Bindungsstörungen in der frühen Kindheit

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Bindungsstörungen in der frühen
Kindheit
Ute Ziegenhain
26. DGVT-Kongress für Klinische Psychologie,
Psychotherapie und Beratung,
5. – 9. März 2010, Berlin
Gliederung
Bindungsstörungen nach ICD-10
Bindungstheoretische Grundlagen
Bindungsstörungen und sichere/(hoch-)unsichere Bindung
Diagnostik
Therapie
Bindungstheoretische Grundannahmen
In einem Raum einer kinderpsychiatrischen
Ambulanz steht ein zwölf Monate altes Mädchen
neben dem Stuhl der Mutter. Die Untersucherin kommt
herein und nimmt der Mutter gegenüber am Tisch
Platz. Das Mädchen reagiert deutlich verunsichert
auf die neue Person. Es schaut ängstlich und stößt einen
wimmernden Laut aus. Ohne die Mutter anzusehen,
geht es mit ängstlichem Gesichtsausdruck von Mutter
und Untersucherin weg und lehnt die Stirn an die Wand
die Augen weit aufgerissen.
Bindungstheoretische Grundannahmen
Ein vierjähriger Junge wird wegen eines Sturzes in
die Notaufnahme der Kinderklinik gebracht, dort
medizinisch versorgt und zur weiteren Abklärung
stationär aufgenommen. Er fügt sich ohne Protest
und reagiert nicht auf die Umarmung der Mutter zum
Abschied. Auch danach fragt er nicht nach seinen
Eltern. Er ist sehr schnell vertraut mit der
Krankenschwester, die ihn auf der Station versorgt,
umarmt sie und fragt sie, ob sie nun seine Mutter
sei.
Reaktive Bindungsstörung (F94.1)
widersprüchliche oder ambivalente Reaktionen in
unterschiedlichen sozialen Situationen
emotional belastet und/oder zurückgezogen
sowie atypisches interaktives Verhalten
(massiv gehemmt, übermäßig wachsam, hoch ambivalent,
vermeidend oder aggressiv)
Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2)
diffuse bzw. mangelnde exklusive Bindungen
- Nähe- und Trostsuche unterschiedslos gegenüber
vertrauten und fremden Menschen, aggressiv
(anklammernd, emotional flach, oberflächlich und wenig
emotional bezogen
wenig modulierte, distanzlose Interaktionen mit Fremden
Allgemeine
Charakteristika
Situationen des
Auftretens
ICD-10
Bindungsstörungen allgemein
DSM-IV
Bindungsstörungen allgemein
Entwicklungsunangemessene
Verhaltensweisen in sozialen Beziehungen im
Zusammenhang mit schwerer elterlicher
Vernachlässigung und Misshandlung
Auftreten i n sozialen Beziehungen mit
massiv pathologischer (elterlicher)
Betreuungssituation
Beginn der Störung
Beginn in den ersten 5 Lebensjahren
Verlauf
andauernd, aber veränderbar bei
Veränderungen in der Beziehungsumgebung
andauernd, aber Verbesserung möglich bei
angemessen unterstützender Umgebung
Störungstyp 1
Reaktive Bindungsstörung
Gehemmte Form der Bindungsstörung
(„inhibited“)
1. exzessiv gehemmt oder hypervigilant in
sozialen Situationen
1. ängstlich, übermäßig wachsam
(hypervigilant), keine Reaktion auf Trost
Störungstyp 2
2. widersprüchliche oder ambivalente
soziale Reaktionen, besonders bei
Trennung und Wiedervereinigung
2. ambivalente oder widersprüchliche
Reaktionen
3. kaum soziale Interaktion mit
Gleichaltrigen
4. aggressiv gegenüber sich selbst und
anderen
5. apathisch, unglücklich
6. ggf. sozialer Minderwuchs
----
Bindungsstörung mit Enthemmung
1. diffuse bzw. mangelnde exklusive
Bindungen
2. wenig modulierte, distanzlose
Interaktionen, Aufmerksamkeitssuche
3. eingeschränkte Interaktion mit
Gleichaltrigen
4. kann mit umschriebenen
