Copyright Notice You may use this eBook/digital content for your personal use only. The downloaded eBook/digital content remains the property of the author and/or the publisher and is protected by copyright law. No part of this publication may be reproduced, distributed or transmitted in any form or by any means, including photocopying, recording or other electronic or mechanical methods, except for personal use or those permitted by copyright law. The eBook/digital content can be uploaded to your own computers or devices for personal use only. The eBook/digital content or a copy of a downloaded data file must never be copied, reproduced, networked or otherwise transferred to any computer or other device of any other person/party or any internal or external organizational network regardless of its size or to the Internet. Daisaku Ikeda Vorlesungen über das Lotos-Sutra Daisaku Ikeda Vorlesungen über das Lotos-Sutra Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors bzw. des Rechteinhabers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © Daisaku Ikeda English Translation © Soka Gakkai German Translation © Soka Gakkai International-Deutschland e.V. 1. Auflage 2001, 2. Auflage 2012 Umschlaggestaltung, Satz/Layout: Angelika Plag, Berlin Umschlagfoto: Monty Rakusen, © DigitalVision Druck: FATA MORGANA Verlag, 10119 Berlin Inhaltsverzeichnis VORWORT Erinnerung – Der Lebenszustand meines Meisters . . . . . . . . . . 11 I. D AS HOB EN- KAPITE L Schaue zur Sonne der Buddhaschachft in Deinem Herzen empor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Teil 1 Unermeßliche Bedeutung kommt aus dem einen Gesetz . . . . . . 31 Teil 2 Ein revolutionäres Verständnis der Buddhaschaft. Den Gohonzon zu verehren ist bereits Erleuchtung . . . . . . . . . 45 Teil 3 „Geeignetes Mittel“ zur Entwicklung der Menschen . . . . . . . 59 Teil 4 Der Buddha ist der große Arzt des Lebens, der die Menschen dazu bringt, ein glückliches Leben zu führen . . . . . . . . . . . . . . 72 Teil 5 Engagement für Kosen-rufu führt zu einem großartigen Lebenszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Teil 6 Menschen ermutigen, so daß sie Freude empfinden . . . . . . . . . 91 Teil 7 Das wahre Wesen aller Phänomene ist die Weisheit, die Wahrheit des Lebens zu verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I N H A LT II. DAS J U RYO-KAP ITEL Das 16. oder Juryo-Kapitel des Lotos-Sutras („Dauer des Lebens“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Alle Menschen sind Buddhas – Über den Titel . . . . . . . . . . . . . 127 Teil 1 „Das Geheimnis des Buddhas und seine außergewöhnlichen Kräfte“ verweist auf den großen Nutzen des Gohonzons . . . . 133 Teil 2 Den ewigen Augenblick von kuon ganjo leben . . . . . . . . . . . . 140 Teil 3 Das Leben eines Buddhas ist weit wie das Universum . . . . . . . 151 Teil 4 Die große saha-Welt selbst ist das Land des Ewig Ruhigen Lichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Teil 5 Der Buddha beobachtet die Herzen der Menschen und hört ihre unausgesprochenen Wünsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Teil 6 Widmen Sie Ihr Leben dem großen Gesetz und hohen Idealen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Teil 7 Geburt und Tod sind Phasen im großen Rhythmus des Mystischen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Teil 8 Das Bemühen des Buddhas hört nicht einen Augenblick lang auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Teil 9 Die Lebensdauer eines Bodhisattvas ist ewig . . . . . . . . . . . . . . 190 I N H A LT Teil 10 Buddhismus, eine Philosophie, die unsere hedonistische Konsumgesellschaft verändern kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Teil 11 Wegen unserer tiefen Beziehung zum Buddha konnten wir dem Gohonzon begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Teil 12 Der Buddha gibt den Menschen die Kraft zu leben . . . . . . . . . 214 Teil 13 Die Menschheit dürstet nach der wirksamen Medizin des Mystischen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Teil 14 Mit der Weisheit des Buddhas den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft entgegentreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Teil 15 Die Bodhisattvas der Erde sind Boten des Buddhas, die die Menschen zum Glück führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 DER J IGAG E-TE IL DE S J URY O -KA PITELS Teil 16 Das Jigage ist ein Loblied auf das „Große Selbst“ . . . . . . . . . . 237 Teil 17 Wir können den unermeßlichen Lebenszustand des Buddhas erlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Teil 18 Wer den Gohonzon immer zu seiner Lebensgrundlage macht, ist stark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Teil 19 Ein suchender Geist bringt unser Leben zum Strahlen . . . . . . . 256 I N H A LT Teil 20 Sonne der ewigen Freude, erhebe Dich über dem Meer der Leiden! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Teil 21 Inmitten unseres Lebens existiert ein unzerstörbares Paradies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Teil 22 Ein dem mystischen Gesetz gewidmetes Leben ist ein Leben wahren Glücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Teil 23 Aus der ehrlichen und aufrichtigen Ausübung des Mystischen Gesetzes entstehen große Wohltaten . . . . . . . . . . . 