Schulfernsehen Schulfernsehen Der Schatz in der Synagoge Ein Film von Ergün Cevik Beitrag: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer Inhalt Joseph erwacht aus einem Albtraum: Bilder von brennenden Häusern, zerbombten Städten und nationalsozialistischem Terror haben ihn erschreckt. Er sucht Trost bei seiner Schwester Sophia und erzählt, dass im Traum sogar die Sonne zu ihm gesprochen und gesagt habe: „Wer andere bekämpft, bekämpft sich selbst.“ Sophia meint, die Sonne habe ihm mit diesem Ausspruch das „Geheimnis von Kraft und Liebe“ offen gelegt. Für Joseph bleiben die Worte dennoch ein Rätsel. Daher beschließt Sophia, ihm ein Haus zu zeigen, das den Schatz dieses Geheimnisses hütet. Schatzhaus des Glaubens Sophia führt Joseph anderntags auf den Jakobsplatz in München. Hier steht Ohel Jakob, die neue jüdische Hauptsynagoge. Um das Geheimnis von Kraft und Liebe schützen zu können, ist Ohel Jakob – das Zelt Jakobs – im Sockelbereich wie eine trutzige Burg gebaut. Oben aber stellt ein lichtes Dach die Verbindung zum Himmel her. Das Tor geht auf. Rabbiner Elias Dray, der es von innen geöffnet hat, begrüßt die Geschwister und erklärt, was die fremd aussehenden Lettern auf den Torflügeln bedeuten: Es sind die ersten Buchstaben des Hebräischen Alphabets und zugleich die ersten Buchstaben der Zehn Gebote. © Bayerischer Rundfunk Joseph und Sophia besichtigen das Innere der Synagoge. „Sie ist ein Ort der Versammlung und des Gebets“, sagt der Rabbiner: „hier feiern wir und hier leben wir unser Judentum.“ Anschließend öffnet Rabbiner Dray den Thoraschrein. Er birgt das sakrale Zentrum der Synagoge. Hier wird das schriftlich offenbarte Wort Gottes, die Thora aufbewahrt. „Sie ist eine Lehre des Lebens und sagt uns Juden, wie wir uns verhalten sollen“, erläutert Elias Dray. Israels Bund mit Gott Bilder, die den im Buch Exodus geschilderten Auszug aus Ägypten illustrieren, begleiten eine kurze Zusammenfassung dieser zentralen biblischen Erzählung. Joseph und Sophia lernen, wie Moses von Gott den Auftrag erhielt, sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft zu führen und wie der Pharao bestraft wurde, als er sich dem Willen Gottes widersetzte. Der Rabbiner erklärt den Geschwistern, warum gerade diese Überlieferung für das Judentum so wichtig ist: „Am Ende dieser Geschichte schenkt Gott Moses und seinem Volk Regeln. Und die stehen in der Thora. Moses und sein Volk versprechen Gott, diese Regeln und seine Lehre zu befolgen. Dies nennen wir Juden unseren Bund mit Gott.“ 1 Schulfernsehen Jüdische Fest-und Feiertage Anschließend erläutert Rabbiner Dray die Bedeutung des Schabbat: „Damit wir uns ausruhen kön- nen, hat Gott uns einen Ruhetag geschenkt. An diesem Tag haben wir Zeit, um über unser Leben nachzudenken.“ Dass das Judentum nicht nur strenge Gebote und Verzicht, sondern auch ausgelassene Fröhlichkeit kennt, zeigt das Purim-Fest: „Purim ist ein Fest, an dem wir uns verkleiden und uns ebenfalls an eine Erzählung unserer Geschichte erinnern. Wir lesen diese Geschichte und machen immer Krach, wenn darin der Name Haman vorkommt. Es ist lange her, da war Haman der oberste Minister eines Königs. Wir mussten wegen ihm um unser Leben fürchten. Aber wir wurden gerettet, und Haman und seine Leute gingen unter.“ Schulfernsehen was darin war. Wir zünden an Chanukka acht Tage lang Kerzen an. Wir hatten damals fast kein reines Öl mehr, um das heilige Licht für Gott anzuzünden, denn das hatte man uns ja weggenommen. Nur ganz wenig war noch geblieben. Und da geschah etwas, was wir ein Wunder nennen: Ein Licht, das nur Öl für einen Tag hatte, brannte acht Tage lang! Und genau so, wie dieses wenige Licht immer mehr wurde, ist unser Glaube an Gott wieder stark geworden. So konnte die Thora, unser Schatz, gerettet und bis heute weiter gelehrt werden. An Chanukka feiern wir, dass wir unsere Unterdrücker vertreiben und den Tempel wieder Gott weihen konnten. Chanukka ist also auch das Fest, an dem wir unseren Tempel neu eingeweiht haben.“ Mit einigen Erläuterungen zur Thora und zum Talmud endet der Besuch. Im Talmud findet Rabbiner Dray eine Stelle, die die ganze Lehre der Thora zusammenfasst: „Was du hasst, das tu deinem Freund nicht an.“ Jetzt hat Joseph verstanden, welchen Schatz die Synagoge im Geheimnis von Kraft und Liebe hütet. Fakten 1. Thora, Mischna, Gemara und Talmud Die Thora („Lehre“, „Weisung“, „Gesetz“) umfasst im Kern die Fünf Bücher Mose (Penta- Auch das Lichterfest Chanukka erinnert an ein Wunder, das den Juden widerfuhr, als der geschän- dete Tempel neu geweiht wurde: „Damals ist das griechische Volk in unser Land eingedrungen und hat den Tempel entweiht. Und so nahmen uns die Eindringlinge auch unseren Tempel weg und alles, © Bayerischer Rundfunk teuch). Nach jüdischem Glauben wurden sie ihm am Berg Sinai von Gott übergeben. Sie enthalten die Gesamtheit aller 613 für das Judentum verbindlichen Mitzwot (göttliche Gebote und Verbote). Die Zahl setzt sich zusammen aus 365 Verboten sowie 248 Geboten und hat symbolischen Charakter: 365 steht für die Tage eines Jahres, 248 für die Körperglieder des Menschen. Gemäß jüdischer Deutung betont die Summe der Mitzwot, dass der Mensch als Ganzes und immer unter dem Wort und der Weisung Gottes lebt. 2 Schulfernsehen Schulfernsehen Untrennbar mit dieser schriftlichen Offenbarung ist eine zweite mündliche Offenbarung verbunden, die Moses im Sinne der jüdischen Tradition ebenfalls am Berg Sinai empfing. Sie liefert den Schlüssel für das Verständnis der schriftlichen Thora und wurde über Jahrhunderte hinweg von einer Generation an die nächste weiter gegeben. sungen erhalten, von denen eine um 400 in Jerusalem, die andere um 500 in Babylonien entwickelt wurde. Trotz deutlicher Unterschiede hinsichtlich des Umfangs, des Detaillierungsgrades und ihrer Rigidität folgen beide Versionen dem auf sechs Ord nungen basierenden Gliederungsprinzip der Mischna. Als nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. der jüdische Staat und mit ihm das Priestertum erlosch, wuchs die Sorge um den Bestand der mündlichen Thoraüberlieferung. Daher reifte der Entschluss, diesen zentralen Pfeiler des Judentums durch eine Niederschrift zu bewahren. Aufgrund ihres ergänzenden Charakters ist die Gemara untrennbar mit der Mischna verbunden und bildet mit ihr gemeinsam den Talmud („Studium“), der bis heute als grundlegendes jüdisches Gesetzeswerk in allen praktischen Angelegenheiten oberste Autorität beansprucht. Am Ende eines mehrschichtigen Sammlungs- und Redaktionsprozesses lag zu Beginn des 3. Jahrhunderts mit der Mischna („Wiederholung“) erstmals eine verbindliche Schriftfassung der mündlichen Thora vor. Das wohl um 220 n. Chr. abgeschlossene Werk ist eine Ausfaltung der kultischen und alltäglichen Religionsgesetze (Mitzwot), die von der schriftlichen Thora lediglich skizziert werden. In sechs „Ordnungen“ gegliedert, stiftet die Mischna durch detaillierte Handlungsvorschriften eine autori- Da es zwei Versionen der Gemara gibt, unterscheidet man zwischen dem Jerusalemer und dem Babylonischen Talmud. Nachdem der Babylonische Talmud deutlich umfangreicher, strenger und überdies in der Regel sorgfältiger gearbeitet ist, gilt er als gewichtigste Referenz in Fragen der Glaubenspraxis. Der Jerusalemer Talmud hat nur dann autoritatives Gewicht, wo der Babylonische Talmud unklar bleibt oder Fehlstellen aufweist. 2. Beschneidung, Bar Mitwa und Bat Mitzwa tative Tradition der jüdischen Glaubens- und Lebenspraxis. Dazu zählen vor allem die religionskonforme Landwirtschaft, der Schabbat und die Festzeiten, die Reinheitsgebote, das Ehe- und Familienleben sowie strafrechtliche, sakrale und liturgische Belange. Die als Halacha („Wegweisung“) bezeichnete normative Komponente der Mischna wird durch ein Haggada („Kunde“, „Botschaft“) genanntes, nicht-gesetzliches Kompendium von Geschichten, Legenden und Gleichnissen ergänzt, das den moralisch-ethischen Gehalt der Thora narrativ vermittelt. Auf diesem Grundstock wuchs im Lauf der folgenden Jahrhunderte ein umfangreiches Kommentarwerk heran, das rund 3000 rabbinische Analysen, Auslegungen sowie Ergänzungen zur Mischna enthält und daher den Namen Gemara („Vollendung“, oder „Hinzufügung“ trägt. Die Gemara ist zwei Fas© Bayerischer Rundfunk Zum Zeichen des ewigen Bundes, den Gott mit Abraham geschlossen und durch die Gabe der Thora bekräftigt hat, werden alle männlichen Juden am achten Tag nach der Geburt beschnitten. Die Verschiebung auf einen späteren Termin setzt triftige Gründe wie etwa eine Krankheit voraus. In der Regel findet die Beschneidung (Brit Mila) zuhause oder in einem Krankenhaus statt und wird entweder von einem Kultusbeamten (Mohel) oder einem jüdischen Arzt vorgenommen. Zugleich mit der Beschneidung erhält der Knabe einen jüdischen Namen, der nicht mit dem standesamtlichen „bürgerlichen“ Namen übereinstimmen muss. Mädchen werden nicht beschnitten, sie erhalten auch nicht zwingend einen jüdischen Namen. Mit 13 Jahren werden männliche Juden Vollmitglied der jüdischen Gemeinde und sind damit ein „Sohn des Gebots“ (Bar Mitzwa). Von nun an gelten sie in religiösem Sinn als erwachsen und sind verpflichtet, alle religiösen Vorschriften einzuhalten. Mit diesem Tag ist der Vater auch nicht mehr dafür verantwortlich, dass der Sohn die religiösen Gebote einhält. Die "Söhne des Gebots" zählen fortan zur Mindestzahl von zehn erwachsenen Juden (Min3 Schulfernsehen jan), die für den Gemeinschaftsgottesdienst in der Synagoge vorgeschrieben sind. Üblicherweise wird das neue Gemeindemitglied am Schabbat nach seinem 13. Geburtstag erstmals zum Vorlesen der Thora aufgerufen. Die Familie feiert den Tag mit einem festlichen Mahl (Bar Mitzwa-Feier). Dabei ist es üblich, dass der mündig gewordene Knabe einen eigenen Thoravortrag im Familien- und Freundeskreis hält. Mädchen erhalten bereits mit zwölf Jahren den Status einer Bat Mitzwa (Tochter der Pflicht), in neuerer Zeit wird auch – vor allem in reformiert-jüdischen Familien - ihre religiöse Volljährigkeit durch ein Bat Mitzwa-Fest gefeiert. 3. Der Schabbat Der wöchentliche Schabbat ist der wichtigste und heiligste Tag des Judentums. Er beginnt am Freitag nach Einbruch der Dunkelheit und endet am Samstagabend. Sein strenges Werkverbot erinnert an das Ausruhen Gottes am siebten Tag der Schöpfung, seine besondere Heiligkeit ist durch die göttliche Einsetzung im Buch Exodus begründet: „Gedenke des Schabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Schabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Schabbattag und heiligte ihn.“ (Exodus, 20,8-11) Durch den Mund des Propheten Jesaja bekräftigt Gott das Schabbatgebot abermals: „Achtet den Schabbat als einen Tag, der mir geweiht ist und an dem ihr keine Geschäfte abschließt! Er soll ein Feiertag für euch sein, auf den ihr euch freut. Entweiht ihn nicht durch eure Arbeit, durch Geschäfte oder leeres Geschwätz! Achtet ihn vielmehr als einen Tag, an dem ihr Zeit habt für mich, den Herrn. Wenn ihr das tut, werde ich die Quelle eurer Freude sein. Ich werde euch über Berge und Schluchten tragen und euch das ganze Land mit seinem reichen Ertrag schenken, das ich eurem Stammvater Jakob zum Erbe gegeben habe. Mein Wort gilt!“(Jesaja 58, 13-14) Während des Schabbat gelten strengste Ruhevorschriften. Der Talmud listet insgesamt 39 Arbeiten auf, die an diesem Tag nicht erlaubt sind. Unter das Werkverbot fallen beispielsweise Tätigkeiten wie Backen, Kochen, Licht oder Feuer anzünden, Einund Verkaufen, Telefonieren oder Fernsehen. Eben© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen so untersagt ist es, Verkehrsmittel zu benutzen, Sport zu treiben oder Geld zu berühren. All diese Verbote dienen einem einzigen Zweck: Am Schabbat soll der Mensch Abstand vom Alltag gewinnen und seine Zeit ausschließlich Gott und der Familie widmen. Der Schabbat setzt ein, wenn die ersten drei Sterne am Abendhimmel aufscheinen oder ein schwarzer Faden nicht mehr von einem weißen zu unterscheiden ist. Den eigentlichen Schabbatbeginn markiert eine Zeremonie, die traditionell der Hausfrau obliegt: Sie zündet die Schabbatlichter an und segnet die Kerzenflammen. Damit sind die Werkverbote des Tages in Kraft. Um den Schabbat würdig zu begehen, wurde zuvor das Haus geputzt und der Tisch festlich geschmückt. Sämtliche Speisen für die drei obligatorischen Schabbatmahlzeiten sind vorgekocht, ein spezieller Schabbatofen oder ein Wärmerohr hält sie bis Samstagabend warm. Nachdem die Schabbatlichter angezündet sind, begeben sich die Familien zum ersten der drei besonders ausführlichen und feierlichen Schabbatgottesdienste in die Synagoge. Der Gottesdienst klingt mit dem Kiddusch ("Heiligung") aus. Dabei spricht der Vorbeter den Segen über einen Becher Wein, um die besondere Heiligkeit des Tages zu betonen. Nach der Rückkehr von der Synagoge setzen sich die Familien und ihre Gäste an den Esstisch, um gemeinsam das Schabbatmahl zu genießen. Auf dem geschmückten Tisch stehen der Schabbatleuchter mit den bereits brennenden Kerzen, der mit Wein gefüllte Kidduschbecher und die geflochtenen, von einem Tuch bedeckten Schabbatbrote (Challot) bereit. Dem eigentlichen Mahl geht eine Reihe fest gefügter Segenshandlungen voraus. Zunächst 4 Schulfernsehen segnet der Vater die Kinder, danach singt er – zumal in orthodoxen Familien - gemeinsam mit ihnen das Frauenlob aus den Sprüchen Salomos. Anschließend hebt der Vater den randvoll gefüllten Kiddusch-Becher und segnet den Wein zum Zeichen der Schabbatheiligung. Er trinkt als erster, dann geht der Becher reihum, bis alle Tischgenossen ebenfalls getrunken haben. Nachdem sich alle die Hände gewaschen haben, beginnt das Schabbatmahl. Der Vater deckt die Schabbatbrote auf, segnet sie und zerteilt die Laibe mit einem ausschließlich dieser Zeremonie vorbehalten ChallaMesser. Danach tunkt er ein Stück des Brotes in Salz und isst, bevor er jedem Tischgenossen ein eigenes Brotstück zuteilt. Die Mahlzeit selbst fällt reichhaltig aus, besondere Schabbatspeisen oder Speisetabus gibt es jedoch nicht. Das gemütliche Essen schließt mit gemeinsam gesungenen Liedern und einer erneuten Lobpreisung aus den Psalmen. Am Samstag haben alle Familienmitglieder reichlich Zeit zum Ausschlafen, denn der Gottesdienst beginnt später als unter der Woche. Er ist sehr festlich und hebt sich durch besondere Gebete und Lieder von den Wochentagsgottesdiensten ab. Anschließend versammelt sich die Familie zur zweiten Schabbatmahlzeit. Nachmittags findet ein weiterer sehr ausführlicher Gottesdienst statt, dem sich ein drittes gemeinsam genossenes Mahl anschließt. Den Ausklang bildet schließlich die Hawdala („Unterscheidung“), eine vom Vater geleitete Zeremonie, die den Wiederbeginn des Alltags einleitet. Da mit dem Schabbatausgang wieder Feuer entzündet werden darf, wird zunächst das Hawdalalicht, eine dünne, aus zwei Wachssträngen geflochtene Kerze mit doppeltem Docht, angesteckt. Darauf füllt der Vater einen Becher so reichlich mit Wein, dass er in eine untergestellte Hawdalaschale überfließt. Darin drückt sich der Wunsch aus, dass auch die kommende Woche einen Überfluss an guten Dingen bereit