnet durch die SAS-Prozedur UNIVARIATE. Um Häufigkeiten für Variablenstufen zu erhalten, wurde die Prozedur FREQ von SAS verwendet (SAS Institute Inc., 19891996). 3.3.2.2 Assoziationen Mit Hilfe von Korrelationsanalysen wurde geprüft, ob zwischen zwei Variablen ein statistischer Zusammenhang bestand und wie stark ein solcher war (Oerthel & Tuschl, 1995). Korrelationsanalysen umfassen die Berechnung von Maßzahlen zur Stärke des Zusammenhangs und die statistische Absicherung eines möglichen Zusammenhangs in der Population. Die Pearson-Bravais- oder Produkt-Moment-Korrelation wird angewendet, wenn der Zusammenhang zwischen zwei intervallskalierten Variablen zu bestimmen und abzusichern ist (Bortz, 1993). Voraussetzung für die Durchführung dieser Analyse ist die Normalverteilung beider Variablen. Alle Variablen wurden auf Normalverteilung geprüft (mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %). Bei normalverteilten Variablen wurden Produkt-Moment-Korrelationen verwendet, bei den nicht-normalverteilten Variablen wurden Spearman-Korrelationen benutzt. Berechnet wurden die Produkt-Moment- und die Spearman-Korrelationen mittels der Prozedur CORR im Programmpaket SAS (SAS Institute Inc., 1989-1996). Bei zwei dichotomen Variablen wurden die Assoziationen der beiden mittels des PhiKoeffizienten, also einer Kontingenztafelanalyse, bestimmt (Bortz, 1993; Oerthel & Tuschl, 1995). Dieses Verfahren wurde beispielsweise verwendet zur Prüfung der Assoziation der Variablen des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung (zweistufige Variable) und des Geschlechts. Die Kontingenztafelanalyse setzt nur Nominalskalenniveau voraus (Oerthel & Tuschl, 1995), was bei allen Variablen, bei denen dieses Verfahren angewendet wurde, gegeben war. Der Phi-Koeffizient wurde ermittelt mit der SAS-Prozedur PROC FREQ (SAS Institute Inc., 1989-1996). Methoden 104 3.3.2.3 Unterschiede in der zentralen Tendenz und in Häufigkeiten Zur Testung möglicher Unterschiede in der zentralen Tendenz zwischen verschiedenen Patientengruppen wurden mehrere statistische Verfahren eingesetzt. Ein Verfahren war der t-Test für unabhängige Stichproben. Dieser setzt voraus, dass die Population, aus der die Stichprobe stammt, bei kleineren Stichproben normalverteilt ist (vgl. Bortz, 1993). Bei den verglichenen Gruppen (z. B. Studienteilnehmer versus Studienverweigerer, Patienten mit versus Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen, Männer versus Frauen) handelt es sich um unabhängige Stichproben, denn einem Patienten aus einer Stichprobe wird nicht ein Patient aus der anderen Stichprobe zugeordnet (vgl. Bortz, 1993). Die Bedingung der Normalverteilung des Merkmals, hinsichtlich dessen die zwei Stichproben verglichen werden, wurde geprüft. War die Variable normalverteilt, so wurde der t-Test verwendet. Der t-Test wurde mittels der Prozedur TTEST des Pakets SAS berechnet (SAS Institute Inc., 1989-1996). War diese Voraussetzung nicht erfüllt, so wurde der Wilcoxon-Test für unabhängige Stichproben eingesetzt. Dieser Test setzt neben der Unabhängigkeit der Stichproben ordinalskalierte Merkmale voraus (Bortz, 1993). Der Wilcoxon-Test wurde berechnet mittels der Prozedur NPAR1WAY von SAS (SAS Institute Inc., 1989-1996). Sollten nominalskalierte Daten verglichen werden, d. h. Häufigkeitsunterschiede im Auftreten von Merkmalen und Merkmalskombinationen untersucht werden, so wurden Chi²-Tests verwendet. Dieses Verfahren setzt voraus, dass die Beobachtungen den Bedingungen eindeutig zugeordnet werden können, und dass der Anteil der erwarteten Häufigkeiten, die kleiner als fünf sind, nicht über 20 % liegt (Bortz, 1993) und keine erwartete Häufigkeit Null beträgt (Oerthel & Tuschl, 1995). Die Patienten können den Merkmalskombinationen eindeutig zugeordnet werden. Waren die Bedingungen bezüglich der erwarteten Häufigkeiten nicht erfüllt, so wurde der Exakte Test von Fisher verwendet (vgl. Oerthel & Tuschl, 1995). Fishers Exakter Test wurde mit Hilfe der Prozedur FREQ des Statistikpaketes SAS (SAS Institute Inc., 1989-1996) berechnet, ebenso die Chi²-Tests. Chi²-Tests und der Exakte Test von Fisher dienten der Prüfung von Unterschieden zwischen Studienteilnehmern und Studienverweigerern sowie zwischen Patienten mit und ohne bestimmter Persönlichkeitspathologie. Zudem wurden Unterschiede in der zentralen Tendenz mit Hilfe von Varianzanalysen berechnet, wenn mögliche Störfaktoren in ihrem Einfluss auf die abhängige Variable überprüft werden sollten. So wurde untersucht, ob die Depressionsschwere bei Aufnahme ein Störfaktor für die Schwere der allgemeinen oder depressiven Symptomatik bei Entlassung war, wenn Patienten mit und ohne Persönlichkeitspathologie hinsichtlich der Schwere der Symptomatik bei Entlassung verglichen wurden. Dies wurde berechnet als Kovarianzanalyse, mit der Kovariaten der Depressions- oder allgemeinen SymptomSchwere bei Studienbeginn (z. B. gemäß der Hamilton-Depressionsskala oder der Methoden 105 Symptom-Checkliste). Hierzu wurde die Prozedur GLM des Statistikpaketes SAS verwendet (SAS Institute Inc., 1989-1996). Die Kovarianzanalyse partialisiert den Einfluss der Kontrollvariablen heraus (Bortz, 1993). Die Kovarianzanalyse setzt dabei voraus, dass die Kontrollvariable intervallskaliert ist. Dies war im vorliegenden Fall gegeben. Zudem sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein: die abhängige Variable (z. B. Hamilton-Depressionsskala, Beck-Depressionsinventar) soll intervallskaliert sein, die Patienten sollen den Stufen der unabhängigen Variablen eindeutig zuordnenbar sein, die Fehlerkomponenten (d. h. in dem Fall die Messwerte) sollen in den Grundgesamtheiten normalverteilt sein, die Varianzen der Fehlerkomponenten sollen in den Grundgesamtheiten gleich sein (Varianzhomogenität) und die Fehlerkomponenten müssen voneinander unabhängig sein (sowohl innerhalb als auch zwischen den Stichproben). Zudem werden homogene Steigungen der Regressionen in den Stichproben verlangt (Bortz, 1993). Die Voraussetzung des Intervallskalenniveaus von abhängiger und unabhängiger Variable ist gegeben. Außerdem sind alle Patienten eindeutig den Gruppen der unabhängigen Variable zuordnenbar (z. B. je nachdem, ob eine Persönlichkeitsstörung vorliegt oder nicht). Die Normalverteilung der Messwerte wurde überprüft. Sie wurde nicht von allen Variablen erfüllt, das Verfahren aber dennoch eingesetzt, da es robust ist gegen Verletzungen der Voraussetzung der Normalverteilung (Bortz, 1993). Zur leichteren Interpretierbarkeit wurden außerdem Varianzanalysen mit Messwiederholung gerechnet, wenn es sich bei dem Instrument zur Erfassung der Psychopathologie bei Aufnahme und Entlassung um dasselbe handelte (z. B. HamiltonDepressionsskalen-Wert bei Aufnahme und Entlassung). Dies wurde mit Hilfe der Prozeduranweisung REPEATED bei der Prozedur GLM des Statistikpaketes SAS durchgeführt (SAS Institute Inc., 1989-1996; vgl. Graf & Ortseifen, 1995). Die Varianzanalyse hat dieselben Voraussetzungen wie die Kovarianzanalyse bis auf die homogenen Steigungen der Regressionen in den Stichproben (Bortz, 1993). Um die relative Bedeutsamkeit verschiedener Variablen der Persönlichkeit, des Typus Melancholicus und von Persönlichkeitsstörungen für die Remission (bzw. das Vorhandensein von Residualsymptomen bei der Entlassung) zu untersuchen, wurde eine hierarchische Diskriminanzanalyse durchgeführt. So kann herausgefunden werden, in welchem Ausmaß die einzelnen unabhängigen Variablen aus dem Persönlichkeitsbereich zum Unterschied zwischen den Gruppen der Patienten mit und ohne Remission bei Entlassung beitrugen (vgl. Bortz, 1993). Die Diskriminanzanalyse setzt voraus, dass die Variablen in der Population normalverteilt sind (o. c.). Diese Voraussetzung war nicht für alle Merkmale erfüllt. Verletzungen dieser Annahme können aber auch vernachlässigt werden, wenn es sich um eine große Stichprobe handelt, und wenn die zu vergleichenden Stichproben gleich groß sind (Bortz, 1993). Die Stichprobe kann mit insgesamt 80 Personen zwar als relativ groß bezeichnet werden, aber die zu vergleichenden Gruppen von 10 Patienten ohne Remission und 90 mit Remission sind verschieden groß. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss die teilweise Verletzung der Voraussetzungen also Methoden 106 berücksichtigt werden. Dieses Verfahren führt außerdem zu Verzerrungen, wenn die Variablen untereinander korreliert sind, was für die verschiedenen Variablen im Bereich der Persönlichkeit zutrifft. Im Anschluss an die hierarchische Diskriminanzanalyse wurde getestet, wie gut Patienten durch die mit Hilfe der hierarchischen schrittweisen Diskriminanzanalyse ermittelten Diskriminanzfaktoren aus dem Persönlichkeitsbereich den beiden Patienten-Gruppen zugeordnet werden können (Bortz, 1993). Die hierarchische Diskriminanzanalyse wurde berechnet mittels der SAS-Prozedur STEPDISC, die anschließende Diskriminanzanalyse mit der Prozedur DISCRIM (SAS Institute Inc., 1989-1996). 3.3.2.4 Unterschiede im Zeitverlauf Mit Hilfe von Survivalanalysen (auch Überlebenszeitanalysen oder Life-Table-Analysen genannt) sollten Unterschiede im zeitlichen Verlauf der Depressivität der Patienten während der stationären Behandlung geprüft werden. Dieses statistische Verfahren wurde gewählt, weil es den Vorteil hat, die zeitliche Verteilung der Veränderungen der Depressivität über den gesamten Zeitraum als Grundlage des Vergleichs zwischen verschiedenen Gruppen von Patienten zu benutzen. Zur Berechnung wurde die Prozedur LIFETEST aus dem Statistikpaket SAS (SAS Institute Inc., 1989-1996) verwendet. Mit dieser Prozedur werden nicht-parametrische Schätzer für die Überlebensfunktionen berechnet sowie Rangtests für die Assoziation zwischen der Zeitvariablen und anderen Variablen durchgeführt (nichtparametrische Survivalanalyse). Die Zeitvariable beinhaltet hier die verstrichenen Wochen bis zu einer vorher als Kriterium festgelegten Veränderung in der Depressivität. Die verwendeten Kriterien waren folgende vier: mindestens 50-prozentige Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionskala bzw. dem Beck-Depressionsinventar vom Studienbeginn (Ansprechen auf die Therapie oder Therapie-Response) sowie eine Reduktion der Werte vom Studienbeginn in beiden Messinstrumenten auf unter 10 Punkte (Remission). Die Zeitvariable wird betrachtet in ihrer Assoziation zu verschiedenen psychopathologischen Merkmalen der Patienten, insbesondere dem Merkmal, ob bei Patienten Persönlichkeitsstörungen vorliegen oder nicht (vgl. Graf & Ortseifen, 1995; Schuemer, Ströhlein & Gogolok, 1990). Die Zeit-Variable misst die Zeit bis zum Eintreten eines bestimmten Ereignisses, nämlich dem Erfüllen des Therapieresponse- oder Remissions-Kriteriums. Diese Zeit heißt in dem Modell „Überlebenszeit“. Überlebenszeit-Daten bestehen zudem aus unabhängigen Variablen, die mutmaßlich mit der Zeit-Variablen zusammenhängen (Keller & Hautzinger, 1990; SAS Institute Inc., 1990). Dies wurde hier insbesondere für Persönlichkeitsauffälligkeiten untersucht. Methoden 107 Die Besonderheit der Survivalanalyse liegt darin, dass auch Beobachtungen in diese Analysen einbezogen werden können, bei denen innerhalb der betrachteten Zeit, also während des Aufenthaltes in der Psychiatrischen Uniklinik, die definierten Kriterien nicht erfüllt werden, z. B. also keine Remission in Form eines Wertes in der HamiltonDepressionsskala von 10 Punkten oder weniger eintritt (vgl. Singer & Willett, 1991). Diese Beobachtungen werden als (rechts-)zensiert bezeichnet (SAS Institute Inc., 1990). Da die Anteile solcher zensierter Beobachtungen hoch sein können, würde die Auswertung leiden, wenn man diese Informationen nicht verwerten würde (Graf & Ortseifen, 1995). Vorteilhaft ist außerdem, dass durch Verwendung der kumulativen Überlebenszeit-Kurven Studien mit unterschiedlich langen Beobachtungszeiträumen oder unterschiedlichen Follow-upZeitpunkten miteinander verglichen werden können. Die Survivor- oder Überlebensfunktion gibt an, wie groß der Anteil der Patienten ist, die bis zum Ende der stationären Behandlung nicht auf die Therapie angesprochen haben bzw. remittiert sind (gemäß der definierten Kriterien) (Blossfeld, 1989). Die „Überlebenswahrscheinlichkeit“ besagt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Depression zum jeweiligen Zeitpunkt noch nicht auf die Therapie angesprochen hat bzw. noch nicht remittiert ist. Eine Voraussetzung der Überlebenszeitanalyse ist, dass jeder Patient zu jedem interessierenden Zeitpunkt einem der sich gegenseitig ausschließenden und erschöpfenden Ereignisse „Remission“ (bzw. „Therapieresponse“) oder „keine Remission“ (bzw. „keine Therapieresponse“) zugeordnet werden kann. Weiterhin sollte zumindest bei einigen Patienten bekannt sein, wann der Übergang von einem Ereignis zum anderen stattfindet, d. h. wann die Remission oder Therapieresponse eintritt (Singer & Willett, 1991). Beide Voraussetzungen sind in der vorliegenden Studie erfüllt, denn die Zustände „Remission“ und „keine Remission“ (bzw. „Therapieresponse“ / „keine Therapieresponse“) decken alle möglichen Zustände ab, schließen sich gegenseitig aus, und die Patienten können zu interessierenden Zeitpunkten diesen Zuständen zugeordnet werden. Des weiteren ist für jeden Patienten auf 14 Tage genau bekannt, wann diese Ereignisse eintreten, da alle zwei Wochen die Werte in der Hamilton-Depressionsskala und im Beck-Depressionsinventar erhoben wurden. Um die gesamten Vorteile der Survivalanalyse zu nutzen, sollte eine repräsentative Stichprobe vorliegen. Zwar können auch Daten aus anfallenden Stichproben ausgewertet werden, allerdings können dann Wahrscheinlichkeitsaussagen, Generalisierungen auf die Population und statistische Inferenzen falsch sein (o. c.). Da es sich in der vorliegenden Studie um eine anfallende Stichprobe handelt, müssen diese Einwände bei der Interpretation der Ergebnisse erwogen werden. Singer & Willett (1991) empfehlen eine Beobachtungszeit, die lang genug ist, damit bei mindestens der Hälfte der Patienten eine Therapieresponse bzw. eine Remission eintreten kann. Davon war bei der stationären Behandlung auszugehen, da es sich bei beiden Ereignissen um die Ziele der Behandlung handelt. Methoden 108 Außer der Assoziation zwischen der Zeit und der Persönlichkeitspathologie sollten auch andere Prädiktoren als die Persönlichkeit geprüft werden (Singer & Willett, 1991). Zu diesem Zweck wurde u. a. die Schwere der Depressivität (Hamilton-Depressionsskala) bei der Aufnahme in die Klinik als Kovariate in die Survivalanalyse aufgenommen. Kovariaten sind Variablen, die mit der Überlebenszeit zusammenhängen könnten (SAS Institute Inc., 1990b). Sie sollten numerisch sein (Schuemer et al., 1990), was bei den verwendeten Kovariaten zutraf. Man kann den Einfluss dieser Variablen testen, indem man sie zur Definition von Gruppierungsvariablen benutzt, d. h. die Patienten einteilt nach dem Wert, der ihnen in der Kovariaten zugeordnet wird (o. c.). Dies wurde mit der Kovariaten der Depressionsschwere bzw. der allgemeinen Befindlichkeitsbeeinträchtigung (Hamilton-Depressionsskala, BeckDepressionsinventar, Symptom-Checkliste, Befindlichkeitsskala) bei Studienbeginn getan. Die Patienten mit und ohne bestimmte Persönlichkeitsauffälligkeiten wurden nach dem Median der Depressivitätsschwere von 23 Punkten in zwei Gruppen eingeteilt (sog. Median-Split). Diese nicht-parametrische Survivalanalyse wurde durchgeführt mit Hilfe der Prozedur LIFETEST von SAS (SAS Institute Inc., 1989-1996). 3.3.2.5 Gruppierung von Merkmalen Zur Untersuchung von Ähnlichkeiten zwischen Persönlichkeitsstörungen wurde die Faktorenanalyse und ein Verfahren zur Clusterisierung eingesetzt. Die Faktorenanalyse dient dazu, Variablen (hier Persönlichkeitsstörungen), die sich ähnlich verhalten, zusammenzugruppieren. Individuen mit hohen Werten auf der einen Variablen haben auch hohe Werte auf den anderen Variablen, analog für niedrige Werte. Durch die Faktorenanalyse werden dann alle beobachteten Variablen (Persönlichkeitsstörungen) durch weniger, neue Variablen (Faktoren) ersetzt, aus denen sich die beobachteten Variablen herleiten lassen (Revenstorf, 1976). Voraussetzung dieses Verfahrens ist dabei, dass es sich um lineare Beziehungen zwischen den Variablen handelt (o. c.). Die Faktorenanalyse kann als eine spezielle Variante der Clusteranalyse angesehen werden: Objekte werden gemäß ihrer Faktorzugehörigkeit gruppiert (Bortz, 1999). Das Verfahren setzt eine ausreichend große Stichprobe, lineare Zusammenhänge zwischen den Variablen und Intervallskalenniveau der Variablen voraus (o. c.). Die Faktorenanalyse wurde berechnet mit Hilfe der Prozedur FACTOR des Statistikpakets SAS (SAS-Institute Inc., 1989-1996). Die Zahl der Faktoren wurde auf drei festgelegt, zur Kontrolle wurde aber auch mit offener Faktoren-Zahl gerechnet. Dann wurde das Kaiser-Guttman-Kriterium verwendet, wonach nur Faktoren interpretiert werden sollten, deren Eigenwert über 1 liegt, die also mindestens eine Varianz von 1 aufklären (vgl. Bortz, 1993). Außerdem wurde der Scree-Test von Cattell (1966) verwendet. Er bezieht sich auf die Verteilung der Eigenwerte: die Zahl der Faktoren, nach der die Methoden 109 Verteilungskurve der Eigenwerte besonders stark abfällt, wird als die passendste Anzahl für die Faktorenlösung angenommen (also die Faktorenzahl vor dem „Knick“ in der Kurve) (Bortz, 1993). Um Überlappungen zwischen den Faktoren zu reduzieren, wurde im Anschluss an eine Faktorenanalyse mit obliquer Rotation eine Clusterisierung der in der Faktorenanalyse erhaltenen Koeffizienten mit Hilfe der Prozedur VARCLUS (SAS-Institute Inc., 19891996) durchgeführt. Bei diesem Vorgehen mit vorgeschalteter explorativer Faktorenanalyse sollen hoch korrelierte Variablen auf unabhängige Faktoren reduziert werden (Backhaus, Erichson, Plinke & Weiber, 1996). Hier wurde allerdings eine Faktorenanalyse mit obliquer Rotation zur Reduktion der Variablen verwendet, um die Interpretierbarkeit der erhaltenen Faktoren nicht zu gefährden (vgl. Backhaus et al., 1996). Das Ziel der Unabhängigkeit bei Persönlichkeitsstörungen erschien zudem nicht als realistisch. 3.3.2.6 Signifikanzniveau Das Signifikanzniveau wurde auf 0,05 festgelegt. Auf eine Alpha-Fehler-Adjustierung wurde aufgrund der gezielten Überprüfung einer begrenzten Anzahl von Hypothesen verzichtet. Zum Problem einer Korrektur des kumulierten α-Fehlers bei vielfacher Testung einer Stichprobe sei hiermit auf die Diskussion verwiesen. Bei der Diskussion muss zudem berücksichtigt werden, dass bei vielen Testungen einer Stichprobe einige zufällig statistisch signifikant werden können. Bei 100 voneinander unabhängigen t-Tests ist zu erwarten, dass 5 davon zufällig auf dem 5-Prozent-Niveau signifikant werden (Bortz, 1993). Ergebnisse 4 110 Ergebnisse der Vorstudie Im folgenden werden die Ergebnisse der methodischen Vorstudie zur psychometrischen Evaluation zweier Messinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung beschrieben (Kapitel 4). Dann werden die Ergebisse der Hauptstudie vorgestellt (Kapitel 5). Im Rahmen der Vorstudie wurden zwei Messinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung evaluiert: das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) und das DepressivePersönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI). Für das DPSI wurde zudem eine Kurzform entwickelt und evaluiert. 4.1 Stichprobe Zur Evaluation der Messinstrumente wurden drei unterschiedlich zusammengesetzte Stichproben verwendet. Eine Stichprobe von N=36 depressiven Patienten wurde mit DID, BDI und SKID-II befragt, und die Interraterreliabilität bei den Interviews überprüft durch den Vergleich der Interviewergebnisse von zwei Ratern. Diese Patienten befanden sich zur stationären Behandlung in der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg. Sie waren im Mittel 45 Jahre alt (Standardabweichung 15 Jahre). Von den Patienten waren 56 % Frauen und 44 % Männer. Das DPSI wurde an N=102 Personen untersucht. Die in dieser Stichprobe eingeschlossenen 68 Patienten mit Major Depression, die sich in der Psychiatrischen Klinik in stationärer Behandlung befanden, und 34 gesunden Kontrollpersonen (Studierenden) werden getrennt beschrieben. Die Patienten waren im Mittel 43 Jahre alt (Standardabweichung von 3 Jahren, Minimum: 18 Jahre, Maximum 67 Jahre), die Studierenden im Mittel 28 Jahre alt (Standardabweichung 6 Jahre, Minimum 23 Jahre, Maximum 47 Jahre). Von den Patienten waren 61 % weiblich, von den Studierenden 47 %. 1 4.2 Itemkennwerte Die mittlere Itemschwierigkeit für das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit DID lag bei 0,45, für die Skalen lagen die mittleren Itemschwierigkeiten zwischen 0,38 und 0,54 (vgl. Tab. 4.1). 1 An dieser Stelle sei Frau Dipl.-Psych. Beate Herdtle für ihren Beitrag bei der Untersuchung der Stichproben herzlich gedankt (vgl. auch Herdtle, 1999). Ergebnisse 111 Die Trennschärfe lag für den Gesamtwert des DID im Mittel bei 0,48 (s. Tab. 4.1), für die vier Skalen bei 0,53, 0,50, 0,41 und 0,46. Beim Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar DPSI betrug die mittlere Itemschwierigkeit 0,50 in der Langversion mit 41 Items und 0,48 in der Kurzversion mit 13 Items (vgl. Kap. 4.5.1 bzgl. Kurzversion des DPSI). Die mittlere Trennschärfe betrug 0,59 bei der Langversion und 0,72 bei der Kurzfassung (vgl. Tab. 4.1). 4.3 Interne Konsistenz Die Werte für Cronbachs Alpha lagen zwischen 0,53 und 0,84 für die vier Skalen des DID. Die interne Konsistenz für das DID insgesamt lag bei Cronbachs Alpha von 0,91 (s. Tab. 4.1). Für die depressive Persönlichkeitsstörung nach SKID-II ergab sich eine etwas geringere interne Konsistenz mit Cronbachs Alpha von 0,75. Beim DPSI ergab sich eine interne Konsistenz von Cronbachs Alpha von 0,96 bei der langen Fassung und von 0,94 bei der kurzen Fassung mit 13 Items (s. Kap. 4.5.1). 39,8 143,2 12,1 4,4 6,8 5,3 10,2 26,7 M 17,7 46,5 4,1 2,1 3,5 3,8 5,4 12,5 SD 0,48 0,50 0,57 0,54 0,41 0,38 0,45 0,44 mittlere Itemschwierigkeit 0,72 0,59 0,47 0,46 0,41 0,50 0,53 0,48 mittlere Trennschärfe n=102, 2 n=36; DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II; DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar. 1 13 DPSI (Kurzversion) 1 Anmerkungen: 41 DPSI (Originalversion) 1 4 8 7 11 7 2 2 30 Anzahl der Items SKID-II Gesamtwert depressive Persönlichkeitsstörung 2 selbstverleugnend passiv / unsicher 2 introvertiert / angespannt negativistisch 2 DID-Gesamtwert 2 DID: Instrument / Skala 0,94 0,96 0,75 0,53 0,68 0,81 0,84 0,91 Cronbachs Alpha Tab. 4.1: Itemmerkmale des Diagnostischen Interviews für die Depressive Persönlichkeit (DID), des Strukturierten Klinischen Interviews für DSM-IV, Achse II (SKID-II ) (Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung) und des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars (DPSI) Ergebnisse 113 4.4 Interraterreliabilität Für das DID ergab sich eine Interraterreliabilität bei zwei Ratern für den Gesamtwert von 0,90. Sie wurde berechnet als Intraklassen-Korrelation (ICC) bei der dimensionalen Auswertung des Interviews. Die Übereinstimmung darin, ob eine depressive Persönlichkeitsstörung vorliegt oder nicht, lag bei einem Kappa von 0,77. Hier wurde eine kategoriale Auswertung mit einem Cut-Off-Wert von 42 wie bei Gunderson et al. (1994) zu-grunde gelegt. Die Übereinstimmung zwischen den Ratern hinsichtlich der vier Dimensionen des Interviews lag zwischen 0,83 und 0,90 (ICC). Die Übereinstimmung hinsichtlich der einzelnen Kriterien des DID lag zwischen 0,35 und 0,83 (vgl. Tab. 4.2). Von den Kriterien lagen 4 hinsichtlich der Interrater-Übereinstimmung im sehr guten Bereich (0,75 und darüber), 21 im mittleren Bereich (0,40 bis 0,75) und 3 im schwächeren Bereich. Die Übereinstimmungen bei den vier Beobachtungsitems (C13, 14, 16 und 18) betrugen 0,49, 0,57, 0,63 und 0,68, und lagen damit im mittleren Bereich. Beim Interview SKID-II fand sich eine Interraterreliabilität für den Gesamtwert (dimensionale Auswertung, also Intraklassenkorrelation) von 0,73, bei kategorialer Auswertung eine Übereinstimmung von Kappa von 0,71 darin, ob eine depressive Persönlichkeitsstörung vorliegt oder nicht. Die Übereinstimmungen für die sieben Kriterien dieser Skala des SKID-II lagen zwischen Kappa von 0,46 und 0,92 (vgl. Tab. 4.2). 0,77 kategoriale Gesamteinschätzung * 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 Item im DID 0,63 0,80 0,68 0,66 0,72 0,70 0,37 0,75 0,35 0,56 0,54 0,63 0,79 0,69 0,54 Kappa-Wert Anmerkung: * Einschätzung, ob eine depressive Persönlichkeitsstörung vorliegt oder nicht 0,66 0,74 0,83 0,50 0,67 0,79 0,74 0,66 0,52 0,38 0,82 0,66 0,49 0,57 0,73 Kappa-Wert 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Item im DID kategoriale Gesamteinschätzung * 1 2 3 4 5 6 7 Item im SKID-II 0,72 0,92 0,71 0,84 0,77 0,46 0,88 0,88 Kappa-Wert Tab. 4.2: Interraterreliabilität der Items und der kategorialen Einschätzung (Persönlichkeitsstörung liegt vor / fehlt) bei dem Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) und der Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung des Strukturierten Klinischen Interviews für DSM-IV, Achse II (SKID-II) 115 Ergebnisse 4.5 Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar DPSI 4.5.1 Erstellen einer Kurzversion des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars DPSI Das Ziel bestand darin, eine Kurzversion der ursprünglichen Version des DepressivePersönlichkeitsstörungs-Inventars (DPSI), die 41 Items hat, zu entwickeln und die neue Kurzform zu evaluieren. In die Untersuchung wurden N=102 depressive Patienten und Kontrollpersonen einbezogen (vgl. Kap. 4.1). Faktorenanalytisch ergab sich mit Hilfe einer Hauptkomponentenanalyse aufgrund der Verteilung der Eigenwerte ein Generalfaktoren-Modell (s. Abb. 4.1). Die Varianzaufklärung durch dieses Modell lag bei 41 %. Die Faktorladungen auf dem Generalfaktor variierten zwischen 0,14 und 0,86, überwiegend lagen die Werte deutlich über 0,40 (s. Tab. 4.3). Eigenwert 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 Zahl der Faktoren Abb. 4.1: Verlauf der Eigenwerte bei einer Faktorenanalyse mit den 41 Items des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars DPSI bei N=102 Personen Ergebnisse 116 Tab. 4.3: Faktorladungen und Kommunalitäten für den Generalfaktor des DPSI Item im DPSI 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 Faktorladung 0,67 0,80 * 0,40 0,68 0,14 0,63 0,70 * 0,77 * 0,77 * 0,80 * 0,76 * 0,34 0,73 * 0,72 * 0,44 0,54 0,37 0,30 0,77 * 0,70 0,86 * 0,70 * 0,70 0,41 0,41 0,66 0,65 0,81 * 0,74 * 0,41 0,61 0,40 0,58 0,84 * 0,58 0,65 0,80 * 0,63 0,75 * 0,64 0,73 * Kommunalität 0,45 0,65 0,16 0,46 0,02 0,39 0,49 0,60 0,59 0,64 0,58 0,11 0,53 0,52 0,19 0,29 0,14 0,09 0,59 0,49 0,74 0,49 0,49 0,17 0,17 0,44 0,42 0,66 0,54 0,16 0,37 0,16 0,34 0,70 0,34 0,42 0,64 0,40 0,57 0,41 0,53 Anmerkung: * Faktorladungen, die größer als 0,70 sind Ergebnisse 117 Von den Items, die besonders hoch auf dem Generalfaktor des DPSI luden, wurden nach semantischen Gesichtspunkten Items für die Kurzform ausgewählt. Auch wurde darauf geachtet, dass sich die Items inhaltlich nicht zu ähnlich waren. So wurde neben 12 Items mit einer Ladung von über 0,70 auf dem Generalfaktor auch eines mit einer niedrigeren ausgewählt (Ladung von 0,61 für das Item Nr. 31 der Originalversion bzw. der Nr. 10 der Kurzversion). Zudem wurden die Skalen fünfstufig konzipiert (von „stimme völlig zu“ mit dem Wert 1 bis „lehne völlig ab“ mit dem Wert 5), wohingegen in der Originalversion siebenstufige Skalen verwendet werden (s. Tab. 4.4). Tab. 4.4: Items der Kurz-Version des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars DPSI Item-Nr. Iteminhalt 1. Meistens bin ich schuld, wenn etwas schief geht. 2. Ich bin nicht häufiger traurig und unglücklich, als dass ich es nicht bin. 3. Ganz egal, was ich tue, es scheint nie gut genug zu sein. 4. Andere sagen, dass ich selten das Positive sehe. 5. Mir gelingt niemals etwas. 6. Ich fühle mich die meiste Zeit über schuldig. 7. Ich bin von mir selbst enttäuscht. 8. Ich fühle mich als Versager. 9. Egal was ich tue, es fällt mir schwerer als anderen. 10. Ich werde oft von anderen enttäuscht. 11. Ich habe viel Spaß in meinem Leben. 12. Ich verharre in Problemen. 13. Ich bin unzulänglich. In der ursprünglichen Version des DPSI (vgl. Anhang) handelt es sich bei diesen dreizehn Items um die Items mit den folgenden Nummern: 7, 8, 9, 11, 13, 19, 21, 28, 29, 31, 34, 37 und 39. 4.5.2 Reliabilität des Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventars DPSI Die interne Konsistenz lag bei 0,96 (Cronbachs Alpha). Die Retest-Reliabilität wurde bei der 41-Item-Version mit einem Zeitraum von sechs Wochen in Form einer Korrelation untersucht und betrug 0,88. Ergebnisse 118 4.6 Validität des Diagnostischen Interviews für die Depressive Persönlichkeit DID Zur Validitätsanalyse wurden die Interkorrelationen zwischen den Gesamtwerten der drei Instrumente und dem Beck-Depressionsinventar (BDI) berechnet (vgl. Abb. 4.2, Tab. 4.5). Dabei wurde erwartet, dass die beiden Fremdbeurteilungsinstrumente am höchsten miteinander korrelieren würden (DID und SKID-II). Es zeigten sich hohe Interkorrelationen zwischen den Instrumenten zur depressiven Persönlichkeitsstörung. Die Interkorrelationswerte lagen zwischen 0,43 und 0,89. Die höchste Korrelation bestand zwischen den beiden Interviews zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung. Die Korrelationen zum BDI waren mit Ausnahme der Korrelation von 0,73 zwischen DPSI und BDI niedriger, ebenso die Korrelation zwischen SKID-II und DPSI. Alle untersuchten Korrelationen waren signifikant, bis auf die zwischen BDI und DID, die nur tendenziell signifikant war. Von den Dimensionen des DID korrelierte „negativistisch“ am höchsten mit den anderen Messinstrumenten (DPSI, SKID-II und BDI). BDI 0,73 *** 0,40 * 0,31 + SKID-II 0,47 ** 0,89 *** DPSI 0,43 ** DID Erläuterungen: BDI: Beck-Depressionsinventar; DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar; DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II (Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung); + p < 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Abb. 4.2: Interkorrelationen von BDI, DID, SKID-II, DPSI 0,73 *** DPSI 0,43 ** 0,31 + DIDGesamtwert 0,92 *** 0,52 *** 0,33 * DID: negativi-stisch 0,51 *** 0,52 *** 0,64 *** 0,78 *** 0,33 * 0,28 + 0,73 *** 0,31 + DID: passiv 0,27 + DID: introvertiert 0,50 *** 0,57 *** 0,73 *** 0,83 *** 0,22 0,13 DID: selbstverleugnend 0,68 *** 0,63 *** 0,56 *** 0,93 *** 0,89 *** 0,47 ** 0,40 * SKID-II depr. Persönlichkeitsstörung Anmerkungen: BDI: Beck-Depressionsinventar; DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar; DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II, Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung; + p < 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. DID: selbstverleugnend DID: passiv DID: introvertiert DID: negativistisch DID-Gesamtwert DPSI BDI Instrument / Skala Tab. 4.5: Interkorrelationen von Beck-Depressionsinventar (BDI), Strukturiertem Klinischen Interview für DSM-IV (SKID-II) und Diagnostischem Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) Ergebnisse 120 Zudem wurden auch die Korrelationen von BDI, DID und der Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung des SKID-II mit den verschiedenen Fassungen des DPSI untersucht. Am höchsten hingen die lange und die kurze Version des DPSI zusammen, gefolgt von der Korrelation zwischen dem BDI und der Kurzfassung des DPSI (vgl. Tab. 4.6). Die Korrelationen der beiden Versionen des DPSI mit den übrigen Instrumenten bzw. Skalen lagen jeweils in vergleichbarer Höhe. Tab. 4.6: Interkorrelationen von DID, SKID-II (Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung) und BDI mit den beiden Versionen des DPSI Instrument / Skala DPSI kurze Version DPSI lang 0,98 *** DPSI lange Version DID SKID-II BDI 0,40 * 0,48 ** 0,75 *** 0,43 ** 0,47 ** 0,73 *** Anmerkungen: DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar, DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit, SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II (Skala der depressiven Persönlichkeitsstörung); BDI: Beck-Depressionsinventar; * p < 0,05; ** p < 0,01; *** p < 0,001. 4.7 Zusammenfassung Im Rahmen der Vorstudie an zwei Stichproben depressiver Patienten, die sich in stationärer psychiatrischer Behandlung befanden, und einer Kontrollstichprobe, wurde vom Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar DPSI (41 Items) eine Kurzfassung mit 13 Items erstellt und statt der siebenstufigen wurde eine fünfstufige Skalierung eingeführt. Die Vorstudie erbrachte für das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit DID überwiegend hohe Werte für die Trennschärfe und mittlere für die Itemschwierigkeiten (der Skalen). Die interne Konsistenz lag für das gesamte Interview mit Cronbachs Alpha von 0,91 relativ hoch, bei der Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung des SKID-II lag sie etwas niedriger bei 0,75, beim DepressivePersönlichkeitsstörungs-Inventar DPSI lag sie am höchsten mit 0,96 für die lange Version und 0,94 für die neu entwickelte Kurzversion. Die Interraterreliabilität bei dem Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit lag für den Gesamtwert bei Ergebnisse 121 0,90 (für die dimensionale Auswertung) und 0,77 für die kategoriale Auswertung. Beide Werte sind relativ gut (vgl. Landis & Koch, 1977). Die verschiedenen Instrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung korrelierten mittel bis hoch miteinander, meist waren die Korrelationen dieser Instrumente zum Beck-Depressionsinventar niedriger. Aufgrund der Ergebnisse zur psychometrischen Analyse von dem DID und den beiden Versionen des DPSI kann angenommen werden, dass es sich um reliable und valide Instrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung handelt. Ergebnisse 122 5 Ergebnisse der Hauptstudie Im Rahmen der Hauptstudie sollten die Beziehungen zwischen den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, subaffektiven Persönlichkeitsstörungen einschließlich der depressiven Persönlichkeitsstörung, der Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus und Persönlichkeitsmerkmalen untersucht werden. Im Folgenden wird zunächst die Stichprobe der an der Studie teilnehmenden Patienten beschrieben, dann die Patienten, die nicht an der Studie teilnehmen wollten, und beide Gruppen werden miteinander verglichen. Dann werden Auswertungen zu Persönlichkeitsstörungen vorgestellt: zur Häufigkeit, zur Komorbidität, zur Beziehung der Persönlichkeitsstörungen untereinander, zur Beziehung zwischen Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen, zur Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen und schließlich zum Vergleich von Patienten mit und ohne bestimmte Persönlichkeitsstörungen. 