22. Februar 1912 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSOHRIFT. 375 (les chien von uns vor. Die Ergebnisse sind, soweit se fir das Vetstindnis unserer Aiisfiihruiigen unerläßlich siivi, die folgenden. [nl Jahre 1903 wur 'e Neuberg durch seinen damaligen Chef. : Herrn Geh. Mel. Rt Orth, veranlaßt. sieh chemisch mit dem Tumoren1)roblem zu befassen. Als erste Frucht dieser Untersuchungen konnte 1904 der Versammlung der Deutschen Pathologischen Gesellschaft eiie Untersuchung iiber die Wirkungsweise des Radiums bei Karzinom vorgelegt werden; dabei wurde der Nachweis gefiihrt, dali das Radium nicht direkt, sondern auf dem Wege liber die Zel lenzyme wirkt, insbesondere durch unverkennbare Stärkung der autolytischen Prozesse. [m Jahre 1904 fand Neuberg mit Milchner den ersten Fall abnormer Eiizymvorgänge im Krebs. Schon Petry hatte unter Leitung von Fr. Kraus noch in Graz die bedeutungsvolle Beobachtung gemacht, : daß die autolytischen Prozessê in den Tumoren unzweifelhaft gesteigert sind. Neuberg fand dann, daß nicht nur die Intensit.kt der Autolyse in den Tumoren vermehrt ist, sondern daß auch die Natur der entstehenden autolytischen Produkte und dic Art ihrer Bildung charakteristisch von der Norm abweichen. Diese, deshalb atypische Fermentvorgänge genannten, Erscheinungen sind außeren dann auch von anderen Autoren vielfach beobachtet, so von Blumenthal (1905), der mit der- selben Methodik gearbeitet hat, sowie von Abderhalden, Rona, Pincusson (1909, 1910), die andere Analyseverfahren anwandten. Nicht nur auf die proteolytischen Vorgänge erstreckt sich der abnorme Charakter der F'ermentprozesse in den Tumoren, snIern auch auf lipolytische Vorgänge, Farbstoffbildungen sowie auf Oxydasen. So konnte Neuberg (1908) zeigen, daß das Melanin bei Melanomén im Tumor durch einen ungewöhnlichen enzymatisehen Prozeß aus Adrenalin entsteht, und Jaeger bestktigte (1909), daß diese Umwandung eine allgemeine Reaktion auch fur die Melanome derTiere, besonders der Pferde, sei. Brahn (1910) wies den gesteigerten Gehalt der Ceschwülste an Katalase nach. Das Gemeinsame dieser chemischen Befunde, von denen nur die allerwichtigsten angeführt sind, ist nun der Nachweis gesteigerter Fer menttätigkeit, insbesondere der Autolyse im weitesten Sinne des Wortes, inden Geschwülsten. Man hat vielleicht in dieser eine Abwehrmaßregei des tumorkranken Organismus zu erblicken, der die gröbsten mechanischen Behin derungen infolge schrankenlosen Wachstums der Geschwulstzellen durch ihie stärkere Einschmelzung zu beseitigen aucht. Der Gedanke liegt nun nahe, die in der Autolyse der Tumoren gegebenen Abwehrkräfte zu steigern und so zu Schutzwehrmaßregeln zu gestalten. Aus dem Tierphysiologischen Institut der könig!. Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Tumoraffine Substanzen. Von Prof. C. Neuberg und Prof. W. Caspari. Wenige Monate sind vergangen, seitdem die Herren y. Wassermann und y. Hanse mann nebst ihren Mitarbeitern jenen Vortrag über Tumorenbehandlung 1) gehalten haben, der für alle Zeiten ein Fundament der Forschung bilden wird. Es könnte gewagt erscheinen, zur gleichen Sache das Wort zu ergreifen. Wenn wir es tun, geschieht es infolge einer Nachricht der Tagespresse. Nach dieser hat am 17. d. M. Dr. Gaube de Gers der Gesellschaft der praktischen Aerzte in Paris Es schien uns von vornherein wenig wahrscheinlich, daß dieses Ziel durch eine Fermenttherapie erreicht werden kann. Denn es ist kein plan- sibler Grund dafür einzusehen, waun von außen zugeführte lytische Enzyme vorwiegend in die Tumoren gehen solleii, d. h. an Stellen, wo schon eine deutliche Ueberproduktion herrscht, eine Ueberproduktion, gegen d je sich der organismus sogar schon verteidigen muß, wie die