Fürsorglicher Zwang – eine ethische Herausforderung in

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03/2012 soziale psychiatrie
e t h i k & p syc h i at r i e
Fürsorglicher Zwang – eine ethische
Herausforderung in der psychiatrischen Praxis
Freiheitsentziehung und Zwangsbehandlung vor dem Hintergrund
der UN-Behindertenrechtskonvention Vo n M i c h a e l Wu n d e r
Ich glaube nicht
an die Unvollkommenen
die glauben
dass sie das Unvollkommene
vollkommen machen können
für sich
und für die
deren Lehrer sie werden wollen
Aber wenn ich dann andere
Unvollkommene sehe
die nicht glauben
dass man das Unvollkommene
vollkommen machen kann
und die deshalb glauben
dass sie sich die Mühe
sparen können
es zu versuchen
dann beginne ich wieder zu glauben
an die Unvollkommenen
die glauben
dass sich die Mühe
immer noch
lohnen kann
Erich Fried
– der Respekt vor der Würde und individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit,
selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen;
– die Nichtdiskriminierung;
– die volle und effektive Teilhabe und Inklusion und in die Gesellschaft;
– die Achtung vor der Differenz und die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung
als Teil der menschlichen Verschiedenheit;
– die Chancengleichheit;
– die Barrierefreiheit;
– die Gleichheit zwischen Männern und
Frauen;
– der Respekt vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderung.
Die wesentlichen Stichworte für die Debatte
sind somit: Menschenwürde, Selbstbestimmung, Respekt, Achtung, Inklusion und Ak-
le« Welt, oder um Habilitation und Sicherung von Inklusion, also um Stärkung des
Anderen und Zusicherung seiner Zugehörigkeit? Wie gehen wir mit Gleichheit um, wie
mit Differenz? Wo endet die Freiheit des Anderen, wo beginnt unser Zwang? Wie kann
Freiheitsentzug gerechtfertigt werden?
Zur Vorenthaltung der Selbstbestimmung
Am Anfang dieser wie fast aller anderen sozialkritischen und politischen Diskussionen
steht das Menschenwürdepostulat. Die Menschenwürde gilt universell für alle Menschen und ist unabhängig von deren Leistung, dem Gesundheitszustand, der Kommunikationsfähigkeit, dem Grad der Hilfebedürftigkeit oder dem Alter. Die Menschenwürde sichert dem Einzelnen das GrundFoto: ergo direkt
Die Unvollkommenen
E
rich Fried sagt uns, dass es keine endgültigen, sondern nur unvollkommene Aussagen gibt, was auf jeden Fall für das Thema
des Zwangs und der Fürsorge gilt, und dass
es die Mühe lohnt, genau zu sein und zu versuchen, der Wahrheit und den Notwendigkeiten so nah wie möglich zu kommen. Auch
das trifft auf das Thema Zwang und Fürsorge
zu, zumindest sollte es das.
Was ist der Ausgangspunkt für die heutige
Debatte um Zwang in Gestalt von Freiheitsentzug in der Psychiatrie nach zwanzig Jahren Sozialpsychiatrie?
Ich meine, dass hierfür die UN-Konvention
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einschlägig ist und herangezogen
werden kann. Freiheitsentziehung bedeutet
Vorenthaltung von Selbstbestimmung und
Ausschluss, also die Vorenthaltung von Inklusion – beides Rechte, zu denen die Konvention wichtige Aussagen macht.
In Artikel 3 der Konvention werden die wesentlichen ethischen und rechtlichen Prinzipien für den Umgang der Gesellschaft mit
Menschen mit Behinderung benannt, die
Selbstbestimmung und Inklusion in einen
Gesamtzusammenhang stellen:
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recht auf Selbstbestimmung zu, das aber
zeptanz der menschlichen Verschiedenheit.
Die daran anschließenden Fragen der nicht uneingeschränkt ist, sondern da seine
Ethik könnte man folgendermaßen fassen: Grenze hat, wo die Grundrechte anderer verWie gehen wir mit dem Anderen um? Wol- letzt werden.
