Der Schatz in der Synagoge

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Der Schatz in der Synagoge
Ein Film von Ergün Cevik
Beitrag: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer
Inhalt
Joseph erwacht aus einem Albtraum: Bilder von
brennenden Häusern, zerbombten Städten und nationalsozialistischem Terror haben ihn erschreckt.
Er sucht Trost bei seiner Schwester Sophia und erzählt, dass im Traum sogar die Sonne zu ihm gesprochen und gesagt habe: „Wer andere bekämpft,
bekämpft sich selbst.“ Sophia meint, die Sonne
habe ihm mit diesem Ausspruch das „Geheimnis
von Kraft und Liebe“ offen gelegt. Für Joseph bleiben die Worte dennoch ein Rätsel. Daher beschließt
Sophia, ihm ein Haus zu zeigen, das den Schatz
dieses Geheimnisses hütet.
Schatzhaus des Glaubens
Sophia führt Joseph anderntags auf den Jakobsplatz in München. Hier steht Ohel Jakob, die neue
jüdische Hauptsynagoge. Um das Geheimnis von
Kraft und Liebe schützen zu können, ist Ohel Jakob
– das Zelt Jakobs – im Sockelbereich wie eine trutzige Burg gebaut. Oben aber stellt ein lichtes Dach
die Verbindung zum Himmel her.
Das Tor geht auf. Rabbiner Elias Dray, der es von
innen geöffnet hat, begrüßt die Geschwister und erklärt, was die fremd aussehenden Lettern auf den
Torflügeln bedeuten: Es sind die ersten Buchstaben
des Hebräischen Alphabets und zugleich die ersten
Buchstaben der Zehn Gebote.
© Bayerischer Rundfunk
Joseph und Sophia besichtigen das Innere der
Synagoge. „Sie ist ein Ort der Versammlung
und des Gebets“, sagt der Rabbiner: „hier feiern wir und hier leben wir unser Judentum.“
Anschließend öffnet Rabbiner Dray den Thoraschrein. Er birgt das sakrale Zentrum der
Synagoge. Hier wird das schriftlich offenbarte
Wort Gottes, die Thora aufbewahrt. „Sie ist
eine Lehre des Lebens und sagt uns Juden,
wie wir uns verhalten sollen“, erläutert Elias
Dray.
Israels Bund mit Gott
Bilder, die den im Buch Exodus geschilderten
Auszug aus Ägypten illustrieren, begleiten eine
kurze Zusammenfassung dieser zentralen biblischen Erzählung. Joseph und Sophia lernen,
wie Moses von Gott den Auftrag erhielt, sein
Volk aus der ägyptischen Knechtschaft zu führen und wie der Pharao bestraft wurde, als er
sich dem Willen Gottes widersetzte. Der Rabbiner erklärt den Geschwistern, warum gerade
diese Überlieferung für das Judentum so wichtig ist: „Am Ende dieser Geschichte schenkt
Gott Moses und seinem Volk Regeln. Und die
stehen in der Thora. Moses und sein Volk versprechen Gott, diese Regeln und seine Lehre
zu befolgen. Dies nennen wir Juden unseren
Bund mit Gott.“
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Jüdische Fest-und Feiertage
Anschließend erläutert Rabbiner Dray die Bedeutung des Schabbat: „Damit wir uns ausruhen kön-
nen, hat Gott uns einen Ruhetag geschenkt. An diesem Tag haben wir Zeit, um über unser Leben
nachzudenken.“
Dass das Judentum nicht nur strenge Gebote und
Verzicht, sondern auch ausgelassene Fröhlichkeit
kennt, zeigt das Purim-Fest: „Purim ist ein Fest, an
dem wir uns verkleiden und uns ebenfalls an eine
Erzählung unserer Geschichte erinnern. Wir lesen
diese Geschichte und machen immer Krach, wenn
darin der Name Haman vorkommt. Es ist lange her,
da war Haman der oberste Minister eines Königs.
Wir mussten wegen ihm um unser Leben fürchten.
Aber wir wurden gerettet, und Haman und seine
Leute gingen unter.“
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was darin war. Wir zünden an Chanukka acht
Tage lang Kerzen an. Wir hatten damals fast
kein reines Öl mehr, um das heilige Licht für
Gott anzuzünden, denn das hatte man uns ja
weggenommen. Nur ganz wenig war noch geblieben. Und da geschah etwas, was wir ein
Wunder nennen: Ein Licht, das nur Öl für einen
Tag hatte, brannte acht Tage lang! Und genau
so, wie dieses wenige Licht immer mehr wurde, ist unser Glaube an Gott wieder stark geworden. So konnte die Thora, unser Schatz,
gerettet und bis heute weiter gelehrt werden.
An Chanukka feiern wir, dass wir unsere Unterdrücker vertreiben und den Tempel wieder Gott
weihen konnten. Chanukka ist also auch das
Fest, an dem wir unseren Tempel neu eingeweiht haben.“
Mit einigen Erläuterungen zur Thora und zum
Talmud endet der Besuch. Im Talmud findet
Rabbiner Dray eine Stelle, die die ganze Lehre
der Thora zusammenfasst: „Was du hasst, das
tu deinem Freund nicht an.“ Jetzt hat Joseph
verstanden, welchen Schatz die Synagoge im
Geheimnis von Kraft und Liebe hütet.
Fakten
1. Thora, Mischna, Gemara und Talmud
Die Thora („Lehre“, „Weisung“, „Gesetz“) umfasst im Kern die Fünf Bücher Mose (Penta-
Auch das Lichterfest Chanukka erinnert an ein
Wunder, das den Juden widerfuhr, als der geschän-
dete Tempel neu geweiht wurde: „Damals ist das
griechische Volk in unser Land eingedrungen und
hat den Tempel entweiht. Und so nahmen uns die
Eindringlinge auch unseren Tempel weg und alles,
© Bayerischer Rundfunk
teuch). Nach jüdischem Glauben wurden sie
ihm am Berg Sinai von Gott übergeben. Sie
enthalten die Gesamtheit aller 613 für das Judentum verbindlichen Mitzwot (göttliche Gebote und Verbote). Die Zahl setzt sich zusammen
aus 365 Verboten sowie 248 Geboten und hat
symbolischen Charakter: 365 steht für die
Tage eines Jahres, 248 für die Körperglieder
des Menschen. Gemäß jüdischer Deutung betont die Summe der Mitzwot, dass der Mensch
als Ganzes und immer unter dem Wort und der
Weisung Gottes lebt.
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Untrennbar mit dieser schriftlichen Offenbarung ist
eine zweite mündliche Offenbarung verbunden, die
Moses im Sinne der jüdischen Tradition ebenfalls
am Berg Sinai empfing. Sie liefert den Schlüssel für
das Verständnis der schriftlichen Thora und wurde
über Jahrhunderte hinweg von einer Generation an
die nächste weiter gegeben.
sungen erhalten, von denen eine um 400 in Jerusalem, die andere um 500 in Babylonien entwickelt wurde. Trotz deutlicher Unterschiede
hinsichtlich des Umfangs, des Detaillierungsgrades und ihrer Rigidität folgen beide Versionen dem auf sechs Ord nungen basierenden
Gliederungsprinzip der Mischna.
Als nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.
Chr. der jüdische Staat und mit ihm das Priestertum
erlosch, wuchs die Sorge um den Bestand der
mündlichen Thoraüberlieferung. Daher reifte der
Entschluss, diesen zentralen Pfeiler des Judentums
durch eine Niederschrift zu bewahren.
Aufgrund ihres ergänzenden Charakters ist die
Gemara untrennbar mit der Mischna verbunden und bildet mit ihr gemeinsam den Talmud
(„Studium“), der bis heute als grundlegendes
jüdisches Gesetzeswerk in allen praktischen
Angelegenheiten oberste Autorität beansprucht.
Am Ende eines mehrschichtigen Sammlungs- und
Redaktionsprozesses lag zu Beginn des 3. Jahrhunderts mit der Mischna („Wiederholung“) erstmals
eine verbindliche Schriftfassung der mündlichen
Thora vor. Das wohl um 220 n. Chr. abgeschlossene Werk ist eine Ausfaltung der kultischen und alltäglichen Religionsgesetze (Mitzwot), die von der
schriftlichen Thora lediglich skizziert werden. In
sechs „Ordnungen“ gegliedert, stiftet die Mischna
durch detaillierte Handlungsvorschriften eine autori-
Da es zwei Versionen der Gemara gibt, unterscheidet man zwischen dem Jerusalemer und
dem Babylonischen Talmud. Nachdem der Babylonische Talmud deutlich umfangreicher,
strenger und überdies in der Regel sorgfältiger
gearbeitet ist, gilt er als gewichtigste Referenz
in Fragen der Glaubenspraxis. Der Jerusalemer Talmud hat nur dann autoritatives Gewicht, wo der Babylonische Talmud unklar
bleibt oder Fehlstellen aufweist.
2. Beschneidung, Bar Mitwa und Bat Mitzwa
tative Tradition der jüdischen Glaubens- und Lebenspraxis. Dazu zählen vor allem die religionskonforme Landwirtschaft, der Schabbat und die Festzeiten, die Reinheitsgebote, das Ehe- und Familienleben sowie strafrechtliche, sakrale und liturgische
Belange. Die als Halacha („Wegweisung“) bezeichnete normative Komponente der Mischna wird durch
ein Haggada („Kunde“, „Botschaft“) genanntes,
nicht-gesetzliches Kompendium von Geschichten,
Legenden und Gleichnissen ergänzt, das den moralisch-ethischen Gehalt der Thora narrativ vermittelt.
