2 Gruppen - Mathematik, TU Dortmund

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Algebra I
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c Rudolf Scharlau, 2002 – 2010
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Gruppen
Nachdem wir in den Abschnitten 1.1 - 1.3 einige Grundbegriffe (Verknüpfung,
Gruppe, Untergruppe, Homomorphismus, Isomorphie) geklärt bzw. wiederholt
haben und eine Reihe von Beispielen von Gruppen zusammengestellt haben, geben wir nun eine erste Einführung in die systematische Theorie der Gruppen.
Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf endliche Gruppen.
Im Abschnitt 2.1 werden zyklische Gruppen und –direkt damit zusammenhängend– Elementordnungen studiert. Mittels der Kenntnis der zyklischen Untergruppen von Z werden der größte gemeinsame Teiler und das kleinste gemeinsame
Vielfache von ganzen Zahlen (erneut und) ausführlich analysiert.
Im Abschnitt 2.2 werden Nebenklassen nach einer Untergruppe eingeführt.
Als Konsequenz erhält man den Satz von Lagrange über die möglichen Ordnungen von Untergruppen. Weiter werden normale Untergruppen und Faktorgruppen
betrachtet, die die bekannten Restklassengruppen ganzer Zahlen verallgemeinern.
Ein grundlegendes Resultat ist hier der Homomorphiesatz für Gruppen sowie verschiedene daraus folgende Isomorphiesätze. Als Anwendung wird unter anderem
eine erste Version des Chinesischen Restsatzes für ganze Zahlen bewiesen.
In Abschnitt 2.3 wird eine Einführung in Gruppenoperationen gegeben. Eine
Operation, auch Aktion genannt, einer Gruppe G auf einer Menge X ist eine
Realisierung der Gruppenelemente durch Abbildungen (bijektive Abbildungen
der Menge X in sich). Wir beschränken –wie innerhalb der Algebra üblich- auf
einige grundlegende Begriffe und Sätze (Bahn, Stabilisator, G-Äquivalenz, Bahnengleichung, Konjugation in Gruppen), geben aber besonders viele Beispiele
an. Gruppenoperationen geben den begrifflichen Rahmen für viele mathematische Phänomene und Konstruktionen, nicht nur in der Algebra, sondern auch der
Geometrie oder Kombinatorik.
In Abschnitt 2.4 werden die nach ihrem Entdecker benannten Sätze von Sylow
behandelt. Für eine Primzahl p versteht man unter einer p-Sylow-Untergruppe einer Gruppe G eine Untergruppe der Ordnung pl , wobei dieses die größte p-Potenz
ist, die die Ordnung von G teilt. Die Sätze von Sylow besagen, dass solche Untergruppen existieren, alle zueinander konjugiert sind, und ihre Anzahl kongruent
zu 1 modulo p ist. Ferner wird der Begriff einer einfachen Gruppe eingeführt und
gezeigt, dass die alternierende Gruppe Alt5 der Ordnung 60 die kleinste einfache
Gruppe ist, abgesehen von den zyklischen Gruppen von Primzahlordnung.
In Abschnitt 2.5 wird die Klasse der auflösbaren Gruppen eingeführt. Eine Gruppe heißt auflösbar, wenn sie in geeigneter Weise auf abelsche Gruppen
zurückgeführt werden kann. In diesem Zusammenhang ist die Kommutatorgruppe einer Gruppe G von Bedeutung. Die Auflösbarkeit von Gruppen wird später
in der Theorie von Galois über die Auflösbarkeit von polynomialen Gleichungen
durch Wurzelausdrücke benötigt.
In Abschnitt 2.6 findet sich eine einfache, aber wirkungsvolle Technik zur
Konstruktion von Gruppen aus schon bekannten kleineren Gruppen: Gegeben
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zwei Gruppen H und T und eine Operation (im Sinne von Abschnitt 2.3) von
G auf T durch Gruppenautomorphismen, so kann man das semidirekte Produkt
G = T ⋊ H von T und H (relativ zu dieser Operation) definieren. Dieses enthält
T und H als Untergruppen und verallgemeinert die Konstruktion des direkten
(kartesischen) Produktes T × H. Viele wichtige Gruppen wie die affine Gruppe,
die Symmetriegruppe des Hyperwürfels oder die Diedergruppen besitzen eine
Struktur als semidirektes Produkt. Wir führen in diesem Abschnitt auch kurz
Erzeugendensysteme für Gruppen ein und geben in diesem Zusammenhang eine
abstrakte” Kennzeichnung der Diedergruppen.
”
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Zyklische Gruppen und die Ordnung von Elementen
Eine Gruppe heißt zyklisch, wenn sie aus den Potenzen eines festen Elementes
besteht. Solche Gruppen tauchen in ganz unterschiedlichen Kontexten auf, von
der elementaren Zahlentheorie bis zu geometrischen Situationen verschiedener
Art, und als Untergruppen von beliebigen Gruppen. Trotz verschiedenartigen
Aussehens“ etwa der Drehgruppe eines regulären Polygons und der multiplika”
tiven Gruppe der Reste modulo einer Primzahl haben alle zyklischen Gruppen
die gleiche Struktur. Der Prototyp einer endlichen zyklischen Gruppe ist die aus
der Linearen Algebra bekannte additive Reste-Gruppe bzw. Restklassen-Gruppe
(Z/mZ, +m ) bzw. (Z/mZ, +). Im unendlichen Fall hat man die Gruppe Z als im
wesentlichen einzige zyklische Gruppe.
Im Zusammenhang mit der Untersuchung zyklischer Gruppen steht der Begriff der Ordnung eines Elementes. Er wird in diesem Abschnitt eingeführt und in
einigen wichtigen Situationen studiert. Er spielt eine grundlegende Rolle für jegliche Untersuchung endlicher Gruppen, sei es in der abstrakten Gruppentheorie,
der Zahlentheorie oder der Geometrie.
Als eine Anwendung des Konzeptes der zyklischen Gruppen geben wir eine
neue Charakterisierung eines bekannten Begriffs, nämlich des größten gemeinsamen Teilers (ggT) zweier ganzer Zahlen. Wir ergänzen ihn an dieser Stelle um
den Begriff des kleinsten gemeinsamen Vielfaches (kgV) zweier ganzer Zahlen.
Abgesehen von der Analogie zum ggT wird das kgV für die gruppentheoretischen
Inhalte dieses Abschnitts tatsächlich gebraucht, nämlich für das Studium von
Elementordnungen in bestimmten Gruppen.
Vor der folgenden Definition erinnern wir der Vollständigkeit halber an die Potenzschreibweise an aus 1.3.15 sowie ihre Variante n.a für den Fall der Verknüpfung +.
Bemerkung und Definition 2.1.1 a) Es sei G eine beliebige Gruppe und a ∈
G. Definiere
hai := {an | n ∈ Z},
bzw.
hai := {n.a | n ∈ Z}
bei additiver Schreibweise der Verknüpfung. Dieses ist eine Untergruppe von G.
b) Eine Gruppe G heißt zyklisch, falls ein a ∈ G existiert mit hai = G. In
diesem Fall heißt a Erzeuger oder erzeugendes Element von G.
Die drei Eigenschaften einer Unterguppe prüft man unmittelbar anhand der Potenzgesetze 1.3.15 nach. Man kann sich auch auf 1.4.4 a) berufen: die Teilmenge
hai ist das Bild eines Homomorphismus, nämlich der Abbildung n 7→ an , Z → G
und als solches eine Untergruppe von G.
Ebenfalls aus den Potenzgesetzen ergibt sich folgende allgemeine Bemerkung:
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Bemerkung 2.1.2 Jede zyklische Gruppe ist abelsch.
Denn wenn x und y zwei beliebige Elemente aus G = hai sind, so schreibe x = an ,
y = am . Es ist
x · y = an · am = an+m = am+n = am · an = y · x .
Auch in diesem Beweis können wir wieder einen etwas allgemeineren Standpunkt
einnehmen:
Bemerkung 2.1.3 Wenn ϕ : A → G ein surjektiver Gruppenhomomorphismus
ist und A abelsch, so ist auch G abelsch.
Den leichten Beweis lassen wir als Übung.
Beispiele 2.1.4 (Zyklische Gruppen)
(1) Die Gruppen (Z, +) und (Z/mZ, +) sind zyklisch mit Erzeuger 1 bzw. 1 :=
[1]m . Ein Erzeuger ist nicht eindeutig bestimmt. Für Z ist die einzige weitere
Möglichkeit −1; bei Z/mZ hängt die Antwort natürlich von m ab: so gilt
etwa für m = 10 genau dann hai = Z/10Z, wenn a ∈ {1, 3, 7, 9} ist.
(2) Allgemein gilt für beliebiges m ∈ N, m > 1 und a ∈ Z
h [a]m i = Z/mZ ⇐⇒ [a]m ∈ (Z/mZ)∗ ,
d.h. eine Restklasse ist Erzeugendes der additiven Restklassengruppe genau
dann, wenn sie Einheit (invertierbar) im Restklassenring ist. Siehe 1.5.8 für
die Einheiten in Z/mZ.
(3) Die Vielfachenmenge mZ = {mz | z ∈ Z} ist die von m erzeugte (zyklische) Untergruppe von Z (insbesondere überhaupt eine Untergruppe, siehe
Beispiel 1.3.12 (1)).
(4) Die (multiplikative) Gruppe (Z/5Z)∗ ist zyklisch mit Erzeuger g = 2, denn
(Z/5Z)∗ = {2, 4, 3, 1} = {g, g 2, g 3 , g 4 = e}.
(5) Die Gruppe (Z/8Z)∗ = {1, 3, 5, 7} ist nicht zyklisch, denn für jedes Gruppenelement g gilt g 2 = 1 = e; für einen Erzeuger g müsste aber g 2 6= e
gelten.
Aus ähnlichen Gründen ist auch die (additive) Gruppe Z/2Z × Z/4Z nicht
zyklisch; siehe unten 2.1.8.
(6) Entgegen dem ersten Anschein ist die Gruppe Z/2Z × Z/3Z zyklisch. Als
Erzeuger kann man das Paar (1, b
1) nehmen (wobei natürlich 1 = [1]2 , , b
1=
[1]3 ist). Fortgesetztes Addieren dieses Elementes liefert nämlich alle sechs
Elemente von Z/2Z × Z/3Z.
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Der folgende Satz beantwortet im Anschluss an Beispiel (2) die naheliegende
Frage, ob es in Z noch weitere Untergruppen gibt.
Satz 2.1.5 Jede Untergruppe von (Z, +) ist zyklisch, also von der Form mZ für
ein m ∈ Z.
Beweis: Die in Frage stehende Untergruppe H sei o.B.d.A 6= {0}. Sei m das
kleinste positive Element von H. Offenbar ist m 6= 0. Wir wollen zeigen, dass
dieses m das gesuchte erzeugende Element ist, also jedes andere Element a ∈ H
ein Vielfaches von m ist. Hierzu teilt man a durch m mit Rest r. Dann liegt
r = a − qm ebenfalls in H und ist kleiner als m, also nach Wahl von m gleich 0.
Beachte: Für eine gegebene Untergruppe von Z ist das erzeugende Element m
eindeutig bestimmt, wenn wir noch m ≥ 0 verlangen. Denn für zwei Erzeuger
m, n gilt m | n | m.
Wir geben nun zwei Anwendungen von Satz 2.1.5. Die erste Anwendung ist eine
Beschreibung der von einem Gruppenelement a erzeugten Untergruppe hai von
G. Im Hinblick auf den diesbezüglichen Satz treffen wir zunächst die folgende
Definition.