Entwicklungsstörungen einhergehen
---------Ungehemmte Form der
Bindungsstörung („disinhibited“)
1. diffuse Bindungen
2. exzessive Vertrautheit mit Fremden
-------
Mangelnde Diagnosespezifizät
Bisher werden die Bindungsstörungsdiagnosen nach ICD-10 in
der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis fast ausschließlich
auf schwer vernachlässigte früh misshandelte Kinder angewandt
Prognose
eher ungünstige Prognose
insbesondere Bindungsstörung mit Enthemmung persistierende
Tendenz (Rushton et al., 1995; O‘Connor, 2002)
Bindungsstörung mit Enthemmung
Æ häufig Diagnose Persönlichkeitsstörung
(spätes Jugendalter oder junges Erwachsenenalter)
CAVE: klinische Erfahrungen, unzureichende bzw. fehlende
Datenbasis
Prävalenz
keine eindeutigen Angaben
ausgegangen wird von einer Prävalenz von weniger als 1 %
(0,9 % der 1 ½ -jährigen Kinder nach ICD-10 (Skovgaard et al., 2007)
bzw. extrapoliert en auf der Basis von Häufigkeiten von
Misshandlung und Vernachlässigung (Richter & Volkmar, 1994))
Prävalenz in Risikogruppen deutlich erhöht
- mehr als 25 % aller Kinder aus Pflegefamilien und über 10 % der
im Durchschnitt älteren Heimkinder (Fegert, 1998)
- ca. 1/3 der wegen Misshandlung/Vernachlässigung vorgestellten
Kinder einer Inanspruchnahmepopulation aus einer kinder- und
jugendpsychiatrischen Spezialambulanz (retrospektiv; Boris,
Zeanah, Larrieu, Scheeringa & Heller, 1998)
- 40% misshandelter Kleinkinder (Zeanah, Scheeringa, Boris, Heller,
Smyke & Trapani, 2004)
Gliederung
Bindungsstörungen nach ICD-10
Bindungstheoretische Grundlagen
Bindungsperson: Quelle emotionaler
Sicherheit und externer Hilfe zur Regulation
Trennung,
unvertraute Situation,
(körperliche, emotionale)
Überforderung
Bindungsperson: Quelle emotionaler
Sicherheit und externer Hilfe zur Regulation
Trennung,
unvertraute Situation,
(körperliche, emotionale)
Überforderung
Belastetheit,
Verunsicherung,
(HerzfrequenzAnstieg)
Bindungsperson: Quelle emotionaler
Sicherheit und externer Hilfe zur Regulation
Trennung,
unvertraute Situation,
(körperliche, emotionale)
Überforderung
Bindungsperson
Belastetheit,
Verunsicherung,
(HerzfrequenzAnstieg)
Entlastung,
Interesse an Erkundung
(Absinken
Herzfrequenz)
Bindungstheoretische Grundannahmen
individuelle Unterschiede in der Organisation von
Bindung (Strategien)
- sicher (Typ B)
- unsicher-vermeidend (Typ A)
- unsicher-ambivalent (Typ C)
Æ (Anpassungs-) Strategien im Umgang mit
Belastung und emotionaler Verunsicherung
Æ Ergebnis feinfühligen/wenig feinfühligen
elterlichen Verhalten (deWolff & van IJzendoorn, 1997)
sichere und unsichere Bindungsstrategien sind normale
Entwicklungsvarianten
Hochunsichere Bindung
fehlende (Anpassungs-) Strategien bei Kleinkindern
(Desorganisation)
- Strategien sicherer beziehungsweise unsicherer Bindung sind
durch Konfliktverhalten gegenüber der Bindungsperson überlagert
starke Gehemmtheit in der Situation, körperliches Erstarren
über mehrere Sekunden oder Furchtreaktionen („freezing“)
Æ Zusammenbruch kindlicher Bewältigungsstrategien
Verhaltensstrategien ohne Anpassungswert bei älteren Kindern
- organisiertes Bindungsverhalten, stark auffällig und
unangemessen kontrollierend gegenüber der Bindungsperson
übertrieben fürsorgliches Verhalten bis hin zur
Rollenumkehr
bestrafendes oder beschämendes Verhalten
entwicklungspsychopathologisch interpretierbar
