Mechanik – Flüssigkeiten 12. Flüssigkeiten In diesem Kapitel werden ruhende Flüssigkeiten behandelt (sog. Hydrostatik). 12.1. − Einleitung Wir reden über „richtige“ Flüssigkeiten, keine „amorphen Festkörper“! ⇒ Atome sind frei gegeneinander verschiebbar, an der Oberfläche einer Flüssigkeit können keine Tangentialkräfte auftreten. Eine freie Flüssigkeits-Oberfläche stellt sich senkrecht zur Resultierenden aller Kräfte ein. ! Beispiel: beschleunigt bewegter Trog ! M. a. W.: Der Schubmodul einer idealen Flüssigkeit ist gleich Null. Beispiel: Gestalt von Flüssigkeitsoberflächen bei Rotation tan α = 2 ∆m / ⋅ ω x dz = dx ∆m / ⋅g dz ... Steigung der OF-Kurve dx Kurve ist eine Parabel! ω2 2 z= ⋅x ⇒ 2g 12.2. Statischer Druck ⇒ Druck in der Flüssigkeit: p = Maßeinheit: 1 F A N = 1 Pa = 10-5 bar1 2 m (1) SI zum Vergleich: 1 atm = 1013 mbar = 760 Torr 73 Mechanik – Flüssigkeiten − Der Druck in einer Flüssigkeit ist allseitig, d.h. wirkt in alle Richtungen gleich. − Kompressibilität: in völliger Analogie zu Gl. (11 - 6) bildet man 1 1 dV =− ⋅ K V dp κ ... Kompressibilität K ... Kompressionsmodul κ≡ ! (2) Es zeigt sich, dass für fast alle Flüssigkeiten κ so klein bzw. K so groß ist, dass faktisch keine Komprimierbarkeit besteht. „Flüssigkeiten sind praktisch volumenstabil.“ − ! hydraulische Presse, Heber, o.ä.: Felsbrocken mit Masse M ⇒ ⇒ p= F1 = M ⋅ g F1 M ⋅ g = A1 A1 wegen Allseitigkeit des Druckes muss nun auch gelten ⇒ p= m⋅g A2 m= A2 ⋅M A1 Beispiel 1000 kg (Felsbrocken) ∧ A2/A1 = 1/1000 ⇒ Masse m = 1 kg hält die Waage! − Ist der Energiesatz verletzt? Wir erhöhen m um ein sehr kleines ∆m, so dass sich der kleine Kolben um ∆h2 nach unten senkt. ⇒ geleistete Arbeit: mit: Win = ∆h 2 ⋅ F2 Win = ∆h 2 ⋅ A 2 ⋅ p F2 = p ⋅ A 2 (1) ∆h 2 ⋅ A 2 = V ... Flüssigkeitsvolumen 74 Mechanik – Flüssigkeiten Das Flüssigkeitsvolumen V strömt in den dicken Kolben und hebt diesen um ∆h1 gegen die Kraft F1: ⇒ am Fels geleistete Arbeit: Wout = ∆h 1 ⋅ F1 F1 = p ⋅ A1 (1) Wout = ∆h 1 ⋅ A 1 ⋅ p Wobei wiederum ⇒ 12.3. − ∆h 1 ⋅ A1 = V ist. Weil V in beiden Fällen gleich ist und p sowieso konstant, ist Win = Wout. Hydraulik spart Kraft und braucht mehr Weg → Goldene Regel der Mechanik. Die Energie bleibt erhalten. Schweredruck Wir haben bis jetzt außer Acht gelassen, dass sich in einer Flüssigkeit ein Schweredruck aufbaut: Gewicht einer Flüssigkeitssäule (Querschnitt A, Höhe h, Dichte ρ) FG = A ⋅ h ⋅ ρ ⋅ g (3) ⇒ Schweredruck p(h): p( h ) = − FG = h ⋅ρ⋅g A (4) Schweredruck nimmt mit der Tiefe zu und hängt nur von der Tiefe ab, sofern ρ druckunabhängig ist, d.h. Inkompressibilität besteht. Beispiel: Wasser ( ρ ≈ 10 3 kg ) m3 1 ≈ 5 ⋅ 10 −10 Pa −1 K ⇒ In 10.000 m Tiefe (bei 1000 atm) ist Dichte nur um 5% erhöht! ⇒ 1 bar ≈ 1 atm pro 10 m Tiefe, Kompressibilität κ = − Schweredruck und statischer Druck wirken zusammen. Oft ist einer der beiden vernachlässigbar: ! ⋅ Meer (s.o.) ⇒ statischer Luftdruck vernachlässigbar ⋅ Hydraulikanlage ⇒ Schweredruck vernachlässigbar − hydrostatisches Paradoxon: „Der Bodendruck ist unabhängig von der Form des Gefäßes.