Definition 2.1.6 Sei (G, ·) eine Gruppe und a ∈ G. Dann heißt
ord(a) := min{n ∈ N | an = e}
die Ordnung von a. Wir setzen ord(a) = ∞, falls kein solches n existiert.
Der folgende Satz beinhaltet insbesondere, dass die Ordnung eines Elementes genau die Ordnung, d.h. die Anzahl der Elemente der davon erzeugten Untergruppe
ist.
Satz 2.1.7 Es sei (G, ·) eine Gruppe, a ∈ G, m = ord(a) die Ordnung von a.
a) Es sei m < ∞ angenommen. Für n ∈ Z gilt an = e ⇐⇒ m | n und
allgemeiner für k, l ∈ Z
ak = al ⇐⇒ k ≡m l.
Weiter ist
hai = {e = a0 , a, a2 , . . . , am−1 } ,
und die angegebenen Elemente sind paarweise verschieden. Insbesondere ist
|hai| = m.
b) Es sei m = ∞. Dann sind die Elemente an , n ∈ Z alle voneinander verschieden.
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Beweis: Die Menge H = {n ∈ Z | an = e} ist der Kern des Homomorphimus
ϕ : n 7→ an , Z → hai, also eine Untergruppe von Z. Nach Satz 2.1.5 ist H = Zm′
für ein m′ ∈ Z, m′ ≥ 0.
Im Fall a) ist m ∈ H, also H 6= {0}. Nach Definition der Ordnung ist m das
kleinste positive Element von H; die gleiche Eigenschaft hat wegen H = Zm′
offenbar auch m′ . Also ist m = m′ , was genau die erste Behauptung unter a) beweist. Die zweite Behauptung wird durch betrachten von n := l − k unmittelbar
auf die erste zurückgeführt. Die dritte folgt schließlich aus der zweiten (und der
selbstverständlich verwendeten Tatsache, dass die Zahlen 0, 1, . . . , m − 1 ein Repräsentantensystem für die Kongruenzklassen bilden; man kann für die Exponenten auch jedes andere Repräsentantensystem nehmen, etwa 0, ±1, . . . ± (m − 1)/2
für ungerades m.)
Im Fall b) ist definitionsgemäß H = {0}, und somit ϕ injektiv, was genau die
Behauptung ist.
Korollar 2.1.8 Eine endliche Gruppe G mit n Elementen ist dann und nur dann
zyklisch, wenn sie ein Element der Ordnung n enthält.
Genauer gilt für a ∈ G die Äquivalenz:
a erzeugt G
⇐⇒
ord(a) = n .
Beweis: hai besteht aus m := ord(a) Elementen, ist also genau dann gleich ganz
G, wenn m = n ist.
Dieses Korollar liefert auch die prinzipielle Methode zu begründen, dass eine
vorgelegte Gruppe G nicht zyklisch ist: wenn man eine Zahl m < |G| angeben
kann mit am = e für alle a ∈ G, dann kann G nicht zyklisch sein, denn alle
Ordnungen von Elementen von G sind dann kleiner gleich m (sogar Teiler von
m). In dem oben unter 2.1.4 (5) erwähnten Fall Z/2Z × Z/4Z kann man m = 4
nehmen (man beachte die additive Schreibweise: die Bedingung lautet 4.a = 0,
was offenbar zutrifft). Die Frage, wann ein allgemeines Produkt Z/mZ × Z/nZ
zyklisch ist, wird unten unter 2.2.16 abschließend geklärt.
Im Spezialfall der zyklischen Gruppe (Z/mZ, +) mit Erzeuger a = [1]m ist der
Homomorphismus ϕ aus dem Beweis von Satz 2.1.7 einfach die Restklassenabbildung ϕ(n) = [n]m . Die Aussagen aus diesem Satz reduzieren sich dann auf
grundlegende Tatsachen über die Kongruenzrelation und Gleichheit von Restklassen. Im allgemeinen Fall kann man den Satz so verstehen: in einer zyklischen
Gruppe rechnet man am besten mit Exponenten (bezüglich eines fest gewählten Erzeugers); die Exponenten werden entsprechend den Potenzgesetzen einfach
addiert (bzw. negativ genommen, subtrahiert), jedoch muss man sie modulo m
betrachten, also wie mit Resten bzw. Restklassen rechnen. Strukturell formuliert:
eine (endliche) zyklische Gruppe mit m Elementen ist isomorph zu Z/mZ. Der
folgende Satz (der im wesentlichen schon bewiesen ist), hält dieses genau fest:
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Satz 2.1.9 Es seien wie eben (G, ·) eine Gruppe, a ∈ G, hai die von a erzeugte
Untergruppe und m = ord(a) die Ordnung von a.
a) Für m < ∞ ist hai ∼
= Z/mZ. Ein Isomorphismus ist gegeben durch
n
n 7→ a , Z/mZ → hai.
b) Für m = ∞ ist hai ∼
= Z. Ein Isomorphismus ist gegeben durch
n 7→ an , Z → hai.
Beweis: Es ist allenfalls bei a) noch etwas zu beweisen. Wenn wir die dort angegebene Abbildung mit ψ bezeichnen, so ist vor allem einzusehen, dass ψ wohldefiniert ist. D.h. für k, n ∈ Z mit k = n ist ak = an einzusehen. Das folgt aber
sofort aus Teil a) des vorigen Satzes, aus dem sich auch die Injektivität ergibt.
Die Surjektivität ist nach Definition von hai klar, die Homomorphie-Eigenschaft
folgt aus der entsprechenden Eigenschaft von ϕ (die sich wiederum unmittelbar
aus der Definition der Restklassenaddition ergibt).
Wir werden bald sehen, dass die Definition von ψ sowie die Eigenschaften dieser Abbildung Spezialfall eines ganz allgemeinen Sachverhaltes, nämlich des sog.
Homomorphiesatzes sind. Hier wird Z/mZ durch eine allgemeinere sog. Faktorgruppe ersetzt.
Wir kommen nun zu der zweiten Anwendung des obigen Satzes 2.1.5. Wir benutzen ihn, um den aus 1.1.3 bekannten Begriff des größten gemeinsamen Teilers
(ggT) zweier natürlicher Zahlen neu zu begründen. Der folgende Hilfssatz bereitet
dieses vor.
Hilfssatz 2.1.10
a) Für a, b ∈ Z ist Za + Zb = {xa + yb | x, y ∈ Z} eine
Untergruppe von Z.
b) Allgemeiner ist für eine abelsche Gruppe (G, +) und Untergruppen A, B ⊆
G auch
A + B = {a + b | a ∈ A, b ∈ B}
eine Untergruppe.
Der Beweis ist reine Routine und kann als Übung überlassen werden. Man muss
einfach die drei Untergruppen-Eigenschaften mit der Definition von A + B zusammenbringen. Wir erinnern daran, dass der entsprechende Sachverhalt für Vektorräume dem Leser vermutlich bekannt ist.
Wir erinnern an die folgende Kennzeichnung des größten gemeinsamen Teilers
g = ggT(a, b) zweier ganzer Zahlen a, b mit Hilfe der Teilbarkeitsrelation auf Z:
(1) g | a und g | b
(2) c ∈ Z, c | a und c | b =⇒ c | g.
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Satz 2.1.11 Seien a, b ∈ Z. Eine Zahl g ∈ Z hat die Eigenschaften des größten
gemeinsamen Teilers von a und b genau dann, wenn g ein Erzeugendes der Gruppe Za + Zb ist.
Beweis: zu ⇐=“: Wir beginnen mit dieser Richtung des Beweises, denn sie ist
”
die leichtere und läuft direkt mit den Definitionen durch. Vorausgesetzt über die
Zahl g ist, dass Zg = Za + Zb ist. Zeigen wollen wir die beiden Eigenschaften
(1) und (2). Aus Za ⊆ Zg folgt a ∈ Zg, also g | a; entsprechend sieht man g | b
ein. Somit ist (1) schon gezeigt. Zum Beweis von (2) sei ein c ∈ Z mit c | a und
c | b gegeben. Dann ist Za ⊆ Zc und Zb ⊆ Zc, also auch Za + Zb ⊆ Zc, nach
Voraussetzung also Zg ⊆ Zc. Somit gilt c | g, wie gewünscht.
zu =⇒“: Diese Richtung des Beweises ist ein kleines bißchen schwieriger.
”
Vorausgesetzt ist, dass g die beiden Bedingungen (1) und (2) für einen ggT erfüllt.
Zu zeigen ist:
!
Zg = Za + Zb.
Wegen g | a ist Za ⊆ Zg, entsprechend Zb ⊆ Zg. Also ist auch Za + Zb ⊆ Zg.
Für die umgekehrte Inklusion kommt man rein mit den Definitionen nicht mehr
weiter. Wir benutzen zusätzlich die Darstellung des ggT in der Form g = xa + yb
mit x, y ∈ Z (Lemma von Bezout, siehe 1.1.5). Diese besagt genau g ∈ Za + Zb,
also auch Zg ⊆ Za + Zb.
Man kann sich fragen, ob man in dem letzten Beweisteil die explizite Verwendung
des Lemmas von Bezout vielleicht hätte vermeiden können. Es wäre schön, wenn
man auch einen Beweis hätte, der ganz im augenblicklichen Kontext der zyklischen Gruppen bleibt. Das ist in der Tat leicht möglich und geht wie folgt. Die
Gruppe Za+Zb ist jedenfalls zyklisch, also Za+Zb = Zd für ein passendes d ∈ Z.
Nach den gleichen einfachen Schlüssen, die wir bereits mehrfach benutzt haben,
gilt nun d | a und d | b. Nun ist die Voraussetzung, dass g ein ggT ist, direkt
anwendbar: nach (2) gilt d | g. Dieses bedeutet Zg ⊆ Zd, also Zg ⊆ Za + Zb, und
das war genau die noch fehlende Inklusion.
Wir benutzen die Gelegenheit, auch im Hinblick auf gleich folgende Überlegungen zur Ordnung von Gruppenelementen, den Begriff des größten gemeinsamen
Teilers durch den Begriff des kleinsten gemeinsamen Vielfachen zu ergänzen.
Definition 2.1.12 Gegeben seien zwei ganze Zahlen a und b. Eine ganze Zahl
k heißt kleinstes gemeinsames Vielfaches von a und b, wenn sie folgende Eigenschaften hat:
(1) a | k und b | k,
(2) l ∈ Z, a | l und b | l
=⇒
k | l.
In Worten: k ist ein Vielfaches von a und von b, und jede Zahl, die gleichzeitig
Vielfaches von a und b ist, ist ein Vielfaches von k.
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Der Begriff des kleinsten gemeinsamen Vielfachen ist also dual zum Begriff des
größten gemeinsamen Teilers in dem Sinn, dass die Definition die gleiche Struktur
hat, aber alle Teilbarkeitsbeziehungen umgedreht werden. Es ist nach unseren
Einsichten über den ggT nicht mehr überraschend, dass ein kleinstes gemeinsames
Vielfaches existiert und im wesentlichen eindeutig ist. Der folgende Satz hält
dieses fest und stellt auch ein Beziehung zum ggT her.