Die Hochrangigkeit des Selbstbestimlen wir ihn verändern? Dürfen wir das überhaupt? Oder können und sollten wir seine mungsrechts wird dadurch deutlich, dass es
Entwicklung begleiten? (Das ist die alte Fra- in unserem Grundgesetz nach der Menge von emendierender Therapie versus ak- schenwürde gleich als erstes Grundrecht in
zeptierender Unterstützung des eigenen We- Artikel 2 genannt wird und seine mögliche
Einschränkung deshalb jeges.) Geht es um Rehabilitati»Wo endet die Freiheit
weils sehr genau und überon und Integration, also um
ein Zurückholen oder He- des Anderen, wo beginnt prüfbar begründet werden
unser Zwang?«
muss.
reinholen in unsere »norma-
soziale psychiatrie 03/2012
und selbstbestimmt einschätzen, sind dies
alles Fragen von großer Bedeutung.
Die Implikationen dieses Integrationsunternehmens liegen auf der Hand:
– Anpassung an die Durchschnittsnorm –
das Integrationskonzept geht von einer Art
»Leitkultur« aus –,
– Integrationsmöglichkeiten hängen vom
Grad der Integrationsfähigkeit des Betroffenen ab (Readiness-Modell), und
– Schaffung von zwei Gruppen: die Integrierer und die zu Integrierenden.
Das Integrationsmodell schafft letztlich zwei
Gruppen und damit genau das, was es überwinden will. Es ist aber natürlich mit Maßnahmen wie Freiheitsentzug bei Desintegration oder Rehabilitation zur Wiedereingliederung leichter in Übereinstimmung zu bekommen als das sperrigere Inklusionskonzept.
Inklusion bedeutet die vorbehaltlose und
nicht weiter an Bedingungen geknüpfte Einbezogenheit und Zugehörigkeit. Der Grundgedanke ist die Vorstellung einer Gemeinschaft aller in einer Region oder in einer Lokalität, die innerlich differenziert und vielgliedrig ist, sich durch ihre »diversity« auszeichnet.
Den Ursprung dieses Diversitätskonzepts
kann man historisch in Adornos Reflexionen
über Auschwitz verorten, wo er das »Mitei-
Foto: Wolfgang Schmidt
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Was bedeutet Selbstbestimmung in unserem Kontext? Wir können von Selbstbestimmung oder von selbstbestimmten Aktivitäten eines Menschen sprechen, wenn mindestens diese drei Anforderungen erfüllt
sind:
– anders können,
– Gründe haben,
– die eigene Urheberschaft anerkennen.
Man kann auch ein Stück weitergehen und
zur Voraussetzung von Selbstbestimmung
noch die Abschätzung der Folgen und damit
die Verantwortung und die Verantwortlichkeit einer Entscheidung zählen. In gewisser
Weise wird dem jeder zustimmen, weil die
Folgen der eigenen Entscheidung abgeschätzt werden müssen, wenn wir von einer
selbstbestimmten Aktivität sprechen. Nur ist
es ein Unterschied, ob dies im Nahbereich
geschieht, es also um Folgen geht, die in einem Vorteil für mich bestehen oder in meinem Wohlsein, oder in einem mittleren Bereich, wo es um die Folgen für mich und
mein Umfeld geht, oder um den Fernbereich,
d.h. die Folgen für die Gesellschaft. Bezogen
auf psychisch erkrankte Menschen, denen
wir möglicherweise die Freiheit entziehen,
weil wir ihre Handlungen nicht mehr als frei
Zur Vorenthaltung von Inklusion
Zunächst zum Begriffspaar Integration/Inklusion – hineingenommen werden oder dazugehören? Der Streit um die korrekte Übersetzung der in Englisch abgefassten UN-Konvention, in der stets von »inclusion« die Rede
ist, was in der offiziellen deutschen Version
aber immer mit Integration übersetzt wird,
hat einen ernsthaften Hintergrund.
Integration ist die aktive Einbeziehung
von Menschen mit Behinderung in gesellschaftliche Prozesse. »Komm zu uns herüber« ist die Grundhaltung, also nichts
Schlechtes, aber eben auch nur der Ausdruck
einer bestimmten gesellschaftlichen Situation und ein wichtiger Epochenschritt im Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung. Integration basiert auf Normalisierung: Für
Menschen mit Behinderung, mit psychischen Erkrankungen oder mit anderen
Abweichungen sollen normale – im Sinne
des gesellschaftlichen Durchschnitts –
Wohn–, Arbeits– und Bildungsbedingungen
geschaffen werden.
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Foto: Martin Osinski
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nander des Verschiedenen« als Leitprinzip
einer freien Gesellschaft formuliert hat und
vor der Betonung der Gleichheit der Menschen, außer der vor dem Gesetz, gewarnt
hat, weil dieser immer ein unterschwelliger
Totalitätsgedanke innewohnt.
