Manuskript

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SWR2 Musikstunde mit Karl Dietrich Gräwe
Louis Spohr zum 150. Todestag (3)
Sendung:
Mittwoch, 21. Oktober 2009, 9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion:
Ulla Zierau
Manuskript
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SWR 2
Musikstunde
Mittwoch, 21.10.2009
9.05 – 10.00 Uhr
NICHT NUR DER „VATER DES MUSIKALISCHEN WOHLWOLLENS“
Louis Spohr zum 150. Todestag († 22.10.1859)
Folge 3
Karl Dietrich Gräwe
Louis Spohr: Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der auffälligsten
Erscheinungen im deutschen Musikleben: Geiger, Komponist und Dirigent. Das
Klavierkonzert ist, soweit ich sehe, die einzige Gattung, die Spohr als Komponist nicht
berücksichtigt hat. 10 Opern hat er auch komponiert, in seiner frühen Zeit das große
romantische Zaubermärchen „Alruna, die Eulenkönigin“. Hier ist die Ouvertüre.
Musik 1
5’09“
„Alruna, die Eulenkönigin“ war die zweite Oper des jungen Louis Spohr. Die Ouvertüre
hörten Sie mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Christian Fröhlich. Bevor Spohr
die Partitur vollendet hatte, stellte er einige Stücke daraus schon einmal bei Hofkonzerten in
Gotha seinem Publikum vor und erntete soviel Beifall, dass er sich ein Herz fasste und Goethe
in Weimar aufsuchte, um ihn, der auch Intendant des Hoftheaters war, für eine Aufführung zu
gewinnen. Einige Proben zu „Alruna“ wurden abgehalten, Goethe und einige andere
Gutachter fanden auch Gefallen an der Musik, aber das Textbuch eines bis heute unbekannt
gebliebenen Autors hatte zu viele Mängel, als dass die Oper je zur Premierenreife gediehen
wäre. Die Ouvertüre lässt ermessen, wie viel Mozart noch durch Spohrs Musik geistert, aber
wie hartnäckig er auch seine eigenen Wege verfolgt. Der erste Einsatz des Orchesters lässt
sogleich an „Don Giovanni“ denken, obwohl es-moll die Tonart ist und nicht d-moll. Dann
folgt ein chromatischer Gang über die Tonarten C-dur, f-moll, b-moll, Fis-dur, G-dur eigenwilliger geht es nicht, und das ist kein einmaliger Zufall. Die Vorliebe für bizarre
Chromatik würde sich in allen künftigen Werken Spohrs auswirken. Dann aber macht er auch
kein Hehl daraus, dass Mozart sein großes Vorbild ist und die Ouvertüre zur „Zauberflöte“ bei
der „Alruna“ Pate gestanden hat, Spohr selbst hat es freimütig bekannt. Allerdings setzt sich
dann auch die Eigenart durch, die von Anfang bis Ende sein Komponieren weiterhin
beherrschen würde: Von einem emsig bearbeiteten Thema nicht wieder loslassen zu können.
Johann Friedrich Reichardt bedachte einmal eines von Spohrs Quartetten mit einem Tadel,
den man gegen seine Musik immer wieder erheben könnte: „Sie ruheten nicht eher, als bis Sie
die Figur zu Tode gehetzt hatten.“ Hier die Ouvertüre zu „Alruna, die Eulenkönigin“ aus dem
Jahre 1808. Die Mängel des Textbuches waren aber der Grund, weshalb „Alruna“, trotz
beifälliger Urteile über die Musik, zur Aufführung am Weimarer Hoftheater nicht
angenommen wurde. Auch Spohrs Interventionen bei der Schauspielerin und Sängerin
Karoline Jagemann, einer der hervorragenden Bühnenkünstlerinnen ihrer Zeit, blieben ohne
Erfolg, obwohl der Komponist gehofft hatte, sie als Mätresse des Herzogs Karl August von
Sachsen-Weimar-Eisenach könnte ihren Einfluss zu Gunsten seiner Oper geltend machen.
Vom notorischen Frauenfeind Arthur Schopenhauer ist übrigens ein einziger Liebesbrief
überliefert, und den hat er in unglücklicher Verliebtheit der angebeteten Karoline Jagemann
geschrieben. So weit ist Spohr nicht gegangen, aber er hat ihr einen Zyklus von 6 Liedern
gewidmet, darunter ein „Zigeunerlied“ auf Verse von Goethe, das auch vom Unglück
verlorener Liebe weiß: „Im Nachtgeriesel, im tiefen Schnee, im wilden Wald in der
-2Winternacht, ich hört der Wölfe Hungergeheul, ich hörte der Eule Geschrei. Wils wau wau
wau! Wito hu!“
Musik 2
1’03“
Hermann Prey, am Klavier begleitet von Michael Krist, sang das „Zigeunerlied“ op. 25 Nr. 5
von Louis Spohr auf Verse von Goethe. Den ganzen sechsteiligen Liedzyklus hat Spohr der
Weimarer Hofschauspielerin und Sängerin Karoline Jagemann gewidmet.