Hochunsichere
Bindung
Hochunsichere Bindung
Furcht als durchgängige Beziehungserfahrung
- Furcht vor der Bindungsperson
(direkte ängstigende Interaktionserfahrung)
- Furcht der Bindungsperson
(indirekte Auswirkung elterlicher traumatischer Beziehungserfahrung)
Konflikt zwischen Bedürfnis nach Sicherheit durch die
Bindungsperson und Furcht vor ihr
Versagen der Bindungsperson als Quelle
emotionaler Sicherheit und externe Hilfe zur
Regulation
Trennung,
unvertraute Situation,
(körperliche, emotionale)
Überforderung
Bindungsperson
Belastetheit,
Verunsicherung,
(HerzfrequenzAnstieg)
Entlastung,
Interesse an Erkundung
(Absinken
Herzfrequenz)
Hochunsichere
Bindung
Bindungsforschung und Bindungsstörungen
Prävalenz (hoch) unsicherer Bindungen
Normalstichproben
- unsichere Bindung
40%
- hochunsichere (desorganisierte) Bindung
15%
Æ psychopathologisch relevante Probleme nicht vorhersagbar bzw. nicht von psychologischen Belastungen
im Normalbereich abgrenzbar
van IJzendoorn, Schuengel & Bakermans-Kranenburg, 1999
Gliederung
Bindungsstörungen nach ICD-10
Bindungstheoretische Grundlagen
Bindungsstörungen und sichere/(hoch-)unsichere Bindung
Zentrale Merkmale von Bindungsstörungen
kein persönlich bezogenes Bindungsverhalten
Verletzung der grundlegenden Organisation des
Bindungssystems
- keine Nähe und Kontaktsuche zur Bindungsperson in
belastenden, ängstigenden Situationen
DSM-IV (APA, 1994); ICD-10 (WHO, 2000)
Bindungsstörungen (nach ICD-10)
Reaktive Bindungsstörung (F94.1)
Hemmung von Bindungsverhalten: keine Nähe- und
Kontaktsuche bei einer Bezugsperson unter Belastung
Æ Störung der sicheren Basis/destruktive Entgleisung
einer etablierten Bindungsbeziehung
Reaktive Bindungsstörung (F94.1)
Kriterien entwickelt aus Beschreibungen über schwer
misshandelte/vernachlässigte Kleinkinder
- zurückgezogen, wenig ansprechbar, bizarre Trostsuche bei
Belastung (Gaensbauer & Sands, 1979; George & Main, 1979;
Main & George, 1985; Mueller & Silverman, 1989)
Bindungsstörungen vs. hochunsichere Bindung
Bindungsstörungen: voll ausgebildete psychische Störung des
Kindesalters
klinisch: häufig die gleichen Verhaltensweisen bei Kindern mit
Bindung und reaktiver Bindungsstörung (phänotypische Nähe;
O’Connor & Zeanah, 2003; Green & Goldwyn, 2002)
“frozen watchfulness“, Erstarren oder Einfrieren, „freezing“
aber: hochunsichere Bindung geht nicht notwendigerweise immer
mit Symptomen einer reaktiven Bindungsstörung einher (O’Connor,
2002).
Bindungsstörungen (nach ICD-10)
Reaktive Bindungsstörung (F94.1)
Hemmung von Bindungsverhalten: keine Nähe- und
Kontaktsuche bei einer Bezugsperson unter Belastung
Æ Störung der sicheren Basis/destruktive Entgleisung
Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2)
-
relative Überaktivität des Bindungssystems
Unvermögen differenziertes Bindungsverhalten gegenüber
einer Bezugsperson zu zeigen
Æ keine exklusive Bezugsperson
Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2)
Kriterien entwickelt aus Forschung über Kleinkinder in
Waisenhäusern bzw. Heimen
erstaunlich konsistente Beschreibungen der Kernsymptome:
- anklammernd, distanzlos, emotional flach, oberflächlich
und wenig emotional bezogen
oberflächlich warm (Levy, 1937)
undifferenziertes Verhalten (Goldfarb, 1943, 1945)
exzessives Bedürfnis nach Aufmerksamkeit (Goldfarb, 1943,1945
undifferenzierte Selbstpräsentation (Freud & Burlingham,1946)
