matinee klavier recital Piotr Anderszewski klavier 16. märz 2014 Klavierrecital Piotr Anderszewski klavier Johann Sebastian Bach 1685–1750 Ouvertüre nach Französischer Art BWV 831 I. Ouverture | II. Courante | III. Gavotte I/II | IV. Passepied I/II V. Sarabande | VI. Bourrée I/II | VII. Gigue | VIII. Echo Robert Schumann 1810–1856 Novellette fis-Moll op. 21/8 Sehr lebhaft – Trio I. Noch lebhafter – Wie früher – Trio II. Hell und lustig – Einfach und gesangvoll – Munter, nicht zu rasch – Nach und nach lebhafter Pa u s e Leoš Janáček 1854–1928 Auf verwachsenem Pfade (Po za rostlém chodníčku) Zweite Reihe I. Andante | II. Allegretto | III. Più mosso | IV. Allegro | V. Vivo Ludwig van Beethoven 1770–1827 Sonate für Klavier Nr. 31 As-Dur op. 110 I. Moderato cantabile molto espressivo | II. Allegro molto III. Adagio ma non troppo | IV. Fuga. Allegro ma non troppo Sonntag | 16. März 2014 | 11 Uhr | schiller theater (im Rahmen des Barenboim-Zyklus) Johann Sebastian Bach: »Französische Ouvertüre« Johanna Muschong Zweyter Theil der Clavier Ubung bestehend in einem Concerto nach Italiaenischen Gusto, und einer Ouverture nach Französischer Art, vor ein Clavicymbel mit zweyen Manualen. Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergötzung verfertiget von Johann Sebastian Bach. […] So lautet der Titel einer 1735 veröffentlichten Druckausgabe. Da sich der vorangegangene erste Teil, von Bach in den Jahren 1726 bis 1730 selbst herausgegeben, gut verkaufte und sich mit großer Wahrscheinlichkeit viele Gemüter daran ergötzten, war es nicht schwierig, für die Fortsetzung des ersten Teils einen Verleger zu finden (Christoph Weigel Junior). So viele »Liebhaber« fanden sich für die neue Folge jedoch nicht. Als ein möglicher Grund gilt die Ankündigung der Stücke als Komposi­tionen für ein zweimanualiges Instrument auf dem Titelblatt des Drucks von 1735 – allerdings sind zum Spielen der Kompositionen nicht zwingend zwei Manuale erforderlich. Als weiterer Grund für den geringen Absatz ist möglicherweise der Schwierigkeitsgrad anzusehen, der in einigen Sätzen deutlich höher einzustufen ist als im ersten Teil. Während der erste Teil der Clavier Übung sechs Partiten enthält, fällt der zweite Teil wesentlich schlanker aus. Darin enthalten sind die Ouvertüre nach Französischer Art BWV 831 sowie das Italienische Konzert BWV 971. Bach stellt hier die beide zu jener Zeit vorherrschenden Stile – nämlich italie‹‹‹ Johann Sebastian Bach, mutmaßliches Portrait, um 1730 bach nisches Concerto und französische Ouvertürensuite – neben- und gegen­ bach BWV 812–817 etabliert hatte. Neben der Fassung in h-Moll existiert eine einander. Dabei ist die Clavier Übung als Ganzes – anders als der Titel impli- frühe Version in c-Moll (BWV 831a), die in einer um 1730 angefertigten ziert – nicht in erster Linie als Etüden- oder Lehrwerk zu verstehen, sondern Abschrift Anna Magdalena Bachs erhalten ist. Bach transponierte diese für vielmehr als eine Auseinandersetzung des Komponisten mit verschiedenen die Drucklegung nach h-Moll, vermutlich um die in Teil I vorkommenden Formen und Kompositionsstilen sowie deren Aneignung, verbunden mit Tonarten (B-Dur, c-Moll, a-Moll, D-Dur, G-Dur, e-Moll) um zwei weitere einer gewissen Verinnerlichung und Ref lexion. Diese Formenvielfalt ist (h-Moll, F-Dur) zu ergänzen. So wurde der Fassung BWV 831 in h-Moll im gleichzeitig Anknüpfungspunkt zum