Ich weiß, dass ich nichts weiß

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Ich weiß, dass ich nichts weiß. (Sokrates)
Ein so simpel scheinender Satz von Sokrates, einem der wohl berühmtesten Denker der
Antike überhaupt, der, je mehr man über ihn nachdenkt, umso komplexer zu werden scheint.
Wohl wenige Philosophen außer ihm haben es bis heute geschafft, eine solche Paradoxie auf
diese prägnante, einfache und meiner Meinung nach sehr wohl auch humorvolle Art
darzustellen. Warum humorvoll? Nun ja, was einem beim Lesen dieses Zitats wohl als erstes
ins Auge stößt ist dessen Paradoxie, denn selbst das Wissen, dass zum Inhalt hat, dass man
nichts weiß, bezeichnet man letztlich eben auch nur als „Wissen“. Ich finde aber, dass das
Besondere bzw. Komische dieses Satzes erst so richtig „entdecken“ kann, wenn man darüber
hinaus in Betracht zieht, wer diesen Satz geäußert hat, nämlich Sokrates. Sokrates, ein Mann
der Antike, den man wie einige andere seiner Kollegen zu den wohl berühmtesten Denkern
zählt und der sich wohl Zeit seines Lebens bemühte, etwas über die Welt zu erfahren, sie zu
begreifen, also letztlich doch auch WISSEN anzuhäufen, äußert nach jahrelangem Studium1,
dass er schließlich über kein anderes Wissen verfügt als das, dass er rein gar nichts weiß?
Wenn man jedoch weiters zusätzlich berücksichtigt, dass man wahrscheinlich annehmen
kann, dass sich Sokrates wohl auch noch nach dieser „Erkenntnis“ keineswegs sein Studium
abgebrochen hat und etwa in eine tiefe Depression gefallen ist, so wird einem sogar der weise
Aspekt dieser Aussage klar. Man muss diesen Satz nämlich auf keinen Fall negativ
interpretieren und somit den Sinn von Wissenschaften oder der Philosophie überhaupt in
Frage stellen, denn eigentlich „erleichtert“ sie deren Leben sogar, indem sie einfach jeglichen
„Erfolgsdruck“ wegnimmt und darüber hinaus sogar für mehr „Frieden“ zwischen den
kontroversen Standpunkten der verschiedenen wissenschaftlichen Theorien sorgt.
Auf diesen Punkt werde ich allerdings erst später noch genauer eingehen, denn zunächst
drängt sich mir doch die Frage auf, warum wir Menschen eigentlich so erpicht darauf sind,
unbedingt etwas „wissen zu wollen“. Wenn wir einen Blick auf unsere sich im Tierreich
befindenden Vorfahren, die Affen werfen, frage ich mich: Warum leben wir nicht einfach so
ein „einfaches“ Leben wie sie? Wieso haben wir überhaupt damit begonnen, dass wir unsere
Umwelt systematisch zu erfassen, einzuteilen und auf bestimmte Grundgesetze
zurückzuführen? Ist vielleicht der „einzige Unterschied zwischen Mensch und Tier“2, die
1
Ich verwende den Begriff nicht im Sinne der heutige Realdefinition von Studium (also eine gewisse schulische
Beschäftigung), sondern im Sinne der damaligen (also eine intensive Beschäftigung mit etwas)
2
Wie er von einigen Philosophen bzw. Wissenschaftlern bezeichnet wird
Vernunft bzw. das Denken generell die Ursache hierfür? Durch die Tatsache, dass wir eben
im Gegensatz zu den anderen Lebewesen unsere Umwelt nicht nur wahrnehmen, sondern
Gegebenes auch kritisch hinterfragen, unterscheiden wir uns maßgeblich von diesen. Wir
möchten die Dinge, die uns umgeben, verstehen, begreifen, wissen warum sie existieren,
genauso wie wir schließlich auch uns Selbst begreifen und den Sinn unseres Lebens wissen
wollen. Deswegen wird uns die Suche nach Ursachen für etwaige Geschehnisse3 unser Leben
lang begleiten und unser „Wissen“ nach dem Finden dieser Gründe wird sich immer mehr
vergrößern und verändern.
Doch während wir einerseits unser Wissen zusehends vergrößern, werden wir anderseits auch
wieder auf neue Fragen stoßen, weil man ja jede Antwort wiederum hinterfragen kann,
wodurch im Extremfall ein „regressus ad infinitum“ entstehen kann. Dieses Phänomen kann
man an vielen Beispielen beobachten, wie z.B. im Alltag, wenn sich eine Person nicht
angemessen verhalten hat und man unbedingt den Grund dafür erfahren möchte, denn erfährt
man jenen, wird man sehr leicht dazu verleitet, dass man selbst ebenjenen wieder zu
hinterfragen, um die Gründe für diesen Grund zu erfahren usw. .
Allerdings werden wir wahrscheinlich auch immer wieder erleben müssen, dass unser
bisheriges Wissen plötzlich als „wertlos“ gilt, da es sich im Laufe der Zeit als falsch erwiesen
hat, denn schließlich lässt sich keine wissenschaftliche Theorie4 vollkommen beweisen5. Rein
theoretisch könnte sogar in der heutigen Zeit eine so bahnbrechende Erkenntnis gewonnen
werden, die große Teile unseres bisherigen Wissens als völlig falsch entlarvt wie es z.B. bei
der Entwicklung des heliozentrischen Weltbildes der Fall war. Karl R. Popper nennt dieses
Phänomen, dass sich jede wissenschaftliche Theorie letztlich als falsch erweisen kann,
Falibilismus. Laut ihm ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Theorie als wahr erweist
umso größer, je schwieriger sie falsifiziert werden kann, obwohl dies selbstverständlich noch
keine totale Garantie für deren tatsächlichen Wahrheitsgehalt ist.