undifferenziert freundlich (Provence & Lipton, 1962)
Rumänische Heimkinder – Einfluss früher und massiver
Deprivation
O‘Connor, Rutter &
the ERA Study Team,
2003
N=165
adoptiert < 6 Monate
adoptiert 7 bis 24 Monate
UK-adoptiert < 6 Monate (keine
Deprivation)
Morrison, Chisholm,
Ames et al., 1998
N= 76
mind. 8 Monate Waisenhaus
< 4 Monate Waisenhaus
familienerzogene kanadische Kinder
Marcovitch, Goldberg
et al., 1997
N=56
6 und mehr Monate Waisenhaus
< 6 Monate Waisenhaus
Zeanah et al., 2005
N = 95
Kinder in Waisenhäusern in Bukarest
(12 bis 31 Monate)
Rumänische Heimkinder – Hinweise auf Bindungsstörung
Zwei Längsschnittstudien zur Adoption von
rumänischen Säuglingen und Kleinkindern:
überwiegend Hinweise auf Bindungsstörung mit Enthemmung
deutlich mehr Zeichen von Bindungsstörung: Kinder mit
längstem Aufenthalt im Waisenhaus
Zeichen von Bindungsstörung bestanden auch noch Jahre
nach der Adoption (vs. Wachstum, Intelligenz, schulische
Leistungen, Verhaltensproblemen)
Rumänische Heimkinder – Bindungsqualität
Drei Längsschnittstudien zur Adoption von
rumänischen Säuglingen und Kleinkindern in
englische und kanadische Familien:
alle Kinder entwickelten eine Bindungsbeziehung zur
Adoptivmutter (4 ½ /4 / 3-5 Jahre)
ca. 1/3 der Kinder aus jeder Studie entwickelte eine sichere
Bindung
aber:
zwischen 33% und 40% der Kinder aus jeder Studie entwickelte
eine hochunsichere Bindung
Bindungstheorie und Bindungsstörungen: nicht adoptierte
rumänische Heimkinder
Querschnittstudie: rumänische Waisenkinder
(institutionalisiert) vs. familienerzogene Kinder
(N=95/50, 12-31Monate)
Heimkinder: >drei Viertel hochunsicher (vs. < ein Viertel
familienerzogene Kinder)
Mehrheit der Heimkinder: keine persönlich bezogene Bindung
zur Erzieherin
Zeanah et al., 2005
Unterschiedlicher Entwicklungsgang der beiden Typen
von Bindungsstörungen?
klinische Beobachtungen:
Symptome der Bindungsstörung mit Enthemmung eher bei
Kindern mit massiven Deprivationserfahrungen bzw. häufig
wechselnde Bindungspersonen
Symptome der reaktiven Bindungsstörung eher bei Kindern, die
massiv misshandelt wurden
(O’Connor, 2002)
CAVE: Viele Kinder erleben gleichermaßen häufig wechselnde
Bezugspersonen als auch Misshandlung
Bindungsstörungen vs. hochunsichere Bindung
derzeit: unterschiedliche Einschätzung der Nähe zwischen
Bindungsstörungen (ICD-10/DSM-IV) und hochunsicherer
Bindung (entwicklungspsychologisches Konzept)
- Sichtweise eines Spektrums von Bindungsstörungen
sicher Æ unsicher Æ hochunsicher Æ Störungen der sicheren
Basis Æ fehlende Bindung (Boris & Zeanah, 1999; Minde, 2003)
- qualitative Unterschiede bzw. Festlegung auf eine
dimensionale Betrachtungsweise angesichts fehlender
beziehungsweise inkonsistenter empirischer Belege
verfrüht (O’Connor & Zeanah, 2003)
Gliederung
Bindungsstörungen nach ICD-10
Bindungstheoretische Grundlagen
Bindungsstörungen und sichere/(hoch-)unsichere Bindung
Diagnostik
Diagnostik
Anamnese des allgemeinen Entwicklungsverlaufs des Kindes
Bindungsverhalten gegenüber seinen Bezugs- und anderen
Kontaktpersonen
Betreuungsgeschichte
Informationsquellen:
Familie sowie Dritte, wie z.B. Erzieher, Sozialarbeiter,
Kinderärzte oder Hausärzte
(Leitlinien der Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
Psychotherapie, 2007)
! kein standardisiertes diagnostisches Verfahren !