ersten Teil, für den das »Prinzip der Gegensatz zu der Variante in c-Moll ein etwas düsterer Charakter eigen. Da Varietas« (Vielfalt) und die Ästhetik des sogenannten »vermischten das Italienische Konzert (F-Dur) und die Ouvertüre nach Französischer Art (h-Moll) Geschmacks« von großer Bedeutung sind. Dennoch ist die Vermischung der tonartlich in einem Tritonus-Intervall zueinander stehen, ergibt sich eine Stile im zweiten Teil nicht allzu ausgeprägt; so finden sich zum Beispiel gar sinnbildliche Trennung der beiden Stile, was wiederum die Annahme kaum italienische Stilmerkmale in der Französischen Ouvertüre. Die Satzfolge bestärkt, dass dies möglicherweise bewusst so konzipiert war. Neben der allerdings handhabt Bach wesentlich freier als in den Partiten des ersten Transposition der Ouvertüre von c-Moll nach h-Moll versetzte Bach für die Teils, womit dem Prinzip der Vielfalt Gestalt verliehen wird. Drucklegung den Klaviersatz in tiefere Lagen und verschärfte die punk- Der Aufbau des Werkes entspricht im Wesentlichen demjenigen einer tierten Rhythmen. Für den Bach- und Tastenmusikexperten Siegbert Rampe Orchestersuite in französischem Stil vom Beginn des 18. Jahrhunderts. weist Letzteres darauf hin, dass er sich zu dieser Zeit bereits am Œuvre des Besonderes Merkmal ist die Voranstellung einer Ouvertüre, wie sie in den französischen Barockkomponisten François Couperins orientierte, worauf französischen Ballettmusiken am Ende des 17. Jahrhunderts üblich war. auch die Verwendung des Charakterstücks Echo, das von französischen An die Ouvertüre schließt eine Courante an, auf die ein Gavotten- und ein Komponisten dieser Epoche häufig in Suiten eingesetzt wurde, hindeutet. Passepied-Paar folgt, eine Sarabande mit zwei nachstehenden BourréeSätzen, eine Gigue und schließlich ein Charakterstück (Echo), das hier als lebhafter Schlusssatz fungiert. Im Echo wird, wie es der Name schon andeutet, mit der »Nachahmung des Widerhalls« gespielt, der sowohl auskomponiert wird, als auch durch dynamische Abstufungen erreicht wird. Das Vorkommen von Charakterstücken (Airs) in Orchestersuiten war zu dieser Zeit geläufig, in Bachs Französischer Ouvertüre ist das Echo allerdings das einzige dieser Art, was in dem Zusammenhang nicht selten als »Konzession an die Klaviervariante« gewertet wird. Auffällig ist auch, dass die für gewöhnlich in Suiten am Anfang stehende Allemande fehlt an deren Stelle eine größer dimensionierte Ouvertüre gesetzt ist. Bach führt mit dem zweiten Teil der Clavier Übung jenen Stil fort, den er bereits in den vor den Partiten komponierten Französischen Suiten Der zweite Teil von Bachs »Clavier Übung« demonstriert die Auseinandersetzung des Komponisten mit verschiedenen Formen und Stilen. Robert Schumann: Novellette Nr. 8 Johanna Muschong Die Umstände der Jahre 1837 bis 1840 waren für den jungen Robert Schumann und seine Angebetete, die junge Pianistin Clara Wieck, äußerst schwierig. Der Vater von Clara wollte den Kontakt zwischen den jungen Liebenden nicht zulassen, schickte Clara sogar zeitweise zu einem befreundeten Ehepaar der Familie nach Dresden, um sie von Robert zu trennen. Nur unter schwierigen Bedingungen und durch geradezu konspirative Aktionen gelang es den beiden, sich über lange Zeiträume regelmäßig aber unbemerkt Briefe zukommen zu lassen. Am 6. Februar 1838 schrieb Robert an Clara: »Da habe ich Dir denn auch so entsetzlich viel