Auf diesem Grundstock wuchs im Lauf der folgenden Jahrhunderte ein umfangreiches Kommentarwerk heran, das rund 3000 rabbinische Analysen,
Auslegungen sowie Ergänzungen zur Mischna enthält und daher den Namen Gemara („Vollendung“,
oder „Hinzufügung“ trägt. Die Gemara ist zwei Fas© Bayerischer Rundfunk
Zum Zeichen des ewigen Bundes, den Gott mit
Abraham geschlossen und durch die Gabe der
Thora bekräftigt hat, werden alle männlichen
Juden am achten Tag nach der Geburt beschnitten. Die Verschiebung auf einen späteren Termin setzt triftige Gründe wie etwa eine
Krankheit voraus. In der Regel findet die Beschneidung (Brit Mila) zuhause oder in einem
Krankenhaus statt und wird entweder von einem Kultusbeamten (Mohel) oder einem jüdischen Arzt vorgenommen. Zugleich mit der Beschneidung erhält der Knabe einen jüdischen
Namen, der nicht mit dem standesamtlichen
„bürgerlichen“ Namen übereinstimmen muss.
Mädchen werden nicht beschnitten, sie erhalten auch nicht zwingend einen jüdischen Namen.
Mit 13 Jahren werden männliche Juden Vollmitglied der jüdischen Gemeinde und sind damit ein „Sohn des Gebots“ (Bar Mitzwa). Von
nun an gelten sie in religiösem Sinn als erwachsen und sind verpflichtet, alle religiösen
Vorschriften einzuhalten. Mit diesem Tag ist
der Vater auch nicht mehr dafür verantwortlich,
dass der Sohn die religiösen Gebote einhält.
Die "Söhne des Gebots" zählen fortan zur Mindestzahl von zehn erwachsenen Juden (Min3
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jan), die für den Gemeinschaftsgottesdienst in der
Synagoge vorgeschrieben sind. Üblicherweise wird
das neue Gemeindemitglied am Schabbat nach seinem 13. Geburtstag erstmals zum Vorlesen der
Thora aufgerufen. Die Familie feiert den Tag mit einem festlichen Mahl (Bar Mitzwa-Feier). Dabei ist es
üblich, dass der mündig gewordene Knabe einen eigenen Thoravortrag im Familien- und Freundeskreis
hält.
Mädchen erhalten bereits mit zwölf Jahren den Status einer Bat Mitzwa (Tochter der Pflicht), in neuerer
Zeit wird auch – vor allem in reformiert-jüdischen
Familien - ihre religiöse Volljährigkeit durch ein Bat
Mitzwa-Fest gefeiert.
3. Der Schabbat
Der wöchentliche Schabbat ist der wichtigste und
heiligste Tag des Judentums. Er beginnt am Freitag
nach Einbruch der Dunkelheit und endet am Samstagabend. Sein strenges Werkverbot erinnert an
das Ausruhen Gottes am siebten Tag der Schöpfung, seine besondere Heiligkeit ist durch die göttliche Einsetzung im Buch Exodus begründet: „Gedenke des Schabbattages, dass du ihn heiligest.
Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke
tun. Aber am siebenten Tage ist der Schabbat des
Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun,
auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht,
deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling,
der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat
der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer
und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten
Tage. Darum segnete der Herr den Schabbattag
und heiligte ihn.“ (Exodus, 20,8-11)
Durch den Mund des Propheten Jesaja bekräftigt
Gott das Schabbatgebot abermals: „Achtet den
Schabbat als einen Tag, der mir geweiht ist und an
dem ihr keine Geschäfte abschließt! Er soll ein Feiertag für euch sein, auf den ihr euch freut. Entweiht
ihn nicht durch eure Arbeit, durch Geschäfte oder
leeres Geschwätz! Achtet ihn vielmehr als einen
Tag, an dem ihr Zeit habt für mich, den Herrn.
Wenn ihr das tut, werde ich die Quelle eurer Freude
sein. Ich werde euch über Berge und Schluchten
tragen und euch das ganze Land mit seinem reichen Ertrag schenken, das ich eurem Stammvater
Jakob zum Erbe gegeben habe. Mein Wort gilt!“(Jesaja 58, 13-14)
Während des Schabbat gelten strengste Ruhevorschriften. Der Talmud listet insgesamt 39 Arbeiten
auf, die an diesem Tag nicht erlaubt sind. Unter das
Werkverbot fallen beispielsweise Tätigkeiten wie
Backen, Kochen, Licht oder Feuer anzünden, Einund Verkaufen, Telefonieren oder Fernsehen. Eben© Bayerischer Rundfunk
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so untersagt ist es, Verkehrsmittel zu benutzen, Sport zu treiben oder Geld zu berühren.
All diese Verbote dienen einem einzigen
Zweck: Am Schabbat soll der Mensch Abstand
vom Alltag gewinnen und seine Zeit ausschließlich Gott und der Familie widmen.
Der Schabbat setzt ein, wenn die ersten drei
Sterne am Abendhimmel aufscheinen oder ein
schwarzer Faden nicht mehr von einem weißen zu unterscheiden ist. Den eigentlichen
Schabbatbeginn markiert eine Zeremonie, die
traditionell der Hausfrau obliegt: Sie zündet die
Schabbatlichter an und segnet die Kerzenflammen. Damit sind die Werkverbote des Tages in
Kraft. Um den Schabbat würdig zu begehen,
wurde zuvor das Haus geputzt und der Tisch
festlich geschmückt. Sämtliche Speisen für die
drei obligatorischen Schabbatmahlzeiten sind
vorgekocht, ein spezieller Schabbatofen oder
ein Wärmerohr hält sie bis Samstagabend
warm.
Nachdem die Schabbatlichter angezündet sind,
begeben sich die Familien zum ersten der drei
besonders ausführlichen und feierlichen
Schabbatgottesdienste in die Synagoge. Der
Gottesdienst klingt mit dem Kiddusch ("Heiligung") aus. Dabei spricht der Vorbeter den Segen über einen Becher Wein, um die besondere Heiligkeit des Tages zu betonen.
Nach der Rückkehr von der Synagoge setzen
sich die Familien und ihre Gäste an den Esstisch, um gemeinsam das Schabbatmahl zu
genießen. Auf dem geschmückten Tisch stehen der Schabbatleuchter mit den bereits brennenden Kerzen, der mit Wein gefüllte Kidduschbecher und die geflochtenen, von einem
Tuch bedeckten Schabbatbrote (Challot) bereit.
Dem eigentlichen Mahl geht eine Reihe fest
gefügter Segenshandlungen voraus. Zunächst
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segnet der Vater die Kinder, danach singt er – zumal in orthodoxen Familien - gemeinsam mit ihnen
das Frauenlob aus den Sprüchen Salomos. Anschließend hebt der Vater den randvoll gefüllten
Kiddusch-Becher und segnet den Wein zum Zeichen der Schabbatheiligung. Er trinkt als erster,
dann geht der Becher reihum, bis alle Tischgenossen ebenfalls getrunken haben. Nachdem sich alle
die Hände gewaschen haben, beginnt das Schabbatmahl. Der Vater deckt die Schabbatbrote auf,
segnet sie und zerteilt die Laibe mit einem ausschließlich dieser Zeremonie vorbehalten ChallaMesser. Danach tunkt er ein Stück des Brotes in
Salz und isst, bevor er jedem Tischgenossen ein eigenes Brotstück zuteilt. Die Mahlzeit selbst fällt
reichhaltig aus, besondere Schabbatspeisen oder
Speisetabus gibt es jedoch nicht. Das gemütliche
Essen schließt mit gemeinsam gesungenen Liedern
und einer erneuten Lobpreisung aus den Psalmen.
Am Samstag haben alle Familienmitglieder reichlich
Zeit zum Ausschlafen, denn der Gottesdienst beginnt später als unter der Woche. Er ist sehr festlich
und hebt sich durch besondere Gebete und Lieder
von den Wochentagsgottesdiensten ab. Anschließend versammelt sich die Familie zur zweiten
Schabbatmahlzeit.
Nachmittags findet ein weiterer sehr ausführlicher
Gottesdienst statt, dem sich ein drittes gemeinsam
genossenes Mahl anschließt. Den Ausklang bildet
schließlich die Hawdala („Unterscheidung“), eine
vom Vater geleitete Zeremonie, die den Wiederbeginn des Alltags einleitet. Da mit dem Schabbatausgang wieder Feuer entzündet werden darf, wird zunächst das Hawdalalicht, eine dünne, aus zwei
Wachssträngen geflochtene Kerze mit doppeltem
Docht, angesteckt. Darauf füllt der Vater einen Becher so reichlich mit Wein, dass er in eine untergestellte Hawdalaschale überfließt. Darin drückt sich
der Wunsch aus, dass auch die kommende Woche
einen Überfluss an guten Dingen bereit halten
möge.
Anschließend segnet der Vater das Hawdalalicht,
den Wein und aromatische Gewürze („Bessanim“),
die in einer Büchse oder auf einem Tablett reihum
gehen. So hat jeder Gelegenheit, den „Duft“ des
Schabbat nochmals symbolisch zu genießen. Wenn
nach dem Vater auch alle männlichen Familienmitglieder vom Wein getrunken haben, hebt der Hausherr den Becher und spricht den Unterscheidungssegen, um den Feiertag endgültig vom Werktag zu
trennen.
Zuletzt wird noch die Hawdalakerze gelöscht – entweder mit einem Weinrest aus dem Becher oder
durch das Eintauchen in den übergeflossenen Wein,
den die Hawdalaschale aufgefangen hat.
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4. Synagoge, Gottesdienst, Tallit und Tefilin
Das Wort Synagoge kommt aus dem Griechischen und bezeichnet sowohl das jüdische
Lehr-, Gebets- und Versammlungshaus als
auch die in der Synagoge versammelte Gemeinde.
Der Ursprung und die Entstehungszeit der jüdischen Synagoge sind strittig. Manche Forscher
gehen davon aus, dass frühe Formen der Synagoge während des babylonischen Exils (586
bis v. Chr. 538) aus dem Bedürfnis entstanden,
sich in besonderen Versammlungshäusern
zum gemeinsamen Gebet einzufinden. Ein weiteres Motiv könnte die zunehmende Bedeutung
des Schabbat und damit die Notwendigkeit eines Versammlungsortes für gottesdienstliche
Zusammenkünfte beziehungsweise für Lesungen aus der Schrift und das Gemeindegebet
gewesen sein.
