Unternehmensethik Grundlagen und praktische Umsetzung Bearbeitet von Prof. Dr. Elisabeth Göbel 2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2010 2010. Taschenbuch. 393 S. Paperback ISBN 978 3 8252 2797 5 Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. UTB 2797 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft · Stuttgart Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich Grundwissen der Ökonomik Betriebswirtschaftslehre Herausgegeben von F. X. Bea, Tübingen M. Schweitzer, Tübingen Elisabeth Göbel Unternehmensethik Grundlagen und praktische Umsetzung 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage Lucius & Lucius · Stuttgart Anschrift der Autorin: Prof. Dr. Elisabeth Göbel Hofberg 10 54296 Trier [email protected] Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. ddb.de abrufbar ISBN 978-3-8282-0515-4 (Lucius) ISBN 978-3-8252-2797-5 (UTB) © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH · Stuttgart · 2010 Gerokstraße 51 · D-70184 Stuttgart · www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: F. Pustet, Regensburg Printed in Germany UTB-Bestellnummer: ISBN 978-3-8252-2797-5 Vorwort der Herausgeber Für Studierende und Praktiker ist es erfahrungsgemäß eine große Hilfe, wenn ihnen das Wissen eines Faches in einer knappen, systematisch aufbereiteten und leicht fasslichen Form dargeboten wird. Gleichzeitig müssen sie die Gewissheit haben, dass die Inhalte dem gegenwärtigen Erkenntnisstand entsprechen. Diesem Ziel dienen die Uni-Taschenbücher (UTB), die wir in der Reihe „Grundwissen der Ökonomik: Betriebswirtschaftslehre“ herausgeben. Die Themen der Einzeltitel sind so gewählt, dass sie den gesamten Wissensbereich der modernen Betriebswirtschaftslehre abdecken. Als Autoren konnten Hochschullehrer gewonnen werden, die dank der Verschiedenheit von Alter, Herkunft und Wissenschaftsauffassung die Gewähr dafür bieten, dass der Charakter der Reihe von keiner bestimmten Schulrichtung geprägt, sondern ein getreues Abbild der Wissenschaftsvielfalt in der Betriebswirtschaftslehre geboten wird. Eine Besonderheit der Reihe besteht darin, dass Bände, bei denen es sich vom Gegenstand her anbietet, durch Arbeitsbücher ergänzt werden. Diese Studienhilfen dienen vor allem der Vertiefung theoretischer Erörterungen, der Einübung von Wissen und der Anwendung des Erlernten auf praktische Fälle. Mit diesem Konzept ist zugleich die Chance verbunden, die Tätigkeit von Dozenten didaktisch und methodisch zu unterstützen und sie von Arbeiten zu befreien, deren Erledigung zwangsläufig zu Lasten vordringlicher Aufgaben ginge. Der Leser sei abschließend auf zwei Titel der Reihe hingewiesen, die wir als Basis-Lehrangebote konzipiert haben: die dreibändige „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ und das neue „BWL-Lexikon“. Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, von einem Expertenteam verfasst, bildet die Klammer um die Einzeltitel der Reihe und bezweckt eine systematische und branchenunabhängige (allgemeine) Einführung in das Fach. Ergänzend ermöglicht das neue UTB-Lexikon mit über 2000 Stichwörtern für alle Titel der Reihe eine kurze und leicht fassliche Klärung von Einzelproblemen. Es kann als fallweise Suchhilfe oder begleitend im laufenden Lernprozess eingesetzt werden. Tübingen, April 2010 F. X. Bea M. Schweitzer Vorwort Es gibt wohl kaum ein Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre (BWL), welches so umstritten ist wie die Unternehmensethik. Schon seit Jahrzehnten wird über Sinn und Notwendigkeit einer Unternehmensethik diskutiert. Ja, wir brauchen eine Unternehmensethik, denn eine an den Kriterien praktischer Vernunft orientierte Ethik stellt ein wichtiges, den Wettbewerb ergänzendes Steuerungsinstrument für die Unternehmen dar, postulierten Horst Steinmann und Bernd Oppenrieder vor rund 20 Jahren in einem programmatischen Aufsatz in der Zeitschrift „Die Betriebswirtschaft“ (vgl. [Unternehmensethik]). Nein, Unternehmensethik zu betreiben, ist „anmaßend“ und „unfruchtbar“, lautet dagegen das Verdikt von Dieter Schneider (vgl. [Gewinnprinzip]). Die BWL könne getrost auf „Moralprediger“ verzichten, heisst es auch in einem aktuellen Beitrag (2005) von Horst Albach in der „Zeitschrift für Betriebswirtschaft“ (vgl. [Betriebswirtschaftslehre]). Interessanterweise argumentieren die Gegner einer Unternehmensethik teilweise völlig konträr. Nach dem Motto „Schuster bleib bei deinem Leisten“ fordert Schneider die Betriebswirte auf, sich auf ihr ureigenes Terrain, nämlich die „Wissenschaft von der Profiterzielung“ (875), zu beschränken. In der Tradition von Wilhelm Riegers „Privatwirtschaftslehre“ bejaht er ausdrücklich das Gewinninteresse der privatwirtschaftlichen Unternehmung und fordert von der Betriebswirtschaft, auf dieser Grundlage unternehmerisches Handeln zu erklären und zu prognostizieren. Solche rein betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse könnten dann auch in eine ethische Folgenabwägung einfließen, welche aber keinesfalls Aufgabe einer ethisch-normativen Betriebswirtschaftslehre sei. Während Schneider also Unternehmensethik ablehnt, weil er Ethik und BWL klarer trennen will, behauptet Albach die Identität von BWL und Unternehmensethik. Eine eigene Unternehmensethik ist nach seiner Argumentation deshalb nicht nötig, weil die BWL die Ethik immer schon enthielte und es einen Konflikt zwischen der ökonomischen, erwerbswirtschaftlichen Rationalität des Unternehmers und moralischem Verantwortungsbewusstsein einfach „gar nicht gibt ([Betriebswirtschaftslehre] 811). Die erwerbswirtschaftliche Rationalität des Unternehmers wird schlicht mit der praktischen Vernunft im Sinne Immanuel Kants gleichgesetzt, so dass alles, was sich für den Unternehmer rechnet, zugleich als umfassend vernünftig ethisch gerechtfertigt erscheint. Beide Argumentationen gegen die Unternehmensethik sind nicht stichhaltig. Dass mit dem Gewinnprinzip zugleich die umfassende Vernunft wirtschaftlicher Entscheidungen garantiert ist, wird ständig durch die Realität widerlegt. Schließlich gibt es die Probleme der Umweltverschmutzung, der Arbeitslosigkeit, des Hungers und der Armut, unmenschlicher bis lebensgefährlicher Ar- VIII · Vorwort beitsbedingungen, der Ausbeutung von Kindern, minderwertiger, gefährlicher und umstrittener Produkte, der Korruption, des Betruges, der Bilanzfälschung usw. auch in den Ländern, in denen gewinnorientierte private Unternehmen im Rahmen einer Wettbewerbsordnung produzieren. Es ist falsch und irreführend, diese Probleme zu verdrängen und so zu tun, als sei das Interesse des Unternehmers der „Dienst am Nächsten“ (vgl. Albach [Betriebswirtschaftslehre] 814). Dass der Unternehmer eine gesellschaftlich sinnvolle Funktion erfüllt, ist eine von ihm in der Regel nicht primär intendierte und auch ungewisse Nebenfunktion des Gewinnstrebens, wie schon Wilhelm Rieger sehr klar erkannt hat (vgl. [Privatwirtschaftslehre] 46f.). In dieser Hinsicht kann man Dieter Schneider nur zustimmen, wenn er die Betriebswirtschaftler ermahnt, nicht aus Gründen der Selbstdarstellung die Beschränkung der ökonomischen Rationalität auf den Einkommenserwerb zu verleugnen. Nicht folgen kann ich ihm allerdings darin, dass man sich deshalb als Betriebswirt ganz aus den ethischen Fragen herauszuhalten habe. Gerade wer anerkennt, dass mit der ökonomischen Rationalität noch nicht die umfassende praktische Vernunft wirtschaftlichen Handelns garantiert ist, darf (und sollte) sich doch dafür interessieren, wie man die absehbaren schlechten Folgen einer entfesselten und unbeschränkten ökonomischen Rationalität bändigen könnte. Gesetzliche Verbote alleine reichen dazu nicht aus. In der Logik ökonomischer Rationalität liegt es nämlich, sich auch gegenüber der Gesetzgebung als rationaler Nutzenmaximierer zu verhalten, also zu kalkulieren, ob sich eine Gesetzesübertretung „rechnet“ (was angesichts von zahlreichen Kontrolldefiziten sowie einer hoffnungslos überlasteten Justiz häufig der Fall sein wird). Hinzu kommt, dass in vielen Bereichen Gesetze fehlen und dass sie – soweit vorhanden - stets auslegungsbedürftig sind, insbesondere im internationalen Kontext. Moral wird so zum Desiderat einer menschendienlichen Wirtschaft. Es gehört zum „Grundwissen der Ökonomik“, dass man als Entscheidungsträger in der Wirtschaft nicht in einem moralfreien Raum agiert. Das Buch wendet sich deshalb zum einen an diejenigen, die bereits heute Verantwortung in der Unternehmenspraxis haben, zum anderen an die Studierenden der Betriebswirtschaftslehre, welche die Entscheidungsträger von morgen sein werden. Die philosophischen Grundlagen der Ethik werden vergleichsweise ausführlich behandelt. Auch wenn das für Betriebswirte