283 Teil 24 Der Buddha – ein Mensch der Tat, die Menschheit fest im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Teil 25 Der große Schwur des Buddhas, alle Menschen zum Glück zu führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 QUELLENANGABEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Erinnerung Der Lebenszustand1 meines Meisters Bis heute erinnere ich mich genau an die Vorlesungen meines Meisters, des zweiten Präsidenten der Soka Gakkai, Josei Toda. Sie leben in mir wie Szenen eines großartigen Gemäldes. Die Soka Gakkai war nach dem Kriege als Folge der Unterdrückung durch die Militärregierung zusammengebrochen. Josei Toda begann den Wiederaufbau der Organisation mit Vorlesungen zum Lotos-Sutra für eine Handvoll Mitglieder. Als Teilnehmer der siebten Serie dieser Vorlesungen hörte ich ihn zum ersten Mal am 13. September 1948. In jenem Herbst war ich 21 Jahre alt. Versammlungsort war das alte Zentrum der Soka Gakkai in Nishi-Kanda. Er begann mit den Worten: „Ich sehe, Sie sind alle da“. Gekommen waren 50 bis 60 Menschen. Josei Toda, dessen Augen hinter den Brillengläsern lebhaft glänzten, ließ seine Blicke über den Versammlungsort gleiten, der aus zwei kleinen Zimmern bestand. Er räusperte sich und begann frei und offen seine Vorlesung zu halten. Ich war vom ersten Augenblick an von Ehrfurcht erfüllt und elektrisiert von seinen tiefgründigen Gedanken, seinem großen, intensiven Vertrauen und dem leidenschaftlichen Ausdruck seiner Sorge um die Welt und die Menschheit, die sein ganzes Wesen ausstrahlte. Niemals hätte Josei Toda leichtfertig oder scherzhaft über schwierige Gedanken oder Konzepte gesprochen. Seine Vorlesungen waren leidenschaftlich, geradeheraus und klar. Sie strahlten im Licht einer unendlich tiefen Wahrheit. Seine Worte vermittelten eine Philosophie, die unmittelbar in seiner Lebenserfahrung und dem Gesetz, welches das unendliche Universum durchdringt, gründete. Sie waren von atemberaubender Dramatik und Freude erfüllt. Als ich ihm einmal zuhörte, schien plötzlich die Sonne in meinem Herzen aufzugehen – alles vor meinen Augen war hell erleuchtet. 11 V O RW O R T Noch immer überwältigt von Begeisterung und Aufregung, die mich während der Vorlesung gepackt hatten, schrieb ich in jener Nacht in mein Tagebuch ein Gedicht: „Wie sehr bewundere ich die Größe und Tiefe des Lotos-Sutras, den Weg zur Rettung für die Menschheit, die Lehre vom Ursprung des Lebens und des Universums, das höchste Prinzip, gelehrt in dem Wunsch, daß alle Menschen sich vervollkommnen und höchstes Glück erringen. Ich bin 21 Jahre alt. Worüber habe ich mir Gedanken gemacht, was habe ich getan, was habe ich zur Quelle meines Glücks gemacht, seit ich die Reise meines Lebens angetreten habe? Von heute an will ich tapfer vorangehen, von heute an entschlossen leben. Mein Leben soll verwoben sein in das des großen Gesetzes. Ich will meine Leiden besiegen. Aus echter Trauer wächst der Entschluß, ein großes Leben zu führen. Jetzt erkenne ich das Leben und den großen Weg der Wahrheit.“ Jemand, der von Josei Todas profundem und großem Wissen angetan war, fragte ihn einmal: „Wann haben Sie das alles studiert?“ Er antwortete mit einem warmen Lächeln: „Als ich verfolgt wurde und im Gefängnis war, habe ich aufrichtig Daimoku rezitiert und studiert. Es sieht so aus, als ob ich diese Dinge schon vorher einmal wußte; die 80.000 Sutras betreffen in der Tat mein eigenes Leben“. Während seines Gefängnisaufenthaltes hatte Josei Toda die Erleuchtung über das Wesen des Buddhismus erlangt, und er hielt diese Vorlesungen mit seiner ganzen Kraft. 12 V O RW O R T Das Lotos-Sutra des Frühen, Mittleren und Späten Tag des Gesetzes Später entwickelte Josei Toda ein Konzept seiner Vorlesungen über das Lotos-Sutra. Er organisierte Vorlesungen über das Hoben- und Juryo-Kapitel speziell für neue Mitglieder. Mit seinen Vorlesungen, brillant und voll Überzeugungskraft, pflanzte er die wesentliche Aussage des Buddhismus in die Herzen seiner Zuhörer, auch wenn sie sich dessen nicht bewußt waren. Diese neuen Mitglieder kannten den Buddhismus meist nur im Zusammenhang mit Shakyamuni. Daher begann Josei Toda jede Vortragsreihe, indem er hervorhob, daß das Lotos-Sutra je nach Zeitalter anders dargestellt wurde, entsprechend dem Frühen, dem Mittleren oder dem Späten Tag des Gesetzes. Josei Toda sagte immer: „Jeder geht einfach davon aus, daß unter ,Lotos-Sutra‘ der unter diesem Namen existierende Text, aufgeteilt in 28 Kapitel, zu verstehen ist. Tatsächlich aber gibt es drei Arten des Lotos-Sutras.“ Das erste ist das Lotos-Sutra von Shakyamuni. Das ist das 28 Kapitel umfassende Sutra gleichen Namens. Dieses Lotos-Sutra brachte den Zeitgenossen Shakyamunis und den Menschen des Frühen Tages des Gesetzes Nutzen2. Jetzt, im Späten Tag des Gesetzes, würde jedoch die Ausübung, die für den Frühen Tag des Gesetzes galt, nämlich das Lesen und Rezitieren sowie das Abschreiben dieses Sutras, keinen Nutzen bringen. Unser Rezitieren des Hoben- und Juryo-Kapitel beim Morgen- und Abendgebet hat jedoch eine andere Bedeutung. Das Lotos-Sutra des Mittleren Tages des Gesetzes ist T’ien-t’ais Maka Shikan (Große Konzentration und Einsicht)3 Das Lotos-Sutra für unsere Zeit, den Späten Tag des Gesetzes, ist Nam-Myoho-Renge-Kyo, das aus sieben Schriftzeichen bestehende Lotos-Sutra, welches in der Tiefe des Juryo-Kapitels verborgen ist. Sie müssen unbedingt verstehen, daß es drei verschiedene Lotos-Sutras gibt und welche Beziehung sie zueinander haben. Außerdem gibt es ein weiteres Lotos-Sutra, welches geschichtlich nicht nachweisbar ist. Dieses Lotos-Sutra wurde gleichermaßen von Nichiren, Shakyamuni, T’ien-t’ai und Dengyo erkannt. Es ist das 24 Schriftzeichen umfassende Lotos-Sutra des Bodhisattvas Fukyo4. Der aus Indien stammende Shakyamuni lehrte das 28 Kapitel umfassende Lotos-Sutra für seine Zeitgenossen und die Menschen des Frühen Tages. Der aus China stammende T’ien-t’ai lehrte die Maka Shikan für