Satz 2.1.13 Zu je zwei ganzen Zahlen a und b gibt es ein kleinstes gemeinsames
Vielfaches k. Es ist unter der zusätzlichen Forderung k ≥ 0 eindeutig bestimmt
und wird mit kgV(a, b) bezeichnet. Falls a und b nicht beide Null sind, gilt
kgV(a, b) = ±
ab
.
ggT(a, b)
Beweis: Die Eindeutigkeit ergibt sich genau wie beim ggT unmittelbar aus der
Definition: wenn k und k ′ beide die Bedingungen (1) und (2) erfüllen, so gilt k | k ′
und k ′ | k, also Gleicheit, wenn beide positiv oder Null sind.
Für die Existenz benutzt man den folgenden Hilfssatz, der dem obigen Satz
2.1.11 ähnelt, sich aber sehr viel direkter aus der Definition ergibt.
Hilfssatz 2.1.14 Eine Zahl k ∈ Z ist kgV von a und b genau dann, wenn Za ∩
Zb = Zk ist.
Die Existenz eines kgV folgt nun unmittelbar daraus, dass Za ∩ Zb eine Untergruppe von Z, also nach Satz 2.1.5 zyklisch ist.
Es bleibt noch die Formel ab = ±gk zu zeigen, wobei wir natürlich kurz
g := ggT(a, b) und k := kgV(a, b) gesetzt haben. Wir benutzen eine Darstellung
g = xa + yb mit x, y ∈ Z und schreiben ferner k = aa′ = bb′ mit a′ , b′ ∈ Z.
Einsetzen liefert gk = xak + ybk = xabb′ + ybaa′ = (xb′ + ya′ )ab, also ab | gk.
Für die umgekehrte Teilbarkeit bemerken wir, dass die obigen Zahlen a′ und b′
jedenfalls teilerfremd sind, denn sonst gäbe es einen echten Teiler von k, der
immer noch gemeinsames Vielfaches von a und b wäre. Also existieren r, s ∈ Z
mit ra′ + sb′ = 1. Es folgt ab = ab(ra′ + sb′ ) = braa′ + asbb′ = (br + as)k = zgk
für ein z ∈ Z, denn g | br + as. Also gilt gk | ab, was noch zu zeigen war.
Der größte gemeinsame Teiler und das kleinste gemeinsame Vielfache werden oft
auch für mehr als zwei Zahlen gebraucht. Die von uns gewählte Definition über
Teilbarkeitsbeziehungen überträgt sich in offensichtlicher Weise auf den allgemeinen Fall. Ebenso übertragen sich die Existenz- und Eindeutigkeitsaussage sowie
die Charakterisierung durch Summen bzw. Durchschnitte von Vielfachenmengen
(also gewissen Untergruppen von Z). Dieses wird im folgenden Satz zusammengefasst.
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Satz und Definition 2.1.15 (ggT und kgV von mehr als zwei Zahlen)
a) Gegeben seien ganze Zahlen a1 , . . . , ar . Dann gibt es eine ganze Zahl g mit
folgenden Eigenschaften:
(1) g | ai für i = 1, . . . , r, d.h. g ist ein Teiler aller ai ;
(2) c ∈ Z, c | ai für i = 1, . . . , r =⇒
Teiler aller ai ist ein Teiler von g.
c | g, d.h. jeder weitere gemeinsame
Ein solches g ist bis auf das Vorzeichen eindeutig bestimmt und heißt größter
gemeinsamer Teiler der ai , kurz ggT(a1 , . . . , ar ).
b) Eine Zahl g ∈ Z ist ggT von a1 , . . . , ar genau dann, wenn
Za1 + Za2 + · · · + Zar = Zg.
c) Gegeben seien ganze Zahlen a1 , . . . , ar . Dann gibt es eine ganze Zahl k =
kgV(a1 , . . . , ar ) mit folgenden Eigenschaften:
(1) ai | k für i = 1, . . . , r, d.h. k ist ein Vielfaches aller ai ;
(2) ai | l für i = 1, . . . , r =⇒ k | l; d.h. jedes weitere gemeinsame Vielfache l
der ai ist ein Vielfaches von k.
Ein solches k ist bis auf das Vorzeichen eindeutig bestimmt und heißt kleinstes
gemeinsames Vielfaches der ai , kurz kgV(a1 , . . . , ar ) .
d) Eine Zahl k ∈ Z ist kgV von a1 , . . . , ar genau dann, wenn
Za1 ∩ Za2 ∩ · · · ∩ Zar = Zk.
Wir kehren nun zum Themenkreis der Ordnung von Elementen in einer Gruppe
zurück. Wir wollen klären, wie diese Ordnungen in der symmetrischen Gruppe
aussehen. Die Elemente der symmetrischen Gruppe besitzen bekanntlich eine
Art Normalform, nämlich die Zerlegung in elementfremde Zyklen. Es ist nicht
überraschend, das sich hieraus die Ordnung leicht ablesen läßt. Das Ergebnis ist
wie folgt:
Satz 2.1.16
a) Es sei ρ = (i1 , i2 , . . . , iℓ ) ein Zyklus der Länge ℓ in der symmetrischen Gruppe Sn . Dann ist ℓ auch die Ordnung von ρ.
b) Es sei σ ein beliebiges Element der Sn und σ = ρ1 ◦ ρ2 ◦ . . . ◦ ρr seine
Zerlegung in elementfremde Zykel; mit ℓi sei die Länge von ρi bezeichnet.
Dann ist die Ordnung von σ das kleinste gemeinsame Vielfache der ℓi .
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Beweis: Der Teil a) ergibt sich durch Ausschreiben von ρ = (x0 , x1 , . . . , xℓ−1 )
und scharfes Hinsehen: für 0 ≤ m < ℓ bildet ρm das Element xi auf x(i+m) mod ℓ
ab, also jedenfalls nicht auf sich selbst, und folglich ist ρm nicht die Identität.
Aus dem gleichen Grund gilt ρℓ = id.
Für den Teil b) ist entscheidend, dass die Faktoren ρi alle miteinander vertauschbar sind: ρi ◦ ρj = ρj ◦ ρi für elementfremde Zykel ρi und ρj . Dieses liegt
einfach daran, dass die Wirkungsbereiche in {1, 2, . . . , n} disjunkt sind. (Mit Wirkungsbereich einer Permutation meinen wir die Menge derjenigen Ziffern, die
nicht auf sich selbst abgebildet werden.) Hieraus folgt, dass für jeden Exponenm
m
ten m gilt σ m = ρm
1 ρ2 · · · ρr . Wieder wegen der disjunkten Wirkungsbereiche ist
diese Abbildung nur dann gleich der Identität, wenn alle Faktoren ρm
i die Identität sind. Dieses gilt genau dann, wenn m ein Vielfaches der Ordnung von jedem
ρi ist, also ℓi | m für i = 1, . . . , r nach Teil a). Nach Definition des kgV gilt dieses
genau für kgV(ℓ1 , . . . , ℓr ) | m, wie gewünscht.
Ein Teil des Argumentes unter b) des letzten Satzes ist in offensichtlicher Weise
verallgemeinerungsfähig:
Bemerkung 2.1.17 Wenn zwei Elemente a und b einer Gruppe vertauschbar
sind, also ab = ba, und beide endliche Ordnung haben, dann gilt dieses auch für
das Produkt. Genauer ist ord((ab)) ein Teiler von kgV(ord(a), ord(b)).
Ohne die Vertauschbarkeit ist diese Behauptung natürlich falsch: die Elemente
(1, 2), (2, 3) ∈ S3 haben die Ordnung 2, ihr Produkt die Ordnung 3. In unendlichen
Gruppen kann die Ordnung eines Produktes leicht sogar unendlich werden. Dieses
sieht man am einfachsten bei der später behandelten unendlichen Diedergruppe.
Die genaue Bestimmung der Ordnung von ab im vertauschbaren Fall gelingt uns
im Augenblick nur in einem relativ simplen Fall.
Bemerkung 2.1.18 Eine Gruppe G sei gegeben als direktes Produkt von zwei
Gruppen A und B. Wenn a ∈ A und b ∈ B zwei Elemente endlicher Ordnung
sind, so gilt
ord((a, b)) = kgV(ord(a), ord(b)).
In der Tat ist (a, b)m = (e, e) genau dann, wenn am = e und bm = e; wie oben
bei den elementfremden Zykeln greift also unmittelbar die Definition des kgV.
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Nebenklassen, Normalteiler und Faktorgruppen
Bei der Konstruktion der Restklassengruppe Z/mZ hatten wir auf der Gruppe Z
mit Hilfe einer Untergruppe mZ eine Äquivalenzrelation definiert (die Kongruenz
modulo m) und weiter die Menge aller Äquivalenzklassen wieder zu einer Gruppe
gemacht. Wir hatten nebenbei darauf hingewiesen, dass all dieses auch für jede
andere abelsche Gruppe (zweckmäßigerweise wieder mit additiver Schreibweise
der Verknüpfung) und eine beliebige Untergruppe funktioniert. In diesem Abschnitt legen wir eine beliebige, nicht notwendig abelsche Gruppe G zugrunde
und betrachten hierin eine beliebige Untergruppe H. Die Verknüpfung wird dann
wie üblich multiplikativ notiert und in der Regel ohne Verknüpfungssymbol. Insbesondere sind Nebenklassen, also verschobene“ Untergruppen, jetzt nicht mehr
”
als g + H, sondern als gH = {gh | h ∈ H} zu notieren. (Ob man das noch mit
verschoben“ bezeichnen möchte, muss jeder selbst entscheiden; es handelt sich
”
eben um eine Verschiebung“ im Sinne der gegebenen Verknüpfung: alle Elemen”
te von H werden mit einem festen Element multipliziert.) Es stellt sich schnell
heraus, dass die Konstruktion einer Äquivalenzrelation, deren Äquivalenzklassen
genau diese Nebenklassen sind, weiterhin funktioniert. Die Einführung einer sinnvollen Gruppenstuktur auf der Menge G/H der Äquivalenzklassen ist allerdings
nur unter einer gewissen Zusatzvoraussetzung möglich, die längst nicht immer
erfüllt ist: H muss eine sogenannte normale Untergruppe sein.
Satz 2.2.1 Es sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe von G. Definiere eine
Relation LH auf G durch
aLH b :⇐⇒ a−1 b ∈ H
(a, b ∈ G) .
a) Die Relation LH ist eine Äquivalenzrelation.
b) Die Äquivalenzklassen bezüglich LH sind die Teilmengen
aH := {ah | h ∈ H} ,
wobei a ∈ G ist. Die Menge aH heißt auch Linksnebenklasse2 (von a)
bezüglich H.
Beweis: zu a): Die Relation LH ist reflexiv: Wegen der Untergruppeneigenschaft
(U1) ist a−1 a = e ∈ H, also aLH a für alle a ∈ G.
Die Relation LH ist symmetrisch: Wegen der Untergruppeneigenschaft (U3)
folgt aus a−1 b ∈ H für a, b ∈ G auch b−1 a = (a−1 b)−1 ∈ H; d.h. aus aLH b folgt
bLH a.
2
Es ist willkürlich, ob man aH als Links- (weil a links steht) oder Rechts- (weil H rechts
steht) Nebenklasse bezeichnet; dementsprechend ist die Verwendung der beiden Begriffe in der
Literatur nicht einheitlich; wir schließen uns der Mehrheit der Autoren an.
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Die Relation LH ist transitiv: Seien a, b, c ∈ G mit aLH b und bLH c, also
a b ∈ H und b−1 c ∈ H. Wegen der Untergruppeneigenschaft (U2) ist dann auch
a−1 b · b−1 c = a−1 c ∈ H, also aLH c, wie gewünscht.
zu b) Die Äquivalenzklasse von a ∈ G bezüglich der Relation LH ist definiert
als
Ka = {x ∈ G | xLH a}.