ungewohnte und vielleicht auch harte Kost ist, halte ich es für unabdingbar, sich damit auseinanderzusetzen, wenn Unternehmensethik wirklich „Ethik“ sein will und nicht nur eine Art strategisches Reputationsmanagement im rein ökonomischen Sinne. Zugleich soll das Buch aber auch praxisrelevant sein und so konkret wie möglich aufzeigen, wie die Ethik in den Alltag des Unternehmens eingebracht werden kann. Vorwort · IX Herzlich danken möchte ich zum Schluss meinem Mann Prof. Dr. phil. Dr. theol. Wolfgang Göbel für zahlreiche anregende und klärende Gespräche. Mein Dank gilt weiterhin meinem geschätzten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Franz Xaver Bea, der sich gegenüber dem Thema Wirtschafts- und Unternehmensethik schon bei meiner Dissertation sehr aufgeschlossen gezeigt hat. Herrn Prof. Dr. von Lucius danke ich für die verlegerische Betreuung des Buches, dem Service Büro Sibylle Egger für die gute Zusammenarbeit bei der Gestaltung des Textes. Juni 2006 Elisabeth Göbel Vorwort zur 2. Auflage Das Thema Unternehmensethik „boomt“ in den letzten Jahren, wenn auch oft unter anderen Labeln wie „Corporate Social Responsibility“ (CSR), „Corporate Responsibility“ (CR) und „Corporate Citizenship“ (CC). Negativ ausgelegt kann der Boom damit begründet werden, dass die schädlichen Folgen wirtschaftlichen Handelns eher zu- als abgenommen haben. Man kann es aber auch positiv interpretieren als wachsende Einsicht der Wirtschaftspraktiker in die Notwendigkeit, sich auch um die nachteiligen Folgen ihres Entscheidens und Handelns für Gesellschaft und Umwelt zu kümmern. Es mangelt jedenfalls nicht an Bekenntnissen zur Notwendigkeit von mehr Verantwortungsübernahme, vor allem seitens großer Unternehmen und wirtschaftsnaher Institutionen. Auch die Verankerung wirtschaftsethischer Themen in der wirtschaftwissenschaftlichen Ausbildung macht Fortschritte. Das ist zu begrüßen. Die zweite Auflage habe ich genutzt, um die aktuellen Entwicklungen der letzten Jahre aufzugreifen. Dazu waren an manchen Stellen Änderungen und Erweiterungen nötig. So wird die ISO-Norm 26000 „Guidance on social responsibility“ vorgestellt, die Messung der „Corporate Social Performance“ als Information für den Kapitalmarkt wird thematisiert, das Prinzip Gerechtigkeit wird stärker betont und die Lohngerechtigkeit eigens diskutiert. Eine Liste mit Internetadressen zu einschlägigen Institutionen und Initiativen trägt der Entwicklung Rechnung, dass man sich heute immer häufiger online informiert. Einen zusätzlichen und besonderen Dank möchte ich Frau Sabine Hesselmann aussprechen, die den Text der Neuauflage mit viel Engagement lektoriert und noch leserfreundlicher gestaltet hat. Trier im März 2010 Elisabeth Göbel Inhaltsverzeichnis Einführung ............................................................................................ 1 I Grundlagen der Ethik.....................................................................6 1 Zentrale Begriffe ........................................................................6 1.1 Freiheit und Verpflichtung ........................................................... 6 1.2 Moral, Recht und Ethos................................................................ 8 1.2.1 Moral............................................................................................. 8 1.2.2 Recht ............................................................................................. 9 1.2.3 Ethos........................................................................................... 11 1.3 Ethik...............................................................................................14 1.3.1 Allgemeine Kennzeichnung .................................................... 14 1.3.2 Deskriptive Ethik...................................................................... 14 1.3.3 Normative Ethik ....................................................................... 15 1.3.4 Methodenlehre........................................................................... 15 1.3.5 Metaethik.................................................................................... 16 2 Unterschiedliche Typen ethischer Argumentation ................. 17 2.1 Bewertungsgrundlage: Gesinnung, Handlung, Folgen...........18 2.1.1 Gesinnungsethik........................................................................ 19 2.1.1.1 Allgemeine Kennzeichnung .............................................. 19 2.1.1.2 Probleme.............................................................................. 19 2.1.2 Pflichtenethik............................................................................. 21 2.1.2.1 Allgemeine Kennzeichnung .............................................. 21 2.1.2.2 Die Erkenntnis des Pflichtgemäßen auf der Grundlage von Imperativen ................................ 21 2.1.2.3 Die Pflichten im Einzelnen............................................... 22 2.1.2.4 Vorteile und Probleme einer Pflichtenethik................... 23 2.1.3 Folgenethik................................................................................. 25 2.1.3.1 Allgemeine Kennzeichnung .............................................. 25 2.1.3.2 Der Handlungsutilitarismus von Jeremy Bentham ......................................................... 26 2.1.3.3 Die Weiterentwicklung des Utilitarismus durch John Stuart Mill ...................................................... 27 2.1.3.4 Das Verhältnis von Pflichtenethik und Utilitarismus ................................................................ 28 2.1.4 Synopse....................................................................................... 30 XII · Inhaltsverzeichnis 2.2 Der Ort der Moral: Individuum, Institution, Öffentlichkeit ....................................32 2.2.1 Individualethik........................................................................... 32 2.2.2 Institutionenethik...................................................................... 33 2.2.3 Die Öffentlichkeit als Ort der Moral ..................................... 35 2.2.4 Synopse....................................................................................... 37 2.3 Ethische Entscheidungsmethoden: Monologische Ethik und Diskursethik.....................................39 2.3.1 Formale und materiale Ethik................................................... 39 2.3.2 Monologische Ethik ................................................................. 40 2.3.3 Diskursethik............................................................................... 42 2.3.3.1 Allgemeine Kennzeichnung .............................................. 42 2.3.3.2 Anwendungsbereiche der Diskursethik .......................... 43 2.3.3.3 Probleme und Vorzüge der Diskursethik ....................... 44 2.3.4 Synopse....................................................................................... 45 II Das Verhältnis von Ethik und Ökonomik....................................47 1 Kennzeichnung der Ökonomik ...............................................47 1.1 Begriff der Ökonomik.................................................................47 1.2 Das Modell menschlichen Verhaltens in der Ökonomik..........................................................................51 2 Die Auseinanderentwicklung von Ethik und Ökonomik .......53 2.1 Ethik und Ökonomik als miteinander verbundene Teile der praktischen Philosophie .............................................53 2.2 Von der materialen zur formalen Auslegung des ökonomischen Prinzips........................................................55 2.3 Unterschiede zwischen der aristotelischen und der modernen Auffassung von Ökonomik..............................57 2.4 Ethik und Ökonomik – zwei Welten? ......................................59 3 Das Verhältnis von Sittlichkeit und Selbstinteresse: Unvereinbar oder vereinbar?....................................................60 3.1 Was heißt Selbstinteresse? ..........................................................60 3.2 Nähere inhaltliche Bestimmung des Selbstinteresses .............60 3.3 Berücksichtigung der Interessen anderer .................................62 3.4 Gesinnung der Akteure ...............................................................63 3.5 Kanalisierung des Selbstinteresses durch Institutionen .........65 Inhaltsverzeichnis · XIII 4 Synopse ....................................................................................66 III Modelle der Beziehung von Ethik und Ökonomik......................68 1 Anwendung der Ethik auf die Wirtschaft (Modell 1) ..............68 1.1 Ethik als Ausgangsdisziplin ........................................................68 1.2 Kritik am Anwendungsmodell ...................................................68 1.3 Konkretisierung ethischer Grundsätze für unterschiedliche Lebensbereiche.........................................69 2 Anwendung der Ökonomik auf die Moral (Modell 2).............70 2.1 Ökonomik als universale Erklärungsgrammatik .....................70 2.2 Ort der Moral ist die marktwirtschaftliche Rahmenordnung...........................................................................71 2.2.1 Moralisches Handeln muss sich auszahlen ........................... 