WI R B A U E N E N E R G IE Z U KU N FT Bewährungsprobe mit Bravour bestanden Text Thomas Stahl* und Karim Ghazi Wakili** Bilder © Fixit AG Der im Rahmen eines schweizerischen Forschungsprojekts entwickelte FixitAerogel-Hochleistungsdämmputz wird seit über vier Jahren erfolgreich angewendet. Der nachfolgende Artikel gibt einen zeitlichen Abriss über ausgeführte Objekte, neue Anwendungsgebiete im Rahmen weiterer Forschungsprojekte und neue Entwicklungen bezüglich SiO2-Aerogel-Granulate. Wie wird ein neu entwickeltes Produkt letztendlich zum Stand der Technik? Diese zentrale Frage lässt sich wie folgt beantworten: Durch angewandte Forschung und praxisnahe Entwicklung werden wissenschaftliche Erkenntnisse am Bau durch Planer und Handwerker genutzt und umgesetzt. Durch diese Prozesse wird der Stand der Wissenschaft zum Stand der Technik. Anhand der daraus resultierenden Erfahrung sinkt gleichzeitig das Risiko von Schäden, und etwas Neues wird zu etwas Alltäglichem. Beim Aerogel-Dämmputz ist genau dies gelungen und so erstaunt es auch nicht, wenn mittlerweile immer mehr Objekte wie ganz selbstverständlich damit energetisch saniert werden. + + Bild 1: Alte Mühle im Dezember 2015 mit Loggerpositionen. Kritischer Rückblick In den letzten Jahren wurden insgesamt mehrere Zehntausend Quadratmeter Fassadenfläche allein in der Schweiz mit dem Aerogel-Dämmputz isoliert. Hierbei macht die Aussendämmung anteilsmässig rund 80 Prozent aus. Der Rest ist Innendämmung und «Kombidämmung», das heisst von aussen und innen. Gerade die Kombination von Aussen- und Innendämmung kann für historische Gebäude bei begrenztem Platzangebot sehr interessant sein [1]. *Fixit AG, Holderbank; Institut für angewandte Bauphysik, Winterthur ** Institut für angewandte Bauphysik, Winterthur 56 S O N D E R A U S G A B E A P P L I C A 2 0 1 6 Eine kritische Auswertung der bisher ausgeführten Objekte und eine Befragung von Hauseigentümern und Handwerkern zeigt folgende Vor- und Nachteile auf: Vorteile Rein mineralisches, kalkbasiertes Dämmputzsystem ■ Brandklassifizierung A2-s1-d0 (nicht brennbar, keine Rauchentwicklung, kein brennendes Abtropfen) ■ Schnelle Applikation; zeitintensives Zuschneiden von Dämmplatten entfällt ■ Sehr niedrige Wärmeleitfähigkeit gegenüber herkömmlichen Dämmputzen und dadurch geringere Auftragsdicke möglich ■ Als Aussen- und Innendämmung einsetzbar ■ Bild 2: Einfamilienhaus in Ottenbach. WI R B AU E N E N ER GI E ZU KU N FT Messdaten von August 2012 bis Dezember 2015 ■ Je nach Witterung feucht halten des frischen Dämmputzes für mehrere Tage (gemäss den Kalkputzregeln) und frische Putzflächen vor Sonne und Wind schützen ■ Relativ hoher Materialpreis Auswahl ausgeführter Objekte Bild 3: Mehrfamilienhaus in Zürich. Sehr dampfdiffusionsoffenes System Leicht zu verarbeiten ■ Einlagig sind hohe Auftragsdicken möglich ■ Hohe Ergiebigkeit ■ Zeitpunkt des Rabottierens frei wählbar ■ Mit üblicher Maschinentechnik zu verarbeiten ■ Geringes Sackgewicht ■ Historische Fassadenoberflächen frei modellierbar ■ Fassadenbild bleibt erhalten ■ An denkmalgeschützten Gebäuden einsetzbar ■ Passt sich an jeden Untergrund an (z.B. bei Rundungen) ■ ■ Nachteile ■ Nicht einsetzbar im Sockel- und Unterterrainbereich Die unter Denkmalschutz stehende Mühle in Sissach BL wurde als eines der ersten Objekte im Jahr 2012 mit dem Aerogel-Dämmputz als Aussendämmung ausgeführt. Damals wurden auch Temperatur- und Feuchtesensoren unter dem Dämmputz installiert, um Langzeitmessungen durchzuführen. Bild 1 zeigt die Westseite (Hauptwetterseite) im