die Menschen des Mittleren Tages des Gesetzes, und der Bodhisattva 13 V O RW O R T Fukyo lehrte das sogenannte 24 Schriftzeichen umfassende Lotos-Sutra für die Menschen, die in einer Zeit lebten, die man den Mittleren Tag des Buddhas Ionno nennt. Josei Toda erklärte, daß trotz der Unterschiede in bezug auf Zeit und Form, in welchen die Lehren verkündet wurden, sie tatsächlich alle dasselbe Lotos-Sutra sind. Er nannte es daher das „vielfältige Lotos-Sutra“. Das Lotos-Sutra ist somit nicht einfach das „Lotos-Sutra von Shakyamuni“. Es ist auch das „Lotos-Sutra von T’ien-t’ai“ und das „LotosSutra des Bodhisattvas Fukyo“. Diese erstaunliche Feststellung konnte nur von Josei Toda gemacht werden, der zu dem Wesen des Lotos-Sutras erleuchtet war. Seine Zuhörer, die seine sehr umfassenden Vorlesungen hörten, konnten sich im Laufe der Zeit die Unterscheidung zwischen dem Lotos-Sutra von Shakyamuni und dem Lotos-Sutra von Nichiren ganz klar einprägen. Nam-Myoho-Renge-Kyo ist das Lotos-Sutra des Späten Tages Was haben diese unterschiedlichen Ausdrucksformen des „Vielfältigen Lotos-Sutras“ gemeinsam? Letztendlich die Lehre, daß „alle Menschen ohne Ausnahme das Potential haben, Buddha zu werden“. Es gibt jedoch große Unterschiede in der Art, in der Shakyamuni und Nichiren dieser Lehre Ausdruck verliehen. Während Shakyamuni sie als das 28 Kapitel umfassende Lotos-Sutra ausdrückte, offenbarte Nichiren die höchste Wahrheit des Lotos-Sutras als Nam-Myoho-Renge-Kyo, um allen Menschen des Späten Tages die Verwirklichung der Buddhaschaft zu ermöglichen. In der „Hokke Shuyo Sho“ (Wesen des Lotos-Sutras) sagt Nichiren: „Ich, Nichiren, legte das Ausführliche und die Zusammenfassung beiseite und bevorzugte das Wesentliche. Das Wesen besteht aus den an Bodhisattva Jogyo übertragenen fünf Schriftzeichen von Myoho-RengeKyo“.5 Die fünf Schriftzeichen Nam-Myoho-Renge-Kyo, die das Wesen des Lotos-Sutras darstellen – d.h. Nam-Myoho-Renge-Kyo der Drei Großen Esoterischen Gesetze – ist das für den Späten Tag des Gesetzes geeignete Lotos-Sutra. Josei Toda nannte daher die Lehren Nichirens „Das LotosSutra des Späten Tages“. 14 V O RW O R T Die Ausübenden6 des Lotos-Sutras Jemand, der eine Lehre offenbart, die die Menschen in die Lage versetzt, die Buddhaschaft zu verwirklichen, wird sicherlich verfolgt werden. Selbst Shakyamuni war einer Reihe großer Verfolgungen ausgesetzt. Im Lotos-Sutra selbst steht, daß jeder, der im Späten Tag des Gesetzes das Lotos-Sutra verbreitet, mehr Verfolgungen ausgesetzt ist als Shakyamuni. Dieser Punkt wird durch folgende Abschnitte belegt: „Da schon zu Lebzeiten des Buddhas Haß und Neid vorherrschten, um wieviel schlimmer wird es in der Welt nach seinem Tode sein?“; „die drei mächtigen Feinde“; „Überall ist Haß, und es ist schwer zu glauben“ sowie die Lehre der „sechs schwierigen und der neun leichten Handlungen“.7 Ein Ausübender, der all diese schweren Verfolgungen erlebt und trotzdem weiter im Späten Tag die Lehre unter den Menschen verbreitet, verkörpert den Geist des Lotos-Sutras. Verfolgungen ertragen zu können, ist in der Tat ein Ausdruck von Mitgefühl. So wie das Sutra voraussagt, war Nichirens Leben, der im Späten Tag erschien, eine Kette schwerer Verfolgungen. Er hatte erkannt, daß die ihm widerfahrenen Verfolgungen in jeder Hinsicht den Voraussagen des Sutras entsprachen. Deshalb sagt er von sich, er sei der „Ausübende des Lotos-Sutras im Späten Tag“ und der „ursprüngliche Buddha des Späten Tages“. Gleichzeitig bezeichnet Nichiren Shakyamuni, T’ien-t’ai und Dengyo als Ausübende des Lotos-Sutras ihrer Zeit. Sie waren alle Ausübende, die das Lotos-Sutra aus dem Wunsch für das Glück der Menschen lehrten und deswegen verfolgt wurden. Außerdem würdigt und ermutigt Nichiren in vielen Briefen seine Anhänger, indem er sie als „Ausübende des Lotos-Sutras“ bezeichnete. Einer von ihnen war Shijo Kingo, der große Schwierigkeiten zu überwinden hatte und an seinem Glauben festhielt, ohne sein Leben zu schonen. Einer Frau, (der Mutter von Oto Gozen), die, um ihn im Exil auf der Insel Sado zu besuchen, zusammen mit ihrer kleinen Tochter die beschwerliche Reise unternommen hatte, sagt er sogar: „Sie sind ohne Zweifel die herausragende Ausübende des Lotos-Sutras unter allen Frauen Japans.“8 Er gibt ihr den Namen Nichimyo Shonin (die Weise Nichimyo). 15 V O RW O R T Buddhismus heißt handeln – mitten unter den Menschen und in der Gesellschaft Er schreibt auch: „Zur Zeit von Kosen-rufu werden alle Menschen auf der ganzen Welt Ausübende des Lotos-Sutras werden“9. „Ausübender des Lotos-Sutras“ bezieht sich auf diejenigen, die sich während der 10.000 Jahre des Späten Tages und darüber hinaus der Aufgabe widmen, die Menschen zu retten. „Kosen-rufu“ beschreibt eine Situation, in der einzelne Menschen als „Ausübende“ auf der Grundlage des Mystischen Gesetzes einen Beitrag für andere und die Gesellschaft leisten, als Menschen der Tat. Daher haben der Begründer der Soka Gakkai, Präsident Tsunesaburo Makiguchi, und der zweite Präsident, Josei Toda, die gegen das japanische Militärregime kämpften und für das Glück der Menschen das Gesetz ohne Rücksicht auf das eigene Leben verbreiteten, mit Sicherheit einen Platz in der Reihe der Ausübenden des Lotos-Sutras. Der 65. Hohe Priester, Nichijun, pries Präsident Makiguchi als einen „als Boten des Buddhas Geborenen“ und lobte Josei Toda als „den Anführer der Bodhisattvas aus der Erde“. Josei Toda begann um die Verbreitung des „Lotos-Sutras im Späten Tag“ für diejenigen zu kämpfen, die sich unter den extremen Belastungen der Folgen des Zweiten Weltkriegs durchsetzen mußten. „Ich will das Wort ,Unglück‘ aus dieser Welt verbannen. Ich will die Welt von Armut und Krankheit befreien.