71 2.2.2 These: Die Marktwirtschaft transformiert Eigennutz in Gemeinwohl....................................................... 71 2.2.3 Ethische Probleme der Marktwirtschaft................................ 73 2.3 Individualmoral in der Moralökonomik ...................................74 2.3.1 Individualmoral der Politiker .................................................. 74 2.3.2 Individualmoral der Wirtschaftsakteure ................................ 75 2.3.3 Die Unverzichtbarkeit der Individualmoral im Modell der Moralökonomik............................................... 77 2.4 Primat der Ökonomik im Konfliktfall......................................78 2.5 Relevanz der Ökonomik für die Implementation ethischer Zielsetzungen .................................78 3 Integration von Ethik und Ökonomik (Modell 3)...................79 3.1 Das Konzept sozialökonomischer Rationalität .......................79 3.2 Problematik der Integrationsidee ..............................................80 4 Plädoyer für das Anwendungsmodell......................................82 IV Bereiche einer angewandten Wirtschaftsethik.............................85 1 Allgemeine Abgrenzung der Wirtschaftsethik ........................85 2 Die Mikroebene der Wirtschaftsethik: Die Wirtschaftsakteure ............................................................88 2.1 Konsumentenethik.......................................................................88 2.1.1 Ethische Forderungen an die Konsumenten........................ 88 XIV · Inhaltsverzeichnis 2.1.2 Grenzen der Konsumentenverantwortung........................... 90 2.2 Produzentenethik .........................................................................91 2.3 Investorenethik.............................................................................92 3 Die Makroebene der Wirtschaftsethik: Die Rahmenordnung ...............................................................94 3.1 Ethische Bewertung wirtschaftlicher Institutionen ................94 3.2 Vorteile und Probleme der Marktwirtschaft............................95 3.3 Zwingt der Markt zur Unmoral?................................................96 3.4 Staatliche Rahmenordnung.........................................................98 3.5 Überstaatliche Rahmenordnung ................................................99 4 Die Mesoebene der Wirtschaftsethik: Unternehmensethik ............................................................... 100 4.1 Das Unternehmen als moralischer Akteur? ...........................100 4.2 Bedingungen für die Moralfähigkeit von Unternehmen......101 4.3 Unternehmen sind moralfähig .................................................102 4.4 Die Mitverantwortung der Individuen in der Unternehmung ................................................................105 5 Zusammenwirken von Mikro-, Meso- und Makroebene der Wirtschaftsethik............................................................... 106 V Unternehmensethik als Management der Verantwortung......... 109 1 Verantwortung: Die ethische Grundkategorie der Unternehmensethik ......... 109 1.1 Subjekt der Verantwortung ......................................................109 1.2 Objekt der Verantwortung .......................................................110 1.3 Verantwortungsrelation.............................................................111 1.4 Instanz der Verantwortung.......................................................112 2 Verantwortung als Integrationsbegriff ...................................114 2.1 Integration von Gesinnungs-, Pflichten- und Folgenethik..................................................................................114 2.2 Integration von Individuen, Institutionen und Öffentlichkeit..............................................................................116 2.3 Integration von Diskursethik und monologischer Verantwortungsethik......................................118 Inhaltsverzeichnis · XV 3 Die praktische Umsetzung der Unternehmensverantwortung im Management .............................................119 3.1 Warum „Management“?............................................................119 3.2 Kritik an der Idee eines Managements der Verantwortung ...........................................120 3.3 Die Bausteine eines Managements der Verantwortung .......121 VI Die analytische Komponente der Unternehmensethik: Stakeholderanalyse ..................................................................... 125 1 Begriff des Stakeholders ........................................................ 126 1.1 Die Stakeholder als Adressaten der Unternehmensverantwortung ...........................................126 1.2 Unterschiedliche Definitionen des Stakeholders ..................126 1.3 Unterschiedliche Auffassungen von den Funktionen einer Stakeholderanalyse ...........................................................127 2 Ablauf der Stakeholderanalyse............................................... 129 2.1 Stakeholder wahrnehmen .........................................................130 2.1.1 Überblick über typische Stakeholder ...................................130 2.1.2 Die Öffentlichkeit als Stakeholder .......................................132 2.1.3 Die Medien als Stakeholder...................................................134 2.1.4 Die Führungskräfte und Mitarbeiter als Stakeholder ........134 2.1.5 Instrumente zur Unterstützung der Stakeholderwahrnehmung ..............................................135 2.1.5.1 Social Issue Analysis......................................................... 136 2.1.5.2 Produktlebenszyklusanalyse............................................ 137 2.1.5.3 Dialog mit den Stakeholdern .......................................... 139 2.1.6 Die unvermeidliche Selektivität der Stakeholderwahrnehmung ..................................................... 139 2.2 Stakeholder und ihre Anliegen analysieren und prognostizieren...................................................................140 2.2.1 Analyse der Stakeholderanliegen ..........................................140 2.2.2 Prognose der Stakeholderanliegen .......................................141 2.2.3 Datenquellen für die Analyse und Prognose der Stakeholderanliegen .........................................................142 2.3 Stakeholderansprüche bewerten ..............................................143 2.3.1 Ethische versus strategische Bewertung..............................143 XVI · Inhaltsverzeichnis 2.3.2 Bewertung der Legitimität der Stakeholderanliegen..........144 2.3.2.1 Die Legitimität des Anspruchs macht den normativ-relevanten Stakeholder............................ 144 2.3.2.2 Das Verständnis von Legitimität.................................... 145 2.3.2.3 Legalität und Legitimität.................................................. 145 3 Ethische Grundlagen für die Legitimitätsbewertung ........... 147 3.1 Die Menschenrechte als ethisches Prinzip für die Bewertung.......................................................................147 3.2 Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung.......150 3.3 Tierschutz als ethisches Prinzip für die Bewertung..............151 3.4 Gerechtigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung.........152 4 Die mögliche Kollision legitimer Stakeholderanliegen......... 153 4.1 Die Kollision von Interessen ...................................................153 4.2 Abwägung konfligierender Ansprüche ...................................154 4.2.1 Pflichten, Güter und Werte als Basis der Abwägung ........154 4.2.2 Vorzugsregeln für die Güter- und Übelabwägung.............156 4.2.3 Beispiele für eine Abwägung von legitimen Interessen .... 158 4.3 Die Rolle des Gewinns bei der Abwägung konfligierender Ansprüche .......................................................160 4.3.1 Die Rolle des Gewinns in der Marktwirtschaft..................160 4.3.2 Gewinnerzielung steht unter einem Legitimitätsvorbehalt..............................................................161 4.3.3 Gewinneinbußen können das kleinere Übel sein............... 162 5 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung ............ 