In der Diskussion um die Akzeptanz dieser
Verschiedenheit geht es immer um die Achtung des Anderen in seinem Sosein, psychiatrisch ausgedrückt: um das Erkennen und
die Achtung der Primärpersönlichkeit auch
schwer gestörter psychisch kranker Personen, oder allgemeiner ausgedrückt: um das
Willkommensein all dieser vielen Anderen.
Freiheitsentziehende Maßnahmen können vor diesem Hintergrund die Grundrechte auf Teilhabe und Inklusion nur unter
strengen Maßstäben, vorübergehend und
mit dem Ziel der alsbaldigen Wiederteilhabe
und Inklusion, einschränken.
Legitimationsbedingungen für
freiheitsentziehende Maßnahmen
Kommen wir zu den Kernaussagen der Konvention, zum Komplex Zwang und Freiheitsentziehung in Artikel 12. Dort gibt es die zentrale Aussage, dass jeder Mensch mit Behinderung (einschließlich psychischen Schwierigkeiten) eine »legal capacity« hat, also volle
Rechts- und Handlungsfähigkeit. Dies bedeutet nach herrschender Meinung: Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit und Verantwortlichkeit für das eigene Handeln.
Nach Artikel 14 unterliegen Menschen mit Schaden bewahrt wird. Insofern findet sich
Behinderungen im Falle des Freiheitsentzu- in der gängigen rechtsethischen Begrünges den gleichen Verfahrensregeln und dem dung auch ein Finalbezug: Ziel der therapeugleichberechtigten Anspruch auf Behand- tischen Maßnahmen ist die Wiedergewinlung durch staatliche Organe wie alle ande- nung der abhandengekommenen Freiheit.
ren Mitglieder der Gesellschaft. Das VorlieGegen dieses Konstrukt lässt sich einwengen einer Behinderung oder psychischen Er- den, dass sich Repressions- und Schutzhankrankung rechtfertigt in keinem Fall eine deln nicht klar voneinander trennen lassen.
Freiheitsentziehung.
Der Ausgangspunkt der rechtsethischen
Diesem Gleichbehandlungsgrundsatz steht Überlegung zur Legitimation der Freiheitsdie gängige ethische und rechtsphilosophi- entziehung ist der mutmaßliche gesunde
sche Begründung von ZwangsWille, der anders will, der aber
»Das Vorliegen einer
maßnahmen im deutschspraderzeit krankheitshalber verchigen Raum entgegen. Psy- Behinderung oder psy- deckt ist. Wer aber so arguchische Erkrankung führt, so
mentiert, muss sich sicher
chischen Erkrankung
die gängige Begründung, zum
sein, was eine krankheitshalrechtfertigt in keinem
Verlust der Fähigkeit, freie,
ber bestehende Verdeckung
Fall eine Freiheitsselbstbestimmte und veranteines an sich gesunden Wilentziehung«
wortliche Entscheidungen zu
lens ist und ob nicht vielleicht
treffen. Mit anderen Worten: Psychische Er- in dem als Krankheit beurteilten Zustand ein
krankung kann zum Verlust der Selbstbe- anderer, neuer, ebenfalls mit dem Anspruch
stimmungsfähigkeit führen. Die Freiheits- auf Authentizität bestehender Wille ententziehung erfolgt dann aus Fürsorge auf- standen ist.
grund des so verstandenen FreiheitsverlusMan kann es vereinfacht so zusammentes. Die Freiheitsentziehung wird also kausal fassen: Die UN-Konvention verlangt zur Lebegründet aus der psychischen Erkrankung, gitimation von selbstbestimmungs- und inaber es wird auch betont, dass nicht ein Frei- klusionsvorenthaltenden Zwangsmaßnaher seiner Freiheit und seiner Selbstbestim- men ein finales Denken, d.h., jegliche freimung beraubt wird, sondern ein Unfreier vor heitsentziehende Maßnahme der Institutio-
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nen des Staates oder des professionellen Personals muss sich auf tatsächliche und nachweisliche Verhaltensweisen und die daraus
resultierenden Konsequenzen beziehen. Die
Konvention lehnt ein kausales Denken ab,
das Handlungen, die Zwang für den Betroffenen bedeuten, mit der Gefährdung begründet, die als Folge der Erkrankung und Behinderung eintreten könnte oder als solche gewertet wird.