halten möge. Anschließend segnet der Vater das Hawdalalicht, den Wein und aromatische Gewürze („Bessanim“), die in einer Büchse oder auf einem Tablett reihum gehen. So hat jeder Gelegenheit, den „Duft“ des Schabbat nochmals symbolisch zu genießen. Wenn nach dem Vater auch alle männlichen Familienmitglieder vom Wein getrunken haben, hebt der Hausherr den Becher und spricht den Unterscheidungssegen, um den Feiertag endgültig vom Werktag zu trennen. Zuletzt wird noch die Hawdalakerze gelöscht – entweder mit einem Weinrest aus dem Becher oder durch das Eintauchen in den übergeflossenen Wein, den die Hawdalaschale aufgefangen hat. © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen 4. Synagoge, Gottesdienst, Tallit und Tefilin Das Wort Synagoge kommt aus dem Griechischen und bezeichnet sowohl das jüdische Lehr-, Gebets- und Versammlungshaus als auch die in der Synagoge versammelte Gemeinde. Der Ursprung und die Entstehungszeit der jüdischen Synagoge sind strittig. Manche Forscher gehen davon aus, dass frühe Formen der Synagoge während des babylonischen Exils (586 bis v. Chr. 538) aus dem Bedürfnis entstanden, sich in besonderen Versammlungshäusern zum gemeinsamen Gebet einzufinden. Ein weiteres Motiv könnte die zunehmende Bedeutung des Schabbat und damit die Notwendigkeit eines Versammlungsortes für gottesdienstliche Zusammenkünfte beziehungsweise für Lesungen aus der Schrift und das Gemeindegebet gewesen sein. Archäologische Zeugnisse und Schriftbelege dokumentieren die Existenz ägyptischer Synagogen für das 3. Jahrhundert vor Christus; auf der Insel Delos finden sich Überreste einer Synagoge aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert. Zur Zeitenwende dürften in jeder jüdisch besiedelten Ortschaft Palästinas und in großen Städten der Diaspora wie etwa Rom oder Alexandria bereits Synagogen bestanden haben. Wie erhaltene Inschriften zeigen, dienten sie "dem Vorlesen des Gesetzes und zum Unterricht in den Geboten". Größere Synagogen waren zudem mit Wasseranlagen und Herbergen für Fremde ausgestattet. Daneben fungierte die Synagoge auch als Gerichtssaal und als Unterbringungsmöglichkeit für jüdische Reisende. So entwickelte sich die Synagoge zum jüdischen "Gemeindezentrum", in dem neben dem 5 Schulfernsehen Gottesdienst alle das Gemeinwesen betreffenden Angelegenheiten ihren Ort hatten. Ein betont sakraler Charakter entfaltet sich erst nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. 5. Der Synagogengottesdienst Schulfernsehen Zeichen zum Einsatz für die von ihr zu sprechenden Responsorien und Gebete zu geben. Am Schabbat werden sieben, am Versöhnungstag sechs, an anderen Festtagen fünf Männer zur Lesung aus der Thora aufgerufen. Jeder trägt mindestens drei Verse vor. Sofern Der jüdische Gottesdienst kennt keine priesterlichen Funktionen. An der Gestaltung des Gottesdienstes sind alle männlichen Gemeindemitglieder beteiligt. Um einen Gottesdienst zu feiern, müssen jedoch mindestens zehn kultfähige und über dreizehn Jahre alte Männer anwesend sein (Minjan). Die Frauen folgen dem Gottesdienst meist auf einer eigenen Empore. In manchen Synagogen ist die Trennung der Geschlechter jedoch so weit aufgehoben, dass Männer und Frauen – wenn auch in getrennten Bankreihen, gemeinsam im Hauptraum sitzen. Im Zentrum des jüdischen Gottesdienstes steht die Lesung aus der Thora. Dazu kommen liturgische der Aufgerufene den hebräischen Text nicht selbst vorlesen kann, liest er stumm mit, während ein geschulter Vorleser an seiner Stelle laut rezitiert. Da nicht alle Gemeindemitglieder das Hebräische beherrschen, sind Gebetbücher mit phonetischen Umschriften und Erläuterungen in Gebrauch. Die Thorarollen werden im Thora-Schrein aufbewahrt. Er hat seinen Platz auf einem gen Jerusalem ausgerichtetem Podium. Für den Vorleser ist in der Nähe des Thoraschreins ein Lesepult, die Bima, eingerichtet. Vor dem Thoraschrein brennt auf einem Leuchter ein ewiges Licht. Elemente wie das gemeinsame Bekenntnis, gesprochene und gesungene Gebete sowie der Segen. Die stets von einem besonderen Schreiber auf Pergament handgeschriebenen Thorarollen sind auf zwei Holzstäben aufgrollt, mit einem Thorawimpel umwunden und von einem be- Sofern das Quorum des Minjan erfüllt ist, finden Wochentags, am Schabbat und an den Feiertagen regelmäßig drei Gottesdienste statt: einer am Morgen, einer mittags und einer abends. Aus Gründen der Praktikabilität werden der Nachmittags- und der Abendgottesdienst dabei häufig zusammengelegt. Die Leitung des Gottesdienstes obliegt dem Synagogenvorsteher oder dem Vorbeter. Zu diesem Amt ist jeder männliche Jude befugt, der das Gebetsritual beherrscht. Das Lektorenamt ist jenen vorbehalten, die Hebräisch lesen können. Der Vorbeter nimmt die Thorarollen zur Lesung aus dem Schrein und stellt sie anschließend wieder zurück. Zu seinen Aufgaben gehört es überdies, die Vorbeter und Lektoren aufzurufen und der Gemeinde das © Bayerischer Rundfunk sonders geschmückten Thoramantel (Mappa) umhüllt. Auf dem Mantel ist der Thora-Schild 6 Schulfernsehen Schulfernsehen (Tass) angebracht. Den Kopf der Thorarolle schmückt eine Silberkrone (Kether), um die Herrschaft der Schrift über das Volk Israel zu symbolisieren. Statt der Krone können auch Rimonim (Grantäpfel), ein mit Glöckchen verzierter Aufsatz, die Thorarollen schmücken. Zum Gottesdienst wird die Thora feierlich aus dem Schrein geholt, erhoben und abschnittweise auf der Bima ausgerollt. Um die Heiligkeit der Thora zu achten, bedient sich der Vorleser eines silbernen handförmigen Zeigestabes (Jad), mit dem er die Zeilen nachfährt, ohne das Buch mit der Hand zu berühren. Tallit und Tefilin Während des Gottesdienstes gelten strenge rituelle Auflagen: Die Gläubigen bedecken ihren Kopf mit der Kippa, hüllen sich in den Gebetsmantel (Tallit) ein und legen die Gebetsriemen (Tefilin) an. Der Gebetsmantel (Tallit) ist ein viereckiges, meist weißes und durch farbige Streifen geziertes Umhän- getuch aus Wolle, Baumwolle oder Seide, das fast den ganzen Körper einhüllt. Er wird sowohl während des Synagogengottesdienstes als auch beim häuslichen Gebet umgelegt. Neben dem großen Tallit („Tallit gadol“), der während Morgengebets über der Kleidung getragen wird, gibt es einen kleinen schalähnlichen Tallit („Tallit gatan“), der um den Hals liegt und nur die Brust bedeckt. Fromme Juden tragen den kleinen Tallit auch tagsüber unter der Kleidung. Ein besonderes Merkmal des Gebetsmantels sind auffällige Schaufäden (Zizijot). Sie bestehen aus langen weißen und mehrfach verknoteten Wollfäden, die an den vier Ecken des Tallit zu Quasten gebündelt sind. Zum Gebet während der Wochentage legt jeder religiös mündige Jude zudem zwei schwarze Lederkap© Bayerischer Rundfunk seln (Tefilin) an, die er mit schwarzen Lederriemen am linken Arm und auf der Stirn befestigt. Die Tefilin umschließen auf Pergament geschriebene Bibelabschnitte und erfüllen so das Gebot, dass die Thora „zum Zeichen an deiner Hand und zum Erinnerungsmal zwischen deinen Augen“ sein soll (Ex 13,9). Am Schabbat und an den Feiertagen werden sie nicht angelegt, da sich diese Tage per se durch ihre besondere Heiligkeit auszeichnen. 6. Jüdische Feiertage und Feste Die Jüdischen Fest- und Feiertage dienen in erster Linie der gemeinsamen Erinnerung an die Geschichte des Volkes Israel und der Segenstaten Gottes: „Wie keine andere Religion ist die des Judentums auf Geschichtserfahrungen gegründet, vom Glauben an ein Handeln Gottes in der Geschichte geprägt […] Religion und Volk, Volk und Geschichte gehören somit wesentlich zusammen.“ (Stemberger, S. 16.) „Das kollektive Gedächtnis prägt die jüdische Identität, Weltsicht und das Leben daher stärker als Lehrinhalte.“ (Hutter, S. 49f.) Das Datum der Fest- und Feiertage richtet sich nach dem jüdischen Kalender, der sich aufgrund seiner soli-lunaren Gliederung deutlich vom gregorianischen Kalender unterscheidet. Der jüdische Kalender hat zwölf Monate, die sich an den Mondphasen orientieren und stets mit dem Neumond beginnen. Die Jahreszählung orientiert sich hingegen am Sonnenlauf. Um das jüdische Jahr an den Sonnenlauf anzupassen, müssen in regelmäßigen Abständen Schaltmonate eingefügt werden. Dadurch ist gewährleistet, dass gleiche Monate immer in dieselben Jahreszeiten fallen. Da sich die Festtage nach dem Mondlauf richten, ergeben sich zudem schwankende Daten, die – wie das christliche Osterfest - alljährlich neu errechnet werden müssen. Die Monatsnamen des jüdischen Kalenders • Tschiri (September/Oktober • Heshvan (Oktober/November) • Kislew (November/Dezember) • Tewet (Dezember/Januar) • Schwat (Januar/Februar) • Adar (Februar/März) • Nissan (März/April) • Ijjar (April/Mai) • Siwan (Mai/Juni) • Tammus (Juni/Juli) • Aw (Juli/August) • Elul (August/September) 7 Schulfernsehen Das jüdische Jahr selbst beginnt mit dem ersten Tag des siebten Monats Tschiri (September/Oktober) und gilt als Fixpunkt der Berechnung von Kalenderjahren. In diesen Monat fällt das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana („Kopf des Jahres“); es wird 162 Tage nach dem ersten Tag des Pessachfestes gefeiert. 7. Die drei Wallfahrtsfeste Feierliche Höhepunkte des jüdischen Jahres sind die drei Wallfahrtsfeste Pessach, Schawuot und Sukkot. Der Name Wallfahrtsfest erinnert daran, dass sich vor der Zerstörung des Tempels ganz Israel an diesen Tagen in Jerusalem versammelte, um zentrale Heilsereignisse der jüdischen Geschichte und des Bundes mit Gott zu feiern. Sofern irgend möglich, war jede jüdische Familie gehalten, an den Wallfahrtsfesten in die Stadt Davids zu pilgern und im Tempel zu opfern. Pessach (März/April) Pessach ist das wichtigste der drei Wallfahrtsfeste im Jahreslauf. Es muss stets im Frühjahr zur Zeit der Ährenreife stattfinden und wird daher im Monat Nissan (März/April) gefeiert. Der Name bedeutet "schonendes Vorübergehen“ und erinnert an die Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Fron sowie an die ungesäuerten Brote, die sie auf der Flucht vor dem Pharao aßen: „Halte den Monat der Ährenreife ein, und bringe dann das Pessachopfer dar, denn im Monat der Ährenreife führte dich der Ewige, dein Gott aus Ägypten." (Dtn 16,1). Das genaue Datum schwankt, da der grundlegende Frühlingsbeginn und damit auch der Frühlingsmonat Nissan nach dem Mondzyklus berechnet werden: "Am vierzehnten Tage dieses Monats (Nissan) gegen Abend sollt ihr das Pessachopfer darbringen" (Num 9,3). Die sieben Festtage symbolisieren den Zeitraum vom Auszug aus Ägypten bis zur Überquerung des Schilfmeeres, in dem die Truppen des Pharao ertranken. Für die Dauer des Festes gelten besondere und strenge Speiseverbote. So darf kein Jude während der Pessach-Woche "Chamez" essen oder auch nur in seinem Besitz dulden. Chamez bezeichnet sämtliche Speisen aus einer der fünf Getreidearten Weizen, Gerste, Dinkel, Hafer und Roggen, die durch den Kontakt mit Wasser einem Gärungsprozess ausgesetzt waren und daher "gesäuert" sind. Konkret verboten sind daher alle Back- und Teigwaren, die aus aufgegangenem (gegorenem) Mehl hergestellt werden. Das Chamez-Verbot resultiert aus einem symbolischen Verständnis: Das Gären © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen des Teiges bezeichnet das Wirken "böser Triebe" im Menschen, insbesondere die Überheblichkeit und den Stolz. Am Vorabend des Pessachfestes (Rüsttag) leuchtet jeder jüdische Hausvater sämtliche Winkel seines Hauses aus, um sicher zu gehen, dass nichts Gesäuertes übrig geblieben ist. Sollten sich dabei letzte Reste finden, werden sie am Morgen des folgenden Tages verbrannt. Auf der symbolischen Ebene erforscht der fromme Jude damit seine Seele, um sich zu vergewissern, dass er jegliche Überheblichkeit gegenüber Gott aus seinem Herzen verbannt und sich der Führung Gottes unterwirft. Diesen Willen bekundet er durch ein rituelles Gebet, wenn er spricht: "Möge es Dein Wille sein, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, dass Du den bösen Trieb aus unserem Inneren vertilgst, so wie ich jetzt den Chamez vertilge. Ich erkläre ihn für null und nichtig wie den Staub der Erde". Der erste Abend des Pessachfestes heißt Sederabend. Bei dieser Tischzeremonie versammelt sich die Familie zu einer Festmahlzeit mit genau geregelten Handlungen. Im Zentrum stehen die Seder-Schüsseln mit symbolischen Gerichten. Dazu wird ungesäuertes Brot (Mazzot, Metzen) gegessen. Zumindest am ersten Abend ist das Mazzot-Essen ein verpflichtendes Gebot. Denn zum einen sind die Metzen ungesäuert, zum anderen erinnern sie als "Brot der Armut" (Leckem Oni), an die karge Speise in der ägyptischen Knechtschaft. Hinzu kommt, dass sie zugleich als "Brot der Erlösung" gelten, von dem sich die Juden während des Auszugs aus Ägypten ernährten. Zu den auf der Seder-Schüssel angeordneten Speisen gehört auch der Maror, das Bitterkraut. Es erinnert an die Bitterkeit der ägyptische Fron; Charosset ist eine aus Äpfeln, Nüssen und Zimt zubereitete Speise, deren lehmartige Konsistenz an den von den Juden in der ägyptischen Sklaverei zubereiteten Lehm erinnert; Karpass ist ein Gemüse, das man vor dem Verzehr in Salzwasser eintaucht; Salzwasser, Ei und ein gerösteter Knochen, an dem noch Fleisch sein muss, erinnern an das vor der Zerstörung des Tempels dort dargebrachte Pessachopfer. (Als der Tempel noch stand, wurde am Vorabend des Pessachfestes ein Lamm geschlachtet und danach während einer Opfermahlzeit gegessen. Da seit der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. das Tempelopfer nicht mehr möglich ist, wird er durch einen gebratenen Knochen auf der SederSchüssel ersetzt.) 