163 VII Die strategische Komponente der Unternehmensethik............. 165 1 Das Ziel einer Entschärfung von Stakeholderkonflikten durch die Harmonisierung von Moral und ökonomischen Interessen...................................................... 165 2 Wettbewerbsstrategien .......................................................... 167 2.1 Arten von Strategien..................................................................167 2.1.1 Unternehmensstrategie...........................................................167 2.1.2 Geschäftsbereichsstrategie.....................................................168 2.1.3 Funktionsbereichsstrategie ....................................................169 2.2 Können Strategien „moralisch“ sein? .....................................169 Inhaltsverzeichnis · XVII 2.3 Verantwortungsbewusste Strategiewahl am Beispiel Umweltschutz........................................................171 2.3.1 Umweltschutz als Unternehmensziel...................................171 2.3.2 Umweltbewusste Unternehmensstrategien.........................171 2.3.3 Umweltbewusste Geschäftsbereichsstrategien...................172 2.3.4 Umweltbewusste Funktionsbereichsstrategien...................173 2.3.5 Integration von Moralität in die strategische Unternehmensführung ..........................175 2.4 Probleme der Harmonisierung von Moral und Gewinn durch Wettbewerbsstrategien...................................................176 2.4.1 Die unterschiedliche Fristigkeit von Kosten und Nutzen ........................................................176 2.4.2 Die unterschiedliche Bewertbarkeit von Kosten und Nutzen ........................................................ 177 2.4.3 Die Unsicherheit hinsichtlich der Reaktion der anderen Marktteilnehmer................................................ 178 3 Ordnungspolitische Strategien .............................................. 180 3.1 Die Notwendigkeit von Ordnungspolitik ..............................180 3.2 Staatliche Ordnungspolitik .......................................................181 3.3 Ordnungspolitische Strategien im Unternehmen .................182 3.3.1 Unterstützung staatlicher Ordnungspolitik.........................182 3.3.2 Ordnungspolitische Eigeninitiativen....................................183 4 Marktaustrittsstrategien......................................................... 185 VIII Die personale Komponente der Unternehmensethik ............... 188 1 Die Unverzichtbarkeit der personalen Komponente............. 189 2 Führungsethik.........................................................................191 2.1 Begriffsklärung ...........................................................................191 2.1.1 Begriff „Führung“...................................................................191 2.1.2 Begriff „Führungsethik“ ........................................................191 2.2 Personalführungsethik...............................................................193 2.2.1 Voraussetzungen für ein legitimes Führungsverhältnis .................................................................193 2.2.2 Die Begrenzung der Weisungsbefugnisse ...........................194 2.2.3 Die verantwortungsvolle Gestaltung der Führungsbeziehung..........................................................195 XVIII · Inhaltsverzeichnis 2.3 Unternehmensführungsethik....................................................197 2.3.1 Die Unternehmensführung betrifft alle Stakeholder.........197 2.3.2 Typische Unternehmensführungsentscheidungen.............197 2.3.3 Ethik in der Unternehmensführung.....................................198 2.3.4 Die besondere Verantwortung der Führungskräfte .......... 200 3 Mitarbeiterethik ..................................................................... 200 3.1 Die innerbetriebliche Verantwortung .....................................200 3.2 Die Verantwortung gegenüber den Stakeholdern.................202 3.3 Whistle Blowing .........................................................................204 3.3.1 Kennzeichnung des Whistle Blowing ..................................204 3.3.2 Bewertung des Whistle Blowing ...........................................204 3.3.3 Empfehlungen für das Whistle Blowing ............................. 205 4 Führungs- und Mitarbeiterethik als Tugendethik ................ 206 4.1 Kennzeichnung von Tugend und Tugenden.........................206 4.2 Grenzen der Tugendethik.........................................................208 IX Die innerbetrieblichen Institutionen...........................................211 1 Die Bedeutung strukturell-systemischer Führung................ 212 2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens ....................... 213 2.1 Formale Werte und Normen: Das Unternehmensleitbild ........................................................213 2.1.1 Das Unternehmensleitbild als Teil der Zielhierarchie.......213 2.1.2 Das Bekenntnis zur Verantwortung in Vision und Leitbild..............................................................................215 2.1.3 Einige typische Leitbildaussagen ..........................................216 2.1.4 Empfehlungen für das Leitbild.............................................218 2.1.5 Die Präzisierung der Grundsätze in Zielen und Richtlinien ........................................................................218 2.1.6 Der Prozess der Leitbilderstellung .......................................220 2.2 Informale Werte und Normen: Die Unternehmenskultur ..........................................................221 2.2.1 Kennzeichnung der Unternehmenskultur...........................221 2.2.2 Beziehung zwischen Unternehmenskultur und Unternehmensethik ........................................................223 2.2.3 Ansatzpunkte für ein „Kulturmanagement“.......................225 Inhaltsverzeichnis · XIX 3 Die institutiolle Unterstützung des Wollens ......................... 229 3.1 Personalauswahl .........................................................................229 3.1.1 Das Personalauswahlverfahren .............................................229 3.1.2 Personalauswahl und Unternehmensethik ..........................230 3.1.3 Ansatzpunkte für die Auswahl sittlich orientierter Unternehmensmitglieder...................... 232 3.2 Personalbeurteilung und -honorierung...................................236 3.2.1 Motivation durch Anreize......................................................236 3.2.2 Der Zusammenhang mit der Unternehmensethik.............237 3.2.2.1 Prinzipien einer gerechten Personalbeurteilung und -honorierung ......................... 237 3.2.2.2 Beispiele für Lohnungerechtigkeiten............................. 240 3.2.2.3 Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein..................... 242 3.3 Kontrollsysteme .........................................................................244 3.3.1 Anreizwirkungen der Kontrolle............................................244 3.3.2 Die Bedeutung der Kontrolle in Compliance- und Integritätsprogrammen ......................246 4 Die institutiolle Unterstützung des Könnens ........................ 249 4.1 Personalentwicklung..................................................................249 4.1.1 Funktion der Personalentwicklung....................................... 249 4.1.2 Anlässe für die Personalentwicklung ...................................251 4.1.3 Inhalte der Personalentwicklung ..........................................251 4.1.4 Methoden und Träger der Personalentwicklung................251 4.1.5 Personalentwicklung als Teil verantwortlichen Personalmanagements ............................. 253 4.1.6 Personalentwicklung zur Unterstützung der Unternehmensethik..........................................................255 4.1.6.1 Entwicklungsziel: Moralische Kompetenz ................... 255 4.1.6.2 Verbesserung der moralischen Sensibilität ................... 256 4.1.6.3 Verbesserung der moralischen Urteilskraft und Motivation ............................................ 257 4.1.6.4 Verbesserung der Verständigungskompetenz.............. 260 4.1.6.5 Adressaten der Entwicklung........................................... 261 4.1.6.6 Entwicklungsmethoden................................................... 262 4.2 Organisationsstruktur................................................................266 4.2.1 Zusammenhang zwischen Organisationsstruktur und Unternehmensethik.................266 4.2.2 Abbau von organisationalen Verantwortungsbarrieren ....................................................... 