“ (nur abhängig von der Höhe!) ! 75 Mechanik – Flüssigkeiten Alle diese Gefäße haben gleichen Bodendruck! Wenn wir die Gefäße unten verbinden (z.B. ein bereits gefülltes Verbindungsstück anfügen), wird sich wegen des einheitlichen Drucks in Bodennähe nichts ändern. ⇒ kommunizierende Gefäße haben gleiches Flüssigkeitsniveau! Beispiele: ⋅ Wasserstandsanzeiger: ⋅ Schlauchwaage 12.4. − Auftrieb und Schwimmen quaderförmiger Körper in einer Flüssigkeit, Höhe H, Grundfläche A: Schweredruck der Flüssigkeit in der Tiefe h beträgt: p = h ⋅ ρ Fl ⋅ g ⇒ auf obere Fläche wirkt Kraft auf untere Fläche wirkt (5) F1 = h 1 ⋅ ρ Fl ⋅ g ⋅ A nach unten F2 = h 2 ⋅ ρ Fl ⋅ g ⋅ A nach oben In der Summe erfährt der Körper die Auftriebskraft FA = Volumen V! (h1 - h2 = H) FA = F2 − F1 = ρ Fl ⋅ g ⋅ A ⋅ (h 2 − h 1 ) FA = g ⋅ ρ Fl ⋅ V Die Auftriebskraft entspricht dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeitsmenge. − (6) ! Die o.g. Herleitung ist zwar vereinfacht, Gl. (6) gilt aber für beliebig geformte Körper. 76 Mechanik – Flüssigkeiten − Das Verhalten des Körpers wird von FA + FG bestimmt: ! FA < FG ⇒ Sinken; Körper ist schwerer FA = FG ⇒ Körper schwebt FA > FG ⇒ Körper schwimmt, d.h. er taucht nur soweit ein, wie nötig ist, damit FA = FG ist: Also: Gewicht der verdrängten Wassermenge = Gesamtgewicht des Schiffes − Stabilität: Schwerpunkt S des Schiffes = Angriffspunkt der Schwerkraft Schwerpunkt SF der verdrängten Flüssigkeit = Angriffspunkt der Auftriebskraft ⇒ 12.5. völlige Kentersicherheit nur, wenn S tiefer liegt als SF (schwerer Kiel); ansonsten existieren unterschiedliche kritische Kippwinkel Oberflächenspannung − Experimente zeigen: Flüssigkeiten sind bestrebt, ihre Oberfläche klein zu halten − Deutung: ∃ gegenseitige Anziehung der Moleküle der Flüssigkeit, wodurch diese zusammengehalten wird. Moleküle an der Oberfläche erfahren resultierende Kraft in die Flüssigkeit hinein → „Gummihaut“ 2 Seiten einer Sache! − Energiedeutung: Ausbildung einer chemischen Bindung bedeutet Energieminimierung (Bindungsenergie wird frei!). Moleküle an der Oberfläche sind unvollständig abgebunden ⇒ Oberfläche ist energetisch benachteiligt (∃ zusätzliche Wob) ⇒ Streben nach Minimierung der Oberfläche − Oberflächenenergie Wob ist proportional zur Oberfläche: Wob = σ ⋅ A Wob A σ ... spezifische Oberflächenenergie σ = (7) 77 Mechanik – Flüssigkeiten − Maßein- [σ] = J (Energie pro Fläche) heit: m2 SI Die spezifische Oberflächenenergie heißt auch Oberflächenspannung. ! Experiment: Aufspannen eines Flüssigkeitshäutchens mittels Drahtbügel: Die mechanische Arbeit ∆W = F ⋅ ds (8) vergrößert die Oberflächenenergie um ∆Wob = σ ⋅ ∆A ∆A = 2 ⋅ b ⋅ ds 2 Oberflächen! ∆Wob = σ ⋅ 2 ⋅ b ⋅ ds (9) Gleichsetzung von (8), (9) ⇒ ⇒ F ⋅ ds = σ ⋅ 2 ⋅ b ⋅ ds F = σ 2b (10) Wir können σ also auch als Zugkraft pro Länge (in der Oberfläche), also als sogenannte Linienspannung auffassen: Maßeinheit: [σ] = − N N⋅m = ... (Kraft/Länge) m m2 J = 2 ... (Energie/Fläche), also identisch zu Gl. (6)! m SI Der Innendruck in einer Seifenblase: Eine Verkleinerung des Radius um dr reduziert die Oberfläche OF einer Seifenblase um dOF ⋅ dr dr dOF = 8πr dr dOF = ( ) d 4πr 2 = 8πr dr (11) Die Seifenblase hat eine äußere und eine innere Oberfläche, daher ergibt das dOF lt. Gl. (11) eine Reduzierung der Oberflächenenergie um dWob = 16πr dr ⋅ σ (12) 78 Mechanik – Flüssigkeiten Bei r-Reduzierung muss aber gegen den Innendruck mechanische Arbeit geleistet werden: dW = F ⋅ dr F = Kugeloberfläche ⋅ Kraft Kugeloberfläche 4πr 2 p dW = 4πr ⋅ p ⋅ dr 2 (13) Im Gleichgewicht haben sich r und p so eingestellt, dass dW = dWob ist. ⇒ Gleichsetzung von (12) und (13) liefert p= 4σ r (14) Kommentar: p ist der in der Blase gegenüber der Umgebung herrschende Überdruck p wächst mit zunehmendem σ und abnehmendem r! Entsprechend Gl. (14) herrscht auch in jeder einfachen, nach außen mit Radius r gekrümmten Oberfläche ein Druck: p= 12.6. 2σ r (15) Fest-flüssig-Grenzflächen 12.6.1. Benetzung − Wir betrachten jetzt 3 Phasen: Festkörper, Flüssigkeit, Gasphase (Luft + Dampf der Flüssigkeit + Dampf des Festkörpers). Einstellen des Gleichgewichts an einer senkrechten Wand in einer Flüssigkeit bedeutet Einstellung eines Randwinkels θ so, dass σ ffl + σ fld ⋅ cos θ = σ fd (16) (YOUNGsche Gleichung) − Der gezeichnete Fall ist der der Benetzung (θ < 90° ≡ σfd > σffl) 79 Mechanik – Flüssigkeiten − andere Möglichkeit: Nichtbenetzung (θ > 90° ≡ σfd < σffl) − Wenn nun selbst θ = 0 nicht reicht, um σfd zu kompensieren, gilt σ fd > σ fld + σ ffl Dann findet vollständige Benetzung statt, d. h. die Flüssigkeit kriecht als sehr dünne Schicht ganz die Wand hoch; θ = 0°; σfd ist unendlich groß. − ähnlich beim Tropfen auf einer Oberfläche: − Benetzung ist wichtig! Waschmittel (Reinigungswirkung) Spülmittel („ohne abzutrockenen“) Gefieder der Wasservögel selbstreinigende Oberflächen Benetzung Nichtbenetzung 12.6.2. Kapillarität − In sehr dünnen Röhren steigen Flüssigkeiten höher als in ihrer Umgebung. ! Zur Deutung nehmen wir vereinfachend an, dass vollständige Benetzung vorliegt, d.h. θ = 0° ist. (Ansonsten tritt dieser Effekt auch auf, aber nicht so ausgeprägt.) − verschiedene Deutungen möglich (mehrere Seiten derselben Medaille): a) Die zusätzliche Flüssigkeitssäule mit FG = πr 2 h ⋅ ρ ⋅ g hängt an ihrer Randlinie (Länge 2πr) mit der Linienspannung σ fest. ⇒ Infolge dieser Spannung tritt eine „Haltekraft“ F auf: F = 2πr ⋅ σ 80 Mechanik – Flüssigkeiten Die Haltekraft kompensiert das Gewicht der zusätzlichen Flüssigkeitssäule: πr 2 hρg = 2πrσ 2σ h = rρg (17) Also: Effekt umso größer, je größer σ ist und je kleiner r und ρ sind. b) Der Schweredruck der Zusatzsäule ist ps = Gewichtskraft πr 2 hρg = = hρg Grundfläche πr 2 Er wird kompensiert durch den negativen Druck (d.h. Zug) der hier konkav gewölbten Oberfläche lt. Gl. (15), also 2σ = hρg r ≡ Gl. (17) Gl. (15) c) Man erhält ebenfalls das gleiches Ergebnis, wenn man alle Energien betrachtet (Oberflächenenergien, Epot der Säule, usw.) und das Minimum sucht. − Im nichtbenetzendem Fall (z.B. Glas/Hg) tritt Kapillardepression auf: 81