Dezember 2015 mit den Loggerpositionen (grün = Aussenklima und rot = unter dem Dämmputz). Das Diagramm (oben) zeigt die von 2012 bis heute aufgezeichneten Messdaten des Aussenklimas und die hygrothermischen Zustände unter dem Dämmputz. Alles bestens Der Aerogel-Dämmputz wurde im Mittel circa 5 cm dick auf einen vollflächigen Anwurf aufgespritzt. Die Auswertung der Messdaten zeigt, dass es unter dem Dämmputz im Winter trocken (ca. 50% rel. Feuchte) und die Temperatur rund 8 bis 10 °C höher ist als die Aussenlufttemperatur. Also alles bestens. Beim aus dem Jahr 1900 stammenden Riegelbau in Ottenbach ZH (Bild 2) kam im Jahr 2014 der Hochleistungsdämmputz im Mittel mit 6 cm Auftragsdicke zum Einsatz. ➝ Bild 4: Die ehemalige Strafanstalt beherbergt heute ein Restaurant mit Hotel. WI R B A U E N E N E R G IE Z U KU N FT Bild 6: Innengedämmte Fläche im Kloster Benediktbeuern. Eines der bisher flächenmässig grössten Gebäude ist das in Zürich stehende Mehrfamilienhaus (Bild 3) aus dem Jahr 1935. Beim unter Ortsbildschutz stehenden Gebäude wurde im Jahr 2013 auf mehr als 1200 m2 Aussenfläche der Aerogel-Dämmputz in einer Dicke von ca. 4 cm aufgespritzt. Bei dieser durch die vielen Fenster stark gegliederten Fassade zeigte sich deutlich die rationelle Verarbeitung des spritzbaren Dämmputzes als Vorteil gegenüber dem Anbringen von Dämmstoffplatten und deren zeitintensiven Zuschnitt. Bild 5: Die Innendämmung in einem Bauernhaus in Othmarsingen. Vom Gefängnis zum Restaurant Die unter Denkmalschutz stehende und mehr als 800 Jahre alte, ehemalige Strafvollzugsanstalt (Bild 4) wurde im Rahmen einer Umbaumassnahme 2013/14 in ein Restaurant mit Hotelbetrieb umgebaut. Der Aerogel-Dämmputz wurde als Aussendämmung aufgebracht. In einem alten Bauernhaus in Othmarsingen AG (Bild 5) aus dem Jahr 1848 wurde der Aerogel-Dämmputz als Innendämmung ausgeführt. Dabei wurde der Putz ca. 5 cm dick appliziert. Als Deckputz kam ein Edelputz mit 1,5 mm Korn zum Einsatz. Wenn eine Innendämmung ausgeführt werden soll, ist generell darauf zu achten, dass vorab die bauphysikalischen Details geplant (Wärmebrückenberechnungen/hygrothermische Bauteilberechnungen) und die handwerkliche Ausführung fachgerecht durchgeführt werden. 58 S O N D E R A U S G A B E A P P L I C A 2 0 1 6 Die Berufsverbände, wie beispielsweise der Schweizerische Maler- und Gipserunternehmer-Verband SMGV, haben hierfür entsprechende Vorgaben und Richtlinien zur Hilfestellung. Viele weitere ausgewählte Referenzobjekte in der Schweiz können bei der Fixit AG besichtigt werden. Dort gibt es auch weitere Angaben über die verwendeten Materialien, die planenden Architekten und die ausführenden Handwerksbetriebe. Laufende Forschungsprojekte Im Laufe der Zeit ergaben sich immer neue Ideen für weitere Anwendungsgebiete des Aerogel-Dämmputzes. Einige konnten zwar (noch) nicht umgesetzt werden. Jedoch wurden aus ein paar Ideen konkrete Projekte, die mit unter- Bild 7: Referenzfarbfelder aus unterschiedlichen Anstrichbindemitteln. WI R B AU E N E N ER G IE Z U KUN FT Bild 8: Testflächen ohne Armierungsgewebe auf dem Dach der TU Wien. (Bilder auf dieser Seite: © Thomas Stahl) Bild 9: Kaum zu sehen: Auf der linken Bildhälfte bis zur roten Linie ist die Fassade energetisch saniert, rechts von der Linie noch im herkömmlichen Zustand. schiedlichen Forschungspartnern angegangen und umgesetzt wurden. Zwei davon werden im Folgenden vorgestellt: Das erste Forschungsprojekt ist mit dem Fraunhofer Institut für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege im Kloster