Institut für Anorganische Chemie – Materialchemie der Universität Wien H. Ipser, S. Karlhuber Chemisches Grundpraktikum Beispiel 3 / 2005 Komplexbildungsreaktionen, Teil A Aufgabenstellung Es werden die Bildungsreaktionen einiger Komplexe mit einfachen Liganden untersucht. Aufgrund der beobachteten Reaktionen einer unbekannten Probe soll diese identifiziert werden. Grundlagen Chemisches Gleichgewicht, Komplexbildungsgleichgewichte; Aufbau von Komplexen (Koordinationsverbindungen); siehe auch Mortimer: „Chemie - Das Basiswissen der Chemie“, 8. Aufl., Kap. 16, Kap. 19.4 und Kap. 29.1-29.4. Komplexe sind Verbindungen, die durch Vereinigung von mehreren chemisch beständigen Komponenten entstehen. Bei Komplexbildung in Lösung treten zwei oder mehr gelöste Komponenten zu größeren (komplexeren) Einheiten zusammen als in den Lösungen der einzelnen Komponenten vorliegen. Man unterscheidet zwischen starken und schwachen Komplexen. Starke Komplexe dissoziieren sehr wenig in ihre Bestandteile, während schwache Komplexe mit einem beträchtlichen Anteil freier Bestandteile im Gleichgewicht stehen. Die meisten starken Komplexe zeigen aufgrund ihrer geringen Dissoziation nicht mehr die typischen Reaktionen ihrer Komponenten, sondern reagieren in einer neuen, für sie charakteristischen Weise. In der anorganischen Chemie kommt vor allem jenen Komplexen große Bedeutung zu, die aus folgenden Bestandteilen aufgebaut sind: Zentralatom oder Zentralion (meist Metall-Kation) und Liganden (Anionen oder neutrale Moleküle), die an das Zentralatom (-ion) gebunden sind. Als Koordinationszahl bezeichnet man die Zahl der Atome, die direkt an das Zentralatom gebunden sind. Bei den Liganden unterscheidet man je nach der Anzahl der Atome eines Ligandenmoleküls bzw. ions, die mit dem Zentralatom gleichzeitig eine Bindung eingehen können, „einzähnige“, „zweizähnige“ usw. Liganden. Bei einzähnigen Liganden ist die Zahl der Liganden um das Zentralatom gleich der Koordinationszahl. Im Beispiel „Komplexbildungsreaktionen, Teil A“ werden bei den Experimenten nur einzähnige Liganden herangezogen. Komplexe können positive oder negative Ladung tragen oder auch neutral sein. Die Gesamtladung eines Komplexes ist gleich der Summe der Ladungen seiner Bestandteile. Komplexe werden bei der Formulierung von Reaktionsgleichungen in eckigen Klammern geschrieben. Dies ist von der Klammerschreibung, mit der häufig Konzentrationen bezeichnet werden, zu unterscheiden. z.B. [FeF6 ]3- aber [[FeF6 ]3- ], [Fe 3+ ], [F- ] Komplex Konzentration Die Bildung von Komplexen in Lösung ist eine Gleichgewichtsreaktion; man kann daher das Massenwirkungsgesetz anwenden. Chemisches Grundpraktikum -2- Beispiel 4 / 2000 Für ein homogenes System gilt z.B. A 2+ + 4 B- ô [AB4 ]2[[AB4 ]2- ] [A 2+ ][B- ]4 (1) (2) Die Konstante ß wird als (Brutto-)Komplexbildungskonstante bezeichnet, während der Reziprokwert von ß als Dissoziationskonstante bezeichnet wird. Je weniger ein Komplex dissoziiert, d.h. je größer seine Komplexbildungskonstante ist, desto „stärker“ ist der Komplex. Zu den starken Komplexen zählen Cyanidkomplexe (z.B. [Cu(CN)4]3 , 27 ß = 10 ), schwache Komplexe dagegen sind viele Amminkomplexe (d.h. Komplexe mit NH3 als Ligand, wie z.B. [Cu(NH3)4]2+, ß = 1013). Der Komplex wird in Wirklichkeit nicht in der in Gl. (1) vereinfacht dargestellten Weise gebildet, sondern die Komplexbildung erfolgt stufenweise. Somit gilt für das in Gl. (1) behandelte Beispiel A 2+ + B- ô [AB]+ K1 = [AB]+ + B- ô [AB2 ] K2 = [AB2 ] + B- ô [AB3 ]- K3 = [AB3 ]- + B- ô [AB4 ]2- K4 = [[AB]+ ] [A 2+ ] [B- ] [[AB2 ]] [[AB ]] [B- ] [[AB ]- ] + 3 [[AB2 ]] [B- ] [[AB ]2- ] 4 [[AB3 ]- ] [B- ] (3) (4) (5) (6) aus (3) bis (6) folgt für ß ß = K1. K 2 .K 3 . K 4 (7) d.h. es gilt allgemein n ßn = Kn (8) Die Bruttokomplexbildungskonstante ist also das Produkt der individuellen Bildungskonstanten der einzelnen Komplexbildungsstufen. Bei jeder Komplexbildungsreaktion liegen in der Lösung immer die verschiedenen Komplexe entsprechend den Gesamtkonzentrationen von Zentralion und Ligand im System und den individuellen Bildungskonstanten der einzelnen Stufenreaktionen nebeneinander vor. Durchzuführende Versuche a) Fällung und mögliche Wiederauflösung durch Komplexbildung Es sollen die Reaktionen der Kationen Sn2+, Bi3+, Ni2+,Ag+, Zn2+, Hg2+ mit den Anionen sowie mit NH3 untersucht werden. - - - OH , I , SCN , Chemisches Grundpraktikum -3- Beispiel 4 / 2000 Die einzusetzenden Reagenzien und ihre Konzentrationen sind: 0,10 M 0,10 M 0,05 M 0,10 M 0,05 M 0,20 M SnCl2 (in 1,0 M HCl) Bi(NO3)3 (in 1,0 M HNO3) Ni(NO3)2 AgNO3 Zn(NO3)2 Hg(NO3)2 2,00 M 0,50 M 1,00 M 2,00 M NaOH KI NH4SCN NH3 Die Eprouvette mit den Produkten der Reaktion von AgNO3 mit NaOH ist aufzubewahren (siehe Abschnitt b). Bei der Reaktion AgNO3 + NH3 ist zu beachten: NH3 sehr vorsichtig zugeben (zuerst nur 1 Tropfen), da sich sonst anstelle von Ag2O sofort [Ag(NH3)2]+ bilden kann. Aufgrund der Beobachtungen, die zu tabellieren sind, ist dann eine von den Assistenten ausgegebene Lösung, die eines der obigen Kationen enthält, zu untersuchen, und das Kation ist auf Grund der Beobachtungen zu identifizieren. b) Wiederauflösen eines abfiltrierten Niederschlags durch Komplexbildung Nach Beendigung der obigen Versuchsreihe ist der bei der Reaktion von AgNO3 mit NaOH gebildete Niederschlag abzufiltrieren. Zu diesem Zweck wird in einen kleinen Glastrichter ein passendes Rundfilter („qualitatives Filterpapier“) eingelegt und der Niederschlag über einen Glasstab in eine Eprouvette filtriert. Es wird mehrmals mit einigen Tropfen destillierten Wassers nachgewaschen, dabei versuche man, den Niederschlag