8 Schulfernsehen Schulfernsehen Ebenfall zum Gedenken an die Rettung aus der äyptischen Knechtschaft dienen die "vier Becher der Erlösung". Diese vier Becher Wein oder Traubensaft erinnern an die vier Stufen der Erlösung, die den Exodus auszeichnen (1. Erlösung aus der Knechtschaft, Ende der körperlichen und geistigen Not; 2. Beendigung des Herrschaftsverhältnisses von Ägyptern über Juden; 3. Aufhebung des Fremdenstatus; 4. Vereinigung des befreiten Volkes mit Gott am Berg Sinai). schlafen und essen, heute begnügt man sich meist damit, zumindest am ersten Tag ein Mahl in der Hütte einzunehmen. Als Zeichen der Freude wird ein Feststrauß aus vier verschieden Gewächsarten gebunden und beim Morgengebet geschwenkt. Daneben gilt auch Sukkot als Erntedankfest. „Vier Becher Wein soll am Sederabend jeder trinken, Mann und Frau, alt und jung, arm und reich, unter Aufsicht geernteten, vergorenen, verpackten und als solchen bezeichneten Pessachwein oder auch Rosinenwein, den man allein bereiten kann und der den Kindern schmeckt und nicht schadet. Der Becher soll nicht zu klein sein und jedes von den vier obligatorischen Malen wenigstens halb geleert werden. Man trinkt ihn links angelehnt, besonders der Hausherr hält den Seder links angelehnt, wie ein freier Mann, denn dies war einst das Zeichen freier Männer im Morgenland, und am Pessach wurden wir freie Männer." Jom Kippur ist nach dem wöchentlichen Schabbat der wichtigste jährliche Festtag im Judentum. Er beginnt bei Sonnenuntergang vor dem 10. Tag des Monats Tschiri und endet mit dem folgenden Sonnenuntergang. Während der dazwischen liegenden Zeit dürfen gläubige Juden weder essen noch trinken noch arbeiten oder Leder tragen. Außerdem müssen sie sexuell enthaltsam sein und jegliche Körperpflege unterlassen. Zentrales Anliegen dieses strengen Fasttages ist die Versöhnung mit Gott und den Mitmenschen. Daher stehen die Bitte um Vergebung, die kollektive Reue und das gemeinsame Sündenbekenntnis im Mittelpunkt der ausgedehnten Gottesdienste. Da Gott den Menschen an Jom Kippur die Gnade der Sündenvergebung schenkt, hat dieser Tag trotz aller Fasten- und Enthaltsamkeitsgebote ein heiteres Gepräge. Die Tradition dieses Tages hat sich in der deutschen Redewendung vom Sündenbock niedergeschlagen: Das Wort geht darauf zurück, dass der der Hohepriester zur Zeit des Jerusalemer Tempels an Jom Kippur das Los über zwei Böcke warf. Einer wurde im Allerheiligsten geopfert, der andere, symbolisch mit den Verfehlungen des Volkes beladen, als Sündenbock in die Wüste gejagt. Eines der zentralen Gebote des Abends verlangt, die Erzählung vom Auszug aus Ägypten zu lesen. Die Seder-Mahlzeit und die Haggada sind daher untrennbar miteinander verwoben, und verschiedene symbolische Speisen bieten den Anlass unterschiedliche in der Haggada angesprochene Aspekte des Auszugs aus Ägypten zu erörtern. Schawuot (Wochenfest, Mai/Juni) Das Wochenfest Schawuot findet sieben Wochen (50 Tage) nach Pessach am 6. Siwan statt und erinnert an die Übergabe der Thora auf dem Berg Sinai. Da auch die Weizenernte, zumindest in Israel, in diese Zeit fällt, ist das Wochenfest gleichzeitig ein Erntedankfest. Der Brauch, zu Schawuot bevorzugt Milch zu trinken und Honig zu essen, symbolisiert die Bedeutung der Thora für das Volk Israel: Sie ist ebenso kostbar und nahrhaft wie jene beiden Speisen, von denen das „Verheißene Land“ überfließt. Jom Kippur (Versöhnungstag, September/Oktober) Chanukka Lichterfest, November/Dezember Das Lichterfest wird zur Zeit der Wintersonnen- Sukkot (Laubhüttenfest, September/Oktober) Am 15. Tag des siebten Monats – also ein halbes Jahr nach Pessach - beginnt das heitere Laubhüttenfest Sukkot. Es erinnert an die Zeit der 40-jährigen Wüstenwanderung, als das Volk Israel in Laubhütten wohnte. Wer immer kann, errichtet daher eine Sukka, deren Dach mit Laub und Zweigen gedeckt ist. Stadtbewohner, die weder über einen Garten noch sonst eine geeignete Fläche verfügen, können auch den Balkon als Sukka herrichten. Streng genommen sollte die Familie während der einwöchigen Dauer des Festes in der Laubhütte © Bayerischer Rundfunk wende gefeiert und erinnert an die Wiederein9 Schulfernsehen weihung des Tempels 165 v. Chr. Den historischen Hintergund liefert die Vertreibung der seleukidischen Besatzungsmacht durch die Hasmonäer. 168 v. Chr. hatte der Seleukidenherrscher Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.) den Tempelschatz geplündert und das Jahwe-Heiligtum dem Zeus Olympios geweiht. Er zwang die Priesterschaft einer Zeusstatue auf dem Vorplatz des Tempels zu huldigen und ließ in den Städten des Landes Altäre für griechische Götter errichten. Die Ausübung zentraler Elemente des Judentums wie Beschneidung, Tempeldienst, Einhaltung der Schabbatruhe oder auch nur der Besitz von Thorarollen waren bei Todesstrafe verboten. Unter Führung des Priesters Mattathias aus dem Geschlecht der Hasmonäer zogen sich darauf thoratreue Juden in die Berge zurück und begannen den bewaffneten Kampf gegen die seleukidische Fremdherrschaft. Nachdem Mattathias gestorben war, führte sein Sohn den Aufstand an. Aufgrund seiner militärischen Erfolge legten ihm seine Anhänger den Beinamen "Makkabi", der Hammer, zu. Nach ihm sind sowohl der Makkabäer-Aufstand als auch die Makkäbäer-Bücher des Alten Testament benannt. Einiger Rückschläge zum Trotz führte die ausgesprochene Guerillataktik der makkabäischen Truppen zum Erfolg. Antiochos V. (164-162) widerrief das Religionsverbot seines Vaters und sicherte den Juden die freie Ausübung ihres Kultes zu. Damit gab sich Judas Makkabi jedoch nicht zufrieden. Längst hatte er den Aufstand nach Juda getragen, wo er seleukidische Siedler vertrieb und das enteignete Land an seine Anhänger verteilte. Schließlich griff er Jerusalem an, das von einer seleukidischen Garnison verteidigt wurde. Im Jahr 165 v. Chr. eroberten die Aufständischen den Tempel. Da sie das Heiligtum geschändet vorfanden, musste es gereinigt und erneut geweiht werden. Zu allem Unglück fand sich jedoch nur ein kärglicher Rest kultisch reinen Öls, um den großen siebenarmigen Tempelleuchter (Menorah) zu entzünden. In dieser Not geschah ein Wunder, das die Juden noch heute an Chanukka feiern: Der kärgliche Öl© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen rest brannte wider Erwarten sieben Tage hindurch, lange genug also, um kultisch reines Öl für den Tempel zu gewinnen. Zum Gedächtnis dieses Wunders stellen die Juden während der acht Festtage nach Einbruch der Dunkelheit Kerzen oder Öllichter in Fenster und Türen. Sie beginnen mit einem Licht am ersten Tag und fügen jeden folgenden Tag ein weiteres Licht hinzu, bis schließlich insgesamt acht Lichter brennen. Da die Chanukkalichter keinem profanen Zweck dienen dürfen, werden sie durch eine spezielle Kerze, den Schamsch („Diener“), angezündet. Der Grundzug des Festes ist fröhlich. Die Familien feiern ausgelassen, die Kinder werden, ähnlich wie beim christlichen Weihnachtsfest, beschenkt. Fasten ist verboten, stattdessen werden zum Gedächtnis des Ölwunders besondere ölige oder in Öl ausgebackene Speisen wie Krapfen und Kartoffelpuffer verzehrt. Lieder und diesem Fest vorbehaltene (Glücks-)Spiele unterstreichen den heiteren Charakter des Lichterfestes. Dabei gedenkt man jedoch stets auch der Wunder- und Rettungstaten Gottes und betet Psalmen. Purim (Februar/ März) Purim wird am 14. Tag des Monats Adar gefeiert. Das Fest erinnert an eine weitere göttliche Errettung aus größter Not. Die zugehörige Geschichte erzählt das Buch Ester: Haman, der ranghöchste Beamte des persischen Königs, trachtete danach, die Juden in ganz Persien auszurotten. Er schwärzte die Kinder Israels beim König an und beschuldigte sie des kollektiven Hochverrats. So erklärte Artaxerxes, von Haman angestachelt, die Juden für vogelfrei und gab sie damit der Vernichtung anheim. Ester, eine jüdische Waise, die Artaxerxes kurz zuvor geheiratet hatte, vereitelte den Völkermord. Sie deckte die Ränke Hamans auf, der 10 Schulfernsehen zur Strafe am Galgen erhängt wurde, und erwirkte den Juden das Recht, sich ihrer Feinde mit Waffengewalt zu erwehren. Am 13. und 14 Adar, dem Tag ihrer geplanten Vernichtung, schlugen die Juden zurück. Insgesamt 75.000 Perser, so berichtet die Bibel, fanden dabei den Tod. Zum Gedächtnis der Errettung liest die Synagogengemeinde am Festtag aus dem Buch Ester. Sooft dabei der Name Haman fällt, lärmen die Gottes- dienstbesucher lauthals, oft durch Rasseln verstärkt, um den Namen des besiegten Verderbers zu übertönen. Für den Brauch, an Purim auf Straßenumzügen und selbst in der Synagoge Masken oder Kostüme zu tragen, gibt es mehrere Erklärungen. Eine besagt, auch Gott habe sich im Buch Ester hinter Masken verborgen, da er darin walte, ohne dass sein Name auch nur ein einziges Mal genannt würde. So habe er gleichsam verkleidet gehandelt, um sein Volk vor der Vernichtung zu bewahren. Schulfernsehen oft mit Geistlichen wie einem Pfarrer oder einem Priester verglichen, aber das trifft es nur teilweise. Ein Rabbiner ist vor allem ein Lehrer, jemand, der die Befugnis hat, in allen Fragen jüdischer Gesetze zu entscheiden. Da unsere Gesetze oftmals sehr unterschiedliche Auslegungen erlauben, muss es jemanden geben, der eine klare Meinung hat und im Falle strittiger Interpretationen eine Entscheidung für die Gemeinde trifft. Das ist ein Teil meiner Aufgabe und Zuständigkeit. Dann bin ich als Rabbiner natürlich auch Seelsorger, der in allen Lebens- und Glaubensfragen zur Verfügung steht. Obendrein habe ich auch administrative Funktionen in Gemeindeangelegenheiten und halte öffentliche Lektürestunden für Erwachsene sowie Studenten der Gemeinde. Zuletzt bin ich auch, anderes als viele Rabbiner, in der Synagoge und im Gottesdienst aktiv. Diese Tätigkeit gehört jedoch nicht zum verbindlichen Pflichtprogramm eines Rabbiners, der ja, wie bereits gesagt, vor allem ein Lehrer sein soll. Wer sich mit dem Judentum beschäftigt, sieht sich einem äußerst vielschichtigen Miteinander von mündlicher und schriftlicher Tradition, unterschiedlichen Strömungen und Auslegungstraditionen gegenüber. Warum ist das alles so kompliziert? Um diese Frage zu beantworten, muss ich 4000 Jahre geschichtlicher Entwicklung in drei Ob das karnevalistisch anmutende Purimtreiben auf den christlichen Fasching abgefärbt oder diesen nachgeahmt hat, lässt sich nicht erschließen. 8. Jüdisches Leben in München: „Fang einfach an, und der Rest wird kommen!“ Steven Langnas ist Gemeinderabbiner der Israelitisch Kultusgemeinde München und Oberbayern und zudem Vorstandsmitglied der Europäischen Rabbinerkonferenz. Er wurde 1956 geboren und studierte an der Yeshiwa-Universität in New York. Bevor er 1998 nach München kam, lebte Steven Langnas acht Jahre in Basel. Schulfernsehen online: Herr Langnas, was ist eigentlich ein Gemeinderabbiner und welche Aufgaben hat er? Steven Langnas: Vielleicht sollte man besser fragen, was ein Rabbiner ist. Wir Rabbiner werden ja © Bayerischer Rundfunk Minuten pressen. Zum einen ist das Judentum nicht bloß eine Religion, sondern ein Lebensstil, der unser Dasein vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang und von der Wiege bis zum Sarg bestimmt. Weil das Judentum jeden Aspekt unseres Lebens berührt, gibt es eine Menge von Verhaltensvorschriften. Die Grundlage dafür legen die fünf Bücher Mose, die wir Thora nennen. Wir glauben aber fest daran, dass Moses mit der schriftlichen Thora am Berg Sinai von Gott auch eine mündliche Ergänzung bekommen hat. Wie diese mündliche 11 Schulfernsehen und die schriftliche Thora zusammenhängen, lässt sich am Besten an einem Beispiel zeigen. So steht etwa in der der schriftlichen Thora, dass wir sieben Tage in einer Sukka, in einer Laubhütte, sitzen sollen. Aber nirgendwo in der schriftlichen Thora ist zu lesen, wie eine Sukka aussehen soll. Diesen wichtigen Punkt klärt die mündliche Thora. Sie lässt uns wissen, wie wir das göttliche Gebot im Alltag erfüllen. Beide Überlieferungen gehören also unbedingt zusammen und haben in dieser gegenseitigen Erhellung unser Leben geprägt. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 durch die Römer erlosch der jüdische Staat, die Juden wurden aus Palästina vertrieben. Damals befürchteten die Rabbiner dass die mündliche Überlieferung in Vergessenheit geraten könnte. Also beschlossen sie, die mündliche Thora aufzuschreiben. Dazu nutzten sie eine Art Telegrammstil, der in seiner Verkürzung nicht mehr ohne eingehendes Studium lesbar ist. Um diese als Mischna bezeichnete Niederschrift der mündlichen Tradition zu verstehen, braucht man einen Studienpartner und einen Lehrer, der die Tradition kennt und erklären kann, worum es geht. Dazu kommt, dass die beiden Hauptstränge durch zahlreiche erklärende Traktate und Gesetzbücher ergänzt werden die in ihrer Summe klar und prägnant vorschreiben, was man zu tun und was man zu lassen hat. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird vielleicht verständlich, warum das Judentum eine sehr lebendige, aber eben auch erklärungs-, auslegungsund diskussionsintensive Religion ist. Und bis vor rund 200 Jahren war die Sache damit auch relativ klar. Es gab nur Juden und nur ein Judentum, es gab keine Liberalen, keine Orthodoxen, keine anderen Strömungen. Mit der Aufklärung, der Befreiung aus den Ghettos und der Gewährung von Zivilrechten änderte sich alles. Infolge dieser Umwälzungen brachen im Judentum einige große Fragen auf: Wie weit wollten und sollten wir uns an der Kultur unserer Gastländer beteiligen, wie weit wollten und sollten wir uns als Juden oder als Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier und so weiter identifizieren? Auf diese Fragen fanden unterschiedliche Gruppen © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen sehr unterschiedliche Antworten. Dabei schälten sich zwei extreme Positionen heraus: Zum einen gab es Juden, die nichts ändern und weiterhin so wie im Ghetto leben wollten. Am anderen Ende des Spektrums gab es Juden, die keinen Sinn darin sahen, am Judentum festzuhalten und dafür plädierten, Christen zu werden. Dazwischen gab es zwei mittlere Positionen. Eine sprach sich dafür aus, dass wir zwar jüdisch bleiben, uns aber dennoch an den Zeitgeist und die Umwelt anpassen sollten. Diese Gruppe, die man heute Reformjudentum nennt, hat eine umfassende Anpassungstheologie entwickelt. Im Kern steht die Auffassung, dass die Gesetze nicht von Gott, sondern von den Menschen kommen. Und was von den Menschen kommt, können andere Menschen ändern. Damit betont diese liberale reformierte Richtung die ethisch-moralischen aber nicht die rituellen Vorschriften des Judentums. Die vierte Strömung schließlich, der auch ich angehöre, sagt: Wir wollen jüdisch bleiben, wir wollen religiös bleiben aber wir wollen auch soweit an der Gastgeberkultur teilnehmen, solange es nicht im Konflikt mit unseren Gesetzen steht. Diese maßgeblich vom Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch im 19. Jahrhundert entwickelte Strömung benutze ich für mich persönlich und für meine Gemeindemitglieder als Wegweiser. Sie zeigt, dass es möglich ist, hier in Deutschland im 21. Jahrhundert zu leben und an sehr vielen Aspekten der hiesigen Kultur teilzunehmen, aber dennoch ein religiöser Jude zu bleiben. Und was ist der religiöse Kern dieses von Ihnen skizzierten Judentums? Erstens der monotheistische Glaube an den einen einzigen Gott und Schöpfer. Zweitens der Glaube, dass die fünf Bücher Mose und die Gesetze von Gott gegeben und daher ewig und unveränderlich sind. Drittens die Verpflichtung, nach diesen von Gott offenbarten Gesetzen zu leben und sie einzuhalten. Das erweckt den Eindruck, als sei das Befolgen des Gesetzes und nicht der Glaube die entscheidende menschliche Haltung gegenüber Gott. Trifft das zu? Jein. Das Judentum ist sicherlich eine Religion des Gesetzes. Aber warum? Weil wir überzeugt sind, dass unser Tun auch unsere Seele formt. Lassen Sie mich dazu eine Geschichte erzählen: Da ist eine Frau, die eine kranke Tochter hat. Und diese Tochter braucht eine Operation, die ihre Mutter selber nicht bezahlen kann. Daher spricht die Frau zwei wohlha12 Schulfernsehen bende Männer an. Einer hört ihre Geschichte, ist voller Mitleid und beginnt zu weinen. Er steckt seine Hand in die Tasche, holt einen Schein heraus und gibt ihn der Frau. Es ist ein 5-Euro-Schein. Der andere hat keine Zeit zuzuhören. Er hat vollauf mit seinen Geschäften zu tun und ist in Eile. Aber auch er steckt seine Hand in die Tasche, holt einen Schein heraus und gibt ihn der Frau. Es ist ein 500-EuroSchein. Wer ist der bessere Mensch? Der voller Tränen und Mitgefühl zugehört, aber nur fünf Euro gespendet