“ Diesen leidenschaftlichen Ruf meines Meisters, der nach dem Krieg alleine einen Anfang machte, höre ich noch immer. Dieser Ruf aus seinem Innersten ist der Geist des LotosSutras. Buddhismus ist immer Handlung und Ausübung. Den Menschen zu ermöglichen, ihre Schwierigkeiten zu überwinden und ein Leben höchster Erfüllung zu leben, erfordert den Dialog, und zwar einen in die Tiefe gehenden Dialog. In Handlung und Ausübung dieser Qualität lebt der Geist des Lotos-Sutras. 16 V O RW O R T Der „Buddhismus, der in den Tiefen des Sutras verborgen ist“, ist für alle Menschen zugänglich Im Laufe seiner Vorlesungen sagte Josei Toda oft: „Nichiren las das Lotos-Sutra ausgehend von der tiefsten Bedeutung. Der Große Lehrer T’ien-t’ai las das Lotos-Sutra in seiner offensichtlichen oder wörtlichen Bedeutung und legte die einzelnen Abschnitte und Sätze kunstvoll aus. Wenn ich sage, Nichiren las das Lotos-Sutra, bedenken Sie bitte, daß er das von Shakyamuni gelehrte Lotos-Sutra nicht einfach so las, wie es war. Er las es in Bezug auf die in der Tiefe enthaltene Bedeutung, ausgehend von seinem Lebenszustand als der Buddha des Späten Tages. Darauf bezieht er sich, wenn er von ,der theoretischen Lehre, wie ich sie lese‘ und von dem ,Juryo- Kapitel in meiner Erleuchtung‘ spricht.“ In seinen Vorlesungen unterschied Josei Toda streng zwischen der wörtlichen, offensichtlichen Bedeutung beziehungsweise der Interpretation Shakyamunis und T’ien-t’ais, und der verborgenen Bedeutung in der Interpretation Nichirens. Anhand dessen zeigte er, wie man das Sutra im Späten Tag lesen sollte. Aber was genau heißt es, das Sutra in bezug auf seine im Juryo-Kapitel verborgene Bedeutung zu lesen? Einfach gesagt heißt es, das Sutra vom Standpunkt des grenzenlosen Lebenszustandes des ursprünglichen Buddhas zu lesen, dessen Wunsch es ist, daß alle Menschen des Späten Tages echtes Glück10 verwirklichen. Nichiren „las das Lotos-Sutra mit seinem Leben“, indem er es mit der Einstellung ausübte, das eigene Leben nicht zu schonen. Die Essenz des Lotos-Sutras, die Nichiren unter Einsatz seines Lebens verbreitete, ist Nam-Myoho-Renge-Kyo, „das Lotos-Sutra des Späten Tages“, das „in der Tiefe verborgene Lotos-Sutra“. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, wird das 28 Kapitel umfassende Lotos-Sutra in seiner Gesamtheit zu einer Erklärung von NamMyoho-Renge-Kyo. Das Lotos-Sutra vom Standpunkt von Nam-Myoho-Renge-Kyo aus zu lesen bedeutet also, es vom Standpunkt seiner verborgenen Bedeutung aus zu lesen. Wenn wir das Hoben- und das Juryo-Kapitel rezitieren, tun wir das nicht vom Standpunkt des Lotos-Sutras des Frühen oder des Mittleren Tages des Gesetzes, sondern aus der Sicht von Nichirens Lehre von Nam-Myoho-Renge-Kyo. 17 V O RW O R T Eine lebendige Interpretation von großer Weisheit für das Glück der Menschen, eingebettet in das tägliche Leben Nichiren erläuterte das 28 Kapitel umfassende Lotos-Sutra vom Standpunkt der in der Tiefe verborgenen Lehre. Nikko Shonin zeichnete diese Vorlesungen in Form der Ongi Kuden (Aufzeichnung der mündlich überlieferten Lehren) auf. Um den Geist des Lotos-Sutras wiederzubeleben und alle Menschen des Späten Tages in die Lage zu versetzen, die Buddhaschaft zu erlangen, erklärt Nichiren aus seinem unendlichen Mitgefühl heraus genau, wie die Abschnitte des Sutras gelesen werden sollten. Das Lesen des Sutras in Bezug auf seine verborgene Bedeutung kann man als eine „Interpretation aus der Sicht der Erleuchtung Nichirens“ bezeichnen. Es handelt sich dabei nicht nur um eine theoretische Erläuterung des Sutras, sondern um eine Interpretation, die den Geist der Sutraabschnitte allein unter dem Aspekt beleuchtet, wie alle Menschen in ihrem täglichen Leben glücklich werden können. Mit anderen Worten handelt es sich um eine lebendige Erläuterung, wie man das Sutra in die Tat umsetzt. Es ist eine Erläuterung für die Menschen, die das tägliche Leben in den Mittelpunkt stellt. Die Ongi Kuden vermitteln nicht nur Wissen, sondern sie beruhen auf großer Weisheit. Nichiren wollte sicherstellen, daß die Lehre des Sutras entsprechend den Erfordernissen der Zeit und der Gesellschaft genau und energisch weiterentwickelt werden kann. Der Ausdruck „In der Tiefe verborgen“ könnte möglicherweise den Eindruck erwecken, es handele sich um ein Geheimnis, das den meisten Menschen nicht zugänglich ist. Das ist mit Sicherheit nicht so. Im Gegenteil, der wahre Wert des „in der Tiefe verborgenen Buddhismus“ liegt darin, daß er allen Menschen zugänglich ist und zu einer lebendigen, pulsierenden Kraft wird, die Zeit und Gesellschaft mit Leben füllt. Die Anhänger des Hohenpriesters Nikken haben dieses Grundanliegen vollkommen in das Gegenteil verkehrt. Sie verdrehen die Lehre des „in der Tiefe verborgenen Buddhismus“, begnügen sich mit dogmatischen Auslegungen und verschanzen sich hinter einer Mauer der Autorität. Sie haben die Welt der Priester und Tempel in eine Welt von Sonderprivilegien verwandelt; den Gohonzon haben sie zum Werkzeug der Kontrolle über die Menschen herabgewürdigt. Sie selbst haben keine angemessene Ausübung, sondern sie vergeuden sinnlos ihre Zeit und werden immer unmenschlicher. Dieses Verhalten ist erschreckend. Sie haben die Absicht Nichirens zunichte gemacht. 