componiert in den letzten drei Wochen – Spaßhaftes, Egmontgeschichten, Familienscenen mit Vätern, eine Hochzeit, kurz äußerst Liebenswürdiges – und das ganze Novelletten genannt, weil Du Clara heißest und Wiecketten nicht gut genug klingt«. Zum einen wird der Titel Novelletten auf die im Winter 1837/38 in Leipzig tätige Sängerin Clara Novello zurückgeführt, welche Schumann sehr bewunderte und sie ihn möglicherweise wegen des gleichen Vornamens und ihrer äußerlichen Erscheinung, die Robert als »interessant« beschrieb, an seine Clara erinnerte: »Sie heißt auch Clara und singt wahrhaftig herrlich […]«, schreibt er in einem Brief an Clara vom 8. November 1837. Ein Konzert im Leipziger Gewandhaus mit Mendelssohn und Clara ‹‹‹ Robert Schumann, Zeichnung von Josef Kriehuber, 1839 schumann Novello, bei dem Beethovens Musik zu Goethes Egmont aufgeführt wurde, blieb Schumann wohl in besonderer Erinnerung. Zum anderen wird der Titel als Anlehnung an die literarische Gattung der Novelle gesehen, was insofern logisch erscheint, als dass Schumann die Novelletten als »größere zusammenhängende abenteuerliche Geschichten« bezeichnet hat. Einige Leoš Janáček: »Auf verwachsenem Pfade« Detlef Giese Komponisten, sowohl Zeitgenossen Schumanns als auch Komponisten des 20. Jahrhunderts haben den Werktitel Novelletten aufgegriffen. Innerhalb der ersten Hälfte des Jahres 1838 komponierte Schumann ganze drei Klavierzyklen. Darunter die Novelletten op. 21, die Kinderszenen op. 15 und in den Frühlingsmonaten die Kreisleriana op. 16. Die Novelletten enthalten genau wie die Kreisleriana acht Einzelstücke bzw. Sätze, wobei Schumann darauf bedacht war, alle diese Stücke als eine große Einheit erschei- Der Klavierkomponist Janáček ist nicht allzu bekannt. Die Auf- nen zu lassen. Er hat sich jedoch nicht etwa gegen die Aufführung einzelner merksamkeit sowohl des Publikums als auch der Wissenschaft und Kritik Stücke aus dem Zyklus ausgesprochen. Eine Gesamtaufführung des Zyklus hat sich in erster Linie auf seine Opern gerichtet, daneben auch auf seine hat Schumann selbst nicht mehr erlebt und auch heute werden meist nur Orchestermusik oder auf große chorsinfonische Werke wie die Glagolitische einzelne Sätze gespielt. Die letzte der Novelletten, die Nr. 8 in fis-Moll, ist Messe. Beachtung fand auch seine späte Kammermusik, weit weniger jedoch nicht nur der längste Satz der Sammlung, sondern hinsichtlich der forma- seine Kompositionen für Klavier. Rein quantitativ ist sein Schaffen auf die- len Gestalt und der autobiographischen Einf lüsse auch als besonders inte- sem Gebiet nicht sonderlich umfangreich, in puncto künstlerischer Quali- ressant einzustufen. Dabei ist auffällig, dass Schumann an zwei Stellen auf tät sollte man es jedoch nicht unterschätzen. Die Klavierliteratur des Kompositionen von Clara Wieck verweist, von denen er ihr gegenüber 20. Jahrhunderts verdankt Janáček zweifellos einige der wohl originellsten äußerte, dass ihm diese von ihr »das Liebste« seien. Es verstecken sich darin Stücke und Zyklen. Zitate aus den Soirées musicales op. 6 von Clara Wieck: zum einen der Beginn Bereits 1880 hatte er mit den sogenannten Zdenka-Variationen (eine Anspie- des Notturno op. 6 Nr. 2, zum anderen eine Kantilene aus der Toccatina op. 6 lung auf den Vornamen seiner späteren Frau) ein erstes respektables Werk Nr. 1. geschrieben, das freilich noch kaum den spezifischen