In knapp 40 Jahren seines Lebens, von 1806 bis 1845, hat Spohr sich immer wieder auch der
Musikbühne gewidmet und immerhin zehn Opern komponiert. Von „Faust“ und Jessonda“
sind heute wenigstens die Titel noch in Erinnerung. Die ersten Opern, „Die Prüfung“ und
„Alruna“, schrieb er in der Zeit, als er Hofkapellmeister und Konzertmeister in Gotha war, in
Diensten des höchst liberalen Herzogs Emil Leopold August von Sachsen-Gotha-Altenburg,
der die Ideale der Aufklärung mit solcher Entschiedenheit verfocht, dass er sich bei den
konservativeren Fürsten der meisten anderen deutschen Kleinstaaten missliebig machte.
Dieser Regent und oberste Dienstherr war ganz und gar nach dem Herzen des republikanisch
gesonnenen Spohr, und in der Herzogin Caroline Amalie hatte er eine leidenschaftliche
Musikliebhaberin auf seiner Seite, die für das Musikleben in Gotha ideale Bedingungen schuf
und nur ein Dilemma heraufbeschwor, das sie mit einem lachenden und einem weinenden
Auge tolerieren musste: Spohr wurde als Geiger, als Komponist und als Dirigent so berühmt,
dass er sich der wachsenden Nachfrage kaum noch erwehren konnte und seine Abwesenheiten
vom Hof in Gotha immer häufiger und immer ausgedehnter wurden. Die Herzogin gönnte
ihrem Musikchef diese Triumphe, aber sie selbst hatte ehr und mehr unter Musikentzug zu
leiden.
Bevor Spohr sich auf das Opernabenteuer mit Alruna einließ, war er seiner angeborenen
Leidenschaft gefolgt und hatte im Frühjahr 1807 sein 5. Violinkonzert Es-dur op. 17
vollendet, nur wenige Wochen nachdem Beethoven mit seinem Violinkonzert D-dur
bestenfalls gemischte Kritiken geerntet hatte. Die glücklichen Bedingungen in Gotha ließen es
zu, dass Spohr sein Orchester überaus reichhaltig besetzen und eine ungewöhnliche
Klangfülle erzeugen konnte. Im 2. Satz, Adagio ma non troppo, überließ er allerdings der
Solovioline, also sich selbst, die Melodieführung und reduzierte die Orchesterbegleitung
allein auf die Streicher – eine geschickte Kontrastwirkung, erzielt durch die Kunst des
Aussparens.
Musik 3
4’’18“
Ein erster Höhepunkt in der Reihe von insgesamt 15 Violinkonzerten: das fünfte in Es-dur op.
17 aus dem Jahr 1807. Ulf Hoelscher und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter
Christian Fröhlich spielten den 2. Satz, Adagio ma non troppo. Gegen Ende des nächsten
Jahres, im Herbst 1808, lernte er den Klarinettisten Johann Simon Hermstedt kennen. Was
Stadler für Mozart gewesen war und Mühlfeld für Brahms werden sollte, war Hermstedt für
Spohr: Seine außergewöhnliche Kunst hat Spohr vier Beiträge zur Gattung des
Klarinettenkonzerts abverlangt, und das fand umso mehr Beachtung, als die berühmten Geiger
und das Violinkonzert Anfang des 18.Jahrhunderts in Hochblüte standen, die Klarinette aber
noch nicht sehr verbreitet war und das Repertoire an Klarinettenstücken noch recht schmal.
Hermstedt war als Klarinettist Autodidakt, und Spohr kannte sich in der Technik der
-3-
Klarinette noch gar nicht aus. Den vier Klarinettenkonzerten ist das nicht anzumerken. Das
erste verzichtet sicher noch auf ausschweifende virtuose Sensationen, die leistet sich Spohr
erst im dritten. Aber auch das erste ist auf Anhieb ein Exemplar aus Meisterhand. Eine
Kostprobe: der 3. Satz, Rondo. Vivace.
Musik 4
5’51“
Ernst Ottensamer, Klarinette, und die Staats-Philharmonie Kosice unter der Leitung von
Johannes Wildner spielten aus dem 1. Klarinettenkonzert c-moll op. 26 von Louis Spohr den
3. Satz: Rondo. Vivace.
Es liegt nahe, dass ein Geiger vom Range Spohrs auch der Gattung des Streichquartetts nahe
steht. Er hat in nicht weniger als 35 Quartette komponiert, sie haben ihn sein Leben lang
begleitet, dazu schrieb er einbeträchtliche Zahl Doppelquartette und Quintette, was mit er
Produktivität Haydns zwar nicht Schritt halten kann, aber bemerkenswert ist für einen
Komponisten des 19.Jahrhunderts, der ja auch die anderen Genres verschwenderisch bedient
hat. Im Herbst 1817 wurde Spohr als Operndirektor nach Frankfurt am Main berufen und bald
nach einem Amtsantritt gebeten, auch eine Quartettformation aus Musikern des
Opernorchesters zu gründen und die Aufführung von Streichquartetten zu einer regelmäßigen
Institution zu machen. Spohr leistete selbst gleich seinen ersten Beitrag zur künftigen
Programmgestaltung: mit den der Quartetten op. 45. Zum ersten dieser Quartette hat sich der
Dichter Jean Paul geäußert: Er schrieb eine hohe poetische Bedeutung zu, an die er - so gab
der Komponist offenherzig zu – während des Schreibens gar nicht gedacht hatte. Aus dem
ersten der 3 Streichquartette op. 45, dem in C-dur, spielt das Neue Budapester Quartett den
Schluss-Satz: Finale – Presto.