Konsequenzen für die
Zwangsunterbringung
Nimmt man diese Grundsätze als Basis für
Aussagen zur Zwangsunterbringung und
Zwangsbehandlung, so kommt man zu folgendem Ergebnis:
Unterbringungen nach Psychisch-Kranken-Gesetzen (PsychKG) der Länder oder gemäß Betreuungsrecht – § 1906 Abs. 1 Satz 1
BGB – sind im Einklang mit der UN-Konvention, sofern sie ausschließlich final mit der
tatsächlichen Selbst- oder Fremdgefährdung
begründet sind und nicht kausal mit der Behinderung oder Erkrankung. Unterbringungsbegründungen wie Selbstgefährdung,
die anders nicht abgewendet werden kann,
oder Verlust der Eigensorge sind mit der UN-
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mit dem therapeutischen Postulat wegdiskutieren. Zwangsmaßnahmen enthalten beides, was offen angesprochen werden sollte.
3. Hohe rechtliche Hürden aufbauen
Bei der Begründung für eine freiheitsentziehende Maßnahme ist das Finalprinzip statt
des Kausalprinzips einzuhalten. Zwangsunterbringung darf nicht mit der Behinderung
oder psychischen Erkrankung begründet
werden, sondern aufgrund des Gleichbehandlungspostulats nur mit der jeweils konkreten und nicht anders abwendbaren Gefährdung einer Grundrechtsverletzung. Die
Unterbringung zur Heilbehandlung muss
aber als strenge Ausnahme im kausalen Sinne möglich sein.
4. Menschenwürde und Autonomieanspruch
sind auch im Rahmen einer Zwangsmaßnahme zu gewährleisten
Hierfür steht nicht zuletzt die Praxis im
Wohnheim Freiberg der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart*. Ganz allgemein gehören
hierzu die strenge zeitliche Limitierung des
Freiheitsentzuges, früh einsetzende freiheitsübende Maßnahmen und die Handlungsfreiheit für die Verantwortlichen vor Ort bei
regelmäßiger gerichtlicher Kontrolle. ■
Dr. phil. Michael Wunder, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, ist Leiter des Beratungszentrums der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg; Leiter eines Entwicklungshilfeprojektes der Behindertenhilfe und Psychiatrie in Rumänien; Autor zahlreicher Beiträge zur Medizin im Nationalsozialismus,
Behindertenhilfe, Biomedizin und Bioethik; Mitglied der
Enquetekommission »Ethik und Recht der modernen
Medizin« in der 14. und 15. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag; Mitglied des Deutschen Ethikrates.
Der Artikel ist die bearbeitete Fassung seines in der Ev.
Akademie Stuttgart gehaltenen Vortrags am 9. September 2011 unter dem Titel »Fürsorglicher Zwang – eine
ethische Herausforderung in der diakonischen Praxis«.
Korrespondenzadresse: Evangelische Stiftung Alsterdorf,
Beratungszentrum Alsterdorf, Paul-Stritter-Weg 7, 22297
Hamburg; Tel.: (0 40) 50 77 35 66; Fax: (0 40) 50 77 37 77;
E-Mail: [email protected]
* Internet:
www.eva-stuttgart.de/wohnheim-freiberg.html
Foto: Ritze, pixelio
Konvention vereinbar. Gründe wie ausge- mittlerweile als Konsens gelten, dass Suizidprägter Rückzug, Verfolgungszustände oder handlungen, die freiverantwortlich (d.h. ohne
Gefahr der Chronifizierung (bei Ersterkran- fremde Beeinflussung, ohne psychische Bekung) sind mit der Konvention unvereinbar.
einträchtigung und für Dritte nachvollziehIch weiß, dass gerade Letzteres für Psycho- bar) durchgeführt worden sind, die nachtherapeuten und Psychiater und andere trägliche Rettungspflicht der Personen in
Menschen, die sich mit der
Garantenstellung und die Hilfe»UnterbringungsPsychiatrie beschäftigen, fast
verpflichtung anderer Personen
begründungen wie
unannehmbar erscheint. Und
einschränken. Hier wird also
Selbstgefährdung,
dennoch, meine ich, ist dieser
eindeutig eine Bewertung des
Gedanke zielführend, weil er die anders nicht abge- Willens vor dem Hintergrund
das Heilen und den Heilungs- wendet werden kann, krank – gesund vorgenommen.