hat. Oder doch der, der nicht zugehört, dafür aber 500 Euro gespendet hat? Sagen Sie´s mir! Nein, Sie müssen antworten. Na ja, wenn man an das Scherflein der armen Witwe im Neuen Testament denkt, die weniger, aber dafür von Herzen gibt… Stopp, darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass der Euro eines Armen mehr Gewicht hätte als 1000 Euro eines Reichen. Wir reden von wohlhabenden Männern, die beide gleich reich sind und gleich viel geben können. So gesehen, sind die 500 Euro des Eiligen natürlich mehr. Und damit wäre er dann auch der bessere Mensch. O.k. Und das ist es, was wir glauben. Wenn wir nur immer warten, bis unser Herz oder unsere Seele sich zur Tat aufschwingt, bleiben die Armen arm und Wohltätigkeitseinrichtungen gehen pleite. Die Hauptsache ist doch, dass man etwas tut. Dann darf man auch hoffen, dass das Herz und die Seele mit den Taten wachsen. Aber wie kann das Befolgen eines Gesetzes die Seele prägen? Wir sind beispielweise dazu verpflichtet, dreimal täglich zu beten, nämlich morgens, nachmittags und abends. Nun sagen manche Leute, sie könnten erst beten, wenn sie inspiriert sind. Das Judentum aber sagt: Fang an zu beten, und die Inspiration wird kommen! Das Handeln schafft den Raum und die Gelegenheit, der Körper zieht die Seele mit sich, das Tun überwindet die Trägheit der Seele. Das ist umso wichtiger, je schwerer es uns ankommt, eine Aufgabe zu erledigen oder einem Gebot zu gehorchen. Aber wenn wir angefangen haben, kommt die Inspiration meist von alleine. Das habe ich selbst oft erlebt. Als ich in meiner Jugend einige Jahre Gesangsstunden nahm, fiel es mir nach der Arbeit oft schwer, am Abend noch zu meiner sehr betagten Lehrerin zu gehen. Ich war einfach nur müde und absolut nicht inspiriert. Aber immer wenn ich dann © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen doch dort war, ging ich als anderer Mensch nach Hause. Es hat meinem Körper, meinem Geist und meiner Seele jedes Mal gut getan, zu singen. Aber zuvor musste ich einen Anfang machen, damit sich dieses Gefühl schließlich einstellen konnte. Darum geht es, und darum sagt das Judentum: Fang an, und der Rest wird kommen. Fang an, das Gesetz zu befolgen, dann schwingt die Seele sich auf. Heißt das, Gutes zu tun, reinigt die Seele? Ich würde sagen, Gutes zu tun, macht uns zu guten Menschen. Es ist sehr schwierig, ständig Gutes zu tun und dabei im Herzen ein böser Mensch zu bleiben. Wer lediglich gute Gedanken hat, die er nicht ausführt, hat es hingegen schwer, ein guter Mensch zu bleiben. Das traditionelle Christentum beschreibt Leib und Seele oft als Gegensätze. Im Judentum erscheinen sie dagegen sehr eng miteinander verbunden. Täuscht dieser Eindruck? Nein, das trifft zu. Für uns bilden Körper, Seele und Geist eine Einheit. Das können Sie auch am Beispiel der Speisevorschriften sehen. Sicher könnte man sagen, diese Speisevorschriften seien bloße Rituale, die mit Seele und Geist nichts zu schaffen haben. Aber schon der große Philosoph Maimonides sagte: Man ist, was man isst. Die Speisen, die wir zu uns nehmen, wirken sich nicht nur auf den Körper aus. Sie machen uns bewusst, dass Gott unser Leben vollständig durchdringt, dass es keinen Aspekt unseres Lebens gibt, der ihm entzogen wäre. Demnach erschöpft sich das Judentum also nicht in einem rein äußerlichen Erfüllen des Gesetzes und der Vorschriften? Nein, diese Sicht wäre ein Missverständnis. Das Judentum ist sicher sehr praktisch orientiert. Aber man muss auch versuchen zu entdecken, was dahinter liegt. Wer dazu bereit ist, kann große Schönheit finden. Und worin besteht diese Schönheit? Was ich als Schönheit des Judentums erfahre, knüpft unmittelbar an das an, worüber wir bislang gesprochen haben. Nehmen wir beispielsweise den Schabbat, den Ruhetag vom Freitagabend bis Samstagnacht. Viele Menschen, Juden und Nichtjuden, halten den Schabbat für einen sehr strengen Tag. Man darf kein Licht einschalten, man darf nicht ins Kino gehen, 13 Schulfernsehen nicht kochen, nicht einkaufen, man darf nicht mit der U-Bahn oder dem Auto fahren, man darf nicht, man darf nicht, man darf nicht. Aber warum darf man nicht? Weil man so die Chance hat, etwas Wichtiges zu erfahren. Weil man erstens erkennen soll, dass der liebe Gott unser aller Schöpfer ist, und dass alle die Fähigkeiten und Talente, die wir Menschen haben, von ihm kommen. Und zweitens kann man diesen Ruhetag nicht wirklich genießen, wenn es keine strengen Gesetze gibt, die uns die Arbeit verbieten. Erst diese Gesetze schaffen die Möglichkeit, die Arbeit ruhen zu lassen, und erst dadurch können wir die Schönheit des Schabbat auskosten. Doch worin besteht nun diese Schönheit? Zum einen darin, dass sich die Familie Zeit nimmt, gemeinsam drei feierliche Mahlzeiten einzunehmen. Wie oft essen Familien während der Woche miteinander? Immer seltener! Und wer bringt es unter der Woche fertig, ein klingelndes Telefon zu ignorieren? Viele Leute können es nicht, aber am Schabbat müssen sie es können. Wie viele Leute schaffen es unter der Woche, auf den Fernseher zu verzichten, um ganz für die Familie da zu sein? Am Schabbat müssen sie es können. Wenn wir den Schabbat einhalten, sind wir also in einem positiven Sinn gezwungen, die schönen und wirklich reichen Aspekte des Lebens zu berücksichtigen. Dazu gehören neben den leiblichen auch die geistigen Dinge: Am Schabbat sind die Gottesdienste länger, man verbringt mehr Zeit in der Synagoge, man hat Zeit, sich mit den biblischen Texten zu beschäftigen. Alles in allem hat dieser Ruhetag so viele schöne Aspekte, die wir auskosten können, weil das Schabbatgebot die nötige Voraussetzung schafft. Dieser Tag zwingt uns zum Innehalten. Damit öffnet er uns die Augen für das Wesentliche: Die Begegnung mit der Familie, die Begegnung mit Gott. Daher ist es kein Wunder, dass mir immer wieder gerade Christen sagen, wie sehr sie uns um diesen strengen Ruhetag beneiden. Und das ist es, was ich meiner Gemeinde zu vermitteln versuche. Auch unter unseren Gemeindemitgliedern gibt es viele, denen die Aspekte und die Potenziale unseres Ruhetages noch nicht wirklich aufgegangen sind. Diese Gemeindemitglieder laden wir ein, am Freitagabend mit uns zu essen und an den Tischliedern, an den Gebeten, am Lichterglanz und an der erhebenden Atmosphäre teilzuhaben. Das Judentum, und das wollen wir zeigen, ist etwas Lebendiges und sehr Schönes, wenn man es nur zulässt. Soziale Kontakte, das Nachdenken, das Innewerden Gottes und die Familie sind also zentrale Momente, in denen die Schönheit des Judentums erfahrbar wird? © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Ja, das gehört dazu. Aber es geht um mehr, es geht auch um Spiritualität. Heutzutage gibt es vermehrt eine große Sehnsucht nach Spiritualität. Dabei unterliegen die meisten Leute meines Erachtens einem großen Irrtum. Sie glauben, Spiritualität hieße, etwas zu bekommen. Das Judentum sagt etwas anderes, nämlich: Wenn du Spiritualität erleben möchtest, musst du geben. Das müssen Sie näher erklären! Du musst geben bedeutet, anderen Menschen zu helfen. Du musst geben, indem du die Gesetze mit deiner Zeit, deiner Energie, deinem Intellekt, deinem Körper erfüllst, damit du etwas zurückbekommst. Das macht Mühe. Aber nur wenn du dich dieser Mühe unterziehst, wirst du jene Spiritualität erleben, die das Judentum anbietet. Was ich damit meine, kann ich vielleicht durch ein persönliches Beispiel veranschaulichen. Ich komme aus New York, und dort gibt es eine Familie, mit der wir so eng befreundet sind, dass ich die Großmutter dieser Familie Oma nannte. Diese Dame, sie wurde übrigens in Deutschland geboren, erreichte ein Alter von 101 Jahren. Als sie 90 wurde, habe sie angerufen, um ihr zu gratulieren. „Omi, wie hast du diesen Tag gefeiert“, fragte ich. Und sie sagte: „Ich bin im Altersheim gewesen, um den alten Leuten dort Essen auszuteilen“. Statt sich feiern zu lassen, hat sie also etwas getan, um anderen zu helfen. Und das hat ihr eine geistige Befriedigung auf verschiedensten Ebenen gegeben. Genau so kommen wir vom richtigen Tun zum richtigen Leben, vom Körper zur Seele. Das ist unsere Art, Spiritualität zu leben und sicher auch eine der Schönheiten des Judentums. Gilt diese enge Verschränkung von Lebensstil und Religion, von konkretem Tun und geistiger Erfahrung auch für Pessach, das bekannteste jüdische Fest? Ja, unbedingt. Mit diesem Fest feiern wir eine Woche lang die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei und Gefangenschaft. Und in dieser Woche gelten noch strengere Vorschriften als im restlichen Jahr. Man muss das Haus putzen und dafür sorgen, dass alles, was mit Brot oder Gesäuertem zu tun hat, daraus entfernt ist. Man muss das Geschirr wechseln, man muss das Besteck wechseln, man muss verschiedene Sachen, die während des Jahres koscher sind, nochmals koscher machen. Das ist sehr anstrengend. Aber gerade weil Pessach solche Mühe macht, sind diese Feiertage etwas ganz 14 Schulfernsehen besonderes und darum so wertvoll. Das Schönste sind sicherlich die beiden Sederabende zu Beginn der Festwoche. Der Tisch ist festlich gedeckt, die Familie und Freunde sind versammelt, Kerzen brennen und werfen ihren Glanz über Porzellan und Silberbesteck, das wir nur an diesen Abenden benutzen. Aber Seder ist eben mehr als ein gemütliches Beisammensein. Seder heißt, dass wir den Ausgang aus Ägypten nacherleben durch symbolische Speisen, die wir essen, und durch Geschichten oder die Lieder, die von diesem Ereignis handeln. Dabei stellt sich eine Atmosphäre ein, die jedem, der sie einmal erlebt, unvergesslich bleibt. Das empfinden nicht nur fromme, sondern auch weniger oder nicht fromme Juden, die vielleicht unterm Jahr kaum den Glauben praktizieren. Sie alle brauchen den Pessach-Seder für ihre Seele. Kann man sagen, dass Geschichte und die gemeinsame, immer wieder neu erlebte Erinnerung dieser Geschichte bei allen jüdischen Festen eine dominante Rolle spielen? Ja, das stimmt. Ein großer Teil unserer Feste ist im Grunde ein kollektives Erinnern, ein Gedenken an unsere Geschichte mit Gott und aller Heilstaten, die er im Lauf dieser Geschichte an uns gewirkt hat. Der Auszug aus Ägypten ist sicherlich ein zentrales Ereignis, weil er uns zum Volk gemacht hat. Und wir erinnern uns auch an die Schenkung der Thora am Berg Sinai, an die Zeit der Wüstenwanderung, an verschiedene Ereignisse aus der Zeit Davids und Salomos. Aber nicht alle Festtage sind so heiter wie Pessach. Manche stehen im Zeichen der Trauer und Klage. So etwa der neunte Tag des jüdischen Monats Aw, an dem wir die die Zerstörung des Tempels beweinen. An diesem Tag sitzen wir auf dem Boden, fasten und weinen. Eine Geschichte erzählt, dass Napoleon einst an diesem Trauertag durch Paris ging und sah, wie Juden in einer Synagoge auf dem Boden saßen, weinten und Klagelieder sangen. Als er fragte, was dies zu bedeuten hätte, erläuterte man ihm die Bewandtnis dieses Tages und das Gebaren der Leute. Darauf meinte Napoleon, dass ein Volk, das den Verlust seines Tempels auch nach 2000 noch immer betrauert, ihn eines Tages zurückbekommen werde. Vielleicht hilft ja diese Anekdote, den Charakter unserer Fest- und Feiertage zu erklären. Demnach sind gemeinsames Erleben und ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit die prägenden Elemente des Judentums? Ich denke schon. Für mich ist das Judentum eine sehr lebensbejahende, auf den Mitmenschen bedachte Religion, die ihren tiefsten Ausdruck in der Gemeinschaft und zuletzt im engsten Familienkreis findet. Daher beten wir auch im Gottesdienst nicht © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen nur für uns selbst, sondern stets auch füreinander. Ein Beispiel dafür ist der Versöhnungstag Jom Kippur. An diesem Feiertag beichten wir unsere Sünden. Aber nicht im Sinne einer individuellen Ohrenbeichte wie sie die katholische Kirche kennt, sondern gemeinsam als umfassendes Sündenbekenntnis, das eine große Zahl allgemeiner Vergehen einschließt. Wir beichten also auch Sünden, die wir vielleicht individuell gar nicht begangen haben. Warum tun wir das? Weil wir als Volk, als sündige Menschheit gemeinsam vor dem Einen und Einzigen stehen und um Verzeihung bitten. Vielleicht habe ich mich ja selbst nicht versündigt, aber möglicherweise hat sich mein Nachbar gegen Gott vergangen. Das bringt die Gemeinschaft näher zusammen und näher zu Gott. Eine wichtige Schnittstelle für dieses Miteinander vor Gott ist sicher die Synagoge? Ja, die Synagoge ist definitiv eine zentrale jüdi- sche Einrichtung. Sie ist das Gotteshaus, wo wir zusammenkommen, um zu beten und zu lernen. Natürlich ist Gott überall, aber vielleicht sind wir ihm dort näher als anderswo. Denn wenn wir eine Synagoge betreten, betreten wir sie in der Absicht zu beten und die Nähe Gottes zu erfahren. Unterscheidet sich das jüdische Gebet vom christlichen Gebet? Ja und nein. Vielleicht kann ich erst einmal etwas dazu sagen, wie wir Juden beten. Viele Menschen glauben, dass beten nur bitten und danken bedeutet. Das Judentum hat eine andere Ansicht. Wir bitten und danken auch, aber der Zweck unseres Betens besteht zusätzlich darin, mit den Idealen und Ideen des Judentums in Kontakt zu kommen. Wie die Feiertage im Jahreslauf vermitteln uns auch die täglichen Gebete immer wieder die besonderen Lehrinhalte und das Wesen des Judentums. Sie krei15 Schulfernsehen sen immer wieder um zentrale Punkte jüdischer Identität: unsere Beziehung zu Gott, unsere Tradition, unsere Gesetze, die Pflichten des Menschen. Wenn Sie so wollen, rekapitulieren wir mit jedem Gebet einen bestimmten Teil unseres Wertekanons. Es geht also nicht nur um die individuelle, ganz persönliche Zwiesprache mit dem Schöpfer, sondern eine andauernde Selbstvergewisserung, um ein permanentes Festigen unserer Ansichten vom Wesen Gottes und den Pflichten seiner Geschöpfe. Gibt es im jüdischen Gottesdienst eine geregelte liturgische Ordnung? Klar. Wir feiern täglich drei Gottesdienste, die einer sehr umfangreichen und ausdifferenzierten Liturgie folgen. Im Zentrum steht dabei das gemeinsame Lesen der Thora und eines Abschnittes aus den Propheten. Dazu kommen feste Gebete, die jeden Tag morgens, nachmittags und abends gebetet werden. Am Schabbat sowie an den jeweiligen Festund Feiertagen sind darüber hinaus spezielle Feiertagsgebete vorgesehen, die alleine neun stattliche Bände füllen. All diese Gebete werden teilweise laut gesprochen und mitgesungen oder abwechselnd mit dem Vorbeter rezitiert beziehungsweise gesungen. Wer nicht in den Gottesdienst kommen kann, ist trotzdem verpflichtet zu beten. Auf alle Fälle obligatorisch sind die Tischgebete vor und nach dem Essen. Für die Feiertage gibt es darüber hinaus eine Reihe besonderer Gebete und Tischlieder, die die Bedeutung des jeweiligen Tages erläutern. Schulfernsehen Können auch Nichtjuden einen jüdischen Gottesdienst besuchen? Sicher, aber nur mit Anmeldung. Zumindest hier in München müssen wir das so halten. Anders könnten wir den Andrang der vielen Menschen, die unsere neue schöne Synagoge im Herzen der Stadt besuchen möchten, gar nicht bewältigen. Ohne diese Regelung hätten wir mehr Besucher als Betende, und das wollen wir vermeiden. Grundsätzlich ist jeder willkommen, aber man muss Geduld mitbringen. Steckt hinter dieser Regelung nicht auch ein Sicherheitsproblem? Ja, leider, das auch. Wir müssen leider sehr vorsichtig sein, weil der Judenhass noch immer in einigen Köpfen spukt. In einer Rede sagte Paul Spiegel, der im April 2006 verstorbene Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Nie- Welche Funktion hat der Rabbiner im Gottesdienst? Eigentlich gar keine. Ein jüdischer Gottesdienst kann, muss aber nicht von einem Rabbiner geführt werden. Die einzige Voraussetzung ist die Anwesenheit von zehn erwachsenen männlichen Juden. Dieses Quorum nennen wir Minjan. Jedes erwachsene Mitglied der Gemeinde, das gut lesen kann und die für diesen Feiertag reservierten speziellen Melodien kennt, kann einen Gottesdienst leiten. Manche Synagogen haben zusätzlich einen Kantor, also einen Vorsänger oder Vorbeter, der den Gottesdienst leitet und durch seinen Gesang die Gebete interpretiert. Eine priesterliche oder religiös autoritative Funktion hat der Kantor allerdings nicht. In welcher Sprache findet der Gottesdienst statt? Die Sprache der Lesungen und Gebete ist Hebräisch. Wir nicht hebräisch kann, findet den Text in phonetischer Umschrift sowie Übersetzungen und Kommentare, damit er jederzeit laut oder stumm mitbeten bzw. mitsingen kann. © Bayerischer Rundfunk mand wird den Schatten der Vergangenheit restlos vertreiben können, aber der Holocaust markiert nicht das Ende der deutschjüdischen Geschichte!