Musik 5
7’11“
Louis Spohr, Streichquartett C-dur op. 45 Nr. 1. Den Schluss-Satz, Finale – Presto, spielte das
Neue Budapester Quartett.
Carl Maria von Weber hatte 1816 in Prag die Oper „Faust“ von Louis Spohr aus der Taufe
gehoben. Als ihm, Weber, die Stelle des kurfürstlichen Hofkapellmeisters in Kassel
angeboten wurde, hatte er gerade die Option auf eine Anstellung in Dresden und verzichtete
auf Kassel, aber er entsann sich seines Freundes Spohr und empfahl ihn dorthin. Spohr nahm
an und sollte für den Rest seines Lebens, 37 Jahre lang, in der kurfürstlichen Residenz
bleiben. Kurz bevor er die Stellung antrat, Mitte 1821, komponierte er eine Messe a cappella
in C-dur für 5 Solisten und zwei jeweils 5-stimmige Chöre. Als Nicht-Katholik und
Freimaurer fühlte Spohr sich wohl nicht allzu eng und streng an die liturgische Ordnung
gebunden. Im Sanctus mit seiner zentralen Doppelfuge lässt er die Texte des „Pleni sunt
coeli“ und des „Hosanna in Excelsis“ gleichzeitig singen, so dass sich die Wörter gegenseitig
überdecken, und im Benedictus verzichtet er auf die Wiederholung des „Hosanna“. Spohr
schreibt hier eine Musik, die ohne Rücksicht auf die Messordnung ein Glaubenszeugnis von
reiner, schlichter Schönheit ist.
Musik 6
4’58“
Spohr schrieb seine Messe in C-dur für Solisten und zwei fünfstimmige Chöre op. 54 um die
Mitte des Jahres 1821, kurz bevor er nach Kassel ging, um in der hessischen Residenzstadt
-4-
sein Amt als kurfürstlicher Hofkapellmeister anzutreten. Das Sanctus und das Benedictus aus
Spohrs Messe sang der Philharmonische Chor Prag unter der Leitung von Jaroslav Brych.
Zu den Glanzpunkten seines kompositorischen Fleißes in Kassel gehörte eine seiner
Spezialitäten, gehörten die Doppelquartette. Sie sind tatsächlich nicht als eine Musik für
Oktett zu verstehen, sondern als Formation einer Doppelchörigkeit, die den Raum in zwei
Klangzentren aufteilt, als dreidimensionales Pro- und Kontra-, Frage- und Antwortspiel. Sir
George Smart, ein englischer Freund von Spohr, kam 1825 nach Kassel, erlebte eine
Aufführung des Doppelquartetts Nr. 1 d-moll op. 65 und hielt in seinem Tagebuch fest: „Die
Wirkung war gut. Spohr spielte wunderbar. Das Quartett war sehr schwierig für die vier
Hauptinstrumente.“ George Smart, der Freund aus London, meint natürlich: sehr schwierig
für die jeweils vier Hauptinstrumente beider Quartette. Was die Sache noch schwieriger
macht: Spohr steigert den Stereo-Effekt noch ein weiteres Mal: Er lässt in jeder der getrennten
Gruppen die Violine und das Cello sich betont einen weiteren Widerpart liefern. Das
Kammerensemble der Academy of St Martin-in-the-Fields spielt aus dem Doppelquartett
Nr. 1 d-moll op. 65 den 1. Satz: Allegro.
Musik 7
9’31“
Das Kammerensemble der Academy of St Martin-in-the-Fields spielte aus dem
Doppelquartett Nr. 1 d-moll op. 65 von Louis Spohr den 1. Satz: Allegro.
Gleich nach seinem Amtsantritt in Kassel widmete sich Spohr der Komposition einer neuen
Oper: „Jessonda“. Man kann nicht behaupten, dass er sich da mit einem Thema befasst hätte,
dass für die Oper typisch und üblich ist. Die Handlung spielt im fernen Indien, der Text
polemisiert energisch gegen die Vorherrschaft der Priesterkaste und gegen den Brauch der
Witwenverbrennung. Darüber wird morgen, in der vierten Folge der „Musikstunde“, zu reden
sein. Nach der Uraufführung, Mitte 1823 im Kasseler Hoftheater, jubelte das Publikum in
aller Welt einem „Meisterwerk“ zu. Heute noch ein Vorgeschmack auf die Musik, wir
blenden uns ein in den Schluss der Ouvertüre, gespielt vom Rundfunk-Sinfonieorchester
Berlin unter Christian Fröhlich.
Musik 8
7’37“
auf Zeit
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