Archäologische Zeugnisse und Schriftbelege
dokumentieren die Existenz ägyptischer Synagogen für das 3. Jahrhundert vor Christus; auf
der Insel Delos finden sich Überreste einer
Synagoge aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert.
Zur Zeitenwende dürften in jeder jüdisch besiedelten Ortschaft Palästinas und in großen
Städten der Diaspora wie etwa Rom oder Alexandria bereits Synagogen bestanden haben.
Wie erhaltene Inschriften zeigen, dienten sie
"dem Vorlesen des Gesetzes und zum Unterricht in den Geboten". Größere Synagogen waren zudem mit Wasseranlagen und Herbergen
für Fremde ausgestattet. Daneben fungierte
die Synagoge auch als Gerichtssaal und als
Unterbringungsmöglichkeit für jüdische Reisende.
So entwickelte sich die Synagoge zum jüdischen "Gemeindezentrum", in dem neben dem
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Gottesdienst alle das Gemeinwesen betreffenden
Angelegenheiten ihren Ort hatten. Ein betont sakraler Charakter entfaltet sich erst nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr.
5. Der Synagogengottesdienst
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Zeichen zum Einsatz für die von ihr zu sprechenden Responsorien und Gebete zu geben.
Am Schabbat werden sieben, am Versöhnungstag sechs, an anderen Festtagen fünf
Männer zur Lesung aus der Thora aufgerufen.
Jeder trägt mindestens drei Verse vor. Sofern
Der jüdische Gottesdienst kennt keine priesterlichen
Funktionen. An der Gestaltung des Gottesdienstes
sind alle männlichen Gemeindemitglieder beteiligt.
Um einen Gottesdienst zu feiern, müssen jedoch
mindestens zehn kultfähige und über dreizehn Jahre
alte Männer anwesend sein (Minjan).
Die Frauen folgen dem Gottesdienst meist auf einer
eigenen Empore. In manchen Synagogen ist die
Trennung der Geschlechter jedoch so weit aufgehoben, dass Männer und Frauen – wenn auch in getrennten Bankreihen, gemeinsam im Hauptraum sitzen.
Im Zentrum des jüdischen Gottesdienstes steht die
Lesung aus der Thora. Dazu kommen liturgische
der Aufgerufene den hebräischen Text nicht
selbst vorlesen kann, liest er stumm mit, während ein geschulter Vorleser an seiner Stelle
laut rezitiert. Da nicht alle Gemeindemitglieder
das Hebräische beherrschen, sind Gebetbücher mit phonetischen Umschriften und Erläuterungen in Gebrauch.
Die Thorarollen werden im Thora-Schrein aufbewahrt. Er hat seinen Platz auf einem gen Jerusalem ausgerichtetem Podium. Für den Vorleser ist in der Nähe des Thoraschreins ein Lesepult, die Bima, eingerichtet. Vor dem Thoraschrein brennt auf einem Leuchter ein ewiges Licht.
Elemente wie das gemeinsame Bekenntnis, gesprochene und gesungene Gebete sowie der Segen.
Die stets von einem besonderen Schreiber auf
Pergament handgeschriebenen Thorarollen
sind auf zwei Holzstäben aufgrollt, mit einem
Thorawimpel umwunden und von einem be-
Sofern das Quorum des Minjan erfüllt ist, finden
Wochentags, am Schabbat und an den Feiertagen
regelmäßig drei Gottesdienste statt: einer am Morgen, einer mittags und einer abends. Aus Gründen
der Praktikabilität werden der Nachmittags- und der
Abendgottesdienst dabei häufig zusammengelegt.
Die Leitung des Gottesdienstes obliegt dem Synagogenvorsteher oder dem Vorbeter. Zu diesem
Amt ist jeder männliche Jude befugt, der das Gebetsritual beherrscht. Das Lektorenamt ist jenen
vorbehalten, die Hebräisch lesen können. Der Vorbeter nimmt die Thorarollen zur Lesung aus dem
Schrein und stellt sie anschließend wieder zurück.
Zu seinen Aufgaben gehört es überdies, die Vorbeter und Lektoren aufzurufen und der Gemeinde das
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sonders geschmückten Thoramantel (Mappa)
umhüllt. Auf dem Mantel ist der Thora-Schild
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(Tass) angebracht. Den Kopf der Thorarolle
schmückt eine Silberkrone (Kether), um die Herrschaft der Schrift über das Volk Israel zu symbolisieren. Statt der Krone können auch Rimonim
(Grantäpfel), ein mit Glöckchen verzierter Aufsatz,
die Thorarollen schmücken.
Zum Gottesdienst wird die Thora feierlich aus dem
Schrein geholt, erhoben und abschnittweise auf der
Bima ausgerollt. Um die Heiligkeit der Thora zu achten, bedient sich der Vorleser eines silbernen handförmigen Zeigestabes (Jad), mit dem er die Zeilen
nachfährt, ohne das Buch mit der Hand zu berühren.
Tallit und Tefilin
Während des Gottesdienstes gelten strenge rituelle
Auflagen: Die Gläubigen bedecken ihren Kopf mit
der Kippa, hüllen sich in den Gebetsmantel (Tallit)
ein und legen die Gebetsriemen (Tefilin) an.
Der Gebetsmantel (Tallit) ist ein viereckiges, meist
weißes und durch farbige Streifen geziertes Umhän-
getuch aus Wolle, Baumwolle oder Seide, das fast
den ganzen Körper einhüllt. Er wird sowohl während
des Synagogengottesdienstes als auch beim häuslichen Gebet umgelegt.
Neben dem großen Tallit („Tallit gadol“), der während Morgengebets über der Kleidung getragen
wird, gibt es einen kleinen schalähnlichen Tallit
(„Tallit gatan“), der um den Hals liegt und nur die
Brust bedeckt. Fromme Juden tragen den kleinen
Tallit auch tagsüber unter der Kleidung.
Ein besonderes Merkmal des Gebetsmantels sind
auffällige Schaufäden (Zizijot). Sie bestehen aus
langen weißen und mehrfach verknoteten Wollfäden, die an den vier Ecken des Tallit zu Quasten gebündelt sind.
Zum Gebet während der Wochentage legt jeder religiös mündige Jude zudem zwei schwarze Lederkap© Bayerischer Rundfunk
seln (Tefilin) an, die er mit schwarzen Lederriemen am linken Arm und auf der Stirn befestigt.
Die Tefilin umschließen auf Pergament geschriebene Bibelabschnitte und erfüllen so das
Gebot, dass die Thora „zum Zeichen an deiner
Hand und zum Erinnerungsmal zwischen deinen Augen“ sein soll (Ex 13,9). Am Schabbat
und an den Feiertagen werden sie nicht angelegt, da sich diese Tage per se durch ihre besondere Heiligkeit auszeichnen.
6. Jüdische Feiertage und Feste
Die Jüdischen Fest- und Feiertage dienen in
erster Linie der gemeinsamen Erinnerung an
die Geschichte des Volkes Israel und der Segenstaten Gottes: „Wie keine andere Religion
ist die des Judentums auf Geschichtserfahrungen gegründet, vom Glauben an ein Handeln
Gottes in der Geschichte geprägt […] Religion
und Volk, Volk und Geschichte gehören somit
wesentlich zusammen.“ (Stemberger, S. 16.)
„Das kollektive Gedächtnis prägt die jüdische
Identität, Weltsicht und das Leben daher stärker als Lehrinhalte.“ (Hutter, S. 49f.)
Das Datum der Fest- und Feiertage richtet sich
nach dem jüdischen Kalender, der sich aufgrund seiner soli-lunaren Gliederung deutlich
vom gregorianischen Kalender unterscheidet.
Der jüdische Kalender hat zwölf Monate, die
sich an den Mondphasen orientieren und stets
mit dem Neumond beginnen. Die Jahreszählung orientiert sich hingegen am Sonnenlauf.
Um das jüdische Jahr an den Sonnenlauf anzupassen, müssen in regelmäßigen Abständen
Schaltmonate eingefügt werden. Dadurch ist
gewährleistet, dass gleiche Monate immer in
dieselben Jahreszeiten fallen. Da sich die Festtage nach dem Mondlauf richten, ergeben sich
zudem schwankende Daten, die – wie das
christliche Osterfest - alljährlich neu errechnet
werden müssen.
Die Monatsnamen des jüdischen Kalenders
• Tschiri (September/Oktober
• Heshvan (Oktober/November)
• Kislew (November/Dezember)
• Tewet (Dezember/Januar)
• Schwat (Januar/Februar)
• Adar (Februar/März)
• Nissan (März/April)
• Ijjar (April/Mai)
• Siwan (Mai/Juni)
• Tammus (Juni/Juli)
• Aw (Juli/August)
• Elul (August/September)
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Das jüdische Jahr selbst beginnt mit dem ersten
Tag des siebten Monats Tschiri (September/Oktober) und gilt als Fixpunkt der Berechnung von Kalenderjahren. In diesen Monat fällt das jüdische
Neujahrsfest Rosch Haschana („Kopf des Jahres“);
es wird 162 Tage nach dem ersten Tag des
Pessachfestes gefeiert.
7. Die drei Wallfahrtsfeste
Feierliche Höhepunkte des jüdischen Jahres sind
die drei Wallfahrtsfeste Pessach, Schawuot und
Sukkot. Der Name Wallfahrtsfest erinnert daran,
dass sich vor der Zerstörung des Tempels ganz Israel an diesen Tagen in Jerusalem versammelte,
um zentrale Heilsereignisse der jüdischen Geschichte und des Bundes mit Gott zu feiern. Sofern
irgend möglich, war jede jüdische Familie gehalten,
an den Wallfahrtsfesten in die Stadt Davids zu pilgern und im Tempel zu opfern.