267 XX · Inhaltsverzeichnis 4.2.3 Aufbau von organisationalen Unterstützungspotenzialen ....................................................270 4.2.3.1 Stellen ................................................................................. 270 4.2.3.2 Gremien ............................................................................. 273 4.2.3.3 Situative Faktoren............................................................. 275 4.2.3.4 Vor- und Nachteile spezieller Stellen und Gremien für die Unternehmensethik .................... 275 4.3 Informationssysteme .................................................................277 4.3.1 Die Einordnung der Informationsaufgabe in das Controlling....................................................................277 4.3.2 Die Beziehung von Controlling und Unternehmensethik ........................................................278 4.3.2.1 Barrierewirkung des herkömmlichen Controlling ....... 280 4.3.2.2 Unterstützung der Unternehmensethik durch Informationsbereitstellung................................... 280 4.3.3 Beispiel: Öko-Controlling......................................................281 4.3.4 Corporate Social Performance als Information für den Kapitalmarkt ..............................................................283 X Die überbetrieblichen Institutionen........................................... 286 1 Die institutionelle Unterstützung des Sollens ....................... 287 1.1 Gesetze und Verordnungen .....................................................287 1.1.1 Schutzrechte für Anspruchsgruppen ...................................287 1.1.2 Ergänzungsbedürftigkeit der Gesetzgebung.......................289 1.2 Kodizes und Konventionen .....................................................291 1.2.1 Funktionen, Verbindlichkeit und Geltungsbereiche .........291 1.2.2 Regelsysteme in Bezug auf Branchen ..................................292 1.2.3 Regelsysteme in Bezug auf Produkte ...................................292 1.2.4 Berufs- und Standesregeln.....................................................295 1.2.5 Themenspezifische Regelwerke ............................................297 1.2.6 Verhaltenskodizes für Organisationen ................................301 1.3 Globale Regelsysteme und das Problem interkultureller Konflikte ..........................................................306 1.3.1 Vereinheitlichung der Normen als Ziel ...............................306 1.3.2 Gibt es universal gültige Werte und Normen?...................307 1.3.3 Plädoyer für die Anerkennung weltweit gültiger Normen und Werte ..................................310 Inhaltsverzeichnis · XXI 2 Die institutionelle Unterstützung des Wollens ......................311 2.1 Kontrollen ...................................................................................311 2.1.1 Staatliche Kontrollen ..............................................................312 2.1.2 Kontrollen durch die Öffentlichkeit ....................................312 2.1.3 Kontrollen durch wirtschaftsnahe Organisationen ........... 313 2.1.4 Kontrollen durch gemeinnützige Organisationen ............. 314 2.1.5 Kommerzielle Kontrollanbieter............................................315 2.2 Anreize.........................................................................................316 2.2.1 Bestrafung von Fehlverhalten ...............................................317 2.2.2 Kompensation von Zusatzkosten ........................................318 2.2.3 Beseitigung von Fehlanreizen ...............................................318 2.2.4 Generierung von Zusatznutzen ............................................319 3 Die institutionelle Unterstützung des Könnens .................... 320 3.1 Wirtschaftsethik in der schulischen und universitäten Ausbildung ..................................................................................320 3.2 Verbraucheraufklärung und -bildung......................................324 3.2.1 Das Idealbild vom souveränen Verbraucher ...................... 324 3.2.2 Mitverantwortung der Verbraucher .....................................325 3.2.3 Hilfestellungen für den verantwortungsbewussten Verbraucher ..............................326 Schlusswort........................................................................................ 329 Literaturverzeichnis .......................................................................... 331 Sachregister ....................................................................................... 351 Namensregister ................................................................................. 359 Verzeichnis von Internetadressen..................................................... 365 Einführung Selten haben die Unternehmen so stark in der öffentlichen Kritik gestanden, wie in den letzten Jahren. Einige Beispiele: • • • • • • • In Zusammenhang mit der jüngsten Finanzkrise wird den Banken vorgeworfen, durch vorsätzliche Falschberatung arglose Anleger um ihre Ersparnisse gebracht zu haben und unverantwortliche Risiken eingegangen zu sein. In der Folge werden für die Realwirtschaft zahlreiche Insolvenzen und ein starker Arbeitsplatzabbau erwartet. Massiv in der Kritik standen die exorbitanten Bonuszahlungen an Manager. Insbesondere führte es zu Empörung, dass solche Boni auch bei eklatantem Misserfolg des Unternehmens gezahlt wurden, während gleichzeitig staatliche Unterstützung aus Steuermitteln gewährt wurde. Seit es keine vorgeschriebenen Verpackungsgrößen mehr gibt (seit 2009), werden von der Industrie gerne kleinere Mengen als bisher angeboten, allerdings zum alten Preis. Die Verbraucherberatungen sprechen von „Mogelpackungen“, weil dem Verbraucher die versteckte Preiserhöhung von bis zu 100% nicht ohne weiteres auffällt. Nach einer Greenpeace-Studie von 2010 sind Salate im Sortiment von Supermärkten und Discountern sehr häufig mit Rückständen von Pestiziden belastet. Um die Überschreitung der Höchstmengen bei einem Stoff zu vermeiden, werden offenbar „Cocktails“ aus bis zu 15 verschiedenen Pestiziden verwendet. Die Drogeriemarktkette Schlecker kündigte zahlreichen Mitarbeitern betriebsbedingt, um sie über eine dem Unternehmen verbundene Personalservice-Agentur anschließend wieder zu beschäftigen. Allerdings zu deutlich schlechteren Konditionen, insbesondere zu viel niedrigeren Löhnen. „Armut trotz Arbeit“ wird in Deutschland zu einem Thema, seit immer mehr Arbeitnehmer trotz einer Erwerbstätigkeit noch Sozialleistungen vom Staat brauchen, um einigermaßen erträglich leben zu können. Die Zahl der „Aufstocker“, die einen Niedriglohn unter Hartz IV-Niveau bekommen, wächst. Den Unternehmen wird vorgeworfen, auf diese Weise Lohnkosten auf den Staat überzuwälzen. Die Gewerkschaften beklagen eine zunehmende Flucht der Unternehmen aus den Tarifverträgen und wachsenden Widerstand gegen die Gründung von Betriebsräten. Mit Branchentarifvertrag und Betriebsrat arbeiten im Westen nur noch 30% der Beschäftigten im privatwirtschaftlichen Bereich, im Osten sogar nur noch 18%. „Betriebsratsverseucht“ wurde 2009 zum Unwort des Jahres gekürt, weil es den zunehmend rauen Umgang mit Lohnabhängigen symbolisiert. Die Liste ließe sich mühelos noch um einige Punkte erweitern. Gemeinsam ist den Beispielen, dass die beschriebenen Handlungsweisen kaum justiziabel sind: Manager, die trotz massiven Missmanagements noch einen hohen Bonus verlangen, pochen auf gültige Verträge. Schlecker hat weder gegen das Kündigungsschutzgesetz noch gegen sonstiges Arbeitsrecht verstoßen. Solange man bei den Pestiziden für jeden einzelnen Stoff unter den gesetzlich zulässigen Höchstmengen bleibt, ist der Giftcocktail auf dem Salat nicht verboten. Auf den „Mogelpackungen“ ist der Inhalt korrekt angegeben; die Arbeitnehmer 2 · Einführung arbeiten freiwillig zu Niedrigstlöhnen und verzichten auf einen Betriebsrat; die Geldanleger haben den Banken in den meisten Fällen durch ihre Unterschrift bestätigt, dass sie über die Risiken der Anlage aufgeklärt wurden. Und dennoch empfinden die meisten Menschen das Verhalten der Unternehmen als falsch und, wie es der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ ausdrückte, als „zutiefst unmoralisch“ (2. August 2009). Wie der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium 2009 in einem Gutachten feststellte, gibt es mittlerweile eine breite Marktverdrossenheit in der Bevölkerung. Nur noch 13% hielten 2008 die wirtschaftlichen Verhältnisse für gerecht und nur noch 31% haben eine gute Meinung von der Marktwirtschaft als System. Den Beinamen „sozial“ verdient sie nach Ansicht der meisten nicht mehr. Es steht nicht weniger als die Akzeptanz unseres