18 V O RW O R T Ich möchte auf der Grundlage der Ongi Kuden und der Vorlesungen Josei Todas diese Vorlesungsreihe so gestalten, daß sie der heutigen Zeit und Gesellschaft entsprechen. Die Wohltaten durch das Rezitieren des Sutras Wie Sie wissen, wird das Rezitieren des Daimoku, das heißt das Rezitieren von Nam-Myoho-Renge-Kyo, als die wesentliche Ausübung, und das Rezitieren von Hoben- und Juryo-Kapitel als ergänzende, unterstützende Ausübung bezeichnet. Der 26. Hohe Priester Nichikan verglich die Beziehung zwischen der wesentlichen und der ergänzenden Ausübung mit der Beziehung zwischen Nahrung und Gewürzen: wenn wir Reis oder Nudeln, unsere Grundnahrungsmittel, essen, verwenden wir gewöhnlich Gewürze wie Salz oder Essig, um den Geschmack zu betonen. Das Glück, das man sich durch die wesentliche Ausübung erschafft, ist schier unermeßlich. Wenn man zusätzlich das Hoben- und das JuryoKapitel rezitiert, wird die Wirkung der wesentlichen Ausübung noch verstärkt und zeigt sich schneller. Grundsätzlich besteht unser tägliches Gebet darin, Daimoku zu rezitieren und ergänzend das Hoben- und Juryo-Kapitel zu lesen. Das Glück, das durch das Rezitieren des Daimoku entsteht, ist unermeßlich und grenzenlos. Allein in dem einmaligen Aussprechen von Nam-Myoho-Renge-Kyo liegt unendliche Kraft. Nichiren sagt: „Wenn Sie den Titel des Sutras auch nur einmal aussprechen, wird die Buddhaschaft aller Lebewesen herbeigerufen und um Sie gesammelt“11. Er sagt auch, daß das Glück, das durch einmaliges Aussprechen des Daimoku entsteht, dem des Lesens des gesamten Sutras gleich ist; wenn man zehnmal Daimoku rezitiert, entspricht das dem zehnmaligen Lesen des Sutras, hundert Daimoku entsprechen dem hundertmaligen Lesen des Sutras, tausend Daimoku entsprechen dem tausendmaligen Lesen des Sutras. Deshalb ist es beispielsweise nicht unbedingt notwendig, das Sutra zu lesen, wenn man krank ist. Wenn man sich trotz Krankheit zwingt, ein vollständiges Gebet zu machen, kann sich der Zustand dadurch noch verschlechtern. Dadurch könnte uns die Freude am Glauben verloren gehen, und wir könnten uns im Gegenteil selbst schaden. Statt dessen ist es in solch einer Situation besser, einfach das HobenKapitel und den Jigage-Teil des Juryo-Kapitels des Sutras zu lesen und 19 V O RW O R T Daimoku zu rezitieren oder sogar nur Daimoku zu rezitieren. Buddhismus ist Vernunft. Deshalb ist es wichtig, immer wieder eine weise Entscheidung zu treffen, um das tägliche Gebet jedes Mal mit Freude auszuführen. Das Lotos-Sutra aus der Sicht Nichirens lesen Die wesentliche Ausübung des Buddhismus Nichirens ist das Rezitieren von Nam-Myoho-Renge-Kyo, der höchsten Wahrheit der buddhistischen Lehre. Da wir alle die beste wesentliche Ausübung ausführen, wäre eine geringere ergänzende Ausübung wirkungslos. Das Lotos-Sutra, das den Zweck des Erscheinens des Buddhas Shakyamuni in dieser Welt schildert, ist die von Nichiren gewählte ergänzende Ausübung. Von den 28 Kapiteln des Sutras ist das HobenKapitel der „Kernpunkt der theoretischen Lehre“12 und das Juryo-Kapitel der „Kernpunkt der wesentlichen Lehre“13. Schon zu Lebzeiten Nichirens lasen und rezitierten seine Schüler diese beiden Kapitel. Er sagt in einem seiner Briefe: „Von den 28 Kapiteln des Lotos-Sutras sind das Hoben- und das Juryo-Kapitel von ganz besonderer Bedeutung. Die übrigen Kapitel sind wie die Zweige und Blätter dieser beiden Kapitel. Ich schlage daher vor, daß Sie als beständige Ausübung den Prosateil des Hoben- und des Juryo-Kapitels lesen“14. Die täglichen Gebete sind wie die Wurzeln, durch die ein Baum heranwachsen kann. Der Baum Ihres Lebens wird durch die Wirkung der wiederholten täglichen Gebete immer stärker und kräftiger. Möglicherweise kann man nicht von einem Tag zum anderen Veränderungen erkennen, aber die tägliche Nahrung einer beständigen Ausübung läßt das Leben eines Tages stark und ausladend werden wie ein großer Baum. Die beständige Ausübung führt zu einem Lebenszustand von absolut unzerstörbarem Glück. Nichikan erklärte, daß wir das Hoben- und das Juryo-Kapitel lesen, um die oberflächliche Bedeutung „zurückzuweisen“ und statt dessen die in der Tiefe verborgene Bedeutung zu „benutzen“. Wenn wir diese Kapitel vom Standpunkt des Buddhismus Nichirens lesen, machen wir die oberflächliche Bedeutung zunichte, so als ob man sagt: „Das LotosSutra Shakyamunis hat im Späten Tag keine Kraft“. Vom Standpunkt Nichirens lesen wir das Lotos-Sutra, um „den Gohonzon zu preisen“. Diese Art des Lesens entspricht dem „Benutzen“ 20 V O RW O R T der Worte des Sutras. Es gibt bis ins kleinste Detail gehende Argumente für diese Erklärung, ich möchte es jedoch dabei belassen. Unsere Stimmen erreichen die Buddhas und Bodhisattvas Einige von Ihnen werden sich sicherlich fragen, ob das Lesen von Teilen des Sutras, die man gar nicht versteht, überhaupt Nutzen bringen kann. Ich versichere Ihnen, daß durch diese Ausübung ganz bestimmt Glück entsteht. Nichiren sagt: „Ein Baby kennt weder den Unterschied zwischen Wasser und Feuer, noch kann es Medizin von Gift unterscheiden. Aber wenn es Milch trinkt, wird sein Leben genährt und erhalten. Auch wenn man keine tiefe Kenntnis (der verschiedenen Sutras) hat ... wenn man auch nur ein Schriftzeichen oder einen Satz des Lotos-Sutras hört, wird man ohne Zweifel die Buddhaschaft erlangen.