Ton seiner späteren So erscheint die letzte der Novelletten wie eine innige, jedoch subtile Liebes- Musik erkennen lässt. Erst zwei Dekaden darauf, kurz nach der Jahrhun- erklärung an Clara Wieck. Trotz dieser Hommage hat Schumann die Stücke dertwende, rückte das Klavier wieder in den Fokus des Komponisten. Zwi- jedoch letztlich nicht ihr, sondern einem anderen herausragenden Pianis- schen 1901 und 1912 entstanden drei hochbedeutsame Sammlungen: die ten jener Zeit gewidmet, nämlich Adolph Henselt, der sich damals ebenfalls zweisätzige (ursprünglich in drei Sätzen konzipierte) Sonate 1. X. 1905, in der in Leipzig aufhielt. Henselt war ein Schüler von Johann Nepomuk Hummel, Janáček den tragischen Ausgang einer Demonstration im heimischen Brünn welcher wiederum von keinem Geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart ref lektierte, der vierteilige Zyklus Im Nebel, eine Zusammenstellung von unterrichtet wurde. atmosphärisch dichten, impressionistisch anmutenden Stücken, sowie Auf janáČek verwachsenem Pfade, eine Kollektion von insgesamt 15 kurzen, sehr prägnant ausgestalteten Kompositionen, die im Bereich der Klaviermusik vielleicht am markantesten Janáčeks Ästhetik zur Erscheinung bringen. Der Klavierzyklus ist stark autobiographisch geprägt. Ausgangspunkt war der Tod seiner geliebten Tochter Olga, die 1903 im Alter von erst 21 Jahren verstarb. Als Trauerarbeit schrieb der tief deprimierte Vater eine Folge von fünf Stücken für Harmonium. Einige besonders wichtige Orte, die er gemeinsam mit seinem Kind besucht hatte, sollten hierbei imaginiert werden, u. a. auch einen von Gras überwachsenen Pfad, der dem Zyklus den Namen gab. Diese Kompositionen bearbeitete er für Klavier, fügte 1908 fünf weitere Stücke hinzu und veröffentlichte diese Sammlung dann drei Jahre später. Sämtliche der zehn Miniaturen tragen griffige programmatische Überschriften (u. a. »Unsere Abende«, »Ein verwehtes Blatt«, »Sie schwatzten wie die Schwalben«, »In Tränen« oder »Das Käuzchen schreit noch«), die sehr genau und anschaulich auf die jeweils vorherrschende expressive Tönung der Musik verweisen. Fünf weitere Stücke komponierte Janáček ebenfalls bis 1908. Sie fanden jedoch keine Aufnahme in den Zyklus, sondern wurden erst posthum (1942) als »Zweite Reihe« der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Gegensatz zu der ersten Serie verzichtete der Komponist auf sprechende Titel – allein mit allgemein üblichen italienischen Tempo- und Charakterbezeichnungen sind die Stücke überschrieben. Allzu konkrete außermusikalische Deutungen, wie sie im ersten Teil von Auf verwachsenem Pfade nahe liegen, scheinen sich auf diese Weise zu verbieten, auch wenn die Musik z. T. ähnliche Stimmungen evoziert und stilistisch durchaus ähnlich gelagert ist. Der für Janáček typische Tonfall zeigt sich in sämtlichen Stücken der zweiten Serie. Wie in seinen reifen Opernwerken sowie in seiner Kammermusik arbeitet er auch hier mit knapp umrissenen Motiven, die nicht selten einen deutlich spürbaren folkloristischen Einschlag besitzen, ohne jedoch authentische Volksmusik zu zitieren. Hinsichtlich der Klangfarben breitet ‹‹‹ Leoš Janáček, Foto: Karel Pokorný janáČek Janáček ein erstaunlich breites Spektrum vor dem Hörer aus – obwohl er sich nicht als Klaviervirtuose verstand und profilierte, stellt er doch seine barenboim-Zyklus Vertrautheit mit den klanglichen wie spieltechnischen