709_761_BIOsp_0709.qxd 734 30.10.2009 9:58 Uhr Seite 734 W I S S E N SCH AFT Y-Rezeptoren Neuropeptid Y – Grundlagen der Wirkstoffentwicklung KARIN MÖRL, JAN STICHEL, ANNETTE BECK-SICKINGER INSTITUT FÜR BIOCHEMIE, UNIVERSITÄT LEIPZIG Das im Nervensystem exprimierte Neuropeptid Y und seine Rezeptoren finden aufgrund ihrer regulatorischen Rolle bei vielen physiologischen und pathophysiologischen Prozessen große Aufmerksamkeit in der therapeutischen Wirkstoffentwicklung. NPY and its receptors are involved in multiple (patho-)pysiological processes, featuring attractive targets for therapeutic purposes. ó Neuropeptid Y (NPY) kommt im menschlichen Körper im zentralen und peripheren Nervensystem weit verbreitet, in reichlichen Mengen vor. Das 36 Aminosäuren lange, Cterminal amidierte Peptid vermittelt seine physiologischen Effekte über vier G-Proteingekoppelte Membranrezeptoren (Y1, Y2, Y4, Y5). Schon die relativ weit verbreitete Expression sowohl des NPY als auch seiner Rezeptoren lässt vermuten, dass das Peptid an der Regulation einer Vielzahl physiologischer Prozesse beteiligt ist. So konnte eine Beteiligung an der Regulation der Kontraktion von Blutgefäßen und damit des Blutdrucks, eine Rol- ˚ Abb. 1: A, Computermodell der Bindung von NPY an den Y5-Rezeptor (links ohne, rechts mit gebundenem NPY). B, Darstellung der unterschiedlichen Bindungsweisen des NPY an die Rezeptoren Y4 bzw. Y5. le bei der Angiogenese, der Wundheilung, des Schmerzes und der Angst sowie eine Stimulation der kortikotropen Antwort auf Stress nachgewiesen werden. Besondere Aufmerksamkeit fiel, angesichts des epidemiologischen Problems der Adipositas in unserer Gesellschaft, auf die Rolle des NPY bei der Regulation der Nahrungsaufnahme. NPY wird im zentralen Nervensystem von hypothalamischen Neuronen, insbesondere Neuronen des Nucleus arcuatus, aber auch in Hirnstamm-Neuronen mit Verknüpfungen zum Hypothalamus exprimiert und spielt als sehr potentes orexigenes Peptid eine entscheidende Rolle bei der Regulation der Nahrungsaufnahme [1]. Aufgrund dieser Wirkungen stellt NPY ein attraktives Zielpeptid für die potenzielle Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung von Krankheiten wie z. B. Fettleibigkeit dar. Von zentraler Bedeutung ist hier ein Verständnis des Multirezeptorsystems nicht nur im Hinblick auf die von den einzelnen Rezeptoren vermittelten physiologischen Effekte, sondern insbesondere der für die Arzneistoffentwicklung unerlässlichen Struktur-Affinitäts- und Aktivitätsbeziehungen des Peptids zu den einzelnen Rezeptoren. Eine Kenntnis grundlegender, der Wirkung von NPY zugrunde liegender Mechanismen ist unabdinglich. Vor allem die Aufklärung der Bindungseigenschaften, der Kontaktpunkte zwischen Ligand und Rezeptor und der Konformation der Bindungstasche kann einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung hoch spezifischer, potenter Medikamente leisten. Von besonderem Interesse sind hier Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bindungsverhalten an die verschiedenen Y-Rezeptoren. Neben der Bedeutung von Peptidhormonen bei der Regulation vieler physiologischer Prozesse hat in den letzten Jahren die Funktion von Peptiden bei der Entstehung von malignen Tumoren viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Viele Peptidrezeptoren werden auf der Zelloberfläche entarteter Zellen exprimiert und vermitteln Wirkungen auf Tumorwachstum und Blutversorgung. Auch NPYBIOspektrum | 07.09 | 15. Jahrgang 709_761_BIOsp_0709.qxd 30.10.2009 9:58 Uhr Seite 735 735 Rezeptoren konnten in verschiedenen Tumoren lokalisiert werden. Dies kann genutzt werden, um mithilfe markierter, spezifischer Liganden entartete Zellen im Tumorimaging nachzuweisen und damit vorhandene Tumoren zu diagnostizieren. Weiterhin können derartige Peptidliganden durch Kopplung an zytotoxische Agenzien zu therapeutischen Zwecken genutzt werden [2, 3]. Hierbei spielt die spezifische Bindung des Liganden an den Rezeptor, gefolgt von Rezeptor-vermittelter Aufnahme in die Zelle und dortiger Entfaltung der zytotoxischen Wirkung eine entscheidende Rolle. Auch hier ist ein Verständnis der Spezifität der Rezeptorbindung