“ Ist das realistisch oder eher Wunschdenken? Ich bin nur ein Rabbiner, ich bin kein Prophet. Ich kann nicht wissen, was die Zukunft bringt. Ich sehe einerseits viel Positives, viel Akzeptanz, viel Neugier, Freude sogar. Aber ich sehe auch Antisemitismus und Boshaftigkeit. Das ist immer noch vorhanden, und welche Kräfte am Ende gewinnen werden, kann ich nicht sagen. Ich hoffe selbstverständlich, dass wir eine Zukunft in Deutschland haben. Die Juden haben vor der Nazizeit schon tausend Jahre hier gelebt. Man sprach über ein deutsches Judentum, und wir versuchen, es zurückzubringen. Aber was die Zukunft bringt, liegt allein in Gottes Händen. 16 Schulfernsehen 9. Abriss der jüdischen Geschichte von der Zeit Abrahams bis zum Beginn der Diaspora Für den geschichtlichen Raum, in dem sich die in der Bibel berichteten Ereignisse zutragen, macht der römische Kaiser Hadrian (76-138 n. Chr.) die Bezeichnung Palästina gebräuchlich. Die damit beschriebenen Grenzen sind aufgrund der wechselvollen Geschichte unscharf und umschließen im Allgemeinen alles vorderasiatische Land vom Libanon im Norden bis zum Golf von Eilat im Süden. Die Westgrenze ist durch das Mittelmeer, die Ostgrenze durch die Gebirge östlich des Jordans gezogen. Der Name selbst geht zurück auf das nicht-jüdische Volk der Philister, die ab etwa 1200 v. Chr. einen schmalen Küstenstreifen im Gebiet oberhalb des heutigen Gaza besiedeln und im Laufe der Zeit in die östlich gelegenen Bergregionen vordringen. Die im Alten Testament gebräuchliche Bezeichnung für Palästina lautet Kanaan. Sie steht für ein Gebiet mit vagen Grenzen, das sich im Wesentlichen von Dan im Norden bis Beersheba im Süden sowie vom Jordan bis zur Küste erstreckt. Israel ist die im Alten Testament gewöhnliche kollektive Selbstbezeichnung für jene Stämme, die aus den Söhnen des Erzvaters (Patriarchen) Jakob hervorgehen und sich als auserwähltes Volk Gottes begreifen. Der Name leitet sich vom Beinamen Jakobs her, den er seit seinem im Buch Genesis (Gen 32,26-29) erzählten Kampf mit Gott trägt. Der Name bedeutet je nach Lesart "der mit Gott kämpft" oder "(der, für den) Gott streitet". Im Laufe der Zeit geht der zuerst für die kultisch und religiös als zusammengehörig betrachteten Siedler auf die von ihnen bewohnten Gebiete über; aus dem Volk Israels wird das Land Israel. Als politischer Begriff, der ein bestimmtes Territorium beschreibt, wird Israel mit dem Königtum Davids über die zehn Nordstämme (Nordreich) fassbar. Dennoch bleibt die Bezeichnung auch in der Folgezeit unscharf. Judäa, Galiläa, Samaria sowie Idumäa beschreiben in erster Linie geographisch nicht klar umrissene historische Landschaften im israelitisch-jüdischen Siedlungsgebiet. Als politische geschlossene Territorien bzw. Verwaltungsbezirke erscheinen sie erst mit dem Beginn der römischen Herrschaft und der Errichtung der Tetrarchien unter Octavian Augustus. Der Begriff Judäa ist zunächst die bei Griechen und Römern gebräuchliche Bezeichnung für das von Juden bewohnte Gebiet des ehemaligen Südreichs Juda oder für Palästina schlechthin. In der Makkabäerzeit bezeichnet der Name sehr häufig das Territorium des Hasmonäerreichs. Unter Herodes ist Judäa der Name des ihm unterstellten Herrschaftsbe© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen reichs. Von 6 n. Chr. bis 41 n. Chr. ist Judäa der von römischen Statthaltern verwaltete Teil der Provinz Syrien. Die historische Landschaft Galiläa zwischen dem oberen Jordantal und dem Mittelmeer wird 39 n. Chr. Teil der römischen Provinz Syrien. 9.1 Die Geschichte der Volkwerdung Israels Die Darstellung der Vorgeschichte Israels und der Zeit der ersten Besiedlung beruht zum einen auf den Berichten des Alten Testaments, zum andern auf nicht-biblischen Schrift- und Sachzeugnissen. Für die Zeit bis 1000 v. Chr. müssen die Berichte des Alten Testaments hinsichtlich ihrer historischen Belastbarkeit mit größter Vorsicht betrachtet werden. Als Dokumente der Heilsgeschichte Israels haben sie ihren Zweck mehr in der Selbstfindung und Selbstvergewisserung des auserwählten Volkes und seines Bundes mit Gott denn in exakter Chronologie und Überprüfbarkeit. Deshalb besteht die Aufgabe der Geschichtswissenschaft darin, die im Alten Testament enthaltenen und historisch verwertbaren Überlieferungskerne von den zweckgerichteten literarischen Umformungen späterer Zeit zu unterscheiden. Am Beginn der jüdischen Geschichte steht gemäß biblischer Überlieferung der Stammvater Abraham. Er zieht aus Ur in Chaldäa nach Haran, das zwischen Euphrat und Tigris nahe der heutigen syrisch-türkischen Grenze liegt. Dort befiehlt ihm Gott, nach Kanaan zu ziehen. Dieses Land, in dem "Milch und Honig fließen", ist Jahwes "ewiges Geschenk" an Abraham und all seine Nachkommen (Gen 13). Abraham gehorcht und schließt den ersten Bund mit Gott. Sein Sohn Isaak hat zwei Söhne, Esau und Jakob. Als Älterer der beiden hat Esau Anspruch auf den Erstgeburtssegen, der ihn in die Rechte seines Vaters einsetzt und zum Führer der Sippe macht. Jakob erschleicht sich diesen Segen, der in seiner Gültigkeit nicht mehr rückgängig zu machen ist. Aus Furcht vor dem Zorn seines Bruders flieht Jakob nach Haran, wo er zwanzig Jahre bleibt und eine große Zahl an Nachkommen zeugt. Schließlich macht er sich auf, um mit seinen Söhnen nach Kanaan heimzukehren. In der Nacht vor seinem Zusammentreffen mit Esau, der allen Groll begraben hat, ringt er mit einem Unbekannten. Als der Morgen anbricht, ist der Kampf noch immer nicht entschieden, obwohl Jakob an der Hüfte verwundet ist. Der Fremde bittet darum, gehen zu dürfen. "Aber Jakob antwortete: `Ich lasse 17 Schulfernsehen dich nicht, du segnest mich denn´. Er sprach: `Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: `Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und gewonnen." (Gen 32, 27-29). Jakob söhnt sich mit Esau aus und siedelt bei Sichem in Kanaan. Schließlich zwingt ihn eine schwere Hungersnot, mit seinen Söhnen nach Ägypten zu ziehen, wo sie 17 Jahre lang leben. Bevor er stirbt, segnet er seine zwölf Söhne, die zu den Ahnherren der zwölf Stämme Israels (Asser, Benjamin, Dan, Gad, Isachar, Josef (Efraim u. Manasse), Juda, Levi, Naftali, Ruben, Sebulon und Simeon) werden. Nachdem Jakob gestorben ist, geraten seine Söhne und deren Familien in große Bedrängnis. Ein neuer Pharao fürchtet, die Stärke und der Reichtum der hebräischen Siedler könnten seine Herrschaft gefährden. Daher zwingt er sie unter seine Knechtschaft und lässt sie Fronarbeit verrichten. Gott erbarmt sich über das Elend seines Volkes in Ägypten und wählt Moses zum Werkzeug der Errettung. Er trägt ihm auf, das Volk Israel nach Kanaan zu führen. Auf diesem vierzigjährigen Zug durch die Wüste ins gelobte Land erneuert Gott den Bund mit seinem auserwählten Volk. Am Berg Horeb empfängt Moses die Gesetzestafeln und damit die Grundlage des jüdischen Rechts- und Religionsverständnisses. (Ex 19, Ex 24,12-18 u. Ex 31,18) Damit wird der Exodus, der Auszug aus Ägypten, zu einem zentralen Element des jüdischen Glaubens und der Geschichte Israels. Zum Gedenken an die Rettung aus der ägyptischen Gefangenschaft feiern die Juden alljährlich das Pessachfest. Unter der Führung Josuas erobern die zwölf Stämme das "verheißene Land" in langen und blutigen Kriegen gegen die dort siedelnden Völker, Kleinkönige und Stadtstaaten der Kanaaniter und ihrer Nachbarn. Nach der erfolgreichen Einnahme verteilen Josua und der Priester Eleasar auf Geheiß Gottes die Gebiete unter den zwölf Stämmen Israels (Jos 13-20). 9.2 Vor- und Frühgeschichte Israels bis zur Errichtung der Königreiche Juda und Israel Die früheste belegbare Erwähnung einer als Israel bezeichneten Volksgruppe findet um 1220 v. Chr. auf einer Stele des ägyptischen Pharaos Merenptha um 1219 v. Chr. Vermutlich bereits vor dieser Zeit wandern hebräische Nomaden aus den östlich des Jordan gelegenen arabisch-syrischen Wüstengebieten ein. Archäologischen Funden zufolge siedeln sie zunächst abseits der kanaanitischen Stadtstaaten und vermeiden militärische Auseinandersetzungen mit ihren überlegenen Nachbarn. © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Erst in dieser Zeit der Sesshaftwerdung schließen sie sich zu größeren Verbänden und Stämmen zusammen. Die entscheidende politische Einheit dieser Landnahme ist der Stamm (Stammesgesellschaft), wobei sich die im Alten Testament genannten Zwölf Stämme wahrscheinlich erst mit dem Sesshaftwerden aus einer Vielzahl kleinerer Sippenverbände herausbilden. Die Führung des Stammes liegt in den Händen der Ältesten, worunter vermutlich die Häupter der einzelnen Sippen zu verstehen sind. Die Stämme roden urbares Land, betreiben Viehzucht und Ackerbau. Allmählich beginnen sie damit, kleinere befestigte Städte ihrer Nachbarn anzugreifen und ihre Siedlungsgebiete in Richtung der fruchtbaren Ebenen auszuweiten. Von einem Gesamtvolk Israel, wie es das Alte Testament immer wieder suggeriert, kann in dieser Zeit keine Rede sein. Die Stämme agieren eigenständig, das Gebiet ist in getrennte Siedlungseinheiten zersplittert. Auch der Exodus, den die biblische Rückschau zum zentralen Element der Volkwerdung stilisiert, kann nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keinesfalls eine Erfahrung des gesamten Volkes Israel, sondern allenfalls die einer kleinen Gruppe gewesen sein. Im Zuge der Ausweitung ihrer Siedlungsgebiete werden die israelitischen Stämme immer häufiger in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Die größte Gefahr droht ihnen von den waffentechnisch und organisatorisch überlegenen Philistern, die das Gebiet der JesreelEbene kontrollieren. Eine weitere Bedrohung erwuchs ihnen durch die Midianiter, ein Volk von Kamelreitern, die regelmäßig einfielen und israelitische Siedlungen plünderten. Um dieser Bedrohung zu widerstehen, sind die Stämme gezwungen, untereinander militärische Bündnisse zu schließen und bestimmen Saul aus dem Stamm Benjamin zum Heerkönig auf Zeit. Nach anfänglichen Erfolgen wird Saul von Philister geschlagen. Er stirbt auf dem Schlachtfeld, seine Truppen lösen sich auf. Da sich die Philister zum Gegenschlag sammeln, ist die Gefahr größer denn je. 9.3 Der Aufstieg Davids zum König über Juda und Israel (1005 - 965 v. Chr.) In dieser Bedrängnis dient sich David, ein Gefolgsmann Sauls, als Retter an. Er stammt aus Bethlehem und führt einen schlagkräftigen Trupp ihm ergebener Männer an. Obwohl Da18 Schulfernsehen vid das Geld zur Erhaltung seiner "Privatarmee" durch Schutzgelderpressungen aufbringt und als Gesetzloser gilt, sehen die Ältesten des Stammes Juda keine andere Wahl: Um das Jahr 1000 wählen sie ihn zum König über Juda. Wenig später salben ihn die Stämme des Nordens zum König über Israel. Damit entstehen im Nordreich Israel und im Südreich Juda zwei getrennte Königreiche, die bis 722 bzw. 538 v. Chr. fortdauern. David regiert beide Länder in Personalunion, ohne die staatliche Trennung je aufzuheben. Gestützt auf ein stehendes und durch Steuern finanziertes Heer unterwirft er zahlreiche Nachbarvölker, so dass er am Ende seiner rund vierzigjährigen Regentschaft über ein Territorium herrscht, das von der Grenze zu Ägypten bis an den Euphrat reicht. Das Zentrum der Doppelmonarchie ist Jerusalem, eine von den Jebusitern befestigte Stadt an der Grenze zwischen beiden Königreichen, die als uneinnehmbar gegolten hatte. David vertreibt die Jebusiter und lässt die Bundeslade mit den steinernen Gesetzestafel in seine Stadt holen. Da die Bundeslade als Gotteswohnung gilt, in der Jahwe inmitten seines Volkes anwesend ist, steigt Jerusalem zum kultischen Mittelpunkt des israelitischen Volkes auf. Dieser symbolischen Geste mitsamt ihren Ansprüchen und allen militärischen Erfolgen zum Trotz regt sich bereits unter David wiederholt Unmut gegen die fremde Institution des Königtums. Nach wie vor sind die einzelnen Stämme bestrebt, sich ihre Eigenständigkeit zu bewahren und zetteln wiederholt Aufstände an, die David gewaltsam niederschlägt. 