−1
Ein unmittelbarer Rückgriff auf die Definitionen zeigt, dass diese Menge gleich
aH ist. Denn wenn x ∈ Ka ist, dann ist a−1 x ∈ H, also a−1 x = h mit h ∈ H,
also x = ah ∈ aH. Wenn umgekehrt x von der Form x = ah, h ∈ H ist, so ist
a−1 x ∈ H, also x ∈ Ka .
Ergänzung. Durch aRH b ⇐⇒ ab−1 ∈ H wird ebenfalls eine Äquivalenzrelation
definiert. Die Äquivalenzklassen von RH sind die sogenannten Rechtsnebenklassen
Ha = {ha | h ∈ H}.
Definition 2.2.2 (Index) Es sei G eine Gruppe und H ⊆ G eine Untergruppe.
Dann bezeichnet man mit G/H (lies: G nach H oder G modulo H) die Menge
”
aller Linksnebenklassen und mit H\G die Menge aller Rechtsnebenklassen in G
bezüglich H
G/H = {gH | g ∈ G}
H\G = {Hg | g ∈ G}
Linksnebenklassen
Rechtsnebenklassen .
Die Anzahl der Linksnebenklassen wird als der Index von H in G bezeichnet,
Abkürzung auch (G : H).
In Wirklichkeit sind die Linksnebenklassen gegenüber den Rechtsnebenklassen in
keiner Weise ausgezeichnet. Wir werden unten sehen, dass der Index von H in G
auch gleich der Anzahl der Rechtsnebenklassen von H in G ist.
Wir kommen nun zu einer ersten fundamentalen Anwendung des Konzeptes der
Nebenklassen, nämlich einer Aussage über die mögliche Anzahl der Elemente
einer Untergruppe einer endlichen Gruppe.
Sprechweise. Unter der Ordnung einer Gruppe G versteht man die Anzahl |G|
der Elemente von G.
Satz 2.2.3 (Lagrange) Es sei G eine endliche Gruppe und H eine Untergruppe.
Dann ist die Ordnung von H ein Teiler der Ordnung von G. Der Quotient ist
der Index von H in G:
|G| = |G/H| · |H| = (G : H) · |H| .
Beweis: Es seien a1 H, a2 H, . . . , ak H die verschiedenen Nebenklassen bzgl. H.
Es ist also definitionsgemäß k = |G/H|, nämlich die Anzahl der (Links-)Nebenklassen. Nach dem Satz 2.2.1 handelt es sich bei den Mengen a1 H, a2 H, . . . , ak H
Algebra I
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63
um die Äquivalenzklassen einer Äquivalenzrelation auf G. Nach einer allgemeinen Eigenschaft von Äquivalenzrelationen ist G die disjunkte Vereinigung der
Äquivalenzklasssen. Folglich gilt für die Mächtigkeit
|G| = |a1 H| + |a2 H| + · · · + |ak H|.
Weiter sieht man schnell, dass alle Mengen ai H gleich viele Elemente haben,
genauer: gleichmächtig zu H sind. Denn die Abbildung
x 7→ ai x,
H → ai H
ist definitionsgemäß surjektiv und nach der Kürzungsregel Satz 1.3.16 a) injektiv,
also bijektiv. Zusammengefasst ist |G| = k|H|, wie gewünscht.
Der folgende Satz ist eine unmittelbare Folgerung des Satzes von Lagrange (und
wird oft ebenfalls als Satz von Lagrange“ bezeichnet).
”
Satz 2.2.4 Es sei G eine endliche Gruppe und a ∈ G. Dann ist die Ordnung
ord(a) von a ein Teiler der Ordnung von G.
Beweis: Wir wenden den Satz von Lagrange auf die Untergruppe H = hai an.
Diese Untergruppe besteht nach Satz 2.1.7 b) aus ord(a) Elementen.
Beispiele 2.2.5
(1) Die Elemente der Diedergruppe Di4 haben die Ordnungen 1, 2 oder 4. Die
Ordnung 8 kann nicht auftreten, weil Di4 dann zyklisch wäre; Di4 ist aber
nicht einmal abelsch.
(2) Ein Zykel der Länge l ≤ n in der symmetrischen Gruppe Sn hat die Ordnung
l. Da Sn die Ordnung n! hat, sind all diese Zahlen l tatsächlich Teiler der
Gruppenordnung.
(3) Für die Ordnung [a]m eines Elementes der Gruppe (Z/mZ, +) kann man
sich die Formel
m
ord[a]m =
ggT(a, m)
überlegen.
Korollar 2.2.6 Jede Gruppe der Ordnung p, wobei p eine Primzahl ist, ist zyklisch.
Beweis: Es sei |G| = p und a ∈ G ein beliebiges Element mit a 6= e. Dann ist
ord(a) 6= 1. Da ord(a) ein Teiler von p und p Primzahl ist, gilt ord(a) = p. Nach
Satz 2.1.7 b) gilt also |hai| = p, d.h. die Untergruppe hai ist gleich der ganzen
Gruppe G. Also ist G = hai zyklisch.
Algebra I
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64
Den Beweis des Satzes von Lagrange 2.2.3 hätte man auch mit Rechtsnebenklassen statt Linksnebenklassen führen können. Es ergibt sich |G/H| = |G|/
|H| = |H\G|, d.h. G enthält, wie oben schon erwähnt, gleich viele Links- und
Rechtsnebenklassen. Wir überlegen uns jetzt, dass dieses Resultat immer gilt,
auch wenn G unendlich ist.
Satz und Definition 2.2.7 Es sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe.
Dann liefert die Vorschrift X 7→ X −1 := {x−1 | x ∈ X} eine Bijektion von G/H
auf H\G. Der Index von H in G ist also die gemeinsame Mächtigkeit von G/H
und H\G:
(G : H) = |G/H| = |H\G| .
Beweis: Es sei X ∈ G/H, also von der Form X = gH mit g ∈ G. Es gilt
X −1 =
=
=
=
{(gh)−1 | h ∈ H}
{h−1 g −1 | h ∈ H}
{hg −1 | h ∈ H}
Hg −1 ∈ H\G.
Unsere Abbildung X 7→ X −1 landet also in der gewünschten Zielmenge. Die gleiche Vorschrift definiert mit analogem Beweis auch eine Abbildung H\G → G/H
in umgekehrter Richtung. Wegen (X −1 )−1 = X sind diese beiden Abbildungen
invers zueinander, also bijektiv.
Die weitere Analyse des Zusammenhangs zwischen Rechts- und Linksnebenklassen führt auf eine besondere Sorte von Untergruppen, die sogenannten normalen
Untergruppen oder Normalteiler. Dieser Begriff war im Zusammenhang mit Homomorphismen unter 1.4.4 schon erwähnt worden. Diesen Aspekt werden wir
gleich weiter verfolgen (siehe Satz 2.2.11 unten). Erst einmal formulieren und
beweisen wir aber einen Satz, der die verschiedenen Beschreibungen von Normalteilern zusammenstellt.
Satz und Definition 2.2.8 Sei G eine Gruppe und N ⊆ G eine Untergruppe
von G. Dann sind äquivalent:
(i) Für alle g ∈ G gilt gN = Ng.
(ii) Es gilt G/N = N\G, d.h. jede Linksnebenklasse bezüglich N ist auch Rechtsnebenklasse bezüglich N, und umgekehrt.
(iii) Für alle g ∈ G und alle n ∈ N gilt gng −1 ∈ N.
Eine Untergruppe, die diese Bedingungen erfüllt, heißt Normalteiler von G oder
normale Untergruppe; Bezeichnung N E G.
Algebra I
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65
Beweis: Die Implikation (i) ⇒ (ii)“ ist offensichtlich.
”
Für die Umkehrung (ii) ⇒ (i)“ muss man etwas genauer hinsehen. Nach
”
(ii) weiß man zunächst nur, dass eine gegebene Linksnebenklasse gN überhaupt
Rechtsnebenklasse ist, also von der Form Ng ′ für ein g ′ ∈ G. Nun ist aber eine
(Rechts-)Nebenklasse durch jedes ihrer Elemente gegeben: Ng ′ = Ny für alle
y ∈ Ng ′ . (Erinnerung hierzu: Nebenklassen sind Äquivalenzklassen, eine Äquivalenzklasse ist die Äquivalenzklasse eines jeden ihrer Elemente (Vertreter), und
die Äquivalenzklasse zu y ist Ny.) Da offensichtlich g ∈ gN = Ng ′ ist, können
wir y = g nehmen und sind fertig.
Die Implikation (i) ⇒ (iii)“ ist wieder offensichtlich: Es ist gn = n′ g für
”
passendes n′ (bei gegebenem g, n), also gng −1 ∈ N.
Für die Umkehrung (iii) ⇒ (i)“ brauchen wir nicht nur die Inklusion gNg −1 ⊆
”
N (die unmittelbar durch die Voraussetzung (iii) gegeben ist), sondern die Gleichheit. Das heißt, wir kommen nicht ganz so unmittelbar zum Ziel wie bei der anderen Richtung. Stattdessen zeigen wir die beiden Inklusionen gN ⊆ Ng und
Ng ⊆ gN einzeln. Sei x ∈ gN gegeben, also x = gn, n ∈ N. Es ist nach Voraussetzung auch n′ := gng −1 ∈ N. Wegen n′ = xg −1 ist x = n′ g ∈ Ng wie
gewünscht. Umgekehrt sei y ∈ Ng gegeben, also y = ng, n ∈ N. Betrachte jetzt
n′ := g −1ng ∈ N. Dann ist y = gn′ , also wie gewünscht y ∈ gN.
Man kann die Bedingung (i) aus 2.2.8 auch wie folgt formulieren: Eine Untergruppe N ist Normalteiler genau dann, wenn sie invariant unter allen inneren
Automorphismen ist: ig (N) ⊆ N für alle g ∈ G (siehe Beispiel (6) nach 1.4.5).
Beispiele 2.2.9
(1) Alle Untergruppen von abelschen Gruppen sind Normalteiler.
(2) Sei G eine Gruppe, U ⊆ G eine Untergruppe vom Index 2. Dann ist U
Normalteiler von G. Denn neben U selbst ist das Komplement G r U die
einzige weitere Nebenklasse. Diese ist notwendig sowohl Rechts- als auch
Linksnebenklasse:
G/U = {U, G r U} = U\G .
(3) In G = S4 ist V4 := {id, (12)(34), (14)(23), (13)(24)} ein Normalteiler, die
sog. Klein’sche Vierergruppe“.
”
(4) In S4 ist Di4 = {(1, 2, 3, 4), (1, 3), . . . } (vergl. Beispiel 1.3.12 (4)) kein Normalteiler; z.B. gilt iσ (Di4 ) 6⊆ Di4 für σ = (2, 3).
Für die Beispiele (3) und (4) muss man wissen, wie Konjugation, d.h. ein innerer Automorphismus, in der Gruppe Sn aussieht. Wegen der Homomorphieeigenschaft der Konjugation kann man sich auf die Konjugation eines einzelnen
Zykels beschränken (denn jedes Element der Sn ist Produkt von Zykeln). Hier
gilt folgende Regel:
Algebra I
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66
Proposition 2.2.10 Es sei ρ ∈ Sn ein Zyklus und σ ∈ Sn beliebig. Das Konjugierte σρσ −1 erhält man, indem man alle Ziffern j in ρ = hj1 , j2 , . . . , jl i durch
σ(j) ersetzt:
σ hj1 , j2 , . . . , jl i σ −1 = hσ(j1 ), σ(j2 ), . . . , σ(jl )i.
