Theorie der Proteinfaltung

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Theorie der Proteinfaltung
Strukturelle Bioinformatik WS15/16
Dr. Stefan Simm, 09.12.2015
[email protected]
Proteinfaltung
EINLEITUNG
Proteinfaltung
• physikalischer Prozeß, mit dem ein Polypeptid
aus einem random coil Zustand in seine
charakteristische und funktionale 3D-Struktur
faltet
http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_folding
Proteinfaltung
• physikalischer Prozeß mit dem ein Polypeptid
aus einem random coil Zustand in seine
charakteristische und funktionale 3D-Struktur
faltet
• Aminosäuren interagieren miteinander, um
eine geordnete Tertiärstruktur auszubilden
– native state
• die Tertiärstruktur ist von der Aminosäuresequenz abhängig (Anfinsens Dogma)
http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_folding
Anfinsens Dogma
• auch bekannt als thermodynamische Hypothese
• bei kleinen, globulären Proteinen wird die Tertiärstruktur ausschließlich von der Aminosäuresequenz bestimmt
• unter den Bedingungen (Temperatur, Zusammensetzung des Lösungsmittels, usw.), die eine
Faltung ermöglichen, ist die native Struktur ein
einzigartiges, stabiles und kinetisch zugängliches
Minimum der freien Energie
http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_folding
Levinthals Paradox
• würde ein Protein falten,
indem es sequentiell alle
möglichen Konformationen
durchläuft, würde es
astronomisch lange dauern,
auch wenn jede Konformation
sehr schnell, d.h. im Nanobzw. Pikosekundenbereich
eingenommen würde
10143
Möglichkeiten für
ein 150aa Protein
1080 Atome im
sichtbaren
Universum
http://www-miller.ch.cam.ac.uk/levinthal/levinthal.html
Levinthals Paradox
• da Proteinfaltung sehr viel schneller erfolgt, ist
die Suche im Konformationsraum nicht zufällig
• ein Protein faltet in einer Serie von metastabilen, intermediären Zuständen
http://www-miller.ch.cam.ac.uk/levinthal/levinthal.html
Proteinfaltung
• gefaltete Proteine besitzen
einen hydrophoben Kern
• Minimierung der Anzahl
hydrophober Seitenketten,
die zum Wasser exponiert
sind, ist eine wichtige
Triebkraft des Prozesses der
Proteinfaltung
– hydrophobic collapse
• Stabilisierung des Kerns
durch dichte Packung von
Seitenketten
http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_folding
Proteinfaltung
• intramolekulare H-Brücken tragen ebenfalls
zur Stabilisierung der Struktur bei
• Stärke einer H-Brücke abhängig von ihrer
Umgebung
Proteinkern > Proteinoberfläche
http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_folding
Proteinfaltung
• in vivo beginnt Proteinfaltung während der
Translation an Ribosomen
• d.h. während der N-terminale Abschnitt schon
faltet, wird der C-terminale Abschnitt noch
synthetisiert
• Chaperone
– verhindern Aggregation von Proteinen
– von bestimmten Proteinen benötigt, um in ihre
funktionale Struktur zu falten
http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_folding
GroE Chaperone
Substrat
GroES
GroEL
http://people.cryst.bbk.ac.uk/~ubcg16z/chaperone.html
Proteinfaltung
• Translation am Ribosom ist langsam (Siller et
al. 2010):
– Prokaryoten: 10-20 aa/sec
– Eukaryoten: 3-8 aa/sec
• Wie schnell falten …
– α-Helices?  einige 100 ns (<1µs)
– β-Hairpins?  wenige µs
– Proteine?  wenige µs bis ms
http://bestclipartblog.com/20-snail-clipart.html/Snail-clipart-7
Eaton et al. Acc. Chem. Res.
1998, 31, 745
Exit Tunnel
tRNA
Helixformation im Exit Tunnel
des Ribosoms
magnified
view
Bhushan et al. 2010
Theoretische Betrachtungen der
Proteinfaltung
• Methoden:
– experimentelle
– theoretische
– computergestützte
• “einfachstes” Problem:
– Wie faltet ein globuläres Protein mit einer einzigen
Domäne?
– D.h. wie navigiert es durch die rauhe Landschaft der
freien Energie auf dem Weg zu seiner nativen
Struktur?