Diagnostik
klinische Diagnose bei der Beobachtung entscheidend
- freies Spiel mit Bezugsperson
- Verhalten nach Trennung und Wiedervereinigung
- Beziehungsgestaltung zu fremden Personen und neuen Objekten
insbesondere: emotionaler Stress des Kindes
Trostfindung bei „anderen Personen“
Bevorzugung einer Bezugsperson
(Stafford & Zeanah, 2006)
Indikatoren gestörter vs. adäquater Bindung (AACAP Practice
Parameter, Zeanah et al., 1993)
Verhaltenskategorien
Anpassung an die
Umwelt
Indikatoren gestörter vs. adäquater Bindung
Positiver Affekt
Angepasst
Kind zeigt positiven Affekt in vielfältigen Interaktionskontexten
Fehlangepasst
Kind zeigt Mangel an positivem affektivem Austausch in unterschiedlichen sozialen
Settings oder distanzlosen positiven Affekt gegenüber unvertrauten Erwachsenen
Angepasst
Kind sucht Trost bei einer/einem vertrauten Erwachsenen
Fehlangepasst
Kind zeigt mangelnde Trostsuche, wenn verletzt, ängstlich oder krank oder sucht
Trost in merkwürdiger oder ambivalenter Weise (z.B. erhöhte Verstörung, wenn das
Kind keinen Trost sucht)
Angepasst
Kind sucht bereitwillig Hilfe bei vertrauten Erwachsenen bei schwierigen Problemen,
die es nicht alleine lösen kann
Fehlangepasst
Kind ist exzessiv abhängig von der Bezugsperson oder ist unfähig, die unterstützende
Anwesenheit der Bindungsperson zu suchen und sie zu nutzen
Angepasst
Kind ist überwiegend kooperativ gegenüber der Bezugsperson
Fehlangepasst
Kind ist ungehorsam bei Bitten und Forderungen der Bezugsperson(durchgehendes
Interaktionsmuster) oder ängstlich überangepasst („compulsive compliance“)
Angepasst
Kind nutzt die Bindungsperson als sichere Basis, von der aus es losziehen und
Neues erkunden kann
Fehlangepasst
Kind versichert sich nicht rück bei der Bindungsperson in unvertrauten Situationen
oder weigert sich beinahe gänzlich sich von ihr zu lösen, um zu erkunden
Kontrollierendes
Verhalten
Angepasst
Kind gibt wenig Hinweise für kontrollierendes Verhalten gegenüber der Bezugsperson
Fehlangepasst
übermäßig besorgtes und/oder altersunangemessenes Fürsorgeverhalten gegenüber
der Bezugsperson, oder extrem dominantes oder bestrafendes Verhalten des Kindes
Verhalten bei
Wiedervereinigung mit der
Bezugsperson nach
Trennung
Angepasst
Kind sucht Trost bei der Bindungsperson, wenn verstört ist oder initiiert positive
emotionale nonverbale oder verbale Kommunikation
Fehlangepasst
Kind gelingt es nicht, einen interaktiven Austausch zu (re-)etablieren, eingeschlossen
aktiv ignorierende/vermeidende Verhaltensweisen, intensiver Ärger, offensichtlicher
Mangel an positivem Affekt oder Unvermögen, Verstörung aufgrund der Trennung
aufzulösen. Hinweise auf desorganisiertes Bindungsverhalten.
Angepasst
Kind zeigt anfänglich zurückhaltendes soziales Engagement, insbesondere in
unvertrauten Situationen
Fehlangepasst
Kind ist unmittelbar engagiert ohne anfängliche Vorsicht, nimmt extensiv körperlichen
Kontakt ohne Rückversicherung mit der Bezugsperson auf, ist bereit die
Bezugsperson ohne Protest zu verlassen (und mit der fremden Person zu gehen)
Trostsuche
Hilfe Suchen
Kooperation
Explorationsverhalten
Reaktion gegenüber Fremden
Gliederung
Bindungsstörungen nach ICD-10
Bindungstheoretische Grundlagen
Bindungsstörungen und sichere/(hoch-)unsichere Bindung
Diagnostik
Therapie
Therapie
emotional zuverlässige und konstante Bindungsperson
Förderung der Eltern-Kind-Interaktion, möglichst mit
standardisierten Programmen
begleitende Elternarbeit
weitergehende psychotherapeutische Maßnahmen, wenn
eine emotionale Stabilisierung durch die Etablierung einer
stabilen Beziehung und begleitender Elternarbeit erreicht
CAVE: Bisher kein therapeutisches Vorgehen hinreichend
erfolgreich
Therapie
videogestützte Eltern-Kind-Therapien (überwiegend
bindungstheoretisch konzeptualisiert)
- Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens
(Verhaltensebene