Der folgende Satz ist sehr einfach zu beweisen, gibt aber bereits einen wesentlichen
Grund dafür, dass Normalteiler besonders wichtige Untergruppen sind.
Satz 2.2.11 Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Dann ist
Ker ϕ = {g | ϕ(g) = eH }
ein Normalteiler von G.
Beispiel Die Gruppe SLn (K) ist ein Normalteiler in GLn (K). Denn die Determinanten-Abbildung det : GLn (K) → K ∗ ist ein Homomorphismus, und SLn (K)
definitionsgemäß gleich Ker(det).
Wir kommen nun endlich zu der bereits in der Einleitung dieses Abschnittes angekündigten Verallgemeinerung der Restklassengruppe Z/mZ, nämlich zur Einführung einer Gruppenstruktur auf der Nebenklassen-Menge G/N in dem Fall,
dass N eine normale Untergruppe von G ist.
Satz und Definition 2.2.12 G sei eine Gruppe und N ein Normalteiler von
G.
a) Durch (gN) · (hN) := (gh)N für alle g, h ∈ G wird eine Verknüpfung auf
G/N wohldefiniert.
b) Mit dieser Verknüpfung ist G/N eine Gruppe, die sogenannte Faktorgruppe
G modulo N oder G nach N.
c) Die Abbildung πN : G → G/N, g 7→ gN ist ein surjektiver Gruppenhomomorphismus, der sogenannte kanonische Homomorphismus.
Beispiel: Für G = Z und H = mZ für ein m ∈ N erhalten wir die bekannte
Gruppe der Restklassen modulo m.
Beweis: zu a) Wie früher schon bei der Restklassenaddition müssen wir zeigen,
dass die rechte Seite (gh)N der definierenden Gleichung wirklich nur von gN
und hN abhängt, und nicht von der Wahl der Vertreter g und h. Seien also
g ′ und h′ zwei weitere Gruppenelemente von G derart, dass gN = g ′ N und
hN = h′ N. Zu zeigen ist (gh)N = (g ′ h′ )N ist, was äquivalent zu (gh)−1 (g ′ h′ ) ∈
N, also h−1 g −1g ′ h′ ∈ N ist. Mit etwas Einsetzen und Rechnen, aber ohne viel
Nachdenken, können wir das wie folgt einsehen. Nach Voraussetzung ist g −1 g ′ =:
n ∈ N. Wir orientieren uns nun an Bedingung (iii) im Satz 2.2.8. Um den in
Algebra I
c Rudolf Scharlau, 2002 – 2010
67
Frage stehenden Ausdruck h−1 nh′ auf die Form h−1 (...)h zu bringen, benutzen
wir, dass Nh = Nh′ , also h′ = n′ h mit n′ ∈ N ist. Wir kommen so auf h−1 (nn′ )h,
was in der Tat in N liegt, da ja N normal ist.
b) Alle drei Gruppeneigenschaften ergeben sich unmittelbar aus der Definition
der Verknüpfung und der entsprechenden Eigenschaft von G: für drei beliebige
Elemente gilt xN(yNzN) = xN(yz)N = (x(yz))N = ((xy)z)N = (xy)NzN =
(xNyN )zN; neutrales Element in G/N ist N = eN; invers zu gN ist g −1 N.
c) Auch dieses folgt unmittelbar aus der Definition der Verknüpfung auf der
Gruppe G/N: für zwei beliebige Elemente x, y ∈ G gilt πN (xy) = (xy)N =
(xN)(yN) = πN (x)πN (y). Die Surjektivität ist offensichtlich: Zu gegebenem
gN ∈ G/N ist g ∈ G ein Urbild.
Bemerkung: Komplex-Multiplikation von Nebenklassen. Wir wollen noch
eine wichtige Bemerkung zur Definition der Verknüpfung auf der Faktorgruppe
machen. Im Grunde genommen haben wir diese nämlich zwei Mal, auf –zunächst–
verschiedene Weise definiert. Wenn ganz allgemein (G, ∗) eine Menge mit innerer Verknüpfung ist und A, B ⊆ G Teilmengen, so benutzt man generell die
Abkürzung
A ∗ B = {a ∗ b | a ∈ A und b ∈ B}.
Für Teilmengen eines Vektorraumes ist dieses vertraut (und besonders wichtig
wenn A und B Unterräume sind oder a einelementig und B ein Unterraum; die
Definition gilt aber allgemein). Im Fall einer (multiplikativ geschriebenen, i.A.
nicht-abelschen) Gruppe nennt man die Menge AB auch das Komplex-Produkt
von A und B. Nun gilt glücklicherweise folgendes:
Es sei (G, ·) eine Gruppe, N E G eine normale Untergruppe und
A = g · N = gN und B = h · N = hN zwei Nebenklassen von N.
Dann ist das eben in 2.2.8 a) definierte Produkt, also (gh)N, gleich
dem Komplexprodukt A · B.
Zum Beweis macht man sich (durch scharfes Hinsehen) zunächst klar, dass bei
jeder assoziativen Verknüpfung auch für die zugehörigen Komplexprodukte von
Teilmengen das Assoziativgesetz gilt. Ferner benutzt man, dass Nebenklassen als
Komplexprodukte mit einem einelementigen Faktor aufgefasst werden können:
gN = {g}N. Nun kann man den Beweis sehr kurz wie folgt aufschreiben: (gh)N =
g(hN) = g(Nh) = g((NN)h) = (gN)(Nh) = (gN)(hN). Beachte, dass das
Komplex-Produkt NN in der Tat für jede Untergruppe gleich N ist, sogar für
jede unter Multiplikation abgeschlossenen Teilmenge N mit e ∈ N.
Wie gesagt wird die Wohldefiniertheit, also Teil a) des obigen Satzes jetzt
überflüssig. Auch wenn man die Interpretation von (gh)N als Komplexprodukt
nicht benutzen möchte, kann man den obigen Beweis der Wohldefiniertheit wie
folgt variieren und abkürzen: (gh)N = g(hN) = g(h′N) = g(Nh′ ) = (gN)h′ =
(g ′ N)h′ = g ′(Nh′ ) = g ′ (h′ N) = (g ′h′ )N.
Algebra I
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68
Man kann sich fragen, warum wir im Satz 2.2.12 das Prokukt nicht gleich als
Komplex-Produkt definiert haben; dann hätte man sich das Problem der Wohldefiniertheit völlig erspart, was vielleicht etwas eleganter erscheint. Der Grund für
unsere Definition liegt im Teil c) des Satzes: es ist einfach eine zwingende Forderung für alle weiteren Anwendungen von Faktorgruppen, dass die kanonische
Abbildung πN : G → G/N ein Homomorphismus ist. Dann bleibt einem bei der
Definition von (gN) · (hN) aber überhaupt keine Wahl, man muss dieses gleich
(gh)N setzen. Die Wohldefiniertheit (die ja nur für normales N gilt) muss man
dann eben nachprüfen. Dass man die glatte Beschreibung als Komplex-Produkt
zusätzlich hat, ist ein glücklicher Zufall bei Gruppen, der bei anderen Strukturen und ihren Faktorstrukturen nicht eintreten muss. Die Multiplikation [a] ⊙ [b]
von Restklassen ganzer Zahlen ist z.B. nicht durch das elementweise Produkt der
beiden Klassen gegeben.
Die Konstruktion der Faktorgruppe sollte immer im engen Zusammenhang mit
dem folgenden Satz gesehen werden, der den Zusammenhang zu (auf G definierten) Gruppenhomomorphismen klärt.
Satz 2.2.13 (Homomorphiesatz für Gruppen)
a) Es sei ϕ : G → H ein Gruppenhomomorphismus. Weiter sei N E G ein
Normalteiler mit N ⊆ Ker ϕ. Dann gibt es einen eindeutig bestimmten
Homomorphismus ϕ′ : G/N → H mit ϕ = ϕ′ ◦ πN , d.h. das Diagramm
πN
ϕ
-
-
G
H
ϕ′
?
G/N
ist kommutativ. Der Homomorphismus ϕ′ heißt auch der von ϕ induzierte
Homomorphismus.
b) Unter den Voraussetzungen von a) ist Bild ϕ = Bild ϕ′ . Insbesondere ist ϕ′
surjektiv genau dann, wenn ϕ surjektiv ist.
c) Unter den Voraussetzungen von a) ist Ker ϕ′ = (Ker ϕ)/N. Insbesondere
ist ϕ′ injektiv genau dann, wenn N = Ker ϕ ist.
Wenn wir die unter b) und c) genannten Spezialfälle zusammenfassen, so ist
insbesondere geklärt, wann der induzierte Homomorphismus ϕ′ bijektiv, also ein
Isomorphismus ist. Somit enthält der Homomorphiesatz auch ein Werkzeug, um
Isomorphismen zu konstruieren. In der Tat ist dieses eine Standard-Methode, um
Algebra I
c Rudolf Scharlau, 2002 – 2010
69
Isomorphie festzustellen, sobald die eine der beiden Gruppen als Faktorgruppe
gegeben ist. Wegen der vielen Anwendungen halten wir diese Teilaussage des
Homomorphiesatzes noch einmal als Korollar fest.
Korollar 2.2.14 (Isomorphiesatz für Gruppen) Es sei ϕ : G → H ein surjektiver Gruppenhomomorphismus. Dann induziert ϕ einen Isomorphismus
∼
=
ϕ′ : G/ Ker ϕ −→ H.
Beispiele 2.2.15 (1) Jede endliche zyklische Gruppe hai ist isomorph zu
(Z/mZ, +), wobei m die Ordnung von a ist.
(2) Für n, m ∈ N gilt Zn /mZn ∼
= (Z/mZ)n .
(3) Es gilt R/Z ∼
= C1 := {z ∈ C | |z| = 1}.
Für die Beweise wendet man den Homomorphiesatz (bzw. den Isomorphiesatz)
auf folgende Homomorphismen an:
(1) ϕa : Z → hai, n 7→ an
(2) Zn → (Z/mZ)n , (z1 , . . . , zn ) 7→ ([z1 ]m , . . . , [zn ]m )
(3) R → C1 , x 7→ e2πix
Der nächste Satz wird in der Ringtheorie erneut auftauchen, und zwar als sogenannter Chinesischer Restsatz. Dort wird es auch für einen Teil der Aussage
einen neuen Beweis geben, der zusätzliche Informationen liefert.
Satz 2.2.16 Es seien m, n ∈ N zwei teilerfremde natürliche Zahlen. Dann ist
die Gruppe Z/mZ × Z/nZ zyklisch, also isomorph zu Z/nmZ.
Beweis: Betrachte den Homomorphismus
ϕ : Z −→ Z/mZ × Z/nZ,
x 7−→ ([x]m , [x]n ).
Der Kern von ϕ besteht aus denjenigen ganzen Zahlen x, für die [x]m und [x]n beide die Nullklasse sind, d.h. die sowohl durch m als auch durch n teilbar sind. Nach
2.1.12 und 2.1.13 sind diese Zahlen genau die Vielfachen von k := kgV(m, n).
Wiederum nach 2.1.13 ist kgV(m, n) = mn/ ggT(m, n), nach Voraussetzung also
gleich mn. Insgesamt sind die Elemente des Kerns von ϕ also genau die Vielfachen
von mn, wie behauptet.