Wirtschaftssystems auf dem Spiel. In seltener Einmütigkeit fordern daher Bundespräsident und Kanzlerin, Politiker aller Couleur, die Gewerkschaften, Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche, Sozialverbände und selbst Repräsentanten der Industrie: Die Wirtschaft braucht mehr Moral! Die Handlungen von Wirtschaftsakteuren, insbesondere der Entscheidungsträger in den Unternehmen, haben eben nicht nur eine ökonomische Dimension. Da wirtschaftliche Entscheidungen die legitimen Interessen anderer betreffen, darf und muss immer auch gefragt werden, ob sie umfassend vernünftig und moralisch richtig sind. Die Forderung nach mehr Moral in der Wirtschaft wirft aber auch eine ganze Reihe von Fragen auf. Was empfinden wir eigentlich als unmoralisch an den Marktergebnissen? Wer von den Wirtschaftsakteuren trägt die Hauptverantwortung für die unerwünschten Folgen wirtschaftlichen Handelns? Sind in einer Marktwirtschaft nicht letztlich die Käufer verantwortlich, wenn sie bspw. im Winter Salat haben wollen und das noch möglichst billig? Wenn sie versäumen, Menge und Preis eines Produktes in Relation zu setzen? Wenn sie als Anleger unrealistisch hohe Renditen erwarten und das „Kleingedruckte“ nicht lesen? Oder müssen sich die Politiker den Schwarzen Peter zuschieben lassen, weil sie über die Gesetzgebung das Wirtschaftshandeln wesentlich steuern? Oder sind vielleicht die Wettbewerber schuld, die mit niedrigen Preisen die Konkurrenten quasi zwingen, ihre Lohnkosten ebenfalls immer weiter zu senken? Und wenn man den Unternehmen eine wesentliche Verantwortung für die Marktergebnisse zuordnet, sind es dann die Führungskräfte als Einzelpersonen, die falsch oder richtig gehandelt haben, oder kann das Unternehmen als Institution verantwortlich sein? Kann die Marktwirtschaft überhaupt mit Moral vereinbar sein, wo sie doch systematisch auf das Selbstinteresse der Menschen setzt? Einführung · 3 Die folgenden Ausführungen wollen versuchen, auf einen Teil dieser Fragen Antworten zu geben. Dieses Buch besteht aus zehn Kapiteln: (1) Zunächst wird in den Grundlagen der Ethik (Kapitel I) eine integrative Perspektive der Ethik erarbeitet, die aufzeigen soll, dass es erstens bei der moralischen Bewertung von Entscheidungen und Handlungen gleichermaßen auf die Motive der Akteure, ihre konkreten Handlungen und deren Folgen ankommt, dass zweitens eine Beziehung wechselseitiger Beeinflussung zwischen den Individuen und den sie umgebenden Institutionen besteht und dass drittens die monologische Verantwortungsethik und der Diskurs mit den Betroffenen sich gegenseitig ergänzen. (2) Im zweiten Kapitel wird dann die Ethik mit der Ökonomik konfrontiert. Fundamentale Unterschiede in der Denkweise der beiden Disziplinen haben zu der weit verbreiteten Ansicht geführt, Wirtschafts- und Unternehmensethik sei so etwas wie ein „hölzernes Eisen“, also ein Widerspruch in sich. (3) Wie die beiden Disziplinen dennoch sinnvoll in Beziehung gebracht werden können, wird im dritten Kapitel vorgeführt. Erstens kann die Ethik als Ausgangsdisziplin verstanden und auf die Wirtschaftspraxis bezogen werden. Zweitens ist eine Moralökonomik denkbar, bei welcher die Disziplin „Ökonomik“ auf die moralische Praxis angewendet wird. Schließlich kann man anstreben, die beiden Disziplinen ineinander zu überführen und ihre faktische Auseinanderentwicklung rückgängig zu machen. Im weiteren Verlauf der Argumentation wird das erste Modell einer angewandten Wirtschaftsethik weiterverfolgt. Das Spannungsfeld zwischen den Disziplinen Ethik und Ökonomik wird grundsätzlich akzeptiert, zugleich werden aber auch Schnittmengen zwischen Moralität und Wirtschaftlichkeit eine große Rolle spielen. (4) Die Anwendung von ethischen Kategorien auf die Wirtschaft findet auf verschiedenen Handlungsebenen statt (Kapitel IV). Selbstverständlich erscheint zunächst die Einforderung von Moralität bei den einzelnen Wirtschaftsakteuren, z.B. von Konsumenten, Managern, Mitarbeitern, Investoren. Da Rollenmodelle und Handlungsweisen der Wirtschaftsakteure maßgeblich durch die wirtschaftliche Rahmenordnung geprägt werden, ist eine moralische Verantwortung zugleich den Gestaltern dieser Rahmenordnung zuzuordnen. Doch können auch Institutionen selbst Verantwortung haben? Können insbesondere Unternehmen als moralische Akteure verstanden werden? 4 · Einführung (5) Diese Frage wird positiv beantwortet und eine Verantwortung der Unternehmen eingefordert (Kapitel V). Die ethische Kategorie der Verantwortung harmoniert mit der in Kapitel I entwickelten integrativen Perspektive der Ethik und erfasst das Anliegen der Unternehmensethik besonders gut. Die Unternehmung bzw. die in ihr arbeitenden Personen sollen auf die Folgen ihrer wirtschaftlichen Entscheidungen achten und diese gegenüber den Betroffenen verantworten. Sehr häufig wird dieses Anliegen auch mit den Begriffen Corporate Social Responsibility (CSR) oder Corporate Responsibility (CR) zum Ausdruck gebracht. (6) Die Idee der Verantwortung wird aber nur dann Eingang in die Unternehmenspraxis finden, wenn sie systematisch in den Planungs- und Entscheidungsprozessen, den Strategien und Institutionen berücksichtigt wird. Es muss ein Management der Verantwortung stattfinden. In den Kapiteln VI bis IX werden die Bausteine eines solchen ethischen Managements vorgestellt, wobei die individuelle und die institutionelle Seite der Ethik verknüpft werden. Kapitel VI befasst sich mit der analytischen Komponente der Unternehmensethik: Der Stakeholderanalyse. Hier werden alle, die gegenüber dem Unternehmen legitime Ansprüche haben, mit Hilfe eines systematischen Prozesses wahrgenommen, ihre Anliegen werden analysiert und zukünftige Anliegen prognostiziert. Die Ansprüche werden als Grundlage für ein Stakeholdermanagement aus Verantwortung bewertet. (7) In Kapitel VII steht dann die strategische Komponente der Unternehmensethik im Mittelpunkt der Betrachtung: Wie können Stakeholderkonflikte durch die Harmonisierung von Moral und ökonomischen Interessen entschärft werden? (8) Kapitel VIII ist der personalen Komponente der Unternehmensethik gewidmet: Was bedeutet ein Management der Verantwortung für die Führungskräfte und die Mitarbeiter? (9) Kapitel IX befasst sich mit der Frage, wie die innerbetrieblichen Institutionen gestaltet werden sollten, damit sie ein Management der Verantwortung unterstützen. (10) Schließlich sind auch die Einflüsse zu berücksichtigen, welche von den überbetrieblichen Institutionen auf das einzelne Unternehmen ausgehen (Kapitel X). Denn das Unternehmen bildet nicht nur das institutionelle Umfeld für die Entscheidungen der Unternehmensmitglieder, es ist zugleich selbst in ein Umfeld eingebettet und dessen Einflüssen ausgesetzt. Nachhaltigen Erfolg bei der Umsetzung der Idee der Ver- Einführung · 5 antwortung verspricht nur das Zusammenwirken der drei Ebenen der Wirtschaftsethik: Die Individualethik der Wirtschaftsakteure muss zusammentreffen mit unterstützenden institutionellen Rahmenbedingungen auf der Ebene des Unternehmens und der (globalen) Rahmenordnung. Die folgende Abbildung verdeutlicht den Aufbau des Buches: Überbetriebliche Institutionen Innerbetriebliche Institutionen Analyse/ Methoden Personal Strategie Unternehmensethik als Management der Verantwortung Angewandte Wirtschaftsethik Ethik und Ökonomie Das Verhältnis von Ethik und Ökonomie Modelle der Beziehung von Ethik und Ökonomie Grundlagen der Ethik I Grundlagen der Ethik 1 Zentrale Begriffe 2 Unterschiedliche Typen ethischer Argumentation 1 Zentrale Begriffe Dieses Kapitel dient der Klärung der wichtigsten Begriffe, die in der Ethik eine Rolle spielen: • • • Freiheit und Verpflichtung Moral, Recht und Ethos Verschiedene Bereiche der Ethik: Deskriptive Ethik, Normative Ethik, Methodenlehre und Metaethik 1.1 Freiheit und Verpflichtung „Wie soll ich handeln?