Thirumalai et al. 2010
Theoretische Betrachtungen der
Proteinfaltung
• Faltungsmechanismen vielfach mittels einer
Approximation auf zwei Zustände beschrieben
– nur gefaltete und ungefaltete Zustände als
signifikant häufig eingenommen betrachtet
• aber:
– Proteine sind verzweigte Polymere von endlicher
Länge
– native Struktur nur marginal stabilisiert durch eine
Anzahl von relativ schwachen Interaktionen
Thirumalai et al. 2010
Theoretische Betrachtungen der
Proteinfaltung
• ungefalteter und sogar der gefaltete Zustand
sollten – mikroskopisch betrachtet – daher als
ein Ensemble von Strukturen angesehen
werden
• unter Faltungsbedingungen sind die
Fluktuationen im nativen Zustand geringer als
im ungefalteten Zustand
Thirumalai et al. 2010
Ensemble von Strukturen
• Proteinfaltung ist keine
unimolekulare Reaktion
U ↔F
(unfolded/folded)
• Proteinfaltung ist ein
Prozeß der gegenseitigen
Umwandlung von
Konformationen im
Denatured State
Ensemble (DSE) in das
Ensemble von Strukturen
im Native Basin of
Attraction (NBA)
Faltungslandschaft eines Proteins
Thirumalai et al. 2010
Ensemble von Strukturen
• Proteinfaltung mittels Verteilungsfunktionen
beschreibbar
• folgendes wird benötigt, um die
Selbstorganisation von Proteinen zu erfassen:
– passende “Werkzeuge” aus der statistischen
Mechanik
– Konzepte der Polymerphysik
• RNA-Faltung kann ebenfalls auf diese Weise
betrachtet werden
Thirumalai et al. 2010
Gyrationsradius
• in der Polymerphysik
2
Rg
beschreibt er die
Abmessungen einer
Polymerkette
• da ein Ensemble von
Strukturen vorliegt, ist
der Rg der Mittelwert
des Ensembles
(ensemble average) R 2 ≡
g
1
≡
N
N
∑ (r
k
k =1
− rmean )
2
N = Sequenzlänge
rk = Position von Residue k
rmean = Schwerpunkt aller Residuen
1
N
N
∑ (r
k =1
k
− rmean )
2
http://en.wikipedia.org/wiki/Radius_of_gyration
Gyrationsradius
• stark denaturierende Bedingungen  Proteine
liegen entfaltet als random coil vor
• wenn dem so ist, dann muß – basierend auf der
Flory Theorie - der Gyrationsradius (Rg) im
ungefalteten Zustand mit Rgd ≈ ad N ν skalieren
–
–
–
–
ad = charakteristische Kuhn Länge
d = denatured state
N = Anzahl Aminosäuren im Protein
ν = 0,6
• gilt für Homopolymere in guten Lösungsmitteln
Thirumalai et al. 2010
Gyrationsradius
• gefaltete Proteine sind maximal kompakt
ν
n
R
≈
a
N
• daher skaliert der native state mit g
n
– mit ν =
1
und n=native state
3
Thirumalai et al. 2010
RG Gyrationsradius
ρ Anteil nativer Kontakte
Farbverlauf zeigt die Änderung
der freien Energie
grün=energetisch am ungünstigsten
blauer Bereich=native state
Brooks et al. (1998)
Spingläser und Frustration
•
•
•
Ausgangspunkt ist das „Random
Energy Model“ (REM) aus Theorie der
Spingläser
Spingläser sind ungeordnete,
verdünnte Anordnungen
magnetischer Atome in
diamagnetischen Matrizen
benachbarte Atome koppeln
entweder ferro- oder
antiferromagnetisch
– ferromagnetisch bevorzugt gleich
orientierte Spins,
– antiferromagnetisch hingegen
entgegensetzte Spins
– sobald eine Kopplung zwischen zwei
Spins etabliert ist, behält sie ihren Wert
bei
•
Ferromagnetismus
Antiferromagnetismus
beim Abkühlen einer Spinglasprobe
richten sich die Spins so aus, dass
insgesamt eine Anordnung mit
minimaler Energie entsteht
Weikl 2009
Spingläser und Frustration
• Konflikte: System mit
ungerader Zahl
antiferromagnetischer
Wechselwirkungen
– zwei Spins können sich
energetisch günstig
einstellen
– dritter kann nur zu jeweils
einem der beiden
benachbarten energetisch
günstig stehen
siehe auch
http://www.physics.emory.edu/~weeks/lab/tet/tetrahedra_extra.html
http://www.informatik.uni-koeln.de/old-ls_juenger/projects/spinglass.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Geometrische_Frustration
?