5.1 Stichprobe Die Stichprobe der Hauptstudie setzte sich zusammen aus 80 erstmals stationär psychiatrisch behandelten Patienten mit Major Depression gemäß DSM-IV (APA, 1994). Im Mittel waren die Patienten 45,1 Jahre alt (bei einer Standardabweichung von 14,3 Jahren). Der jüngste Patient war 19 Jahre alt, der älteste 82 Jahre. Der Median des Alters betrug 43,5 Jahre. Von den Patienten waren 61 % Frauen und 39 % Männer. Die meisten der Patienten waren Arbeiter und Angestellte bzw. Beamte (insgesamt 83 % der Patienten). Weiterhin waren von den Patienten viele verheiratet und lebten mit dem Ehepartner zusammen (46 %), die zweitgrößte Gruppe von Patienten war ledig (29 %). 39 % der Patienten hatten zwei Kinder, 15 % eines und 37 % hatten keine Kinder. Als Schulabschluss kam am häufigsten Abitur vor (39 %), gefolgt von Mittlerer Reife (26 % der Patienten) und Hauptschulabschluss (20 %) (vgl. Tab. 5.1). Ergebnisse 123 Tab. 5.1: Soziodemographische Merkmale der Patientenstichprobe (N=80) Variable N relative Häufigkeit (Prozent) Alter M SD 45,1 14,3 1,3 1,2 Geschlecht: weiblich 49 61,3 männlich 31 38,8 6 7,5 einfache Angestellte / Beamte 23 28,8 mittlere bis hohe Angetellte / Beamte 21 26,3 Arbeiter 22 27,6 8 10,0 23 28,8 3 3,8 37 46,3 verheiratet und getrennt lebend 5 6,3 geschieden 8 10,0 verwitwet 4 5,0 sonstiges 0 0,0 Beruf: nie erwerbstätig Selbstständige Familienstand: ledig in Partnerschaft (> 3 Monate) lebend verheiratet und zusammen lebend Zahl der Kinder: keine 29 36,7 eines 12 15,2 zwei 31 39,2 drei 5 6,3 vier / mehr 2 2,6 keiner 12 15,0 Hauptschule 16 20,0 Realschule 21 26,3 Gymnasium 31 38,8 0 0,0 Schulabschluss: andere Anmerkungen: N: Anzahl der Patienten; M: arithmetisches Mittel; SD: Standardabweichung Ergebnisse 124 Bei den psychopathologischen Merkmalen (vgl. Tab. 5.2) zeigte sich, dass die Patienten im Mittel erstmals im Alter von 40 Jahren an Depression erkrankten (Standardabweichung: 16 Jahre). Das Minimum des Ersterkrankungsalters lag bei 13 Jahren, das Maximum bei 82 Jahren. Die Krankheitsdauer lag im Mittel bei 5 Jahren (Standardabweichung von 8 Jahren). Die aktuelle Episode dauerte bei 38 % der Patienten bei Beginn der stationären Behandlung schon bis zu drei Monate an, bei 26 % drei bis sechs Monate, bei 15 % zwischen sechs Monaten und einem Jahr, bei weiteren 15 % zwischen einem und zwei Jahren, bei den übrigen 6 % zwischen zwei und zehn Jahren. Mit der Indexepisode hatten die Patienten im Mittel 1,5 depressive Episoden (Standardabweichung von 1,2). Von den 80 Patienten hatten 13 % versucht, sich zu suizidieren, 44 % hatten Suizidgedanken, 44 % verneinten Suizidalität (bei Aufnahme in die Klinik). 16 % der Patienten (13 Personen) hatten wahnhafte Symptomatik, 78 % der Patienten (62) litten am melancholischen Typus der Depression (gemäß DSM-IV). Wahn trat bei letzteren Patienten nicht signifikant häufiger auf als bei Patienten mit nichtmelancholischer Depression. Die meisten Patienten erlitten mit der Indexepisode ihre erste depressive Episode, nämlich 73 %, die übrigen waren zum wiederholten Mal erkrankt. Die Krankheitsschwere wurde von den Untersuchern mittels den „Clinical Global Impressions“ CGI überwiegend als „deutlich krank“ eingestuft (51 % der Patienten), bei 31 % als „schwer krank“ und 3 % „extrem schwer krank“, außerdem bei 14 % als „mäßig krank“ und bei 1 % als „leicht krank“. Mit der Hamilton-Depressionsskala HAMD wurde die Schwere der Symptomatik im Mittel mit 23 Punkten beurteilt (Standardabweichung von 6 Punkten), in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala MADRS im Mittel mit 30 Punkten (Standardabweichung von 8 Punkten). Die Patienten selbst gaben im Beck-Depressionsinventar BDI im Mittel 26 Punkte an (Standardabweichung von 10 Punkten), in der Befindlichkeitsskala Bf-S im Mittel 3 Punkte (Standardabweichung von 1 Punkt) (vgl. Tab. 5.2). Bei 23 der 80 Patienten (29 %) fanden sich komorbid zur Depression andere psychische Störungen von der Achse I des DSM-IV, bei 57 keine. Bei 16 Patienten handelte es sich um eine, bei vier Patienten um zwei und bei drei Patienten um drei komorbide psychische Störungen. Am häufigsten kamen komorbid verschiedene Angststörungen vor, nämlich bei 13 Patienten, bei zwei dieser Patienten lagen zwei Angststörungen gleichzeitig vor, bei einem Patienten lag eine posttraumatische Belastungsstörung, bei einem eine Zwangsstörung vor. Eine dysthyme Störung (und damit eine „Double Depression“) fand sich bei sechs Patienten. Weitere komorbide Störungen waren: verschiedene Formen des Substanzmissbrauchs (bei fünf Patienten, bei einem davon zwei verschiedene Substanzen), Stottern (eine Patientin) und somatoforme Störungen (zwei Patienten). Ergebnisse 125 Tab. 5.2: Psychopathologische Merkmale der Patientenstichprobe (N=80) Variable N relative Häufigkeit (Prozent) Ersterkrankungsalter Alter bei erster psychiatrischer Behandlung Alter bei erster stationärer psychiatr. Behandlung Krankheitsdauer (in Jahren) M SD 40,2 42,4 44,7 3,7 16,2 14,7 14,5 6,1 1,5 1,2 26,1 3,1 23,0 30,0 10,0 1,0 6,4 8,3 49,5 12,6 Krankheitsdauer: weniger als 1 Monat 1 bis 3 Monate 3 bis 6 Monate 6 Monate bis 1 Jahr 1 Jahr bis 2 Jahre 2 bis 5 Jahre 5 bis 10 Jahre mehr als 10 Jahre 5 25 21 12 12 2 3 0 6,3 31,3 26,3 15,0 15,0 2,5 3,8 0,0 35 35 7 3 43,8 43,8 8,8 3,8 Suizidalität: nicht suizidal suizidal gefährlicher Suizidversuch sonstiger Suizidversuch Zahl der depressiven Episoden (inkl. Indexepisode): eine zwei und mehr 58 22 72,5 27,5 Auftreten von Wahn / kein Wahn 13 67 16,3 83,8 Schwere der depressiven Symptomatik: Beck-Depressionsinventar BDI Befindlichkeitsskala Bf-S Hamilton-Depressionsskala HAMD Montgomery-Åsberg-Depressionsskala MADRS Krankheitsschwere (Clinical-Global-Impressions CGI): nicht krank oder Grenzfall leicht krank mäßig krank deutlich krank schwer krank extrem schwer krank 0 1 11 41 25 2 0,0 1,3 13,8 51,3 31,3 2,5 globales Funktionsniveau (GAF) Komorbidität psychischer Störungen 23 28,8 Anmerkungen: N: Anzahl der Patienten; M: arithmetisches Mittel; SD: Standardabweichung Ergebnisse 126 Weitere Analysen der Stichprobe erbrachten keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der selbst- und fremdeingeschätzten Symptomschwere (BDI, BfS, SCL, HAMD, MADRS) zu Beginn der Behandlung. Zudem unterschieden sich Männer und Frauen nicht im Alter, in der Krankheitsdauer bis zur Aufnahme und der Zahl der depressiven Episoden. Allerdings unterschieden sie sich im Familienstand (Fishers Exakter Test, p=0,03) und in der derzeitigen beruflichen Situation signifikant (Fishers Exakter Test, p=0,001). Diese Unterschiede bestanden v. a. darin, dass von den Männern mehr getrennt lebten und weniger verwitwet waren als von den Frauen, ein größerer Anteil der Männer Vollzeit, aber keiner Teilzeit arbeitete (aber 37 % der Frauen). In anderen soziodemographischen und psychopathologischen Merkmalen zeigten sich keine Unterschiede. Je jünger die Patienten waren, desto schwerer schätzten sie im BDI die Schwere der depressiven Symptomatik zu Beginn der Behandlung ein (Korrelation von −0,26, p=0,02). Zwei mit Hilfe eines „Median-Split“ gebildete, somit gleich große Altersgruppen (jünger als 43,5 Jahren versus 43,5 Jahre und älter; 43,5 Jahre war der Median des Alters) unterschieden sich jedoch nicht signifikant in der selbst- und fremdeingeschätzten Symptomschwere zu Beginn der Behandlung (BDI, Bf-S, SCL, HAMD, MADRS), in der Krankheitsdauer und der Zahl der depressiven Episoden. 5.2 Studienverweigerer und Vergleich mit den Studienteilnehmern Die Patienten, die von vorneherein nicht an der Studie teilnehmen wollten, unterschieden sich im Alter signifikant von den Studienteilnehmern. Sie waren älter (56 Jahre versus 45 Jahre im arithmetischen Mittel) (t=2,92, p=0,004) (s. Tab. 5.3). In der Schulbildung zeigte sich (unter Vorbehalt wegen teilweise geringer Zellen-Größe) ein signifikanter Unterschied (Fishers Exakter Test, p=0,02), wobei die Schulbildung bei den Verweigerern geringer war; insbesondere hatten von ihnen mehr (59 %) einen Hauptschulabschluss als von den Studienteilnehmern (20 %). Auch die jetzige berufliche Situation unterschied sich signifikant (Fishers Exakter Test, p=0,04). Insbesondere waren zur Zeit der Untersuchung von den Verweigerern weniger berufstätig (50 %) als bei den Teilnehmern (70 %), und mehr in Altersrente (28 % vs. 6 %). Diese Unterschiede sind möglicherweise auf die Altersunterschiede zurückzuführen. Die Verweigerer hatten außerdem signifikant seltener keine Kinder und häufiger mehr Kinder als die Teilnehmer (Fishers Exakter Test, p=0,04). Die mittlere Kinderzahl unterschied sich in den beiden Gruppen jedoch nicht signifikant. Weitere soziodemographische Merkmale waren nicht signifikant verschieden. Ergebnisse 127 Zudem waren die Studienverweigerer in signifikant höherem Alter erstmals depressiv erkrankt (54 Jahre vs. 40 Jahre im Mittel; t=3,21, p=0,002) und signifikant älter, als sie erstmals in psychiatrische Behandlung kamen (55 Jahre vs. 42 Jahre im Mittel; t=3,27, p=0,002) und in stationäre psychiatrische Behandlung (56 Jahre vs. 45 Jahre; t=3,00, p=0,004) (vgl. Tab. 5.4). Tab. 5.3: Soziodemographische Merkmale der Studienverweigerer (N=18) Variable N relative Häufigkeit (Prozent) Alter M SD 56,1 15,7 1,6 1,1 Geschlecht: weiblich männlich 12 6 66,7 33,3 1 6 1 5 4 5,9 35,3 5,9 29,4 23,6 3 0 9 2 2 2 0 16,7 0,0 50,0 11,1 11,1 11,1 0,0 Beruf: nie erwerbstätig einfache Angestellte / Beamte mittlere bis hohe Angetellte / Beamte Arbeiter Selbstständige Familienstand: ledig in Partnerschaft (> 3 Monate) lebend verheiratet und zusammen lebend verheiratet und getrennt lebend geschieden verwitwet sonstiges Zahl der Kinder: keine eines zwei drei vier / mehr 3 7 4 3 1 16,7 38,9 22,2 16,7 5,6 1 10 3 3 5,9 58,8 17,6 17,6 Schulabschluss: keiner Hauptschule Realschule Gymnasium Anmerkungen: N: Anzahl der Patienten; M: arithmetisches Mittel; SD: Standardabweichung Ergebnisse 128 Tab. 5.4: Psychopathologische Merkmale der Studienverweigerer Variable N relative Häufigkeit (Prozent) M SD Ersterkrankungsalter 53,8 16,5 Alter bei erster psychiatrischer Behandlung 55,1 15,8 Alter bei erster stationärer psychiatr. Behandlung 56,1 15,7 2,3 3,5 1,3 0,5 23,7 29,4 4,0 4,6 48,1 14,5 Krankheitsdauer (in Jahren) Krankheitsdauer: weniger als 1 Monat 1 bis 3 Monate 3 bis 6 Monate 6 Monate bis 1 Jahr 1 Jahr bis 2 Jahre 2 bis 5 Jahre 5 bis 10 Jahre mehr als 10 Jahre 1 3 6 4 1 1 0 0 11,8 17,6 35,3 23,5 5,9 5,9 0,0 0,0 5 10 3 0 27,8 55,6 16,7 0,0 Suizidalität: nicht suizidal suizidal gefährlicher Suizidversuch sonstiger Suizidversuch Zahl der depressiven Episoden (inkl. Indexepisode): eine zwei und mehr 10 8 55,6 44,4 Auftreten von Wahn / kein Wahn 0 18 0,0 100,0 Schwere der depressiven Symptomatik: Hamilton-Depressionsskala HAMD Montgomery-Åsberg-Depressionsskala MADRS Krankheitsschwere (Clinical-Global-Impressions CGI): nicht krank oder Grenzfall leicht krank mäßig krank deutlich krank schwer krank extrem schwer krank globales Funktionsniveau (GAF) 0 0 0 14 4 0 0,0 0,0 0,0 77,8 22,2 0,0 Anmerkungen: N: Anzahl der Patienten; M: arithmetisches Mittel; SD: Standardabweichung Ergebnisse 129 Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in der Schwere der depressiven Symptomatik (gemessen mit der Hamilton- und der Montgomery-ÅsbergDepressionsskala), der Zeit seit der ersten Behandlung der Depression, der Krankheitsdauer, der Zahl der depressiven Episoden, dem allgemeinen Funktionsniveau, zudem nicht im Anteil von Männern und Frauen. Weitere Merkmale wurden nicht untersucht. 5.3 Drop-Out-Analysen Statistische Drop-out-Analysen wurden wegen der geringen Zahl von zwei Studienabbrechern (also Patienten, die noch vor der Entlassuntersuchung die weitere Teilnahme an der Studie ablehnten) nicht durchgeführt. Dem Augenschein nach unterschieden sich die beiden Patienten jedoch nicht von den 80 Patienten, die bis zur Entlassung teilnahmen. Es fanden sich somit keine Hinweise für systematische Selektionsfehler. Ergebnisse 130 5.4 Persönlichkeitsstörungen Im Folgenden werden die Ergebnisse zu Persönlichkeitsstörungen dargestellt. Zunächst wird auf die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen eingegangen, dann auf die Komorbidität, die Beziehung der Persönlichkeitsstörungen untereinander, die Beziehung zwischen Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen, die Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen und zuletzt auf den Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen. 5.4.1 Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen Von den untersuchten 80 Patienten wiesen 53 % Persönlichkeitsstörungen gemäß DSMIV (SKID-II) auf, 55 % Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV (AMPS) und 43 % Persönlichkeitsstörungen gemäß ICD-10 (AMPS) (vgl. Abb. 5.1, Tab. 5.5). Am häufigsten waren Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV: insbesondere die zwanghafte Persönlichkeitsstörung fand sich in der untersuchten Stichprobe häufig, nämlich bei 31 % aller Patienten (basierend auf SKID-II). Außerdem wiesen 23 % der Patienten eine selbstunsichere (ängstlich-vermeidende) Persönlichkeitsstörung auf und 8 % eine dependente Persönlichkeitsstörung. Von den übrigen Persönlichkeitsstörungen aus den anderen Clustern war die BorderlinePersönlichkeitsstörung am häufigsten. Sie wurde bei 11 % der Patienten mit dem SKIDII festgestellt. Von den subaffektiven Persönlichkeitsstörungen fand sich die depressive mit Hilfe des DID bei 6 % der Patienten (bei einem Cut-Off von 43 Punkten; bei einem Cut-Off von 35 Punkten bei 11 % der Patienten), mit Hilfe des SKID-II bei 11 % der Patienten. pa ra no id iz ot yp i Cluster A sc h sc h sc h iz oi d an tis oz ia l Bo ne hi st rio Cluster B rd er li ni sc h na rz iß tis ch ei ve rm de nd pe nd e nt Cluster C de zw an gh a ft ga tiv ist isc h de pr es siv Forschungsanhang ne Abb. 5.1: Absolute Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV (SKID-II) bei den depressiven Patienten (N=80) 0 5 10 15 20 25 n Ergebnisse 132 Tab. 5.5: Relative Häufigkeiten der Persönlichkeitsstörungen (in Prozent) (N=80) Messinstrument Persönlichkeitsstörung DID SKID-II AMPS (ICD-10) AMPS (DSM-IV) irgendeine PS 52,5 42,5 55,0 Cluster A paranoide schizoide schizotypische 5,0 5,0 1,3 1,3 6,3 - 10,0 6,3 1,3 5,0 - - 1,3 1,3 7,5 2,5 8,8 26,3 6,3 32,5 AMPS Cluster B antisoziale (Kindheit) * antisoziale impulsive Borderline histrionische narzisstische 11,3 3,8 5,0 1,3 2,5 2,5 2,5 - Cluster C selbstunsichere dependente zwanghafte 22,5 7,5 31,3 18,8 6,3 31,3 2,5 - 11,3 - - 20,0 - - - 0,0 1,3 2,5 Forschungsanhang: negativistische subaffektive: depressive zyklothyme hyperthyme asthenische 16,3 6,3 ** Anmerkungen: * eigentlich „Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“; ** je nach Cut-Off zwischen diesen beiden Werten (Cut-Off von 32 und Cut-Off von 43 als Extrema); PS: Persönlichkeitsstörung DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II; AMPS: Aachener Merkmalsliste für Persönlichkeitsstörungen Hinsichtlich Geschlecht und Alter wurden diese Befunde weiter geprüft. Dabei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen darin, wie häufig überhaupt eine Persönlichkeitsstörung vorlag, auch nicht in der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen aus den drei Clustern A, B und C. Männer und Frauen unterschieden sich kaum hinsichtlich der erfüllten Kriterien für die einzelnen Persönlichkeitsstörungen bzw. der Summenwerte für die einzelnen Persönlichkeitsstörungen. Bei der narzisstischen (Z=2,51, p=0,01) und der antisozialen Ergebnisse 133 Persönlichkeitsstörung (Z=2,19, p=0,03) hatten Männer signifikant mehr erfüllte Kriterien als Frauen. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung war es umgekehrt (Z=−2,25, p=0,02). Bei den Summenwerten fand sich nur ein signifikanter Unterschied bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in derselben Richtung wie bei der Zahl der erfüllten Kriterien (Z=2,79, p=0,01). Außerdem zeigte sich beim Vergleich zweier Altersgruppen (Trennung mit Hilfe des Median-Split bei 43,5 Jahren), dass bei jüngeren und älteren Patienten nicht signifikant unterschiedlich häufig überhaupt eine Persönlichkeitsstörung vorlag, zudem bestanden keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen aus den Clustern A und C. Persönlichkeitsstörungen aus Cluster B wurden bei jüngeren Patienten signifikant häufiger festgestellt als bei älteren (χ2=11,11, p=0,001). Es zeigte sich, dass ältere Patienten signifikant mehr Kriterien der zwanghaften Persönlichkeitsstörung erfüllten als jüngere (Z=−2,28, p=0,03). Bei den Summenwerten fanden sich folgende signifikante Unterschiede: jüngere Patienten wiesen signifikant höhere Summenwerte der paranoiden Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 (AMPS) auf (Z=2,00, p=0,05), außerdem der impulsiven (nach ICD-10, AMPS) (Z=3,00, p=0,01), der antisozialen (DSM-IV, AMPS) (Z=2,04, p=0,04), der BorderlinePersönlichkeitsstörung (DSM-IV, AMPS) (Z=2,36, p=0,02) und der zyklothymen Persönlichkeitsstörung (AMPS) (Z=2,09, p=0,04). Korrelationsanalysen mit dem Alter erbrachten folgende signifikante Zusammenhänge: je jünger die Patienten waren, desto mehr Kriterien der negativistischen, der BorderlinePersönlichkeitsstörung und der antisozialen Persönlichkeitsstörung (jeweils nach DSMIV, erhoben mit SKID-II) waren erfüllt. Signifikante Zusammenhänge in derselben Richtung fanden sich für die Summenwerte der paranoiden, der dissozialen, der impulsiven, der Borderline- und der abhängigen Persönlichkeitsstörung (nach ICD-10, erhoben mit AMPS); außerdem fanden sich signifikante Zusammenhänge derselben Richtung für die Summenwerte der antisozialen, der Borderline- und der dependenten Persönlichkeitsstörung (nach DSM-IV, erhoben mittels AMPS) und der depressiven sowie der zyklothymen Persönlichkeitsstörung (beide mit AMPS erhoben). Die gefundenen signifikanten Zusammenhänge lagen zwischen −0,23 und −0,46. Die Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen wurden auch getrennt nach Clustern untersucht. So fanden sich bei 9 % der Patienten Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster A, bei 16 % solche aus dem Cluster B und bei 40 % solche aus dem Cluster C (gemäß DSM-IV, SKID-II) (vgl. Tab. 5.6, Abb. 5.2). Wurden Patienten gesucht, die nur Persönlichkeitsstörungen aus jeweils einem Cluster aufwiesen, so fanden sich keine Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nur aus Cluster A, 10 % mit Persönlichkeitsstörungen nur aus Cluster B und 28 % der Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nur aus Cluster C. Die negativistische Persönlichkeitsstörung fand sich bei 2 Patienten (3 %), die depressive Persönlichkeitsstörung bei 11 %. Ergebnisse 134 Tab. 5.6: Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen (DSM-IV) der verschiedenen Cluster (N=80) Cluster / Persönlichkeitsstörung (gemäß SKID-II) absolute Häufigkeit irgendeine Persönlichkeitsstörung relative Häufigkeit (in Prozent) 42 52,5 Cluster A 7 8,8 Cluster B 13 16,3 Cluster C 32 40,0 ausschließlich Cluster A 0 0,0 ausschließlich Cluster B 8 10,0 ausschließlich Cluster C 22 27,5 depressive Persönlichkeitsstörung 9 11,3 negativist. Persönlichkeitsstörung 2 2,5 Anmerkungen: SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II n 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Persönlichkeitsstörungen Cluster A Cluster B Cluster C Abb. 5.2: Absolute Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen in den Clustern gemäß DSM-IV (SKID-II) in der Stichprobe von 80 depressiven Patienten 135 Ergebnisse Von den untersuchten 42 depressiven Patienten mit Persönlichkeitsstörungen litten 20 Patienten an einer, 12 Patienten an zwei und 10 Patienten an drei und mehr Persönlichkeitsstörungen (vgl. Abb. 5.3). mehr als zwei Persönlichkeitsstörungen n=10 24% eine Persönlichkeitsstörung n=20 47% zwei Persönlichkeitsstörungen n=12 29% Abb. 5.3: Häufigkeiten von einer, zwei oder mehr Persönlichkeitsstörungen (DSMIV, SKID-II) (N=42 depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen) Von den zehn Patienten mit drei und mehr Persönlichkeitsstörungen wiesen drei Patienten drei, drei Patienten vier und jeweils ein Patient fünf, sechs und elf Persönlichkeitsstörungen auf. Neben den beschriebenen Maßen für Persönlichkeitsstörungen und subaffektive Persönlichkeitsstörungen wurden die Ausprägungen der Persönlichkeitsstruktur des Typus-Melancholicus bei den Patienten untersucht. Mit Hilfe eines Median-Splits der Werte im Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar TMPI entstanden zwei Gruppen von Patienten mit je 34 Personen (der Median betrug 48,5) Eine Gruppe wies geringere Ausprägungen des Typus Melancholicus auf (Werte kleiner als der Median im TMPI), die andere stärkere Ausprägungen des Typus Melancholicus (Werte gleich oder über dem Median des TMPI). Ergebnisse 136 5.4.2 Komorbidität und Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen untereinander 5.4.2.1 Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen untereinander Hinsichtlich der Komorbidität verschiedener Persönlichkeitsstörungen wurde festgestellt, dass am häufigsten zwanghafte und selbstunsichere Persönlichkeitsstörung gemeinsam auftraten (bei 12 Patienten) (vgl. Tab. 5.7). Ebenfalls relativ häufig trat die depressive Persönlichkeitsstörung mit der selbstunsicheren, der dependenten und der zwanghaften Persönlichkeitsstörung auf (jeweils fünf Mal). Zudem kamen die schizoide und die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung sowie die dependente und die zwanghafte Persönlichkeitsstörung je vier Mal gemeinsam vor. 3 dependent n=6 4 12 zwanghaft n=25 1 1 0 schizotypisch n=1 1 0 1 3 1 3 0 3 n=4 n=4 4 paranoid schizoid Cluster A Anmerkungen: * eigentlich „Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“ depressiv antisozial antisozial (Kindheit) * Borderline narzisstisch histrionisch paranoid schizoid schizotypisch zwanghaft dependent selbstunsicher selbstunsicher n=18 Cluster C 1 0 1 1 2 0 histrionisch n=3 3 1 0 1 1 2 0 narzisstisch n=4 2 1 2 1 1 2 2 3 Borderline n=9 Cluster B Tab. 5.7: Komorbiditäten von Persönlichkeitsstörungen nach SKID-II (N=80), absolute Häufigkeiten 2 1 1 2 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 antisozial antisozial (Kindn=1 heit) * n=4 1 2 1 1 1 3 1 1 5 3 5 n=9 depressiv 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 negativistisch n=2 Forschungsanhang 138 Ergebnisse Tab. 5.8: Komorbiditäten von Persönlichkeitsstörungen (N=80) Persönlichkeitsstörung / Cluster (gemäß DSM-IV) absolute Häufigkeit relative Häufigkeit (in Prozent) depressive PS (DID) mit anderen PS nach ICD-10 (AMPS) depressive PS (DID) mit anderen PS nach DSM-IV (AMPS) depressive PS (DID) mit anderen PS nach DSM-IV (SKID-II) 8* 5 10 * 5 10 * 5 6,3 6,3 8,8 6,3 8,8 6,3 depressive PS (SKID-II) mit anderen PS nach ICD-10 (AMPS) depressive PS (SKID-II) mit anderen PS nach DSM-IV (AMPS) depressive PS (SKID-II) mit anderen PS nach DSM-IV (SKID-II) 6 7,5 8 10,0 7 8,8 12 15,0 13 16,3 14 17,5 Cluster A und B Cluster A und C Cluster B und C 2 7 5 2,5 8,8 6,3 Cluster A und depressive PS Cluster B und depressive PS Cluster C und depressive PS 4 2 6 5,0 2,5 7,5 Cluster A und negativistische PS Cluster B und negativistische PS Cluster C und negativistische PS 2 1 2 2,5 1,3 2,5 depressive und negativistische PS 2 2,5 Cluster A, B und C 2 2,5 Cluster A, B, C und depressive PS Cluster A, B, C und negativistische PS Cluster A, B, C, depressive und negativistische PS 1 1 1 1,3 1,3 1,3 depressive PS (AMPS) mit anderen PS nach ICD-10 (AMPS) depressive PS (AMPS) mit anderen PS nach DSM-IV (AMPS) depressive PS (AMPS) mit anderen PS nach DSM-IV (SKID-II) Anmerkungen: PS: Persönlichkeitsstörung(en); * Cut-Off von 32 (erste Zahl) und 43 (zweite Zahl). Wurden die Komorbiditäten auch auf Cluster-Ebene betrachtet, so zeigte sich, dass von den Patienten, die gemäß SKID-II eine depressive Persönlichkeitsstörung aufwiesen, 139 Ergebnisse 9 % weitere Persönlichkeitsstörungen im SKID-II hatten (s. Tab. 5.8, Abb. 5.4 und 5.5). Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A und B traten bei 3 % der Patienten komorbid auf, solche aus A und C bei 9 %, Persönlichkeitsstörungen aus Cluster B und C bei 6 % der Patienten. Alle drei Cluster zusammen traten nur bei 2 Patienten auf (3 %). Cluster A (7) 2 7 2 Cluster B (13) Cluster C (32) 5 Abb. 5.4: Häufigkeiten der Persönlichkeitsstörungen (DSM-IV, SKID-II) nach Clustern und Häufigkeiten der Komorbiditäten (80 Patienten) Cluster A (7) 2 4 Depr. PS (9) 7 6 2 Cluster B (13) 5 Cluster C (32) Abb. 5.5: Häufigkeiten der Persönlichkeitsstörungs-Cluster (DSM-IV), der depressiven Persönlichkeitsstörung („Depr. PS“) sowie der Komorbiditäten Ergebnisse 140 Insgesamt waren in der Stichprobe der 80 Patienten zwischen 0 und 67 Kriterien für Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV erfüllt, im Mittel waren es 15,9 (Standardabweichung von 10,9). Im Cluster A waren zwischen 0 und 12 Kriterien erfüllt (Mittel von 2,7, Standardabweichung von 2,8), im Cluster B zwischen 0 und 33 (Mittel von 3,7, Standardabweichung von 4,9) und im Cluster C zwischen 0 und 17 (Mittel von 6,6, Standardabweichung von 4,1). Patienten mit schwacher und starker Ausprägung des Typus Melancholicus gemäß dem Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar TMPI wurden hinsichtlich des gleichzeitigen Vorkommens von Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV (SKID-II) verglichen. Bei den Patienten mit stärkerer Ausprägung des Typus Melancholicus fand sich bei 8 gleichzeitig eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung, bei 3 eine dependente, bei 10 eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Außerdem fanden sich bei diesen Patienten bei 5 eine depressive Persönlichkeitsstörung, bei je 2 Patienten eine paranoide und eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, bei je 1 Patienten eine negativistische, eine schizoide, eine histrionische und eine narzisstische, und bei keinem Patienten eine schizotypische oder eine antisoziale Persönlichkeitsstörung. Die Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit und Jugend kam bei Patienten mit stärkerer Ausprägung des Typus Melancholicus einmal vor. Bei den Patienten mit schwächerer Ausprägung des Typus-Melancholicus fanden sich ähnliche Häufigkeiten der einzelnen Persönlichkeitsstörungen. Bei insgesamt 13 der Patienten mit stärkerer Ausprägung des Typus Melancholicus wurden Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen festgestellt, bei 4 Cluster-BPersönlichkeitsstörungen und bei 3 Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen. Bei den Patienten mit schwächerer Ausprägung des Typus Melancholicus traf dies für 16, 6 bzw. 4 Patienten zu. Bei 15 der Patienten mit stärkerem Typus Melancholicus fanden sich gleichzeitig Persönlichkeitsstörungen, verglichen mit 20 der Patienten mit schwächerem Typus Melancholicus. 5.4.2.2 Beziehungen zwischen den Persönlichkeitsstörungen Die Beziehungen zwischen Persönlichkeitsstörungen wurden auch in Form von Korrelationen (Spearman-Korrleationskoeffizienten) untersucht. Die im Folgenden dargestellten Zusammenhänge sind alle signifikant. Die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DID (DID-Gesamtwert) wies die engsten Beziehungen auf zu der selbstunsicheren, der schizoiden, der paranoiden, der negativistischen und der depressiven Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II (Korrelationen zwischen 0,44 und 0,59) (s. Tab. 5.9). Die Unterskala „negativistisch“ hatte die engsten Beziehungen zur selbstunsicheren, der dependenten, der paranoiden, der Borderline- Ergebnisse 141 Persönlichkeitsstörung und der depressiven Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II (Korrelationen zwischen 0,41 und 0,60). Die Skala „introvertiert“ hing am stärksten mit der selbstunsicheren, der schizotypischen und der schizoiden Persönlichkeitsstörung zusammen (Korrelationen zwischen 0,40 und 0,57). Die Skala „passiv“ korrelierte am stärksten mit der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung (in Höhe von 0,41). Die Skala „selbstverleugnend“ hing am engsten zusammen mit der selbstunsicheren und der depressiven Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II. Die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DPSI hing am stärksten zusammen mit der selbstunsicheren, der dependenten und der depressiven Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II (in Höhe von 0,44 bis 0,48). Alle hier beschriebenen Zusammenhänge waren signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1 %. Die Persönlichkeitsstörungen nach SKID-II wurden in ihren Beziehungen untereinander untersucht (s. Tab. 5.10). Es wurden Spearman-Korrelationskoeffizienten verwendet. Dabei fanden sich besonders starke (auch signifikante) Zusammenhänge zwischen der selbstunsicheren und der dependenten Persönlichkeitsstörung (Korrelationskoeffizient von 0,50), der selbstunsicheren und der zwanghaften (0,43), der selbstunsicheren und der schizotypischen (0,41), der selbstunsicheren und der schizoiden (0,57) und der selbstunsicheren und der depressiven Persönlichkeitsstörung (0,46). Außerdem fanden sich relativ enge Zusammenhänge zwischen der dependenten Persönlichkeitsstörung einerseits und der Borderline-Persönlichkeitsstörung (0,49), der antisozialen (0,44) und der depressiven Persönlichkeitsstörung (0,43) andererseits. Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung zeigte außerdem einen starken Zusammenhang mit der schizoiden Persönlichkeitsstörung (0,42). Eine stärker ausgeprägte schizotypische Persönlichkeitsstörung ging einher mit einer stärkeren Ausprägung der schizoiden Persönlichkeitsstörung (Korrelation von 0,57), der paranoiden (0,52), der Borderline-Persönlichkeitsstörung (0,43), der antisozialen (0,47) und der depressiven Persönlichkeitsstörung (0,47). Die schizoide Persönlichkeitsstörung hing außerdem deutlich mit der paranoiden Persönlichkeitsstörung zusammen (0,44). Die paranoide Persönlichkeitsstörung korrelierte hoch mit der BorderlinePersönlichkeitsstörung (0,51), mit der antisozialen (0,42) und der depressiven Persönlichkeitsstörung (0,47). Außerdem korrelierten die antisoziale Persönlichkeitsstörung und die Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz (entspricht einer antisozialen Persönlichkeitstsörung bei Kindern und Jugendlichen) hoch miteinander (0,70). Die antisoziale Persönlichkeitsstörung korrelierte außerdem zu 0,53 mit der depressiven und zu 0,51 mit der negativistischen Persönlichkeitsstörung. 0,41 *** 0,36 ** 0,40 *** 0,04 0,59 *** 0,33 *** 0,39 *** 0,44 *** 0,54 *** 0,19 passiv selbstverleugnend DID-Gesamtwert DPSI 1 (n=69) 0,27 * schizoid 0,47 *** paranoid 0,38 ** 0,36 ** 0,23 * 0,16 0,24 * 0,36 *** 0,31 ** 0,37 ** 0,44 *** 0,45 *** 0,32 ** 0,22 + 0,40 *** 0,51 *** 0,35 ** 0,31 ** schizotypisch Cluster A 0,09 narzisstisch −0,01 −0,10 0,13 0,01 −0,06 0,19 −0,04 0,07 −0,29 ** −0,11 0,05 histrionisch antisozial (Kindheit) 2 0,07 0,09 −0,01 0,32 ** 0,24 * 0,39 *** 0,07 0,12 0,36 ** 0,24 * 0,48 *** 0,11 Borderine Cluster B 0,10 0,28 0,32 0,37 + 0,03 0,34 antisozial (n=21) negativistisch 0,36 *** 0,49 *** 0,37 ** 0,52 *** 0,47 *** 0,41 *** 0,28 * 0,30 ** 0,36 *** 0,39 *** 0,60 *** 0,43 *** depressiv Forschungsanhang Anmerkungen: Spearman-Korrelationskoeffizienten; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II; DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar; + p < 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001; 1 zum Zeitpunkt der Entlassung; 2 eigentlich: „Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“. 0,24 * 0,20 + 0,39 *** 0,57 *** 0,25 * zwanghaft introvertiert dependent 0,46 *** 0,41 *** 0,33 ** selbstunsicher negativistisch DID: SKID-II Cluster C Tab. 5.9: Interkorrelationen von SKID-II-Persönlichkeitsstörungen und depressiver Persönlichkeitsstörung (DID, DPSI) (N=80) 0,50 *** dependent 0,28 ** 0,43 *** zwanghaft + 0,36 *** 0,25 * 0,41 *** schizotypisch 0,57 *** 0,42 *** 0,15 0,57 *** schizoid Cluster A 0,44 *** 0,52 *** 0,30 ** 0,34 ** 0,31 ** paranoid 0,13 0,33 ** −0,05 0,19 + 0,35 ** 0,28 * 0,23 * −0,01 0,18 0,25 * 0,01 −0,04 0,28 * narzisstisch histrionisch 1 0,27 * 0,36 *** 0,51 *** 0,37 *** 0,25 * 0,17 0,14 0,18 0,08 0,07 0,08 0,20 + 0,43 *** 0,16 0,01 antisozial (Kindheit) 1 0,49 *** 0,32 ** Borderline Cluster B 0,70 *** 0,53 * 0,07 0,36 ** 0,39 + 0,11 0,47 *** 0,37 *** 0,47 *** 0,37 *** 0,43 *** 0,46 *** depressiv 0,41 *** 2 0,61 ** 0,35 0,42 + 0,14 0,47 * 0,20 0,44 * −0,08 antisozial 0,34 ** 0,51 * 0,25 * 0,28 * 0,19 + 0,07 0,33 ** 0,18 + 0,27 * 0,22 * 0,23 * 0,38 *** negativistisch Forschungsanhang Anmerkungen: Spearman-Korrelationskoeffizienten: p < 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001; eigentlich: „Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“; 2 hier n=21, ansonsten n=80 depressiv antisozial 2 antisozial (Kindheit) 1 Borderline narzisstisch histrionisch paranoid schizoid schizotypisch zwanghaft dependent selbstunsicher selbstunsicher Cluster C Tab. 5.10: Interkorrelationen von Persönlichkeitsstörungen nach SKID-II (N=80) Ergebnisse 144 5.4.3 Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen Es wurden die Beziehungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen mit Hilfe von Korrelationen untersucht (s. Tab. 5.11, 5.12). Hierzu wurden wegen nicht-normalverteilter Variablen SpearmanKorrelationskoeffizienten verwendet. Die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DID (DID-Gesamtwert) korrelierte signifikant mit Neurotizismus des NEO-FFI, den gemittelten interpersonalen Problemen gemäß IIP und den IIP-Skalen „zu abweisend / kalt“ und „zu introvertiert / sozial vermeidend“. Die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DPSI korrelierte signifikant und am höchsten mit Neurotizismus gemäß NEOFFI, dem Gesamtwert des IIP und der IIP-Skala „zu introvertiert / sozial vermeidend“. Außerdem zeigten sich folgende besonders starke signifikante Beziehungen: die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II korrelierte zu 0,42 mit Neurotizismus gemäß NEO-FFI. Außerdem korrelierte die paranoide Persönlichkeitsstörung (SKID-II) mit der Verträglichkeit des NEO-FFI (−0,48) und den IIP-Skalen „zu autokratisch“ (0,43), „zu streitsüchtig“ (0,45) und „zu abweisend“ (0,41) besonders stark. 