“ lautet die Grundfrage der Ethik (vgl. Quante [Einführung] 11). In dieser Frage kommt zweierlei zum Ausdruck, nämlich Freiheit und Verpflichtung. Erstens haben die Menschen die Freiheit, eine Entscheidung zu treffen. Sie können wirklich handeln im Sinne eines bewussten und gewollten Tätigwerdens und sind nicht durch Instinkte auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt. Sie haben Handlungsalternativen und sind in der Lage, vernünftig dazwischen zu wählen. Ohne Freiheit sind moralische Überlegungen müßig, denn der Begriff der Moral oder Sittlichkeit gehört zur Tätigkeit „vernünftiger und mit einem Willen begabter, freier Wesen“ (Kant [Grundlegung] BA100). Zweitens bringt der deontische Begriff des „Sollens“ die Wahrnehmung einer Einschränkung dieser Freiheit durch eine Verpflichtung zum Ausdruck (griech. to déon: die Pflicht). Gerade aus der Freiheit des Menschen und der daraus erwachsenden Unsicherheit ergibt sich die Notwendigkeit zur Reglementierung des Handelns, zur Etablierung einer Ordnung. Ordnung meint zum einen, dass das Handeln des jeweils anderen für uns mit einiger Sicherheit erwartbar und vorhersehbar sein muss. Ohne diese Konstanz und Verlässlichkeit im Handeln, die Korrespondenz der Erwartungen, könnte kein Glied der Gesellschaft seine Ziele wirksam verfolgen. Zum anderen wird über die reine Verhaltenssicherheit hinaus ein bestimmtes Handeln erwartet, Zentrale Begriffe · 7 damit im Ergebnis eine „gute“, „wohltätige“ und „vernünftige“ Ordnung entsteht (vgl. Hayek [Regeln] 19). Das moralische Sollen bezieht sich somit nicht nur darauf, was getan werden sollte, sondern auch auf Situationen oder Zustände, die der Fall sein sollten (vgl. Broad [Types] 141f.). Der „Naturzustand“ eines Krieges aller gegen alle ist bspw. schlecht, weil die Existenz des Einzelnen in einem solchen Zustand von ständiger Furcht bestimmt, „armselig, widerwärtig, vertiert und kurz“ ist (Hobbes [Leviathan] 105). Er sollte nicht sein. Umgekehrt impliziert dieses Urteil, dass Frieden, Freiheit, Sicherheit, Wohlstand, ein „humanes“ und langes Leben erwünschte, gute Zustände sind, die sein sollen. Solche „Strebensziele“ werden auch als Werte oder „Güter“ bezeichnet (vgl. Forschner [Güter] 120). Das ethische Sollen trifft den Menschen aber noch in einer dritten Form, nämlich als Verpflichtung zu einer bestimmten inneren Grundhaltung. Der Mensch soll nicht nur gut handeln und gute Zustände anstreben, sondern gut (edel, wertvoll, sittlich tüchtig) sein (vgl. Aristoteles [NE] 1099b, 1103b). In allgemeinster Form betrifft dieses Sollen die innere Verpflichtung, überhaupt moralisch handeln zu wollen (Moralität, Ethos). Ohne diese innere Verpflichtung würden die Menschen gar nicht erst den Anspruch ihres Gewissens spüren, ihre Handlung moralisch zu prüfen. Das Sollen kann darüber hinaus in Form bestimmter erwünschter „Tugenden“ präzisiert sein (wie Besonnenheit, Großzügigkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit; vgl. Aristoteles [NE] 1107b-1108b). Aus dem, was der Fall sein soll (erwünschte Zustände, Strebensziele, Werte oder Güter), lassen sich Rückschlüsse ziehen auf das, was die Menschen tun sollten (erwünschte Handlungen, Normen oder Pflichten) und wie sie sein sollten (erwünschte Haltung, Gesinnung oder Tugenden). Und aus der Vorstellung, dass die Menschen eine bestimmte innere Haltung haben und in einer bestimmten Art und Weise handeln, lassen sich Rückschlüsse ziehen auf den daraus erwachsenden Zustand. Insofern stehen die hier unterschiedenen Bedeutungen des Sollens eng miteinander in Verbindung. (vgl. Abb. I/1). Verschiedene Typen ethischen Argumentierens betonen aber oft einseitig die eine oder die andere Form des Sollens. Auf die innere Haltung stellt die Gesinnungs- oder Tugendethik ab, die Handlungen stehen im Mittelpunkt der Pflichtenethik und die Güter- oder Folgenethik verweist besonders auf die erstrebenswerten Zustände. Die unterschiedlichen Typen werden später genauer erläutert. Die freiheitsbeschränkende Verpflichtung gibt sich der Mensch selbst. Gerade „weil wir uns die Freiheit des Willens beigelegt haben“ müssen wir uns selbst Gesetze geben, heißt es bei Kant in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der 8 · Grundlagen der Ethik Sitten“ (BA105). Der Mensch ist zugleich „gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen“ (ebenda BA75). Freiheit bedeutet also nicht Willkür, sondern Autonomie als die Freiheit, selbst an einer guten Ordnung mitzuwirken und diese freiwillig zu befolgen. Was soll sein? Werte/Güter Wie soll ich handeln? Normen/Pflichten Wie soll ich sein? Gesinnung/Tugenden Abb. I/1: Formen des Sollens 1.2 Moral, Recht und Ethos 1.2.1 Moral Was zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft im Allgemeinen als Handlung, Zustand oder Haltung für gut und wünschenswert bzw. für böse und verboten gehalten wird, bezeichnet man zusammenfassend als die jeweils herrschende Moral. Die Moral stellt den „für die Daseinsweise der Menschen konstitutiven … normativen Grundrahmen für das Verhalten vor allem zu den Mitmenschen, aber auch zur Natur und zu sich selbst dar“ (Höffe [Moral] 204). Erkennbar wird die Moral vor allem in den Handlungsnormen (Regeln, Vorschriften, leitenden Grundsätzen). Normative Vorstellungen zeigen sich aber auch in Wertmaßstäben, Sinnvorstellungen, Vorbildern sowie der Verfasstheit öffentlicher Institutionen. Die Moral wird gegen die Etikette (Tischsitten, Anredeformen usw.) und das Brauchtum (bspw. Feiertagsbräuche) abgesetzt. Im Vergleich zu Etikette und Brauchtum geht es bei der Moral um wichtigere, grundsätzlichere Aspekte des Verhaltens, die mit einem größeren Maß an Verbindlichkeit geregelt werden müssen und deren Vorschriften deshalb auch einer stärkeren Begründung bedürfen. Die Grenzen sind allerdings nicht immer Zentrale Begriffe · 9 eindeutig, denn wie sehr eine Gesellschaft darauf vertraut, dass die überkommenen Bräuche und Sitten gültig, wichtig und verbindlich sind, ist wiederum eine Frage der herrschenden Moral. In einer modernen Gesellschaft, in der Toleranz und Kritikfähigkeit hoch geschätzt werden, gelten immer mehr Verhaltensnormen als relativ unverbindliche Konventionen, Sitten und Bräuche. Als geschichtlich gewordene konkrete Lebensform ist die Moral immer nur mehr oder weniger angemessen und muss offen bleiben für Kritik und Wandel. 1.2.2 Recht In modernen Gesellschaften wird ein großer Teil der Handlungsnormen zu Gesetzen formalisiert und damit zum geltenden Recht. Das Recht stellt als öffentliches Regelsystem eine zentrale Institution dar. Das Recht kann verstanden werden als ein System von positiven, an Menschen adressierten Zwangsnormen, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen. Den Kern der Rechtsordnung bilden die Gesetze. Unter Gesetzen verstehen wir • • • • • • • verbindliche Muss-Normen, die von dazu legitimierten staatlichen Autoritäten (dem Gesetzgeber) in verbindlich vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahren schriftlich erlassen und öffentlich bekannt gemacht werden, die zu einem bestimmten Termin in Kraft treten oder außer Kraft gesetzt werden, deren Einhaltung systematisch von dazu befugten Stellen kontrolliert und deren Nichteinhaltung grundsätzlich bestraft wird. Viele Gesetze bringen Moral zum Ausdruck, indem sie Handlungen formal als geboten oder verboten kennzeichnen, die gleichzeitig auch als sittlich gut bzw. sittlich schlecht angesehen werden. In den Bereichen, die für das Miteinander der Menschen, für ihr Verhältnis zu sich und zur Natur als sehr wichtig gelten, wird das Handeln besonders genau, planvoll und verbindlich vorgeschrieben. Dass Gesetze Ausdruck der Moral sein können, zeigt sich zunächst in der großen Übereinstimmung zwischen philosophisch oder religiös begründeten moralischen Normen und den Gesetzen. 10 · Grundlagen der Ethik Dafür einige Beispiele: Die zentrale moralische Norm der Achtung vor der Würde der Person ist bei uns in Artikel 1 des Grundgesetzes gesetzlich verankert worden. Die biblischen Verbote des Betruges, des Diebstahls und des Mordes finden ihren Niederschlag in umfangreichen Strafgesetzen. Die moralische Idee der Gerechtigkeit steht hinter dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht. Weiterhin kann der moralische Gehalt vieler Gesetze auch daran abgelesen werden, dass immer öfter Ethikkommissionen explizit in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden (etwa beim Embryonenschutzgesetz, Organspendegesetz, Gentechnikgesetz). Das heißt nicht, dass nur solche heftig diskutierten Gesetze einen moralischen Inhalt haben. Man ist in manchen Fällen nur besonders unsicher, was man als sittlich gut und wünschenswert gesetzlich vorschreiben bzw. als sittlich schlecht und unerwünscht gesetzlich verbieten soll. Schließlich nimmt auch das Recht immer wieder ethische Kategorien in Anspruch und verweist bspw. in §138 BGB auf die „guten Sitten“ und in §157 BGB auf „Treu und Glauben“. Ein extrem niedriger Lohn zum Beispiel gilt juristisch als verboten, weil „sittenwidrig“. Moral und Recht sind aber nicht deckungsgleich. Vielmehr handelt es sich um zwei Sphären, die sich teilweise überschneiden, die teilweise aber auch nur moralischen bzw. nur rechtlichen Charakter haben (vgl. Kaufmann [Recht]). Einige Gesetze bringen keine sittlichen Wertungen zum Ausdruck, sondern stellen lediglich praktische Übereinkünfte dar, um Verhalten erwartbar zu machen (z.B. das Rechtsfahrgebot oder die Vorfahrtsregeln im Straßenverkehrsrecht). Die Erfahrung lehrt außerdem, dass Gesetze unsittlich sein können. Man denke etwa an die Gesetze zur Enteignung der Juden im Dritten Reich. Weiterhin gehören zur Moral auch noch die zahlreichen informalen Normen, die sich in mehrfacher Hinsicht von Gesetzen unterscheiden können. Sie sind • • • • • • weniger verbindliche Soll- und Kann-Normen (bspw. Gebote der Nachbarschaftshilfe oder der Unterstützung der Armen), entstehen „von selbst“ als gewachsene Lebensform oder werden von nicht-staatlichen Autoritäten (bspw. Kirchen) vorgeschrieben, liegen oft nicht explizit ausformuliert vor, treten nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft und werden anders kontrolliert und sanktioniert. Die Kontrolle erfolgt nicht durch staatliche Stellen, sondern in Form sozialer Kontrolle durch die Mitmenschen oder durch die Selbstkontrolle des Gewissens. Die Sanktionen bestehen nicht in Freiheits- oder Geldstrafen, sondern in sozialen Stra- Zentrale Begriffe · 11 fen wie Tadel, Missachtung, Vermeiden von Kontakten oder in Gewissensbissen. Abbildung I/2 verdeutlicht die Unterschiede und die Schnittmenge zwischen der Moral und dem Recht. Gesetze ohne sittlichen Gehalt (nur legal - illegal) • Praktische Übereinkünfte ohne sittlichen Gehalt, z.B. Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr • Unsittliche Gesetze, bspw. Gesetze zur Enteignung der Juden im Dritten Reich Gesetze mit sittlichem Gehalt (legal/sittlich gut – illegal/sittlich schlecht) Gesetzliche und zugleich sittliche Gebote und Verbote, bspw. Verbot von Diebstahl, Mord, Fälschung, Gebot von Hilfeleistung bei einem Unfall, von Erfüllung bei einem Kaufvertrag, von wahrer und klarer Bilanzierung usw. Sittliche Normen ohne Gesetzescharakter (nur gut – schlecht) Hilfsbereitschaft gegenüber den Mitmenschen, Spenden für Bedürftige, Aufrichtigkeit im Umgang miteinander, Dankbarkeit für erwiesene Wohltaten, Versöhnlichkeit, Toleranz usw. Abb. I/2: Unterschiede zwischen und Schnittmenge von Moral und Recht Da nicht jede Form erwünschten Verhaltens gesetzlich geregelt werden kann und auch die Einhaltung der geltenden Gesetze durch die staatlichen Kontrollen und Sanktionen alleine niemals gewährleistet werden kann, haben die nichtformalen Regeln, Kontroll- und Sanktionsmechanismen eine sehr wichtige ergänzende Funktion für die Gesellschaftsordnung. 1.2.3 Ethos Als Rahmen für das Verhalten erscheint die herrschende Moral zunächst als etwas den Subjekten Äußerliches und Vorgegebenes. Die Moral erschöpft sich aber nicht in ihren äußeren Manifestationen, sondern umfasst auch die persönlichen Haltungen, Wertmaßstäbe, Überzeugungen, Sinnvorstellungen und Tu- 12 · Grundlagen der Ethik genden der Subjekte. Als sittliche Subjekte haben sie eine innere Moral, die man auch als Ethos bezeichnen kann. Anerkennt ein Subjekt eine bestimmte Moral als verpflichtend für sein Handeln und ist das Handeln dauerhaft durch die Anerkennung geprägt, so spricht man von Ethos. Der Begriff „Ethos“ wird teilweise auch anders verwendet, bspw. als Sammlung von Regeln für bestimmte Berufsgruppen wie Ethos des Mediziners, Ethos des Kaufmanns, oder auch als Synonym für Moral. Im Folgenden ist mit Ethos eine innere Verpflichtung zum Guten gemeint. Durch sein Ethos fühlt sich das Subjekt an bestimmte Handlungsweisen gebunden, die es als gut und wünschenswert erkannt hat (bspw. Gesetzestreue, Mildtätigkeit, Ehrlichkeit). In gleicher Bedeutung wird auch der Begriff der „Moralität“ verwendet (vgl. Höffe [Sittlichkeit] 272) oder – altmodisch – von Tugend gesprochen. Mit der Moralität wird ein weiterer Unterschied zwischen Recht und Moral angesprochen. Denn während die von Recht und Moral ausgesprochenen Pflichten die gleichen sein können (bspw. Verträge einzuhalten, sie nach Treu und Glauben auszulegen) ist die Art der Verpflichtung eine andere. Dem Gesetz kann man rein äußerlich Folge leisten ohne innere Überzeugung, nur aus Angst vor Strafe, während zum moralischen Handeln die innere Triebfeder gehört, gut handeln zu wollen und zwar insbesondere auch dann, wenn man nicht dazu gezwungen ist (vgl. Kant [Rechtslehre] AB16,17). Weil auch die Moralität Gegenstand der Ethik ist, kann man nicht sagen, dass die Ethik erst da anfängt, wo das Gesetz endet und sozusagen nur den (kleinen) Rest an Normen betrifft, die bisher noch nicht gesetzlich geregelt sind (zu dieser These vgl. Crane/Matten [ethics] 9). Vielmehr ist es eine Frage des Ethos, als gut und vernünftig akzeptierte Gesetze prinzipiell zu befolgen, einfach weil das Handeln als richtig erkannt wurde und nicht aus Angst vor Strafe. Zur Selbstverpflichtung kommt die Selbstkontrolle durch das Gewissen, als Sanktion wirkt das „schlechte Gewissen“. Das heißt, man fühlt sich unwohl und schuldig, wenn man etwas getan hat, was nach eigener Überzeugung schlecht war. In diesem Urphänomen menschlicher Erfahrung erlebt vermutlich jeder Mensch den Anspruch des Moralischen. Das Ethos bildet sich zum Teil durch die Verinnerlichung der herrschenden Moral im Rahmen der Sozialisation in Familie und Gesellschaft. Das aus dem Griechischen stammende Wort Ethos wird mit „Charakter, sittliche Gesinnung“, aber auch mit „gewohnter Lebensort“ und „Gewöhnung“ übersetzt. Aristoteles war der Überzeugung, dass man Ethos erlernt und einübt wie eine Zentrale Begriffe · 13 Handwerkskunst, indem man sich an Vorbildern orientiert und die als richtig geltenden Handlungen vollzieht (vgl. [NE] 1103b). Das Ethos muss aber mehr sein als das schlichte Abbild der geltenden Moral im Inneren des Menschen, denn sonst wären Kritik an der herrschenden Moral und ihre Weiterentwicklung nicht denkbar. Der Mensch kann sich aufgrund seines persönlichen Ethos geradezu verpflichtet fühlen, den geltenden Gesetzen, der geltenden Moral nicht Folge zu leisten. Das sittliche Subjekt schöpft offenbar bei seinen moralischen Urteilen noch aus anderen Quellen als den äußeren Vorgaben, vor allem aus der „Vernunft als praktisches Vermögen“ (Kant [Grundlegung] BA7). Diese ermöglicht sowohl eine kritische Distanz gegenüber den geltenden Normen (weshalb bspw. u. U. ein nicht legales Handeln als moralisch empfunden werden kann) als auch die Neuschöpfung von Normen, wenn dies aufgrund veränderter Lebensbedingungen oder neuer empirischer Erkenntnisse (bspw. Gentechnik) nötig wird. Die Moral kann sich zu keinem Zeitpunkt auf den gerade gültigen Komplex von Normen, Wertmaßstäben usw. beschränken, sondern braucht das sittliche Subjekt mit seinem Ethos, das die geltende Moral bewertet, durch sein Handeln zur Geltung bringt oder sie auch abändert und ergänzt. Äußere und innere Moral (Ethos) sind in einer Art von Zirkel miteinander verbunden, denn das sittliche Subjekt ist zugleich Schöpfer und Adressat der Moral, ihr passives Vollzugsorgan und ihr aktiver Gestalter (vgl. Abbildung I/3). beeinflusst Äußere Moral (Ordnungsrahmen) Innere Moral (Ethos) Gesetze, informale Normen, Institutionen … Haltung, Überzeugungen, Vorstellungen vom Guten … beeinflusst Abb. I/3: Zusammenhang von Moral und Ethos 14 · Grundlagen der Ethik 1.3 Ethik 1.3.1 Allgemeine Kennzeichnung Die Ethik kann ganz allgemein gekennzeichnet werden als die Lehre oder auch die Wissenschaft von Moral und Ethos, also vom menschlichen Handeln, welches sich von der Differenz zwischen gut/sittlich richtig und böse/sittlich falsch leiten lässt. Ethik ist Teil der praktischen Philosophie. Die Philosophie, dem Wortsinne nach „Liebe zur Weisheit“ (griech. philos = Freund; sophia = Weisheit), will das Wissen der Vernunft um die Gesamtwirklichkeit, insbesondere das Sein und Sollen des Menschen, vermehren und dabei „zu den letzten Gründen“ vordringen. Ihrem eigenen Anspruch nach ist sie Wissenschaft, weil sie auf methodisch gesicherten Wegen systematisch zu einem gedanklich geklärten Wissen beiträgt (vgl. Brugger [Philosophie] 294f.). Nach Aristoteles beschäftigt sich die theoretische Philosophie mit Theologie, Mathematik und Naturwissenschaften. Diese werden auch als betrachtende Wissenschaften bezeichnet. Dagegen gehören zur praktischen Philosophie die handelnden Wissenschaften, deren Prinzip die Entscheidungen von Handelnden sind (vgl. Aristoteles [Metaphysik] 1025b-1026a; 1064a). Praktische Philosophie ist zu charakterisieren • • durch ihren Erkenntnisgegenstand, nämlich die menschliche Praxis, das menschliche Handeln sowie durch ihre praktische Intention der Orientierung und Verbesserung dieser Praxis im Hinblick auf die Erreichung eines Endzieles oder obersten Gutes. 1.3.2 Deskriptive Ethik Die deskriptive Ethik beschreibt als empirische Disziplin, wie es in bestimmten Gesellschaften oder bei bestimmten Gruppen um Moral und Ethos bestellt ist. Das Ethische soll in seinen verschiedenen zeit- und kulturabhängigen Ausprägungen möglichst genau erfasst werden.