Pessach (März/April)
Pessach ist das wichtigste der drei Wallfahrtsfeste
im Jahreslauf. Es muss stets im Frühjahr zur Zeit
der Ährenreife stattfinden und wird daher im Monat
Nissan (März/April) gefeiert. Der Name bedeutet
"schonendes Vorübergehen“ und erinnert an die Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Fron
sowie an die ungesäuerten Brote, die sie auf der
Flucht vor dem Pharao aßen: „Halte den Monat der
Ährenreife ein, und bringe dann das Pessachopfer
dar, denn im Monat der Ährenreife führte dich der
Ewige, dein Gott aus Ägypten." (Dtn 16,1). Das genaue Datum schwankt, da der grundlegende Frühlingsbeginn und damit auch der Frühlingsmonat
Nissan nach dem Mondzyklus berechnet werden:
"Am vierzehnten Tage dieses Monats (Nissan) gegen Abend sollt ihr das Pessachopfer darbringen"
(Num 9,3).
Die sieben Festtage symbolisieren den Zeitraum
vom Auszug aus Ägypten bis zur Überquerung des
Schilfmeeres, in dem die Truppen des Pharao ertranken.
Für die Dauer des Festes gelten besondere und
strenge Speiseverbote. So darf kein Jude während
der Pessach-Woche "Chamez" essen oder auch nur
in seinem Besitz dulden. Chamez bezeichnet sämtliche Speisen aus einer der fünf Getreidearten Weizen, Gerste, Dinkel, Hafer und Roggen, die durch
den Kontakt mit Wasser einem Gärungsprozess
ausgesetzt waren und daher "gesäuert" sind.
Konkret verboten sind daher alle Back- und Teigwaren, die aus aufgegangenem (gegorenem) Mehl
hergestellt werden. Das Chamez-Verbot resultiert
aus einem symbolischen Verständnis: Das Gären
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des Teiges bezeichnet das Wirken "böser Triebe" im Menschen, insbesondere die Überheblichkeit und den Stolz.
Am Vorabend des Pessachfestes (Rüsttag)
leuchtet jeder jüdische Hausvater sämtliche
Winkel seines Hauses aus, um sicher zu gehen, dass nichts Gesäuertes übrig geblieben
ist. Sollten sich dabei letzte Reste finden, werden sie am Morgen des folgenden Tages verbrannt. Auf der symbolischen Ebene erforscht
der fromme Jude damit seine Seele, um sich
zu vergewissern, dass er jegliche Überheblichkeit gegenüber Gott aus seinem Herzen verbannt und sich der Führung Gottes unterwirft.
Diesen Willen bekundet er durch ein rituelles
Gebet, wenn er spricht: "Möge es Dein Wille
sein, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, dass Du den bösen Trieb aus unserem Inneren vertilgst, so wie ich jetzt den Chamez
vertilge. Ich erkläre ihn für null und nichtig wie
den Staub der Erde".
Der erste Abend des Pessachfestes heißt Sederabend. Bei dieser Tischzeremonie versammelt sich die Familie zu einer Festmahlzeit mit
genau geregelten Handlungen. Im Zentrum
stehen die Seder-Schüsseln mit symbolischen
Gerichten. Dazu wird ungesäuertes Brot (Mazzot, Metzen) gegessen. Zumindest am ersten
Abend ist das Mazzot-Essen ein verpflichtendes Gebot. Denn zum einen sind die Metzen
ungesäuert, zum anderen erinnern sie als "Brot
der Armut" (Leckem Oni), an die karge Speise
in der ägyptischen Knechtschaft. Hinzu kommt,
dass sie zugleich als "Brot der Erlösung" gelten, von dem sich die Juden während des Auszugs aus Ägypten ernährten.
Zu den auf der Seder-Schüssel angeordneten
Speisen gehört auch der Maror, das Bitterkraut. Es erinnert an die Bitterkeit der ägyptische Fron; Charosset ist eine aus Äpfeln, Nüssen und Zimt zubereitete Speise, deren lehmartige Konsistenz an den von den Juden in
der ägyptischen Sklaverei zubereiteten Lehm
erinnert; Karpass ist ein Gemüse, das man vor
dem Verzehr in Salzwasser eintaucht; Salzwasser, Ei und ein gerösteter Knochen, an
dem noch Fleisch sein muss, erinnern an das
vor der Zerstörung des Tempels dort dargebrachte Pessachopfer. (Als der Tempel noch
stand, wurde am Vorabend des Pessachfestes
ein Lamm geschlachtet und danach während
einer Opfermahlzeit gegessen. Da seit der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. das Tempelopfer nicht mehr möglich ist, wird er durch
einen gebratenen Knochen auf der SederSchüssel ersetzt.)
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Ebenfall zum Gedenken an die Rettung aus der
äyptischen Knechtschaft dienen die "vier Becher der
Erlösung". Diese vier Becher Wein oder Traubensaft erinnern an die vier Stufen der Erlösung, die
den Exodus auszeichnen (1. Erlösung aus der
Knechtschaft, Ende der körperlichen und geistigen
Not; 2. Beendigung des Herrschaftsverhältnisses
von Ägyptern über Juden; 3. Aufhebung des Fremdenstatus; 4. Vereinigung des befreiten Volkes mit
Gott am Berg Sinai).
schlafen und essen, heute begnügt man sich
meist damit, zumindest am ersten Tag ein
Mahl in der Hütte einzunehmen. Als Zeichen
der Freude wird ein Feststrauß aus vier verschieden Gewächsarten gebunden und beim
Morgengebet geschwenkt. Daneben gilt auch
Sukkot als Erntedankfest.
„Vier Becher Wein soll am Sederabend jeder trinken, Mann und Frau, alt und jung, arm und reich,
unter Aufsicht geernteten, vergorenen, verpackten
und als solchen bezeichneten Pessachwein oder
auch Rosinenwein, den man allein bereiten kann
und der den Kindern schmeckt und nicht schadet.
Der Becher soll nicht zu klein sein und jedes von
den vier obligatorischen Malen wenigstens halb geleert werden. Man trinkt ihn links angelehnt, besonders der Hausherr hält den Seder links angelehnt,
wie ein freier Mann, denn dies war einst das Zeichen freier Männer im Morgenland, und am
Pessach wurden wir freie Männer."
Jom Kippur ist nach dem wöchentlichen
Schabbat der wichtigste jährliche Festtag im
Judentum. Er beginnt bei Sonnenuntergang vor
dem 10. Tag des Monats Tschiri und endet mit
dem folgenden Sonnenuntergang. Während
der dazwischen liegenden Zeit dürfen gläubige
Juden weder essen noch trinken noch arbeiten
oder Leder tragen. Außerdem müssen sie sexuell enthaltsam sein und jegliche Körperpflege
unterlassen. Zentrales Anliegen dieses strengen Fasttages ist die Versöhnung mit Gott und
den Mitmenschen. Daher stehen die Bitte um
Vergebung, die kollektive Reue und das gemeinsame Sündenbekenntnis im Mittelpunkt
der ausgedehnten Gottesdienste. Da Gott den
Menschen an Jom Kippur die Gnade der Sündenvergebung schenkt, hat dieser Tag trotz aller Fasten- und Enthaltsamkeitsgebote ein heiteres Gepräge. Die Tradition dieses Tages hat
sich in der deutschen Redewendung vom Sündenbock niedergeschlagen: Das Wort geht
darauf zurück, dass der der Hohepriester zur
Zeit des Jerusalemer Tempels an Jom Kippur
das Los über zwei Böcke warf. Einer wurde im
Allerheiligsten geopfert, der andere, symbolisch mit den Verfehlungen des Volkes beladen, als Sündenbock in die Wüste gejagt.
Eines der zentralen Gebote des Abends verlangt,
die Erzählung vom Auszug aus Ägypten zu lesen.
Die Seder-Mahlzeit und die Haggada sind daher untrennbar miteinander verwoben, und verschiedene
symbolische Speisen bieten den Anlass unterschiedliche in der Haggada angesprochene Aspekte
des Auszugs aus Ägypten zu erörtern.
Schawuot (Wochenfest, Mai/Juni)
Das Wochenfest Schawuot findet sieben Wochen
(50 Tage) nach Pessach am 6. Siwan statt und erinnert an die Übergabe der Thora auf dem Berg Sinai.
Da auch die Weizenernte, zumindest in Israel, in
diese Zeit fällt, ist das Wochenfest gleichzeitig ein
Erntedankfest. Der Brauch, zu Schawuot bevorzugt
Milch zu trinken und Honig zu essen, symbolisiert
die Bedeutung der Thora für das Volk Israel: Sie ist
ebenso kostbar und nahrhaft wie jene beiden Speisen, von denen das „Verheißene Land“ überfließt.
Jom Kippur
(Versöhnungstag, September/Oktober)
Chanukka
Lichterfest, November/Dezember
Das Lichterfest wird zur Zeit der Wintersonnen-
Sukkot (Laubhüttenfest, September/Oktober)
Am 15. Tag des siebten Monats – also ein halbes
Jahr nach Pessach - beginnt das heitere Laubhüttenfest Sukkot. Es erinnert an die Zeit der 40-jährigen Wüstenwanderung, als das Volk Israel in Laubhütten wohnte. Wer immer kann, errichtet daher
eine Sukka, deren Dach mit Laub und Zweigen gedeckt ist. Stadtbewohner, die weder über einen Garten noch sonst eine geeignete Fläche verfügen,
können auch den Balkon als Sukka herrichten.
Streng genommen sollte die Familie während der
einwöchigen Dauer des Festes in der Laubhütte
© Bayerischer Rundfunk
wende gefeiert und erinnert an die Wiederein9
Schulfernsehen
weihung des Tempels 165 v. Chr. Den historischen
Hintergund liefert die Vertreibung der seleukidischen
Besatzungsmacht durch die Hasmonäer. 168 v.
Chr. hatte der Seleukidenherrscher Antiochus IV.