9.4 Juda und Israel unter König Salomo (um 965 v. Chr. - 928 v. Chr.) Davids Sohn Salomo, der den Thron um 965 bestiegen haben dürfte, kann den Bestand der Doppelmonarchie für die Zeit seiner ebenfalls rund vierzig Jahre zählenden Herrschaft sichern. Anders als sein Vater verzichtet er auf den Versuch weiterer Gebietsgewinne und treibt stattdessen den inneren Ausbau voran. Zur Verwaltung beider nach wie vor eigenständigen Königreiche setzt er Beamte ein, denen ein oberster Priester vorsteht. Er baut Jerusalem weiter aus, verstärkt die Festungsanlagen und errichtet den Tempel als zentrales Heiligtum seiner Hofburg (1 Könige 6; 7,13-51). Obwohl es ihn gelingt, das von David ererbte Kernland der Doppelmonarchie zu halten, können sich an den Reichsrändern einige der eroberten Gebiete aus der israelitischen Oberherrschaft lösen. © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen 9.5 Die Königreiche Israel und Juda unter assyrischer Herrschaft (932 v. Chr. 612 v. Chr.) Bereits mit dem Tod Salomos zerbricht die Doppelmonarchie. Nachdem Salomos Sohn Rehabeam (932-916) in Jerusalem zum König in Juda ausgerufen wurde, zieht er nach Israel, um sich auch dort salben zu lassen. Als die zehn Nordstämme von ihm verlangen, die ihnen auferlegten Dienstleistungspflichten und Steuerlasten zu senken, zeigt sich Rehabeam unnachgiebig. Daraufhin erheben sich die Nordstämme gegen Rehabeam und wählen Jerobeam (932911 v. Chr.) zum König über Israel. Da die Macht des Südreichs Juda nicht ausreicht, um diesen Abfall militärisch zu verhindern, ist der Bruch besiegelt. Seither existieren mit dem Nordreich Israel, das den Namen des Gesamtvolkes trägt, und dem Südreich Juda, das den Namen des wichtigsten Stammes trägt, zwei selbständige Staaten. Das sowohl innen- als auch außenpolitisch stabilere Königreich Juda besteht bis 587 v. Chr. unter der Dynastie der Davididen, das in beiderlei Hinsicht weitaus instabilere Königreich Israel bis 722 v. Chr. unter wechselnden Geschlechtern. Auslöser für den Untergang der beiden jüdischen Königreiche ist das Vordringen der Assyrer, die in mehreren Expansionswellen zur beherrschenden Großmacht des Vorderen Orients aufsteigen. Bereits seit 841 ist Israel den Assyrern tributpflichtig, muss aber keine Gebiete abtreten und bleibt eigenständig. Das ändert sich 733 v. Chr. Nach einem misslungenen Befreiungsversuch Israels gliedert der Assyrerkönig Tiglatpilesar III. große Teile des Nordstaates seinem Reich ein und reduziert das eigenständige Territorium Israels auf ein Gebiet um die Königsstadt Samaria. Schließlich wagt Hosea, ein von den Assyrern eingesetzter König, 722 v.Chr. einen Aufstand, der blutig niedergeschlagen wird. Die Assyrer erobern nun auch Samaria, das sie in eine assyrische Provinz umwandeln. Um die neue Ordnung zu festigen, lässt der Assyrerkönig Sargon II. die israelistische Oberschicht deportieren und siedelt babylonische Bauern in den geräumten Gebieten an. Damit ist das Nordreich erloschen. Im Jahr 733 unterwirft sich Juda dem Assyrerkönig Tiglatpilesar III., um sich gegen Übergriffe Israels zu schützen. Schließlich versucht Kö19 Schulfernsehen nig Hiskias von Juda, die assyrische Oberherrschaft abzuschütteln und stellt die Tributzahlungen ein. Um 705 v. Chr. verbündet sich Juda mit Ägypten, Babylonien und einigen syrischen Kleinstaaten gehen Assur. Die Vergeltung bleibt nicht aus. Ab 701 v. Chr. schlägt der Assyrerkönig Sanherib zurück. Seine Truppen erobern das judäische Bergland, vernichten viele Städte und belagern zuletzt Jerusalem. Hiskias muss sich geschlagen geben und erkauft die Rettung der Stadt gegen einen immensen Tribut. Damit steht Juda nahezu ein Jahrhundert lang als Vasallenstaat unter assyrischer Oberherrschaft. 9.6 Beginn und Ende des Babylonischen Exils (587 v. Chr. - 537 v. Chr.) Zwischen 625 und 608 zerschlagen Meder und Chaldäer das assyrische Großreich; die Chaldäer begründen das bis 539 v. Chr. bestehende Neubabylonische Reich. Im Zuge dieses Machtwechsels geraten die Gebiete des einstigen Königreichs Israel und das nominell fortbestehende Königreich Juda unter babylonische Herrschaft. 604 v. Chr. besteigt Nebukadnezar II. den neubabylonischen Königsthron und tritt damit auch die Herrschaft über sämtliche ehemals assyrischen Provinzen an. Als er um 600 eine Niederlage in Ägypten erleidet, wähnt sich Juda stark genug, die Tributzahlungen zu einzustellen. Diese Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse leitet das Ende des Südreichs ein. 597 belagert Nebukadnezar Jerusalem und zwingt die Stadt zur Aufgabe. Die Königsfamilie und zahlreiche Adlige werden nach Babylon deportiert, Juda muss Gebiete abtreten bleibt aber dennoch als eigenständiges, wenn auch territorial geschrumpftes Königtum für weitere zehn Jahre erhalten. Das Ende naht 589, als der von Babylon eingesetzte König Zedekia erneut einen Aufstand gegen Babylon entfacht. Daraufhin marschieren Nebukadnezars Truppen in Juda ein und erobern schließlich nach achtzehnmonatiger Belagerung Jerusalem. Das Strafgericht Nebukadnezars ist gnadenlos: Er lässt die Stadt plündern, den Königspalast, die Befestigungsanlagen und die Mauern niederreißen. Tempel und Stadt gehen in Flammen auf, Zedekias Söhne werden abgeschlachtet, er selbst geblendet und in Ketten nach Babylon geführt. Mit ihm treten ein Großteil sowie zahlreiche Bauern den Weg in die Verbannung an. Nebukadnezar siedelt die Deportierten in geschlossenen Wohngebieten an, wodurch sie ihre kulturelle und religiöse Eigenständigkeit weitgehend bewahren können. In dieser Zeit des Babylonischen Exils © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen bilden sich wesentliche Elemente des Judentums als bewusste Abgrenzungshaltung und zur Sicherung der eigenen Identität heraus. Der stärker denn je betonte gemeinsame Glaube mit all seinen kultischen Vorschriften (Beschneidung , Speise- und Reinheitsvorschriften, Sabbathruhe) wird zum prägenden Moment der Selbsterfahrung. In regelmäßigen Zusammenkünften, die dem gemeinsamen Gebet und der religiösen Unterrichtung dienen, sieht die Forschung den Ursprung der späteren Synagoge als Versammlungs- Gebets- und Schulhaus begründet. Im Jahr 539 v. Chr. erobert Kyros II. Babylon und etabliert das neu entstandene Perserreich als tonangebende Großmacht im ehemals assyrischen Einflussgebiet. Damit sind die israelitischen Gebiete der persischen Provinz (Satrapie) Syrien eingegliedert und der Veraltung persischer Statthalter unterworfen. 538 erlässt Kyros ein Edikt, das den Deportierten die Rückkehr in ihre Heimat und die uneingeschränkte Ausübung ihres Glaubens freistellt. Gleichzeitig ordnet er den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels an. Die dafür nötigen Mittel trägt die königliche Kasse, zur Ausstattung sollen die von Nebukadnezar nach Babylon gebrachten Tempelgeräte nach Jerusalem geschafft werden. Die Rückkehr aus dem Exil und die Errichtung des zweiten Tempels Ab 537 brechen die ersten Exilanten auf, doch erst um 520 scheint der Rückführungsprozess so weit abgeschlossen zu sein, dass der Neubau des Tempels beginnen und 515 mit der Weihe vollendet werden kann. Er besteht mehr als 500 Jahre lang bis zur Neuerrichtung des Tempels durch Herodes den Großen als zentrales Heiligtum der Juden in aller Welt. Mit der Rückkehr aus dem Exil und der Errichtung des 2. Tempels gelangt das Amt des Hohenpriesters zu neuen Würden. Während der Monarchie war es dem König als Herrn des Tempels vorbehalten gewesen, den Hohenpriester ein- oder abzusetzen. Da die Perser das jüdische Königtum nicht erneuern, übernimmt der Hohepriester die Funktion eines geistigen und zunehmend auch politischen Führers der jüdischen Gemeinschaft. Er ist das Haupt der Priesterschaft, Herr des Tempels und des Kultes und vertritt das Volk gegenüber Jahwe. 20 Schulfernsehen 9.7 Palästina unter ptolemäischer und seleukidischer Herrschaft (332 v. Chr. - 141 v. Chr.) 333 v. Chr. schlägt Alexander der Große die Perser ein erstes Mal bei Issos und erobert auf seinem Zug nach Ägypten die syrisch-palästinische Küste. 332 hat er die unter persischer Oberhoheit stehende Provinz Ägypten erobert, lässt sich zum Pharao krönen und stellt das Land unter makedonische Finanzverwaltung. Nach dem plötzlichen Tod Alexanders am 10. Juni 323 kämpfen seine Nachfolger (griech. Diadochen) mehr als ein halbes Jahrhundert um die Vormacht in den eroberten Gebieten (Diadochenkämpfe). Ptolemaios I. Soter, dem Alexander die Satrapie (Provinz) Ägypten übertragen hatte, nimmt um 305/304 v. Chr. den Königstitel an und gründet das bis 30 v. Chr. bestehende, hellenistisch geprägte Ptolemäereich. In nächster Nachbarschaft begründet der Mazedonier Seleukos Nikator, ebenfalls ein Feldherr Alexanders des Großen, um 312 das nach ihm benannte hellenistisch geprägte Seleukidenreich. Es umfasst die Satrapie Babylonien mit Syrien und Kleinasien. In der Folge entbrennt zwischen beiden Dynastien ein Kampf um die umstrittene Zugehörigkeit Palästinas, das nach teils verheerenden kriegerischen Auseinandersetzung um 301 v. Chr. ein Jahrhundert lang unter die Herrschaft der Ptolemäer fällt. Im Laufe dieser Epoche bildet sich mit dem Ältestenerat (Gerusia) ein Organ der religiös-kultischen Selbstverwaltung aus, aus dem sich das spätere Synhedrium (hebr. Sanhedrin) entwickelt. Das Finanzsystem basiert auf dem Prinzip der Steuerpacht. Dabei überträgt der ptolemäische Staat das Recht des Steuereinzugs auf Mitglieder der jüdischen Oberschicht, die den geforderten Betrag zunächst vorfinanzieren und anschließend mit Gewinn bei ihren Landsleuten eintreiben. 9.8 Die Herrschaft der Seleukiden (198 v. Chr. - v. Chr. 141 v. Chr.) Im Jahr 198 v. Chr. bringt der Seleukidenkönig Antiochus III. (223-187 v. Chr.) Palästina unter seine Gewalt und drängt die ägyptischen Ptolemäer zurück. Er unterstützt den Ausbau des Tempelbezirks, senkt die Steuerlast und stellt den Jahwe-Kult unter seinen Schutz. Die jüdische Oberschicht kooperiert mit den Seleukiden und adapiert deren hellenistische Lebensweise. Das anfangs gedeihliche Miteinander endet abrupt, als Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.) die © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Herrschaft antritt. Sein Versuch, den Einfluss des Judentums zugunsten eines einheitlich hellenistischen Staates zurückzudrängen, kulminiert 168 v. Chr: Antiochos IV. konfisziert den Tempelschatz und weiht das Jahwe-Heiligtum dem Zeus Olympios. Er zwingt die Priesterschaft einer Zeusstatue auf dem Vorplatz des Tempels zu huldigen und lässt in den Städten des Landes Altäre für griechische Götter errichten. Fortan steht die Ausübung zentraler Elemente des Judentums unter strengstem Verdikt. Beschneidung, Tempeldienst, Einhaltung der Sabbathruhe oder auch nur der Besitz von Thorarollen sind bei Todesstrafe verboten. 9.9 Aufstand und Herrschaft der Makabäer / Hasmonäer (168 - 63 v. Chr.) Unter Führung des Priesters Mattathias aus dem Geschlecht der Hasmonäer ziehen sich thoratreue Juden in die Berge zurück und beginnen den bewaffneten Kampf gegen die seleukidische Herrschaft. Nach seinem Tod führt Judas, ein Sohn des Mattathias, den Aufstand. Aufgrund seiner militärischen Erfolge legen ihm seine Anhänger den Beinamen "Makkabi", der Hammer, zu. Nach ihm sind sowohl der Makkabäer-Aufstand als auch die Makkäbäer-Bücher des Alten Testament benannt. Einiger Rückschläge zum Trotz führt die ausgesprochene Guerillataktik der makkabäischen Truppen zum Erfolg. Antiochos V. (164-162) widerruft das Religionsverbot seines Vaters und sichert den Juden die freie Ausübung ihres Kultes zu. Damit gibt sich Judas Makkabi jedoch nicht zufrieden. Längst hat er den Aufstand nach Juda getragen, wo er seleukidische Siedler vertreibt und das enteignete Land an seine Anhänger verteilt. Schließlich greift er Jerusalem an, das von einer seleukidischen Garnison verteidigt wird. Es gelingt ihm, den Tempel zu erobern und neu zu weihen. Die Wiederaufnahme des Tempeldienstes wird jedes Jahr in dem jüdischen Fest Chanukka gefeiert. Damit sind die Seleukiden allerdings noch nicht vertrieben. Sie halten ihre Stellung in Jerusalem und rüsten zum Gegenschlag. Als Judas 160 fällt, setzt sein Bruder Jonathan (160-143) den Kampf fort. Nach zähem Ringen erheben ihn die Seleukiden im Jahr 152. v. Chr. zum Hohenpriester. Zehn Jahre später, im Jahr 142 v. Chr., ist die seleukidische Partei so erschöpft, dass sie Simon, den letzten Sohn des Mattathias, als selbständigen Herrn und Herrscher von Jerusalem anerkennt. 21 Schulfernsehen Im Jahr darauf beginnt mit der Räumung der letzten seleukidischen Feste, der Jerusalemer Akra, eine fast hundertjährige faktische staatliche Selbständigkeit. Die Seleukiden gewähren den Juden völlige Steuerfreiheit. Die jüdische Bevölkerung überträgt Simon die Würde des Hohepriesters, das Amt des Heerführers und Anführers der Juden. Seine Söhne weiten den Herrschaftsbereich der Hasmonäer, die diesen Namen nach der Sippe ihres Ahnherrn Mattathias führen, Zug um Zug aus. Sie erobern Idumäa, Samaria, Galiläa sowie Judäa und bringen damit praktisch das alte israelitische Siedlungsgebiet unter ihre Gewalt. Als Judas Aristobul I. (104-103 v. Chr.) zusätzlich zum Titel eines Hohenpriesters den Königstitel annimmt, erreicht die Herrschaft der Hasmonäer ihren Zenit. 9.10 Der Beginn der Römerherrschaft in Judäa bis zur Königsherrschaft Herodes des Großen (63 v. Chr. - 37 v. Chr.) Der Zerfall des Hasmonäerstaates beginnt 67 v. Chr. mit einem Bruderzwist, der zwischen Hyrkan II. und Aristobul II. entbrennt. Den Anlass liefert die Herrschaft der Königin Salome Alexandra (76-67 v. Chr.), die nach dem Tode ihres Mannes den Thron bestiegen hatte. Da eine Frau nicht Hoherpriester sein konnte, musste das Priesteramt von der Königswürde geteilt werden. Während sie selbst die Regentschaft führte, erhob sie daher ihren ältesten Sohn Hyrkan zum Hohenpriester. Als sie 67 v. Chr. stirbt, macht Hyrkan seinen Thronanspruch geltend. Noch im selben Jahr zwingt ihn sein Bruder Aristobul II., gestützt auf die Partei der Sadduzäer, zum Thronverzicht. Hyrkan flieht, versammelt ein Heer und belagert Jerusalem. Da die Waffen nicht entscheiden können, bitten sie mit Gnäus Pompeius den neuen Machthaber im Osten, ihren Streit zu schlichten. Pompeius empfängt eine jüdische Delegation in Damaskus. Der Auseinandersetzungen und des Königtums überdrüssig, schlagen Vertreter der jüdischen Oberschicht vor, geistliche und weltliche Macht wieder zu trennen und die politische Herrschaft in die Hände der Römer zu legen. Als sich Pompeius einverstanden zeigt und mit einem Teil seines Heeres nach Jerusalem marschiert, ist Hyrkan II. bereit, Jerusalem zu übergeben. Drei Monate hält Aristobul der Belagerung stand, bevor er kapituliert und Pompeius in die Stadt einziehen kann. Er setzt Hyrkan II. als Hoherpiester (Ethnarch) im nunmehr tributpflichtigen Judäa ein und unterstellt ihm überdies Galiläa sowie Peräa. Mit dieser erblichen Würde ist allerdings bis auf bestimmte, zumeist religiöse Aspekte der Gerichtsbarkeit, kei© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen nerlei politische Macht verbunden. Die übt ein römischer Statthalter aus, dem die neu geschaffenen Verwaltungsbezirke Jerusalem, Gazara, Jericho, Amathus (Peräa) und Sepphoris (Galiläa) direkt unterstellt sind. Überdies lässt Pompeius die meisten Befestigungsanlagen schleifen und schenkt zahlreichen von den Hasmonäern eroberten Küstenstädten die Freiheit. 9.11 Herodes der Große und die Herodianer (37 v. Chr. - 44 n. Chr.) Im Gefolge Hyrkans tritt ein Mann ins Licht der Geschichte, der als Antipater der Jüngere den Aufstieg jener Familie einleitet, die als Herodianer von 37 v. Chr. bis 44 n. Chr. als Vasallenkönige der Römer über Teile Palästinas herrschen sollten. Dem jüdischen Geschichtsschreiber zu Folge ist Antipater der Jüngere ein enger Vertrauter Hyrkans II. Die freundschaftlichen Beziehungen fußen auf lang bewährten Kontakten beider Familien. Obwohl kein Jude, hatte schon der Vater, Antipater der Ältere, in Diensten der Hasmonäer / Makkabäer gestanden und war vom König Alexander Jannäus (103-76. v. Chr.) mit der Verwaltung Idumäas betraut worden. Mit dieser Position waren anscheinend auch ein militärisches Kommando und diplomatische Tätigkeiten verbunden. Auf Grund dieser einflussreichen Stellung hatte sich die Familie Antipaters ein ausgezeichnetes Netz an Kontakten und beträchtlichen Reichtum geschaffen. Josephus beschreibt Antipater den Jüngeren als einen ebenso tatkräftigen wie rebellischen Menschen, der zudem mit Aristobul II. aus nicht näher genannten Gründen verfeindet war. Jedenfalls scheint es, als habe Antipater der Jüngere immer wieder eine treibende Rolle im Bruderzwist Hyrkans II. gegen Aristobul gespielt. Nachdem Pompeius den Thronstreit beendet, Aristobul deportiert und Hyrkan II. als Hohenpriester bestätigt hat, unterstützt Antipater in den folgenden Jahren die militärischen Aktionen der Römer gegen die Nabatäer und Parther. Im Auftrag oder zumindest mit Billigung Hyrkans organisiert er den Getreidenachschub für die Truppen, stellt Waffen und Geld zur Verfügung, setzt sein diplomatisches Geschick zugunsten der Römer ein. Diese Hilfsleistungen sichern ihm die Gunst des Pompeius und ermöglichen einen kontinuierlichen Ausbau seiner Machtposition. 