Benediktbeuern entstanden. Der Fokus liegt hierbei in der Reversibilität (Wiederentfernbarkeit) von Innendämmungen. Tests mit Farbfeldern An einer Testfläche (Bild 6) wurde der Aerogel-Dämmputz ungefähr 6 cm dick aufgespritzt. Als Untergrund diente ein vom Fraunhofer Institut speziell entwickelter Belag. Über entsprechende Messsensoren werden die Temperaturen und relativen Luftfeuchten im Wandquerschnitt und speziell unter dem Dämmputz auf der alten Wandoberfläche erfasst und ausgewertet. Nach Projektende wird ein Teil des kompletten Dämmputzaufbaus von Restauratoren wieder freigelegt und die angelegten Referenzfarbfelder aus unterschiedlichen Bindemittelsystemen auf ihre Veränderung hin untersucht (Bild 7). Ohne Armierungsgewebe Beim zweiten Forschungsprojekt mit der Technischen Universität Wien (TU Wien) geht es kurz gesagt darum, Gründerzeitfassaden mit dem Aerogel-Dämmputz aussen energetisch zu sanieren. Die Schwierigkeit liegt darin begründet, dass die mit Schmuckelementen und Gesimsen verzierten Fassaden komplett mit dem Aerogel-Dämmputz nachgebildet werden müssen und dabei auf das ansonsten übliche Armierungsgewebe verzichtet werden muss. Im Rahmen des Projektes wurden Testflächen ohne Armierungsgewebe und mit unterschiedlichen Deckputzen und Anstrichsystemen auf dem Dach der TU Wien ausgeführt. Die hygrothermischen Kenndaten der Wandaufbauten werden messtechnisch durch Temperatur-, Feuchte- und Wärmeflusssensoren erfasst. Gesimse neu machen In einem weiteren Schritt wurde an einem Teilstück einer Gründerzeitfassade der komplette Putzaufbau einschliesslich der Gesimse und Schmuckelemente bis auf den Vollziegel entfernt und durch den Aerogel-Hochleistungsdämmputz ersetzt. Die sehr gute Modellierbarkeit und die Möglichkeit, mit dem Dämmputz Gesimse anzufertigen, war von grossem Vorteil. Bild 9 rechts von der roten Linie zeigt den Zustand vor der energetischen Sanierung und links von der roten Linie den Zustand danach (noch ungestrichen). Bemerkenswert ist, dass der gesamte Bereich ausschliesslich aus Aerogel-Dämmputz hergestellt wurde. Die Dämmdicken variieren dabei zwischen 3 und 19 cm. Derzeitige Aerogel-Preisentwicklung Aerogel gesprochen werden. Durch die jahrelange Optimierung und immerwährende Weiterentwicklung des Herstellungsprozesses bei den Aerogelen einerseits und ein Rekordhoch bei den Produktionsmengen andererseits konnte der Preis deutlich reduziert werden. Hinzu kommen Produktionsoptimierungen in der Herstellung des Aerogel-Dämmputzes, was zu einer Preisreduktion desselben von bis zu 50 Prozent führt [2]. Fazit Im Vorfeld zur Erstellung dieses Fachartikels wurde von der Redaktion die Frage gestellt, ob der Fixit-222-Aerogel-Hochleistungsdämmputz denn nun «die» eine Lösung der Zukunft sei. Solch eine Frage lässt sich nicht beantworten. Was man sagen kann ist, dass er eine effektive und elegante Möglichkeit darstellt, historische Gebäude materialkonform und unter Berücksichtigung ihres Erscheinungsbildes energetisch zu sanieren und dabei die Behaglichkeit für die Bewohner deutlich zu erhöhen. Nach vier Jahren Einsatz an vielen Zehntausenden Quadratmetern kann man ebenfalls sagen, dass er die Bewährungsprobe mit Bravour bestanden hat und viele weitere spannende Herausforderungen darauf warten, angepackt zu werden. ■ Literaturverzeichnis [1] «Applica», Ausgabe 1/2015, «Doppelt dämmt besser» [2] www.fixit.ch/aerogel Frei nach dem Motto «das Beste kommt zum Schluss» soll an dieser Stelle über die aktuelle Preisentwicklung beim S O N D E R A U S G A B E A P P L I C A 2 0 1 6 59