Mitteln und Möglichkeiten des Klaviers unter Beweis. Der fünfteilige Zyklus ist zudem im Sinne einer Steigerungsdramaturgie angelegt. Sukzessive nimmt die Bewe- Daniel Barenboim gungsintensität zu, und auch die Harmonik wird immer kühner: Dass der Klavier dieser fünf Stücke, die bislang leider nicht sonderlich bekannt geworden Tibor Reman Komponist Janáček durchaus experimentell veranlagt war, kann anhand sind, bestens studiert werden. klarinette Julia Deyneka Viola Robert Schumann Fantasiestücke op. 73 | Märchenbilder op. 113 Märchenerzählungen op. 132 György Kurtág Hommage à Robert Schumann op. 15 Johannes Brahms Sonate für Viola und Klavier f-Moll op. 120/1 So 30. März 2014 | 11 Uhr | schiller theater Karten 53 | 45 | 37 | 27 | 15 € Tickets 030 - 20 35 45 55 | www.staatsoper-berlin.de Die Klavierliteratur des 20. Jahrhunderts verdankt Janáček einige der wohl originellsten Stücke und Zyklen. Ludwig van Beethoven: Klaviersonate As-Dur op. 110 Detlef Giese An außergewöhnlichen Werken innerhalb von Beethovens Œuvre herrscht beileibe kein Mangel. Immer wieder, in unterschiedlichen musikalischen Gattungen, hat er neue Wege beschritten – oftmals mit sehr überraschenden kompositorischen Lösungen. Großes Interesse hat stets Beethovens »Spätwerk« hervorgerufen, das so seltsam zwischen den Epochen steht, indem es den – wesentlich von Haydn, Mozart und Beethoven selbst entwickelten – »klassischen Stil« nach und nach hinter sich ließ und der nachfolgenden »romantischen Generation« um Mendelssohn, Schumann und Chopin sowie Liszt und Wagner hinreichend Anknüpfungsmöglichkeiten bot – im Blick auf bestimmte formale Gestaltungsstrategien ebenso wie auf den Umgang mit den Momenten von Ausdruck und Konstruktion. Beethoven hat vier Klaviersonaten komponiert, die dem besagten »Spätwerk« im eigentlichen Sinne zuzurechnen sind: die 1817/18 entstandene Große Sonate für das Hammerklavier B-Dur op. 106 sowie die Sonatentrias E-Dur, As-Dur und c-Moll op. 109 bis op. 111, komponiert in den Jahren 1820 bis 1822. In allen diesen Kompositionen, die gewiss zum Erstaunlichsten gehören, was Beethoven überhaupt geschrieben hat, manifestiert sich ein ‹‹‹ Ludwig van Beethoven, Zeichnung von Carl Friedrich August von Kloeber beethoven beethoven im Vergleich zu seinem bisherigen Schaffens auf ein höheres Ref lexions­ gisch verfolgter Modulationsplan sowie ein Streben nach formaler Balance niveau gehobenes musikalisches Denken, das mitunter verschlungene sind nur einige Punkte, die Beethovens »Sonatendenken« auch in diesem Wege ging. Große Originalität ist diesen Sonaten ganz sicher eigen, basie- Fall auszeichnen und auf eine neue Höhe bringen. rend auf einer detaillierten Kenntnis der Musikgeschichte, die es Beethoven Als zweiten Satzes bringt Beethoven ein schnelles, fast f lüchtiges Scherzo, ermöglichte, mit der Tradition produktiv umzugehen. dem wesentlich die Funktion zukommt, eine Bindung bzw. Überleitung zu Man kann Beethoven gewiss attestieren, in seinen späten Klaviersonaten einer größeren langsamen Szene herzustellen. In der Sonate op. 110 handelt bewusst experimentelle Ansätze verfolgt zu haben. Wirklich lehrbuchartig, es sich um ein Adagio, der die Atmosphäre einer Trauermusik heraufbe- »akademisch«, ist hier nichts mehr, stattdessen schien sein Komponieren schwört. So entwickelt sich ein melodisches Geschehen, das in der Tat dem von einem regelrechten