gedanken auf ein bescheide- oder Verlust der EigenDes Weiteren kann aber auch
nes Maß zurückschraubt und
als Common Sense gelten, dass
sorge sind mit der
unsere Position dem anderen
bei Personen, die unter dem
UN-Konvention
gegenüber deutlich infrage
krankhaften Einfluss einer Devereinbar«
stellt: Wie weit können wir
pression eine Suizidhandlung
tatsächlich gehen? Wieweit wissen wir, ob begangen haben, auf jeden Fall die Lebensunsere fürsorglichen Zwangsmaßnahmen rettungspflicht der Garanten und die Hilfetatsächlich erfolgreich sind und tatsächlich verpflichtung anderer Personen in Kraft tritt,
der Wiedererlangung einer Freiheit dienen? mit der Begründung, dass der Wille krankOder ob sie nicht zu einer ständigen Abhän- haft beeinflusst war, also nicht authentisch
gigkeit von Freiheitsentzug, zu Entmündi- war und nicht den Kriterien der Selbstbegung und dauerhafter Abhängigkeit von Be- stimmung entspricht.
handlung führen?
Im Falle der Suizidprophylaxe bzw. der Lebensrettungsverpflichtung kommt es also
nicht auf die finalen Folgen der Handlung
Konsequenzen für die Zwangsbehandlung
an, sondern auf die jeweiligen kausalen MoZwangsbehandlungen der Anlasserkran- tive und Hintergründe des Willens und die
kung nach den PychKGs der Länder oder Bewertung seiner Freiverantwortlichkeit
§ 1906 Abs. 1 Satz 2 BGB, die mit einem für bzw. krankhaften Beeinflussung. Eine
nicht authentisch gehaltenen oder krank- Grundrechtskollision liegt in beiden Fällen
haft beeinflussten und deshalb nicht ernst- vor; ihre Gewichtung hängt von der jeweilihaft zu beachtenden Willen begründet gen Bewertung des Willens ab. Das Dilemma
werden, stehen nicht im Einklang mit der ist offensichtlich, weil eine rein finale BeUN-Konvention.
gründung zu ethisch nicht vertretbaren
Die paternalistische Position, dass Men- Handlungen führen würde, wenn es sich um
schen zu ihrem eigenen Vorteil auch gegen lebensrettende Maßnahmen handelt.
ihren Willen behandelt werden müssen, ist
mit der UN-Konvention nicht vereinbar. Dagegen wird eine Autonomie-Position einge- Fazit
nommen, die folgendermaßen formuliert Ich komme zur Schlussfolgerung für den gewerden könnte: Menschen dürfen nur frei- meindepsychiatrischen Alltag und die Frage
willig behandelt werden, weil auch nur dann des Zwangs:
eine Behandlung tatsächlich wirksam ist. 1. Verhinderung und Reduzierung von
Verweigern sie eine Behandlung, auch wenn
Zwangsmaßnahmen
der Grund dafür in einer Beeinflussung auf- Vor dem Hintergrund der Prinzipien der UNgrund psychischer Beeinträchtigung liegt, Konvention heißt dies:
dürfen sie dennoch nicht zwangsweise be- – Reorganisation sozialpsychiatrischer Netzhandelt werden. Zu prüfen ist hier, ob diese
werkarbeit in den Regionen, wo diese
Auseinandersetzung nicht zugunsten der
durch Sparmaßnahmen und AdministratiAutonomie-Position aufgelöst werden kann,
on in den letzten Jahren abgebaut wurden;
weil diese die jeweiligen Systeme zwingen – Programme zur Gewaltprophylaxe in den
würde, um die freiwillige Einwilligung der
Einrichtungen und Diensten, Programme
Betroffenen zu ringen.
zur Reduzierung von Fixierungen;
Die Forderung der UN-Konvention, dass – Schulung in Deeskalierungsstrategien in
der freie Wille eines Menschen mit BehindeHeimen und Psychiatrie;
rung oder psychischer Erkrankung in jedem – Dokumentationssysteme.
Falle vollzogen werden muss, es sei denn, die 2. Ehrlichkeit und Transparenz
Handlung führt final zur Selbst- oder Fremd- Wir müssen ehrlich sein mit uns selbst, aber
schädigung, ist in dieser Konsequenz aber vor allem in der Öffentlichkeit und den
nicht durchzuhalten. Dies zeigt sich am Bei- Klienten gegenüber. Der Widerspruch zwispiel des Umgangs mit Suizidenten. Es kann schen Repression und Schutz lässt sich nicht
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