Außerdem befindet sich unser Wissen ja immer nur in einem bestimmten Rahmen, der
nämlich durch uns selbst bedingt wird. Zwar nimmt der Großteil der Menschen an, dass es so
etwas wie eine vollkommene „Objektivität“ gibt, doch inwiefern ist jene auch wirklich
3
Seien es nun in Bezug auf wissenschaftliche Untersuchungen oder selbst im normalen Alltag
Solange sie nicht immunisiert ist wie z.B. die psychoanalytische Theorie Freuds
5
Hier stößt man dann nämlich auf das so genannte Münchhausen-Trilemma, zu welchem jeder Versuch einer
Letztbegründung schließlich führt.
4
vorhanden? Kann ein Mensch, also ein Subjekt, aus sich heraus treten um dann einen
objektiven Blick, der also von keinem Subjekt abhängig ist, werfen? Wenn der Mensch „aus
sich heraus tritt“, sprich sich von seinem „Ich“ löst, existiert er dann überhaupt noch? Wie
könnte etwas existieren, dass doch kein „Selbst“ also kein „Ich“ hat? Folglich gibt es eine
„tatsächliche“ Objektivität nicht. Bei „unserer Objektivität“ - so wie der Großteil der
Menschen sie interpretiert - handelt es sich daher eigentlich nur um den Konsens von vielen
verschiedenen, subjektiven Meinungen. Da aber selbst diese nun auf einzelne Subjekte
zurückgeführt werden kann, hängt sie eben von jenen Personen, also von uns ab. Diese
„Objektivität“ kann man nun selbst auf die „Wirklichkeit“ ausdehnen, d.h. auf jene Welt, in
der wir leben, die wir beobachten und über die wir Erkenntnisse zu gewinnen versuchen.
Folglich könnte man sich fragen, ob der Himmel eigentlich „wirklich“ blau ist oder vielleicht
in „Wirklichkeit“ rot, was uns unser Hirn allerdings als blau wahrnehmen lässt. Oder
„besitzen“ Gegenstände eigentlich „Farben“? „Existieren“ Farben überhaupt oder entstehen
sie erst durch unsere Beobachtung? Gibt es überhaupt eine Welt, die unabhängig von unserer
Beobachtung ist, die „existiert“ obwohl wir sie nicht beobachten? Die letzte Frage spiegelt
genau ebenjene Zwickmühle wieder. Alles wird durch unsere Beobachtung beeinflusst, oder
entsteht vielleicht alles erst durch sie? Wir werden wohl auf diese Frage6 nie eine Antwort
finden können, denn selbst wenn eine solche Realität bzw. ein solches „Ding-an-sich“7
tatsächlich existiert und wir wie Blinde durch einen Wald voller Bäume laufen, von denen wir
allerdings nichts bemerken, so werden wir diese Welt nie begreifen können. Sie liegt
außerhalb unseres Vorstellungsvermögens, da wir nichts ohne unsere Beobachtung
beobachten können, d.h. wir können nichts ohne dass wir selbst existieren, wahrnehmen, denn
um zu beobachten benötigt man ein beobachtendes Subjekt. Genau deswegen kann man nie
eine absolute Erkenntnis und in folge auch kein absolutes Wissen erlangen.
Muss aber jeder Mensch nachdem er zu dieser „Erkenntnis“ gelangt ist, sich sofort
vollkommen zurückziehen und in eine tiefe, endlose Depression verfallen, da er jetzt die
Sinnlosigkeit jeglicher forschenden Tätigkeit zu erkennen glaubt? Nun, wie ich eingangs
bereits erwähnt habe, würde ich jene Frage mit einem ganz entschiedenen „Nein!“
beantworten. Einerseits nimmt diese „Erkenntnis“ um die eventuelle Fragwürdigkeit unseres
Wissens einfach jeglichen „Erfolgsdruck“ in den einzelnen Wissenschaften und außerdem
sorgt es für mehr Verständnis zwischen kontroversen Standpunkten, weil man annehmen
kann, dass es sich bei keinem von beiden eine vollkommene, naturgetreue Abbildung der
Realität handelt, sondern beide lediglich genau gleich gute Erklärungen sind für unser „Bild
6
7
Mit der sich vor allem die Ontologie beschäftigt.
Siehe Immanuel Kant
der Realität“ sind. Andererseits kann man eine etwas „reservierte“ Haltung einnehmen, indem
man dieses „Ding-an-sich“ schlichtweg ignoriert, denn was nützt einem das „Wissen“ um eine
Realität, die wir ohnehin nie wahrnehmen werden können?
Obwohl ich mich jetzt aber mit der eindeutigen Fragwürdigkeit jegliches Wissens zwar nur
oberflächlich auseinandergesetzt habe und sicherlich noch viele verschiedene Aspekte hierzu
erwähnenswert wären, habe ich mich dazu entschieden, dass es wohl das Beste ist, wenn ich
mich nun einfach zurücklehne und mich auf das einzige wahre und doch paradoxe Wissen
verlasse, nämlich dass „ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Jennifer Skriwan 8a
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