Innovationsgeist befeuert worden zu sein. Die Ton und Charakter der Bach’schen Passionen verpf lichtet zu sein scheint. Werke offenbaren dies: Sie sind – vollständig oder zumindest in vielen ihrer Noch eigentümlicher sind indes die Stellen, an denen Beethoven ohne jeg­ Teile – hochgradig avancierte, immens vielschichtige musikalische Gebilde liche Taktbindung und mit äußerst differenzierten Vortragsangaben rezita- von besonderem ästhetischen Reiz und gesteigertem spielpraktischen tivische Partien, in denen das Klavier gleichsam zu sprechen beginnt. Eine Anspruch. Die bewährte Sonatenform ist in ihnen kaum mehr zu finden, derartige Intensität des Rhetorischen hat Beethoven ansonsten wohl nur dafür jedoch wiederholte Rückgriffe auf vorklassische Verfahren. Der Ein- noch in seinen späten Streichquartetten erreicht. bezug von polyphonen Techniken, die aus der intensiven Beschäftigung mit Unmittelbar aus dem Adagio-Abschnitt hervor geht eine ausgedehnte, recht dem barocken Kontrapunkt heraus erwachsen ist, gehört ebenso dazu wie streng gehaltene Fuge. Das eingängige Hauptthema wirkt mit seinen ver- der Aufbau von großdimensionierten, überaus komplexen Variationssät- gleichsweise langen Notenwerten, die Raum für figuratives Spiel lassen, wie zen. Zudem kennzeichnen rezitativische Passagen und eine Zunahme an ein archaisierendes Element – zumal Beethoven im ersten Fugenteil eine Ornamentik den Spätstil Beethovens in besonderem Maße. geradezu »altmeisterliche« kontrapunktische Arbeit an den Tag legt. Erst in Dass es Beethoven aber auch durchaus möglich war, in seinen späten Wer- einem zweiten Block, der nach einem neuerlichen Erscheinen des Adagio ken klassische Formprinzipien und avancierte Gestaltungsideen miteinan- mit der Umkehrung des Themas beginnt, wird der Tonsatz nach und nach der in Einklang zu bringen, beweist in überzeugender Weise die Klavier­ mit kleingliederigen Figuren angereichert. In der großangelegten Schluss- sonate As-Dur op. 110. Ausgesprochen schlicht setzt das Hauptthema des steigerung kommen schließlich auch Passagen zu ihrem Recht, die ganz ersten Satzes ein. Zwar erweist sich auch hier Beethovens Meisterschaft in offensichtlich ins Virtuose ausgreifen: Ein rauschender Ausklang für ein der sensiblen Ausarbeitung des Tonsatzes, von ebenso entscheidender vielschich­tiges, gestalterisch ungemein reichhaltiges Werk. Bedeutung ist aber sein ungebrochenes Vermögen, die althergebrachte Sonatenform mit Leben zu füllen. Eine ganze Reihe von Praktiken, die Beethoven im Laufe seiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Sonate erprobt hatte, sind in den Eröffnungssatz von op. 110 eingef lossen: Die Arbeit mit Themenund Motivpartikel, die abgespalten und neu montiert werden, ein strate- piotr Anderszewski Piotr Anderszewski gehört zu den prominentesten Pianisten seiner Generation und ist in allen großen Konzertsälen dieser Welt regelmäßig zu Gast, ob in Recitals oder als Solist mit Orchester, u. a. mit den Berliner Philharmonikern, den Symphony Orchestras von Boston, Chicago und London, dem Philadelphia Orchestra und dem Königlichen Concert­ gebouworkest Amsterdam oder als »Play-Lead« u. a. mit dem Scottish Chamber Orchestra und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. In der Saison 2013/14 konzertiert er als Solist u. a. mit dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Orchestre de Paris und dem