Epiphanes (175-164 v. Chr.) den Tempelschatz geplündert und das Jahwe-Heiligtum dem Zeus Olympios geweiht. Er zwang die Priesterschaft einer
Zeusstatue auf dem Vorplatz des Tempels zu huldigen und ließ in den Städten des Landes Altäre für
griechische Götter errichten. Die Ausübung zentraler Elemente des Judentums wie Beschneidung,
Tempeldienst, Einhaltung der Schabbatruhe oder
auch nur der Besitz von Thorarollen waren bei Todesstrafe verboten. Unter Führung des Priesters
Mattathias aus dem Geschlecht der Hasmonäer zogen sich darauf thoratreue Juden in die Berge zurück und begannen den bewaffneten Kampf gegen
die seleukidische Fremdherrschaft. Nachdem Mattathias gestorben war, führte sein Sohn den Aufstand an. Aufgrund seiner militärischen Erfolge legten ihm seine Anhänger den Beinamen "Makkabi",
der Hammer, zu. Nach ihm sind sowohl der Makkabäer-Aufstand als auch die Makkäbäer-Bücher des
Alten Testament benannt. Einiger Rückschläge zum
Trotz führte die ausgesprochene Guerillataktik der
makkabäischen Truppen zum Erfolg. Antiochos V.
(164-162) widerrief das Religionsverbot seines Vaters und sicherte den Juden die freie Ausübung ihres Kultes zu. Damit gab sich Judas Makkabi jedoch
nicht zufrieden. Längst hatte er den Aufstand nach
Juda getragen, wo er seleukidische Siedler vertrieb
und das enteignete Land an seine Anhänger verteilte. Schließlich griff er Jerusalem an, das von einer
seleukidischen Garnison verteidigt wurde. Im Jahr
165 v. Chr. eroberten die Aufständischen den Tempel. Da sie das Heiligtum geschändet vorfanden,
musste es gereinigt und erneut geweiht werden. Zu
allem Unglück fand sich jedoch nur ein kärglicher
Rest kultisch reinen Öls, um den großen siebenarmigen Tempelleuchter (Menorah) zu entzünden. In
dieser Not geschah ein Wunder, das die Juden
noch heute an Chanukka feiern: Der kärgliche Öl© Bayerischer Rundfunk
Schulfernsehen
rest brannte wider Erwarten sieben Tage hindurch, lange genug also, um kultisch reines Öl
für den Tempel zu gewinnen.
Zum Gedächtnis dieses Wunders stellen die
Juden während der acht Festtage nach Einbruch der Dunkelheit Kerzen oder Öllichter in
Fenster und Türen. Sie beginnen mit einem
Licht am ersten Tag und fügen jeden folgenden
Tag ein weiteres Licht hinzu, bis schließlich
insgesamt acht Lichter brennen. Da die Chanukkalichter keinem profanen Zweck dienen
dürfen, werden sie durch eine spezielle Kerze,
den Schamsch („Diener“), angezündet.
Der Grundzug des Festes ist fröhlich. Die Familien feiern ausgelassen, die Kinder werden,
ähnlich wie beim christlichen Weihnachtsfest,
beschenkt. Fasten ist verboten, stattdessen
werden zum Gedächtnis des Ölwunders besondere ölige oder in Öl ausgebackene Speisen wie Krapfen und Kartoffelpuffer verzehrt.
Lieder und diesem Fest vorbehaltene
(Glücks-)Spiele unterstreichen den heiteren
Charakter des Lichterfestes. Dabei gedenkt
man jedoch stets auch der Wunder- und Rettungstaten Gottes und betet Psalmen.
Purim (Februar/ März)
Purim wird am 14. Tag des Monats Adar gefeiert. Das Fest erinnert an eine weitere göttliche
Errettung aus größter Not. Die zugehörige Geschichte erzählt das Buch Ester: Haman, der
ranghöchste Beamte des persischen Königs,
trachtete danach, die Juden in ganz Persien
auszurotten. Er schwärzte die Kinder Israels
beim König an und beschuldigte sie des kollektiven Hochverrats. So erklärte Artaxerxes, von
Haman angestachelt, die Juden für vogelfrei
und gab sie damit der Vernichtung anheim. Ester, eine jüdische Waise, die Artaxerxes kurz
zuvor geheiratet hatte, vereitelte den Völkermord. Sie deckte die Ränke Hamans auf, der
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Schulfernsehen
zur Strafe am Galgen erhängt wurde, und erwirkte
den Juden das Recht, sich ihrer Feinde mit Waffengewalt zu erwehren. Am 13. und 14 Adar, dem Tag
ihrer geplanten Vernichtung, schlugen die Juden zurück. Insgesamt 75.000 Perser, so berichtet die Bibel, fanden dabei den Tod.
Zum Gedächtnis der Errettung liest die Synagogengemeinde am Festtag aus dem Buch Ester. Sooft
dabei der Name Haman fällt, lärmen die Gottes-
dienstbesucher lauthals, oft durch Rasseln verstärkt, um den Namen des besiegten Verderbers zu
übertönen. Für den Brauch, an Purim auf Straßenumzügen und selbst in der Synagoge Masken oder
Kostüme zu tragen, gibt es mehrere Erklärungen.
Eine besagt, auch Gott habe sich im Buch Ester hinter Masken verborgen, da er darin walte, ohne dass
sein Name auch nur ein einziges Mal genannt würde. So habe er gleichsam verkleidet gehandelt, um
sein Volk vor der Vernichtung zu bewahren.
Schulfernsehen
oft mit Geistlichen wie einem Pfarrer oder einem Priester verglichen, aber das trifft es nur
teilweise. Ein Rabbiner ist vor allem ein Lehrer,
jemand, der die Befugnis hat, in allen Fragen
jüdischer Gesetze zu entscheiden. Da unsere
Gesetze oftmals sehr unterschiedliche Auslegungen erlauben, muss es jemanden geben,
der eine klare Meinung hat und im Falle strittiger Interpretationen eine Entscheidung für die
Gemeinde trifft. Das ist ein Teil meiner Aufgabe und Zuständigkeit. Dann bin ich als Rabbiner natürlich auch Seelsorger, der in allen Lebens- und Glaubensfragen zur Verfügung
steht. Obendrein habe ich auch administrative
Funktionen in Gemeindeangelegenheiten und
halte öffentliche Lektürestunden für Erwachsene sowie Studenten der Gemeinde. Zuletzt bin
ich auch, anderes als viele Rabbiner, in der
Synagoge und im Gottesdienst aktiv. Diese Tätigkeit gehört jedoch nicht zum verbindlichen
Pflichtprogramm eines Rabbiners, der ja, wie
bereits gesagt, vor allem ein Lehrer sein soll.
Wer sich mit dem Judentum beschäftigt,
sieht sich einem äußerst vielschichtigen
Miteinander von mündlicher und schriftlicher Tradition, unterschiedlichen Strömungen und Auslegungstraditionen gegenüber.
Warum ist das alles so kompliziert?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich
4000 Jahre geschichtlicher Entwicklung in drei
Ob das karnevalistisch anmutende Purimtreiben auf
den christlichen Fasching abgefärbt oder diesen
nachgeahmt hat, lässt sich nicht erschließen.
8. Jüdisches Leben in München: „Fang einfach
an, und der Rest wird kommen!“
Steven Langnas ist Gemeinderabbiner der Israelitisch Kultusgemeinde München und Oberbayern
und zudem Vorstandsmitglied der Europäischen
Rabbinerkonferenz. Er wurde 1956 geboren und
studierte an der Yeshiwa-Universität in New York.
Bevor er 1998 nach München kam, lebte Steven
Langnas acht Jahre in Basel.
Schulfernsehen online: Herr Langnas, was ist eigentlich ein Gemeinderabbiner und welche Aufgaben hat er?
Steven Langnas: Vielleicht sollte man besser fragen, was ein Rabbiner ist. Wir Rabbiner werden ja
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Minuten pressen. Zum einen ist das Judentum
nicht bloß eine Religion, sondern ein Lebensstil, der unser Dasein vom Sonnenaufgang bis
zum Sonnenuntergang und von der Wiege bis
zum Sarg bestimmt. Weil das Judentum jeden
Aspekt unseres Lebens berührt, gibt es eine
Menge von Verhaltensvorschriften. Die Grundlage dafür legen die fünf Bücher Mose, die wir
Thora nennen. Wir glauben aber fest daran,
dass Moses mit der schriftlichen Thora am
Berg Sinai von Gott auch eine mündliche Ergänzung bekommen hat. Wie diese mündliche
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Schulfernsehen
und die schriftliche Thora zusammenhängen, lässt
sich am Besten an einem Beispiel zeigen. So steht
etwa in der der schriftlichen Thora, dass wir sieben
Tage in einer Sukka, in einer Laubhütte, sitzen sollen. Aber nirgendwo in der schriftlichen Thora ist zu
lesen, wie eine Sukka aussehen soll. Diesen wichtigen Punkt klärt die mündliche Thora. Sie lässt uns
wissen, wie wir das göttliche Gebot im Alltag erfüllen. Beide Überlieferungen gehören also unbedingt
zusammen und haben in dieser gegenseitigen Erhellung unser Leben geprägt. Nach der Zerstörung
des Tempels im Jahr 70 durch die Römer erlosch
der jüdische Staat, die Juden wurden aus Palästina
vertrieben. Damals befürchteten die Rabbiner dass
die mündliche Überlieferung in Vergessenheit geraten könnte. Also beschlossen sie, die mündliche
Thora aufzuschreiben. Dazu nutzten sie eine Art Telegrammstil, der in seiner Verkürzung nicht mehr
ohne eingehendes Studium lesbar ist. Um diese als
Mischna bezeichnete Niederschrift der mündlichen
Tradition zu verstehen, braucht man einen Studienpartner und einen Lehrer, der die Tradition kennt
und erklären kann, worum es geht. Dazu kommt,
dass die beiden Hauptstränge durch zahlreiche erklärende Traktate und Gesetzbücher ergänzt werden die in ihrer Summe klar und prägnant vorschreiben, was man zu tun und was man zu lassen hat.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird vielleicht verständlich, warum das Judentum eine sehr
lebendige, aber eben auch erklärungs-, auslegungsund diskussionsintensive Religion ist. Und bis vor
rund 200 Jahren war die Sache damit auch relativ
klar. Es gab nur Juden und nur ein Judentum, es
gab keine Liberalen, keine Orthodoxen, keine anderen Strömungen. Mit der Aufklärung, der Befreiung
aus den Ghettos und der Gewährung von Zivilrechten änderte sich alles. Infolge dieser Umwälzungen
brachen im Judentum einige große Fragen auf: Wie
weit wollten und sollten wir uns an der Kultur unserer Gastländer beteiligen, wie weit wollten und sollten wir uns als Juden oder als Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier und so weiter identifizieren?