Der folgende Satz ist eine leichte Folgerung des Isomorphiesatzes. Er wird in der
Literatur oft als erster Isomorphiesatz“ bezeichnet. Bevor wir ihn formulieren,
”
wollen wir erst einmal erklären, in welcher allgemeinen Situation wir uns befinden,
und wie man dann auf den Satz fast von selbst geführt wird.
Wir betrachten eine beliebige Faktorgruppe G/N, wobei also N ein Normalteiler von G ist. Weiter nehmen wir uns irgendeine Untergruppe U von G her
Algebra I
c Rudolf Scharlau, 2002 – 2010
70
(die mit N nichts zu tun hat). Wir können dann eine bestimmte Teilmenge von
G/N betrachten, nämlich die Menge aller Nebenklassen uN, u ∈ U. Diese Menge, nennen wir sie Ū , ist eine Untergruppe von G/N. Diese kann man unter
Benutzung der Normalteiler-Eigenschaft uN = Nu zu Fuß nachrechnen. Eleganter argumentiert man damit, dass Ū = πN (U) das Bild einer Untergruppe unter
einem surjektiven Homomorphismus, nämlich dem kanonischen Homomorphismus πN : G → G/N ist (siehe 2.2.12). Mit anderen Worten, wir haben einen
surjektiven Homomorphismus ϕ : U → Ū, wobei ϕ := πN |U die Einschränkung
des kanonischen Homorphismus auf U ⊆ G ist. Der Isomorphisatz 2.2.14 liefert
∼
=
also einen induzierten Isomorphismus ϕ′ : U/ Ker ϕ −→ Ū . Ferner gilt offensichtlich Ker ϕ = Ker πN ∩ U = N ∩ U. Andererseits kann man auch das volle
−1
Urbild πN
(πN (U)) betrachten. Dieses ist also die Menge aller g ∈ G derart,
dass πN (G) = gN von der Form uN, u ∈ U ist. Offenbar gilt dieses genau
−1
für g ∈ UN. Kurz gesagt gilt UN = πN
(πN (U)), womit insbesondere bewiesen ist, dass das Komplexprodukt UN wirklich eine Untergruppe ist. Wenn wir
nun die Einschränkung ψ := πN |U N : UN → Ū betrachten, so ist deren Kern
offenbar gleich N und somit haben wir einen Isomorphismus ψ ′ : UN → Ū . Insgesamt haben wir also einen Isomorphismus U/(U ∩ N) → UN/N, der durch
u(U ∩ N) 7→ uN gegeben ist. Wir haben somit folgenden Satz bewiesen.
Satz 2.2.17 Sei G eine Gruppe N ⊆ G ein Normalteiler von G und U ⊆ G eine
Untergruppe von G. Dann gilt:
a) U ∩ N ist ein Normalteiler von U.
b) UN ist eine Untergruppe von G, die N und U enthält.
c) UN/N ∼
= U/(U ∩ N)
Algebra I
2.3
c Rudolf Scharlau, 2002 – 2010
71
Gruppenoperationen
Viele wichtige Gruppen bestehen aus Abbildungen, z.B. Permutationen einer endlichen Menge, linearen Abbildungen eines Vektorraumes oder Isometrien eines
euklidischen Raumes. Aus der gegebenen Realisierung der Gruppenelemente als
Abbildungen konstruiert man leicht weitere Abbildungen und Gruppen. Wenn
z.B. f : X → X bijektiv ist und A ⊆ X eine beliebige Teilmenge, so ist auch
f (A) definiert, und auf diese Weise liefert f auch eine Abbildung auf den Teilmengen (d.h. der Potenzmenge) von X. Durch Einschränkung erhält man Abbildungen auf den Teilmengen einer festen Mächtigkeit (z.B. den zweielementigen
Teilmengen), oder im Fall linearer Abbildungen eines Vektorraumes V z.B. auf
der Menge aller Geraden oder Ebenen von V .
Das folgende Konzept einer Gruppenoperation liefert einen allgemeinen Rahmen für die Interpretation von Gruppenelementen als Abbildungen und die Interpretation der Verknüpfung in der Gruppe als Komposition (Verkettung) von
Abbildungen.
Definition 2.3.1 Eine Operation 3 einer Gruppe G auf einer Menge X ist eine
Abbildung
G × X → X, (g, x) 7→ g.x ,
die den Bedingungen
(Op1) e.x = x für alle x ∈ X
(Op2) g.(h.x) = (gh).x für alle g, h ∈ G, x ∈ X
genügt.
Mit anderen Worten, eine Operation von G auf X ist eine äußere Verknüpfung
von G mit X, die die genannten zusätzlichen Bedingungen erfüllt. Jedes Gruppenelement liefert eine Abbildung x 7→ g.x, X → X, und nach (Op2) gehört zu
einem Produkt gh in G die Komposition der einzelnen Abbildungen (erst h, dann
g anwenden).
Beispiele 2.3.2 (Gruppenoperationen)
(1) G = Sn die symmetrische Gruppe vom Grad n und X = {1, . . . , n} mit
σ.m = σ(m) für σ ∈ Sn , m ∈ X.
(2) Allgemeiner sei X irgendeine Menge,
Per X := {f : X → X | f bijektiv}
die Menge aller Permutationen von X und G ⊆ Per X irgendeine Untergruppe, weiter f.x = f (x) wie eben. Diese Operation heißt die natürliche
Operation von G auf X.
3
Eine Gruppenoperation wird auch als Gruppenaktion bezeichnet, insbesondere in der englischsprachigen Literatur: group action“, G acts on X“.
”
”
Algebra I
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72
(3) Wenn V ein K-Vektorraum ist, so operiert GL(V ) und jede Untergruppe
davon auf V . Dieses ist ein Spezialfall von (2).
(4) Für jeden K-Vektorraum V operiert die Gruppe GL(V ) auf der Menge
der Endomorphismen End(V ) durch die Vorschrift (g, f ) 7→ gf g −1. Ebenso
operiert für festes n ∈ N die Matrizengruppe GLn (K) durch (S, A) 7→
SAS −1 auf der Menge K n×n aller quadratischen Matrizen der Größe n.
(5) Jede Gruppe G operiert auf sich selbst (X = G) mittels g.x = gx (Produkt
in G). Die Bedingung (Op 2) ist das Assoziativgesetz.
(6) Seien G und X wie in (2) und H ⊆ G eine Untergruppe von G. Dann
operiert auch H auf X, und zwar einfach durch Einschränkung.
(7) Seien G und X wie in (2). Dann operiert G auf der Potenzmenge P(X)
durch g.Y := g(Y ) = {g(y) | y ∈ Y }.
(8) Wenn allgemeiner eine beliebige Gruppenoperation von G auf X gegeben
ist, so operiert G auch auf P(X) durch g.Y = {g.y | y ∈ Y }.
Wenn eine Operation einer Gruppe auf einer Menge gegeben ist, so kann man in
naheliegender Weise einige abgeleitete Objekte betrachten. Diese werden in der
folgenden Definition zusammengestellt.
Definition 2.3.3 Die Gruppe G operiere auf der Menge X.
a) Für x ∈ X heißt G.x := {g.x | g ∈ G} die Bahn oder der Orbit von x. Die
Mächtigkeit |G.x| nennt man auch die Länge der Bahn.
b) Die Menge
Gx := {g ∈ G | g.x = x}
heißt die Isotropiegruppe oder der Stabilisator von x.
c) Wenn g ∈ G und x ∈ X sind mit g.x = x, so heißt x auch ein Fixpunkt
von g. Wenn g.x = x ist für alle g ∈ G, so nennt man x einen Fixpunkt der
Operation oder auch Fixpunkt von G.
d) Eine Teilmenge Y ⊆ X heißt invariant unter G oder G-invariant, falls
g.y ∈ Y ist für alle g ∈ G, y ∈ Y . Durch Einschränkung erhält man dann
eine Operation G × Y → Y .
Man prüft schnell nach, dass Gx in der Tat eine Untergruppe von G ist. Lediglich
das Inverse erfordert ein kleines Argument: Für x ∈ Gx läßt man das Element
g −1 auf beide Seiten der Gleichung g.x = x operieren und erhält mittels (Op2)
und dann (Op1) die gewünschte Gleichung g −1.x = x
Algebra I
c Rudolf Scharlau, 2002 – 2010
73
Beispiele 2.3.4 (Bahnen, Stabilisatoren, invariante Teilmengen)
(1) Wir betrachten die Operation von Sn auf der Potenzmenge P({1, . . . , n}).
Betrachte speziell das Element x = {1, 2, . . . , k} ∈ P({1, . . . , n}), für eine
feste Zahl k ≤ n. Dann besteht die Bahn von x unter Sn aus allen kelementigen Teilmengen von {1, . . . , n}.
(2) Betrachte, für eine beliebige Gruppe G und eine beliebige Untergruppe H,
die Operation von H auf G durch Linksmultiplikation (siehe die Beispiele
nach 2.3.1, (4) und (5)). Dann sind die Bahnen von H in G genau die
Rechtsnebenklassen Hg, g ∈ G. (Für Linksnebenklassen müssen wir, wie
oben schon angemerkt, Operationen von rechts“ zulassen; dann läuft alles
”
völlig analog.)
(3) Wir betrachten einen (endlich-dimensionalen) Vektorraum V und die natürliche Operation der Gruppe GL(V ) auf V (siehe Beispiel 2.3.2 (3)). Sei v0 ∈ V
ein beliebiger von Null verschiedener Vektor. Dann besteht die Bahn von
v0 aus allen Vektoren außer dem Nullvektor: GL(V )v0 = V r {0}.
(4) Der Stabilisator von n ∈ X = {1, . . . , n} in der symmetrischen Gruppe Sn
ist kanonisch zu identifizieren mit der Gruppe Sn−1 .
(5) Die Stabilisatoren der Operation von G auf sich selbst durch Linksmultiplikation (Beispiel 2.3.2 (5)) sind alle trivial.
(6) Die Fixpunkte eines Zyklus σ = (i1 , i2 , . . . , ie ) ∈ Sn sind genau die Ziffern,
die nicht unter den ij vorkommen.
(7) Die Operation von GL(V ) auf dem Vektorraum V hat 0 als Fixpunkt.
(8) Für die natürliche Operation von GL(V ) auf den Teilmengen des Vektorraumes V ist die Menge U(V ) der Untervektorräume von V eine GL(V )invariante Teilmenge von P(V ). Somit operiert GL(V ) in natürlicher Weise
auf U(V ).
(9) Die Isometriegruppe Iso(E) eines euklidischen Vektorraumes operiert auf
den Teilmengen von E. Der Stabilisator Iso(E)M von M ⊆ E ist die sogenannte Symmetriegruppe von M.
Insbesondere der letzte Punkt liefert eine Fülle von interessanten Gruppen, die als
Stabilisatoren aufgefasst werden können; wir erinnern nur an die Diedergruppe
der Ordnung 2n, die als Symmetriegruppe des regulären n-Ecks realisiert werden
kann. In den Übungen behandeln wir die Symmetriegruppe des Würfels, allgemeiner des Hyperwürfels“ in beliebiger Dimension n. Weitere Beispiele für Sta”
bilisatoren ergeben sich bei Anwendungen von Gruppenoperationen auf die Sätze
von Sylow im folgenden Abschnitt 2.4 oder in Kapitel 5 in der Galoistheorie.