entscheidend. Die Kenntnis der spezifischen Bindungsweisen an unterschiedliche Rezeptoren des Multirezeptorsystems, aber auch das Rezeptor-Internalisierungsverhalten, das zur Anreicherung zytotoxischer Verbindungen beiträgt, ist von entscheidender Bedeutung. Spezifische Bindung des Liganden NPY an die Y-Rezeptorsubtypen Schon die Entwicklung rezeptorspezifischer Peptid-Analoga zeigt, dass es Unterschiede im Bindungsverhalten bzw. in der Bindungsstruktur des NPY an die verschiedenen Rezeptoren geben muss. Um die Interaktionspunkte des Liganden NPY mit den verschiedenen Rezeptorsubtypen aufzuklären, wurden zahlreiche Mutationsstudien durchgeführt. Zum einen werden hier auf der Ligandenseite im NPY-Peptid einzelne oder auch verschiedene Aminosäuren z. B. durch Alanin ersetzt und die Auswirkung dieser Substitutionen auf die Ligandenbindung an die verschiedenen Rezeptorsubtypen bzw. auf die durch diese Bindung induzierte Signaltransduktion untersucht. Zum anderen können mutierte Rezeptoren in Zellen exprimiert werden und die Auswirkung dieser Rezeptormutationen auf die Ligandenbindung und Signaltransduktion untersucht werden. Eine Kombination von Ligand- und Rezeptormutation kann im Folgenden weitere Aufschlüsse darüber geben, welche Aminosäuren des Liganden mit welcher Aminosäure des Rezeptors in Wechselwirkung tritt. Diese Mutationsstudien haben eindrucksvoll gezeigt, dass die Rezeptorsubtypen den Liganden NPY in unterschiedlicher Weise binden (Abb. 1 B). Dabei ist die spezifische Struktur des Rezeptorsubtyps, nicht die Konformation des Liganden, entscheidend für die Auswahl der Kontaktpunkte zwischen Ligand und Rezeptor. Neben Mutationsstudien können am Computer entwickelte StrukBIOspektrum | 07.09 | 15. Jahrgang ˚ Abb. 2: A, Stimulation von transient transfizierten HEK293-Zellen, die Y-Rezeptor-YFP-Proteine/Proteinchimäre (gelb) exprimieren, mit 1 μM NPY. Y1 internalisiert schneller als Y5. Y5/Y1Chimäre internalisieren schneller als Y5. B, Stimulation von transient transfizierten Zellen, die Y1-EYFP- und Y5-ECFP-Rezeptoren ko-exprimieren, mit 1 μM NPY. Y5 (grün) internalisiert wesentlich langsamer als Y1 (rot). turmodelle wichtige Hinweise auf die Struktur des Ligand-Rezeptor-Komplexes geben, solange es noch keine hochauflösende Struktur eines Peptid-Rezeptorkomplexes gibt (Abb. 1 A, [4–6]). Tumor-Targeting mit selektiven Liganden NPY-Rezeptoren konnten bereits in verschiedenen Tumoren und Tumor-assoziierten Blutgefäßen mittels Autoradiografie nachgewiesen werden. Es wird postuliert, dass NPY eine Rolle bei der Regulation des Tumorwachstums spielt sowie bei der Angiogenese von Tumoren. Entscheidend für die Diagnose und Therapie von Tumoren ist hierbei eine veränderte Rezeptorexpression nach Entartung der Zellen. So zeichnen sich Brusttumore durch eine sehr hohe Expression von Y1-Rezeptoren aus, im Gegensatz zu gesundem Brustgewebe, welches vorrangig Y2-Rezeptoren exprimiert. Radioaktiv markierte, bzw. mit zytotoxischen Substanzen konjugierte Peptidliganden, die spezifisch an einen Y-Rezeptorsubtyp binden, könnten daher zur Diagnostik und Therapie von Brustkrebs eingesetzt werden. So konnte z. B. ein 99mTechnetium-markiertes, Y -selektives Pep2 tid zur Visualisierung von Tumoren und ein Y1-selektives, Daunorubicin-gekoppeltes NPYAnalogon als mögliches zytotoxisches NPYAnalogon entwickelt werden [7, 8]. Weiterhin zeigen Bioverteilungsstudien mit dem NPYAnalogon [Lys(111In-Dota)4, Phe7, Pro34]pNPY in Mäusen eine Aufnahme des Peptids in MCF7-Brusttumor-Xenotransplantaten [9, 10]. Eine Weiterentwicklung dieser Verbindungen stellt die Grundlage für eine vielverspre- 709_761_BIOsp_0709.qxd 736 30.10.2009 9:58 Uhr Seite 736 W I S S E N SCH AFT chende Anwendung von NPY-Analoga in der Diagnose und Therapie von Tumoren. Das proof of principle konnte gerade auch am Menschen gezeigt werden [11]. Internalisierung Um Tumorgewebe mit subtypspezifischen Liganden Rezeptor-vermittelt angreifen zu können, muss sichergestellt sein, dass der Rezeptor mit dem gebundenen Liganden ausreichend schnell internalisiert wird. Erste Untersuchungen haben für die verschiedenen Y-Rezeptoren ein unterschiedliches