“15 So wie ein Baby wächst, wenn es Milch trinkt, ohne sich dessen bewußt zu sein, so wird unser Leben bestimmt von unermeßlichem Glück strahlen, wenn wir mit aufrichtigem Glauben an den Gohonzon Nam-Myoho-Renge-Kyo rezitieren. Ein anderes Beispiel: Hunde verständigen sich in der Sprache der Hunde, Vögel in der Sprache der Vögel. Menschen können diese Sprachen nicht verstehen, jedoch können Hunde oder Vögel sich sehr wohl untereinander in ihrer Sprache verständigen. Und obwohl einige Menschen wissenschaftliche Fachbegriffe oder eine bestimmte Fremdsprache nicht verstehen, so gibt es doch andere, die sich in dieser Sprache sehr wohl verständigen können. So kann man sagen, daß wir bei unserem täglichen Gebet die Sprache der Buddhas und Bodhisattvas sprechen. Auch wenn wir möglicherweise nicht verstehen, was wir sagen, erreicht unsere Stimme den Gohonzon, alle buddhistischen Götter und alle Buddhas und Bodhisattvas der drei Existenzen und der zehn Richtungen16, und als Antwort hüllt uns das ganze Universum in das Licht unzerstörbaren Glücks. Wenn wir mit suchendem Geist17 die Bedeutung des Sutras auf der Grundlage unseres Gebetes studieren, gewinnen wir selbstverständlich mehr Vertrauen und vertiefen unseren Glauben. 21 V O RW O R T Eine belebende Ausübung Wenn wir das Sutra und das Daimoku rezitieren, halten wir eine Zeremonie ab, in der wir den ursprünglichen Buddha und das höchste Gesetz von Nam-Myoho-Renge-Kyo preisen. Man könnte sagen, daß unser Gebet ein Gedicht oder ein Lied höchsten Lobes für den Buddha und für Nam-Myoho-Renge-Kyo ist, das dem Universum zugrunde liegende Gesetz. Wenn wir beten, loben wir gleichzeitig das ewige Leben des Universums und die Buddhaschaft in unserem eigenen Leben. Josei Toda sagte einmal: „Wenn wir uns nach Osten wenden und die buddhistischen Götter begrüßen, erscheinen die buddhistischen Götter sowohl in unserem Herzen als auch im ganzen Universum. Wenn wir uns dann beim zweiten Gebet dem Gohonzon zuwenden, nehmen alle buddhistischen Götter hinter uns Platz. Wenn ich egal zu welcher Tageszeit die buddhistischen Götter begrüße, nehmen sie alle hinter mir Platz und begrüßen den Gohonzon. All diese buddhistischen Götter arbeiten dafür, meine Herzenswünsche zu verwirklichen. So ist es.“ Wenn wir den Gohonzon verehren, öffnet sich auf der Stelle die Tür unseres Mikrokosmos zum Makrokosmos, und wir erleben ein erhabenes Gefühl großen Glücks – so als ob wir das ganze Universum überschauen könnten. Wir genießen ein Gefühl der Erfüllung und Freude und erfahren eine allumfassende Weisheit. Der Mikrokosmos verschmilzt mit dem Universum und beinhaltet es seinerseits. Das Rezitieren des Sutras und des Daimoku ist eine „zeitlose Zeremonie“, die unser Leben von Grund auf erfrischt. Es ist daher wichtig, jeden Tag rhythmisch und klangvoll zu beten, so als ob ein weißes Pferd über den Himmel galoppierte. Ich hoffe, daß Sie so beten, daß sie danach körperlich und geistig entspannt und erfrischt sind. Der „König der Sutras“ macht die Menschen stark und weise Das Lotos-Sutra ist der „König der Sutras“, „die Schrift, die sich an alle Menschen wendet“. Es ist die Lehre, die in jedem Augenblick lebendig ist, sie verkörpert das Mitgefühl und die unparteiische Einstellung des Buddhas. Es ist eine „Schrift der Wiederbelebung“, die den Menschen stark und weise macht. Hoben- und Juryo-Kapitel sind das Herz des Sutras. 22 V O RW O R T Keine Ausübung ist für alle Menschen so offen wie die, das Sutra zu lesen und das Daimoku zu rezitieren, so wie es Nichiren gelehrt hat. Es ist die buddhistische Ausübung, die allen Menschen einfach zugänglich ist. Zu Lebzeiten Nichirens haben sowohl Priester als auch Laien sich darin bemüht, das Sutra zu lesen und Daimoku zu rezitieren. In der heutigen Gesellschaft Japans jedoch sind die Sutras für viele Menschen zu etwas geworden, zu dem sie großen Abstand haben. Die meisten Japaner kommen mit den Sutras nur dann in Berührung, wenn sie von den Priestern bei einer Bestattung rezitiert werden. Diese Abhängigkeit von den Priestern, die inzwischen als etwas so Natürliches betrachtet wird, daß sie niemand in Frage stellt, hat zu einer Haltung blinden Gehorsams gegenüber der religiösen Autorität geführt. Dieses grundlegende Übel ist die Ursache dafür, daß der Klerus arrogant und dekadent geworden ist. Durch die Entwicklung der Soka Gakkai International rezitieren heute nicht nur die Menschen in Japan, sondern in der ganzen Welt voller Freude Nam-Myoho-Renge-Kyo und das Hoben- und Juryo-Kapitel. Dies ist ein großartiges Unterfangen und in der Geschichte des Buddhismus beispiellos. Es ist die große religiöse Revolution des zwanzigsten Jahrhunderts. Nichirens „Gesetz des Buddhas für die Menschen“ erhellt die ganze Welt mit dem Licht von Frieden und Glück. Millionen Menschen erfahren die positive Kraft von Nam-Myoho-Renge-Kyo und leben das wunderbare Ereignis ihrer eigenen Menschlichen Revolution. Das bestätigt mehr als alles andere die Richtigkeit der Soka Gakkai und ihrer Ziele, die den Geist des Lotos-Sutras in unsere Zeit trägt. Bei der Ausarbeitung dieser Vorlesung sehe ich all die vielen Freunde vor mir. Ich möchte so fortfahren, als ob ich eine Diskussion mit jedem einzelnen von Ihnen habe und wir bei strahlend blauem Himmel einen vergnügten Spaziergang durch ein Feld duftender Blumen machen. 23 I. Das Hoben-Kapitel Schaue zur Sonne der Buddhaschaft in Deinem Herzen empor Das Lotos-Sutra läßt die Sonne in unserem Herzen aufgehen Wenn die Sonne auch in schwierigen Situationen in der Tiefe unseres Lebens strahlt, dann öffnet sich in unserem Herzen ein klarer, heller Himmel, blau wie der Himmel im Mai. Wenn wir in unserem Herzen die vier Tugenden (Ewigkeit, Glück, wahres Ich, Reinheit) besitzen, dann wird der Ort, an dem wir leben, zum Land des Buddhas.18 Obwohl jeder die Sonne in sich trägt, sind sich dessen nur wenige bewußt. Das Lotos-Sutra ist die Schrift, die die Erleuchtung in unserem Leben offenbart. „Du selbst bist Buddha. Schaue zur Sonne der Buddhaschaft in Deinem Herzen empor“. Das ist die Quintessenz des Lotos-Sutras, die Botschaft des Hoben-Kapitels. Shakyamuni erkannte, daß jeder die Buddhaschaft besitzt, und daß sie sich von seiner eigenen nicht unterscheidet. Er bahnte für alle den Weg, der zur Erleuchtung führt. Mit der Feststellung, daß alle Menschen verehrungswürdig sind und daß kein Mensch besser als der andere ist, ging Shakyamuni zu den Menschen und lehrte beständig das Gesetz. Die Ausübung der buddhistischen Lehre ist der Weg der grenzenlosen Entfaltung Im zweiten Teil des Hoben-Kapitels erläutert Shakyamuni, daß Buddhas in dieser Welt erscheinen, um die Tür zur Weisheit des Buddhas zu öffnen, sie zu zeigen, alle Menschen sie erkennen zu lassen und sie durch das Tor zu ihr eintreten zu lassen.19 „Genau wie ich können alle Menschen gleichermaßen die Buddhaschaft in ihrem Leben hervorbringen. Indem ich jetzt das Lotos-Sutra lehre, um für alle Menschen diese Möglichkeit zu schaffen, erfülle ich einen Schwur, den ich vor langer Zeit abgelegt habe.