Auf diese Fragen fanden unterschiedliche Gruppen
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Schulfernsehen
sehr unterschiedliche Antworten. Dabei schälten sich zwei extreme Positionen heraus: Zum
einen gab es Juden, die nichts ändern und weiterhin so wie im Ghetto leben wollten. Am anderen Ende des Spektrums gab es Juden, die
keinen Sinn darin sahen, am Judentum festzuhalten und dafür plädierten, Christen zu werden. Dazwischen gab es zwei mittlere Positionen. Eine sprach sich dafür aus, dass wir zwar
jüdisch bleiben, uns aber dennoch an den Zeitgeist und die Umwelt anpassen sollten. Diese
Gruppe, die man heute Reformjudentum
nennt, hat eine umfassende Anpassungstheologie entwickelt. Im Kern steht die Auffassung,
dass die Gesetze nicht von Gott, sondern von
den Menschen kommen. Und was von den
Menschen kommt, können andere Menschen
ändern. Damit betont diese liberale reformierte
Richtung die ethisch-moralischen aber nicht
die rituellen Vorschriften des Judentums. Die
vierte Strömung schließlich, der auch ich angehöre, sagt: Wir wollen jüdisch bleiben, wir wollen religiös bleiben aber wir wollen auch soweit
an der Gastgeberkultur teilnehmen, solange es
nicht im Konflikt mit unseren Gesetzen steht.
Diese maßgeblich vom Frankfurter Rabbiner
Samson Raphael Hirsch im 19. Jahrhundert
entwickelte Strömung benutze ich für mich persönlich und für meine Gemeindemitglieder als
Wegweiser. Sie zeigt, dass es möglich ist, hier
in Deutschland im 21. Jahrhundert zu leben
und an sehr vielen Aspekten der hiesigen Kultur teilzunehmen, aber dennoch ein religiöser
Jude zu bleiben.
Und was ist der religiöse Kern dieses von
Ihnen skizzierten Judentums?
Erstens der monotheistische Glaube an den
einen einzigen Gott und Schöpfer. Zweitens
der Glaube, dass die fünf Bücher Mose und die
Gesetze von Gott gegeben und daher ewig und
unveränderlich sind. Drittens die Verpflichtung,
nach diesen von Gott offenbarten Gesetzen zu
leben und sie einzuhalten.
Das erweckt den Eindruck, als sei das Befolgen des Gesetzes und nicht der Glaube
die entscheidende menschliche Haltung gegenüber Gott. Trifft das zu?
Jein. Das Judentum ist sicherlich eine Religion
des Gesetzes. Aber warum? Weil wir überzeugt sind, dass unser Tun auch unsere Seele
formt. Lassen Sie mich dazu eine Geschichte
erzählen: Da ist eine Frau, die eine kranke
Tochter hat. Und diese Tochter braucht eine
Operation, die ihre Mutter selber nicht bezahlen kann. Daher spricht die Frau zwei wohlha12
Schulfernsehen
bende Männer an. Einer hört ihre Geschichte, ist
voller Mitleid und beginnt zu weinen. Er steckt seine
Hand in die Tasche, holt einen Schein heraus und
gibt ihn der Frau. Es ist ein 5-Euro-Schein. Der andere hat keine Zeit zuzuhören. Er hat vollauf mit seinen Geschäften zu tun und ist in Eile. Aber auch er
steckt seine Hand in die Tasche, holt einen Schein
heraus und gibt ihn der Frau. Es ist ein 500-EuroSchein. Wer ist der bessere Mensch? Der voller
Tränen und Mitgefühl zugehört, aber nur fünf Euro
gespendet hat. Oder doch der, der nicht zugehört,
dafür aber 500 Euro gespendet hat?
Sagen Sie´s mir!
Nein, Sie müssen antworten.
Na ja, wenn man an das Scherflein der armen
Witwe im Neuen Testament denkt, die weniger,
aber dafür von Herzen gibt…
Stopp, darum geht es nicht. Es geht nicht darum,
dass der Euro eines Armen mehr Gewicht hätte als
1000 Euro eines Reichen. Wir reden von wohlhabenden Männern, die beide gleich reich sind und
gleich viel geben können.
So gesehen, sind die 500 Euro des Eiligen natürlich mehr. Und damit wäre er dann auch der bessere Mensch.
O.k. Und das ist es, was wir glauben. Wenn wir nur
immer warten, bis unser Herz oder unsere Seele
sich zur Tat aufschwingt, bleiben die Armen arm
und Wohltätigkeitseinrichtungen gehen pleite. Die
Hauptsache ist doch, dass man etwas tut. Dann darf
man auch hoffen, dass das Herz und die Seele mit
den Taten wachsen.
Aber wie kann das Befolgen eines Gesetzes die
Seele prägen?
Wir sind beispielweise dazu verpflichtet, dreimal
täglich zu beten, nämlich morgens, nachmittags und
abends. Nun sagen manche Leute, sie könnten erst
beten, wenn sie inspiriert sind. Das Judentum aber
sagt: Fang an zu beten, und die Inspiration wird
kommen! Das Handeln schafft den Raum und die
Gelegenheit, der Körper zieht die Seele mit sich,
das Tun überwindet die Trägheit der Seele. Das ist
umso wichtiger, je schwerer es uns ankommt, eine
Aufgabe zu erledigen oder einem Gebot zu gehorchen. Aber wenn wir angefangen haben, kommt die
Inspiration meist von alleine. Das habe ich selbst oft
erlebt. Als ich in meiner Jugend einige Jahre Gesangsstunden nahm, fiel es mir nach der Arbeit oft
schwer, am Abend noch zu meiner sehr betagten
Lehrerin zu gehen. Ich war einfach nur müde und
absolut nicht inspiriert. Aber immer wenn ich dann
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doch dort war, ging ich als anderer Mensch
nach Hause. Es hat meinem Körper, meinem
Geist und meiner Seele jedes Mal gut getan,
zu singen. Aber zuvor musste ich einen Anfang
machen, damit sich dieses Gefühl schließlich
einstellen konnte. Darum geht es, und darum
sagt das Judentum: Fang an, und der Rest
wird kommen. Fang an, das Gesetz zu befolgen, dann schwingt die Seele sich auf.
Heißt das, Gutes zu tun, reinigt die Seele?
Ich würde sagen, Gutes zu tun, macht uns zu
guten Menschen. Es ist sehr schwierig, ständig
Gutes zu tun und dabei im Herzen ein böser
Mensch zu bleiben. Wer lediglich gute Gedanken hat, die er nicht ausführt, hat es hingegen
schwer, ein guter Mensch zu bleiben.
Das traditionelle Christentum beschreibt
Leib und Seele oft als Gegensätze. Im Judentum erscheinen sie dagegen sehr eng
miteinander verbunden. Täuscht dieser Eindruck?
Nein, das trifft zu. Für uns bilden Körper, Seele
und Geist eine Einheit. Das können Sie auch
am Beispiel der Speisevorschriften sehen. Sicher könnte man sagen, diese Speisevorschriften seien bloße Rituale, die mit Seele und
Geist nichts zu schaffen haben. Aber schon
der große Philosoph Maimonides sagte: Man
ist, was man isst. Die Speisen, die wir zu uns
nehmen, wirken sich nicht nur auf den Körper
aus. Sie machen uns bewusst, dass Gott unser
Leben vollständig durchdringt, dass es keinen
Aspekt unseres Lebens gibt, der ihm entzogen
wäre.
Demnach erschöpft sich das Judentum also
nicht in einem rein äußerlichen Erfüllen des
Gesetzes und der Vorschriften?
Nein, diese Sicht wäre ein Missverständnis.
Das Judentum ist sicher sehr praktisch orientiert. Aber man muss auch versuchen zu entdecken, was dahinter liegt. Wer dazu bereit ist,
kann große Schönheit finden.
Und worin besteht diese Schönheit?
Was ich als Schönheit des Judentums erfahre,
knüpft unmittelbar an das an, worüber wir bislang gesprochen haben. Nehmen wir beispielsweise den Schabbat, den Ruhetag vom Freitagabend bis Samstagnacht. Viele Menschen,
Juden und Nichtjuden, halten den Schabbat für
einen sehr strengen Tag. Man darf kein Licht
einschalten, man darf nicht ins Kino gehen,
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Schulfernsehen
nicht kochen, nicht einkaufen, man darf nicht mit der
U-Bahn oder dem Auto fahren, man darf nicht, man
darf nicht, man darf nicht.
Aber warum darf man nicht? Weil man so die Chance hat, etwas Wichtiges zu erfahren. Weil man erstens erkennen soll, dass der liebe Gott unser aller
Schöpfer ist, und dass alle die Fähigkeiten und Talente, die wir Menschen haben, von ihm kommen.
Und zweitens kann man diesen Ruhetag nicht wirklich genießen, wenn es keine strengen Gesetze gibt,
die uns die Arbeit verbieten. Erst diese Gesetze
schaffen die Möglichkeit, die Arbeit ruhen zu lassen,
und erst dadurch können wir die Schönheit des
Schabbat auskosten.
Doch worin besteht nun diese Schönheit? Zum
einen darin, dass sich die Familie Zeit nimmt, gemeinsam drei feierliche Mahlzeiten einzunehmen.
Wie oft essen Familien während der Woche miteinander? Immer seltener! Und wer bringt es unter der
Woche fertig, ein klingelndes Telefon zu ignorieren?
Viele Leute können es nicht, aber am Schabbat
müssen sie es können. Wie viele Leute schaffen es
unter der Woche, auf den Fernseher zu verzichten,
um ganz für die Familie da zu sein? Am Schabbat
müssen sie es können.