möglichst in der Spitze des Filters zu sammeln. Nach Unterstellen einer anderen, sauberen Eprouvette wird der Niederschlag tropfenweise (aus einer Pipette) mit einigen Millilitern 2M NH3 übergossen. Der in der Eprouvette aufgefangenen Lösung werden dann einige Tropfen 2M HCl zugefügt. Beobachten Sie die Vorgänge und formulieren Sie Reaktionsgleichungen für die ablaufenden Reaktionen. Protokoll Die in Abschnitt a) beobachteten Reaktionen (Niederschlag, Art und Farbe des Niederschlags, Wiederauflösung des Niederschlags, Farbänderung in der Lösung, usw.) sind in Form eines übersichtlichen Schemas zu dokumentieren. Für die zu identifizierende Probe sind sämtliche Reaktionsgleichungen anzuschreiben. – Beispiel für die Berichterstattung: NaOH (2 M) KI (0,5 M) NH4SCN (1 M) NH3 (2 M) SnCl2 (0,1 M) Bi(NO3)3 (0,1 M) Ni(NO3)2 (0,05 M) AgNO3 (0,1 M) Zn(NO3)2 (0,05 M) Hg(NO3)2 (0,2 M) unbekannte Probe Für die in Abschnitt b) beobachteten Reaktionen sind die Reaktionsgleichungen anzugeben Chemisches Grundpraktikum -4- Beispiel 4 / 2000 Bei den Versuchen entstehende Produkte mit NaOH (2 M) - Sn(OH)2, weiß; [Sn(OH)3] , farblos (Trihydroxostannat(II)-Komplex) Bi(OH)3, weiß Ni(OH)2, (hell)grün Ag2O, braun-schwarz (2 AgOH Ag2O + H2O); Ag2O + H2O + 4 NH3 2 [Ag(NH3)2]+ + 2 OHZn(OH)2, weiß; [Zn(OH)3] , farblos (Trihydroxozinkat(II)-Komplex) HgO, gelb; (Hg(OH)2 HgO + H2O) mit KI (0,5 M) - BiI3, schwarz; [BiI4] , gelb (Tetraiodobismutat(III)-Komplex); bei Verdünnen: BiOI , hellgelb AgI, gelb HgI2, rot; [HgI4]2 , schwach gelb (Tetraiodomercurat(II)-Komplex) mit NH4SCN (1 M) - [Bi(SCN)6]3 , gelb (Hexathiocyanatobismutat(III)-Komplex) [Ni(SCN)4]2 , dunkelgrün (Tetrathiocyanatoniccolat(II)-Komplex) AgSCN, weiß; [Ag(SCN)2] , farblos (Dithiocyanatoargentat(I)-Komplex) Hg(SCN)2, weiß ; [Hg(SCN)4]2 , farblos (Tetrathiocyanatomercurat(II)-Komplex) mit NH3 (2 M) NH3 kann als Base reagieren und Hydroxide bilden: NH3 + H2O ô NH4+ + OHandererseits kann NH3 aber auch als Ligand fungieren: Sn(OH)2, weiß Bi(OH)3, weiß [Ni(NH3)6]2+, blauviolett (Hexaamminnickel(II)-Komplex) Ag2O (+ AgOH), braun; [Ag(NH3)2]+, farblos (Diamminsilber(I)-Komplex) Zn(OH)2, weiß; [Zn(NH3)4 ]2+, farblos (Tetraamminzink(II)-Komplex) Hg2NNO3·xH2O, weiß; das Nitrat der sogenannten Millonschen Base (Hg2NOH.2H2O); (zur Struktur: siehe Lehrbücher der anorganischen Chemie) in konz. NH3 löslich als [Hg(NH3)2]2+, [Hg(NH3)3]2+, [Hg(NH3)4]2+ (Di-,Tri-, bzw. Tetraamminquecksilber(II)-Komplex) Achtung: Ag-Lösungen darf man nicht mit (NH3)aq stehen lassen! Es bildet sich ein leicht explodierendes Gemisch von Ag3N und Ag2NH. Daher sollten solche Lösungen nach Beendigung der Versuche immer angesäuert werden, z.B. mit HNO3. Beispiele für die Formulierung der Reaktionsgleichungen - Hg2+ + 2 I ô HgI2 - HgI2 + 2 I ô [HgI4]2 - Ni2+ + 6 NH3 ô [Ni(NH3)6]2+