22 Schulfernsehen Nach 54 heiratet Antipater eine Idumäerin; dieser Ehe entstammen seine vier Söhne Phasael, Herodes, Joseph und Pheroras sowie eine Tochter namens Salome. Kurz nach der Jahrhundertmitte haben sich die Machtverhältnisse im römischen Reich abermals grundlegend verändert. Im Kampf um die Vorherrschaft hat Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) den Bürgerkrieg durch den bei Pharsalos erfochtenen Sieg über Pompeius (48 v. Chr.) für sich entschieden. Pompeius selbst kann nach Ägypten entkommen, wo er von einem römischen Soldaten erschlagen wird. Nahezu zwei Jahre lang sammeln seine übrig gebliebenen Anhänger ihre Kräfte in der Provinz Africa. Im April 46 kommt es bei der Seefestung Thapsus zur Entscheidungsschlacht, in der Caesar die letzten Reste der pompeianischen Partei vernichtend schlägt. Damit ist Caesar nicht nur Herr in Rom sondern auch im Orient. Zu dieser Zeit erscheint Antipater bei Josephus als eigentliches politisches Oberhaupt der Juden, dessen Einfluss den des Hohenpriester Hyrkan bei weitem überwiegt. Als Caesars Truppen im Verlauf des ägyptischen Feldzugs in Bedrängnis geraten, eilt ihm Antipater mit einer großen jüdischen Truppe zu Hilfe und hat entscheidenden Anteil am siegreichen Ausgang der Kampagne. Dafür gewährt ihm Caesar das römische Bürgerrecht und Steuerfreiheit im gesamten römischen Machtbereich. Darüber hinaus erhebt er ihn zum Prokurator (Statthalter) in Judäa. Hyrkan II., der ebenfalls persönlich am Feldzug teilgenommen hatte, wird als Hoherpriester und Ethnarch bestätigt. Zum Dank für den militärischen Beistand werden die Juden vom Militärdienst befreit und steuerlich entlastet. Des Weiteren gesteht ihnen Caesar eigene Gerichte zu, die für alle Vergehen zuständig sein sollten, die sich nicht gegen die römische Oberherrschaft richten. 9.12 Der Aufstieg Herodes des Großen zum König von Judäa In der Folgezeit bestätigt sich immer deutlicher, dass nicht Hyrkan, den Josephus als träge und antriebslos schildert, sondern der agile Realpolitiker Antipater die eigentliche Macht in Händen hält. Es gelingt ihm, seinem ältesten Sohn Phaesalos (Phasael) die Verwaltung von Judäa und Peräa zu übertragen; seinem zweiten Sohn Herodes, damals gerade 15 Jahre alt, unterstellt er Galiläa. Die stetig wachsende Machtfülle Antipaters und seiner Söhne weckt Argwohn in weiten Kreisen der jüdischen Oberschicht. Ein Übriges trägt die hohe Steuerlast bei, die Phasael und Herodes unnachsichtig im Namen Roms eintreiben. Hinzu kommt © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen schließlich, dass sie ihrer Herkunft wegen nicht als vollgültige Juden anerkannt sind. Im Jahr 43 v. Chr. fordert das Aufbegehren gegen dieses straffe prorömische Regiment ein blutiges Opfer: Antipater wird erschlagen, seine Söhne Phasael und Herodes können sich jedoch in ihren Positionen behaupten. Im Jahr 40 v. Chr. hat sich Marcus Antonius (82-30 v. Chr.) als neuer Herr im Osten etabliert. Mit Zustimmung Hyrkans bestätigt er Herodes und Phasael als Tetrarchen jener Gebiete, die ihnen Antipater übertragen hatte. Eine gewisse Rolle könnten dabei auch jene Geldsummen gespielt haben, die Antonius einem Bericht des Josephus zu Folge von beiden empfangen hatte. Die ohnehin angespannten Verhältnisse in Palästina erfahren eine dramatische Wende, als die Parther 40 v. Chr. in die Provinz Syria einfallen. Antigonos, der Sohn Aristobuls II., paktiert mit den Angreifern gegen seinen Bruder Hyrkan und die Söhne Antipaters. Die Parther marschieren in Judäa ein und belagern Jerusalem, wobei es scheint, als habe sich der Hasmonäer Antigones persönlich an den Kampfhandlungen beteiligt. Hyrkan II. wird gefangen genommen und deportiert, Phasael begeht Selbstmord. Die Parther gewähren Antigones den Titel eines Hohenpriesters und Königs von Judäa. Herodes flieht über Ägypten nach Rom zu Marcus Antonius, der ihm seine Hilfe zusichert. Schließlich erreicht Herodes beim Senat zugleich mit der Verurteilung des Antigones seine Erhebung zum rechtmäßigen, das heißt von Rom anerkannten König von Judäa. Bis er diese im Jahr 40. v. Chr. erlangte Würde tatsächlich wahrnehmen kann, vergehen allerdings drei Jahre, in denen er mit Hilfe römischer Truppen und jüdischer Kontingente die Parther Zug um Zug aus Palästina vertreibt. Fünf Monate dauert allein der Kampf um Jerusalem, den Herodes schließlich im Jahr 37. v. Chr. für sich entscheidet. Antigones wird gefangen genommen, vor Antonius geführt und auf Betreiben Herodes´ hingerichtet. Damit endet die Herrschaft der Hasmonäer (Makkabäer). 9.13 Das Königtum Herodes des Großen (37 v. Chr. - 4 v. Chr.) Als Herodes den Thron besteigt, muss ihm bewusst sein, dass er kein leichtes Amt antritt. 23 Schulfernsehen Sein strenges Regiment als Tetrarch über Galiläa war unvergessen, seine nicht- oder allenfalls halbjüdische Herkunft, die starke Abhängigkeit von Rom und nicht zuletzt Tatsache, dass ihm die geistliche Würde des Oberpriesters versagt blieb, entfremden ihn dem jüdischen Volk. Daher versucht er, sich durch die noch während der Belagerung Jerusalems geschlossene Ehe mit der Hasmonäerin Mariamne, einer Nichte Hyrkans II., eine Art dynastischer Legitimation zu verschaffen. Zudem respektiert er, unbeschadet seines durch und durch hellenistischen Lebensstils, die Regeln, Sitten und Gebräuche des Judentums. Er untersagt die Aufstellung menschlicher Bildnisse in jüdischen Einrichtungen und stellt Verstöße gegen die Thora unter strengste Strafe. Im Zuge dieser steten Bemühung, nicht nur Vasallenkönig der Römer zu sein, lässt er auch den 515 vor Chr. eingeweihten 2. Tempel abtragen, um Platz für einen prächtigen Neubau zu schaffen. Darüber hinaus zeichnet er sich durch Tatkraft, diplomatisches Geschick, politische Klugheit sowie großzügige Stiftungen für Bäder, Gymnasien, Tempel und Bewässerungsanlagen aus. Zahlreiche Spuren seiner immensen Bautätigkeit haben sich bis auf heute erhalten. Auch der Selbstmord Marc Antons (30. v. Chr.) bringt seinen Thron nicht ins Wanken. Octavian, der ab 27. v. Chr. als römischer Kaiser regiert, bleibt ihm gewogen. Aufgrund seiner Stellung als "verbündeter König und Freund des römischen Volkes" (rex socius et amicus populi Romani) genießt Herodes weiterhin eine privilegierte Stellung. Er ist von Tributzahlungen befreit und nicht dem Provinzstatthalter sondern unmittelbar dem Kaiser unterstellt. Innenpolitisch hat Herodes weitgehend freie Hand. Er ist Herr der Zivil- und Strafrechtspflege, der öffentlichen und finanziellen Verwaltung und überdies befugt, ein eigenes Heer zu unterhalten. Gestützt auf diese Militärmacht ist er zum Schutz der pax romana, der Reichsgrenzen und zur Entsendung von Hilfstruppen im Kriegsfall verpflichtet. In allen Belangen der Außenpolitik ist Herodes jedoch an die Weisungen bzw. die Zustimmung Roms gebunden. Dasselbe gilt für testamentarische Verfügungen sowie insbesondere für die Wahl eines Nachfolgers. Obwohl das Reich des Herodes die einstige territoriale Größe des davidischen Reiches wiederherstellt und obwohl er alles daran setzt, sein Ansehen zu verbessern, geht er als blutiger Tyrann und rücksichtloser Gewaltherrscher in die Geschichte ein. Vieles davon scheint aufgrund neuster Forschungen überzeichnet. So hat beispielsweise der bethlehemitische Kindermord, den das Evangelium des Mat© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen thäus (Mt 2,16-18) in die Kindheitsgeschichte Jesu einflicht, mit größter Wahrscheinlichkeit nie stattgefunden. Dennoch spiegelt dieser Bericht einen Charakterzug des Königs, der seine Zeitgenossen zweifellos in Angst und Schrecken versetzte. Argwöhnisch und misstrauisch gegen jeden, der seine Herrschaft gefährden könnte, zögerte Herodes nicht, seine Position gewaltsam zu sichern. Um einen potenziellen Gegenspieler auszuschalten, lässt er den Hohenpriester Hyrkan, der 80-jährig aus seinem parthischen Exil nach Jerusalem zurückgekehrt war, ermorden. Auch seine Frau Mariamne sowie vier von sieben Söhnen aus zehn verschiedenen Ehen und eine Menge weiterer Familienangehöriger fallen seinem Verfolgungswahn zum Opfer. Im Sinne einer umfassenden Kontrolle über sämtliche jüdischen Selbstverwaltungsinstanzen schränkt Herodes die Befugnisse des Synhedrions und des Hohenpriestertums erheblich ein. Er schafft die Erblichkeit der hochpriesterlichen Würde, die mehr als 120 Jahre lang vom Haus der Hasmonäer ausgeübt wurde, ab. Zugleich reduziert er das Amt auf eine rein kultische Bedeutung und entblößt es aller politischen Kompetenzen 9.14 Die Herodianer nach Herodes dem Großen bis zur Eingliederung Palästinas ins römische Provinzialsystem (4 v. Chr. bis 44 n. Chr.) Anfang April des Jahres 4. v. Chr. stirbt Herodes nach längerer schwerer Krankheit. In seinem Testament bestimmt er seinen ältesten Sohn Archelaos zum König über Judäa und damit zum Oberherrn des ganzen Landes. Herodes Antipas sollte als Tetrach über Galiläa und Peräa, Philippos als Tetrarch über den Nordosten des Landes (Batanäa, Trachonitis, Auranitis) herrschen. Unmittelbar nach dem Tod des Königs brechen allerorten Unruhen aus, zusätzlich geraten die Söhne über ihre Erbteile in Streit. Octavian Augustus, dem es vorbehalten ist, das Herodes-Testament anzuerkennen, nimmt einige Änderungen am Vermächtnis vor. Zunächst teilt er das Herrschaftsgebiet in Tetrarchien auf. Archelaos, dem er den Königstitel verweigert, muss sich mit der Würde eines Ethnarchen von Judäa, Samaria und Idumäa begnügen; die Städte Gaza, Gadara und Hippos werden der Provinz Syrien zugeschlagen. Antipas 24 Schulfernsehen und Philippos werden als Tetrarchen über die ihnen zugewiesenen Gebiete bestätigt. Im Gefolge dieser Teilung und Neuordnung erheben sich Revolten, die Augustus durch den syrischen Leganten Publius Quinctilius Varus niederschlagen lässt. 9.15 Die Errichtung der Prokuratur Judäa nach Archelaos (4 v. Chr. - 6 n. Chr.) Archelaos, den Josephus als tückisch und launisch beschreibt, erweist sich als ebenso herrschsüchtig wie unfähig. Seine Lebensführung und seine Amtshandlungen machen jede Hoffnung auf Anerkennung seitens der Juden zunichte. Ohne Rücksicht auf die Stimmung im Land greift er in die Wahl des Hohenpriesters ein, leistet der Korruption und Günstlingswirtschaft Vorschub, bringt das Volk durch die umstrittene Heirat mit der Frau seines Halbbruders gegen sich auf. Auch im Evangelium des Matthäus (Mt 2, 19-22) findet sich eine Stelle, die den schlechten Ruf des Herrschers illustriert. Dort zaudern Josef und Maria, die vor Herodes nach Ägypten geflohen waren, mit der Heimkehr nach Galiläa aus Furcht vor Archelaos: "Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien dem Josef in Ägypten ein Engel des Herrn im Traum und sprach: "Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und ziehe in das Land Israel, denn die dem Kinde nach dem Leben strebten, sind gestorben." Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter und zog in das Land Israel. Als er aber hörte, dass Archelaus an Stelle seines Vaters über Judäa herrschte, fürchtete er sich dorthin zu gehen. Nachdem er aber im Traum eine Weisung empfangen hatte, zog er in das Gebiet von Galiläa." Im Jahr 6. n. Chr. läuft das Fass über. Eine jüdische Gesandtschaft erhebt bei Octavian Augustus Klage gegen das tyrannische Regiment des Ethnarchen. Der Kaiser macht kurzen Prozess. Er bestellt Archelaos nach Rom ein, wo ihn ein förmlicher Gerichtsbeschluss seines Amtes enthebt. Seine Besitz wird eingezogen, er selbst nach Gallien verbannt. Über das weitere Schicksal des Herodessohnes ist nichts bekannt. Mit der Amtsenthebung kommt Judäa unter unmittelbare römische Verwaltung und wird der Provinz Syrien eingegliedert. Die Oberherrschaft übt jetzt ein dem syrischen Legaten unterstellter Statthalter mit dem Titel eines praefectus Judaeae aus. Sein Zuständigkeitsbereich umfasst Judäa, Samaria und Idumäa. Der Präfekt ist in erster Linie für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung verantwortlich. Er fun© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen giert als oberster Gerichtsherr und kontrolliert die örtlichen Autoritäten. Da Rom den jüdischen Glauben und seine kultischen sowie religiösen Vorschriften respektiert, bleibt es den Jerusalemer Juden erspart, Münzen mit dem Abbild eines heidnischen Gottes oder des Kaiser zu benutzen. Sie verwenden Sonderprägungen ohne Kaiserbild. 9.16 Galiläa unter Herodes Antipas (4 v. Chr. - 39. n. Chr.) Herodes Antipas ist Herr über Galiläa. Er residiert zunächst in Sepphoris, später dann in Tiberias am See Genezareth, das er zu einer prunkvollen hellenistisch-römischen Stadt ausbaut. Die Juden meiden diesen Ort, der über aufgelösten Gräbern errichtet ist und deshalb als unrein gilt. Die Evangelien des Markus und des Matthäus (Mk 6,17-29 und Mt 14,3-12) zeichnen sein Bild als das eines ebenso grausamen wie triebhaften Willkürherrschers, der sich über jüdische Sitten und Gebräuche kurzerhand hinwegsetzt. Als Johannes der Täufer dem Tetrarchen das Recht abspricht, Herodias, die Frau seines Bruders, zu heiraten, lässt er den unbequemen Widersacher vermutlich um das Jahr 20 n. Chr. enthaupten. Da er im Gegensatz zum Jerusalemer Synhedrion die volle Gerichtsgewalt inne hat und auch Todesurteile fällen kann, ist er dabei nicht auf die Zustimmung der Römer angewiesen. Flavius Josephus vermutet, Herodes habe befürchtet, der Täufer könnte sein wachsendes Ansehen im jüdischen Volk dazu nutzen, politischen Aufruhr zu schüren. Im Jahr 37 v. Chr. wird Herodes Antipas von Kaiser Caligula abgesetzt und nach Lugdunum (Lyon) in Gallien verbannt. Dort stirbt er. 9.17 Philippos (4 v. Chr. -37 n. Chr.) und Herodes Agrippa I. (37 - 44 n. Chr.) Der Tetrarch Philippos ist der einzige Nachfolger Herodes des Großen, den Flavius Josephus als gerechtigkeitsliebend und milde bezeichnet. Den Römern erweist er sich als loyaler Landesherr, der seine Ergebenheit unter anderem dadurch ausdrückt, dass er die Küstenstadt Pannaeas in Kaisareia (Cäsarea) umbenennt und durch Prunkbauten (Amphitheater) im hellenistischen Stil umgestalten lässt. Nicht in Jerusalem, sondern in dieser Stadt, die bei Markus (Mk. 8,27) als Cäsarea Philippi erwähnt ist, residiert der römische Statthalter. 