Philharmonia Orchestra. Mit dem Scottish Chamber Orchestra geht er auf Tournee nach Schottland und Europa mit einem vom Klavier aus dirigierten Programm. Zu seinen Auftritten zählen auch Recitals in der Londoner Wigmore Hall, der Alten Oper in Frankfurt und dem Schiller Theater in Berlin sowie Kammermusikabende mit ständigen künstlerischen Partnern wie Nikolaj Znaider und dem Belcea Quartet. Seit dem Jahr 2000 hat Piotr Anderszewski einen Exklusivvertrag bei Virgin Classics und seitdem eine beeindruckende Reihe von CDs eingespielt, allesamt vielfach ausgezeichnet: Beethovens Diabelli-Variationen, die den Choc du Monde de la Musique sowie den ECHO Klassik erhielt; die Grammy-Award-nominierten Bach-Partiten 1, 3 und 6; eine hoch gelobte Aufnahme der Werken von Chopin sowie eine Aufnahme mit Werken seines Landmannes Karol Szymanowski, die 2006 mit dem Classic FM Grammophone Award als beste Instrumental-CD ausgezeichnet wurde. Seine jüngste Aufnahme mit Solo-Werken von Robert Schumann erhielt 2011 den ECHO Klassik und 2012 zwei BBC Music Magazine Awards, darunter den der »Einspielung des Jahres«. Piotr Anderszewski, bekannt für die Intensität und Originalität seiner Interpretationen, wurde im Laufe seiner Karriere mit mehreren hochkarätigen Auszeichnungen geehrt, zu denen auch der prestigeträchtige Gilmore Award zählt, der alle vier Jahre einem Pianisten von außer­ gewöhnlichem Talent verliehen wird. piotr Anderszewski impressum Der Regisseur Bruno Monsaingeon drehte für ARTE sogar zwei preisgekrönte Dokumentarfilme über ihn. Der erste, Piotr Anderszewski spielt die Diabelli-Variationen (2001) beleuchtet Anderszewskis besondere Beziehung zu Beethovens op. 120, während der zweite, Piotr Anderszewski, Reisender ohne Ruhe (2008), ein ungewöhnliches Künstlerporträt ist und Anderszewskis Gedanken über die Musik, die Konzerttätigkeit und seine polnisch-ungarischen Wurzeln wiedergibt. Ein dritter Film von Monsaingeon, Anderszewski spielt Schumann entstand im Auftrag des polnischen Fernsehens und wurde erstmals 2010 ausgestrahlt. Zu Anderszewskis jüngsten Projekten im Bereich der Kammermusik zählen Auftritte mit dem Belcea Quartet und dem Geiger Frank Peter Zimmermann. Er trat außerdem als Kurator und Interpret in einer Reihe von Festivals in Erscheinung, die der Musik Szymanowskis gewidmet waren; hervorzuheben sind dabei vor allem diejenigen in der New Yorker Carnegie Hall und in der Londoner Wigmore Hall. Herausgeber Staatsoper Unter den Linden | Bismarckstraße 110 | 10625 Berlin Intendant Jürgen Flimm Generalmusikdirektor Daniel Barenboim Geschäftsführender direktor Ronny Unganz Redaktion Dr. Detlef Giese Der Einführungstexte von Johanna Muschong und Detlef Giese sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Abbildungen Bach-Porträt: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/... (11.03.2014); Jaroslav Šeda: Leoš Janáček, Prag 1954; Georg Eismann: Robert Schumann, Leipzig 1971; H. C. Robbins Landon: Beethoven, Zürich 1970. Foto K. Miura (Piotr Anderszewski) layout Dieter Thomas Herstellung Druckerei Gedruckt auf LuxoArt Samtoffset, FSC-zertifiziertes Papier (FSC = Forest Stewardship Council), welches die Richtlinien des FSC nach weltweit gültigen Chain-of-Custody-Standard (CoC/Produktkette) für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Waldbewirtschaftung nach ökologischen, sozialen und ökonomischen Standards erfüllt.