Internalisierungsverhalten gezeigt. Um die Rezeptoren für diese Untersuchungen in lebenden Zellen zu markieren, wurden diese als C-terminale Fusionsproteine mit autofluoreszierenden Proteinen, wie GFP, CFP oder YFP, in HEK293-Zellen exprimiert. Diese Zellen wurden anschließend über verschiedene Zeitintervalle mit NPY stimuliert und die Internalisierung der Rezeptoren mithilfe eines Fluoreszenzmikroskops beobachtet. Während die Subtypen Y1, Y2 und Y4 bereits etwa zehn Minuten nach Stimulation nahezu vollständig internalisiert vorlagen, war beim Y5Rezeptor die Internalisierung auch nach 60 Minuten noch nicht abgeschlossen (Abb. 2A). Eine mögliche Beeinflussung des Internalisierungsverhaltens durch die Bildung von Rezeptorheterodimeren konnte ausgeschlossen werden, da auch nach Ko-Expression von z. B. Y1- und Y5-Rezeptoren beide Rezeptorsubtypen unabhängig voneinander internalisieren (Abb. 2B). Diese Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass strukturelle Eigenschaften des Y5Rezeptors dessen verlangsamte Internalisierung bedingen. Tatsächlich unterscheidet sich dieser Rezeptorsubtyp von den drei anderen bekannten humanen Subtypen durch einen stark verkürzten C-Terminus und einen extrem langen dritten intrazellulären Loop. Die Bedeutung dieser strukturellen Unterschiede in Bezug auf das Internalisierungsverhalten der Rezeptoren konnte mithilfe chimärer Rezeptoren eindrücklich gezeigt werden: Sowohl der Austausch des mit 17 Aminosäuren extrem kurzen Y5-C-Terminus gegen den weitaus längeren Y2-C-Terminus als auch der Austausch des über 100 Aminosäuren langen dritten intrazellulären Loops im Y5-Rezeptor gegen die entsprechende Sequenz aus dem Y2-Rezeptor führten zu einer stark beschleunigten Internalisierung dieser Y5-Rezeptormutanten. Die biologische Bedeutung der fehlenden Internalisierung des vor allem im Hypothalamus lokalisierten Y5-Rezeptors ist noch unklar. Aufgrund seiner Rolle in der Regulation der Nahrungsaufnahme kann jedoch spekuliert werden, dass dieser Rezeptor dafür sorgt, dass das basale Hungergefühl erhalten bleibt und keine „Gewöhnung“ auftritt [12]. Weitere Studien zur Aufklärung der strukturellen Eigenschaften der Ligand-RezeptorInteraktion auf der extrazellulären Seite sowie die Aufklärung von strukturellen, für die Internalisierung bedeutenden Eigenschaften der Y-Rezeptoren auf der intrazellulären Seite sind entscheidend für die Weiter- und Neuentwicklung von potenziellen Wirkstoffen, die in NPY-vermittelte, mit Krankheiten assoziierte physiologische Regulationsmechanismen eingreifen können. Da es im Körper weitere Hormone gibt, wie das Pankreatische Polypeptid und das Darmpeptid PYY, könnten diese Studien auch die Kreuzaktivitäten dieser Hormone erklären. ó Literatur [1] Chee MJS, Colmers WF (2008) Y eat? Nutrition 24:869– 877 [2] Körner M, Reubi JC (2007) NPY receptors in human cancer: A review of current knowledge. Peptides 28:419–425 [3] Khan IU, Beck-Sickinger AG (2008) Targeted tumor diagnosis and therapy with peptide hormones as radiopharmaceuticals. 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Meyer. 2000 Postdoktorandin am Paul-FlechsigInstitut der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Bigl. Seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Beck-Sickinger am Institut für Biochemie, Universität Leipzig. Jahrgang 1980. Biochemiestudium in Halle/Saale und Leipzig; 2008 Promotion bei Prof. Dr. BeckSickinger am Institut für Biochemie, Universität Leipzig. Dort seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter. Annette G. Beck-Sickinger Jahrgang 1960. Studium der Chemie (Diplom 1986) und Biologie (Diplom 1990) an der Universität Tübingen. 1989 Promotion bei Prof. Dr. Jung, Universität Tübingen; Postdoktorat/Fellowship bei Prof. Dr. Carafoli, ETH Zürich, Prof. Dr. Houghten, Scripps, La Jolla, und Prof. Dr. Schwartz, Kopenhagen. 1995 Habilitation für das Fach Biochemie, Universität Tübingen. 1997–1999 Assistenzprofessorin für Pharmazeutische Biochemie an der ETH Zürich. Seit 1999 Professorin für Biochemie und Bioorganische Chemie am Institut für Biochemie, Universität Leipzig. 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