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74
Wir wollen uns nun der Gesamtheit der Bahnen einer Gruppenoperation zuwenden, genauer der Frage, wie diese in der Grundmenge X drinliegen“. Ein
”
genauerer Blick auf die bisherigen Beispiele zeigt eine gewisse Gesetzmäßigkeit:
bei der natürlichen Operation von Sn auf P({1, . . . , n}) ergibt sich offenbar die
Bahn entsprechend der Mächtigkeit der Teilmenge, und deshalb bilden die Bahnen eine Partition der in Frage stehenden (Potenz-)Menge; ähnlich ist es bei
GL(V ) und den Untervektorräumen, mit der Dimension statt der Kardinalität;
bei der Operation von GL(V ) auf V gibt es nur zwei Bahnen, den Nullvektor
(als einelementige Teilmenge) und den gesamten Rest, also wieder eine Zerlegung
von V . Bei der Operation der Untergruppe H auf ganz G schließlich ist es von
früher bekannt, dass die Bahnen, in diesem Fall Nebenklassen, eine Partition der
Gruppe G bilden. In diesem Fall kennen wir auch den Grund“: die Nebenklassen
”
sind die Äquivalenzklassen einer geeigneten Äquivalenzrelation.
Wir haben das Wort Grund in Anführungszeichen gesetzt, weil jede Klasseneinteilung auf einer Menge aus den Äquivalenzklassen einer geeigneten Äquivalenzrelation besteht; dieses ist allerdings eine rein formale Einsicht, solange
man keine unabhängige, inhaltliche Beschreibung dieser Relation hat.
Das beschriebene Verhalten von Bahnen ist keine spezielle Eigenschaft der bisher
betrachteten Beispiele. Vielmehr überlegt man sich leicht direkt aus den Axiomen
einer Gruppenoperation, dass die Bahnen immer als Äquivalenzklassen aufgefasst
werden können und deshalb immer eine Zerlegung der Gesamtmenge bilden. Wir
halten dieses im folgenden Satz fest und geben auch einen vollständigen Beweis.
Satz 2.3.5 Die Gruppe G operiere auf der Menge X. Definiere eine Relation ∼G
auf X durch
x ∼G y ⇐⇒ ∃ g ∈ G : g.x = y .
Dieses ist eine Äquivalenzrelation. Die Äquivalenzklassen sind genau die Bahnen
von G in X. Insbesondere sind zwei Bahnen entweder disjunkt oder sie stimmen
überein.
Beweis: Die Relation ∼G ist reflexiv: Für beliebiges x ∈ X gilt e.x = x, also
x ∼G x.
Die Relation ∼G ist symmetrisch: wenn x ∼G y gilt, also g.x = y für ein
g ∈ G, dann ist auch y = g −1 .x, also y ∼G x.
Die Relation ∼G ist transitiv: aus x ∼G y und y ∼G z folgt die Existenz von
g, h ∈ G mit g.x = y und h.y = z. Hieraus folgt (hg).x = h.(g.x) = z, also
x ∼G z.
Die Äquivalenzklasse von x ∈ X besteht definitionsgemäß aus den y ∈ X mit
x ∼G y, also aus denjenigen y, für die ein g ∈ G exisitert mit g.x = y. Diese y
bilden aber genau die Bahn G.x.
Wenn eine Operation einer Gruppe G auf einer Menge X gegeben ist, so sagt
man auch, x, y ∈ X seien G-äquivalent, wenn sie in der Relation ∼G stehen.
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75
Korollar 2.3.6 Jede G-invariante Teilmenge ist disjunkte Vereinigung von Bahnen.
Korollar und Definition 2.3.7 Für eine Operation einer Gruppe G auf einer
Menge X sind die folgenden beiden Bedingungen äquivalent:
(i) Es gibt ein x ∈ X mit X = G.x.
(ii) Für je zwei Elemente x, y ∈ X gibt es ein g ∈ G mit g.x = y.
Eine Operation heißt transitiv, wenn diese beiden Eigenschaften erfüllt sind, d.h.
wenn X aus nur einer Bahn unter G besteht.
Beispiele 2.3.8 (Die Äquivalenzrelation zu einer Gruppenoperation)
(1) Wir betrachten die Operation von Sn auf der Potenzmenge P({1, . . . , n}).
Zwei Teilmengen X, Y ⊆ {1, . . . , n} sind genau dann Sn -äquivalent, wenn
sie die gleiche Mächtigkeit |X| = |Y | haben.
(2) Wir betrachten die Operation der allgemeinen linearen Gruppe GL(V ) eines endlich-dimensionalen Vektorraumes V auf der Menge U(V ) der Unterräume von V . Zwei Unterräume U, W sind genau dann GL(V )-äquivalent, wenn sie die gleiche Dimension dim U = dim W haben.
(3) Aus der Linearen Algebra kennt man den Begriff der Ähnlichkeit von quadratsichen Matrizen und weiß, dass dieses eine Äquivalenzrelation ist. Diese
Relation gehört zu dem hier behandelten Typ von Äquivalenzrelationen.
Sie kommt nämlich her von der durch den Ausdruck SAS −1 gegebenen
Operation der Matrizengruppe GLn (K) auf der Menge aller quadratischen
Matrizen.
(4) Es sei (V, h , i) ein euklidischer Vektorraum (also h , i ein Skalarprodukt
auf dem reellen Vektorraum V ) und O(V ) = O(V, h , i) seine orthogonale
Gruppe. Zwei Vektoren p
v und w sind
p genau dann O(V )-äquivalent, wenn
beide die gleiche Länge hv, vi = hw, wi haben.
(5) Die Operation von G auf sich selbst durch Linksmultiplikation ist transitiv, ebenso die Operation von Sn oder bereits ihrer Untergruppe Din auf
{1, 2, . . . , n}.
(6) Zwei Teilmengen M und N eines euklidischen (Vektor-)Raumes E heißen
bekanntlich kongruent, wenn es eine Isometrie (abstandserhaltende Abbildung) ϕ : E → E mit ϕ(M) = N gibt. Die Isometrien von E bilden eine
Gruppe Iso(E) (siehe auch 2.3.4 (9)). Zwei Mengen M und N sind also
kongruent genau dann, wenn sie Iso(E)-äquivalent für die natürliche Operation von Iso(E) auf der Potenzmennge von E sind. Kongruenz ist eine
Äquivalenzrelation.
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Die angegebenen Beschreibungen der Relation ∼G setzen bei (1), (2) und (4)
noch einmal in Evidenz, dass es sich in der Tat um eine Äquivalenzrelation handelt (nämlich gekennzeichnet durch Gleichheit einer Funktion). Bei (2) und (4)
gehen nicht-triviale, aber an dieser Stelle als bekannt angenommene Sätze der
linearen Algebra ein. Beispiel (5) ist vom Standpunkt der Äquivalenzrelationen
aus gesehen trivial, da es nur eine Bahn gibt.
Der folgende Satz befasst sich genauer mit der Struktur einer einzelnen Bahn.
Die Bahn von x ∈ X ist das Bild von G unter einer Abbildung G → X, nämlich
der Abbildung g 7→ g.x. Diese Abbildung ist in der Regel nicht injektiv; z.B.
ist das Urbild von x genau der Stabilisator von x. Insofern hat der Satz eine
nicht nur formale Verwandtschaft mit dem Homomorphiesatz, genauer mit seiner
Folgerung, dem Isomorphiesatz.
Satz 2.3.9 Die Gruppe G operiere auf der Menge X, es sei x ∈ X. Dann ist die
Abbildung
G/Gx → G.x, gGx 7→ g.x
wohldefiniert und bijektiv. Insbesondere ist die Länge der Bahn von x gleich dem
Index des Stabilisators (G : Gx ).
Beweis: Für diesen Beweis bezeichnen wir die in Frage stehende Abbildung mit
α : G/Gx → G.x.
α ist wohldefiniert: Auf der rechten Seite der Abbildungsvorschrift kommt ein
g ∈ G vor; die Abbildung soll aber auf Nebenklassen gGx definiert werden. Zu
zeigen ist also, dass zwei Elemente g, g ′ ∈ G, die dieselbe Nebenklasse liefern,
also gGx = g ′ Gx , das gleiche Bild haben. Es ist g ′−1 g ∈ Gx , also g ′−1 .(g.x) =
(g ′−1 g).x = x, also g ′ .x = g ′.((g ′−1 g).x) = (g ′(g ′−1 g)).x = ((g ′g ′−1 )g).x = g.x, wie
gewünscht.
α ist injektiv: es seien gGx , hGx ∈ G/Gx , dabei also g, h ∈ G mit α(gGx) =
α(hGx ). Dann ist g.x = h.x, also (h−1 g).x = x, also h−1 g ∈ Gx , also gGx = hGx ,
wie gewünscht.
α ist surjektiv: ein beliebiges Element y aus der Zielmenge G.x ist nach Definition von der Form y = g.x für ein g ∈ G. Dann ist α(gGx) = g.x, also gGx ein
Urbild von y.
Beispiele 2.3.10 (Bahnen und Nebenklassen)
(1) Fasse wie oben die symmetrische Gruppe Sn−1 als Untergruppe der symmetrischen Gruppe Sn auf. Dann ist der Index (Sn : Sn−1 ) = n. Ein
Vertretersystem für Sn /Sn−1 ist zum Beispiel durch die Transpositionen
(1, n), (2, n), . . . , (n − 1, n) zusammen mit der Identität gegeben.
(2) Der Index 3 = 24/8 = (S4 : Di4 ) zählt die drei wesentlich verschiedenen
Möglichkeiten, die Ecken eines Quadrates durch die Ziffern 1 bis 4 zu numerieren.
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(3) Der Stabilisator WF in der Würfelgruppe W (siehe Übungen) einer Randfläche des Würfels kann mit der Symmetriegruppe von F , also eines Quadrates, identifiziert werden und hat folglich 8 Elemente. Die Bahn W.F
besteht also aus 48/8 = 6 Elementen. In der Tat sind alle 6 Randflächen
des Würfels äquivalent unter W .
(4) Die Symmetriegruppe des Tetraeders T ist die volle symmetrische Gruppe
S4 mit 24 Elementen. Der Stabilisator einer Kante besteht aus 4 Elementen
(welchen?). Der Würfel besitzt 6 = 24/4 Kanten, die alle äquivalent unter
der Gruppe sind.
Der folgende Satz ist eine unmittelbare Zusammenfassung der beiden vorangegangenen grundlegenden Sätze, nämlich der Zerlegung in Bahnen nach 2.3.5 und
der Beschreibung von Bahnen als Mengen von Nebenklassen nach 2.3.9. Insofern kann man ihn sich jederzeit neu überlegen (und beweisen), wenn man ihm
braucht. Trotzdem ist es üblich, und hat auch gewisse Gründe, ihn als eigenen
Satz zu führen, sogar mit eigenem Namen.
Satz 2.3.11 (Bahnengleichung) Es sei x1 , x2 , . . . , xr ∈ X ein Repräsentantensystem für die Operation der Gruppe G auf der endlichen Menge X. Dann
gilt
r
X
|X| =
(G : Gxi )
i=1
Die früher bereits kurz eingeführten inneren Automorphismen ig gehören ebenfalls zu einer Gruppenoperation. Im folgenden Satz führen wir das etwas aus.