Wenn wir den Schabbat einhalten, sind wir also in
einem positiven Sinn gezwungen, die schönen und
wirklich reichen Aspekte des Lebens zu berücksichtigen. Dazu gehören neben den leiblichen auch die
geistigen Dinge: Am Schabbat sind die Gottesdienste länger, man verbringt mehr Zeit in der Synagoge,
man hat Zeit, sich mit den biblischen Texten zu beschäftigen. Alles in allem hat dieser Ruhetag so viele schöne Aspekte, die wir auskosten können, weil
das Schabbatgebot die nötige Voraussetzung
schafft. Dieser Tag zwingt uns zum Innehalten. Damit öffnet er uns die Augen für das Wesentliche: Die
Begegnung mit der Familie, die Begegnung mit
Gott. Daher ist es kein Wunder, dass mir immer
wieder gerade Christen sagen, wie sehr sie uns um
diesen strengen Ruhetag beneiden. Und das ist es,
was ich meiner Gemeinde zu vermitteln versuche.
Auch unter unseren Gemeindemitgliedern gibt es
viele, denen die Aspekte und die Potenziale unseres
Ruhetages noch nicht wirklich aufgegangen sind.
Diese Gemeindemitglieder laden wir ein, am Freitagabend mit uns zu essen und an den Tischliedern,
an den Gebeten, am Lichterglanz und an der erhebenden Atmosphäre teilzuhaben. Das Judentum,
und das wollen wir zeigen, ist etwas Lebendiges und
sehr Schönes, wenn man es nur zulässt.
Soziale Kontakte, das Nachdenken, das Innewerden Gottes und die Familie sind also zentrale
Momente, in denen die Schönheit des Judentums erfahrbar wird?
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Ja, das gehört dazu. Aber es geht um mehr, es
geht auch um Spiritualität. Heutzutage gibt es
vermehrt eine große Sehnsucht nach Spiritualität. Dabei unterliegen die meisten Leute meines Erachtens einem großen Irrtum. Sie glauben, Spiritualität hieße, etwas zu bekommen.
Das Judentum sagt etwas anderes, nämlich:
Wenn du Spiritualität erleben möchtest, musst
du geben.
Das müssen Sie näher erklären!
Du musst geben bedeutet, anderen Menschen
zu helfen. Du musst geben, indem du die Gesetze mit deiner Zeit, deiner Energie, deinem
Intellekt, deinem Körper erfüllst, damit du etwas zurückbekommst. Das macht Mühe. Aber
nur wenn du dich dieser Mühe unterziehst,
wirst du jene Spiritualität erleben, die das Judentum anbietet. Was ich damit meine, kann
ich vielleicht durch ein persönliches Beispiel
veranschaulichen. Ich komme aus New York,
und dort gibt es eine Familie, mit der wir so
eng befreundet sind, dass ich die Großmutter
dieser Familie Oma nannte. Diese Dame, sie
wurde übrigens in Deutschland geboren, erreichte ein Alter von 101 Jahren. Als sie 90
wurde, habe sie angerufen, um ihr zu gratulieren. „Omi, wie hast du diesen Tag gefeiert“,
fragte ich. Und sie sagte: „Ich bin im Altersheim
gewesen, um den alten Leuten dort Essen auszuteilen“. Statt sich feiern zu lassen, hat sie
also etwas getan, um anderen zu helfen. Und
das hat ihr eine geistige Befriedigung auf verschiedensten Ebenen gegeben. Genau so
kommen wir vom richtigen Tun zum richtigen
Leben, vom Körper zur Seele. Das ist unsere
Art, Spiritualität zu leben und sicher auch eine
der Schönheiten des Judentums.
Gilt diese enge Verschränkung von Lebensstil und Religion, von konkretem Tun und
geistiger Erfahrung auch für Pessach, das
bekannteste jüdische Fest?
Ja, unbedingt. Mit diesem Fest feiern wir eine
Woche lang die Befreiung aus der ägyptischen
Sklaverei und Gefangenschaft. Und in dieser
Woche gelten noch strengere Vorschriften als
im restlichen Jahr. Man muss das Haus putzen
und dafür sorgen, dass alles, was mit Brot oder
Gesäuertem zu tun hat, daraus entfernt ist.
Man muss das Geschirr wechseln, man muss
das Besteck wechseln, man muss verschiedene Sachen, die während des Jahres koscher
sind, nochmals koscher machen. Das ist sehr
anstrengend. Aber gerade weil Pessach solche
Mühe macht, sind diese Feiertage etwas ganz
14
Schulfernsehen
besonderes und darum so wertvoll. Das Schönste
sind sicherlich die beiden Sederabende zu Beginn
der Festwoche. Der Tisch ist festlich gedeckt, die
Familie und Freunde sind versammelt, Kerzen brennen und werfen ihren Glanz über Porzellan und Silberbesteck, das wir nur an diesen Abenden benutzen. Aber Seder ist eben mehr als ein gemütliches
Beisammensein. Seder heißt, dass wir den Ausgang aus Ägypten nacherleben durch symbolische
Speisen, die wir essen, und durch Geschichten oder
die Lieder, die von diesem Ereignis handeln. Dabei
stellt sich eine Atmosphäre ein, die jedem, der sie
einmal erlebt, unvergesslich bleibt. Das empfinden
nicht nur fromme, sondern auch weniger oder nicht
fromme Juden, die vielleicht unterm Jahr kaum den
Glauben praktizieren. Sie alle brauchen den
Pessach-Seder für ihre Seele.
Kann man sagen, dass Geschichte und die gemeinsame, immer wieder neu erlebte Erinnerung
dieser Geschichte bei allen jüdischen Festen
eine dominante Rolle spielen?
Ja, das stimmt. Ein großer Teil unserer Feste ist im
Grunde ein kollektives Erinnern, ein Gedenken an
unsere Geschichte mit Gott und aller Heilstaten, die
er im Lauf dieser Geschichte an uns gewirkt hat.
Der Auszug aus Ägypten ist sicherlich ein zentrales
Ereignis, weil er uns zum Volk gemacht hat. Und wir
erinnern uns auch an die Schenkung der Thora am
Berg Sinai, an die Zeit der Wüstenwanderung, an
verschiedene Ereignisse aus der Zeit Davids und
Salomos. Aber nicht alle Festtage sind so heiter wie
Pessach. Manche stehen im Zeichen der Trauer
und Klage. So etwa der neunte Tag des jüdischen
Monats Aw, an dem wir die die Zerstörung des
Tempels beweinen. An diesem Tag sitzen wir auf
dem Boden, fasten und weinen. Eine Geschichte erzählt, dass Napoleon einst an diesem Trauertag
durch Paris ging und sah, wie Juden in einer Synagoge auf dem Boden saßen, weinten und Klagelieder sangen. Als er fragte, was dies zu bedeuten hätte, erläuterte man ihm die Bewandtnis dieses Tages
und das Gebaren der Leute. Darauf meinte Napoleon, dass ein Volk, das den Verlust seines Tempels
auch nach 2000 noch immer betrauert, ihn eines
Tages zurückbekommen werde. Vielleicht hilft ja
diese Anekdote, den Charakter unserer Fest- und
Feiertage zu erklären.
Demnach sind gemeinsames Erleben und ein
starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit die
prägenden Elemente des Judentums?
Ich denke schon. Für mich ist das Judentum eine
sehr lebensbejahende, auf den Mitmenschen bedachte Religion, die ihren tiefsten Ausdruck in der
Gemeinschaft und zuletzt im engsten Familienkreis
findet. Daher beten wir auch im Gottesdienst nicht
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nur für uns selbst, sondern stets auch füreinander. Ein Beispiel dafür ist der Versöhnungstag
Jom Kippur. An diesem Feiertag beichten wir
unsere Sünden. Aber nicht im Sinne einer individuellen Ohrenbeichte wie sie die katholische
Kirche kennt, sondern gemeinsam als umfassendes Sündenbekenntnis, das eine große
Zahl allgemeiner Vergehen einschließt. Wir
beichten also auch Sünden, die wir vielleicht individuell gar nicht begangen haben. Warum tun
wir das? Weil wir als Volk, als sündige
Menschheit gemeinsam vor dem Einen und
Einzigen stehen und um Verzeihung bitten.
Vielleicht habe ich mich ja selbst nicht versündigt, aber möglicherweise hat sich mein Nachbar gegen Gott vergangen. Das bringt die Gemeinschaft näher zusammen und näher zu
Gott.
Eine wichtige Schnittstelle für dieses Miteinander vor Gott ist sicher die Synagoge?
Ja, die Synagoge ist definitiv eine zentrale jüdi-
sche Einrichtung. Sie ist das Gotteshaus, wo
wir zusammenkommen, um zu beten und zu
lernen. Natürlich ist Gott überall, aber vielleicht
sind wir ihm dort näher als anderswo. Denn
wenn wir eine Synagoge betreten, betreten wir
sie in der Absicht zu beten und die Nähe Gottes zu erfahren.
Unterscheidet sich das jüdische Gebet vom
christlichen Gebet?
Ja und nein. Vielleicht kann ich erst einmal etwas dazu sagen, wie wir Juden beten. Viele
Menschen glauben, dass beten nur bitten und
danken bedeutet. Das Judentum hat eine andere Ansicht. Wir bitten und danken auch, aber
der Zweck unseres Betens besteht zusätzlich
darin, mit den Idealen und Ideen des Judentums in Kontakt zu kommen. Wie die Feiertage
im Jahreslauf vermitteln uns auch die täglichen
Gebete immer wieder die besonderen Lehrinhalte und das Wesen des Judentums. Sie krei15
Schulfernsehen
sen immer wieder um zentrale Punkte jüdischer
Identität: unsere Beziehung zu Gott, unsere Tradition, unsere Gesetze, die Pflichten des Menschen.
Wenn Sie so wollen, rekapitulieren wir mit jedem
Gebet einen bestimmten Teil unseres Wertekanons.