0,64 *** 0,42 *** 0,25 * 0,33 ** 0,34 ** 0,08 0,15 0,39 ** 0,17 0,04 −0,01 0,30 * 0,15 0,06 DPSI 1 SKID-II: depressiv negativistisch selbstunsicher dependent zwanghaft paranoid schizotypisch schizoid histrionisch narzisstisch Borderline antisozial, Kind 3 antisozial −0,16 −0,33 ** −0,26 * −0,12 −0,17 −0,11 −0,14 −0,16 −0,01 −0,01 −0,03 0,16 0,05 −0,32 ** −0,24 −0,12 −0,13 −0,19 −0,28 * −0,05 0,01 −0,29 * −0,03 −0,01 −0,19 −0,14 −0,17 −0,19 −0,02 0,04 Offenheit −0,09 −0,21 + −0,33 ** −0,10 −0,01 −0,38 ** −0,01 0,04 Extraversion −0,12 −0,30 * −0,19 0,02 −0,11 −0,48 *** −0,23 + −0,17 −0,26 * −0,25 * −0,11 −0,24 −0,25 * −0,27 * −0,22 + −0,29 * −0,19 −0,02 0,05 Verträglichkeit −0,02 0,02 −0,34 ** −0,22 + −0,07 −0,09 −0,03 −0,28 * −0,07 −0,07 0,04 0,07 −0,01 −0,10 −0,05 0,11 −0,23 + −0,21 + 0,01 −0,09 −0,02 −0,07 0,26 * −0,04 0,16 0,13 0,18 0,13 0,01 0,08 DRP 0,13 −0,18 −0,10 0,06 0,06 0,07 −0,08 0,10 Gewissenhaftigkeit DRP 1, 2 (N=67) −0,02 0,03 0,01 0,04 0,08 0,06 0,12 0,10 0,14 0,18 0,13 0,28 * 0,18 0,44 *** 0,22 + 0,27 * 0,14 0,18 −0,04 Dependenz −0,07 0,06 −0,01 0,19 0,13 0,27 * 0,13 0,27 * 0,01 −0,02 0,05 0,26 * 0,09 0,19 0,12 0,07 0,22 + 0,08 0,09 Ambiguitätsintoleranz −0,09 −0,19 −0,35 ** −0,11 −0,18 −0,12 −0,16 −0,15 −0,20 −0,16 −0,01 0,05 −0,10 0,04 −0,03 0,05 −0,09 −0,07 0,07 Hypernomie 0,01 0,06 −0,16 0,08 0,01 0,11 0,07 −0,09 −0,12 −0,03 0,11 0,31 * −0,03 0,20 0,11 0,21 + 0,11 −0,07 0,06 Perfektionismus −0,04 0,01 −0,14 0,06 0,04 0,13 0,10 0,06 −0,03 0,05 0,10 0,35 ** 0,04 0,34 ** 0,18 0,22 + 0,18 0,08 0,07 Gesamtwert Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar (TMPI) 1 (N=68) Anmerkungen: Spearman-Korrelationen; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001; 1 bei Entlassung; 2 Depression-Related-Personality-Trait-Scale, 3 antisoziale Persönlichkeitsstörung in der Kindheit (eigentlich „Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“) 0,35 ** 0,40 *** 0,25 * 0,27 * 0,08 DID: Gesamtwert negativistisch introvertiert passiv selbstverleugnend Neurotizismus NEO-Fünf-Faktoren-Inventar NEO-FFI 1 (N=68) Tab. 5.11: Beziehungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen, Teil 1 0,21 0,15 −0,21 0,01 −0,14 0,04 0,18 0,09 Extraversion −0,20 0,04 −0,02 −0,04 Offenheit −0,13 −0,10 −0,04 −0,15 Verträglichkeit 0,16 −0,10 0,08 −0,02 Gewissenhaftigkeit 0,23 −0,13 0,12 0,06 DRP DRP 1 2 (N=67) 0,27 * 0,22 0,06 −0,02 Dependenz 0,08 −0,15 0,31 −0,08 Ambiguitätsintoleranz 0,06 −0,21 0,12 −0,01 Hypernomie 0,23 −0,16 0,13 −0,04 Perfektionismus 0,26 * −0,08 0,19 −0,05 Gesamtwert Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar (TMPI) 1 (N=68) Anmerkungen: Spearman-Korrelationskoeffizienten; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001; 1 bei Entlassung; 2 Depression-Related-Personality-TraitScale; 4 erhoben mit der AMPS-R (Aachener Merkmalsliste für Persönlichkeitsstörungen); DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II. subaffektive PS: 4 depressiv zyklothym hyperthym asthenisch Neurotizismus NEO-Fünf-Faktoren-Inventar NEO-FFI 1 (N=68) Forts. zu Tab. 5.11: Beziehungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen, Teil 1 Forts. s. n. S. 0,17 0,15 0,35 ** 0,05 0,08 0,22 + 0,19 0,34 ** 0,17 0,19 0,29 * 0,27 * 0,16 0,26 * 0,17 histrionisch narzisstisch Borderline antisozial 2 antisozial 0,41 *** 0,27 * 0,29 * 0,43 *** 0,21 + 0,01 paranoid schizotypisch schizoid 0,32 ** 0,21 + 0,27 * 0,29 * 0,23 + 0,49 *** 0,34 ** 0,29 * 0,35 ** 0,20 0,09 0,45 *** 0,18 0,08 0,07 0,07 0,05 −0,05 0,15 0,14 selbstunsicher dependent zwanghaft 0,23 + 0,23 + 0,21 + 0,24 + 0,17 0,19 0,08 0,14 0,09 0,36 ** 0,14 1 0,21 + 0,29 * 0,03 0,17 0,22 + SKID-II: depressiv negativistisch DPSI DID: Gesamtwert negativistisch introvertiert passiv selbstverleugnend 0,17 −0,01 0,26 * 0,03 0,09 0,29 * 0,26 * 0,18 0,28 * 0,24 * 0,19 0,34 ** 0,16 0,57 *** 0,26 * 0,22 + 0,30 * 0,24 * 0,02 zu zu zu zu autokratisch streitsüchtig abweisend / introvertiert / / konkurkalt / sozial dominant rierend vermeidend 0,30 * −0,04 0,10 −0,08 −0,09 −0,13 0,13 −0,02 −0,05 0,11 −0,01 0,12 −0,21 + 0,14 −0,04 −0,04 0,04 0,08 0,12 0,19 −0,07 0,35 ** 0,03 0,04 −0,08 0,12 −0,03 0,23 0,04 0,20 −0,01 −0,03 0,01 0,12 −0,05 0,02 0,15 0,06 0,30 * 0,02 0,31 * 0,14 0,31 * −0,09 0,15 0,08 zu zu ausnutzbar / fürsorglich nachgiebig / freundlich 0,27 * 0,18 0,15 0,17 0,16 0,45 0,18 0,14 0,16 0,24 * 0,01 zu selbstunsicher / unterwürfig Inventar Interpersonaler Probleme (IIP) 1 (N=66) Tab. 5.12: Beziehungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen, Teil 2 0,21 + 0,20 + −0,01 0,01 0,05 −0,01 0,02 −0,27 * −0,15 0,10 −0,07 0,22 + 0,10 0,20 −0,01 0,16 −0,27 * 0,07 −0,01 zu expressiv / aufdringlic h 0,30 * 0,10 0,24 + 0,05 0,11 0,19 0,23 + 0,05 0,17 0,24 + 0,20 + 0,35 ** 0,14 0,54 *** 0,28 * 0,32 ** 0,13 0,27 * 0,10 gemittelte interpers. Probleme 4 0,09 0,08 0,24 + 0,01 0,11 0,02 0,25 * 0,10 0,25 * 0,11 0,21 + 0,12 0,29 * 0,06 0,11 0,18 0,22 + 0,13 −0,07 0,05 zu selbstunsicher / unterwürfig 0,08 0,20 0,01 −0,05 0,26 * 0,24 * 0,09 0,05 zu zu ausnutzbar / fürsorglich nachgiebig / freundlich 0,01 0,34 ** 0,21 + −0,14 zu expressiv / aufdringlic h 0,24 * 0,24 + 0,18 0,03 gemittelte interpers. Probleme Anmerkungen: Spearman-Korrelationskoeffizienten; + p <0,10 * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001; 1 zum Zeitpunkt der Entlassung; 2 antisoziale Persönlichkeitsstörung in der Kindheit („Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“); 4 erhoben mit der AMPS-R (Aachener Merkmalsliste für Persönlichkeitsstörungen) DID: Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit; DPSI: Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar; SKID-II: Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II. subaffektive PS: depressiv zyklothym hyperthym asthenisch zu zu zu zu autokratisch streitsüchtig abweisend / introvertiert / / konkurkalt / sozial dominant rierend vermeidend Inventar Interpersonaler Probleme (IIP) 1 (N=66) Forts. Tab. 5.12: Beziehungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen, Teil 2 Ergebnisse 149 Hinsichtlich der Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen und Typus Melancholicus wurde festgestellt, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (gemäß DSM-IV, SKIDII) nicht signifikant häufiger Typus Melancholicus in stärkerer Ausprägung (gemäß Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar TMPI, durch Median-Split zwei Gruppen) aufwiesen als Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen (und umgekehrt). Zudem wiesen Patienten mit stärkerem Typus Melancholicus nicht signifikant mehr Persönlichkeitsstörungen auf als Patienten mit schwächerem Typus Melancholicus. Patienten mit stärkerer Ausprägung der Merkmale des Typus Melancholicus hatten nicht signifikant verschieden häufig einzelne Persönlichkeitsstörungen. Allerdings wiesen diese Patienten mehr erfüllte Kriterien für die depressive Persönlichkeitsstörung (gemäß SKIDII) auf (Z=−2,25, p=0,02), und höhere Summenwerte für die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II (Z=−2,26, p=0,02) und AMPS (Z=−2,04, p=0,04). Außerdem wiesen sie das Merkmal „introvertiert / angespannt“ des DID in signifikant stärkerem Ausmaß auf als die Patienten mit schwächerer Ausprägung des Typus Melancholicus (Z=−2,13, p=0,03). 150 Ergebnisse 5.4.4 Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen Um die Beziehungen der Persönlichkeitsstörungen untereinander weiter zu untersuchen, sollten die Persönlichkeitsstörungen nach ihren Beziehungen gruppiert werden. Hierzu wurde eine Faktorenanalyse und anschließend eine Clusterisierung durchgeführt. Es wurde zum einen die Hypothese überprüft, dass sich die Cluster des DSM-IV in der hier untersuchten Stichprobe depressiver Patienten wiederfinden, und zum anderen die Hypothese, dass die depressive Persönlichkeitsstörung den Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV am nächsten steht. 5.4.4.1 Faktorenanalyse der Persönlichkeitsstörungen Es wurde eine Faktorenanalyse mit Varimax-Rotatation über die 13 Persönlichkeitsstörungen des SKID-II-Interviews und die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DID durchgeführt. Es wurde das Kaiser-GuttmanKriterium verwendet, wonach nur Faktoren interpretiert werden sollten, deren Eigenwert über 1 liegt (vgl. Bortz, 1993). Der Scree-Test, der sich auf die Verteilung der Eigenwerte bezieht (s. Abb. 5.6), legte ein ZweiEigenwert 6 5 4 3 2 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Zahl der Faktoren Abb. 5.6: Verlauf der Eigenwerte für die Persönlichkeitsstörungen des SKID-II und die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DID (N=80 Patienten) Ergebnisse 151 Faktoren-Modell nahe, da die Verteilungskurve ab einem dritten Faktor deutlich weniger abfällt. Die Varianzaufklärung durch dieses Modell lag bei 46 %, bei einem DreiFaktoren-Modell bei 63 %. Die Drei-Faktoren-Lösung wäre nach dem Kaiser-GuttmanKriterium (aber nicht nach dem Scree-Test) ebenfalls vertretbar (s. Tab. 5.13). Tab. 5.13: Faktorladungen und Kommunalitäten (Faktorenanalyse mit den Persönlichkeitsstörungen gemäß SKID-II (DSM-IV) und DID Persönlichkeitsstörung depressive 1 selbstunsichere dependente 2 zwanghafte 2 negativistische 2 schizotypische schizoide 2 2 depressive paranoide 2 2 2 Faktorladung auf Faktor 1 Faktorladung auf Faktor 2 Faktorladung auf Faktor 3 Kommunalität 0,79 * 0,28 −0,11 0,72 0,86 * 0,03 −0,10 0,74 0,47 * 0,22 0,35 0,40 0,62 * −0,07 0,21 0,43 0,41 0,65 * 0,00 0,59 0,68 * 0,27 0,25 0,59 0,53 * 0,41 0,42 0,62 0,44 0,35 0,49 * 0,55 0,65 * −0,01 −0,05 0,42 histrionische 2 −0,09 0,15 0,87 * 0,78 narzisstische 2 0,02 0,20 0,85 * 0,76 0,40 0,44 0,41 0,53 0,01 0,90 * 0,27 0,88 −0,04 0,89 * 0,29 0,87 Borderline 2 antisozial (Kind) antisozial 2 2, 3 Anmerkungen: * Faktorladungen, die größer als 0,46 sind; 1 gemäß DID; 2 gemäß SKID-II; 3 antisoziale Persönlichkeitsstörung in der Kindheit („Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz“) Somit beinhalten die Faktoren folgende Persönlichkeitsstörungen in der DreiFaktoren-Lösung: Faktor 1 umfasste die depressive, die selbstunsichere, die dependente, die zwanghafte, die paranoide, und die schizoide Persönlichkeitsstörung. Im Faktor 2 wurden die negativistische, die antisoziale Persönlichkeitsstörung (und die Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz) sowie die BorderlinePersönlichkeitsstörung eingruppiert. Der mögliche dritte Faktor (der auch das KaiserGuttman-Kriterium erfüllen würde) schließlich beinhaltet die schizotypische, die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Würde man nur zwei Faktoren annehmen, so würden die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung am besten zum zweiten Faktor und die schizotypische am besten zum ersten Faktor hinzugenommen. Ergebnisse 152 Der erste Faktor hat bei beiden Faktorenlösungen Ähnlichkeit mit dem ängstlichen Cluster des DSM-IV (Cluster C), enthält aber auch Elemente aus dem Cluster A bzw. in der Zwei-Faktoren-Lösung setzt er sich aus den kompletten Clustern A und C zusammen. Der Faktor 2 besteht in der Zwei-Faktoren-Lösung überwiegend aus dem Cluster B (exzentrischen Cluster), hinzu kommt nur die negativistische Persönlichkeitsstörung. Der dritte Faktor bei der Drei-Faktoren-Lösung ähnelt dem Cluster B (dramatischen Cluster), hinzu kommt hier noch die schizotypische Persönlichkeitsstörung aus dem Cluster A. Die depressive Persönlichkeitsstörung (sowohl nach DID als auch SKID-II) war die Persönlichkeitsstörung aus dem ersten Faktor, die am stärksten mit dem zweiten Faktor zusammenhing. 5.4.4.2 Clusterisierung von Persönlichkeitsmerkmalen Es wurde eine Faktorenanalyse mit obliquer Rotation und anschließender Clusterisierung mit dem Ziel durchgeführt, die durch die Faktorenanalyse erhaltenen Gruppen klarer voneinander abzugrenzen, so dass sich die Cluster nicht überschneiden (genauere Beschreibung dieser Methode: vgl. Kap. 3.3.2.5). Dies führte zu einer Lösung mit drei Clustern von Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV (SKID-II). Diese erklärten 57 % der auftretenden Varianz. Im ersten Cluster wurden sechs Persönlichkeitsstörungen zusammengefasst: selbstunsichere, dependente, zwanghafte, depressive, paranoide und schizoide. Im zweiten Cluster wurden vier zusammengefasst: negativistische, Borderline-Persönlichkeitsstörung und antisoziale Persönlichkeitsstörungen (Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz und antisoziale Persönlichkeitsstörung bei Erwachsenen). Der dritte Cluster umfasste die schizotypische, die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Die drei Cluster korrelierten in mittlerer Höhe untereinander (s. Tab. 5.14). Die hier gefundenen drei Cluster enthalten dasselbe Muster von Persönlichkeitsstörung über die drei Gruppen wie die in Kapitel 5.4.4.1 dargestellte Drei-Faktoren-Lösung der Faktorenanalyse. Tab. 5.14: Cluster-Interkorrelationen bei drei Clustern (Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV, SKID-II) Cluster 1 2 0,46 3 0,38 2 0,55 Ergebnisse 153 Wurden die Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV, inklusive der vier subaffektiven Persönlichkeitsstörungen, wie sie von der Aachener Merkmalsliste AMPS erfasst werden, analysiert, so ergaben sich vier Cluster: Im ersten Cluster wurden die Borderline-Persönlichkeitsstörung, die histrionische, narzisstische, zyklothyme und hyperthyme Persönlichkeitsstörung zusammengefasst. Im zweiten Cluster befanden sich die vermeidende, die dependente, die zwanghafte und die depressive Persönlichkeitsstörung. In dem dritten Cluster wurden die paranoide, die schizotypische und die antisoziale Persönlichkeitsstörung gruppiert. Im vierten Cluster schließlich waren die schizoide und die asthenische Persönlichkeitsstörung zusammengefasst. Die Cluster korrelierten untereinander niedriger als die der ersten Lösung (s. Tab. 5.15). Diese Lösung mit vier Clustern klärte 61 % der Varianz auf. Tab. 5.15: Cluster-Interkorrelationen bei vier Clustern (Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV und subaffektive Persönlichkeitsstörungen nach AMPS) Cluster 1 2 2 0,10 3 0,40 0,34 4 −0,05 0,38 3 0,26 Ließ man in dieser Analyse die zyklothyme, hyperthyme und asthenische Persönlichkeitsstörung (also alle subaffektiven Persönlichkeitsstörungen außer der depressiven) weg, so zeigte sich eine Lösung mit drei Clustern, die 59 % der Varianz aller Variablen erklärte: Im ersten Cluster fanden sich die antisoziale, die BorderlinePersönlichkeitsstörungen, die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Der zweite Cluster entsprach dem zweiten Cluster der Vier-Cluster-Lösung, d. h. hier fanden sich die vermeidende, die dependente, die zwanghafte und die depressive Persönlichkeitsstörung. Im letzten Cluster schließlich wurden die paranoide, die schizoide und die schizotypische Persönlichkeitsstörung gruppiert. Diese Cluster korrelierten niedrig bis mittelhoch untereinander (s. Tab. 5.16). Ergebnisse 154 Tab. 5.16: Interkorrelationen der Cluster (Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV (SKID-II, depressive Persönlichkeitsstörung: AMPS)) Cluster 1 2 0,21 3 0,39 2 0,46 Wurden die Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10, die depressive Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV (beides erfasst mit der Aachener Merkmalsliste AMPS), in die Analysen gegeben, so resultierten zwei Cluster: In den ersten Cluster gingen die schizoide, die zwanghafte, die ängstliche (vermeidende), die abhängige (dependente) und die depressive Persönlichkeitsstörung ein. Diese Lösung klärte 57 % der Varianz aller Variablen auf. In den zweiten Cluster wurden die paranoide, die dissoziale, die impulsive, die Borderline-Persönlichkeitsstörung und die histrionische Persönlichkeitsstörung eingeordnet. Die beiden Cluster korrelierten in Höhe von 0,32 miteinander. Gemeinsam ist allen Cluster-Lösungen, dass die depressive, die ängstlichvermeidende, die dependente und die zwanghafte Persönlichkeitsstörung immer in einen Cluster gruppiert werden. Teilweise kommt noch die schizoide Persönlichkeitsstörung hinzu (in zwei Lösungen), einmal davon die schizoide und die paranoide Persönlichkeitsstörung. Dieser Cluster ähnelt also überwiegend dem „ängstlichen“ Cluster C des DSM-IV. Bei den übrigen Clustern (je nach Lösung 1, 2 oder 3), variiert die Zusammensetzung mehr (ursprüngliche Cluster A und B, also „exzentrischer“ und „dramatischer“ Cluster). Der Anteil der durch die Cluster aufgeklärten Varianz an der Gesamtvarianz liegt bei den verschiedenen Lösungen jeweils um 60 % herum. Ergebnisse 155 5.4.5 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen Es wurde angenommen, dass Patienten mit Persönlichkeitsauffälligkeiten (Persönlichkeitsstörungen, stärker ausgeprägtem Typus Melancholicus) bei Aufnahme ein niedrigeres Funktionsniveau aufweisen und die depressive Symptomatik bzw. die allgemeine Befindlichkeit schwerer bzw. schlechter ist. Außerdem wurde erwartet, dass diese Patienten einen ungünstigeren Behandlungsverlauf aufweisen, also dass sie im Vergleich zu den Patienten ohne Persönlichkeitsauffälligkeiten − länger in stationärer Behandlung sind, − später auf die Behandlung ansprechen, d. h. dass die Schwere der Depressivität genauso später abnimmt, − am Ende der stationären Behandlung mehr residuale depressive Symptomatik aufweisen, also die Remissionsrate niedriger ist. 5.4.5.1 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich soziodemographischer Merkmale und Ausgangssymptomatik Bezüglich der Beziehung von Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen zu Merkmalen der depressiven Patienten und der Depression wird angenommen, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen ein niedrigeres Funktionsniveau aufweisen und die depressive Symptomatik bzw. die allgemeine Befindlichkeit bei Aufnahme in die Klinik schwerer bzw. schlechter ist. Neben den soziodemographischen Merkmalen wurden hierzu die Werte der Patienten in verschiedenen Messinstrumenten betrachtet: Befindlichkeitsskala, Symptom-Checkliste, Beck-Depressionsinventar, Hamilton-Depressionsskala und Montgomery-Åsberg-Depressionsskala. Die Unterschiedstestungen wurden mit Hilfe von t-Tests bei normalverteilten Merkmalen und Wilcoxon-Tests bei nicht-normalverteilten Merkmalen durchgeführt. Nach DSM-IV (SKID-II) wiesen 42 Patienten Persönlichkeitstörungen auf, 38 nicht. Diese beiden Gruppen wurden hinsichtlich verschiedener soziodemographischer und psychopathologischer Merkmale miteinander verglichen. Hierzu wurden Chi2-Tests, der Exakte Test nach Fisher, t-Tests und Wilcoxon-Tests eingesetzt. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in den Anteilen der beiden Geschlechter und im Alter. Zudem bestanden keine signifikanten Unterschiede in der Schulbildung, der Berufstätigkeit, der familiären Situation (Familienzyklus) und dem sozioökonomischen Status. Allerdings hatten Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen im Mittel mehr Kinder als Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (Mittel von 1,6 vs. 1,0 bei Standardabweichungen von 1,3 vs. 1,0; t=2,10, p=0,04). Außerdem fanden sich Unterschiede im Familienstand: insbesondere waren Patienten mit Persönlichkeitsstörungen häufiger ledig (Anteil von 21 % der Patienten mit Ergebnisse 156 Persönlichkeitsstörungen versus 8 % der Patienten ohne) und seltener verheiratet (18 versus 29 %) als Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen (Fishers Exakter Test, p=0,02). In der Art des bisherigen Verlaufes (z. B. erstmaliges Auftreten einer Depression, Verschlechterung eines früheren Zustandes, chronischer Verlauf bzw. Wiedererkrankung), in der Zahl der bisherigen depressiven Episoden und bei Suizidversuchen, im Ersterkrankungsalter, bei der Symptomatik bei Aufnahme (gemessen von Befindlichkeitsskala, Symtpomcheckliste, Hamilton- und MontgomeryÅsberg-Depressionsskala) sowie im Funktionsniveau bei Aufnahme (globales Funktionsniveau (GAF), Beziehungs-Funktionsniveau (GARF) und berufliches Funktionsniveau (SOFAS)) unterschieden sich die beiden Gruppen nicht signifikant. Allerdings unterschieden sich die Gruppen in den Werten des BDI bei Aufnahme signifikant: Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wiesen signifikant höhere Werte auf (28,6 vs. 23,4 bei Standardabweichungen von 10,5 vs. 8,8) (t=−2,37, p=0,02). Ebenso war es mit den Werten der Clinical Global Impressions (CGI) bei Aufnahme: in der Gruppe mit Persönlichkeitsstörungen war die Depression häufiger als „sehr schwer“ eingeschätzt worden, etwas seltener als „schwer“ und seltener als „mäßig“ (Fishers Exakter Test, p=0,01). In der Krankheitsdauer (3,6 vs. 3,8 Jahren) bestand kein signifikanter Unterschied zwischen Patienten ohne und mit Persönlichkeitsstörungen (nach DSM-IV, SKID-II). Weitere Vergleiche von Patienten mit und ohne bestimmten Persönlichkeitsstörungen zeigten insgesamt ein ähnliches Bild hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale und der Ausgangssymptomatik, als in den meisten Fällen keine signifikanten Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen bestanden. Die Patienten wurden auch daraufhin untersucht, ob sich solche mit einem melancholischen Typ der Depression (was bei 62 Patienten zutraf, bei 18 nicht) oder Patienten mit einer wahnhaften Depression (bei 13 Patienten, bei 67 nicht) von den jeweils übrigen Patienten im Auftreten von Persönlichkeitsstörungen (DSM-IV, SKIDII), in der Häufigkeit der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen (inklusive der depressiven Persönlichkeitsstörung), der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen aus jedem Cluster und dem Vorkommen von stärkeren Ausprägungen des Typus Melancholicus (TMPI) unterschieden. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Ergebnisse 157 5.4.5.2 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich des Therapieergebnisses Die Hypothese lautet, dass von den Patienten mit Persönlichkeitsstörungen am Ende der stationären Behandlung mehr residuale depressive Symptomatik aufweisen als von den Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen, also die Remissionsrate geringer ausfällt. Zur Operationalisierung des Therapie-Ergebnisses dienten die Werte der Patienten in der Befindlichkeitsskala, der Symptom-Checkliste, dem Beck-Depressionsinventar, der Hamilton-Depressionsskala und der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala bei Entlassung. Zudem wurden die Differenzen zwischen den Werten in diesen Messinstrumenten bei Aufnahme und Entlassung und die prozentuale Verbesserung in diesen Messinstrumenten von der Aufnahme zur Entlassung verwendet. Die Unterschiedstestungen wurden mit Hilfe von t-Tests bei normalverteilten Merkmalen und Wilcoxon-Tests bei nicht-normalverteilten Merkmalen durchgeführt. Nur drei der untersuchten Merkmale des Therapieergebnisses unterschieden sich signifikant bei depressiven Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (nach SKIDII). So wiesen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen bei der Entlassung einen signifikant höheren Wert in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala und im BeckDepressionsinventar auf. Zudem war das Verhältnis vom Entlasswert zum Aufnahmewert in der Montgomery-Åsberg-Skala signifikant größer als bei den Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen (30 vs. 20 %), d. h. die Werte hatten sich signifikant stärker verbessert (vgl. Tab. 5.17). Ergebnisse 158 Tab. 5.17: Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (DSM-IV, SKID-II) hinsichtlich des Therapieergebnisses und -verlaufs Merkmal bei Entlassung keine Persönlichkeitsst örung n=35 M Persönlichkeitsstörung(en) n=36 SD M SD t-Test, Wilcoxon-Test t Z p 77,1 9,5 72,6 12,4 −1,57 0,12 77,3 20,1 79,4 11,4 −0,51 0,61 75,1 8,7 71,2 11,9 −1,40 0,16 Behandlungsdauer 66,3 36,4 89,5 57,1 −1,86 0,06 + Hamilton-Depressionsskala Montgomery-ÅsbergDepressionsskala Beck-Depressionsinventar Befindlichkeitsskala 5,2 6,1 6,2 4,2 −1,75 0,08 + 6,0 7,9 9,0 6,9 −2,57 0,01 * 9,6 7,2 14,1 8,3 −2,36 0,02 * 1,7 1,2 2,0 1,0 −1,50 0,13 50,5 50,0 65,5 57,2 1,33 0,18 allgemeines Funktionsniveau GAF Beziehungs-Funktionsniveau GARF berufliches Funktionsniveau SOFAS Symptom-Checkliste Differenz der Werte bei Aufnahme und Entlassung: Hamilton-Depressionsskala Montgomery- ÅsbergDepressionsskala Beck-Depressionsinventar Befindlichkeitsskala Symptom-Checkliste 16,1 9,4 18,4 7,2 −1,13 0,26 22,5 11,0 22,2 9,3 0,12 0,90 13,4 8,9 15,1 11,5 −0,45 0,66 1,3 1,2 1,3 1,3 −0,41 0,68 48,3 58,2 58,3 74,7 0,39 0,70 Verhältnis von den Werten bei Entlassung zu den Werten bei Aufnahme: Hamilton-Depressionsskala Montgomery- ÅsbergDepressionsskala Beck-Depressionsinventar Befindlichkeitsskala Symptom-Checkliste 0,3 0,3 0,3 0,2 −1,01 0,31 0,2 0,3 0,3 0,3 −1,99 0,05 * 0,4 0,3 0,5 0,2 −0,95 0,34 0,6 0,3 0,7 0,6 −0,39 0,70 0,6 0,5 0,6 0,4 0,35 0,72 Anmerkungen: M: arithmetisches Mittel, SD: Standardabweichung; + p < 0,10; * p < 0,05 Ergebnisse 159 Auch in der Behandlungsdauer fand sich kein signifikanter Unterschied (nur tendenziell war sie bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen länger: 66,3 vs. 89,5 Tage, Standardabweichungen 36,4 vs. 57,1 Tage) (s. Tab. 5.17). Wurden die beiden Gruppen anhand der AMPS (gemäß ICD-10) gebildet und hinsichtlich dieser Merkmale des Krankheitsverlaufes verglichen, so zeigte sich ein gleichgerichteter signifikanter Unterschied wie schon beschrieben im Wert der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala (Z=2,01, p=0,04) und im beruflichen Funktionsniveau, das bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen signifikant niedriger war (Z=−2,31, p=0,02). Auch in der Behandlungsdauer zeigte sich ein Unterschied in der schon gefundenen Richtung (signifikant länger bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen: 92 vs. 69 Tage; Z=2,46, p=0,01). Wurden die Gruppen anhand der AMPS (gemäß DSM-IV) gebildet, so fanden sich nur Unterschiede in der Behandlungsdauer (in der schon gefundenen Richtung: 89 Tage versus 66 Tage, Standardabweichungen 56 und 38 Tage, Z=−2,00, p=0,05) und im Wert des Beck-Depressionsinventars bei Entlassung (bei Patienten mit Persönlichkeitsstörung war der Wert höher. Im Mittel wiesen sie einen BDI-Wert von 16,0 im Vergleich zu 12,2 auf (Standardabweichungen von 11,7 und 8,0; Z=−1,97, p=0,05). Des Weiteren wurden Patienten, die nur Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C (SKID-II) (n=22) aufwiesen, mit Patienten verglichen, die auch andere oder keine Persönlichkeitsstörungen aufwiesen: nur im Wert in der Montgomery-ÅsbergDepressionsskala zeigte sich ein Unterschied. Bei Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen war der Wert mit 9,3 im Mittel höher als bei den übrigen mit 6,8 (Standardabweichungen von 6,3 und 7,9, Z=2,03, p=0,04). Bei Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (inklusive Patienten, die komorbid Persönlichkeitsstörungen aus anderen Clustern aufweisen) (nach SKID-II) (n=32) zeigten sich einige Unterschiede: Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C wiesen in der Hamilton-Depressionsskala (Z=2,40, p=0,02), in der Montgomery-ÅsbergDepressionsskala (Z=2,48, p=0,01), im Beck-Depressionsinventar (Z=2,18, p=0,03) und in der Befindlichkeitsskala (Z=2,04, p=0,04) signifikant höhere Werte auf als die anderen Patienten, d. h. ein schlechteres Befinden. Zudem wiesen sie ein niedrigeres allgemeines Funktionsniveau auf (Z=−2,12, p=0,03) und eine signifikant längere Behandlungsdauer (96 vs. 67 Tage, Standardabweichung von 62 und 36; Z=2,11 und p=0,04). Bei Patienten nur mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen (n=8) lag der Differenzwert der zwei Werte der Symptom-Checkliste mit im Mittel 121,3 signifikant höher als bei den anderen Patienten (im Mittel 48,1) (Standardabweichungen 55,1 und 64,5, Z=2,05, p=0,04). Patienten mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen (SKID-II) (n=13) unterschieden sich ebenfalls nur in dem Differenzwert der Symptom-Checkliste (Differenz zwischen Aufnahme- und Entlassungswert) signifikant von den übrigen Patienten, in der umgekehrten Richtung (bei Patienten mit Cluster-B- Ergebnisse 160 Persönlichkeitsstörungen: arithmetisches Mittel von 47,4 verglichen mit 56,6 bei den anderen Patienten; Standardabweichungen von 75,7 und 60,4; Z=2,11, p=0,04). Patienten mit Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen (SKID-II) (n=7) wiesen nur einen signifikanten Unterschied zu den anderen Patienten auf, nämlich im beruflichen Funktionsniveau, das bei ihnen signifikant niedriger lag (Z=−2,21, p=0,03). Ein Vergleich mit Patienten, die nur Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A hatten, wurde nicht berechnet, da dies bei keinem Patienten vorkam. Beim Vergleich von Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung und Patienten ohne (SKID-II) (n=9) zeigte sich keinerlei signifikanter Unterschied. Ein Vergleich mit Patienten, die nur eine depressive Persönlichkeitsstörung hatten, wurde nicht berechnet, da dies nur zwei Mal vorkam. Beim Vergleich von Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung gemäß DID zeigten sich wenige signifikante Unterschiede: bei einem Cut-Off von 33 unterschieden sich die Werte in der Befindlichkeitsskala, da Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung schlechteres Befinden angaben (2,5 im Mittel, im Vergleich zu 1,7, Standardabweichungen 0,9 und 1,7, Z=2,42, p=0,02). Bei einem Cut-Off ab 40 fand sich ein signifikanter Unterschied in der Differenz der Werte in der Symptom-Checkliste bei Aufnahme und Entlassung: bei Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung fiel diese Differenz größer aus, z. B. bei einem Cut-Off von 42 bzw. 43 betrug sie im Mittel 27,5, bei den übrigen Patienten dagegen 22,0 (Standardabweichungen 1,7 vs. 10,3; t=−3,57, p=0,002). Zur Kontrolle möglicher konfundierender Faktoren (Depressionsschwere bei Aufnahme und Zahl der während der stationären Behandlung verwendeten Medikamente) sollten Kovarianzanalysen mit diesen Merkmalen als Kovariaten berechnet werden, sofern die Voraussetzung einer signifikanten Korrelation zwischen Kovariate und abhängiger Variablen erfüllt war; vgl. Kap. 3.3.2.3). Es fanden sich so keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (nach DSM-IV: SKID-II oder AMPS; nach ICD-10: AMPS) in der Schwere der depressiven und sonstigen Symptomatik bei Entlassung (nur BDI , Bf-S und SCL-90-R erfüllten die Voraussetzungen der Kovarianzanalyse) und in der Behandlungsdauer. Zudem zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A und den übrigen Patienten. Analog war die Befundlage für Persönlichkeitsstörungen aus den Clustern B und C (SKID-II) und für Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung (SKID-II, DID − verschiedene schon beschriebene Cut-Offs) im Vergleich zu den jeweils übrigen Patienten. Die unabhängige Variable, ob eine Persönlichkeitsstörung vorlag oder nicht, erbrachte dabei keinen signifikanten Effekt. Allerdings wurde die jeweilige Kovariate einige Male signifikant: das BDI bei Aufnahme, wenn die abhängige Variable das BDI bei Entlassung war (F=7,12, p=0,009); die Befindlichkeitsskala bei Aufnahme, wenn die abhängige Variable die Befindlichkeitsskala bei Entlassung war (F=5,53, p=0,02); die Symptom- Ergebnisse 161 Checkliste bei Aufnahme, wenn die abhängige Variable die Symptom-Checkliste bei Entlassung war (F=7,67, p=0,008). Die Merkmale der medikamentösen Behandlung, die als mögliche konfundierende Faktoren für die Beziehung der Persönlichkeitsstörungsvariablen und der Behandlungsdauer untersucht wurden, waren: die Zahl der Psychopharmaka, die Zahl der Antidepressiva, der Benzodiazepine, der anderen Sedativa / Hypnotika, der Neuroleptika, der Moodstabilizer, der anderen Psychopharmaka und der internistischen Medikamente, jeweils während des gesamten Behandlungszeitraums in der Klinik und bei der Entlassung. Aufgrund der signifikanten Korrelationen wurden die Kovariaten der Zahl der Antidepressiva, die während der stationären Behandlung verwendet wurden, der Zahl der Benzodiazepine, der Zahl der internistischen Medikamente sowie der Zahl der Psychopharmaka insgesamt mit der abhängigen Variablen der Behandlungsdauer im Rahmen einer Kovarianzanalyse untersucht. Die Klassifizierungsvariable war dabei das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II. Es zeigte sich, dass die Variable des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung nur bei zwei Kovarianzanalysen einen signifikanten Effekt erbrachte: bei der Kovariaten der Zahl der Benzodiazepine (dort für die Variable des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung F=4,95, p=0,03) und der Zahl der Internistika (dort für die Variable des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung F=4,16, p=0,04). Im letzteren Fall wurde die Kovariate nicht signifikant, im Fall der Zahl der Benzodiazepine schon (für die Kovariate der Zahl der Benzodiazepine F=8,44, p=0,005). Das bedeutet, dass die Zahl der Benzodiazepine während der stationären Behandlung ein konfundierender Faktor für die Untersuchung der Beziehung zwischen dem Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung und der Behandlungsdauer war. Die Zahl der Psychopharmaka insgesamt, die Zahl der Antidepressiva und die Zahl der Internistika, sowie alle weiteren untersuchten Merkmale der medikamentösen Behandlung, waren dagegen nicht konfundierend. Ergänzend (zur leichteren Interpretation) wurden zweifaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholung durchgeführt. Der Faktor mit Messwiederholung war die Kovariate aus den vorherigen Auswertungen. So fand sich ein signifikanter Effekt des Faktors „Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung“ (mit den beiden Stufen „ja“ und „nein“) für das Modell mit Messwiederholung des Beck-Depressionsinventars BDI (F=11,39, p=0,001). Auch der Effekt der Zeit war in diesem Modell signifikant (F=142,15, p=0,0001). Die Werte für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen lagen zu beiden Zeitpunkten höher als bei den übrigen Patienten, und in beiden Gruppen lagen die Werte bei Entlassung niedriger als bei Aufnahme. Somit fanden sich zwei signifikante Haupteffekte (s. Abb. 5.7). Es fand sich ein analoges Ergebnis für ein Modell mit der Hamilton-Depressions-skala bei Aufnahme und Entlassung und das Vorliegen von Persönlichkeitsstörungen (F=5,51 und p=0,02 für die Variable „Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung“ und F=303,89 und p=0,0001 für die Zeit). Diese Ergebnisse bedeuten, dass sowohl Patienten mit als auch Ergebnisse 162 solche ohne Persönlichkeitsstörungen bei der Aufnahme schwerere Depressivität aufwiesen als bei der Entlassung, und dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen bei Aufnahme und Entlassung schwerer depressiv waren als Patienten ohne. Beck-DepressionsInventar 30 30 25 20 Patienten mit Persönlichkeitsstörungen Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen 25 20 15 15 10 10 5 5 0 0 Aufnahme Entlassung Abb. 5.7: Vergleich von Patienten mit (n=42) und ohne (n=38) Persönlichkeitsstörungen in den Werten im Beck-Depressionsinventar bei Aufnahme und Entlassung (p < 0,05: signifikanter Effekt der Zeit und des Faktors des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung) Die Modelle mit Messwiederholung wurden auch geprüft für HAMD, BDI, Bf-S und SCL-90-R mit der unabhängigen Variablen des Vorliegens einer depressiven Persönlichkeitsstörung und der des Vorliegens von Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Zwei Modelle hier erbrachten für die beiden jeweiligen Faktoren signifikante Effekte. In einem Modell waren die