Antiferromagnetisch wechselwirkende
Spins in dreieckiger Anordnung
Spingläser und Frustration
?
• unmöglich, alle lokalen Wechselwirkungen
simultan zu optimieren  „Frustration“
• Frustration führt im gesamten Spinsystem zu
einer Quasi-Entartung des Grundzustandes
– viele Konfigurationen mit ähnlicher Energie
– durch Abkühlung eingefrorener Mikrozustand hängt
von Vorgeschichte ab
– jeder Abkühlzyklus führt zu anderer Spinkonfiguration
– außerdem existiert ein Glasübergang:
• Anzahl thermisch zugänglicher Konfigurationen sinkt mit der
Temperatur dramatisch ab
• Spinsystem friert unterhalb der Glastemperatur in einer
zufälligen Konfiguration ein
Weikl 2009
Spingläser und Frustration
?
• Tendenz der Spins im Spinglas, sich in Bezug auf
die Nachbarspins optimal ausrichten zu wollen,
entspricht dem Bestreben der Aminosäuren im
Protein, sich im kompakten, gefalteten Zustand
energetisch optimal zu ihren Nachbarn
anzuordnen
• weiterführende Literatur: Binder, Kurt, and A. Peter Young.
"Spin glasses: Experimental facts, theoretical concepts, and
open questions." Reviews of Modern physics 58.4 (1986): 801.
Weikl 2009
folding landscape
• Visualisierung des Faltungsprozesses als ein Navigieren in
einer großen Faltungslandschaft
• Dynamik von Heteropolymeren
zufälliger Sequenz zeigt, daß ihre
Energielandschaft viel zu rauh ist,
um sie in typischen Faltungszeiten
(Millisekunden) zu erkunden
• energetische Frustration
Thirumalai et al. 2010
folding landscape
• deshalb muß die Energielandschaft vieler evolvierter
Proteine glatt oder trichterförmig sein  minimale
Frustration
• d.h. der Gradient hin zum NBA
is groß genug, daß die Proteine
nicht lange in CBAs verharren
im Laufe des Faltungsprozesses
CBA = competing basin of attraction
DSE = denatured state ensemble
NBA = native basin of attraction Thirumalai et al. 2010
folding landscape
• deshalb muß die Energielandschaft vieler evolvierter
Proteine glatt oder trichterförmig sein  minimale
Frustration
• d.h. der Gradient hin zum NBA
is groß genug, daß die Proteine
nicht lange in CBAs verharren
im Laufe des Faltungsprozesses
CBA = competing basin of attraction
DSE = denatured state ensemble
NBA = native basin of attraction Thirumalai et al. 2010
Protein Folding Funnel
Brooks et al. (1998)
Protein Folding Funnel
Molten Globule States:
kompakte, denaturierte
Zustände mit Sekundärstruktur, die dem native
state ähnelt, in einem
Fold, der mehr oder
weniger dem native
state ähnelt; ihnen fehlt
aber die Stabilität in
ihren tertiären Interaktionen (Dobson 2004)
Brooks et al. (1998)
Protein Folding Funnel
Transition Region:
•Ensemble von teilweise gefalteten
Konformationen mit gleicher Faltungsbzw. Entfaltungswahrscheinlichkeit (Weikl
2009)
Glass Transition:
•erfolgt bei einer Temperatur, bei der es zu
wenige Zustände gibt, so daß das System
in einigen wenigen, diskreten Zuständen
„einfriert” (Weikl 2009)
Brooks et al. (1998)
Glass Transition
• Entropie S ist definiert als
S(E) = kB log [ΩoP(E)]
– Ωo Anzahl der
Konformationszustände eines
Polymers
– P(E) Wahrscheinlichkeit für
Energie E
• wird das System abgekühlt,
so sinkt die Energie
• dem System geht die Entropie
aus, wenn die durchschnittliche Energie unter einen
kritischen Wert E ≤ Eo fällt, so
daß S(Eo) = 0
Onuchic et al. 1997
Glass Transition
• diese Entropiekrise tritt bei
der Glass-Transitionstemperatur TG auf, mit
TG−1 = 2k B S o / ∆E 2
und So = kB log Ωo
• unter TG zeigt die Kinetik des
Systems glassähnliches
Verhalten, das von der
Historie des Systems abhängt
• über TG verhält sich das
System wie eine viskose
Flüssigkeit
Onuchic et al. 1997