von Brieger entdeckte antipr3teolytische Wirkung des Serums Karzinomatöser zeigt. Die logische Konsequenz ist, die Autolyse der Tumorzellen aus sich heraus zu steigern, durch spezifische, an Ort und Stelle erzeugte Kräfte. Wir kennen nun Stoffe, die in vitro die Autolyse verstärken. Salkowskis Schüler (Preti u. a.) haben diese Tatsache eruiert. Außer dem schon erwähnten Radium sind es insbesondere die Seliwerinetalle und n'amentlich die in kolloidaler Form auftretenden Verbindungen (Ascoli und Izar). die Mitteilung gemacht, daß er inoperable Fälle von Menschenkrebs sehr günstig durch eine kolloidale Metaliverbindung beeinflußt habe. Da eine derartige chemische Substanz vielleicht in Beziehung steht zu einer Reihe von uns in ihrer Wirkung auf Mäusetumoren geprüfter Verbindungen, so sehen wir uns genötigt, unsere bisherigen Ergebnisse und den Gedanken- Dieser Gedankengang hat uns nun dazu geführt, zuniclist Schwer metaliverbindungen fürdiechemischeBeeinifussung der Tumoren zu wählen. Ohne weiteres lassen sich diese Sub- So sind denn unsere Versuche auf einer anderen Grundlage erwachsen: die uns leitende Idee ist durch die untersuchungen vermittelt, die der eine von uns (Neuberg) in den Jahren 1903 Forderung, daß im Prinzip alle jene Verbindungen eine.Wirkung auf die Auflösung der Tumoren entfalten können, welche in die Zirkulation gebracht, ohne vorher Verheerungen anzurichten, in die Geschwulst gelangen und dort sich - vermutlich kolloidal ablagern. stanzen natürlich nicht in den Organismus einspritzen. Sie sind, wie allgemein bekannt, typische Eiweißfällungsmittel, sie koagu- beim Einbringen ins Blut das letztere. Es war nicht gang, der zu denselben geführt hat, kurz darzulegen, zumal lieren anzunehmen, daß sie von der Blutbahn avis überhaupt selekwir hoffen, gleichzeitig einige neue Gesichtspunkte in dieser tiv in die Tumoren gelangen, sondern sie werden wohl nach Frage bringen zu können. den Gesetzen ausgeschieden, die für Metaliverbindungen gelten. Wer an die Aufgabe herantritt, auf chemischem Wege Es hat zweijähriger intensivster Arbeit bedurft, unsere Geschwülste beeinflussen zu wollen, kann das nur mit einer Mittel in die Form zu bringen, daß sie mit relativer TJngiftigkeit vorgefaßten Meinung tun. Denn als wir uns vor zwei Jahren spezifische. Wirkung auf die Tumoren vereinen. Das ist uns im Z un t z sehen Institut zu Heilversuchen vereinten, lag keinerlei schließlich gelungen, natürlich durch Verwandlung unserer MeVorarbeit nach dieser Richtung vor, auf die man sich hätte talle in geeignete organische Verbindungen und Komplexformen. stützen können, wie jetzt auf die Wasser manns ehen Befunde. War unsere Deduktion richtig, so ergab sich daraus die bis 1910 über die chemischen Vorgiinge in Tumoren angestellt hat. Ueber diesen Gegenstand liegt jetzt etwa ein Dutzend Mitteilungen 1) Siehe diese Woehenschrift 1911, No. 51. Diese Fähigkeit geht dem Radium infolge seiner Stellung im periodischen System der Elemente sehr wahrscheinlich ah. Dies ist denn auch Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. j DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSOHRIFT. 376 No. 8 der Grund, wesha1b die zerstörende Wirku ng des Radiums an I Karzinorne, auf die der eine von uns (Caspari) schon vor zehn Jahren als erster die Aufmerksamkeit gelenkt. und Erfahrungen gesammelt hat, nur bei lokaler Applikation von erheblicher Wirksamkeit ist. ist dagegen die Ab1agerungsfhigkeit (in kolloidaler Form) ein Vorbedingnis der Wirksamkeit, so muß mit einer Reihe chemisch verschiedener Körper derselbe Effekt einer Tumorzerstörung erzielt werden können. Die Probe aufs Exempel stimmt, und so sind wir in der Lage, nicht ein, sondern mehrere Mittel mit spezifischer