- Bearbeitung unvollständiger, gefilterter, verzerrter elterlicher
Repräsentationen, Reinszenierungen ungelöster Konflikte
aus der Kindheit der Eltern
CAVE: bisher keine randomisiert kontrollierten Studien zur
Behandlung von Bindungsstörungen
Promoting Positive Parenting (VIPP; Juffer, BakermansKranenburg & van IJzendoorn, 2008)
basierend auf Bindungstheorie, Pattersons Modell von
manipulativen (“coercive”) Interaktionsmustern,
Metaanalysen über die Effekte von Bindungsintervention
Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens und
Empathie, Perspektivenübernahme), insbesondere im
Kontext von Grenzen-Setzen
- Kurzzeit-Intervention (aufsuchend, Video-Feedback,
6 (inhaltlich standardisierte) Termine)
Evaluation
- Verbesserung feinfühligen Verhaltens bei Adoptiveltern,
Müttern mit mangelnder Feinfühligkeit, unsicherer
Bindungsrepräsentation, Essstörungen (Juffer et al., 2005;
Velderman et al., 2006)
Steps Toward Effective, Enjoyable Parenting (STEEP;
Erickson & Egeland, 2006; Kißgen & Suess, 2005; Ludwig-Körner &
Derksen)
basierend auf Bindungstheorie; insbesondere entwickelt
für die Beratung und Therapie von Familien mit
psychosozialen Belastungen (jugendliche Mütter,
Familien mit Frühgeborenen, Mütter mit postpartaler
Depression)
Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens und
flankierende Hilfen
- Langzeit-Intervention (aufsuchend, Gruppensitzungen,
Schwangerschaft bis zweites Lebensjahr, VideoFeedback: „Seeing is Believing“)
Evaluation
- Verbesserung feinfühligen Verhaltens bei Familien mit
psychosozialen Belastungen; positive Veränderungen
in der Bindung beim Kind nur in einer Studie
(Heinicke et al., 1998; 1999)
Child-Parent-Psychotherapy (CPP; Lieberman, Silverman &
Pawl, 2000; Lieberman, 2004)
basierend auf Bindungstheorie und Selma Fraibergs
Konzept der Säuglings-Eltern-Psychotherapie
(transgenerationale Vermittlung elterlicher unbewusster
beziehungsbezogener Gefühle von Furcht, Ärger)
Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens,
(entwicklungs-) angemessenen Reaktion auf kindliche
Bedürfnisse
- Exploration/Bearbeiten elterlicher Gefühle und
Erfahrungen aus der eigenen Kindheit („ghosts in the
nursery“) und Verknüpfung mit Fehlinterpretationen
kindlicher Signale
- Langzeit-Intervention (aufsuchend)
Evaluation
- Verbesserung der Beziehungsqualität, Rückgang von
psychiatrischen Symptomen bei Kindern und Müttern,
positivere Sicht des Kindes bei Müttern von
misshandelten Kindern, von unsicher gebundenen
Kindern, bei Müttern mit Gewalterfahrungen,
depressiven Müttern (Tosh et al., 2006; Cicchetti, Rogosch
& Toth, 2006; Lieberman, van Horn & Gosh Ippen, 2005;
Lieberman, Gosh Ippen & van Horn, 2006)
trauma-fokussierter Arm der CPP
Entwicklungspsychologische Beratung (EPB; Ziegenhain,
Fries, Bütow & Derksen, 2004)
basierend auf Bindungstheorie, Entwicklungsmodell nach
Als und Brazelton
Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens (Empathie,
Perspektivenübernahme)
Vermittlung von Ausdrucks-, Belastungs- und
Bewältigungsverhaltensweisen von Säuglingen und
Kleinkindern
- Kurzzeit-Intervention (aufsuchend, Video-Feedback
(„Sehen-Verstehen-Handeln“), ca. 6 -7 Termine)
- flexibel integrierbar in bestehende Hilfesysteme
Evaluation
- Verbesserung feinfühligen Verhaltens bei jugendlichen
Müttern (verglichen mit jugendlichen Müttern in
regulärer Jugendhilfe-Betreuung (TAU; Ziegenhain et al.,
2004; Ziegenhain, 2008)
„Es gibt keine großen Entdeckungen
und Fortschritte, solange es noch
ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
Albert Einstein
* 1889 Ulm
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie /
Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm
Steinhövelstraße 5
89075 Ulm
www.uniklinik-ulm.de/kjpp
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert
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