Chaperone und Proteinfaltung
Hartl et al. 2011
Chaperone und Proteinfaltung
UPS = ubiquitin-proteasome system
Zahlen = Anzahl beteiligter Proteine
Hartl et al. 2011
Multiple Folding Nuclei (MFN) Model
• effiziente Faltung von Proteinen erfolgt nach
einem NC Mechanismus mit einem ratenlimitierenden Schritt, der einhergeht mit der
Ausbildung eines der folding nuclei
• Ausbildung des folding nucleus und der collapse
der Kette erfolgen nahezu gleichzeitig
– NC Mechanismus
• durchschnittliche Größe des wahrscheinlichsten
nucleus N*R für globuläre Proteine mit einer
einzigen Domäne beträgt etwa 15-30 Residuen
(Chen et al. 2008, J Phys Chem B)
Thirumalai et al. 2010
Three Stage Multipathway Mechanism
Phase I
Ф = Teil der ursprünglichen
Population an Molekülen
Phase II
MECS = minimum energy
compact structures
Phase III
Thirumalai et al. 2010
Thirumalai 1995
Three Stage
Multipathway
Mechanism
Ф = Teil der ursprünglichen
Population an Molekülen
Phase I
• Phase I: unspezifischer Kollaps
Phase II
Phase III
MECS = minimum energy
compact structures
– hydrophobic collapse
– im Gegensatz zu Homopolymeren nicht völlig zufällig
– Konformationen in dieser Phase hängen von mehrere
Faktoren ab wie z.B. Wahrscheinlichkeit von Loopbildung,
interne Bewegungen, die von Transitionen dihedraler Winkel
dominiert werden usw.
– in Proteinen somit in dieser Phase schon mehr Spezifität, die
Thirumalai et al. 2010
für Homopolymere nicht erwartet wird
Thirumalai 1995
Three Stage
Multipathway
Mechanism
Ф = Teil der ursprünglichen
Population an Molekülen
Phase I
• Phase II: Kinetic Ordering
Phase II
Phase III
MECS = minimum energy
compact structures
– ein Teil von dem native state ähnelnden Kontakten wird
ausgebildet
– Bewegung von Segmenten hoch kooperativ
– zum Ende dieser Phase findet das Molekül ein CBA bzw.
NBA
– Strukturen mit vielen Kontakten, die dem native state
ähneln, sich aber signifikant von diesem unterscheiden
Thirumalai et al. 2010, Thirumalai 1995
Three Stage
Multipathway
Mechanism
Ф = Teil der ursprünglichen
Population an Molekülen
Phase I
• Phase III: Alles oder Nichts:
Phase II
Phase III
MECS = minimum energy
compact structures
– Transitionen aktiviert, die von einer der vielen
Strukturen minimaler Energie, die dem native
state ähneln, hin zum native state führen
– die wenigen falschen Kontakte werden
aufgebrochen und native Kontakte hergestellt
Thirumalai et al. 2010
Thirumalai 1995
Transition-Path Theory
• beschreibt die Wahrscheinlichkeitsverteilung
von A (ungefaltet) zu B(gefaltet) Segmenten
einer hypothetischen, unendlich langen
Trajektorie
Noé F et al. PNAS 2009;106:19011-19016
Illustration of transition-path
theory on a model potential
Noé F et al. PNAS 2009;106:19011-19016
PinWW domain folding flux
Noé F et al. PNAS 2009;106:19011-19016
PinWW domain folding flux
Noé F et al. PNAS 2009;106:19011-19016
Faltung/Insertion von helikalen
Membranproteinen
• Ribosom mit nascierender Polypeptidkette
dockt an Sec Komplex an
• getrieben durch die Translation wird das
nascierende Protein transloziert
• wenn bei der Translokation eine transmembrane α-Helix im Sec-Komplex liegt,
öffnet sich der Sec-Komplex lateral und
entläßt die Helix in die Membran
Frauenfeld et al. 2011
Faltung/Insertion von
transmembranen β-Barrel Proteinen
Huysmans G H M et al. PNAS 2010;107:4099-4104
PagP (PDB ID code 1THQ)
BAM complex
of proteobacteria
(BamA/B/C/D/E)
BamA crystal structure
• Haemophilus ducreyi
• Neisseria gonorrhoeae
• d
lateral opening observed in silico
lateral opening observed in silico
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