Tumorenaffinität schon jetzt angeben zu können. Es sind dieses Verbindungen des Goldes, des Platins, des Subers, des Rhodiums, Rutheniums, Iridiums, des Bleis; besonders schöne Wirkungen haben wir hei Derivaten des Kupfers und Zinns beobachtet. Wie man sieht, handelt es sich hauptsächlich um Verbindungen der Schwermetalle ; aber auch von anderen Substanzen, denen man eine Einwirkung auf die Autolyse zutrauen könnte, haben wir, wenn auch unsichere, Effekte gesehen, so vom Die Affinität unserer wirksamen Verbindungen erhellt am besten daraus, daß, wenn man ein Tier wenige Minuten nach der Injektion tötet, bereits ein Effekt zu konstatieren ist. Bekanntlich sind die Mäusetumoren sehr spiir]ich vaskularisierte kbilde. Nach dei Injektion sind jedoch alsbald die zum Tumor führenden Gefälle enorm injiziert, die Geschwülste, auch wenn sie frisch und jung sind, zum Teil zerfallen. Ja, es läßt in manchen Fällen bereits nach einer Viertelstunde eine Sackbildung im Tumor konstatieren, wie diese von y. Wassermann beschrieben ist. Bei der Inzision eines solchen Sackes ergießt sich dann eine blutig tingierte, seröse Flüssigkeit. sich Es ist dies eine Erscheinung, die unseres Wissens niemals an unbehandelten Mäusetumoren beobachtet wrir(l. Allerdings kommt dort bisweilen friihzeitig Nekrosehildung vor, niemals aber eine derartige Verfliissigung des Tumors, verbunden mit diffusen Blutungen. Zugleich beobachtet man eine eigentümliche Ausschwitzung von Flüssigkeit in der Umgebung des Tumors, sodaß der letztere manchmal völlig in diese eingebettet erscheint. Die histologische Untersuchung der Ges'liwiÇ s-e steht zum größten Teil noch aus. Immerhin wissen wir aher, daß z. B. bei Anwendung der Platinverbindungen das Metall elektiv im Tumor ur Ausfällung kommt und bereits nach ein r Injektion im mikroskopischen Präparate nachweisbar ist. Es wäre unrecht, wollten wir nicht an dieser Stelle ganz besonders betonen, daß wir einen wesentlichen Teil der Erfolge den technischen Lehren verdanken, die y. W as s er manns Darlegungen uns geboten haben. Alle unsere Resultate waren unsicher, bis wir die Wasser mannsche Technik der intravenösen Zufuhr ausschließlich anwandten. Wir müssen bekennen, daß die intravenöse Applikation allein die Wirksamkeit unserer Mittel bedingt unddaß sie durch subkutane oder intraperitoneale Anwendung nicht ersetzt werden kann. Die Einspritzung in den Tumor selbst ist natürlich nicht diskutabel. Verfährt man nun nach y. Wasser manns Technik, so beobachtet man bei Anwendung unserer Präparate, ganz ähnlich, wie er es für die Eosin-Selen-Verbindung beschrieben hat, Erweichung, Verflüssigung und Höhlenbildung des Tumors. Man konstatiert ferner, daß bei auch nur eintägiger Unterbrechung der Injektionen der Tumor wieder härter wird und häufig Wachstumstendenz zeigt. Wir haben davon abgesehen, unsere Substanzen in einer Konzentration zu verwenden, bei der heilende und tötende Dosis so nahe beieinander liegen, wie y. Wassermann es für sein Mittel bekannt gegeben hat. Unübertrefflich sind Wasser manns Erfolge bei heroischem Vorgehen. Darum erschien uns, nachdem die Wirksamkeit unserer Substanzen offenbar war, als das nunmehr erstrebenswerte Ziel, eine Tumor- zerstörung ohne Lebensgefährdung zu erreichen. Dieses ist nun auch an einer Reihe von Fällen, soweit die makroskopische Untersuchung entscheiden kann, geglückt; die mikroskopische steht, wie gesagt, noch aus. Wir hoffen dieser erzwungenermaßen vorläufigen Mitteilung in absehbarer Zeit einen abgerundeteren Bericht folgen lassen zu können. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Arsen und dem sich ihm anschließenden Vanadin. Völlig versagt haben bisher Sulfonium- und Jodonium- sowie Jodo- und Jodosoverbindungen.