Werte im Beck-Depressionsinventar bei Aufnahme und Entlassung betrachtet worden (für den Faktor des Vorliegens von Cluster-CPersönlichkeitsstörungen: F=8,73, p=0,004; für den Faktor Zeit: F=138,27, p=0,0001). In dem zweiten Modell handelte es sich um die Werte der Hamilton-Depressionsskala (für den Faktor des Vorliegens von Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen waren F=4,01 und p=0,05; für den Faktor der Zeit waren F=285,42 und p=0,0001). Das bedeutet, dass Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen bei der Aufnahme schwerere Depressivität aufwiesen als bei der Entlassung und dass Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen bei Aufnahme und Entlassung schwerer depressiv waren als Patienten ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Dieses Ergebnis galt auch für Ergebnisse 163 Patienten mit und ohne depressive Persönlichkeitsstörung (bei der abhängigen Variablen der Hamilton-Depressionsskala). Signifikante Effekte, aber nur für den Faktor der Zeit, fanden sich auch in den Modellen mit Messwiederholung des Beck-Depressionsinventars, der Befindlichkeitsskala und der Symptom-Checkliste für die abhängige Variable des Vorliegens einer depressiven Persönlichkeitsstörung sowie der Befindlichkeitsskala und der Symptom-Checkliste für die Variable des Vorliegens von Cluster-CPersönlichkeitsstörungen. Die signifikanten Unterschiede waren immer in der Richtung, dass die Werte in den Messinstrumenten zu Behandlungsbeginn signifikant höher waren als am Behandlungsende. Mit weiteren Analysen sollte geprüft werden, welche Persönlichkeits(störungs-) merkmale Therapieresponse bzw. Remission bei Entlassung vorhersagen können. Dazu wurden die Patienten danach in zwei Gruppen eingeteilt, ob sie ein Kriterium des Ansprechens auf die Behandlung bzw. der Remission bei der Entlassung erreicht hatten. Diese zwei Gruppen wurden dann verglichen hinsichtlich der Ausprägung von Merkmalen der Persönlichkeit und Kriterien der Persönlichkeitsstörungen. Als Kriterien der Remission bzw. des Ansprechens auf die Therapie wurden Werte in der HamiltonDepressionsskala unter 10 verwendet, der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala unter 10, sowie einer mindestens 50-prozentigen Reduktion in den Werten der Hamilton-, der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala, des Beck-Depressionsinventars, der Befindlichkeitsskala und der Symptom-Checkliste. Die so gebildeten Gruppen wurden verglichen hinsichtlich der Summenwerte für die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen des SKID-II, für die subaffektiven Persönlichkeitsstörungen (AMPS), das SKID-II insgesamt, die AMPS insgesamt, die AMPS für ICD-10 und DSM-IV, hinsichtlich der Zahl der erfüllten Kriterien für das gesamte SKID, für die drei Cluster (SKID-II), für die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DPSI und DID, die Faktoren des NEO-FFI, den Typus Melancholicus (TypusMelancholicus-Persönlichkeits-Inventar TMPI), die Depression-Related-PersonalityTrait-Scale (DRP), die Temperamentstypen (TEMPS-A) und die Interaktionsprobleme gemäß IIP. Die Ergebnisse insgesamt zeigten nur wenige signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen mit erfülltem und nicht erfülltem Remissions- oder Ansprechen-Kriterium. Wurde das Kriterium des Ansprechens auf die Therapie (Therapie-Response) als mindestens 50-prozentige Reduktion in der Hamilton-Depressionsskala definiert, so fanden sich in der Gruppe mit Therapie-Ansprechen (n=73) signifikant stärker ausgeprägter Neurotizismus (NEO-FFI) (t=−2,01, p=0,05), signifikant geringer ausgeprägtes depressives Temperament (Z=2,01, p=0,05) und zyklothymes Temperament (TEMPS-A) (Z=2,08, p=0,04). Bei einer mindestens 50-prozentigen Reduktion des Wertes in der MontgomeryÅsberg-Depressionsskala bei Entlassung, was bei 65 Patienten der Fall war, war die Offenheit gemäß NEO-FFI signifikant stärker ausgeprägt (t=−2,44, p=0,02). Außerdem Ergebnisse 164 war das depressive Temperament (TEMPS-A) geringer (Z=2,57,p=0,01) als bei den anderen Patienten, und sie gaben weniger interpersonale Probleme an (Gesamtwert des IIP: Z=2,47, p=0,01). Die übrigen Merkmale von Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen zeigten keine signifikanten Unterschiede an. Bei dem Kriterium einer Reduktion des Wertes im Beck-Depressionsinventar um mindestens die Hälfte zeigten sich bei den 50 Patienten, die dieses Kriterium erfüllten, insgesamt weniger erfüllte Kriterien für Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV (SKID-II) (Z=2,18, p=0,03) und weniger erfüllte Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C (SKID-II) (Z=2,26, p=0,02). Auch wiesen diese Patienten die depressive Persönlichkeitsstörung in geringerem Ausmaß auf (DPSI bei Entlassung) (t=3,38, p=0,001), Neurotizismus war schwächer ausgeprägt (NEO-FFI) (t=2,83, p=0,006), das depressive Temperament war schwächer (Z=2,88, p=0,004) und das reizbare Temperament (TEMPS-A) waren ebenfalls schwächer (Z=2,41, p=0,02). Ebenso war das Merkmal „zu abweisend / kalt“ des IIP signifikant schwächer ausgeprägt (t=2,05, p=0,04). Patienten mit einer mindestens 50-prozentigen Reduktion des Wertes in der Befindlichkeitsskala (n=41) wiesen weniger erfüllte Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C (SKID-II) auf (Z=2,20 p=0,03), weniger Merkmale der depressiven Persönlichkeit (DPSI) (t=3,57, p=0,0007), stärkere Extraversion (NEO-FFI) (t=−3,47, p=0,0009), schwächeres depressives Temperament (TEMPS-A) (Z=−2,73, p=0,006) und stärkeres hyperthymes Temperament (Z=2,40, p=0,02). Außerdem wurde bei diesen Patienten mit Therapieresponse in der Befindlichkeitsskala ein schwächer ausgeprägtes Merkmal „zu abweisend / kalt“ (t=3,47, p=0,0009) und ein geringer ausgeprägtes Merkmal „zu introvertiert / sozial vermeidend“ (IIP) (t=2,41, p=0,02) festgestellt. Insgesamt hatten die Patienten, die das Kriterium der Reduktion des Befindlichkeitsskalen-Wertes erfüllten, weniger interpersonale Probleme (Gesamtwert des IIP) (t=2,33, p=0,02). Depressive Patienten, die bei Entlassung höchstens die Hälfte des anfänglichen Wertes in der Symptom-Checkliste erreichten (n=58 Personen), wiesen mehr erfüllte Kriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung auf (Z=−2,48, p=0,01), mehr erfüllte Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster B (SKID-II) (Z=−2,48, p=0,02), schwächer ausgeprägten Typus Melancholicus (gemäß dem Typus-Melancholicus-PersönlichkeitsInventar) (t=2,24, p=0,03) und schwächer ausgeprägtes depressives Temperament (TEMPS-A) (Z=2,06, p=0,04). Hinsichtlich des Erreichens der Remission zeigte sich, dass Patienten, die bei Entlassung weniger als 10 Punkte in der Hamilton-Depressionsskala aufwiesen (n=67) (im Vergleich zu solchen mit 10 und mehr Punkten, also mit Residualsymptomatik: n=13), eine signifikant geringere Ausprägung in der depressiven Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II aufwiesen (2,3 versus 3,8 Kriterien erfüllt, Standardabweichungen von 1,8 versus 2,8, Z=2,00, p=0,05). Sie hatten außerdem geringer ausgeprägten Ergebnisse 165 Neurotizismus (NEO-FFI) (t=2,26, p=0,03) und stärker ausgeprägte Extraversion (NEO-FFI) (t=−2,36, p=0,02) als die Patienten mit Residualsymptomatik. Im Fragebogen TEMPS-A wiesen sie zudem ein geringer ausgeprägtes depressives Temperament (Z=3,52, p=0,0004) und ein stärker ausgeprägtes hyperthymes Temperament (Z=−2,47, p=0,01) auf. Auch verfügten diese Patienten über das Merkmal „zu selbstunsicher / unterwürfig“ (IIP) in geringerem Ausmaß als die übrigen Patienten (t=2,69, p=0,009), und sie wiesen insgesamt weniger interpersonale Probleme gemäß IIP auf (Gesamtwert des IIP) (Z=2,59, p=0,01). Wurden die Patienten mit Hilfe des Entlass-Wertes in der Montgomery-ÅsbergDepressionsskala in zwei Gruppen geteilt, so zeigten sich für den Trennwert von 10 Punkten, dass Patienten, die dieses Kriterium erreichten (n=60), weniger erfüllte Kriterien der dependenten Persönlichkeitsstörung (SKID-II) hatten (Z=2,00, p=0,05), weniger der depressiven Persönlichkeitsstörung (SKID-II) (Z=1,98, p=0,05), weniger erfüllte Kriterien für Persönlichkeitsstörungen gemäß AMPS insgesamt (Z=2,15, p=0,03) sowie gemäß AMPS für ICD-10 (Z=2,41, p=0,02) und für DSM-IV (Z=2,28, p=0,02). Auch wiesen die remittierten Patienten weniger Merkmale der depressiven Persönlichkeitsstörung gemäß DPSI bei Aufnahme (Z=2,42, p=0,02) und Entlassung (t=2,91, p=0,005) auf, und das depressive Temperament gemäß TEMPS-A (Z=2,71, p=0,007) in geringerem Ausmaß als die Gruppe der Patienten mit 10 und mehr Punkten in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala bei Entlassung. Außerdem wiesen die Patienten mit Remission das Merkmal „zu abweisend / kalt“ des IIP in geringerem Ausmaß (t=2,24, p=0,03) und das Merkmal „zu introvertiert / sozial vermeidend“ in geringerem Ausmaß auf (Z=2,13, p=0,03), auch insgesamt hatten sie weniger interpersonale Probleme (IIP-Gesamtwert) (t=2,41, p=0,02). Für das Remissionskriterium eines Wertes in der Hamilton-Depressionsskala von weniger als 10 Punkten bei der Entlassung wurde eine hierarchische Diskriminanzanalyse mit den verschiedenen Merkmalen der Persönlichkeit, mit den Persönlichkeitsstörungen (gemäß DSM-IV) und dem Typus Melancholicus durchgeführt. Bei einem Signifikanzniveau von 0,10 für die Entscheidung über Verbleib und Ausschluss von Merkmalen aus dem Modell wurden folgende Variablen schrittweise in das Modell aufgenommen: depressive Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS, depressives Temperament (gemäß TEMPS-A) und Skala „negativistisch“ des DID. Eine anschließende Diskriminanzanalyse zeigte, dass durch diese drei Variablen 91 % der Patienten mit Residuum richtig klassifiziert werden können und 73 % der Patienten ohne Residuum. Bei einem Signifikanzniveau von 0,15 kam zu den drei beschriebenen Variablen noch die paranoide Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS hinzu (im zweiten Schritt der hierarchischen Diskriminanzanalyse). Die Diskriminanzanalyse mit diesen vier Variablen führte zu einer korrekten Klassifikation von 91 % der Patienten mit Residuum und 82 % der Patienten ohne Residuum. Ergebnisse 166 Bei einem Signifikanzniveau von 0,5 wurden lediglich die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS und die paranoide Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS in das Modell aufgenommen. Die Diskriminanzanalyse erbrachte, dass mit diesen beiden Variablen 54 % der Patienten mit Residuum und 70 % der ohne Residuum korrekt klassifiziert werden konnten. Außerdem wurden die Gruppen von Patienten, die gebildet wurden aufgrund des Ansprechens auf die Therapie oder der Remission miteinander in kategorialen Persönlichkeitsvariablen verglichen (mit Hilfe von Chi2-Tests). Hierbei zeigten sich bis auf eine Ausnahme keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten in den zwei Gruppen der Remission / Nicht-Remission bzw. des Ansprechens / Nicht-Ansprechens auf die Therapie (nach Hamilton-, Montgomery-Åsberg-Depressionsskala, BeckDepressions-inventar, Befindlichkeitsskala und Symptom-Checkliste) hinsichtlich des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung und der Zahl der Persönlichkeitsstörungen (beides gemäß SKID-II). Patienten, die bei Entlassung gemäß HamiltonDepressionsskala nicht remittiert waren (10 und mehr Punkte hatten) (n=13), wiesen im Vergleich zu remittierten Patienten (n=67) seltener gar keine Persönlichkeitsstörung auf (23 % dieser Gruppe im Vergleich zu 52 % der remittierten), ungefähr gleich häufig eine Persönlichkeitsstörung (23 % im Vergleich zu 25 %), häufiger zwei Persönlichkeitsstörungen (38 % versus 11 % der remittierten Gruppe), und ungefähr gleich häufig drei und mehr Persönlichkeitsstörungen (15 % im Vergleich zu 12 %) (Fishers Exakter Test: p=0,05). Eine weitere Auswertungsvariante bestand darin, Korrelationen zwischen Verlaufsund Ergebnisvariablen einerseits und Merkmalen der Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen andererseits zu prüfen. Mit den Summenwerten für die einzelnen Persönlichkeitsstörungen gemäß SKID-II fanden sich folgende signifikante Zusammenhänge: je schwerer die depressive Symptomatik in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala bei der Entlassung war, desto stärker war die Ausprägung der depressiven und der dependenten Persönlichkeitsstörung, und desto größer waren die Summenwerte für Persönlichkeitsstörungen aus dem SKID-II und der AMPS (getrennt für ICD-10 und DSM-IV), und die Gesamtsummenwerte. Je stärker die depressive Symptomatik gemäß der Hamilton-Depressionsskala beurteilt wurde, desto größer war die Gesamtsumme für Persönlichkeitsstörungen gemäß ICD-10 in der AMPS. Stärkere Ausprägungen depressiver Merkmale im Beck-Depressionsinventar bei der Entlassung gingen einher mit größeren Summenwerten für die selbstunsichere, die dependente, die depressive, die schizoide und die Borderline-Persönlichkeitsstörung, außerdem mit größeren Summenwerten für die Persönlichkeitsstörungen gemäß SKID-II und AMPS (alle drei Summenwerte der AMPS). Schlechteres Befinden (Befindlichkeitsskala) hing zusammen mit stärkerer Ausprägung der selbstunsicheren, dependenten, negativistischen und schizoiden Persönlichkeitsstörung, zudem mit größeren Summenwerten für die gesamten Ergebnisse 167 Persönlichkeitsstörungen gemäß SKID-II und AMPS (bei letzterer für getrennte Summenwerte für ICD-10 und DSM-IV). Zudem zeigte sich, dass je größer das Verhältnis von Entlasswert zu Aufnahmewert der Montgomery-Åsberg-Skala war, desto höher war die Gesamtsumme für Persönlichkeitsstörungen gemäß ICD-10 in der AMPS. Eine größere Differenz von Aufnahme- und Entlasswert in der Hamilton-Depressionsskala hing zusammen mit einer stärkeren Ausprägung der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine längere Behandlungsdauer in der Klinik ging mit einer größeren Summe für die SKID-IIPersönlichkeitsstörungen einher. Auf die weiteren signifikanten Beziehungen wird aus Platzgründen nicht detailliert eingegangen. Es zeigten sich global ausgedrückt folgende weitere signifikante Zusammenhänge: stärkere fremdeingeschätzte Depressivität (Hamilton-Depressionsskala, Montgomery-Åsberg-Depressionsskala) ging einher mit mehr Persönlichkeitsstörungen, insgesamt mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen (jeweils gemäß SKIDII), mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C, für die depressive Persönlichkeitsstörung, mit einer stärkeren Ausprägung der depressiven Persönlichkeitsstörung, stärker ausgeprägtem Neurotizismus und schwächerer Offenheit für neue Erfahrungen (NEO-FFI bei Entlassung), stärker ausgeprägtem depressiven, zyklothymen, reizbaren und ängstlichen, sowie schwächer ausgeprägtem hyperthymen Temperament (TEMPS-A). Auch hing stärkere Depressivität bei der Entlassung zusammen mit mehr interpersonalen Problemen (IIP-Gesamtwert, Merkmale „zu abweisend / kalt“, „zu introvertiert / sozial vermeidend“, „zu selbstunsicher / unterwürfig“ und „zu fürsorglich / freundlich“ des IIP). Stärkere Beeinträchtigungen des Befindens gemäß den Selbstbeurteilungen im BeckDepressionsinventar hingen zusammen mit mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen insgesamt (gemäß SKID-II), jeweils mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus den drei Clustern, für die depressive Persönlichkeitsstörung, zudem mit einer stärkeren Ausprägung der depressiven Persönlichkeitsstörung (SKID-II, DID und DPSI), stärker ausgeprägtem Neurotizismus, schwächerer Extraversion, stärkerem depressiven, zyklothymen, reizbaren und ängstlichem Temperament, jedoch schwächerem hyperthymen Temperament (TEMPSA). Auch hing schlechteres Befinden im BDI bei der Entlassung zusammen mit mehr interpersonalen Problemen (IIP-Gesamtwert, Merkmale „zu abweisend / kalt“, „zu introvertiert / sozial vermeidend“, „zu selbstunsicher / unterwürfig“, „zu ausnutzbar / nachgiebig“ und „zu fürsorglich / freundlich“ des IIP). Ein ähnliches Muster von Zusammenhängen zeigte sich für die Befindlichkeitsskala und die Symptom-Checkliste. Auf weitere Zusammenhänge wird hier nicht eingegangen. Ergebnisse 168 5.4.5.3 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich des Therapieverlaufs Es wurde erwartet, dass Patienten mit im Vergleich zu solchen ohne Persönlichkeitsauffälligkeiten später auf die Behandlung ansprechen, d. h. dass die Schwere der Depressivität später abnimmt, und die Depression später remittiert. Zum Vergleich der verschiedenen, nach Persönlichkeits(störungs)merkmalen gebildeten Patientengruppen hinsichtlich der Zeit bis zur Remission bzw. der Zeit bis zum Ansprechen auf die stationäre Behandlung wurden Überlebenszeit- (Survival-) Analysen durchgeführt. Als Ansprechen auf die Therapie wurden die Kriterien einer mindestens fünfzigprozentigen Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala oder im Beck-Depressionsinventar verwendet. Die zwei verschiedenen Kriterien für Remission bestanden in einem Wert von weniger als 10 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala oder dem Beck-Depressionsinventar. Die zu vergleichenden Gruppen waren depressive Patienten mit versus ohne Persönlichkeitsstörungen, Patienten mit versus ohne ClusterC-Persönlichkeitsstörungen, Patienten mit Persönlichkeitsstörungen ausschließlich aus Cluster C versus die übrigen Patienten (analog für Cluster B und A) (gemäß SKID-II). Die Überlebenszeitanalyse zum Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen gemäß SKID-II erbrachte Folgendes: Die Remissionswahrscheinlichkeiten (Hamilton-Kriterium von 10 Punkten) zwei Wochen nach der Erstbefragung lagen bei 45 % in der Gruppe ohne Persönlichkeitsstörungen und 33 % in der Gruppe mit Persönlichkeitsstörungen. Nach vier Wochen betrugen sie 68 % und 51 %, nach sechs Wochen 77 % und 65 %, nach acht Wochen 86 % und 68 %, nach 20 Wochen schließlich lagen die Remissionswahrscheinlichkeiten bei 96 % (bei den Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen war dies schon nach zehn Wochen der Fall) und 92 %. Log-Rank- und Wilcoxon-Test erbrachten keinen signifikanten Unterschied auf dem Fünf-Prozent-Niveau (Log-Rank-Test: p=0,054; Wilcoxon-Test: p=0,111) (vgl. Abb. 5.8). Die Wahrscheinlichkeiten für ein Ansprechen auf die Behandlung (Hamilton-Kriterium von 50-prozentiger Reduktion des Wertes) zwei Wochen nach der Erstbefragung lagen bei 55 % in der Gruppe ohne Persönlichkeitsstörungen und 38 % in der Gruppe mit Persönlichkeitsstörungen. Nach vier Wochen betrugen sie 82 % und 60 %, nach sechs Wochen 88 % und 74 %, nach acht Wochen 94 % und 79 %, nach 20 Wochen schließlich lagen die Remissionswahrscheinlichkeiten bei 94 % (bei den Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen war dies schon nach acht Wochen der Fall), und 97 %. LogRank- und Wilcoxon-Test erbrachten keinen signifikanten Unterschied auf dem FünfProzent-Niveau (Log-Rank-Test: p=0,08; Wilcoxon-Test: p=0,051). Ergebnisse 169 Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens der Remission * 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Wochen stationärer Behandlung Patienten mit Persönlichkeitsstörungen Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen * im Modell der Überlebenszeitanalyse: „Überlebenswahrscheinlichkeit“ Abb. 5.8: Zeiten bis zur Remission („Überlebenszeiten“) von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (Remissionskriterium: Reduktion des HamiltonDepressionsskalen-Wertes auf weniger als 10) (kein signifikanter Unterschied) Der Vergleich von Patienten, die nur Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen hatten, und den übrigen Patienten zeigte keinen signifikanten Unterschied, wenn das Remissionskriterium von 10 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala verwendet wurde. Am Ende der Behandlung wiesen die Patienten mit Persönlichkeitsstörungen ausschließlich aus Cluster C eine Remissionswahrscheinlichkeit von 94 % auf (nach 20 Wochen), die übrigen eine von 93 % (nach 14 Wochen) (Log-Rank-Test p=0,46; Wilcoxon-Test p=0,30). Auch unterschieden sich die beiden Patienten-Gruppen nicht signifikant im Ansprechen auf die Therapie (50-prozentige Reduktion des HamiltonDepressions-Wertes). Anders war es beim Vergleich von Patienten mit versus ohne Cluster-CPersönlichkeitsstörungen, wenn das Remissionskriterium von 10 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala verwendet wurde. Sie unterschieden sich signifikant in den 170 Ergebnisse Remissionswahrscheinlichkeiten (s. Abb. 5.9). Bei Patienten ohne Cluster-CPersönlichkeitsstörungen lag die Remissionswahrscheinlichkeit nach zwei Wochen bei 46 %, nach 10 Wochen bei 97 % (was der Remissionswahrscheinlichkeit zum Behandlungsende dieser Gruppe entspricht). In der Gruppe mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen betrug die Remissionswahrscheinlichkeit nach zwei Wochen 28 %, nach 10 Wochen 65 %, und bei Behandlungsende (entsprechend der Wahrscheinlichkeit nach 20 Wochen) 90 %. Sowohl im Log-Rank-Test (χ2=7,02, p=0,008) als auch im Wilcoxon-Test (χ2=5,30, p=0,02) erwiesen sich die Remissionswahrscheinlichkeiten über die Behandlungszeit als signifikant verschieden. Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens der Remission * 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Wochen stationärer Behandlung Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörung Patienten ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörung * im Modell der Überlebenszeitanalyse: „Überlebenswahrscheinlichkeit“ Abb. 5.9: Zeiten bis zur Remission („Überlebenszeiten“) bei Patienten mit und ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (Remissionskriterium: Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala unter 10 Punkte) (N=80) (signifikanter Unterschied, p < 0,01) Der Vergleich dieser beiden Patienten-Gruppen im Ansprechen auf die Therapie (50prozentige Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala) zeigte im LogRank-Test einen signifikanten Unterschied (χ2=4,22, p=0,04), nicht jedoch im WilcoxonTest (χ2=3,72 p=0,054). Nach zwei Wochen lag die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens Ergebnisse 171 auf die Therapie für die Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C bei 38 %, in der Gruppe ohne diese Persönlichkeitsstörungen bei 52 %. Nach 8 Wochen betrugen die Werte 74 % und 95 %. Für die Gruppe ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen entspricht die Wahrscheinlichkeit der bei Entlassung. Bei der Gruppe mit den Cluster-CPersönlichkeitsstörungen stieg die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf die Therapie bis zur 20. Woche nach der Erstbefragung bis auf 96 %. Wurde das Remissionskriterium gemäß dem Beck-Depressionsinventar (weniger als 10 Punkte) bzw. das Kriterium für ein Ansprechen auf die Therapie gemäß dem BDI (50prozentige Reduktion des Wertes) gebildet, so zeigte sich beim Vergleich von Patienten mit versus ohne Persönlichkeitsstörungen sowie Patienten nur mit bzw. mit versus ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen mit den jeweils übrigen Patienten nur ein signifikantes Ergebnis: Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen und die anderen Patienten unterschieden sich signifikant im Verlauf der Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf die Therapie gemäß BDI. Nach zwei Wochen lag diese Wahrscheinlichkeit bei Patienten ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen bei 31 %, bei den Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen bei 13 %, nach vier Wochen betrugen diese Wahrscheinlichkeiten 56 und 38 %, nach 12 Wochen 94 % und 79 %. Bei Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C entsprach die Wahrscheinlichkeit von 94 % der bei der Entlassung aus der Klinik, bei den Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen stieg die Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen auf die Therapie nach 14 Wochen auf 86 %. Der Log-Rank-Test zeigte keinen signifikanten Unterschied an (χ2=3,51, p=0,06), im Gegensatz zum Wilcoxon-Test (χ2=4,32, p=0,04) (vgl. Abb. 5.10). 172 Ergebnisse Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens der Therapieresponse * 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Wochen stationärer Behandlung Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen Patienten ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörung * im Modell der Überlebenszeitanalyse: „Überlebenswahrscheinlichkeit“ Abb. 5.10: Zeiten bis zur Therapieresponse („Überlebenszeiten“) für das Kriterium einer mindestens 50-prozentigen Reduktion des Wertes im Beck-DepressionsInventar (signifikanter Unterschied nur im Wilcoxon-Test: p < 0,05) Außerdem wurden noch Patienten, die (nur) Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen oder Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen aufwiesen, mit den jeweils übrigen Patienten verglichen. Sie wurden im Verlauf bezüglich des Ansprechens auf die Therapie und die Remissionswahrscheinlichkeiten, sowohl gemäß HAMD als auch BDI, untersucht. Dabei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Zur genaueren Prüfung der drei signifikanten Ergebnisse wurden diese Survivalanalysen mit der Kovariaten der Depressionsschwere bei der Aufnahme erneut berechnet: mit Hilfe eines Median-Split wurde die Stichprobe der Patienten gemäß ihrem Wert in der Hamilton-Depressionsskala bei Aufnahme in zwei gleich große Gruppen geteilt. Der Median betrug 23. Außerdem wurden die Gruppen je nach Persönlichkeitssymptomatik wie beschrieben aufgeteilt, so dass jeweils vier Gruppen im zeitlichen Verlauf des Ansprechens auf die Therapie bzw. der Remission miteinander verglichen wurden. Von den Patienten mit einem niedrigeren HAMD-Wert zu Beginn der Behandlung litten 21 unter Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen, 21 nicht. Von den Patienten mit einem HAMD-Wert unter 23 wiesen 11 Cluster-CPersönlichkeitsstörungen auf, 27 nicht. 173 Ergebnisse Der Vergleich von Patienten mit bzw. ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen, die einen Hamilton-Depressions-Wert bei Aufnahme kleiner bzw. größer oder gleich 23 hatten, zeigte einen signifikanten Unterschied im Verlauf der Remission (Hamilton-Wert von 10 Punkten als Kriterium). Insbesondere die Gruppe von Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen und einem Aufnahme-Hamilton-Wert von 23 oder mehr remittierten langsamer als die übrigen Gruppen und auch bei Entlassung war ihre Remissionswahrscheinlichkeit mit 83 % niedriger als die der übrigen Gruppen (91 % bei der Gruppe mit Hamilton-Wert bei Aufnahme unter 23 und ohne Cluster-CPersönlichkeitsstörungen; 100 % in den beiden anderen Gruppen) (Log-Rank-Test: χ2=17,6, p=0,001; Wilcoxon-Test: χ2=17,5, p=0,001) (vgl. Abb. 5.11). Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens der Remission * 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0 5 10 15 HAMD (Aufnahme) ≥ 23 und Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen HAMD (Aufnahme) ≥ 23 und keine Cluster-C-Persönlichkeitsstörung 20 25 30 35 40 Wochen stationärer Behandlung HAMD (Aufnahme) < 23 und Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen HAMD (Aufnahme) < 23 und keine Cluster-C-Persönlichkeitsstörung * im Modell der Überlebenszeitanalyse: „Überlebenswahrscheinlichkeit“ Abb. 5.11: Zeiten bis zur Remission („Überlebenszeiten“) bei Patienten mit und ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen sowie hohen oder niedrigen Werten in der Hamilton-Depressionsskala bei Aufnahme (Remissionskriterium: Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala unter 10 Punkte) (N=80) (signifikanter Unterschied, p < 0,01) Ergebnisse 174 Wurden die vier Gruppen, gebildet wie oben beschrieben, verglichen hinsichtlich des Ansprechens auf die stationäre Behandlung in Form einer mindestens 50-prozentigen Reduktion des Hamilton-Wertes, so zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen ihnen: wieder unterschied sich v. a. die Gruppe der Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C und einem Hamilton-Wert bei Aufnahme von 23 und mehr von den übrigen Gruppen, durch insbesondere anfangs langsameres Ansprechen auf die Therapie. Beide Tests auf Unterschiedlichkeit waren auf dem 5Prozent-Niveau signifikant (Log-Rank-Test: χ2=8,7, p=0,03; Wilcoxon-Test: χ2=9,5, p=0,02). Wurden die Gruppen verglichen hinsichtlich des Ansprechens auf die Therapie in Form einer mindestens 50-prozentigen Reduktion des BDI-Wertes seit der Aufnahme, so wich auch hier v. a. die Gruppe der Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C und einem Hamilton-Wert bei Aufnahme von mindestens 23 deutlich von den übrigen Gruppen ab durch ein späteres Ansprechen auf die Therapie und eine auch bei Entlassung geringere Remissionswahrscheinlichkeit (79 % versus 89, 100 und 94 %) (Log-Rankund Wilcoxon-Test signifikant auf dem 1-Prozent-Niveau) (Log-Rank-Test: χ2=12,6, p=0,006; Wilcoxon-Test: χ2=11,5, p=0,009). Weitere Analysen des Verlaufes wurden durchgeführt, um Patienten mit und ohne depressive Persönlichkeitsstörung (gemäß SKID-II) zu vergleichen (hinsichtlich der schon beschriebenen vier Remissions- bzw. Response-Kriterien). Wurden die Kriterien mit der Hamilton-Depressionsskala betrachtet, so zeigte sich jeweils nur im WilcoxonTest ein signifikanter Unterschied: bei dem Kriterium einer Reduktion des HamiltonWertes unter 10 Punkte (χ2=4,1, p=0,04) zeigte sich eine schnellere Remission bei der Gruppe ohne depressive Persönlichkeitsstörung (z. B. Remissionswahrscheinlichkeiten von 11 % versus 42 % nach zwei Wochen Behandlung, 22 % versus 64 % nach vier Wochen). Bei dem Kriterium einer mindestens 50-prozentigen Reduktion des Hamilton-Wertes wurde ebenfalls nur der Wilcoxon-Test signifikant (χ2=5,1, p=0,02). Hier betrugen die Response-Wahrscheinlichkeiten nach zwei Wochen 51 % bei den Patienten ohne depressive Persönlichkeitsstörung, und bei 11 % bei den anderen. Nach vier Wochen lagen die Werte bei 74 % und 44 %. Bei den Kriterien für Response und Remission gemäß dem Beck-Depressions-inventar unterschieden sich die beiden Gruppen nicht signifikant. Außerdem wurden Patienten je nach Ausprägung der Persönlichkeitsstruktur des Typus Melancholicus gemäß TMPI (zwei Gruppen durch Median-Split) hinsichtlich der vier Verlaufskriterien verglichen. Dabei zeigten sich zwischen den beiden Gruppen (stärker ausgeprägter Typus Melancholicus, schwächerer Typus Melancholicus) keine signifikanten Unterschiede. 175 Ergebnisse Auch Patienten-Gruppen, die nach der Zahl der Persönlichkeitsstörungen gebildet worden waren (keine, eine, zwei, drei und mehr; also vier Gruppen) unterschieden sich nicht signifikant in den Verläufen des Ansprechens auf die Therapie und der Remission. Analog zu den dargestellten Ergebnissen erbrachten Testungen der zentralen Tendenz der Zeit bis zum Ansprechen bzw. Zeit bis zur Remission für einige Merkmale der Persönlichkeit signifikante Ergebnisse: Die depressive Symptomatik bei Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen remittierte signifikant später als bei den anderen Patienten (Reduktion des BDI-Wertes auf weniger als 10 Punkte: Z=2,7, p=0,006; und Reduktion des Wertes um mindestens 50 %: Z=3,0, p=0,003). Im Mittel trat die Remission bei Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen nach 9,5 Wochen ein, bei den anderen Patienten schon nach 5,2 Wochen (Standardabweichungen von 7,9 und 3,9 Wochen) (vgl. Abb. 5.12). Wochen seit Studienbeginn 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen Patienten ohne Cluster-CPersönlichkeitsstörungen Unterschiedstestung: signifikant mit p=0,006 Abb. 5.12: Vergleich von Patienten mit (n=32) und ohne (n=48) Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen in der Zeit bis zum Ansprechen auf die Therapie (Reduktion des Wertes im Beck-Depressionsinventar auf weniger als 10 Punkte) Ein signifikanter Effekt in dieser Richtung fand sich auch für Patienten, die nur Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C aufwiesen (Reduktion des Beck-Depressionsinventar-Wertes auf unter 10 Punkte: Z=2,0, p=0,04), sowie bei Patienten mit 176 Ergebnisse depressiver Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II (Hamilton-Depressionsskala von weniger als 10: Z=2,1, p=0,04; mindestens 50-prozentige Reduktion in der HAMD: Z=2,2, p=0,02; Mittelwerte: 7,3 und 5,5 Wochen (Standardabweichungen von 4,2 und 6,0 Wochen) (vgl. Abb. 5.13). Bei Patienten mit unterschiedlich stark ausgeprägtem Typus Melancholicus fand sich dagegen kein signifikanter Unterschied. Wochen seit Studienbeginn 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung Patienten ohne depressive Persönlichkeitsstörung Unterschiedstestung: signifikant mit p=0,04 Abb. 5.13: Vergleich von Patienten mit (n=9) und ohne (n=71) depressiver Persönlichkeitsstörung (SKID-II) in der Zeit bis zur Remission (Kriterium für Remission: Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala auf weniger als 10 Punkte) Zur Analyse der Beziehungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Verlaufsmerkmalen wurden Spearman-Korrelationen mit folgenden Ergebnissen berechnet. Je länger es dauerte, bis der Hamilton-Depressionswert um mindestens die Hälfte reduziert war, desto stärker ausgeprägt waren die selbstunsichere, die depressive und die schizotypische Persönlichkeitsstörung, und desto geringer die Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit / Adoleszenz. Außerdem hing ein späteres Ansprechen auf die Therapie in Form der Reduktion des Wertes in der Hamilton-Depressionsskala Ergebnisse 177 zusammen mit größeren Summenwerten für Persönlichkeitsstörungen insgesamt und stärkerem Neurotizismus (NEO-FFI). Späteres Ansprechen auf die Therapie in Form einer Verminderung des Wertes im Beck-Depressionsinventar um die Hälfte und mehr ging einher mit stärkerer Ausprägung der negativistischen Persönlichkeitsstörung, größeren Summenwerten für Persönlichkeitsstörungen insgesamt, mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C und stärkerer Ausprägung des reizbaren Temperaments (TEMPS-A). Späteres Eintreten der Remission gemäß dem Hamilton-Kriterium von 10 Punkten hing zusammen mit stärkerer depressiver Persönlichkeitsstörung. Späteres Eintreten der Remission gemäß dem Kriterium einer Reduktion des Wertes im Beck-Depressionsinventar auf unter 10 Punkte hing zusammen mit einer stärker ausgeprägten selbstunsicheren, depressiven und histrionischen Persönlichkeitsstörung, außerdem mit einem größeren Summenwert für alle Persönlichkeitsstörungen insgesamt, mehr erfüllten Kriterien für alle Persönlichkeitsstörungen insgesamt und mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C. Ergebnisse 178 5.5 Patienten mit und ohne Komorbidität von psychischen Störungen Depressive Patienten mit komorbiden psychischen Störungen wurden hinsichtlich soziodemographischer, psychopathologischer Merkmale und des Ansprechens der Depression auf die Behandlung, der Remission und des Therapieergebnisses verglichen mit depressiven Patienten ohne diese Komorbiditäten. Von den 80 untersuchten depressiven Patienten hatten 23 komorbide psychische Störungen, 57 nicht. Von den depressiven Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wiesen insgesamt 15 Patienten weitere psychische Störungen auf. Von ihnen litten zehn an einer, zwei Patienten an zwei und drei Patienten an drei komorbiden psychischen Störungen. Komorbid fanden sich z. B. Angststörungen und Dysthymie (vgl. Kap. 5.1). Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen unterschieden sich nicht in der Häufigkeit von Komorbiditäten psychischer Störungen. Die Zahl der Persönlichkeitsstörungen korrelierte mit der Zahl der komorbiden psychischen Störungen zu 0,18 (p=0,11). Patienten mit komorbiden psychischen Störungen unterschieden sich von denen ohne komorbide psychische Störungen nicht signifikant darin, ob sie unter Persönlichkeitsstörungen litten, und auch nicht in der Häufigkeit der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen (inklusive der depressiven Persönlichkeitsstörung) (gemäß DSM-IV, SKID-II), der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen aus jedem Cluster und der Ausprägung von Typus Melancholicus. Dies galt auch speziell für die elf Patienten, die komorbid unter Angststörungen (außer Zwangsstörung und posttraumatischer Belastungsstörung) litten. Diese Gruppe wurde einzeln verglichen mit den Patienten ohne Angststörungen. Die betroffenen Patienten mit komorbiden psychischen Störungen unterschieden sich nicht signifikant in soziodemographischen Merkmalen von den übrigen, aber in der Dauer der stationären Behandlung. Sie dauerte bei Patienten ohne weitere psychische Störungen der Achse I des DSM-IV im Mittel 67 Tage (Standardabweichung von 35 Tagen), bei den Patienten mit anderen psychischen Störungen 106 Tage (Standardabweichung von 67 Tagen) (t=−2,59, p=0,02). Bei Entlassung wiesen diese Patienten stärkere Depressivität gemäß der Hamilton-Depressionsskala auf (Mittel von 7,2 versus 3,4; Standardabweichungen von 1,6 versus 0,5; t=−2,60, p=0,02). Zudem wurde ihr berufliches Funktionsniveau (SOFAS) als geringer eingeschätzt als bei den übrigen Patienten (Z=−2,42, p=0,02). Der Anteil von depressiven Patienten mit Residualsymptomatik bei Entlassung war in der Gruppe mit Komorbidität signifikant höher (bei dem Kriterium von 10 Punkten und mehr in der Hamilton-Depressionsskala: Fishers Exakter Test, p=0,008; bei dem Kriterium von mehr als 8 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala: χ2=5,88, p=0,02). Patienten, die komorbid unter Persönlichkeitsstörungen und anderen psychischen Störungen litten, unterschieden sich von den übrigen durch einen höheren Wert in der Befindlichkeitsskala zu Beginn der Behandlung (t=−2,08, p=0,04) und eine längere 179 Ergebnisse Krankheitsdauer bis zur Klinik-Aufnahme (im Mittel 5,2 Monate im Vergleich zu 3,4 Monaten; Z=1,97, p=0,05). Patienten mit beiden Komorbiditäten waren im Mittel länger in stationärer Behandlung (Mittel von 112 versus 71 Tagen, Z=2,06, p=0,04). Die Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und psychischen Störungen außer der Depression gaben bei Entlassung signifikant stärkere Depressivität im Beck-Depressionsinventar (t=−2,44, p=0,02) und stärkere Beeinträchtigung in der Befindlichkeitsskala (t=−2,00, p=0,05) an. Auch die fremdeingeschätzte Depressivität (Hamilton-Depressionsskala) war stärker (Z=2,23, p=0,03). Zudem wurde ihr berufliches Funktionsniveau (SOFAS) als geringer eingeschätzt als bei den übrigen Patienten (Z=−2,70, p=0,007). Der Anteil von depressiven Patienten mit Residualsymptomatik bei Entlassung war in der Gruppe mit beiden Komorbiditäten signifikant höher (beim Kriterium von mehr als 8 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala) (Fishers Exakter Test, p=0,05). Patienten mit Komorbidität psychischer Störungen (n=23) ebenso wie Patienten mit komorbiden psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen (n=15) unterschieden sich von den jeweils übrigen Patienten durch ein signifikant langsameres Ansprechen auf die Therapie (Reduktion des Hamilton-Depressionsskalen-Wertes und des BeckDepressionsin-ventar-Wertes um mindestens die Hälfte) und spätere Remission im Verlauf der stationären Behandlung (Reduktion des HAMD- und des BDI-Wertes auf weniger als 10) (s. Tab. 5.18 und 5.19, Abb. 5.14). Tab. 5.18: Vergleich von depressiven Patienten mit und ohne Komorbidität psychischer Störungen hinsichtlich der Therapieresponse und der Remission (Survivalanalysen) Kriterium χ2 Test p HAMD < 10 Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 19,08 15,32 0,0001 *** 0,0001 *** BDI < 10 Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 5,60 4,25 0,02 * 0,04 * HAMD ≤ 50 % Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 11,57 8,44 0,0007 *** 0,004 ** BDI ≤ 50 % Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 9,38 8,65 0,002 ** 0,003 ** Anmerkungen: * p < 0,05; ** p < 0,01; *** p < 0,001; ≤ 50 %: mindestens 50prozentige Reduktion des Wertes in dem jeweiligen Messinstrument 180 Ergebnisse Tab. 5.19: Vergleich von depressiven Patienten mit und ohne Komorbidität von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich der Therapieresponse und der Remission (Survivalanalysen) Kriterium χ2 Test p HAMD < 10 Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 17,14 15,62 0,0001 *** 0,0001 *** BDI < 10 Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 5,35 4,95 0,02 * 0,03 * HAMD ≤ 50 % Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 8,93 9,37 0,003 ** 0,002 ** BDI ≤ 50 % Log-Rank-Test Wilcoxon-Test 6,84 8,36 0,009 ** 0,004 ** Anmerkungen: * p < 0,05; ** p < 0,01; *** p < 0,001; ; ≤ 50 %: mindestens 50prozentige Reduktion des Wertes in dem jeweiligen Messinstrument Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens der Remission * 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Wochen stationärer Behandlung Patienten mit komorbiden psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen Patienten ohne komorbide psychische Störungen und Persönlichkeitsstörungen * im Modell der Überlebenszeitanalyse: „Überlebenswahrscheinlichkeit“ Abb. 5.14: Vergleich von Patienten mit und ohne Komorbidität von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen in den Zeiten bis zur Remission („Überlebenszeiten“); Kriterium für Remission: Wert von weniger als 10 in der Hamilton-Depressionsskala) (signifikanter Unterschied: p < 0,001) 181 Ergebnisse Diese Ergebnisse wurden bekräftigt durch entsprechende signifikante Unterschiede in den zentralen Tendenzen der Zeiten bis zur Therapieresponse bzw. bis zur Remission, jeweils für die Kriterien mit der Hamilton-Depressionsskala als auch mit dem BeckDepressionsinventar (mit Hilfe von Wilcoxon-Tests). Bei Patienten mit beiden Komorbiditäten dauerte es so im Mittel 11,1 Wochen, bis die Remission nach dem Kriterium der Reduktion des Hamilton-Depressionsskalen-Wertes unter 10 eintrat, bei den übrigen Patienten dauerte es im Mittel nur 4,4 Wochen (Standardabweichungen: 10,0 und 3,5 Wochen; Z=2,95, p=0,003) (vgl. Abb. 5.15). Wochen seit Studienbeginn 12 10 8 6 4 2 0 Patienten mit Komorbidität von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen Patienten ohne Komorbidität von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen Unterschiedstestung: signifikant mit p=0,003 Abb. 5.15: Vergleich von Patienten mit (n=15) und ohne (n=65) Komorbidität von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich der Zeit bis zur Remission (Kriterium: Reduktion des Wertes in der HamiltonDepressions-Skala auf unter 10 Punkte) Ergebnisse 182 5.6 Patienten mit und ohne Komorbidität von Dysthymie Patienten, die gleichzeitig zur depressiven Störung eine Dysthymie aufwiesen, also eine sog. „Double Depression“, wurden hinsichtlich soziodemographischer, psychopathologischer und Merkmalen des Verlaufes der Depression mit den übrigen Patienten verglichen. Von den 80 depressiven Patienten war bei 6 (7,5 %) eine Dysthymie festgestellt worden. Diese Patienten unterschieden sich von denen ohne Double-Depression nicht signifikant in soziodemographischen Merkmalen, in der Ausgangssymptomatik (Befindlichkeit, Depressivität), im Auftreten von Persönlichkeitsstörungen, dem Auftreten der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, Persönlichkeitsstörungen aus den verschiedenen Clustern (SKID-II) und speziell auch dem Auftreten der depressiven Persönlichkeitsstörung. Für die Interpretation der später dargestellten Ergebnisse erscheint es jedoch wichtig, dass von den sechs Double-Depression-Patienten nur ein Patient keine Persönlichkeitsstörungen aufwies. In Merkmalen bei Therapieende bestanden signifikante Unterschiede: Patienten mit Double-Depression hatten stärkere Depressivität (Montgomery-ÅsbergDepressionsskala) (Z=2,05, p=0,04), geringeres allgemeines Funktionsniveau (Z=−2,34, p=0,02) und berufliches Funktionsniveau (Z=−2,85, p=0,004) sowie schlechteres Befinden (Befindlichkeitsskala: Z=2,24, p=0,03; Symptom-Checkliste: Z=2,38, p=0,02). Die Veränderung der Werte im Beck-Depressionsinventar (Z=−1,99, p=0,05) und der Symptom-Checkliste (Z=−2,58, p=0,01) zwischen Aufnahme und Entlassung fiel bei Patienten mit Double-Depression signifikant geringer aus. Zudem zeigte sich, dass ein größerer Anteil der Patienten mit Double-Depression am Ende der stationären Behandlung residuale Symptomatik aufwies (Kriterien von weniger als 10 bzw. 8 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala, weniger als 10 Punkten in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala, mindestens 50-prozentiger Reduktion des Wertes in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala, der Befindlichkeitsskala und der Symptom-Checkliste) (z. B. für das Kriterium von 10 Punkten in der HAMD: Fishers Exakter Test, p=0,006). Bei der Prüfung des Faktors „Double-Depression oder nicht“ und verschiedener Maße für die Befindlichkeit und Depressivität (Bf-S, SCL-90-R, BDI, HAMD, MDRS) zeigte sich, dass in folgenden beiden Modellen der Faktor der Double-Depression signifikant wurde: In dem ersten Modell war als Kovariate der Wert des Beck-Depressionsinventars bei Aufnahme herangezogen worden (dieser Faktor wurde signifikant: F=11,58, p=0,001), und die abhängige Variable war das Beck-Depressionsinventar bei Entlassung (für den Faktor des Vorliegens einer Double-Depression: F=7,86, p=0,007). Patienten mit Double-Depression wiesen hier bei Entlassung höhere Werte im BeckDepressionsinventar auf als Patienten ohne Double-Depression. Außerdem wurde der Faktor „Double-Depression“ signifikant (F=9,84, p=0,003) (neben der Kovariaten der 183 Ergebnisse Symptom-Checkliste bei Aufnahme: F=13,39, p=0,0005), wenn die Symptom-Checkliste bei Entlassung die abhängige Variable war. Patienten mit Double-Depression wiesen bei Entlassung höhere Werte in der Symptom-Checkliste auf (ebenso Patienten, die schon bei Aufnahme höhere Werte in diesem Fragebogen hatten). Zudem wurde die Kovariate der Befindlichkeitsskala bei Aufnahme (F=9,13, p=004) (bei der abhängigen Variablen der Bf-S bei Entlassung) signifikant, nicht jedoch der Faktor der Double-Depression in diesem Modell. Wert in der SCL-90-R 120 Patienten mit Double-Depression 100 80 60 120 100 80 Patienten ohne Double-Depression 60 40 40 20 20 0 0 Aufnahme Entlassung Abb. 5.16: Vergleich von Patienten mit (n=6) und ohne Double-Depression (n=74) hinsichtlich der Werte in der Symptomcheckliste SCL-90-R bei Aufnahme und Entlassung Diese Zusammenhänge wurden auch mit einer Varianzanalyse mit Messwiederholung untersucht. Die Zeiteffekte waren immer signifikant, der Faktor der Double-Depression nur in dem Modell mit der Symptom-Checkliste (vgl. Abb. 5.16): Patienten mit DoubleDepression gaben bei Aufnahme und Entlassung signifikant mehr Beschwerden an als die übrigen Patienten (F=4,00, p=0,05). Bei Entlassung waren die Werte für die Patienten ohne Double-Depression deutlich gesunken, für die Patienten mit Double-Depression waren sie leicht angestiegen, d. h. es gab auch einen signifikanten Interaktionseffekt von Double-Depression und dem Zeitfaktor (für die Zeit: F=5,17, p=0,03; für die Interaktion von Double-Depression und Zeit: F=6,18, p=0,02). Dieser Effekt sollte vorsichtig interpretiert werden, da nur sechs Patienten unter einer Double-Depression litten und ein Patient mit einem Wert von 270 in der Symptom-Checkliste bei Entlassung als Ausreißer Ergebnisse 184 bewertet werden kann (die übrigen fünf Patienten hatten Werte von 34, 40, 67, 145 und 162). Patienten mit und ohne Double-Depression unterschieden sich nicht signifikant im Verlauf des Ansprechens auf die Therapie (Sinken des Hamilton-DepressionsskalenWertes um mindestens die Hälfte) und im Verlauf der Remission (Sinken des HamiltonDepressionsskalen-Wertes auf weniger als 10 Punkte) (Ergebnisse von Survivalanalysen). Allerdings zeigte sich ein signifikanter Unterschied im Ansprechen der Therapie: die Werte im Beck-Depressionsinventar sanken bei den Patienten mit DoubleDepression später um mindestens die Hälfte (Log-Rank-Test: χ2=3,17, p=0,07; Wilcoxon-Test: χ2=3,86, p=0,05). Ergebnisse 185 5.7 Zusammenfassung der Ergebnisse der Hauptstudie In der vorliegenden Arbeit wurden 80 Patienten mit Major Depression gemäß DSM-IV (Saß, Wittchen & Zaudig, 1998) untersucht, die sich zum ersten Mal in stationärer psychiatrischer Behandlung befanden. Die Patienten waren im Mittel 44 Jahre alt. 61 % von ihnen waren Frauen, 39 % Männer. Von den 80 Patienten litten 53 % unter Persönlichkeitsstörungen (gemäß DSM-IV, SKID-II), dabei waren Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV am häufigsten (40 %), von den einzelnen Persönlichkeitsstörungen war die zwanghafte Persönlichkeitsstörung (31 % der Patienten) am häufigsten. Die depressive Persönlichkeitsstörung (SKID-II) fand sich bei 11 % der Patienten. Von den Patienten, die Persönlichkeitsstörungen aufwiesen (SKID-II), wiesen 9 % mehr als eine Persönlichkeitsstörung auf. Viele der Persönlichkeitsstörungen wiesen signifikante Zusammenhänge untereinander auf. Auch zwischen Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen, z. B. den großen fünf Persönlichkeitsfaktoren, fanden sich signifikante Beziehungen, aber überwiegend waren die Korrelationen hier nicht signifikant und niedriger als bei den Persönlichkeitsstörungen untereinander. Zur weiteren Analyse der Beziehungen der Persönlichkeitsstörungen untereinander wurden sie mittels Faktorenanalyse und Clusterisierung in Gruppen eingeteilt. Interessant war dabei, dass bei den verschiedenen gefundenen möglichen Gruppeneinteilungen die depressive Persönlichkeitsstörung immer zu allen anderen Persönlichkeitsstörungen aus dem bekannten Cluster C des DSM-IV gruppiert wurde, also zur dependenten, selbstunsicheren und zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Dabei wies sie von allen in diesen Cluster eingeordneten Persönlichkeitsstörungen die engste Beziehung zu dem Cluster auf, der dem Cluster B des DSM-IV ähnelte. Patienten mit Persönlichkeitsstörungen unterschieden sich in einigen Merkmalen von denen ohne: sie schätzten die Depressivität bei der Aufnahme stärker ein (nur im BDI, nicht u. a. in der HAMD) und wurden auch von den Untersuchern häufiger als schwerer krank eingestuft (CGI). Diese Patienten waren häufiger ledig. Im Vorverlauf der Depression bestanden keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Weitere Vergleiche zeigten insbesondere Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C (DSM-IV, SKID-II). Patienten mit ClusterC-Persönlichkeitsstörungen gaben im Vergleich zu allen übrigen Patienten bei der Aufnahme schwerere Depressivität (BDI) an. Dies fand sich auch bei Patienten mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen. Diese wurden zusätzlich von den Untersuchern als schwerer depressiv eingeschätzt (HAMD) als die übrigen Patienten. Patienten mit Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen wurden in der MADRS als schwerer depressiv eingeschätzt als die übrigen Patienten. Ergebnisse 186 Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wiesen bei Entlassung u. a. höhere Werte in der selbst- und der fremdeingeschätzten Depressivität auf (MADRS und BDI). Patienten, die Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen aufwiesen, hatten bei Entlassung höhere Werte in der MADRS, der HAMD, dem BDI und der Bf-S als die übrigen Patienten. Wurde die Schwere der Depressivität bei Aufnahme als Kovariate verwendet, so zeigten sich überwiegend keine signifikanten Unterschiede in der Entlass-Symptomatik zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen. Zudem erwies sich die Zahl der während der stationären Behandlung verwendeten Benzodiazepine als konfundierender Faktor in der Beziehung zwischen dem Vorliegen von Persönlichkeitsstörungen und der Behandlungsdauer. Patienten, die bei Entlassung remittiert waren bzw. ein Kriterium der Therapieresponse erfüllten, unterschieden sich insgesamt in Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen nur wenig von Patienten, die die Remissions- bzw. Response-Kriterien nicht erfüllten. Unter anderem wiesen Patienten ohne Residualsymptomatik bzw. solche, die auf die Therapie angesprochen hatten, die depressive und die dependente Persönlichkeitsstörung in geringerem Ausmaß auf (SKIDII), geringeren Neurotizismus, stärkere Extraversion und Offenheit (NEO-FFI), geringeres depressives, zyklothymes und reizbares Temperament sowie stärkeres hyperthymes Temperament (jeweils TEMPS-A). Sie schätzten sich selbst auch als weniger selbstunsicher, weniger abweisend und introvertiert ein und gaben weniger interpersonale Probleme an (IIP). Außerdem fanden sich für Patienten mit schlechterem Befinden bei der Entlassung höhere Ausprägungen von verschiedenen Persönlichkeitsstörungen und insgesamt mehr Persönlichkeitsstörungen. Die betroffenen Patienten wiesen auch andere Ausprägungen bei den Persönlichkeits- und Temperamentsmerkmalen auf (z. B. stärkeren Neurotizismus, mehr interpersonale Probleme). Der Vergleich der Patienten je nach Persönlichkeitsstörungssymptomatik hinsichtlich des Verlaufes der Therapieresponse und der Remission während der stationären Behandlung zeigte überwiegend keine signifikanten Unterschiede. Die Ausnahmen zeigten sich beim Vergleich von Patienten mit und ohne Cluster-CPersönlichkeitsstörungen: Patienten mit diesen Persönlichkeitsstörungen remittierten langsamer und die Remissionswahrscheinlichkeit am Ende ihrer Behandlung war etwas niedriger als bei Patienten ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Wurde die Schwere der Depressivität bei Aufnahme als Kovariate mit berücksichtigt, so unterschieden sich v. a. die Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen und höheren Ausgangswerten der Depressivität durch ein langsameres Ansprechen auf die stationäre Behandlung und eine langsamere Remission von den übrigen Patienten. Außerdem sprachen Patienten mit Komorbiditäten psychischer Störungen schlechter auf die Therapie an und remittierten langsamer, ebenso depressive Patienten, die neben komorbiden psychischen Störungen auch Persönlichkeitsstörungen aufwiesen. In einem Ergebnisse 187 Kriterium zeigte sich zudem ein langsameres Ansprechen auf die Behandlung bei Patienten mit Double-Depression (d. h. Depression und einer komorbiden Dysthymie). Ein langsameres Ansprechen auf die Behandlung hing je nach verwendetem Kriterium u. a. zusammen mit stärkeren Ausprägungen verschiedener Persönlichkeitsstörungen (z. B. der selbstunsicheren, der histrionischen und der antisozialen), zudem mit stärkerem Neurotizismus, stärkerem Typus Melancholicus und stärkerem reizbaren Temperament. Diskussion 188 6 Diskussion Schwerpunkt der Diskussion soll der Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen sein. Dennoch wird zuvor auch auf die übrigen Befunde eingegangen. Dabei soll die vorliegende Stichprobe mit denen anderer Studien verglichen werden, um sie bezüglich ihrer Repräsentativität gegenüber anderen Stichproben einschätzen zu können. Dadurch können auch die Ergebnisse zum Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen in ihrer Bedeutung bewertet werden. 6.1 Vorstudie Im Rahmen der Vorstudie an einer Stichprobe aus 68 depressiven Patienten, die sich in stationärer psychiatrischer Behandlung befanden, und 34 Kontrollpersonen, wurde vom Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI) eine Kurzfassung erstellt. Die hohe Korrelation von 0,98 der beiden Fragebogen-Versionen zeigt, dass durch die Kürzung kaum Informationen verloren gehen. Somit stellt die Kurzversion eine ökonomische Alternative zur Langversion des DPSI dar. Zudem wurde mit der durchgeführten Faktorenanalyse die Eindimensionalität des DPSI bestätigt, da sich ein GeneralfaktorenModell zeigte. In ihrer Beziehung zur Depressivität, wie sie vom Beck-Depressionsinventar gemessen wird, unterscheiden sich die beiden Versionen des DPSI kaum (die Korrelationskoeffizienten mit dem BDI betragen 0,71 und 0,73). Die Vorstudie erbrachte für das Diagnostische Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) an einer weiteren Stichprobe, die aus 36 depressiven Patienten der Psychiatrischen Klinik bestand, überwiegend hohe Werte für die Trennschärfe und mittlere für die Itemschwierigkeiten (der Skalen). Die interne Konsistenz lag für das gesamte Interview mit Cronbachs Alpha von 0,91 relativ hoch, bei der Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung des SKID-II lag sie etwas niedriger bei 0,75, beim Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar DPSI lag sie am höchsten mit 0,96 für die lange Version und 0,94 für die neu entwickelte Kurzversion. Die Homogenität des DPSI ist also besonders ausgeprägt. Die Interraterreliabilität bei dem Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit lag für den Gesamtwert bei 0,90 für die dimensionale Auswertung und 0,77 für die kategoriale Auswertung. Beide Werte können als gut bewertet werden (vgl. Landis & Koch, 1977). Die beiden Interviews korrelierten mit 0,89 relativ hoch miteinander. Daher liegt einerseits der Schluss nahe, dass es ökonomischer wäre, zur Entscheidung darüber, ob eine depressive Persönlichkeitsstörung vorliegt oder nicht, in Zukunft eher die Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung des SKID-II zu verwenden. Diese ermöglicht mit sieben Kriterien die Diagnose der Persönlichkeitsstörung, wogegen beim DID 30 Diskussion 189 Kriterien durch den Interviewer zu beurteilen sind. Dafür spricht auch, dass beide in ähnlichem Ausmaß mit dem Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar und mit dem Beck-Depressionsinventar zusammenhängen. Andererseits hat das DID gegenüber dem SKID-II den Vorteil, das Konstrukt der depressiven Persönlichkeitsstörung in vier verschiedenen Dimensionen zu erfassen, also differenzierter. Möglicherweise ist das DID im Forschungskontext daher interessanter als die Skala des SKID-II. Die beiden Interviews korrelierten niedriger mit dem BDI als das DPSI (dies korrelierte zu 0,73 mit dem BDI). Dies könnte an dem Unterschied von Fremd- und Selbstbeurteilungen liegen, aber auch an einer gewissen Ähnlichkeit der Inhalte von BDI und DPSI. Der Vergleich von DID und SKID-II zeigte, dass bei einem Grenzwert von 42 im DID dieses strenger in der Beurteilung des Vorliegens einer depressiven Persönlichkeitsstörung war, da gemäß SKID-II mehr Patienten eine depressive Persönlichkeitsstörung aufwiesen. Dieses Ergebnis sollte in einer größeren Stichprobe überprüft werden. Der starke Zusammenhang zwischen DID bzw. SKID-II und DPSI deutet auf die Möglichkeit hin, die depressive Persönlichkeitsstörung mit Hilfe des DPSI, also durch Selbstbeurteilungen der Patienten, ähnlich gut erfassen zu können wie mit den beiden Fremdbeurteilungsinstrumenten (DID und Skala des SKID-II). Aufgrund der Ergebnisse zur psychometrischen Analyse von DID und DPSI (Kurzund Langversion) kann angenommen werden, dass es sich insgesamt um reliable und valide Instrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung handelt. Bei der Interpretation der Ergebnisse der Vorstudie muss berücksichtigt werden, dass die Stichprobe, mit deren Hilfe die Messinstrumente evaluiert wurden, nicht repräsentativ für die Bevölkerung ist, zudem auch nicht für depressive Patienten, da nur Patienten mit Major Depression, die stationär psychiatrisch behandelt wurden, untersucht wurden. Es wäre daher sinnvoll, diese Evaluation an anderen klinischen und auch nicht-klinischen Stichproben zu wiederholen. Bei der Überprüfung der Interrater-Reliabilität bei den Interviews DID und SKID-II für die depressive Persönlichkeitsstörung könnte diese verringert worden sein durch die Kriterien, die beim DID nur auf der Basis von Beobachtung des Patienten in der Interview-Situation zu beurteilen sind (z. B. „Patient erscheint ernst“). Solche Kriterien waren für den zweiten Rater schwieriger zu beurteilen, da ihm (teilweise) nur eine Tonbandaufnahme des Interviews zur Verfügung stand. Es gibt drei solcher Items im DID. Deren Interrater-Reliabilitäten erschienen jedoch nicht geringer als die der übrigen Items. Diskussion 190 6.2 Hauptstudie 6.2.1 Stichprobe Die Stichprobe ist nicht repräsentativ für depressiv erkrankte Menschen, da nur stationär behandelte, zudem nur stationär psychiatrisch behandelte, Patienten untersucht wurden, und damit eher schwerer depressiv erkrankte Menschen. Die starke Selektion einer stationär psychiatrisch behandelten Stichprobe lässt sich erahnen, wenn man berücksichtigt, dass Wittchen, Schuster, Pfister, Müller, Storz et al. (1999) schätzen, dass weniger als ein Drittel der depressiv erkrankten Menschen aus der Allgemeinbevölkerung in Behandlung kommt. Der Anteil derer, die stationär behandelt werden, ist noch geringer. Da das Problem der Unterversorgung auch schwerste Depressionen betrifft (o. c.), lassen sich die Ergebnisse der Studie auch nicht ohne weiteres für die schweren Depressionsformen verallgemeinern. Diese Stichprobenabhängigkeit gilt für viele Studien, denn in den meisten werden hospitalisierte Depressive (Angst, 1987b), oft aus Universitätskliniken (Coryell & Winokur, 1992), untersucht. So entsteht der Bias der Ergebnisse zu schwereren und komplizierteren Erkrankungen (Sargeant, Bruce, Florio & Weissman, 1990). Zudem wurden in der vorliegenden Studie nur Patienten untersucht, die zum ersten Mal stationär psychiatrisch wegen Depression behandelt wurden. Hinsichtlich der Diagnosen wurden nur Patienten mit Major Depression gemäß DSM-IV (Saß, Wittchen & Zaudig, 1998) eingeschlossen. Andere, insbesondere subdiagnostische Formen der Depression, z. B. Minor Depression, wurden nicht berücksichtigt. Aus der Population wurde zudem keine zufällig gewählte Stichprobe gezogen, sondern eine anfallende Stichprobe. Da sich die Studienverweigerer in einigen Merkmalen von den Studienteilnehmern unterschieden, ist die Repräsentativität der Stichprobe zusätzlich eingeschränkt. Die Studienteilnehmer waren z. B. signifikant jünger als die Verweigerer, hatten eine signifikant höhere Schulbildung und waren signifikant seltener nicht berufstätig. Die Besonderheiten bei den soziodemographischen Merkmalen könnten auch mit den Vorbehalten gegenüber der Studienteilnahme bei den Studienverweigerern in Zusammenhang gebracht werden. In der vorliegenden Stichprobe waren 61 % der Patienten Frauen, damit liegt der Frauenanteil in dem Bereich, der aus Prävalenz-Studien zu Depression berichtet wird (nämlich dass Frauen ungefähr doppelt so häufig unter Depression leiden wie Männer). Die Patienten waren zwischen 19 und 82 Jahren alt, im Mittel 45 Jahre, der Median des Alters betrug 44 Jahre. Dies zeigt, dass das gesamte Spektrum des Erwachsenenalters vertreten war. Zudem war das Alter in der Stichprobe normalverteilt. Hinsichtlich der Prävalenz von Depression ist zu berücksichtigen, dass in Studien mit höherem Anteil jüngerer Personen höhere Prävalenzraten resultieren als in Stichproben, in denen auch Diskussion 191 ältere Personen sind (55 Jahre und älter) (Knäuper & Wittchen, 1995). Ein ähnliches arithmetisches Mittel des Alters von depressiven Patienten fand sich in vergleichbaren klinischen Studien, z. B. bei Brieger, Ehrt und Marneros (2003). Hinsichtlich der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen ist die Stichprobe nicht vergleichbar mit ambulant bzw. nicht behandelten depressiven Patienten. Gemäß Phillips und Gunderson (1999) fanden nämlich Studien, die in klinischen Settings durchgeführt wurden, eher höhere Komorbiditätsraten als Studien in nicht-klinischen Settings. Verschiedene Stichproben mit depressiven Patienten sind meist heterogen, so dass unklar ist, ob sich Befunde zur Persönlichkeit bei Depression nur auf bestimmte Unterformen der Depression beziehen (mit verschiedener Ätiologie und Behandlung) oder auf alle Formen der Depression (Hirschfeld & Shea, 1992). Insgesamt muss bei der Interpretation der Ergebnisse auch bedacht werden, dass die Stichprobe komplett aus 80 Depressiven bestand. Dies ist ausreichend groß ist, um mit varianzanalytischen Methoden mittlere Effektstärken zu erhalten (vgl. Bortz, 1999), jedoch möglicherweise zu gering, wenn durch fehlende Werte und die Aufteilung der Gesamtstichprobe in mehrere, insbesondere stark unterschiedlich große Gruppen (z. B. Patienten mit und ohne depressiver Persönlichkeitsstörung: 9 versus 71 Patienten), die Zahl der untersuchten Patienten in zumindest einer Gruppe stark reduziert wurde. Die Ergebnisse sollten deshalb nicht zu weitreichend interpretiert werden, sondern als Hinweise für die Replizierbarkeit früherer Forschungsergebnisse und als Hypothesen für weitere Forschung angesehen werden. In zukünftigen Untersuchungen wäre es sinnvoll, größere Gesamtstichproben zu untersuchen, um ausreichend große Teilgruppen bilden zu können. So wäre es z. B. möglich, Patienten der verschiedenen Cluster von Persönlichkeitsstörungen, Patienten mit bestimmten einzelnen Persönlichkeitsstörungen und evtl. auch Patienten mit bestimmten komorbiden (mehreren) Persönlichkeitsstörungen zu vergleichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, in der Stichprobe nur eine (homogene) Untergruppe von Persönlichkeitsstörungen zu analysieren. Die Untersuchung von engeren Merkmalen erscheint auch im Bereich der Persönlichkeitseigenschaften sinnvoll zu sein (vgl. a. Mazure, Raghavan, Maciejewski, Jacobs & Bruce, 2001). Dies wäre wünschenswert, da die vorliegenden Ergebnisse nahelegen, dass viele Testungen nicht signifikant wurden, obwohl die arithmetischen Mittel deutlich verschiedene Werte hatten, aber die Standardabweichungen überwiegend groß waren. Dies deutet auf eine starke Heterogenität der einzelnen, verglichenen Gruppen hin. Diskussion 192 6.2.2 Methoden Hinsichtlich des Studiendesigns ist es wichtig zu bedenken, dass nur der kurzfristige Verlauf der Depression untersucht wurde, d. h. während der stationären Behandlung. Dadurch können keine Aussagen über die Zeit bis zur Remission bei Patienten gemacht werden, die bei Behandlungsende noch nicht remittiert waren, und auch keine Aussagen über Rückfälle und Neuerkrankungen. Diese sollten ebenfalls in ihrer möglichen Abhängigkeit von der Persönlichkeit(spathologie) untersucht werden. Dies ist auch geplant für die Weiterführung der dargestellten Studie (vgl. Kap. 3.1). Alle eingesetzten Messinstrumente weisen auch Nachteile auf. Diese wurden im Kapitel 3.2 dargestellt. Diese Nachteile sollten durch die Verwendung verschiedener Messinstrumente zum Erfassen desselben oder ähnlicher Merkmale ausgeglichen werden, insbesondere durch Verwendung von Fremd- und Selbstbeurteilungen für ein Merkmal (insgesamt wurde ein „Multi-Trait-Multi-Method“-Ansatz verfolgt). Beispielsweise wurde die Schwere der depressiven Symptomatik mit Hilfe der Hamilton-Depressionsskala und der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala vom Untersucher beurteilt, und mittels des Beck-Depressionsinventars vom Patienten selbst. Bei der Untersuchung von Remission bzw. Residualsymptomatik sollte beachtet werden, dass durch die Entscheidung für einen Grenzwert auch die Ergebnisse beeinflusst wurden. Dieser Einfluss war jedoch gering, wie Auswertungen mit anderen Grenzwerten zeigten (z. B. Hamilton-Depressionsskala: Cut-Off von 8 und 7 Punkten für eine Remission, anstatt 10 Punkten; Montgomery-Åsberg-Depressionsskala: 9 Punkte anstatt 10). Analoges gilt für die verschiedenen möglichen Cut-Offs beim Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit (vgl. auch Kap. 3.2.2.10). Es sind auch noch andere Definitionen für Therapieresponse bzw. Remission denkbar als die verwendeten. So kommen Mulder, Joyce und Frampton (2003) zu dem Schluss, dass ein besseres Kriterium für das Ansprechen auf die Therapie eine 60-prozentige Reduktion der Werte in der Hamilton- und der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala anstatt einer 50prozentigen Reduktion (wie in der vorliegenden Untersuchung) sei, zudem ein Grenzwert von 8 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala und einer von 14 in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala. Interviews haben gegenüber Fragebögen den Vorteil, dass sie als weniger anfällig für Effekte der momentanen Stimmung auf die Einschätzung des Patienten gelten als Fragebögen (z. B. auf die Selbstwerteinschätzung bei Hartlage, Arduino & Alloy, 1998) (vgl. a. Möller, 2002; Möller & von Zerssen, 1995; vgl. Kap. 3.1). Dies könnte auch bei Einschätzungen der Depressivität und der Persönlichkeit gelten. Generell lassen sich die eingesetzten Methoden außerdem kritisieren. Beispielsweise werden die diagnostischen Kategorien des DSM-IV in ihrer Validität angezweifelt (z. B. Carson, 1991). Eine weitere grundsätzliche methodische Überlegung betrifft die viel diskutierten Vor- und Nachteile einer dimensionalen bzw. kategorialen Erfassung von Diskussion 193 Persönlichkeitspathologie (vgl. auch Kap. 2.2.1, 2.2.2), und die gemäß Ergebnissen von Shea und Yen (2003) geringe Stabilität von Persönlichkeitsstörungen. Bei Pilkonis, Heape, Ruddy und Serrao (1991) wurden die Reliabilitäten besser, wenn die Persönlichkeitsstörungen dimensional ausgewertet wurden. Um die Vorteile beider Vorgehensweisen zu nutzen und die Nachteile auszugleichen, wurden in der vorliegenden Untersuchung sowohl kategorial als auch dimensional beschriebene Persönlichkeitsauffälligkeiten erfasst. Im Forschungsbereich zu Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen bei depressiv erkrankten Menschen wird methodisch viel über die möglichen Verzerrungen diskutiert, die bei Messung der Persönlichkeitsvariablen während einer akuten depressiven Episode und auch nach einer oder mehreren depressiven Episoden entstehen können, insbesondere wenn Aussagen über die prämorbide Persönlichkeit gemacht werden sollen (Diskussion dieses Problems s. Kap. 3.1). Manche Autoren vertreten die Ansicht, dass sich die Persönlichkeitsvariablen