“ Das Hoben-Kapitel bringt die Grundidee humanistischer Erziehung zum Ausdruck. Denn der Ausgangspunkt des Buddhismus ist die Er- 25 DAS HOBEN-KAPITEL kenntnis des unendlichen Potentials jedes Menschen. Gleichzeitig lehrt er, wie die Menschen den großen Schatz der Buddhaschaft erkennen und ihn nutzen können. Wer diesen Schatz in seinem eigenen Leben erkennt, wird ihn auch im Leben der anderen erkennen und seinen Mitmenschen mit aufrichtigem Respekt begegnen. Gleichzeitig wird ein solcher Mensch auch dazu beitragen, um in anderen die gleiche Erkenntnis zu wecken. Durch diese Bemühungen entfalten wir unser Leben noch mehr, und verstärken unsere Überzeugung von unseren Fähigkeiten und unserer Würde. Die buddhistische Ausübung ist daher der Weg der grenzenlosen Entfaltung. Nachdem Shariputra und die anderen Menschen im Zustand des Lernens von dem Buddha das Hoben-Kapitel gehört haben, erkennen sie die Weisheit des Buddhas. Sie schwören, daß sie mitten unter den Menschen handeln wollen. Dadurch werden sie zu „Menschen im Zustand des Lernens, die dem Volk dienen.“ Sie werden zu wahren Schülern des Buddhas. Shariputra und die anderen waren zweifellos bewegt von dem tiefen Mitgefühl ihres Meisters, Shakyamuni. Das große Licht der Weisheit des Buddhas scheint plötzlich in die Dunkelheit ihrer vorher egozentrischen und fest verschlossenen Herzen. Ihr Herz öffnete sich weit. Sie verstanden, daß der Buddha sie die ganze Zeit zur Buddhaschaft führen wollte, zu dem unendlich weiten und grenzenlosen Lebenszustand. Sie erkannten, daß der Weg der Zwei Fahrzeuge (die Welt von Lernen und Selbsterkenntnis) oder der drei Fahrzeuge (die Welt von Lernen, Selbsterkenntnis und Bodhisattva) letztendlich nicht das Ziel der Lehre des Buddhas waren. Diese Lehre, die die Menschen dazu bringt, die Buddhaschaft statt den Weg der drei Fahrzeuge anzustreben, wird „Ersatz der drei Fahrzeuge durch das eine Fahrzeug“ genannt. (jap. kaisan ken’ichi). Die Ablösung des Weges der drei Fahrzeuge durch das eine höchste Fahrzeug ist die zentrale Lehre der ersten Hälfte, bzw. theoretischen Lehre des LotosSutras. Unter den 14 Kapiteln der theoretischen Lehre – welche die Struktur der Ablösung der drei Fahrzeuge durch das eine höchste Fahrzeug bildet – ist das Hoben-Kapitel die tragende Säule. Im Buddhismus bedeutet Hoben perfektes Mittel oder Methoden, die Buddhas verwenden, um Menschen zur Erleuchtung zu führen. Das Hoben-Kapitel zeigt die Weisheit des Buddhas, die Menschen auf diesen Weg zu führen. Ich werde später noch näher auf die Bedeutung des Ausdrucks „Hoben“ eingehen. 26 DAS HOBEN-KAPITEL Der Kernpunkt des gesamten Hoben-Kapitels Bei unserem täglichen Gongyo rezitieren wir den Eingangsteil des Hoben-Kapitels. Das ist der wichtigste Teil des gesamten Kapitels. Kurz gesagt ist der Inhalt dieses Teils des Kapitels folgender: zunächst erklärt Shakyamuni, daß die Weisheit, zu der alle Buddhas erleuchtet sind, „unendlich tief und unermeßlich ist.“ Er erklärt, daß es weit über die Kapazität von Shariputra und der anderen Menschen des Lernens hinausgeht, das zu verstehen. Shakyamuni sagt dann, daß er Gleichnisse und verschiedene andere Mittel benutzt hat, um auf kluge Weise den Menschen die Weisheit des Buddhas zu erläutern. Schließlich offenbart er, daß die Weisheit aller Buddhas nichts anderes ist, als das Verständnis des „Wahren Wesens alle Phänomene“ (shoho jisso). Damit schließt der Teil des Hoben ab, den wir täglich rezitieren. Kurz gesagt beinhaltet das „Wahre Wesen aller Phänomene“ das Prinzip, daß alle Menschen das Potential haben, Buddha zu sein. Mit anderen Worten, dieser Abschnitt offenbart in der Theorie den Weg, auf dem alle Menschen die Buddhaschaft erlangen können. Der Teil des Hoben-Kapitels, den wir während des Gongyo rezitieren, ist daher der Kernpunkt des gesamten Hoben-Kapitels. Lassen Sie mich nun zum Inhalt des Hoben-Kapitels kommen. Hoben (geeignetes Mittel) ist das zweite Kapitel von Myoho Renge Kyo Niji seson. Ju sanmai. Anjo ni ki. Go sharihotsu. Sho-but chi-e. Jinjin murio. Go chi-e mon. Nange nannyu. Issai shomon. Hyaku-shi-butsu. Sho fu no chi. „Zu jener Zeit erhob sich der Welt-Verehrte langsam von seinem samadhi (Meditation) und wandte sich mit den Worten an Shariputra: „Die Weisheit der Buddhas ist unendlich tief und unermeßlich. Der Zugang zu dieser Weisheit ist schwierig und schwer zu verstehen. Keiner der Menschen des Lernens oder der pratyekabuddhas (Buddhas des Lebenszustandes der Selbsterkenntnis) ist in der Lage, sie zu verstehen.“ Shakyamuni beginnt schließlich das Lotos-Sutra zu lehren. Zu Anfang des Hoben-Kapitels erhebt sich Shakyamuni aus dem Zustand seiner unermeßlichen Erleuchtung20 und wendet sich direkt an Shari- 27 DAS HOBEN-KAPITEL putra: „Die Weisheit der Buddhas ist unendlich tiefgründig und unermeßlich … (Keiner von euch) ist in der Lage, sie zu begreifen.