25 Schulfernsehen Und anders als in Judäa oder Galiläa sind in Samaria auch Münzen in Umlauf, die das Bild des Kaisers zeigen. Im Jahr 37 n. Chr. stirbt Philippos ohne Nachkommen. Kaiser Caligula erhebt Herodes Agrippa I., einen Enkel Herodes des Großen, zum König über Nordostpalästina (Batanäa). Nach der Absetzung und Vertreibung des Herodes Antipas herrscht Agrippa I. auch über Galiläa und Peräa, schließlich weitet der Kaiser sein Königtum im Jahr 41 auf Judäa, Samaria und Idumäa aus. Damit regiert Herodes Agrippa I. drei Jahre lang ein Territorium, dessen Größe dem seines Großvaters gleichkommt. In seine Zeit fällt die erste, maßgeblich von ihm entfachte Verfolgungswelle gegen die christliche Urgemeinde. Herodes, so berichtet die Apostelgeschichte (Apg 12,1-5 .) "ließ einige aus der Gemeinde verhaften und foltern". Jakobus der Ältere wurde enthauptet, Petrus eingekerkert. Vieles spricht dafür, dass sich Herodes Agrippa, den die jüdische Oberschicht als Fremdling und Günstling der Römer ablehnt, mit diesem politischen Schachzug den Rückhalt orthodoxer Kreise sichern wollte. Der allenthalben gärende religiöse Unmut, den nicht zuletzt Caligulas bekannt gewordene Pläne, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufrichten und anbeten zu lassen, noch weiter angeheizt hatte, schien solche blutigen Zugeständnisse erforderlich zu machen. Sein Ende erscheint im Neuen Testament als Strafgericht Gottes über einen hoffärtigen Potententaten: "Dann zog Herodes von Judäa nach Cäsarea hinab und blieb dort. Er war über die Bewohner von Tyrus und Sidon sehr aufgebracht. Sie kamen gemeinsam zu ihm, gewannen Blastus, den Kämmerer des Königs, für sich und baten um Frieden, weil ihr Land sich vom Land des Königs ernährte. Am festgesetzten Tag nahm Herodes im Königsgewand auf der Tribüne Platz und hielt eine große Rede an sie. Das Volk aber schrie: Eines Gottes, nicht eines Men- © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen schen Stimme! Auf der Stelle schlug ihn ein Engel des Herrn, weil er nicht Gott die Ehre gegeben hatte. Und von Würmern zerfressen starb er." (Apg 12,21-23) Nach dem Tod Agrippas I. im Jahr 44 erlischt das Haus der Herodianer. Palästina wird wieder in das System römischer Provinzen eingegliedert und von einem Prokurator verwaltet. 9.18 Der Fall Masadas und das Ende der jüdischen Selbstbestimmung Als der römische Legat Quirinus im Jahr 8 n. Chr. einen Census befiehlt, rufen radikale Juden unter zelotischer Führung zum Widerstand gegen die römische Besatzungsmacht sowie deren herodianische Vasallen auf. Sie verweigern die Zahlung von Steuern und formieren guerillaartig vorgehende Kampfverbände, die auch vor Attentaten nicht zurückschrecken. Zwischen 40 und 68 n. Chr. gelingt es den Aufständischen, breite Volksschichten zu mobilisieren und in den offenen Kampf gegen Rom zu führen. Im Jahr 66 entfacht die Frage des Kaiserkultes den Jüdischen Krieg. Treibende Kraft sind wiederum die Zeloten. Sie stellen den größten Teil der antirömischen Freiheitskämpfer und besetzen die Festung Masada. Der römische Kaiser Vespasian und später sein Sohn Titus schlagen unerbittlich zurück. Im April 70 fällt Jerusalem, der Tempel verbrennt. Der jüdische Staat ist erloschen, die Juden verlieren das Siedlungsrecht. Sie werden vertrieben, die Diaspora beginnt. Vier Jahre später stürmen die Römer Masada, wo sich das letzte Aufgebot des Widerstands verschanzt hat. Mit ihrem kollektiven Selbstmord auf Masada besiegeln die Zeloten ihre Entschlossenheit, eher unterzugehen, als die Herrschaft Roms anzuerkennen. 26 Schulfernsehen Schulfernsehen Didaktische Hinweise Der Beitrag eignet sich für den Einsatz im katholischen und evangelischen Religionsunterricht sowie im Fach Ethik der Jahrgangsstufen 2 bis 9 aller Schularten. Lehrplanbezüge (Bayern) Grundschule Ethik 3. Jgst. 3.4 Kultur in ihrer Vielfalt entdecken und achten (Begegnung mit verschiedenen Kulturkreisen und unterschiedlichen Bekenntnissen; Grundzüge des Christentums und des Judentums kennen lernen und erfahren, wie Christen und Juden ihren Glauben leben) 3.4.3 Religionen begegnen: Das Judentum (Glaubensleben, Gebet, Synagoge, Sabbat, Festtage) Evangelische Religionslehre 3. Jgst. 3.8 Juden und ihren Glauben verstehen lernen 3.8.1 Begegnung mit dem Judentum Erfahren, was Juden für ihren Glauben besonders wichtig ist (Thora, Sabbat, Feste u. Feiertage) 3.8.2 Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen Katholische Religionslehre 2. Jgst. 2.1 Auf vielfältige Weise beten 2.1.3 Im Gebet mit Gott und den Menschen verbunden (Menschen anderer Religionen beten anders (z. B. Juden, Muslime). 3. Jgst. 3.2 Jüdischem Glauben begegnen (Pessach-Fest kennen lernen und seine Bedeutung verstehen, Einblick in den jüdischen Gottesdienst und das jüdische Glaubensleben) 3.2.1 Das Volk Israel erzählt von seiner Befreiung (Pessachfest, Seder) 3.2.2 Wie Juden ihren Glauben leben (Sabbat, Synagoge, Gebetsleben) Hauptschule Ethik 5. Jgst. 5.4.2 Symbole und Überlieferungen, die für viele Menschen wichtig sind (wichtige religiöse Symbole und ihre Bedeutung, z. B. Kreuz, siebenarmiger Leuchter, Halbmond) 5.4.3 Religiöses Brauchtum und Feste (wichtige Feste verschiedener Religionen, z. B. Osterfest, Ramadanfest, Laubhüttenfest) Evangelische Religionslehre 5. Jgst. 5.4 Jüdisches Leben - Zeit und Umwelt Jesu 5.4.3 Jüdische Religion (die Bedeutung des Gesetzes im Leben der Juden (Sabbat, Speisegebote); Freude am Gesetz als Weg mit Gott zu leben, Feste, Synagoge, Kult) 8. Jgst. 8.3 Einander besser verstehen - Glaube und Leben der Juden 8.3.1 Jüdischer Glaube - Leben und Überlieferung (jüdisches Leben bei uns; Einblick in das Leben gemäß der Thora und ihrer Überlieferung gewinnen: Alltag und Feste (Sabbat, Pessach, Bar-Mizwa) 8.3.2 Miteinander verbunden – Gemeinsamkeiten im jüdischen und christlichen Glauben 8.3.3 Ausgrenzung und Verfolgung - Verständigung und Annäherung (Antisemitismus, Ghetto, Judenpogrome, Verfolgung der Juden im „Dritten Reich") Katholische Religionslehre 8. Jgst. 8.4 „Höre Israel, der Herr unser Gott ist einzig“– die Religion der Juden © Bayerischer Rundfunk 27 Schulfernsehen Schulfernsehen 8.4.1 Jüdisches Glaubensleben – Frömmigkeit, Feste und Brauchtum (religiöse Traditionen und Bräuche; tägliche Gebete; Sabbatfeier, Beschneidung, Bar/Bat Mizwa, Jom Kippur, Sukkot, Chanukka, Pessach und andere Feste) 8.4.2 Miteinander zutiefst verbunden – jüdischer und christlicher Glaube 8.4.3 Entfremdung und Verfolgung – Verständigung und Versöhnung (Juden und Christen in der Geschichte, judenfeindliche Einstellungen im Christentum, Ghettos, Judenpogrome; Verfolgungen der Juden im Nationalsozialismus; Ansatzpunkte zur Verständigung und Versöhnung) 8.5 Weltreligionen: Glaube und Leben im Judentum 8.5.1 Jüdische Zeugnisse, jüdisches Leben (Zeugnisse jüdischen Lebens; bedeutende jüdische Persönlichkeiten in Wissenschaft und Kunst; nach der Thora leben, z. B. tägliche Gebete, Reinheitsgebote, Sabbatfeier, Feste im Jahreskreis) 8.5.2 Der jüdische Glaube (Thora als Glaubensweisung: Glaube an den einen Gott; Landnahme- und Vertreibungsgeschichten, z. B. David, Jerusalem und der Tempel, babylonisches Exil; Abraham als Glaubensgestalt für Juden, Christen und Muslime 8.5.3 Zeiten der Verfolgung, Zeit der Verständigung und Befriedung (Zerstörung Jerusalems 70 bzw. 135 n. Chr. und Vertreibung aus Jerusalem; Leben in der Diaspora, Leben in ständiger Bedrohung, zB. Ghettos, Judenpogrome, Israel heute; Vernichtungsprogramm im Nationalsozialismus und Versöhnungsanstrengungen in der Gegenwart) Realschule Evangelische Religionslehre 9. Jgst. 9.3 Judentum: Achtung vor dem Verwandten und doch Anderen (Wiederholung und Vertiefung der Kenntnisse über das Judentum; Begegnung mit dem jüdischen Glauben: Grundzüge jüdischer Lehre, Thora; Sabbat, Feste, Riten und Vorschriften, Lebensgestaltung; Stationen jüdischer und christlicher Geschichte: Diaspora: zweite Zerstörung des Tempels, Vertreibung aus Palästina, Antisemitismus, Erklärungs- und Überwindungsversuche) Katholische Religionslehre 6. Jgst. 6.4 In der Wurzel verbunden: vom Leben und Glauben der Juden (Frömmigkeitspraxis im jüdischen Glaubensleben; jüdischer Alltag bei uns und in Israel: religiöse Feste und Bräuche: Beschneidung, Bar/Bath Mizwa); Feiern im Laufe des Jahres, z. B. Sabbat, Pessach und andere Feste) Gymnasium Ethik 6. Jgst. 6.3 Menschenbild und Ethik von Judentum und Christentum (Einblick in das Judentum und Christentum; zentrale Personen der jüdischen und christlichen Religion; jüdische und christliche Überlieferungen; ethische Forderungen von Judentum und Christentum und ihre aktuelle Relevanz) 7. Jgst. 7.4 Feste und ihre Bedeutung für die Gemeinschaft (Kenntnis wichtiger jüdischer, christlicher und islamischer Feste im Jahreslauf, ihr Zusammenhang und ihre Symbolik: Pessachfeier (Auszug aus Ägypten unter Mose, Ex 12), Ostern (Tod und Auferstehung Jesu, vgl. die Evangelien); Pfingsten (Apg. 2,136); Weihnachten (Mt 2,1-12, Lk 2,1-21); Opferfest; Fest des Fastenbrechens; Brauchtum in Zusammenhang mit diesen Festen) Evangelische Religionslehre 6. Jgst. 6.1 Zeit und Umwelt Jesu (Historische geographische und gesellschaftliche Situation in Palästina zur Zeit Jesu; Elemente des jüdischen Alltagslebens und religiöser Feste, die in neutestamentlichen Texten erwähnt werden; verschiedene Gruppen des Judentums und ihre Frömmigkeit; Messiaserwartung) 9. Jgst. 9.1 Judentum (Kenntnisse über jüdische Geschichte und jüdisches Selbstverständnis erwerben; gegenwärtiges jüdisches Leben und jüdischen Glauben wahrnehmen; jüdische Feste und Bräuche, Gebet und Gottesdienst; Grundmotive jüdischen Glaubens; Thora als Orientierung; Bedeutung von Erinnerung und Hoffnung; Motive und Formen des Antijudaismus und des Antisemitismus) © Bayerischer Rundfunk 28 Schulfernsehen Schulfernsehen Katholische Religionslehre 9. Jgst. 9.2 Das Judentum: Weltreligion und Wurzel des Christentums (Religion und Glaubenspraxis des Judentums; Thora als Lebensorientierung; Jerusalem und das von Gott geschenkte Land; Religion im Alltag und Gottesdienst, Pessach als Beispiel jüdischer Feste, Festkalender; Judenverfolgung im Mittelalter und 20. Jahrhundert; Dialog nach der Schoah: Wege zum Miteinander, Schuldbekenntnis des Papstes im Jahr 2000) Lernziele Die Schülerinnen und Schüler sollen: Grundzüge des Judentums kennen lernen und erfahren, wie Juden ihren Glauben leben, wichtige Fest- und Feiertage und ihre Bedeutung kennen, einen Einblick in den jüdischen Gottesdienst und das jüdische Glaubensleben erhalten, die Bedeutung des Gesetzes im Leben der Juden begreifen, Thora und Talmud als Fundament des jüdischen Lebens erkennen, Grundkenntnisse über jüdische Geschichte und jüdisches Selbstverständnis erwerben, Ausgrenzung und Verfolgung als aufgezwungenen Teil der jüdischen Geschichte begreifen, über Judenverfolgungen im Mittelalter und in der Neuzeit sowie die deutschen Verbrechen gegen Juden im 20. Jahrhundert Bescheid wissen, • über Wege zum Miteinander nachdenken und aktiv für Aussöhnung eintreten. • • • • • • • • Anregungen zur Unterrichtsgestaltung Nach der gemeinsamen Betrachtung des Filmbeitrags konfrontiert die Lehrkraft die Schüler mit einem oder mehreren der folgenden Zitate: „Das Sich-Erinnern an das Heilshandeln Gottes macht den Kern jüdischer Religiosität aus.“ (Hutter, S. 41.) „Das Gedenken an Gottes Schöpfungs- und Heilstat für das jüdische Volk prägt entscheidend die äußeren Formen des jüdischen religiösen Lebens.“ (Hutter, S. 47.) „Das Judentum definiert sich weniger durch ein gemeinsames Dogma als vielmehr dadurch, dass in gemeinsamen Feiern die Erinnerung an die Geschichte des jüdischen Volkes bewahrt wird. (…) Das kollektive Gedächtnis prägt die jüdische Identität, Weltsicht und das Leben daher stärker als Lehrinhalte“ (Hutter, S. 49f.) „Wie keine andere Religion ist die des Judentums auf Geschichtserfahrungen gegründet, vom Glauben an ein Handeln Gottes in der Geschichte geprägt […] Religion und Volk, Volk und Geschichte gehören somit wesentlich zusammen.“ (Stemberger, S. 16.) Im gemeinsamen Gespräch überprüfen die Schüler, • ob die Aussagen zutreffen, • mit welchen Aussagen im Beitrag sie übereinstimmen und • welche stützenden Beispiele der Beitrag zeigt. Anschließend diskutiert die Klasse, ob dieses Phänomen eine Eigenart des Judentums ist oder auch in anderen Religionen, insbesondere im Christentum bemerkbar ist. Arbeitsaufträge Warum ist der Thoraschrein durch goldene Türen geschlossen? Welche Symbolik steckt dahinter? Welchem Element einer christlichen Kirche entspricht der Thoraschrein? Wie lässt sich der wesentliche Unterschied zwischen den Inhalten der beiden Schreine beschreiben? Was ist damit über das Wesen der beiden Religionen gesagt? © Bayerischer Rundfunk 29 Schulfernsehen Schulfernsehen Rabbiner Dray sagt, das Volk Israel habe einen Bund mit Gott geschlossen. Wie kam es dazu und was ist das Wesen dieses Bundes? Rabbiner Dray stellt einen symbolischen Zusammenhang zwischen dem Ölwunder bei der Tempelweihe und dem Widererstarken des Glaubens der Juden her. Formuliere diesen Zusammenhang in eigenen Worten. Während Rabbiner Dray Herkunft und Bedeutung des Chanukkahfestes erklärt, sehen wir Bilder von der Wiedereröffnung der neuen Hauptsynagoge Ohel Jakob in München. Ist das nur eine beliebige Illustration? Was könnte die Geschichte von der Vertreibung der Unterdrücker und der Wiederweihe des Tempels mit der Neueröffnung der Hauptsynagoge zu tun haben? Überlegt, ob ihr einen inhaltlichen Zusammenhang erkennen könnt und formuliert eure Gedanken. Weitere Informationen zu Ohel Jakob findet ihr auf der Homepage der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (www.ikg-m.de). Fasst in eigenen Worten zusammen, was Rabbiner Steven Langnas über die Bedeutung der vielen religiösen Vorschriften im Judentum sagt. Erklärt, warum sie so wichtig sind und was sie bewirken. Was meint Rabbiner Steven Langnas mit der Aufforderung „Fang einfach an, und der Rest wird kommen!“? Von welchem Rest ist hier die Rede, welche Funktion hat das Anfangen? Wie fasst Steven Langnas im Interview den religiösen Kern des Judentums zusammen? Literaturhinweise Manfred Hutter: Die Weltreligionen. München [Beck, Reihe C.H. Beck Wissen] 22006. ISBN 978-3-40650865-3. Günter Stemberger: Jüdische Religion. München [Beck, Reihe C.H. Beck Wissen] 52006. ISBN 978-3406-45003-7. Beide gut greifbaren Bände informieren prägnant und wissenschaftlich zuverlässig über zentrale Aspekte des religiösen Judentums. Manfred Claus: Das Alte Israel. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. München [Beck, Reihe C.H. Beck Wissen] 1999. Martin Metzger: Grundriss der Geschichte Israels. Neukirchen-Vluyn [Neukirchener Verlag] 1998. ISBN 3788704632. Links Eine Fülle von Informationen zum Judentum sowie weiterführende Literaturhinweisen und Internetlinks bieten u.a.: http://www.ikg-m.de (Homepage der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern) http://www.talmud.de/cms/Traktat_Berachot_2_a-b.143.0.html http://www.chabad-baden.de http://www.payer.de/judlink.htm http://staff-www.uni-marburg.de/~terno/judentum/ http://www.zentralratdjuden.de/de/article/239.html http://www.judentum-projekt.de/ (Sehr ambitionierte, umfangreiche Homepage zu einem Schülerprojekt des in . Empfehlenswert sind u.a. die Mindmaps in der Rubrik „Materialien“ als knapp gehaltene Gedächtnisstützen und inhaltliche Konzentrate.) © Bayerischer Rundfunk 30