in Analysen nicht als Prädiktoren des Verlaufes bzw. des Ergebnisses der Depression erweisen würden, wenn sie reine Messartefakte wären (z. B. Reich, 1999). Darüber hinaus interessiert zwar auch die prämorbide Persönlichkeit, aber bei rezidivierender Depression auch die morbide, inter- und postmorbide Persönlichkeit, insbesondere unter klinischen Gesichtspunkten: wenn ein Patient mit akuter Depression zur Behandlung kommt, ist auch die morbide Persönlichkeit wichtig, denn sie liegt ja zum Zeitpunkt der Behandlung vor und ist somit bei der Behandlung zu berücksichtigen. Eine Wiederholungsmessung der Persönlichkeit nach Abklingen der Depression ist sinnvoll, um die möglichen Messartefakte zu relativieren, aber auch um zu sehen, ob Persönlichkeits(störungs-)merkmale noch behandlungsbedürftig sind (vgl. Ilardi, Craighead & Evans, 1997). Eine Veränderung der Ergebnisse einer Persönlichkeitsmessung am Ende der stationären Behandlung könnte auch ein erwünschter Effekt z. B. einer Psychotherapie sein (als Nebeneffekt der Depressionstherapie und auch als Effekt einer Therapie, die neben der Depression Persönlichkeitsaspekte berücksichtigt hat). Dies gilt auch für Nachuntersuchungen in größeren Abständen. Um mögliche Verzerrungen durch den depressiven Zustand zu minimieren, wurden in der vorliegenden Untersuchung die Messungen der Persönlichkeitsmerkmale am Ende der Behandlung wiederholt und die der Persönlichkeitsstörungen nur am Ende der Behandlung durchgeführt, da dann die geringste Depressivität während der gesamten Zeit in der Klinik erwartet wurde. Ob die behandelnden Ärzte und Psychologen in der Behandlung der Patienten Persönlichkeitsaspekte explizit berücksichtigten, wurde nicht erhoben und damit nicht kontrolliert. Mulder (2002) geht davon aus, dass Kliniker die Persönlichkeitspathologie ihrer Patienten berücksichtigen, wenn sie eine Behandlung auswählen. In der vorliegenden Studie handelt es sich dabei um einen möglichen konfundierenden Faktor für die Beziehung zwischen der Persönlichkeitspathologie und dem Therapieergebnis und -verlauf. Andere mögliche Störfaktoren wie die soziale Unterstützung wurden nicht Diskussion 194 geprüft (vgl. Mulder, 2002). Generell hat Mulder (2002) in seinem Überblick beobachtet, dass bezüglich der Beziehung von Persönlichkeit und Depressionsverlauf die am besten geplanten Studien, die strukturierte Interviews verwendeten und die Behandlung kontrollierten, die wenigsten Belege dafür fanden, dass Persönlichkeitsstörungen das Therapieergebnis negativ beeinflussen. Studien, die die Behandlung nicht kontrollierten, fanden heraus, dass depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen seltener mit Hilfe von Antidepressiva oder Elektrokrampftherapie behandelt wurden (o. c.). In der vorliegenden Studie wurden strukturierte Interviews verwendet, die Behandlung wurde jedoch nur teilweise kontrolliert. Insbesondere wurde die Anzahl der verschiedenen während der stationären Behandlung verwendeten und die Zahl der bei Entlassung eingenommenen verschiedenen Gruppen von Medikamenten kontrolliert. Nicht untersucht wurden jedoch die genauen Dosierungen der jeweiligen Medikamente und die Dauer der Einnahme. Bei den Analysen wurden weitere mögliche konfundierende Faktoren, z. B. die Depressivität bei der Klinikaufnahme, berücksichtigt. Eine Möglichkeit, mit dem Problem der Depressivität bei der Messung von Persönlichkeit umzugehen, sieht Mulder (2002) in einem pragmatischen Ansatz. Wenn Persönlichkeitsmaße konsistent Merkmale der Behandlung vorhersagen, dann könnten sie als sinnvoll betrachtet werden. Ob sie nun Persönlichkeit messen, chronische depressive Symptome oder die aktuelle Stimmung interessiere mehr den Forscher als den Kliniker. Wenn die Persönlichkeitsmaße bei der Therapieplanung helfen, seien sie für den Praktiker sinnvoll, gleichgültig ob sie durch die depressive Erkrankung verzerrt sind oder nicht (vgl. Mulder, 2002). Fichter und Quadflieg (2000) fanden nach einer stationären Behandlung Veränderungen in Persönlichkeitsmaßen, die als erwünschte Effekte der Therapie erklärt werden konnten, allerdings nicht als Veränderungen der Kern-Persönlichkeit. Ähnlich fanden Clark, Vittengl, Kraft und Jarrett (2003), dass einige Komponenten der Persönlichkeit mit der Depressivität korrelierten, andere dagegen nicht, d. h. es gibt State- und Trait-Komponenten der Persönlichkeit. Nach der erfolgreichen Behandlung einer Depression blieben bei Farabaugh, Mischoulon, Yeung, Alpert, Matthews et al. (2002) die Persönlichkeitsstörungsdiagnosen während der Erhaltungstherapie konstant. Die Erfassung von Merkmalen, bei denen die Erinnerung des Patienten zentral ist, kann methodische Probleme beinhalten. Beispielsweise ist die Feststellung des Erkrankungsbeginns und damit auch des Ersterkrankungsalters schwierig, da die ersten depressiven Episoden manchmal noch keinen Krankheitswert haben, nicht behandelt werden und oft erst später im Verlauf erinnert werden (Angst, 1987b; Angst & Preisig, 1995). Der Erkrankungsbeginn ist auch deshalb schwer zu bestimmen, weil depressive Episoden in der Regel allmählich und seltener innerhalb von Minuten oder Stunden einsetzen (Huber, 1994). Beginn und Ende der Erkrankung können retrospektiv kaum geschätzt werden (Angst & Preisig, 1995; Kasper & Kasper, 1994). Beispielsweise fanden Wittchen, Burke, Semler, Pfister, von Cranach et al. (1989) bei zumindest einem Diskussion 195 Drittel der Patienten Schwierigkeiten beim Erinnern der genauen Zahl und Länge ihrer depressiven Episoden. Stephens und McHugh (1991) nehmen an, dass die tatsächliche Zahl von depressiven Episoden in retrospektiven Studien unterschätzt wird. Für den Vorverlauf könnte dies auch auf die vorliegende Untersuchung zutreffen. Andererseits könnte sich die Überbetonung von Negativem bei depressiv Erkrankten sich auf die Angaben zur Zahl der Episoden auswirken, denn im symptomfreien Zustand gaben Patienten weniger Episoden an als im depressiven. Dabei könnte auch eine Rolle spielen, dass Patienten während der gesunden Zeit depressive Episoden verschweigen (Keller, Steiner, Wolfersdorf, Hautzinger & von Nostitz, 1992). Eine weitere methodische Schwierigkeit ergibt sich in der vorliegenden Untersuchung daraus, dass eine Stichprobe von Patienten vielfach untersucht wurde, nämlich hinsichtlich sämtlicher Variablen, und hinsichtlich einiger Variablen wiederholt (z. B. Werte im Beck-Depressionsinventar BDI). Diese multiple Testung der Stichprobe macht eine Korrektur des kumulierten Alpha-Fehlers erforderlich, da das gewählte Signifikanzniveau von 5 % für die Menge aller Variablen gelten sollte (Werner, 1997) und durch die multiple Testung die Irrtumswahrscheinlichkeit, die für einen einzelnen Test 5 % beträgt, für die Menge aller Variablen erhöht wird. Eine Möglichkeit, diese Alpha-Fehler-Kumulierung zu korrigieren, besteht in der Bonferroni-Korrektur (o. c.), die in höheren Signifikanzniveaus (also kleiner als 5 %) für die Einzeltests resultiert. Auf eine Korrektur des Alpha-Fehlers wurde jedoch verzichtet. Dies erscheint aus zwei Gründen vertretbar. Zum einen ist es inhaltlich plausibel, anzunehmen, dass einige der untersuchten Variablen voneinander abhängig sind, d. h. signifikant miteinander korrelieren (z. B. die Schwere der Depression und die Behandlungsdauer), und in solchen Fällen ist eine Alpha-Fehler-Korrektur nicht notwendig (Bortz, 1993). Zum anderen werden im Vergleich zur Zahl der vorgenommenen Tests nur einige signifikant, so dass der Gesamteindruck auch bei einer geringeren Zahl an signifikanten Ergebnissen nicht wesentlich anders wäre. Darüber hinaus würde das Signifikanzniveau durch die Zahl der durchgeführten Tests mittels der Bonferroni-Korrektur möglicherweise zu hoch, um mit der Stichprobe von 80 Patienten signifikante Ergebnisse erzielen zu können. Dadurch würden die Ergebnisse angesichts der Befunde anderer Studien weniger aussagekräftig. In der vorliegenden Arbeit wurde außerdem darauf verzichtet, die Alpha-FehlerWahrscheinlichkeit (vgl. Bortz, 1999) bei einseitiger Testung, d. h. beim Prüfen gerichteter Hypothesen, zu halbieren. Durch die Halbierung der Alpha-FehlerWahrscheinlichkeit würden die Unterschiedstestungen leichter signifikant. Dies wäre der gegenteilige Effekt wie bei einer Bonferroni-Korrektur, durch die die Ergebnisse wegen der notwendigen Anhebung des Signifikanzniveaus weniger leicht signifikant würden. Es ließe sich nicht sinnvoll begründen, nur eine der beiden Korrekturen durchzuführen. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass bei vielen Testungen einer Stichprobe einige zufällig statistisch signifikant werden können. Bei 100 Diskussion 196 voneinander unabhängigen t-Tests wird erwartet, dass 5 davon zufällig auf dem 5Prozent-Niveau signifikant werden (Bortz, 1993). Die Aussagekraft der Ergebnisse wird ferner eingeschränkt durch Verletzungen der Voraussetzungen von statistischen Verfahren (z. B. gleiche Größe der zu vergleichenden Stichproben bei der Diskriminanzanalyse) und durch möglicherweise nicht erfüllte Voraussetzungen (z. B. Varianzhomogenität, Fehlerunabhängigkeit, homogene Steigungen der Regressionen in den Stichproben bei der Kovarianzanalyse). Für weitere Untersuchungen zu den vorliegenden Themen könnte eine erhöhte Aussagekraft der Befunde dadurch erzielt werden, dass die hier kritisierten Sachverhalte berücksichtigt werden. 6.2.3 Ergebnisse der Hauptstudie Im Folgenden werden die Ergebnisse in den verschiedenen Bereichen (vgl. Kap. 5) diskutiert. Zunächst wird auf Häufigkeiten und Komorbiditäten eingegangen. Dann werden die Beziehungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Persönlichkeitsstörungen, die Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen und schließlich der Vergleich von Patienten mit bestimmten Persönlichkeitsauffälligkeiten bzw. ohne diskutiert. 6.2.3.1 Häufigkeiten und Komorbiditäten Ein Ziel der Studie bestand darin, zu prüfen, wie häufig verschiedene Persönlichkeitsstörungen und Gruppen von Persönlichkeitsstörungen bei den untersuchten 80 depressiven Patienten vorkamen. Die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen in der vorliegenden Stichprobe betrug 53 % (d. h. 42 Patienten wiesen Persönlichkeitsstörungen auf, 38 nicht). In mehreren anderen Studien mit ähnlichen Stichproben waren Häufigkeiten um die 50 % festgestellt worden. Beispielsweise fanden Pilkonis und Frank (1988) bei fast der Hälfte der stationären depressiven Patienten Persönlichkeitsauffälligkeiten, Sanderson, Wetzler, Beck und Betz (1992) bei 50 %, und Sato, Sakado und Sato (1993a, b) bei 54 % Persönlichkeitsstörungen. Die Stichprobe ähnelt in dieser Hinsicht also den Stichproben anderer Studien. Bei den Häufigkeiten der einzelnen Persönlichkeitsstörungen fiel auf, dass Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV mit Abstand am häufigsten waren, gefolgt von solchen aus Cluster B und an dritter Stelle aus Cluster A. Die häufigsten Persönlichkeitsstörungen waren die zwanghafte (bei 31 % der Patienten) und Diskussion 197 die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung (23 %). Zudem wurde bei 11 % eine Borderline-Persönlichkeitsstörung gefunden. Auch diese Ergebnisse sind vergleichbar mit denen anderer Studien. So fanden Sato et al. (1993b) als häufigsten Cluster den Cluster C (bei 49 % der Patienten), gefolgt von Cluster B und Cluster A. Auch bei Sanderson et al. (1992) und Brieger, Ehrt et al. (2003) war der Cluster C am häufigsten. Bei den einzelnen Persönlichkeitsstörungen fanden sich auch in anderen Studien die zwanghafte und die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung besonders häufig. So wurde bei 32 % der Patienten eine vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung festgestellt bei Rossi, Marnangeli, Butti, Scinto, Di Cicco et al. (2001) und bei 35 % in der Studie von Sato, Sakado und Sato (1993b), allerdings nur bei 2 % bei Garyfallos et al. (1999), verglichen mit 23 % in der vorliegenden Studie. Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung fand sich bei 10 % (Garyfallos et al., 1999), 23 % der Patienten (Sato et al., 1993b) oder bei 31 % in einer anderen Untersuchung (Rossi, Marnangeli, Butti, Scinto, Di Cicco et al., 2001). In der vorliegenden Untersuchung wurde sie bei 31 % der Patienten diagnostiziert. Die in dieser Studie gefundene Häufigkeit der Borderline-Persönlichkeitsstörung von 11 % ist dabei ähnlich wie bei Garyfallos et al. (1999), die sie bei 6 % der Patienten fanden, und Sato et al. (1993b), die sie bei 8 % der Patienten feststellten. Rossi et al. (2001) dagegen diagnostizierten sie bei 31 %. Diese Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen bei depressiven Menschen liegen deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung (vgl. z. B. Coid, 2003). Die depressive Persönlichkeitsstörung fand sich in der vorliegenden Stichprobe bei 9 Patienten (mit Hilfe des SKID-II), also 11 % der depressiven Patienten. Mit verschiedenen Grenzwerten für die Diagnose lagen die Häufigkeiten der depressiven Persönlichkeitsstörung mit dem DID zwischen 6 und 16 % (d. h. zwischen 5 und 13 Patienten), gemäß der Aachener Merkmalsliste AMPS lag die Häufigkeit bei 20 %. Diese Häufigkeiten liegen deutlich unter denen in zwei anderen Studien. Klein und Miller (1993) berichten von 42 % depressiver Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung und Hirschfeld und Holzer (1994) von 45 %. Bei psychiatrischen Patienten allgemein fand Klein (1990) bei 26 % die depressive Persönlichkeitsstörung. In der Bevölkerung lagen die Häufigkeiten in Studien noch niedriger als bei Patienten, nämlich zwischen 3 und 4 % (z. B. Huprich, 2000; Klein, 1999). Teilweise lassen sich die Unterschiede auf verschiedene Messinstrumente und verschiedene Grenzwerte zurückführen, vermutlich auch auf Unterschiede in den Kennzeichen der Stichproben. In Bezug auf die Komorbidität unter den Persönlichkeitsstörungen wiesen von den Patienten mit Persönlichkeitsstörungen der vorliegenden Studie 47 % nur eine Persönlichkeitsstörung, 29 % zwei und 24 % mehr als zwei Persönlichkeitsstörungen auf. Die Anteile dieser Gruppen an der Gesamtstichprobe sind: 25, 15 und 13 %. Brieger, Ehrt et al. (2003) fanden bei 37 % der depressiven Patienten eine, bei 10 % zwei und bei 4 % drei und mehr Persönlichkeitsstörungen. Die Ergebnisse sind also etwas verschieden. Diskussion 198 In der vorliegenden Untersuchung fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen insgesamt und den Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen aus den verschiedenen Clustern. Allerdings wiesen Männer signifikant mehr erfüllte Kriterien für die narzisstische und die antisoziale Persönlichkeitsstörung auf, zudem signifikant größere Summenwerte für die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Frauen hatten mehr erfüllte Kriterien für die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Hinsichtlich anderer einzelner Persönlichkeitsstörungen fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Dies widerspricht auch der Hypothese von Schneider (1950), der davon ausging, dass die meisten Personen mit depressiver Persönlichkeit Männer seien. Dieser Befund enstpricht teilweise denen anderer Studien. So fand auch Saß (2000) über alle Persönlichkeitsstörungen (bei nicht-depressiven Patienten) keine Geschlechtsunterschiede. Bei depressiven Männern fanden Grilo, Becker, Walker, Edell und McGlashan (1996) häufiger Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A und Cluster C, im einzelnen zudem häufiger schizotypische und antisoziale Persönlichkeitsstörungen. Depressive Frauen wiesen in dieser Studie häufiger Borderline-Persönlichkeitsstörungen (Cluster B) auf. Der Befund, dass die antisoziale Persönlichkeitsstörung häufiger bei Männern auftrat und die Borderline-Persönlichkeitsstörung häufiger bei Frauen, wurde insofern durch die vorliegende Studie gestützt, als jeweils mehr erfüllte Kriterien dieser Persönlichkeitsstörungen bei Männern bzw. Frauen festgestellt wurden. Diese Schlussfolgerung ist mit Vorsicht zu interpretieren, da die antisoziale Persönlichkeitsstörung in den Stichproben insgesamt selten gefunden wurde. Jüngere und ältere depressive Patienten hatten sich in der vorliegenden Untersuchung signifikant darin unterschieden, dass bei Jüngeren häufiger Persönlichkeitsstörungen aus Cluster B festgestellt worden waren, und sie höhere Summenwerte der paranoiden, der impulsiven, der antisozialen und der zyklothymen Persönlichkeitsstörung aufwiesen. In der generellen Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen unterschieden sich die Altersgruppen nicht, was sich mit den Befunden früherer Studien deckt (Abrams & Horowitz, 1999; Gradman, Thompson & Gallagher-Thompson, 1999). Zudem wurde hier gefunden, dass zwanghafte und selbstunsichere Persönlichkeitsstörung am häufigsten komorbid vorkamen. Die depressive Persönlichkeitsstörung zeigte die höchsten Komorbiditäten mit den Persönlichkeitsstörungen des Clusters C (also mit der selbstunsicheren, dependenten und zwanghaften Persönlichkeitsstörung). Von den 9 Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung wiesen jeweils 5 gleichzeitig eine selbstunsichere bzw. eine vermeidende Persönlichkeitsstörung auf, außerdem 3 eine dependente Persönlichkeitsstörung. Dies entspricht auch den Befunden der Zusammenhangsanalysen, Faktorenanalysen und Clusterisierungen mit den Persönlichkeitsstörungen, die die depressive Persönlichkeitsstörung den Persönlichkeitsstörungen des Clusters C am nächsten verwandt zeigten. In anderen Studien war die Komorbidität von zwanghafter Diskussion 199 und selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung im Vergleich zu anderen Komorbiditäten nicht so häufig. In einer Zusammenfassung von vier Studien fanden Widiger, Frances et al. (1991) eine Komorbidität der beiden von im Mittel 9 %. Die höchste Komorbidität wiesen nach dieser Übersicht die Borderline- und die histrionische Persönlichkeitsstörung auf, mit im Mittel 46 %. Diese Komorbidität wurde in der hier untersuchten Stichprobe nur bei einem Patienten gefunden. Typus Melancholicus wurde erfasst mit Hilfe des Typus-MelancholicusPersönlichkeits-Inventars. Anhand der Werte in dem Fragebogen waren die Patienten mittels Median-Split in zwei Gruppen mit schwächerer und stärkerer Ausprägung des Typus Melancholicus eingeteilt worden. Diese beiden Gruppen unterschieden sich nicht in der Häufigkeit des gleichzeitigen Auftretens von Persönlichkeitsstörungen (auch nicht im Auftreten der depressiven Persönlichkeitsstörung). Sato et al. (1996) fanden mittels Faktorenanalyse heraus, dass sich der Typus Melancholicus deutlich von den Persönlichkeitsstörungen (des DSM-III-R) unterschied. Am nächsten stand er der schizoiden Persönlichkeitsstörung, gefolgt von den Persönlichkeitsstörungen des Clusters C des DSM, nämlich der vermeidenden, der zwanghaften und der dependenten Persönlichkeitsstörung (o. c.). Damit wird nahegelegt, dass der Typus Melancholicus etwas anderes beinhaltet als diese Persönlichkeitsstörungen. Für die Autoren folgern daraus, dass die Aufnahme des Typus Melancholicus in das DSM die Forschung und klinische Praxis mit depressiven Patienten bereichern könnte (o. c.). Die Persönlichkeitsstörungen untereinander zeigten verschieden starke Zusammenhänge. Besonders hoch (in positiver Richtung) fielen die Korrelationen zwischen der selbstunsicheren und der schizoiden, der schizotypischen und der schizoiden, der paranoiden und der schizoiden, der paranoiden und der BorderlinePersönlichkeitsstörung, der antisozialen und der depressiven, der antisozialen und der negativistischen sowie auch der selbstunsicheren und der dependenten Persönlichkeitsstörung aus. Andere Studien fanden neben hohen Korrelationen der BorderlinePersönlichkeitsstörung und der paranoiden (in einer Zusammenfassung mehrerer Studien im Mittel 0,24) ähnlich hohe mit der histrionischen, narzisstischen, antisozialen und vermeidenden Persönlichkeitsstörung (Widiger, Frances et al., 1991). Auch die relativ hohe Korrelation von schizoider und schizotypischer Persönlichkeitsstörung wurde schon wiederholt gefunden. Im Mittel über mehrere Studien lag die Korrelation jedoch nur bei 0,25, über die anderen Studien allerdings fielen die Korrelationen zwischen der schizotypischen und sowohl der Borderline- als auch der vermeidenden Persönlichkeitsstörung im Mittel höher aus (o. c.). Die hohen Korrelationen der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung mit der schizoiden und der dependenten Persönlichkeitsstörung fanden auch andere Studien (allerdings auch hohe Korrelationen der selbstunsicheren mit der schizotypischen, der Diskussion 200 negativistischen und der Borderline-Persönlichkeitsstörung). Ebenso wurde der relativ starke Zusammenhang von antisozialer und negativistischer Persönlichkeitsstörung in anderen Studien gefunden, allerdings ebenso starke Zusammenhänge mit der paranoiden und der Borderline-Persönlichkeitsstörung (Widiger, Frances et al., 1991). Insgesamt gibt es also viele Übereinstimmungen mit mehreren anderen Studien und auch den mittleren Korrelationen, wobei einzelne Korrelationen zwischen den Studien differieren. 6.2.3.2 Beziehungen von Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsmerkmalen In der Studie sollten auch die Beziehungen zwischen Persönlichkeitsstörungen und verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen untersucht werden. Diese Frage ist wichtig hinsichtlich der diskutierten dimensionalen Persönlichkeitsstörungs-Modelle und der Konstrukt-Validität von Persönlichkeitsstörungen. Es zeigten sich in der vorliegenden Untersuchung signifikante Korrelationen zwischen der depressiven Persönlichkeitsstörung und Typus Melancholicus sowie auch interpersonalen Problemen (speziell auch mit den Merkmalen „zu abweisend / kalt“ und „zu introvertiert / sozial vermeidend“). Zudem fand sich eine signifikante positive Korrelationen zwischen der zwanghaften Persönlichkeitsstörung und Typus Melancholicus. Die paranoide Persönlichkeitsstörung hing signifikant negativ mit Verträglichkeit (NEO-FFI) zusammen, positiv mit folgenden interpersonalen Problemen (IIP): „zu autokratisch“, „zu streitsüchtig“ und „zu abweisend“. Eine Ähnlichkeit dieser Ergebnisse zu denen anderer Untersuchungen bestand z. B. darin, dass Widiger, Trull, Clarkin, Sanderson und Costa (1994) die meisten Persönlichkeitsstörungen stark mit Verträglichkeit zusammenhängend fanden. Zudem fanden sich hohe Korrelationen insbesondere von Extraversion (negativ) mit der schizoiden und der vermeidenden Persönlichkeitsstörung (Widiger, Trull, Clarkin, Sanderson & Costa, 1994, 2002). Hohe Extraversion ging mit stärkerer Ausprägung der histrionischen Persönlichkeitsstörung einher (Brieger, Sommer, Blöink & Marneros, 2000). Höherer Neurotizismus hing zusammen mit stärkerer Ausprägung der vermeidenden, der dependenten, der zwanghaften und der paranoiden, der emotional instabilen und der histrionischen Persönlichkeitsstörung (Brieger et al., 2000; Widiger & Costa, 1994). Verträglichkeit hing negativ mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung zusammen (Widiger & Costa, 1994). Die signifikante negative Korrelation von Verträglichkeit und paranoider Persönlichkeitsstörung wurde auch von Duggan, Milton, Egan, McCarthy, Palmer et al. (2003) berichtet. Weitere Übereinstimmungen mit den Ergebnissen von Duggan et al. (2003) sind hohe signifikante Korrelationen zwischen Neurotizismus und der dependenten sowie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, außerdem zwischen Extraversion und der selbstunsicheren sowie auch der schizoiden Diskussion 201 Persönlichkeitsstörung (jeweils negative Korrelationen). Zudem hing in beiden Untersuchungen die negativistische Persönlichkeitsstörung negativ mit Offenheit und die Borderline-Persönlichkeitsstörung negativ mit Gewissenhaftigkeit zusammen. Diese Ergebnisse zeigen zum einen die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten von Persönlichkeitsstörungen, z. B. durch die Korrelationen mehrerer Persönlichkeitsstörungen mit dem Persönlichkeitsmerkmal der Verträglichkeit. Zum anderen werden durch die bei den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen verschiedenen Korrelationsmuster aber auch die Unterschiede zwischen den Persönlichkeitsstörungen gezeigt, was ein Hinweis auf die divergente Validität ist. Zudem zeigen die überwiegend niedrigen Korrelationskoeffizienten von Persönlichkeitsstörungen mit den Persönlichkeitsmerkmalen, dass sich die Persönlichkeitsstörungen nicht vollständig mit Hilfe von Persönlichkeitsmerkmalen beschreiben lassen. Dies widerspricht der Möglichkeit, Persönlichkeitsstörungen erschöpfend durch die untersuchten Persönlichkeitsmerkmale zu beschreiben. 6.2.3.3 Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen Hinsichtlich der Gruppierung von Persönlichkeitsstörungen lautete die Hypothese, dass in der untersuchten Stichprobe depressiver Patienten besonders solche Persönlichkeitsstörungen stark miteinander zusammenhängen, die sich in denselben Clustern des DSM-IV befinden, d. h. dass sich die Cluster des DSM-IV in dieser Stichprobe wiederfänden. Von der depressiven Persönlichkeitsstörung war angenommen worden, dass sie sich als am ähnlichsten zu den Persönlichkeitsstörungen zeigt, die im Cluster C des DSM-IV eingeordnet werden (also der vermeidenden, der abhängigen und der zwanghaften Persönlichkeitsstörung) (vgl. Fiedler, 1997a, 2001b). Die Faktorenanalyse alleine und auch die Faktorenanalyse mit anschließender Clusterisierung erbrachten etwas differierende Lösungen der Gruppierung der Persönlichkeitsstörungen, auch in Abhängigkeit von den verwendeten Diagnosen (nach DSM-IV, nach ICD-10, mit oder ohne subaffektive Persönlichkeitsstörungen, depressive Persönlichkeitsstörung gemäß DID oder SKID-II). Bei allen Lösungen fiel auf, dass die Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV immer zusammen gruppiert wurden, zudem wurde die depressive Persönlichkeitsstörung immer bei diesen Persönlichkeitsstörungen eingeordnet. Wurden als Variablen für die Gruppierungen die Persönlichkeitsstörungen gemäß SKID-II verwendet, so resultierten drei Cluster. Hier wurden zu der selbstunsicheren, dependenten, zwanghaften und depressiven noch die paranoide und die schizoide Persönlichkeitsstörung gruppiert. In einem zweiten Cluster wurden die negativistische, die Borderline- und die antisoziale Persönlichkeitsstörung eingeordnet. Neben der negativistischen Persönlichkeitsstörung aus dem Diskussion 202 Forschungsanhang des DSM-IV wurden hier also Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen des DSM-IV eingeordnet. Im dritten Cluster waren die schizotypische, die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung, also Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A (schizotypische Persönlichkeitsstörung) und Cluster B (histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörung) des DSM-IV. Somit wurde die Cluster-Einteilung des DSM-IV nicht genau repliziert, aber einige Persönlichkeitsstörungen traten in den Kombinationen auf, in denen sie auch im DSM-IV vorgesehen sind, insbesondere die Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C, zu denen hier noch drei weitere Persönlichkeitsstörungen kamen. Cluster B wurde in der vorliegenden Analyse kleiner, indem die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung gemeinsam mit der schizotypischen aus dem Cluster A des DSM-IV einen neuen, dritten Cluster definierten. Die Cluster könnten ähnlich wie im DSM-IV beschrieben werden: der erste als ängstlich, vermeidend, zurückgezogen, selbstunsicher; der zweite als negativ, antisozial und sprunghaft; der dritte Cluster schließlich als exzentrisch und theatralisch. Wurden die subaffektiven Persönlichkeitsstörungen alle hinzugenommen (nicht nur die depressive Persönlichkeitsstörung), so ergaben sich vier Cluster. Einer davon entsprach dem Cluster C des DSM-IV, allerdings zusätzlich mit der depressiven Persönlichkeitsstörung. Die zyklothyme und die hyperthyme (subaffektive) Persönlichkeitsstörung wurden der Borderline-, histrionischen und narzisstischen Persönlichkeitsstörung zugeordnet, also kamen hier zwei subaffektive Persönlichkeitsstörungen zu drei Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster B des DSMIV. Des Weiteren wurden die paranoide, die schizotypische und die antisoziale Persönlichkeitsstörung, also zwei aus Cluster A im DSM-IV und eine aus Cluster B (die antisoziale) zusammen gruppiert. Im vierten Cluster waren schließlich die schizoide Persönlichkeitsstörung und die asthenische. Diese Cluster könnten folgendermaßen benannt werden: erster Cluster: ängstlich-vermeidend, zweiter Cluster: emotionaldramatisch, dritter Cluster: misstrauisch-exzentrisch-antisozial, vierter Cluster: zurückgezogen. In der dritten durchgeführten Analyse wurden Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 (erfasst mit AMPS) und die depressive Persönlichkeitsstörung (erfasst mit AMPS) als Variablen verwendet. Es zeigten sich dann nur zwei Cluster: einer mit der schizoiden, der zwanghaften, der ängstlichen und der dependenten Persönlichkeitsstörung, also ein zurückgezogen-ängstlicher Cluster. Im zweiten Cluster waren die paranoide, die dissoziale, die impulsive, die histrionische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung eingeordnet. Dieser Cluster ließe sich als exzentrisch, dramatisch und antisozial beschreiben. Die Hypothese, dass sich die Cluster des DSM-IV in der untersuchten Stichprobe wiederfinden würden, wurde in der vorliegenden Studie empirisch nicht vollständig gestützt. Nur in Ausschnitten wurden die Cluster repliziert, was insbesondere für den Diskussion 203 Cluster C galt, dessen Persönlichkeitsstörungen in jeder der Cluster-Lösungen zusammen gruppiert wurden. Die Hypothese, dass die depressive Persönlichkeitsstörung am ehesten in den Cluster C des DSM-IV eingeordnet werden könnte (vgl. von Zerssen, 2002), konnte durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie gestützt werden. Außerdem scheint diese Persönlichkeitsstörung auch denen aus dem Cluster B relativ nahe zu stehen, wie Fiedler (1997a, 2001b) auch annahm. Von den Persönlichkeitsstörungen, die in den ängstlichunsicheren Cluster der vorliegenden Untersuchung eingeordnet wurden, hatte die depressive Persönlichkeitsstörung die stärksten Verbindungen (höchsten Faktorladungen) zu dem Cluster, der dem Cluster B ähnelte (sowohl auf der Basis des DID als auch des SKID-II). Die Ergebnisse von Saß et al. (1993) zeigten auch eine Nähe der depressiven Persönlichkeitsstörung zu Persönlichkeitsstörungen des Clusters C des DSM-IV, zudem auch zur asthenischen Persönlichkeitsstörung, zur schizoiden, paranoiden und schizotypischen Persönlichkeitsstörung. Ähnliches fand Irastorza Eguskiza (2001): die depressive Persönlichkeitsstörung wies (im Gegensatz zur Dysthymie) besonders starke Zusammenhänge mit dem Cluster C und der schizoiden Persönlichkeitsstörung auf (die Dysthymie wies engere Beziehungen zum Cluster B auf). Diese Befunde ähneln denen der vorliegenden Untersuchung, die je nach verwendeter Methode und in die Analyse aufgenommener Persönlichkeitsstörungen etwas variierten. Saß, Steinmeyer, Ebel und Herpertz (1995) fanden mittels Cluster-Analyse eine Lösung mit drei Clustern, wobei die zyklothyme Persönlichkeitsstörung keinem Cluster zugeordnet werden konnte. In den Cluster der schizoiden Persönlichkeitsstörung fielen auch die zwanghafte Persönlichkeitsstörung, die schizotypische und die paranoide. In den zweiten Cluster fiel die asthenische, die depressive, die dependente und die ängstliche, in den dritten Cluster die narzisstische, die histrionische, die BorderlinePersönlichkeitsstörung, die antisoziale, die passiv-aggressive und die hyperthyme Persönlichkeitsstörung. Bei dieser Lösung lagen die Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C zwar noch relativ nahe beieinander, aber nicht mehr alle im selben Cluster. In der Studie von Yang, Bagby, Costa, Ryder und Herbst (2002) konnte die ClusterAufteilung des DSM-IV mit Hilfe einer Faktorenanalyse repliziert werden, wenn die Faktoren miteinander korrelieren durften. Diese Autoren folgern aus ihrem Ergebnis, dass die Belege für die empirische Validität der Cluster des DSM-IV nicht ausreichend sind, was sich damit auch aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung folgern ließe, insbesondere scheint dies für die heutigen Cluster B und A des DSM-IV zu gelten. Diskussion 204 6.2.3.4 Vergleich von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen Es war angenommen worden, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen im Vergleich zu solchen ohne ein niedrigeres Funktionsniveau und eine stärkere Depressivität bzw. ein allgemein schlechteres Befinden bei der Aufnahme in die Klinik aufweisen würden. In den soziodemographischen Merkmalen unterschieden sich die depressiven Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nur darin signifikant von den Patienten ohne, dass sie häufiger ledig waren und weniger Kinder hatten. Dies könnte ein Hinweis für eine geringere soziale Einbindung und evtl. ein niedrigeres soziales Funktionsniveau sein. In den übrigen soziodemographischen Merkmalen (z. B. Alter, Geschlecht und Schulbildung) bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. In Bezug auf den bisherigen Verlauf der Depression und die Symptomatik bei Aufnahme fanden sich bei den untersuchten Patienten folgende signifikante Unterschiede: Patienten mit Persönlichkeitsstörungen berichteten von schwererer depressiver Symptomatik im BeckDepressionsinventar und ihre Erkrankung wurde von den Interviewern häufiger als sehr schwer eingeschätzt (in den CGI). Überwiegend bestanden jedoch keine signifikanten Unterschiede, insbesondere auch nicht in der fremdeingeschätzten Schwere der depressiven Symptomatik (HAMD und MADRS) und im allgemeinen selbsteingeschätzten Befinden (Bf-S). Im Funktionsniveau bei Aufnahme unterschieden sich die beiden Gruppen nicht signifikant. Hinsichtlich der Depressivität bei Aufnahme zeigte sich hier also nur dann ein Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen, wenn die Patienten ihre Depressivität selbst einschätzten (BDI), nicht aber bei den Fremdbeurteilungen durch die Interviewer (HAMD, MADRS). Dies könnte an den Gemeinsamkeiten des BDI und den Maßen für Persönlichkeitsstörungen (SKID-II) liegen. Beispielsweise gehören Minderwertigkeitsgefühle sowohl zur Depression als auch zu Persönlichkeitsstörungen (vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung), und das Beck-Depressionsinventar erfasst in stärkerem Ausmaß als die Fremdbeurteilungsinstrumente derart kognitive Symptome der Depression. Insgesamt stützen die Ergebnisse die Hypothesen nur teilweise, da in den meisten untersuchten Merkmalen keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen bestanden. Fanden sich allerdings Unterschiede, dann in der vorhergesagten Richtung. Die signifikanten Unterschiede zeigten sich teilweise auch, wenn das Vorliegen von Persönlichkeitsstörungen anhand der Aachener Merkmalsliste AMPS bestimmt worden war, und nicht anhand des SKID-II. Zudem zeigte sich, dass Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen, Patienten mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen und auch Patienten mit Cluster-APersönlichkeitsstörungen zu Beginn der Behandlung schwerer depressiv waren als die jeweils übrigen Patienten. Dies hatte sich für die Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen im Diskussion 205 BDI, für die Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen im BDI und der HAMD sowie für die Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen in der MADRS gezeigt. Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung gemäß DID wiesen bei Behandlungsbeginn ebenfalls signifikant schwerere depressive Symptomatik auf als Patienten ohne (gemäß HAMD, MADRS und BDI). Zudem gaben sie signifikant stärkere allgemeine Beeinträchtigungen der Befindlichkeit an (Bf-S, SCL-90-R). Bezüglich soziodemographischer Merkmale und Kennzeichen des bisherigen Verlaufes und der Symptomatik bei Behandlungsbeginn waren in verschiedenen anderen Studien ebenfalls solche Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen gefunden worden (z. B. Corruble et al., 1996; Hansen, Wang, Stage & Kragh-Sorensen, 2003; Meyer, Pilkonis, Proietti, Heape & Egan, 2001; Ramklint & Ekselius, 2003; Richter, 2000; Sato, Sakado, Uehara, Narita & Hirano, 1999; Skodol et al., 1999; Sullivan, Joyce & Mulder, 1994) (vgl. Kap. 2.3.2). Über alle anderen berücksichtigten Studien wurden jedoch mehr Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gefunden. Beispielsweise verfügten depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen über eine schlechtere seelische Gesundheit und sie waren zu Beginn der Behandlung stärker depressiv. Zudem fand man bei diesen Patienten häufiger Suizidgedanken, sie begingen häufiger und schwerere Suizidversuche, waren häufiger hospitalisiert, wiesen weniger soziale Unterstützung und mehr Lebensstressoren auf, lebten häufiger getrennt oder waren geschieden als depressive Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Allerdings gab es auch Studien, die zumindest nicht alle der berichteten Unterschiede zwischen den Gruppen in ihren Stichproben fanden (Pilkonis, Heape, Ruddy & Serrao, 1991; Skodol et al., 1999). Somit passen die Befunde der vorliegenden Studie zu der gesamten heterogenen Befundlage. Die vorliegende Untersuchung liefert Hinweise auf ungünstigere soziodemographische und psychopathologische Merkmale bei Patienten mit Persönlichkeits-Komorbidität, aber auf deutlich mehr Merkmale, die bei diesen Patienten nicht signifikant ungünstiger waren als bei Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. In Bezug auf das Therapieergebnis war angenommen worden, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen länger in stationärer Behandlung sind als Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Zudem wurde angenommen, dass von den Patienten mit Persönlichkeitsstörungen am Ende der stationären Behandlung mehr residuale depressive Symptomatik aufweisen als von den Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen, also die Remissionsrate geringer ist. Es fanden sich folgende signifikante Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (gemäß SKID-II): Bei der Entlassung wiesen depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen stärkere Depressivität (MADRS, BDI) auf. Außerdem war das Verhältnis von der Depressivität bei Entlassung zu der Depressivität bei Aufnahme bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen größer (nur in der MADRS), d. h. der Entlasswert, relativiert auf den Aufnahmewert, war bei Patienten mit Diskussion 206 Persönlichkeitsstörungen höher. Die Differenzwerte zwischen Aufnahme- und Entlassungswerten (in BDI, Bf-S, SCL-90-R, HAMD, MADRS) unterschieden sich in den Gruppen überwiegend nicht (insbesondere nicht bei Patienten mit im Vergleich zu Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen). Die Ausnahmen bestanden bei den Differenzen in den Werten der Symptom-Checkliste bei Patienten ausschließlich mit Cluster-BPersönlichkeitsstörungen und bei Patienten mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen und den jeweils übrigen Patienten. Weitere Ausnahmen betrafen die Werte der MADRS bei Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung bzw. ohne (DID: Cut-Offs zwischen 40 und 43). Die Veränderungen in den Werten von der Aufnahme zur Entlassung waren dabei in allen drei Fällen bei Patienten mit der bestimmten Persönlichkeitspathologie signifikant größer als bei den übrigen Patienten. Die Behandlungsdauer war bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen gemäß SKIDII tendenziell länger und bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen gemäß AMPS (sowohl nach DSM-IV als auch nach ICD-10) signifikant länger als bei Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Die beiden Hypothesen bezüglich der Depressivität bei Entlassung und bezüglich der Behandlungsdauer in der Klinik wurden somit durch die Befunde gestützt, wenn auch nur bei einigen der verwendeten Merkmale (beispielsweise nur bei der Depressivität gemäß MADRS, nicht jedoch gemäß BDI und HAMD). Die meisten anderen Studien fanden einen ungünstigeren Verlauf bzw. ein schlechteres Behandlungsergebnis der Depression bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder höheren Werten bei Persönlichkeitsstörungs-Items (z. B. Ezquiaga et al., 1998, 1999; O'Leary & Costello, 2001; Parker et al., 2000; Viinamäki et al., 2002). Hierauf deuten auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie hin. Beispielsweise fand sich bei stärker ausgeprägter depressiver Persönlichkeitsstörung eine schwerere depressive Symptomatik bei der Entlassung aus der Klinik. Im Weiteren zeigten sich in früheren Studien ungünstigere Verläufe der Depression, wenn Persönlichkeitsstörungen aus Cluster A oder Cluster C vorlagen, teilweise bei allen drei Clustern. Auch für einzelne Persönlichkeitsstörungen wurden ungünstigere Verlaufsmerkmale gefunden: für die antisoziale, Borderline-Persönlichkeitsstörung, die vermeidende, zwanghafte, passiv-aggressive und die depressive Persönlichkeitsstörung (z. B. Greenberg et al., 1995; Hirschfeld et al., 1998; Sato et al., 1994; Shahar et al., 2003) (vgl. Kap. 2.3.2). Dagegen erwiesen sich bei Brieger, Ehrt, Blöink und Marneros (2002) und Pfohl et al. (1984) Persönlichkeitsstörungen (besonders solche aus Cluster C) als nicht bedeutsam für den Verlauf der Depression. Dies konnte mit der vorliegenden Untersuchung nicht bestätigt werden. Hier fanden sich für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C (allerdings nur, wenn Komorbiditäten mit Persönlichkeitsstörungen aus anderen Clustern erlaubt waren) ungünstigere Therapieergebnisse. Pfohl et al. (1984) werteten ihre Daten so aus, dass in der Gruppe von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Diskussion 207 dem (heutigen) Cluster C nur Patienten waren, die komorbid keine Persönlichkeitsstörungen aus den anderen Clustern aufwiesen. Bei Brieger et al. (2002) kamen solche Komorbiditäten ebenfalls nicht vor. In der hiesigen Studie wurden beide Möglichkeiten analysiert: durften nur Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen vorliegen, so zeigte sich nur ein signifikanter Unterschied (bei Brieger et al. (2002) gar keine), ansonsten mehrere: Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C (und erlaubten Komorbiditäten mit anderen Clustern) waren am Ende der Behandlung signifikant stärker depressiv (MADRS, HAMD, BDI) und allgemein stärker beeinträchtigt (Bf-S). Zudem hatte die Behandlung bei ihnen signifikant länger gedauert als bei Patienten ohne ClusterC-Persönlichkeitsstörungen. In der vorliegenden Studie waren Komorbiditäten mit anderen Persönlichkeitsstörungen bei Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen besonders häufig, bei Brieger et al. (2002) kam dies dagegen bei Cluster-CPersönlichkeitsstörungen am seltensten vor. Daher könnte das Ergebnis von Brieger et al. (2002) davon unberührt bleiben, ob auch solche Patienten in die Analyse eingehen, die neben Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen noch solche aus Cluster A oder B aufweisen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen die Vermutung nahe, dass Cluster-CPersönlichkeitsstörungen ohne komorbide Persönlichkeitsstörungen aus anderen Clustern ohne Bedeutung für den Verlauf der Depression sind, weil sie mit der affektiven Störung verbunden sind (vgl. Peselow, Sanfilipo, Fieve & Gulbenkian, 1994; von Zerssen, 1996). Gemäß Brieger et al. (2002) könnten affektive Störungen und zumindest einige ClusterC-Persönlichkeitsstörungen Teil eines größeren Spektrums von Erkrankungen sein. Die überwiegend nicht signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne (bestimmten) Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich der Veränderung vom Anfangswert zum Endwert der Depressivität (sowohl als Verhältnis vom Entlass- zum Aufnahmewert als auch als Differenz beider) steht im Einklang mit dem Befund von Diguer, Barber und Luborsky (1993) bei Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen. Im Weiteren zeigten sich einige signifikante Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsstörungen (SKID-II) und der depressiven Symptomatik bei Entlassung. So gingen stärkere Ausprägungen der depressiven und der dependenten Persönlichkeitsstörungen einher mit schwererer depressiver Symptomatik bei der Entlassung (MADRS). Stärkere Ausprägungen der selbstunsicheren, dependenten, depressiven, schizoiden und Borderline-Persönlichkeitsstörung hingen zusammen mit stärkerer Depressivität gemäß BDI. Zudem hing das Ausmaß an Persönlichkeitsauffälligkeiten (Gesamtsummenwert für Persönlichkeitsstörungen gemäß ICD-10 (AMPS) und DSM-IV (AMPS, SKID-II)) mit stärkerer Depressivität und allgemein schlechterem Befinden bei der Entlassung zusammen. Dies zeigte sich in der Hamilton-Depressionsskala nur für die Gesamtsummenwerte der Aachener Merkmalsliste für ICD-10-Persönlichkeitsstörungen. Zudem zeigte sich dieser Befund in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala, dem Beck-Depressionsinventar und der Befindlichkeitsskala.. Diskussion 208 Außerdem stützend für die Hypothese eines ungünstigeren Befindens am Ende der Behandlung bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen waren weitere signifikante Zusammenhänge, die zwischen beiden Merkmalsgruppen gefunden wurden. So ging stärkere fremdeingeschätzte Depressivität einher mit einer höheren Zahl von Persönlichkeitsstörungen, insgesamt mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen (jeweils gemäß SKID-II), mehr erfüllten Kriterien für Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C, für die depressive Persönlichkeitsstörung und einer stärkeren Ausprägung der depressiven Persönlichkeitsstörung. Darüber hinaus hing stärkere Depressivität seitens der untersuchten Persönlichkeitsmerkmale zusammen mit stärker ausgeprägtem Neurotizismus und schwächerer Offenheit für neue Erfahrungen (NEO-FFI bei Entlassung), stärker ausgeprägtem depressiven, zyklothymen, reizbaren und ängstlichen, sowie schwächer ausgeprägtem hyperthymen Temperament (TEMPS-A). Auch ging stärkere Depressivität bei der Entlassung einher mit mehr interpersonalen Problemen (IIP-Gesamtwert, Merkmale „zu abweisend / kalt“, „zu introvertiert / sozial vermeidend“, „zu selbstunsicher / unterwürfig“ und „zu fürsorglich / freundlich“ des IIP). In anderen Studien wurde morbid und postmorbid ebenfalls erhöhter Neurotizismus gefunden, und in Übereinstimmung mit den vorliegenden Ergebnissen zusätzlich erhöhte Introversion, verminderte Extraversion, stärkere Gehemmtheit und interpersonale Sensibilität, wobei die zugrundeliegenden Messinstrumente nicht immer dieselben waren (z. B. Hirschfeld & Shea, 1992; Sakado et al., 2000; von Zerssen, 1996). Weitere Persönlichkeitsmerkmale von Depressiven in anderen Studien waren das asthenische bzw. selbstunsichere Persönlichkeitsmerkmal, außerdem geringes Selbstwertgefühl, selbstkritische Haltung und Pessimismus (z. B. Marneros et al., 1991; Matussek & Feil, 1980; Ouimette et al., 1992). Diese entsprechen in der hiesigen Untersuchung am ehesten den verstärkten Merkmalen „zu introvertiert / sozial vermeidend“ und „zu selbstunsicher / unterwürfig“ (aus dem IIP) sowie dem ausgeprägteren ängstlichen Temperament bei den Patienten, die bei der Entlassung noch stärker depressiv waren. In anderen Studien hing positivere Selbstbewertung bzw. besseres Selbstwertgefühl außerdem mit einem günstigeren Verlauf der Depression bzw. besserem Ansprechen auf die Therapie zusammen (Brown et al., 1990; Duggan et al., 1990; Will, 2000). Zudem ging geringes Selbstwertgefühl mit einer schwereren Depression einher (Bachelor et al., 1996). Diese beiden Befunde anderer Studien entsprechen dem Befund der vorliegenden Studie. Zusätzlich fanden andere Untersuchungen weitere Merkmale, z. B. verstärkte Dependenz bzw. eine dependente Persönlichkeitsstruktur (z. B. Birtchnell et al., 1991). Im Gegensatz zu der vorliegenden Studie wurde auch geringe Verträglichkeit zusammenhängend mit schwererer Depression gefunden (Enns et al., 2000). Teilweise wurde Depression jedoch nicht in Beziehung zu anders ausgeprägter Extraversion, Neurotizismus, Psychotizismus und Dependenz gefunden (z. B. Hirschfeld et al., 1989). 209 Diskussion Bagby, Joffe, Parker, Kalemba und Harkness (1995) fanden zudem, dass zwar die Neurotizismus- und Extraversions-Werte in der Depression verändert waren, die Werte für Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit hingegen nicht. Dies widerspricht dem Befund einer verringerten Offenheit bei stärkerer Depressivität in der vorliegenden Studie. Aufgrund der Befunde, dass sich die aktuelle Stimmungslage auf die Einschätzung der eigenen Persönlichkeitsmerkmale auswirkt, wurden Kovarianzanalysen und Varianzanalysen mit Messwiederholung berechnet, um die Depressivität bei Aufnahme in die Klinik als möglichen konfundierenden Faktor zu kontrollieren. Die Kovarianzanalysen erbrachten, dass sich die Unterschiede in der Symptomatik bei Entlassung zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (SKID-II) auf Unterschiede in der Symptomatik bei Aufnahme (signifikant schwerer bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen) zurückführen ließen (für BDI, Bf-S und SCL-90-R gezeigt). Damit wird die Bedeutung der komorbiden Persönlichkeitsstörungen für die Symptomatik bei Entlassung in Frage gestellt, bzw. es wird eine indirekte Bedeutung nahegelegt: Patienten mit Persönlichkeitsstörungen weisen bei Aufnahme schwerere Symptomatik auf, und Patienten mit schwererer Aufnahmesymptomatik sind auch bei Entlassung noch signifikant depressiver als die Patienten mit leichterer Symptomatik bei Aufnahme. Es lässt sich also folgern, dass das Ergebnis (z. B. von Ebel et al., 1997) eines geringeren Behandlungserfolges bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nur so gelten kann, wenn die Patienten mit Persönlichkeitsstörungen keine stärkere depressive Symptomatik bei Aufnahme aufwiesen als die Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen, bzw. wenn die Depressionsschwere bei Aufnahme kontrolliert wurde. Ein schlechteres Behandlungsergebnis in Form schwererer depressiver Symptomatik wurde auch bei einzelnen Persönlichkeitsstörungen gefunden, sowohl in der vorliegenden Studie als auch in anderen (z. B. Shahar, Blatt, Zuroff & Pilkonis, 2003). Teilweise blieb diese Beziehung auch bei Kontrolle der depressiven Symptomatik zu Behandlungsbeginn erhalten, so berichten Klein und Shih (1998) bei stärkerer Ausprägung der depressiven Persönlichkeitsstörung von geringerer Wahrscheinlichkeit einer Remission nach 30 Monaten. Als Faktor, der in der Beziehung zwischen Persönlichkeitspathologie und der Dauer der stationären Behandlung möglicherweise konfundierend wirkt, wurde die Zahl der während der stationären Behandlung (und bei der Entlassung) eingenommenen verschiedenen Medikamente (insbesondere verschiedenen Gruppen von Psychopharmaka) untersucht. Aufgrund signifikanter Korrelationen wurden die Kovariaten der Zahl der verschiedenen Antidepressiva, die während der stationären Behandlung verwendet wurden, der Zahl der unterschiedlichen Benzodiazepine, der Zahl der verschiedenen internistischen Medikamente sowie der Zahl der verschiedenen Psychopharmaka insgesamt mit der abhängigen Variablen der Behandlungsdauer im 210 Diskussion Rahmen einer Kovarianzanalyse untersucht. Die Klassifizierungsvariable war dabei das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung gemäß SKID-II. Es zeigte sich, dass die Zahl der Benzodiazepine während der stationären Behandlung der einzige konfundierende Faktor für die Untersuchung der Beziehung zwischen dem Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung und der Behandlungsdauer war (nur diese Kovariate wurde gleichzeitig mit der Klassifizierungsvariablen signifikant). Patienten mit Persönlichkeitsstörungen hatten signifikant mehr verschiedene Benzodiazepine erhalten und sie wurden signifikant länger behandelt. Die Zahl der Psychopharmaka insgesamt und die Zahl der Antidepressiva dagegen waren keine konfundierenden Faktoren. Bei Kontrolle der Zahl der Benzodiazepine war die Behandlungsdauer bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen dennoch signifikant länger als bei Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Durch die Kontrolle der Medikation werden die Ergebnisse zwar genauer, denn beispielsweise Antidepressiva und Lithium beeinflussen den Verlauf, aber die Medikation hängt auch vom Verlauf ab (vgl. Maj, Veltro, Pirozzi, Lobrace & Magliano, 1992). Zudem wurden andere therapeutische Maßnahmen (z. B. Ergotherapie) nicht kontrolliert, und die Inhalte von stationär durchgeführten Psychotherapien wurden nicht erfasst. Dies sind daher noch mögliche Einflussfaktoren für den Verlauf der depressiven Erkrankung während des Klinikaufenthaltes. Zur Unterscheidung der Patienten bei der Entlassung danach, ob sie remittiert waren oder nicht (d. h. in der Hamilton-Depressionsskala weniger als 10 Punkte hatten), erwiesen sich einige Merkmale der Persönlichkeit als relevant (Diskriminanzanalysen): bei einem Signifikanzniveau von 0,10 für Ein- bzw. Ausschluss der Variablen in das Modell wurden der Reihe nach drei Variablen aufgenommen: die depressive Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS, das depressive Temperament gemäß TEMPS-A und die Skala „negativistisch“ des DID. Mit diesem aus drei Persönlichkeits(störungs)variablen bestehenden Erklärungsmodell konnten 91 % der Patienten korrekt als remittiert (und 73 % der Patienten korrekt als nicht remittiert) klassifiziert werden. Wurde das Signifikanzniveau auf 0,15 festgelegt, so wurde zusätzlich die paranoide Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS aufgenommen. Bei einem Signifikanzniveau von 0,05 wurden nur die depressive und die paranoide Persönlichkeitsstörung gemäß AMPS in das Modell aufgenommen. Damit konnte die Bedeutsamkeit von Merkmalen der Persönlichkeit gezeigt werden, da mit ihrer Hilfe die meisten der Patienten korrekt den beiden Gruppen von Patienten mit bzw. ohne Residualsymptomatik zugeordnet werden konnten. Besonders bedeutsam scheinen gemäß dieser Ergebnisse die depressive Persönlichkeitsstörung, das depressive Temperament und die paranoide Persönlichkeitsstörung zu sein. Beim Vergleich von depressiven Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen (bzw. mit bestimmten Persönlichkeitsauffälligkeiten und ohne sie) hinsichtlich des Verlaufes der Therapieresponse und der Remission während der stationären Behandlung Diskussion 211 war erwartet worden, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen später auf die Behandlung ansprechen, d. h. dass die Schwere der Depressivität später abnimmt. Zu den wenigen signifikanteen Unterschieden zählten: Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen remittierten langsamer und die Remissionswahrscheinlichkeit am Ende ihrer Behandlung war etwas niedriger als bei Patienten ohne Cluster-CPersönlichkeitsstörungen. Zudem fand sich bei stärker ausgeprägter depressiver Persönlichkeitsstörung bzw. bei Vorliegen (im Gegensatz zu Fehlen) einer depressiven Persönlichkeitsstörung eine spätere Remission. Wurde die Schwere der Depressivität bei Aufnahme als Kovariate des Vorliegens von Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen mit berücksichtigt, so unterschieden sich v. a. die Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen und höheren Ausgangswerten der Depressivität durch ein langsameres Ansprechen auf die stationäre Behandlung und eine langsamere Remission von den übrigen Patienten (signifikanter Effekt). Somit wurde die Hypothese bezüglich des Vergleiches von Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen nicht bestätigt. Bezüglich Patienten mit Persönlichkeitsstörungen bestimmter Cluster (insbesondere des Clusters C) wurde diese Hypothese jedoch bestätigt. Passend hierzu berichten z. B. Frank, Kupfer, Jacob und Jarrett (1987) von einer besonders schlechten Wirksamkeit der Medikation bei depressiven Patienten mit Persönlichkeitsstörungen aus Cluster C. Im Weiteren zeigten sich ungünstigere Verläufe und Behandlungsergebnisse der Depression, wenn Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C vorlagen (auch bei Greenberg et al. (1995) und Viinamäki et al. (2002)). Teilweise wurde dies auch bei allen drei Clustern gefunden (Rothschild & Zimmerman, 2002). Dagegen erwiesen sich bei Brieger et al. (2002) und Pfohl et al. (1984) Persönlichkeitsstörungen (besonders solche aus Cluster C) als nicht bedeutsam für den Verlauf der Depression (s. o.). Ein langsameres Ansprechen auf die Behandlung hing je nach verwendetem Kriterium in der vorliegenden Studie u. a. zusammen mit stärkeren Ausprägungen verschiedener Persönlichkeitsstörungen (z. B. der selbstunsicheren, der histrionischen und der antisozialen), zudem mit stärkerem Neurotizismus, stärkerem Typus Melancholicus und stärkerem reizbaren Temperament. Die Hinweise anderer Studien, dass Typus Melancholicus mit einem günstigeren Verlauf einhergeht, d. h. mit weniger Residualsymptomatik sowie späteren und selteneren Rückfällen (Kronmüller, Backenstraß, Reck et al., 2002; Marneros, Deister & Rohde, 1991), konnten hier also nicht bestätigt werden. Die vorliegenden Ergebnisse sprechen eher für einen ungünstigeren Behandlungsverlauf in Form einer langsameren Therapieresponse bei stärker ausgeprägtem (im Gegensatz zu schwächer ausgeprägtem) Typus Melancholicus. Analog fanden Nakanishi et al. (1993) für Typus Melancholicus einen prognostisch ungünstigen Effekt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hypothesen einer schwereren depressiven Symptomatik und eines schlechteren Befindens bei Aufnahme und Entlassung bei Diskussion 212 depressiven Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und eines längeren und ungünstigeren Verlaufes während der stationären Behandlung nur teilweise bestätigt wurden. Damit liegen diese Ergebnisse im Trend, den Mulder (2002) in seinem Überblick beschrieben hat: man kann kein endgültiges Fazit ziehen, außer dass komorbide Persönlichkeitsstörungen nicht mit einem günstigeren Verlauf einhergehen. In einzelnen Aspekten ist der Verlauf ungünstiger, in den meisten Aspekten jedoch nicht signifikant ungünstiger als bei Patienten ohne komorbide Persönlichkeitsstörungen (wenn auch die Werte der beiden Gruppen dem Augenschein nach immer in Richtung der postulierten Hypothesen verschieden waren, aber nicht statistisch signifikant). Daher kann überlegt werden, woher die gefundenen signifikanten Unterschiede rühren und woher die nicht-signfikanten. Die dargestellten Kovarianzanalysen zur Schwere der depressiven Symptomatik bei Aufnahme und Entlassung bei Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen legten eine mögliche Interpretation nahe: Patienten mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen sind schwerer depressiv schon bei Aufnahme in die Klinik, was eine längere Behandlungszeit und auch immer noch schwerere Symptomatik bei Entlassung nach sich ziehen könnte. Zudem hing eine längere Behandlungsdauer auch mit der Einnahme von mehr verschiedenen Benzodiazepinen während der stationären Behandlung zusammen, wobei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen auch ohne den Einfluss des konfundierenden Faktors der Zahl der Benzodiazepine (sie erhielten nämlich signifikant mehr Benzodiazepine als die Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen) signifikant länger behandelt wurden als Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Reich und Vasile (1993) überlegen, ob die Persönlichkeitsstörung und die Achse-IStörung, die komorbid miteinander auftreten, Ausdruck einer schwereren Variante einer zugrundeliegenden Kern-Achse-I-Störung sein könnten. Auch könnte die Persönlichkeitsstörung ein Vulnerabilitätsfaktor für das Auftreten der Achse-I-Störung sein, oder Patienten mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen könnten mehr stressige Lebensereignisse erlebt haben, die sie durch eigenes provokatives oder anderen ungenehmes Verhalten hervorgerufen haben und was zu geringerer sozialer Unterstützung geführt haben könnte (o. c.). Möglicherweise sind Patienten mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen auch weniger zur Mitarbeit an der Behandlung der Achse-I-Störung bereit. Schließlich könnte die Persönlichkeitsstörung auch ein sekundärer Effekt einer chronischen Achse-I-Störung sein, die zu sozialer Isolierung, dysfunktionalen Einstellungen und ungünstigen Coping-Strategien führt (Reich & Vasile, 1993). Eine andere mögliche Erklärung könnte in hirnmorphologischen oder hirnfunktionellen Merkmalen von depressiven Patienten mit im Gegensatz zu depressiven Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen liegen. So fanden Lyoo et al. (2002) bei Patienten mit früh beginnender Dysthymie oder depressiver Persönlichkeitsstörung ein signifikant kleineres Genu am Corpus Callosum als bei gesunden Kontrollpersonen. Dies verweist auf strukturelle Abnormitäten des Frontallappens, die in der Pathophysiologie Diskussion 213 eine Rolle spielen könnten. Laasonen-Balk, Viinamäki, Kuikka, Husso-Saastamoinen, Lehtonen et al. (2001) fanden bei depressiven Patienten mit Cluster-CPersönlichkeitsstörungen keinen unabhängigen Effekt der Persönlichkeitsstörung auf die dopaminerge Neurotransmission im Striatum. Merkmale des Gehirns bzw. der Gehirnaktivität wurden bislang im Rahmen der Beziehung von Depression und Persönlichkeit allerdings kaum untersucht. Über alle verschiedenen Beziehungsmodelle zwischen Depression und Persönlichkeit (s. Kap. 2.3.1) kann nur mit Hilfe prospektiver Untersuchungen entschieden werden (vgl. a. Richter, 2000). Diese Studien sollten beginnen mit noch nicht depressiv erkrankten Menschen (epidemiologische Studien oder Untersuchungen von Hoch-Risiko-Gruppen), und diese beobachten, bis depressive Episoden auftreten, und auch danach weiter analysieren. Die vorliegende Untersuchung liefert einige unterstützende Hinweise für das pathoplastische oder Exazerbationsmodell: Persönlichkeitsmerkmale können dabei das klinische Bild, den Verlauf oder (und) das Ansprechen auf die Medikation beeinflussen (Richter, 2000). Reich und Vasile (1993) erhoffen außerdem von Studien zu biologischen Grundlagen psychischer Störungen Aufschlüsse über die Zusammenhänge von Achse-I- und Achse-II-Störungen. Auch für Neurotizismus bei Depression könnte zutreffen, dass durch den Neurotizismus mehr unangenehme soziale Ereignisse auftreten. So schließen Poulton und Andrews (1992) aus ihrer Studie, dass eine neurotische Persönlichkeit nicht nur direkt zu depressiven Symptomen führt, sondern auch indirekt, indem sie zu unangenehmen Lebensereignissen führen kann, was wiederum zu chronischen psychosozialen Problemen und erhöhtem Stress beitragen könnte. 6.2.3.5 Komorbidität mit anderen psychischen Störungen Patienten mit Komorbiditäten psychischer Störungen sprachen in der vorliegenden Studie schlechter auf die Therapie an und remittierten langsamer, ebenso depressive Patienten, die neben komorbiden psychischen Störungen auch Persönlichkeitsstörungen aufwiesen. In einem Kriterium zeigte sich zudem ein langsameres Ansprechen auf die Behandlung bei Patienten mit Double-Depression (d. h. Depression und einer komorbiden Dysthymie). Es gibt andere Befunde, die ebenfalls einen ungünstigeren Verlauf zeigten, wenn komorbid körperliche Erkrankungen vorlagen, komorbide psychische Störungen, komorbide Persönlichkeitsstörungen oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Neurotizismus), kritische Lebensereignisse und psychosoziale Probleme (z. B. in der Partnerschaft und am Arbeitsplatz) (Keitner et al., 1991). Die Patienten mit komorbiden psychischen Störungen unterschieden sich hinsichtlich des Vorliegens von Persönlichkeitsstörungen, der Häufigkeit der verschiedenen Diskussion 214 Persönlichkeitsstörungen (inklusive der depressiven Persönlichkeitsstörung) (gemäß DSM-IV, SKID-II), der Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen aus jedem Cluster und der Ausprägung von Typus Melancholicus nicht signifikant von den Patienten ohne komorbide psychische Störungen. Dies galt auch speziell für Patienten mit komorbiden Angststörungen (außer Zwangsstörung und posttraumatischer Belastungsstörung). Im Gegensatz dazu hatten Alnæs und Torgersen (1990) gefunden, dass depressive Patienten mit komorbider Angststörung schwerere Persönlichkeitsstörungen hatten als solche Patienten, die nur an Depression litten (u. z. Persönlichkeitsstörungen wie paranoide und Borderline- zusätzlich zu vermeidender und abhängiger Persönlichkeitsstörung). Auch Melartin et al. (2002) hatten Cluster-B- und Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen mit Angststörungen assoziiert gefunden. Möglicherweise spielt hierbei auch die Stichprobengröße der vorliegenden Studie eine Rolle. So untersuchten z. B. Melartin et al. (2002) 269 depressive Patienten. Umgekehrt gibt es Hinweise darauf, dass andere psychische Störungen, z. B. eine Zwangsstörung, ungünstiger verlaufen, wenn die Patienten komorbid unter einer Depression leiden (z. B. Overbeck, Schruers, Vermetten & Griez, 2002). Hinsichtlich der Beziehung von Dysthymie und depressiver Persönlichkeitsstörung, die unter dem Aspekt der Validität des Konzeptes der depressiven Persönlichkeitsstörung wichtig ist, wurde in der vorliegenden Studie gefunden, dass von den sechs depressiven Patienten mit Dysthymie (also einer Double-Depression) zwei Patienten gleichzeitig eine depressive Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV aufwiesen, vier Patienten nicht. Umgekehrt ausgedrückt wiesen von den neun Patienten mit depressiver Persönlichkeitsstörung zwei auch eine Dysthymie auf, sieben dagegen nicht. Diese Unterschiede waren nicht signifikant. Um zu dieser Fragestellung aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, müsste ebenfalls eine größere Stichprobe untersucht werden, evtl. auch eine Stichprobe von nicht-depressiven Personen, die eine Dysthymie und / oder depressive Persönlichkeitsstörung aufweisen. 