Satz und Definition 2.3.12 (Konjugation) Sei G eine Gruppe.
a) Durch (g, x) 7→ gx := gxg −1 wird eine Operation von G auf sich definiert,
die sogenannte Konjugation. Die Abbildungen
ig : G → G,
x 7→ gx = gxg −1
sind Gruppenautomorphismen von G. Sie heißen auch innere Automorphismen von G.
b) Zwei Elemente x, x′ bzw. Untergruppen H, H ′ heißen konjugiert in G, wenn
sie in der gleichen Bahn liegen, d.h. wenn ein g ∈ G existiert mit gxg −1 = x′
bzw. gHg −1 = H ′ .
Die Bahn von x ∈ G, also {gxg −1 | g ∈ G}, heißt auch die Konjugiertenklasse von x; entsprechend für eine Untergruppe H.
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c) Der Stabilisator eines Elementes x ∈ G besteht genau aus den mit x vertauschbaren Elementen
CG (x) := {g ∈ G | gx = xg}
und heißt Zentralisator von x in G.
d) Der Stabilisator einer Untergruppe H von G
NG (H) := {g ∈ G | gHg −1 = H}
heißt auch Normalisator von H in G.
e) Setze
Z(G) = {z ∈ G | gz = zg für alle g ∈ G} .
Dieses ist eine normale Untergruppe von G. Sie heißt das Zentrum von G.
f) Die Abbildung G → Aut G, g 7→ ig ist ein Gruppenhomorphismus. Das
Bild
Inn G := {ig | g ∈ G} ⊆ Aut G
ist eine normale Untergruppe von Aut G und heißt die Gruppe der inneren
Automorphismen von G. Der Kern von iG ist genau das Zentrum Z(G).
Beispiele 2.3.13 (1) Zwei Elemente der Gruppe GLn (K) der invertierbaren
n×n-Matrizen über einem Körper K sind genau dann konjugiert in GLn (K),
wenn sie ähnliche Matrizen im Sinne der Linearen Algebra sind. Wir hatten bereits oben unter 2.3.8 (3) die Ähnlichkeit beliebiger Matrizen als
GLn -Äquivalenz erkannt. Die Konjugation in GLn (K) ist einfach die Einschränkung der dort betrachteten Operation auf allen quadratischen Matrizen auf eine GLn (K)-invariante Teilmenge.
(2) Zwei konjugierte Gruppenelemente haben sicher die gleiche Ordnung. Die
Menge aller Gruppenelemente einer festen Ordnung m zerfällt also in Konjugiertenklassen. Betrachten wir den Fall m = 2, also der sogenannten
Involutionen, für die Diedergruppe Din (Symmetriegruppe des regulären
n-Ecks, siehe 1.3.12 (6) auf Seite 24). Für ungerades n gibt es nur eine
Konjugiertenklasse von Involutionen in Dn , bestehend aus allen Spiegelungen, die das n-Eck zulässt. Für gerades n gibt es drei Konjugiertenklassen:
die Spiegelungen an Geraden durch gegenüberliegende Ecken, die Spiegelungen an Geraden durch gegenüberliegende Kantenmittelpunkte, sowie die
Menge, die nur aus der Drehung − id um 180◦ (auch Inversion oder Punktspiegelung genannt) um den Nullpunkt (Mittelpunkt des n-Ecks) besteht.
(3) Das Zentrum der Diedergruppe Dn ist für ungerades n trivial, für gerades
n = 2k gilt Z(D2k ) = {id, − id} ∼
= Z2 .
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(4) Das Zentrum der Matrizengruppe GLn (K) besteht aus den skalaren Vielfachen der Einheitsmatrix.
(5) Jeder Automorphismus der Gruppe S3 ist ein innerer Automorphismus.
Genauer ist die Abbildung S3 → Aut S3 , g 7→ ig ein Isomorphismus.
Der folgende einfache Satz liefert eine Fülle von Beispielen für zueinander konjugierte Untergruppen.
Bemerkung 2.3.14 Gegeben sei eine Operation der Gruppe G auf der Menge
X. Es seien x, y ∈ X zwei Elemente in der gleichen Bahn: y = g.x für ein g ∈ G.
Dann sind die Stabilisatoren Gx und Gy zueinander konjugiert:
Gy = gGx g −1 .
Der Beweis ergibt sich mit kurzer Rechnung unmittelbar aus den Definitionen. Da der Sachverhalt der Bemerkung 2.3.14 recht offensichtlich ist, sollten an dieser
Stelle zwei Beispiele ausreichen.
Beispiele 2.3.15 (1) Für die natürliche Operation der symmetrischen Gruppe
Sn auf {1, 2, . . . , n} ist der Stabilisator von k mit der Gruppe der Permutationen der n − 1-elementigen Menge {1, 2, . . . , n} r {k} zu identifizieren.
Alle diese Gruppen sind zur Standard“-Sn−1 ⊂ Sn konjugiert, und zwar
”
durch eine (ansonsten beliebige) Permutation σ mit σ(k) = n.
(2) Wenn M und N zwei kongruente Teilmengen eines euklidischen Vektorraumes sind, so sind ihre Symmetriegruppen konjugiert in Iso(E); siehe oben
Beispiel 2.3.8 (6) und Beispiel 2.3.4 (9).
Statt zu einem gegebenen Punkt x alle Gruppenelemente zu betrachten, die x festlassen, also den Stabilisator, kann man auch zu einem gegebenen Gruppenelement
alle x betrachten, die dieses Gruppenelement festlässt, also die Fixpunktmenge.
Hier gilt eine ähnliche Aussage:
Bemerkung 2.3.16 Gegeben sei eine Operation der Gruppe G auf der Menge
X. Es seien a, b ∈ G zwei konjugierte Gruppenelemente: b = gag −1 für ein g ∈ G.
Dann werden die Fixpunktmengen Fix a = {x ∈ X | g.x = x} und Fix b durch g
aufeinander abgebildet: g(Fix a) = Fix b.
Wieder ergibt sich der Beweis mit kurzer Rechnung unmittelbar aus den Definitionen. Im endlichen Fall haben also zwei konjugierte Elemente gleich viele Fixpunkte. Wenn G etwa durch Isometrien auf einem euklidischen (Vektor-)Raum
E operiert, so sind die Fixpunktmengen kongruent. Da allerdings in diesem Fall
Fixpunktmengen affine Teilräume von E sind (Übungsaufgabe), bedeutet dieses
zunächst lediglich (aber immerhin), dass die Fixpunktmengen gleiche Dimension
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haben. Die Tatsache, dass die Fixpunktmengen sogar durch ein Element aus g
ineinander überführt werden, liefert allerdings eine Verschärfung. Z.B. ist eine
Spiegelung an einer Diagonalen eines Quadrates in seiner Symmetriegruppe Di4
nicht konjugiert zu einer Spiegelung an einer Seitenhalbierenden, obwohl in der
Isometriegruppe Iso(E) der gesamten Ebene je zwei Geradenspiegelungen zueinander konjugiert sind.
Gruppenoperationen sind ein wichtiges Hilfsmittel, um gewisse kombinatorische
Abzählprobleme (die mit Symmetrie zu tun haben) zu lösen. Ein wenig hat sich
das schon in der Bahnengleichung 2.3.11 angedeutet. Wir geben hier noch einen
weiteren Satz in dieser Richtung an, dessen Bedeutung wir in dieser Vorlesung
allerdings nicht mehr ausloten können.
Satz 2.3.17 (Lemma von Burnside) Die endliche Gruppe G operiere auf der
endlichen Menge X. Für g ∈ G sei Fix g ⊆ X die Fixpunktmenge von g. Mit G\X
bezeichnen wir die Menge der Bahnen von G auf X. Dann ist
|G\X| =
1 X
| Fix g|.
|G| g∈G
Die Anzahl der Bahnen ist also der Mittelwert, gebildet über G, der Anzahlen der
Fixpunkte der Gruppenelemente. Wie in 2.3.16 festgestellt wurde, ändert sich die
Anzahl der Fixpunkte nicht, wenn man g in seiner Konjugiertenklasse abändert.
D.h. bei der konkreten Auswertung der Formel muss man nur über die Menge
der Konjugiertenklassen, bzw. ein Vertretersystem hierfür summieren, wie in der
Bahnengleichung 2.3.11.
Nachdem wir die Grundkonzepte der Theorie der Gruppenoperationen entwickelt
haben und eine ganze Reihe Beispiele gesehen haben, wollen wir zum Abschluß
dieses Abschnittes noch einmal auf die oben zu Beginn beschriebenen Grundidee
der Gruppenoperation zurückkommen und diese noch etwas formalisieren und
abrunden. Wir hatten gesagt, dass eine Gruppenoperation darauf hinausläuft,
Elemente einer abstrakten Gruppe G als Abbildungen aufzufassen, und zwar so,
dass einem Produkt zweier Elemente in G die Verkettung der entsprechenden
Abbildungen entspricht. Etwas präziser gesagt, wir haben neben G eine feste
Menge X gegeben, und jedem Element g ∈ G wird eine Abbildung von X in sich
selbst zugeordnet, nämlich die Abbildung X → X, x 7→ g.x in der Definition
2.3.1. Wenn wir diese Abbildung einmal mit µg : X → X bezeichnen, so läuft
die besagte Eigenschaft bezüglich Produkt und Abbildungsverkettung auf die
Formel µgh = µg ◦ µh hinaus. Diese ist in der Tat genau duch das Axiom (Op2)
gegeben. Etwas förmlicher gesagt, die Abbildung g 7→ µg ist verknüpfungstreu,
also ein Homomorphismus. Die Zielmenge dieses Homomorphismus sollte wieder
eine Gruppe sein, nämlich die Gruppe Per X aller bijektiven Selbstabbildungen
von X. In der Tat ist es nicht nur in allen obigen Beispielen so, sondern folgt aus
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den Axiomen einer Gruppenoperation, dass die Abbildungen µg : X → X alle
bijektiv sind: nach (Op1) ist µe = idX , es folgt weiter µg ◦ µg−1 = µgg−1 = µe =
idX und analog µg−1 ◦ µg = µg−1 g = µe = idX . Also ist µg in der Tat bijektiv
mit inverser Abbildung µg−1 . Wir haben somit den Teil a) des folgenden Satzes
bewiesen:
Satz 2.3.18 a) Es sei eine Operation der Gruppe G auf der Menge X gegeben.
i) Für jedes g ∈ G ist die Abbildung µg : X → X, x 7→ g.x bijektiv.
ii) Die Abbildung G → Per X, g 7→ µg ist ein Homomorphismus.
b) Wenn umgekehrt ϕ : G → Per X ein Gruppenhomomorphismus ist, dabei
X eine beliebige Menge, so wird durch g.x := ϕ(g)(x) eine Operation von G auf
X definiert.
Der Teil b) des Satzes ergibt sich in natürlicher Fortsetzung der Überlegungen,
die zum Teil a) geführt haben. Zunächst einmal stellt man fest, dass die Abbildung g 7→ µg wirklich die volle Information über die Gruppenoperation enthält:
es gilt g.x = µg (x) für alle g ∈ G, x ∈ X. Wenn umgekehrt ein beliebiger Homomorphismus ϕ : G → Per X gegben ist, so kann man definieren (zunächst
einfach als abgekürzte Schreibweise) g.x := ϕ(g)(x) für alle g ∈ G, x ∈ X.
Diese Verknüpfung G × X → X erfüllt nun in der Tat die Axiome (Op1) und
(Op2): es ist e.x = ϕ(e)(x) = idX (x) = x (hier wurde Satz 1.4.3 verwendet) und
(gh).x = ϕ(gh)(x) = (ϕ(g) ◦ ϕ(h))(x) = ϕ(g)(ϕ(h)(x)) = ϕ(g)(h.x) = g.(h.x).
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