“ Die Verkündung der Lehre beginnt daher mit einer Szene von beträchtlicher Spannung. Wenn wir die Worte „zu jener Zeit“ zu Beginn des Kapitels betrachten, sollten wir uns zunächst darüber klar werden, was hier mit „Zeit“ gemeint ist. Josei Toda erklärte dazu: „Zu jener Zeit“ bezieht sich auf den Begriff von Zeit, wie er im Buddhismus verwendet wird. Er unterscheidet sich vom normalen Zeitbegriff, mit dem man eine Uhrzeit, wie beispielsweise zwei oder drei Uhr oder eine Jahreszeit bestimmt. Dieses „zu jener Zeit“ kann man auch nicht mit dem „Es war einmal ...“ in Märchen vergleichen. Hier bezieht sich „zu jener Zeit“ vielmehr auf den Zeitpunkt, an dem ein Buddha erscheint, um seine Lehre zu verkünden, weil er die Sehnsucht der Menschen nach ihm wahrgenommen hat.“ Vier Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Buddha das Gesetz lehrt: Zeit, Entsprechung, Fähigkeit und Gesetz. Zeit im buddhistischen Sinne steht für die Zeit, zu der der Buddha erscheint, um das Gesetz entsprechend der Fähigkeit der Menschen, die die Lehre suchen, zu lehren. Gemeint ist der Zeitpunkt, wenn ein Buddha und die Menschen einander begegnen. Shakyamunis Schüler erwarteten eine große Lehre Das Einführungskapitel des Lotos-Sutras beschreibt, daß Shakyamuni in tiefer Meditation ist, und die gespannte Erwartung seiner Schüler, unter ihnen auch Shariputra und die anderen Menschen der Zwei Fahrzeuge, einen Höhepunkt erreicht. Sie müssen sich gefragt haben: „Was für eine Art Lehre wird der Welt-Verehrte offenbaren?“ „Nicht ein Wort soll mir entgehen.“ „Ich will mir seine Lehre tief einprägen.“ Sie zügelten ihre Leidenschaft, und warteten gespannt. All ihre Sinne waren auf ihren Meister gerichtet. So wurde die Zeit reif. Shakyamuni brach schließlich sein langes Schweigen und begann, das Lotos-Sutra zu lehren, die höchste Lehre, die allen Menschen ermöglicht, die Buddhaschaft zu verwirklichen. Das ist die Bedeutung von „zu jener Zeit“ zu Beginn des Hoben-Kapitels. Dieser Begriff bezeichnet den Zeitpunkt, wenn ein Buddha beginnt, die Menschen zur Erleuchtung zu führen, und wenn die Schüler nur den 28 DAS HOBEN-KAPITEL einen Wunsch haben, die Lehren des Buddhas zu suchen. Er steht für eine tiefe Übereinstimmung zwischen Schüler und Meister. Diese Darstellung im Lotos-Sutra schildert das Erscheinen von Meister und Schüler, die sich dem Glück der Menschheit widmen. Der Buddha ist jemand, der ganz genau „die Zeit versteht“. Der Buddha wartet auf den geeigneten Zeitpunkt, durchschaut die Zeit, schafft die Zeit und offenbart dann das zu der Zeit passende Gesetz. Das sind die Weisheit und das Mitgefühl des Buddhas. „Warum leiden die Menschen?“ „Wonach sehnen sich die Menschen“? „Mit welcher Lehre können die Menschen glücklich werden?“ „Wann soll sie gelehrt werden?“ Der Buddha denkt ständig über diese Dinge nach und offenbart das Gesetz frei in Übereinstimmung mit der Zeit. In diesem Sinne ist die Kenntnis der Zeit auch gleichbedeutend mit „das Herz der Menschen zu verstehen“. Der Buddha ist ein Anführer, der die Herzen der Menschen versteht. Der Buddha ist ein Lehrer der Seele und ein Experte in Menschenführung. Aus seiner Sicht ist „jene Zeit“ die Zeit, zu der der Buddha den harten Kampf aufnimmt, es allen Menschen zu ermöglichen, die Buddhaschaft zu verwirklichen. Für die Schüler ist es die Zeit, wenn sie sich die Absicht des Buddhas zu eigen machen und sich ihrer eigenen Aufgabe bewußt werden. Im Zusammenhang mit der Bedeutung der Zeit sagt Nichiren: „Wer die Lehren des Buddhismus studieren will, muß als erstes lernen, die Zeit zu verstehen.“ (dt. Gosho Bd. 1, S. 81). Damit weist er darauf hin, daß der Buddhismus entsprechend der Zeit gelehrt wird und daß die zu verkündende Lehre in Übereinstimmung mit der Zeit sein muß. Mit der Erklärung, daß diese Zeit des Späten Tages des Gesetzes die Zeit ist, in der das Gesetz von Nam-Myoho-Renge-Kyo zu verbreiten ist, beginnt Nichiren den Kampf für die Verbreitung des Mystischen Gesetzes, um alle Menschen des Späten Tages zu erretten. Eine kämpferische Haltung öffnet den Weg für eine große Zukunft Man kann auch sagen, daß „jene Zeit“ die Zeit beschreibt, in der die Schüler zusammen mit ihrem Meister anfangen, Kosen-rufu zu verwirklichen. 29 DAS HOBEN-KAPITEL Bezüglich unserer Ausübung möchte ich deshalb betonen, daß „jene Zeit“ nur dann entsteht, wenn wir zum Gohonzon beten und unsere Entschlossenheit und das Bewußtsein für die Aufgabe der weltweiten Verbreitung in die Tat umsetzen. Wir müssen uns entschließen, beten und handeln. Wenn wir das nicht tun, ändert sich unsere Umgebung nicht im geringsten, und auch in fünf oder zehn Jahren wird diese Zeit nicht kommen. Nur unsere klare Entschlossenheit für Kosen-rufu schafft diese „Zeit“. „Jene Zeit“ beginnt, wenn wir unser Leben in Bewegung setzen, wenn wir aus eigenem Willen und aus eigener Kraft anfangen. „Jene Zeit“ beginnt, wenn wir starken Glauben hervorbringen und unsere Aufgabe auf der Bühne von Kosen-rufu übernehmen. Goethe schreibt: „Der Augenblick allein entscheidet, bestimmt das Leben des Menschen, entscheidet über sein Schicksal.“ „Jene Zeit“ ist der Augenblick, in dem wir von ganzem Herzen entscheiden: „Jetzt fange ich an und kämpfe!“ Von dem Augenblick an ändert sich unser Schicksal, unser Leben öffnet sich. Eine neue Zeit fängt an. Das ist die Bedeutung des mystischen Prinzips der wahren Ursache (hon’in myo). Das ist das Prinzip von ichinen sanzen21. Der Augenblick, in dem wir uns entschließen, etwas zu verwirklichen, ohne von jemandem dazu aufgefordert zu werden, ist die „Zeit“, unsere Aufgabe zu erfüllen. 30