6.3 Schlussfolgerungen und Ausblick Bisher wurde kaum systematisch zu therapeutischen Interventionen bei Persönlichkeitsstörungen und zu prophylaktischen Maßnahmen bei Risikopersonen unter Berücksichtigung ihrer Persönlichkeit geforscht (von Zerssen, 1996). Dabei sollte die Stärkung von protektiven Faktoren eine wichtige Rolle spielen (o. c.). Dies gilt auch für Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsauffälligkeiten bei Depression. Gemäß der Befundlage in der vorliegenden Studie und anderen ist zu erwarten, dass Patienten, die komorbid zur Depression unter Persönlichkeitsstörungen leiden, eher eine schwerere Depression mit schwereren Beeinträchtigungen aufweisen, als Patienten, die komorbid Diskussion 215 keine Persönlichkeitsauffälligkeiten aufweisen. Es ist bei den betroffenen Patienten eher mit einer längeren Behandlung zu rechnen. Es erscheint daher sinnvoll, eine Persönlichkeitsdiagnostik durchzuführen, um die Behandlung darauf abstimmen zu können, in der Hoffnung, mit einer „maßgeschneiderten“ Therapie schneller erfolgreich zu sein. Geht man davon aus, dass die festgestellten Persönlichkeitsauffälligkeiten auch schon prämorbid relevant waren (auch wenn sie evtl. anders ausgeprägt gewesen wären), so könnten diese Persönlichkeitsvariablen auch in Form von Vulnerabilitätsfaktoren mit der jetzigen, früheren und auch zukünftigen depressiven Episoden zusammenhängen. Dies lässt es für die gerade akute depressive Episode sinnvoll erscheinen, auch die Persönlichkeit und ihre unangepassten und für die seelische Gesundheit ungünstigen Formen während der Behandlung der Depression zu berücksichtigen, sie in ein Erklärungsmodell für den Patienten einzubeziehen und im Sinne der Rückfallprophylaxe eine Veränderung in der Therapie zu versuchen. Dies gilt auch für die Komorbidität mit anderen psychischen Störungen, z. B. Ängsten. Auch für diese Komorbidität, und besonders für die Komorbidität der Depression mit Persönlichkeitsstörungen und anderen psychischen Störungen gleichzeitig, fanden sich in der vorliegenden Untersuchung ungünstigere Depressionsverläufe in der Klinik. Gemäß einem dimensionalen Modell von Persönlichkeit bzw. Persönlichkeitsstörung gibt es bei den Persönlichkeitsvariablen verschiedene Grade der (Un-)Angepasstheit (vgl. Widiger, 1994). Jede Person, die unangepasste Persönlichkeitsmerkmale oder Persönlichkeitsstörungen aufweist, hat wahrscheinlich auch viele adaptive Persönlichkeitsmerkmale, die einer Behandlung zugute kommen können. Beispielsweise könnte ein Patient mit Borderline-Persönlichkeitsstörung zwar einerseits durch starken Neurotizismus gekennzeichnet sein, andererseits aber vielleicht auch durch hohe Gewissenhaftigkeit, was für das Durchhalten bei einer Psychotherapie und für einen stabilen Arbeitsplatz hilfreich wäre (Widiger, 1994). Daher sind nicht nur Informationen über unangepasste Persönlichkeitszüge und über Persönlichkeitsstörungen wichtig, sondern auch Informationen über die adaptiven und unauffälligen Bereiche der Persönlichkeit. Diese Merkmale sollten dem Patienten im Sinne einer Ressourcenaktivierung aufgezeigt werden und in der Therapie gezielt genutzt bzw. gefördert werden. Bei Komorbidität von Depression und Persönlichkeitsstörungen erzielten kombinierte Pharmako- und Psychotherapien gute Erfolge (Wenning, Saß & Herpertz, 2002). Die kombinierte Therapie erwies sich bei Patienten mit dieser Komorbidität in einer Studie von Kool et al. (2003) als einer Pharmakotherapie überlegen. Mundt (1996) empfiehlt vor Beginn einer Psychotherapie die Struktur-Diagnose der Persönlichkeit der Patienten, um die Psychotherapie individuell gestalten zu können, und zusätzlich eine Anpassung der Therapie an die Vorerfahrungen des Patienten mit seiner Erkrankung und an die möglicherweise zusätzliche Behandlung mit Psychopharmaka. Außerdem plädiert Fiedler (2001a) dafür, dass bei Komorbidität von Diskussion 216 Persönlichkeitsstörungen mit Depression je nach Art der Persönlichkeitsstörung und des angenommenen Zusammenhangs zwischen Depression und dieser Persönlichkeitsstörung über die Behandlung entschieden werden sollte. Bei komorbider BorderlinePersönlichkeitsstörung beispielsweise und der Annahme, beide Störungen hätten dieselbe Ursache (z. B. Traumata in der Kindheit) sollte zuerst die Depression behandelt werden, da die interaktionellen Probleme danach behoben sein könnten (o. c.). Tyrer und Simmonds (2003) kommen in ihrem Überblick zu Behandlungsalternativen bei Depression und komorbider Persönlichkeitspathologie zu den folgenden Schlüssen. Eine strikte gemeindenahe Betreuung kann helfen, stationäre Behandlungen zu vermeiden. Es besteht allerdings das Risiko erhöhter sozialer Dysfunktionen der Patienten, die nur ambulant behandelt werden. Auch Risiken für die Öffentlichkeit könnten so höher sein. Daher finden Tyrer und Simmonds (2003), dass nicht um jeden Preis versucht werden sollte, Patienten ambulant zu behandeln. Zudem würde die Erfassung der Persönlichkeit der Patienten die klinische Handhabung dieser Patienten verbessern helfen (o. c.). Um zu untersuchen, ob die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, z. B. auch die depressive Persönlichkeit, zu Depression prädisponieren, müssten längsschnittliche Studien durchgeführt werden (vgl. Klein, 1999c). Solche Studien sollten HochrisikoPersonen der Bevölkerung begleiten, oder epidemiologische Untersuchungen sein. Zudem wären Untersuchungen mit so großen Stichproben wünschenswert, dass einzelne Persönlichkeitsstörungen in ihrer Beziehung zum Verlauf der Depression untersucht werden könnten, evtl. auch verschiedene Komorbiditäten von mehreren Persönlichkeitsstörungen bei Depression. Hinsichtlich der depressiven Persönlichkeitsstörung deuten die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass sie am ehesten zu den Persönlicheitsstörungen des Clusters C gruppiert werden könnte. Die Muster der Korrelationen mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen in der vorliegenden Studie und die Befunde anderer Studien legen nahe, dass sich die depressive Persönlichkeitsstörung mit anderen Persönlichkeitsstörungen (und auch Achse-I-Störungen) überschneidet, aber nicht mehr als andere Persönlichkeitsstörungen auch. Daher scheint es nicht sinnvoll, nur die Validität der depressiven Persönlichkeitsstörung zu diskutieren. Es erscheint aufgrund der Befunde vertretbar, die depressive Persönlichkeitsstörung als Achse-II-Störung in das DSM aufzunehmen, da sie zwar Ähnlichkeiten bzw. Überschneidungen zu anderen Persönlichkeitsstörungen und affektiven Störungen aufweist, aber auch etwas Eigenes beinhaltet bzw. erfasst, was durch die anderen Konzepte nicht abgedeckt wird. Wenn Überschneidungen zwischen den Persönlichkeitsstörungen nicht vorkommen sollten, dann müssten alle Persönlichkeitsstörungen genau auf ihre Validität überprüft werden. Blashfield (1999) beispielsweise vertritt die Auffassung, dass ausreichende Validität bislang nur für drei Persönlichkeitsstörungen belegt sei, nämlich für die antisoziale, die schizotypische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Daraus ließe sich folgern, dass Diskussion 217 nicht nur die Aufnahme der depressiven Persönlichkeitsstörung in das DSM diskutiert, sondern die Konzeption der gesamten Achse II des DSM unter Validitätsgesichtspunkten überprüft werden sollte. Für die klinische Validität des Konzeptes der depressiven Persönlichkeitsstörung, wie sie in der vorliegenden Untersuchung erfasst wurde, spricht zudem das Ergebnis, dass bei stärker ausgeprägter depressiver Persönlichkeitsstörung bzw. bei Vorliegen (im Gegensatz zu Fehlen) einer depressiven Persönlichkeitsstörung eine spätere Remission auftrat. Auch der Einschluss der depressiven Persönlichkeitsstörung bzw. einzelner Dimensionen davon und auch des depressiven Temperamentes in die Modelle im Rahmen der durchgeführten Diskriminanzanalysen (zur Vorhersage der Remission) spricht für die Prädiktionskraft des Konzeptes. Die Untersuchung der Messinstrumente für die depressive Persönlichkeitsstörung hat gezeigt, dass für die Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung die Skala für die depressive Persönlichkeitsstörung des SKID-II ausreichend ist. Sie ist die ökonomischere Fremdbeurteilung im Vergleich zum Diagnostischen Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID). Das DID hat dagegen den Vorteil, verschiedene Dimensionen der depressiven Persönlichkeitsstörung zu erfassen, die in Forschungskontexten interessant sein könnten. Das Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI) erscheint durch seine hohe Korrelation mit den Fremdbeurteilungsinstrumenten auch alternativ dazu einsetzbar zu sein. Die neu entwickelte Kurzversion des DPSI kann dabei die ursprüngliche Version ersetzen, wie die hohen Korrelationen beider miteinander, und beider Gütekriterien, gezeigt haben. Es gibt also ökonomische Möglichkeiten für die klinische Praxis, die depressive Persönlichkeitsstörung durch Selbst- und Fremdbeurteilung festzustellen, zudem weniger ökonomische und dafür differenziertere Methoden für die Forschung. Insgesamt hat die vorliegende Studie damit Möglichkeiten zur validen und reliablen Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung in der klinischen Praxis und der Forschung gezeigt. Die vorliegenden Ergebnisse sprechen nicht gegen den Einschluss der depressiven Persönlichkeitsstörung in das DSM. Eine Entscheidung über diese Frage hängt damit zusammen, wie groß die Überschneidungen zwischen Persönlichkeitsstörungen sein dürfen. Hierüber wird bislang jedoch kontrovers diskutiert. Es erscheint bezüglich dieser Frage sinnvoll, alle Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich ihrer Validität zu überprüfen, und nicht nur die depressive Persönlichkeitsstörung. Für die Validität der Persönlichkeitsstörungen spricht die Verschiedenheit der Muster ihrer Zusammenhänge mit den hier untersuchten Persönlichkeitsmerkmalen. Zudem stützt die Studie mit ihren Ergebnissen die Hypothese, dass depressive Patienten mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen, insbesondere, wenn Cluster-CPersönlichkeitsstörungen vorliegen, eher schwerer depressiv sind als die Patienten ohne diese Komorbidität und auch eher ungünstigere soziodemographische Merkmale aufweisen, und dass ihre Symptomatik, vermutlich auch durch die größere Schwere, eher später auf die Behandlung anspricht und bei Entlassung eher schwerer ist als bei Diskussion 218 depressiven Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Bei den meisten depressiven Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wurde die Depression aber dennoch erfolgreich behandelt. Auch aufgrund der überwiegend nicht signifikant ungünstigeren Verlaufsmerkmale der Depression bei komorbider Persönlichkeitspathologie scheinen pessimistische Erwartungen bezüglich des Behandlungserfolges bei betroffenen Patienten nicht angemessen. Genauere Schlüsse sind von Studien zu erwarten, die mit Hilfe größerer Stichproben einzelne Persönlichkeitsstörungen und ihre Komorbiditäten untereinander untersuchen können. Zusammenfassung 7 219 Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit wurden N=80 Patienten mit Major Depression untersucht, die sich zum ersten Mal in stationärer psychiatrischer Behandlung befanden. Die Befunde früherer Untersuchungen führten zu den Fragen und Hypothesen der vorliegenden Arbeit. So wurden ein Interview („Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit“ DID) und ein Fragebogen („Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar“ DPSI) zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung evaluiert und als reliabel und valide bewertet. Von dem Fragebogen DPSI wurde eine Kurzversion entwickelt. Damit liegen Fremd- und Selbstbeurteilungsinstrumente zur Erfassung der depressiven Persönlichkeitsstörung für die Anforderungen der klinischen Praxis und der Forschung vor. Die vorliegenden Ergebnisse sprechen nicht gegen den Einschluss der depressiven Persönlichkeitsstörung in das DSM. Eine Entscheidung über diese Frage hängt damit zusammen, wie groß die Überschneidungen zwischen Persönlichkeitsstörungen sein dürfen. Hierüber bestehen jedoch unterschiedliche Ansichten. Es erscheint auf jeden Fall sinnvoll, alle Persönlichkeitsstörungen, und nicht nur einzelne, hinsichtlich ihrer Validität zu überprüfen. Neben dem methodischen Schwerpunkt sollten die Beziehungen der Persönlichkeitsstörungen untereinander analysiert werden. Dabei wurde die depressive Persönlichkeitsstörung bei den verschiedenen gefundenen möglichen Gruppeneinteilungen immer zu allen anderen Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C des DSM-IV gruppiert (dependente, selbstunsichere und zwanghafte Persönlichkeitsstörung). Sie wies von allen in diesen Cluster eingeordneten Persönlichkeitsstörungen die engste Beziehung zu dem Cluster auf, der dem Cluster B des DSM-IV ähnelte. Die beiden anderen Cluster des DSM-IV, A und B, ließen sich in der untersuchten Stichprobe nicht so gut replizieren. Für die Validität der Persönlichkeitsstörungen spricht die Verschiedenheit der Muster ihrer Zusammenhänge mit den untersuchten Persönlichkeitsmerkmalen. Von den 80 Patienten wiesen 42 Persönlichkeitsstörungen auf. Patienten mit Persönlichkeitsstörungen unterschieden sich in einigen Merkmalen von denen ohne: sie schätzten die Depressivität bei Aufnahme selbst stärker ein und wurden von den Untersuchern häufiger als schwerer krank eingestuft. Im Vorverlauf der Depression bestanden keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Weitere Vergleiche zeigten insbesondere Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster C. Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen gaben im Vergleich zu allen übrigen Patienten bei Aufnahme selbst schwerere Depressivität an. Allgemein wiesen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen bei Entlassung höhere Werte in der selbst- und der fremdeingeschätzten Depressivität auf. Dies galt insbesondere auch für Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Wurde die Schwere der Depressivität bei der Zusammenfassung 220 Aufnahme kontrolliert, so zeigten sich überwiegend keine signifikanten Unterschiede in der Entlass-Symptomatik zwischen Patienten mit und ohne Persönlichkeitsstörungen. Der Vergleich der Patienten je nach Persönlichkeitsstörungssymptomatik hinsichtlich des Verlaufes der Therapieresponse und der Remission während der stationären Behandlung zeigte überwiegend keine signifikanten Unterschiede. Die Ausnahmen zeigten sich v. a. beim Vergleich von Patienten mit und ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen: Patienten mit diesen Persönlichkeitsstörungen remittierten langsamer und die Remissionswahrscheinlichkeit am Ende ihrer Behandlung war etwas niedriger als bei Patienten ohne Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Wurde die Schwere der Depressivität bei Aufnahme als Kovariate mit berücksichtigt, so unterschieden sich v. a. die Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen und höheren Ausgangswerten der Depressivität durch ein langsameres Ansprechen auf die stationäre Behandlung und eine langsamere Remission von den übrigen Patienten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hypothesen einer schwereren depressiven Symptomatik und eines schlechteren Befindens bei Aufnahme und Entlassung bei depressiven Patienten mit (auch mit bestimmten) Persönlichkeitsstörungen und eines ungünstigeren Verlaufes während der stationären Behandlung nur teilweise bestätigt wurden. Damit liegen diese Ergebnisse im derzeitigen Trend, der zeigte, dass komorbide Persönlichkeitsstörungen nie mit einem günstigeren Verlauf der Depression einhergehen, überwiegend mit einem etwas schlechteren Verlauf und nur manchmal mit einem signifikant ungünstigeren Verlauf. In einzelnen Aspekten ist der Verlauf in der vorliegenden Studie ungünstiger gewesen, in den meisten Aspekten jedoch nicht signifikant ungünstiger als bei Patienten ohne komorbide Persönlichkeitsstörungen. In der Diskussion wurden die Einzelbefunde mit denen anderer Studien verglichen. Für die klinische Praxis kann aus den Ergebnissen dieser und anderer Studien gefolgert werden, dass depressive Patienten mit Persönlichkeitsstörungen möglicherweise schwerere depressive Symptomatik aufweisen, die jedoch, evtl. in einer etwas längeren Zeit, auch erfolgreich behandelt werden kann. Trotz erfolgreicher Behandlung weisen die Patienten bei der Entlassung u. U. noch etwas stärkere depressive Symptomatik auf als Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. Auch aufgrund der überwiegend nicht signifikant ungünstigeren Verlaufsmerkmale der Depression bei komorbider Persönlichkeitspathologie kann von pessimistischen Erwartungen bezüglich des Behandlungserfolges bei betroffenen Patienten abgeraten werden. Es erscheint plausibel, bei der Therapie nicht nur die Depression zu berücksichtigen, sondern auch die Persönlichkeitspathologie, um die Behandlung optimal auf die Bedürfnisse des Patienten abzustimmen. Genauere Schlüsse zur Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen für die komorbide Depression könnten Studien ermöglichen, die mit Hilfe größerer Stichproben einzelne Persönlichkeitsstörungen und ihre Komorbiditäten untereinander prüfen können. Literatur 221 8 Literatur Aalto-Setälä, T., Marttunen, M., Tuulio-Henriksson, A., Poikolainen, K. & Lönnqvist, J. (2002): Depressive symptoms in adolescence as predictors of early adulthood depressive disorders and maladjustment. American Journal of Psychiatry, 159, 1235-1237. Abou-Saleh, M. T. 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Anhang Typus-Melancholicus-Persönlichkeitsinventar (TMPI) A1 (Kronmüller, Backenstraß, Kocherscheidt, Hunt, Fiedler & Mundt, in Druck; Kronmüller, Backenstraß, Kocherscheidt, Hunt, Unger, Fiedler & Mundt, 2002) Depressive-Persönlichkeitsstörungs-Inventar (DPSI) (Original: Huprich, Margrett, Barthelemy & Fine, 1996; deutsche Version: unsere Arbeitsgruppe, z. B. Herdtle, 1999) A3 Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) (Gunderson, Phillips, Triebwasser & Hirschfeld, 1994; deutsche Version: unsere Arbeitsgruppe, z. B. Herdtle, 1999) A5 A 1 Anhang Typus-Melancholicus-Persönlichkeits-Inventar (TMPI) Entscheiden Sie bitte bei jeder der folgenden Aussagen, ob sie in Zeiten körperlicher und seelischer Gesundheit auf Sie zutrifft oder nicht. Es geht nicht darum, wie Sie in Zeiten beeinträchtigter Gesundheit sind oder wie Sie am liebsten sein möchten, sondern wie Sie in gesunden Zeiten wirklich sind bzw. waren. Machen Sie − ohne lange zu überlegen − ein Kreuz in der Spalte, die am ehesten auf Sie zutrifft bzw. zutraf. Lassen Sie bitte keinen Satz aus! Diese Aussage trifft ... 1. Bei jeder wichtigen Arbeit möchte ich wissen, wie lange sie dauert ........................................................................... 3 2 1 0 2. Ich bin ein Mensch, der anderen kaum eine Bitte abschlagen kann ................................................................. 3 2 1 0 3. Ich kann sehr hart arbeiten ................................................. 3 2 1 0 3 2 1 0 5. Ich habe ein großes Verantwortungsbewußtsein ................. 3 2 1 0 6. Ein Problem reizt mich nicht sehr, wenn ich nicht weiß, dass es eine Lösung gibt ..................................................... 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 4. Im Umgang mit anderen neige ich dazu, mich aufzuopfern 7. Ich neige dazu, im Umgang mit anderen Menschen sehr sorgsam zu sein, und deren Wohlergehen liegt mir am Herzen ............................................................................... 8. Ich bin erst dann wirklich zufrieden, wenn alles perfekt erledigt ist .......................................................................... 9. Bei sachlich gerechtfertigten Dingen setze ich mich energisch durch, auch wenn ich dadurch die Sympathie der anderen verliere .................................................................. 10. Ich mache nicht gern bei einer Gruppe mit, wenn ich nicht .. sicher sein kann, dass ihre Arbeit Erfolg hat ........................ A 2 Anhang Diese Aussage trifft ... ausgeüber- etwas gar sprochen wiegend zu nicht zu zu zu 11. Ich kann mich in eine Sache derart hineinsteigern, dass ich von meiner Begeisterung und meinen Eifer davongetragen werde ................................................................................. 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 16. Ich bin ehrlich .................................................................... 3 2 1 0 17. Auseinandersetzungen vermeide ich lieber .......................... 3 2 1 0 3 2 1 0 3 2 1 0 20. Ich bin ein Perfektionist ...................................................... 3 2 1 0 21. Ich neige dazu, die Schuld auf mich zu nehmen .................. 3 2 1 0 22. Ich neige dazu, sehr genau zu sein und die Dinge ................ gegebenenfalls bis zum bitteren Ende durchzuziehen ........... 3 2 1 0 23. Ich habe ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl ................ 3 2 1 0 24. Ich gebe mir viel Mühe, so zu sein, bzw. mich so zu verhalten, dass andere mich wirklich gern haben können ..... 3 2 1 0 25. Ich bin aufrichtig und ehrlich .............................................. 3 2 1 0 26. Mir liegt viel daran, mit allen Menschen im Guten auszukommen .................................................................... 3 2 1 0 12. Meine sozialen Pflichten nehme ich sehr ernst ..................... 13. In Entscheidungssituationen, in denen nicht genügend ........ Informationen zur Behandlung des Problems vorliegen, fühle ich mich unwohl ........................................................ 14. Ich habe ein sehr empfindliches Gewissen und bekomme leicht Schuldgefühle ........................................................... 15. Ich bearbeite ungern eine Frage, bei der ich nicht irgend eine Möglichkeit sehe, eine eindeutige Antwort zu erhalten .............................................................................. 18. Ein komplexeres Problem gehe ich nur an, wenn ich klare Vorstellungen von seiner Bedeutung und seiner Tragweite habe ................................................................................... 19. Es ist mir schrecklich unangenehm, in Meinungsverschiedenheiten von anderen Menschen hineingezogen zu werden ............................................................................... A 3 Anhang DPSI Dieser Fragebogen führt verschiedene Einstellungen oder Meinungen von Menschen auf. Lesen Sie bitte jede Aussage aufmerksam durch, und entscheiden Sie, wie stark Sie dieser Aussage zustimmen oder wie stark Sie sie ablehnen. Kreuzen Sie für jede Aussage die Zahl auf dem Antwortbogen an, die Ihre Einstellung am besten beschreibt. Bitte wählen Sie für jede Aussage nur eine Antwort aus. Dabei gelten folgende Zuordnungen: 1 2 3 4 5 6 7 = = = = = = = stimme völlig zu stimme sehr stark zu stimme etwas zu neutral / unentschieden lehne etwas ab lehne sehr stark ab lehne völlig ab stimme völlig zu lehne völlig ab 1. Meine Laune könnte häufig als schwermütig 1 beschrieben werden..................................................... 2 3 4 5 6 7 2. Ich bin mit mir zufrieden ............................................. 1 2 3 4 5 6 7 3. Wenn ich einen Fehler mache, bin ich nicht zu hart 1 gegen mich selbst. ................................................... 2 3 4 5 6 7 4. Häufig denke ich, dass gleich etwas schief geht ........... 1 2 3 4 5 6 7 5. Ich schätze Menschen, die ihr Bestes geben, auch 1 dann, wenn ich selbst glaube, dass sie eine nicht so gute Arbeit gemacht haben.......................................... 2 3 4 5 6 7 6. Häufig sehe ich nicht, wie sich Dinge nach meinen 1 Vorstellungen entwickeln könnten............................... 2 3 4 5 6 7 7. Meistens bin ich schuld, wenn etwas schief geht .......... 1 2 3 4 5 6 7 8. Ich bin häufiger traurig und unglücklich, als dass ich 1 es nicht bin.................................................................. 2 3 4 5 6 7 9. Ganz egal, was ich tue, es scheint nie gut genug 1 zu sein ........................................................................ 2 3 4 5 6 7 10. Wenn etwas schief geht, bin gewöhnlich ich schuld...... 1 2 3 4 5 6 7 11. Andere sagen, dass ich selten das Positive sehe ........... 1 2 3 4 5 6 7 12. Menschen sind selten wirklich daran interessiert, 1 anderen zu helfen ........................................................ 2 3 4 5 6 7 13. Mir gelingt niemals etwas............................................ 1 2 3 4 5 6 7 14. Ich kann nichts richtig machen .................................... 1 2 3 4 5 6 7 15. Meine Beiträge sind wertvoll....................................... 1 2 3 4 5 6 7 16. Häufig merke ich, wie ich über meine 1 Schwierigkeiten nachdenke ......................................... 2 3 4 5 6 7 A 4 Anhang stimme völlig zu lehne völlig ab 17. Menschen sind im allgemeinen gut und haben 1 gute Absichten ............................................................ 2 3 4 5 6 7 18. Wenn man geduldig ist, wird einem schließlich 1 irgendwann Gutes widerfahren..................................... 2 3 4 5 6 7 19. Ich fühle mich die meiste Zeit über schuldig ................. 1 2 3 4 5 6 7 20. Ich denke, dass es sich für mich nicht gehört, 1 Spaß zu haben und glücklich zu sein ............................ 2 3 4 5 6 7 21. Ich bin von mir selbst enttäuscht. ................................. 1 2 3 4 5 6 7 22. Es fällt mir schwer, einfachste Aufgaben zu lösen. ....... 1 2 3 4 5 6 7 23. Ich mache mir ständig Sorgen über die Zukunft. .......... 1 2 3 4 5 6 7 24. Ich versuche mich nicht auf andere zu verlassen, 1 da daraus oft nichts wird ............................................. 2 3 4 5 6 7 25. Sich anzustrengen ist sinnlos, da die Dinge gewöhn- 1 lich nicht so eintreten, wie man es möchte.................... 2 3 4 5 6 7 26. Ich mache mir Vorwürfe, wenn ich keinen Erfolg 1 habe. ........................................................................... 2 3 4 5 6 7 27. Ich bin ein glücklicher Mensch..................................... 1 2 3 4 5 6 7 28. Ich fühle mich als Versager.......................................... 1 2 3 4 5 6 7 29. Egal was ich tue, es fällt mir schwerer als anderen. ...... 1 2 3 4 5 6 7 30. Ich bin niemand, der sich leicht Sorgen macht. ............. 1 2 3 4 5 6 7 31. Ich werde oft von anderen enttäuscht........................... 1 2 3 4 5 6 7 32. Dinge wenden sich zum Guten, wenn man auf 1 das Positive achtet. ...................................................... 2 3 4 5 6 7 33. Ich bereue nicht, was ich in der Vergangenheit 1 getan habe ................................................................... 2 3 4 5 6 7 34. Ich habe viel Spaß in meinem Leben. ........................... 1 2 3 4 5 6 7 35. Ich bin eine wertvolle Person. ...................................... 1 2 3 4 5 6 7 36. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe................... 1 2 3 4 5 6 7 37. Ich verharre in Problemen............................................ 1 2 3 4 5 6 7 38. Selbst wenn andere schuld sind, suche ich gewöhnlich 1 die Schuld bei mir. ....................................................... 2 3 4 5 6 7 39. Ich bin unzulänglich..................................................... 1 2 3 4 5 6 7 40. Ich bestrafe mich, wenn ich keinen Erfolg habe. ........... 1 2 3 4 5 6 7 41. Ich lasse selten den Kopf hängen.................................. 1 2 3 4 5 6 7 Anhang A 5 Diagnostisches Interview für die Depressive Persönlichkeit (DID) Dieses Interview sammelt Informationen über verschiedene Aspekte des Verhaltens − subjektives Befinden, Kognitionen und soziale Beziehungen (z.B. chronisches Unglücklichsein, Angespanntsein, Negativismus und Unentschlossenheit), von denen angenommen wird, dass sie Züge der depressiven Persönlichkeit sind. Achten Sie darauf, dass Sie die Anleitung jedem Patienten vorlesen. Der Interviewer beurteilt jede Person hinsichtlich des Vorhandenseins oder Fehlens von 30 Wesenszügen (d. h. überdauernden Personenmerkmalen). Die Bewertung basiert auf Informationen, die durch Fragen oder Verhaltensbeobachtungen während des Interviews gewonnen werden. Bei Bedarf können mehrere Fragen auf die vorgegebene Frage folgen, so z. B.: „Können Sie mir ein Beispiel geben?“ „Ungefähr wieviel der Zeit sind Sie so?“ „Glauben Sie, dass Sie mehr so sind als die meisten anderen Leute?“ „Ist dies die Art, wie Sie normalerweise sind?“ Bewertung der Traits / Wesenszüge: 2 = Wesenszug vorhanden; tragen Sie (+) oder (J) ein 1 = Wesenszug möglicherweise [mittelmäßig, manchmal] vorhanden; tragen Sie (+/-) oder (?) ein 0 = Wesenszug nicht vorhanden; tragen Sie (-) oder (N) ein Um einen Gruppenwert zu bilden, werden die angegebenen Punktwerte addiert. Diese Gruppenwerte werden in einen Gesamtpunktwert umgewandelt, von dem diagnostische Urteile abgeleitet werden können. Anweisungen für den Patienten: Mit den folgenden Fragen versuchen wir, einen Eindruck von Ihrer Persönlichkeit zu bekommen. Bitte versuchen Sie so zu antworten, wie Sie gewöhnlich in den Jahren seit Ihrer Kindheit oder Jugend gewesen sind. Antworten Sie nicht so, wie Sie sich während einer Depression fühlen, es sei denn, Sie leiden die meiste Zeit unter einer Depression und dies ist für Sie der Normalzustand. A 6 Anhang I. Negativistisch 1. Sind Sie oft mit unerfreulichen Gedanken beschäftigt? Mit anderen Worten: grübeln Sie oft? 2. Fühlen Sie sich häufig schwermütig? C1 Die Person ist schwermütig 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 3. Sind Sie ein Mensch, der gewöhnlich das Schlimmste erwartet? 4. Glauben Sie, dass wenn irgend etwas schiefgehen könnte, es auch schiefgehen wird? 5. Finden Sie es schwierig, der Zukunft mit Freude entgegen zu sehen? C2 Die Person ist pessimistisch − sie erwartet, dass schlimme Dinge geschehen 6. Reagieren Sie besonders stark mit Traurigkeit, Sorge oder Wut, wenn schlimme Dinge geschehen? Reagieren Sie auch bei geringeren Anlässen so? 7. Würden andere Sie als jemanden beschreiben, der dazu neigt, heftig zu reagieren, wenn schlimme Dinge geschehen? C3 Die Person reagiert negativ 8. Denken Sie häufig, dass das Leben ungerecht ist? 9. Denken Sie im nachhinein häufig, dass Sie ausgenutzt wurden? 10. Würden andere Sie als jemanden beschreiben, der sich schnell angegriffen fühlt? C4 Die Person ist verbittert (bewerten Sie nur mit „2“, wenn Verbitterung vollständig ausgeprägt ist, d. h. nicht nur auf bestimmte Situationen bezogen ist, in denen die Person ungerecht behandelt wurde) 11. Fühlen Sie sich oft schuldig für Dinge, die Sie getan oder aber nicht getan haben? 12. Neigen Sie dazu, Reue über vergangenes Verhalten zu empfinden? C5 Die Person empfindet Reue − sie fühlt sich schuldig A 7 Anhang 13. Würden Sie sagen, dass Sie eine geringe Selbstachtung haben? 14. Neigen Sie dazu, sich selbst als unzulänglich zu betrachten? C6 Die Person hat eine geringe Selbstachtung 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 15. Würden Sie sich als jemanden beschreiben, der sich viele Sorgen macht und grübelt? 16. Gibt es häufig Gegebenheiten oder Probleme in Ihrem täglichen Leben oder sogar in den Nachrichten, über die Sie sich Sorgen machen? 17. Glauben Sie, dass Sie sich zu viele Sorgen machen? C7 Die Person tendiert dazu, sich viele Sorgen zu machen 18. Fühlen Sie sich gewöhnlich von Verantwortungen und Pflichten erdrückt? 19. Fühlen Sie sich belastet? C8 Die Person fühlt sich belastet 20. Denken Sie häufig, dass andere etwas tun könnten oder tun sollten? 21. Sind Sie sich der Grenzen und des Versagens anderer Menschen besonders bewußt und darüber beunruhigt? C9 Die Person steht anderen häufig kritisch gegenüber 22. Sind Sie häufig kritisch sich selbst gegenüber? 23. Setzen Sie sich selbst stark herab? 24. Würden andere sagen, dass Sie hart zu sich selbst sind? 25. Denken Sie häufig, dass Sie etwas besser tun könnten oder sollten? 26. Sind Sie sich Ihrer Grenzen oder Ihres Versagens sehr bewußt oder beunruhigen Sie diese sehr? C10 Die Person ist selbstkritisch 27. Fühlen Sie sich gewöhnlich körperlich schwach? 28. Mangelt es Ihnen an Energie? 29. Fühlen Sie sich häufig müde? C11 Die Person ist asthenisch A 8 Anhang II. Introvertiert / Angespannt 30. Sind Sie eine zurückhaltende Person? 31. Neigen Sie so dazu, Ihre Gedanken für sich zu behalten, dass es Ihnen Sorge bereitet? 32. Sind Sie eine zurückhaltende Person, die anderen nicht viel über das preisgibt, was sie tut? 33. Glauben Sie, Sie sollten seltener ein Blatt vor den Mund nehmen und häufiger Ihre Meinung sagen? → Denken andere das auch? C12 Die Person ist introvertiert − gehemmt; nicht spontan 2 1 0 C13 Die Person erscheint still 2 1 0 C14 Die Person ist ernst 2 1 0 2 1 0 2 1 0 C17 Die Person kann nur begrenzt Spaß haben 2 1 0 C18 Die Person ist ungesellig - sie meidet soziale Aktivitäten oder verspürt wenig Freude dabei 2 1 0 (Beurteilen Sie das Verhalten der Person.) 34. Sind Sie eine Person, die nicht dazu neigt, neue Interessen zu entwickeln und sich an neuen Situationen zu erfreuen? 35. Fühlen Sie sich so stark an das, was Sie kennen, gebunden, dass Sie zögern, neue Dinge oder Situationen auszuprobieren? C15 Die Person ist gehemmt C16 Die Person erscheint angespannt (Die Person erscheint / handelt ängstlich, körperlich angespannt.) 36. Ist es schwierig für Sie, Spaß zu haben? 37. Erfreuen Sie sich weniger an Dingen als die meisten Leute oder haben Sie weniger Spaß? 38. Lachen Sie weniger als die meisten Leute? A 9 Anhang III. Passiv / Unsicher 39. Ist es schwierig für Sie, Ihre Meinung auszudrücken? 40. Befinden Sie sich häufig in Situationen, die Sie nicht mögen, weil Sie nicht sagen können, was Sie wollen? 41. Vermeiden Sie es, Ihre Meinung zu sagen, wenn Sie damit rechnen, dass andere nicht ihrer Meinung sind? C19 Die Person ist unsicher 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 42. Neigen Sie dazu, anderen die Führung oder Initiative zu überlassen? 43. Würden andere dazu neigen, Sie als eine im allgemeinen passive Person zu beschreiben? 44. Würden Sie sich selbst als eine Person beschreiben, die häufiger anderen folgt, als dass sie anführt? C20 Die Person ist passiv - hat es lieber, wenn andere die Initiative übernehmen 45. Neigen Sie dazu, die Meinung anderer Leute zu suchen und sich auf andere zu verlassen, um Ihre Entscheidungen zu treffen? 46. Neigen Sie dazu, viel emotionale Unterstützung zu brauchen? 47. Brauchen Sie häufiger als andere von anderen Menschen die Bestätigung, dass Sie geliebt werden? 48. Glauben andere Leute, dass Sie zu viel emotionale Unterstützung brauchen oder andere auslaugen? C21 Die Person ist übermäßig abhängig von anderen 49. Würden andere Leute Sie als jemanden beschreiben, der andere kritisiert und beschuldigt? 50. Finden Sie es schwierig, andere zu kritisieren oder zu beschuldigen? Ist es einfacher für Sie, sich selbst zu beschuldigen? 51. Neigen Sie dazu, sich schuldig zu fühlen, wenn Sie kritische oder ärgerliche Gedanken über andere Leute haben? C22 Der Person fällt es schwer, kritisch oder ärgerlich gegenüber anderen zu sein A10 Anhang 52. Reagieren Sie übermäßig sensibel auf Zurückweisung von anderen? Würden andere Sie so beschreiben? 53. Mißinterpretieren Sie häufig das Verhalten anderer, so dass Sie sich schließlich zurückgewiesen fühlen, selbst wenn dies nicht die Absicht der anderen war? C23 Die Person ist übersensibel gegenüber Zurückweisung 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 54. Kümmern sich andere Menschen mehr um Sie als um andere Menschen? Mögen Sie es, wenn andere sich um Sie kümmern? 55. Fühlen Sie sich nicht in der Lage, Ihren Unterhalt selbst zu finanzieren? Haben Sie Angst davor, irgendwo angestellt zu sein? 56. Brauchen Sie manchmal andere, damit Sie essen, sich waschen oder sich anziehen? C24 Die Person hat orale Bedürfnisse − sie hat ein übermäßiges Bedürfnis, dass man sich um sie kümmert 57. Brauchen Sie gewöhnlich neun oder mehr Stunden Schlaf täglich? 58. Neigen Sie dazu, sich körperlich energielos zu fühlen und sind Sie nicht in der Lage, morgens „in die Gänge“ zu kommen? 59. Ist es für Sie leichter, den Tag später zu beginnen? C25 Die Person hat eine psychomotorische Trägheit (die morgens schlimmer ist.) 60. Sind Sie weniger an sexuellen Beziehungen interessiert als die meisten anderen Menschen, die Sie kennen? 61. Denken Sie seltener an Sex oder haben Sie seltener Sex als die meisten Menschen? C26 Die Person hat ein geringes sexuelles Interesse A11 Anhang IV. Selbstverleugnend 62. Denken Sie, dass es für andere belastend sein könnte, wenn Sie Hilfe oder Unterstützung suchen? 63. Glauben Sie, dass Sie stark genug sein sollten, um andere nicht darum bitten zu müssen, Sie zu unterstützen oder zu beruhigen? 64. Ist es schwer für Sie, von anderen abhängig zu sein? C27 Widerstand gegenüber Abhängigkeit (Die Person findet es schwierig, Bedürfnisse nach Abhängigkeit auszudrücken.) 2 1 0 2 1 0 2 1 0 2 1 0 65. Würden Sie sich als eine moralisierende Person beschreiben? Moralisierender als die meisten Menschen? 66. Sind Sie häufig oder besonders mit der Frage beschäftigt, ob etwas richtig oder falsch ist? 67. Denken Sie, dass Sie manchmal zu strenge Ansichten haben über das, was richtig oder falsch ist? C28 Die Person ist moralisierend 68. Gibt es Aktivitäten, die Ihnen Spaß machen würden, die Sie sich aber nicht gönnen? 69. Würden Sie im Leben mehr Spaß haben, wenn Sie genießerischer wären? C29 Die Person ist selbstverleugnend 70. Glauben Sie, dass Sie sich mit weniger zufrieden geben, als wozu Sie fähig sind? 71. Würden Sie sich oder andere Sie als jemanden beschreiben, dessen Leistungen hinter den Erwartungen zurückbleiben? Als nicht ehrgeizig? C30 Die Leistungen der Person bleiben hinter den Erwartungen zurück Anhang Klinisch diagnostischer Eindruck (DID): Kreuzen Sie bitte die am ehesten zutreffende Einschätzung an. Eine depressive Persönlichkeit ist . . . c nicht vorhanden d unwahrscheinlich oder geringfügig vorhanden e möglich f wahrscheinlich g bestimmt vorhanden Depression Kreuzen Sie bitte an, wie schwer die Depression Ihrer Meinung nach ist. g f e d c schwer mäßig mild minimal nicht vorhanden A12 Erklärung Hiermit versichere ich, die vorliegende Arbeit selbstständig erstellt, nur die angegebenen Hilfsmittel und Quellen verwendet und Zitate als solche gekennzeichnet zu haben. Heidelberg, Januar 2004 Dipl.-Psych. Eva Daniela Victor