Es geht also nicht nur um die individuelle, ganz persönliche Zwiesprache mit dem Schöpfer, sondern
eine andauernde Selbstvergewisserung, um ein permanentes Festigen unserer Ansichten vom Wesen
Gottes und den Pflichten seiner Geschöpfe.
Gibt es im jüdischen Gottesdienst eine geregelte
liturgische Ordnung?
Klar. Wir feiern täglich drei Gottesdienste, die einer
sehr umfangreichen und ausdifferenzierten Liturgie
folgen. Im Zentrum steht dabei das gemeinsame
Lesen der Thora und eines Abschnittes aus den
Propheten. Dazu kommen feste Gebete, die jeden
Tag morgens, nachmittags und abends gebetet werden. Am Schabbat sowie an den jeweiligen Festund Feiertagen sind darüber hinaus spezielle Feiertagsgebete vorgesehen, die alleine neun stattliche
Bände füllen.
All diese Gebete werden teilweise laut gesprochen
und mitgesungen oder abwechselnd mit dem Vorbeter rezitiert beziehungsweise gesungen. Wer nicht in
den Gottesdienst kommen kann, ist trotzdem verpflichtet zu beten. Auf alle Fälle obligatorisch sind
die Tischgebete vor und nach dem Essen. Für die
Feiertage gibt es darüber hinaus eine Reihe besonderer Gebete und Tischlieder, die die Bedeutung
des jeweiligen Tages erläutern.
Schulfernsehen
Können auch Nichtjuden einen jüdischen
Gottesdienst besuchen?
Sicher, aber nur mit Anmeldung. Zumindest
hier in München müssen wir das so halten. Anders könnten wir den Andrang der vielen Menschen, die unsere neue schöne Synagoge im
Herzen der Stadt besuchen möchten, gar nicht
bewältigen. Ohne diese Regelung hätten wir
mehr Besucher als Betende, und das wollen
wir vermeiden. Grundsätzlich ist jeder willkommen, aber man muss Geduld mitbringen.
Steckt hinter dieser Regelung nicht auch
ein Sicherheitsproblem?
Ja, leider, das auch. Wir müssen leider sehr
vorsichtig sein, weil der Judenhass noch immer
in einigen Köpfen spukt.
In einer Rede sagte Paul Spiegel, der im
April 2006 verstorbene Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Nie-
Welche Funktion hat der Rabbiner im Gottesdienst?
Eigentlich gar keine. Ein jüdischer Gottesdienst
kann, muss aber nicht von einem Rabbiner geführt
werden. Die einzige Voraussetzung ist die Anwesenheit von zehn erwachsenen männlichen Juden.
Dieses Quorum nennen wir Minjan. Jedes erwachsene Mitglied der Gemeinde, das gut lesen kann
und die für diesen Feiertag reservierten speziellen
Melodien kennt, kann einen Gottesdienst leiten.
Manche Synagogen haben zusätzlich einen Kantor,
also einen Vorsänger oder Vorbeter, der den Gottesdienst leitet und durch seinen Gesang die Gebete interpretiert. Eine priesterliche oder religiös autoritative Funktion hat der Kantor allerdings nicht.
In welcher Sprache findet der Gottesdienst
statt?
Die Sprache der Lesungen und Gebete ist Hebräisch. Wir nicht hebräisch kann, findet den Text in
phonetischer Umschrift sowie Übersetzungen und
Kommentare, damit er jederzeit laut oder stumm
mitbeten bzw. mitsingen kann.
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mand wird den Schatten der Vergangenheit
restlos vertreiben können, aber der Holocaust markiert nicht das Ende der deutschjüdischen Geschichte!“ Ist das realistisch
oder eher Wunschdenken?
Ich bin nur ein Rabbiner, ich bin kein Prophet.
Ich kann nicht wissen, was die Zukunft bringt.
Ich sehe einerseits viel Positives, viel Akzeptanz, viel Neugier, Freude sogar. Aber ich sehe
auch Antisemitismus und Boshaftigkeit. Das ist
immer noch vorhanden, und welche Kräfte am
Ende gewinnen werden, kann ich nicht sagen.
Ich hoffe selbstverständlich, dass wir eine Zukunft in Deutschland haben. Die Juden haben
vor der Nazizeit schon tausend Jahre hier gelebt. Man sprach über ein deutsches Judentum, und wir versuchen, es zurückzubringen.
Aber was die Zukunft bringt, liegt allein in Gottes Händen.
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9. Abriss der jüdischen Geschichte von der Zeit
Abrahams bis zum Beginn der Diaspora
Für den geschichtlichen Raum, in dem sich die in
der Bibel berichteten Ereignisse zutragen, macht
der römische Kaiser Hadrian (76-138 n. Chr.) die
Bezeichnung Palästina gebräuchlich. Die damit beschriebenen Grenzen sind aufgrund der wechselvollen Geschichte unscharf und umschließen im Allgemeinen alles vorderasiatische Land vom Libanon im
Norden bis zum Golf von Eilat im Süden. Die Westgrenze ist durch das Mittelmeer, die Ostgrenze
durch die Gebirge östlich des Jordans gezogen.
Der Name selbst geht zurück auf das nicht-jüdische
Volk der Philister, die ab etwa 1200 v. Chr. einen
schmalen Küstenstreifen im Gebiet oberhalb des
heutigen Gaza besiedeln und im Laufe der Zeit in
die östlich gelegenen Bergregionen vordringen.
Die im Alten Testament gebräuchliche Bezeichnung
für Palästina lautet Kanaan. Sie steht für ein Gebiet
mit vagen Grenzen, das sich im Wesentlichen von
Dan im Norden bis Beersheba im Süden sowie vom
Jordan bis zur Küste erstreckt.
Israel ist die im Alten Testament gewöhnliche kollektive Selbstbezeichnung für jene Stämme, die aus
den Söhnen des Erzvaters (Patriarchen) Jakob hervorgehen und sich als auserwähltes Volk Gottes begreifen. Der Name leitet sich vom Beinamen Jakobs
her, den er seit seinem im Buch Genesis (Gen
32,26-29) erzählten Kampf mit Gott trägt. Der Name
bedeutet je nach Lesart "der mit Gott kämpft" oder
"(der, für den) Gott streitet". Im Laufe der Zeit geht
der zuerst für die kultisch und religiös als zusammengehörig betrachteten Siedler auf die von ihnen
bewohnten Gebiete über; aus dem Volk Israels wird
das Land Israel. Als politischer Begriff, der ein bestimmtes Territorium beschreibt, wird Israel mit dem
Königtum Davids über die zehn Nordstämme (Nordreich) fassbar. Dennoch bleibt die Bezeichnung
auch in der Folgezeit unscharf.
Judäa, Galiläa, Samaria sowie Idumäa beschreiben
in erster Linie geographisch nicht klar umrissene
historische Landschaften im israelitisch-jüdischen
Siedlungsgebiet. Als politische geschlossene Territorien bzw. Verwaltungsbezirke erscheinen sie erst
mit dem Beginn der römischen Herrschaft und der
Errichtung der Tetrarchien unter Octavian Augustus.
Der Begriff Judäa ist zunächst die bei Griechen und
Römern gebräuchliche Bezeichnung für das von Juden bewohnte Gebiet des ehemaligen Südreichs
Juda oder für Palästina schlechthin. In der Makkabäerzeit bezeichnet der Name sehr häufig das Territorium des Hasmonäerreichs. Unter Herodes ist Judäa der Name des ihm unterstellten Herrschaftsbe© Bayerischer Rundfunk
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reichs. Von 6 n. Chr. bis 41 n. Chr. ist Judäa
der von römischen Statthaltern verwaltete Teil
der Provinz Syrien. Die historische Landschaft
Galiläa zwischen dem oberen Jordantal und
dem Mittelmeer wird 39 n. Chr. Teil der römischen Provinz Syrien.
9.1 Die Geschichte der Volkwerdung Israels
Die Darstellung der Vorgeschichte Israels und
der Zeit der ersten Besiedlung beruht zum
einen auf den Berichten des Alten Testaments,
zum andern auf nicht-biblischen Schrift- und
Sachzeugnissen. Für die Zeit bis 1000 v. Chr.
müssen die Berichte des Alten Testaments
hinsichtlich ihrer historischen Belastbarkeit mit
größter Vorsicht betrachtet werden. Als Dokumente der Heilsgeschichte Israels haben sie
ihren Zweck mehr in der Selbstfindung und
Selbstvergewisserung des auserwählten Volkes und seines Bundes mit Gott denn in exakter Chronologie und Überprüfbarkeit. Deshalb
besteht die Aufgabe der Geschichtswissenschaft darin, die im Alten Testament enthaltenen und historisch verwertbaren Überlieferungskerne von den zweckgerichteten literarischen Umformungen späterer Zeit zu unterscheiden.
Am Beginn der jüdischen Geschichte steht gemäß biblischer Überlieferung der Stammvater
Abraham. Er zieht aus Ur in Chaldäa nach Haran, das zwischen Euphrat und Tigris nahe der
heutigen syrisch-türkischen Grenze liegt. Dort
befiehlt ihm Gott, nach Kanaan zu ziehen. Dieses Land, in dem "Milch und Honig fließen", ist
Jahwes "ewiges Geschenk" an Abraham und
all seine Nachkommen (Gen 13). Abraham gehorcht und schließt den ersten Bund mit Gott.
Sein Sohn Isaak hat zwei Söhne, Esau und Jakob. Als Älterer der beiden hat Esau Anspruch
auf den Erstgeburtssegen, der ihn in die Rechte seines Vaters einsetzt und zum Führer der
Sippe macht. Jakob erschleicht sich diesen Segen, der in seiner Gültigkeit nicht mehr rückgängig zu machen ist. Aus Furcht vor dem
Zorn seines Bruders flieht Jakob nach Haran,
wo er zwanzig Jahre bleibt und eine große Zahl
an Nachkommen zeugt. Schließlich macht er
sich auf, um mit seinen Söhnen nach Kanaan
heimzukehren. In der Nacht vor seinem Zusammentreffen mit Esau, der allen Groll begraben hat, ringt er mit einem Unbekannten. Als
der Morgen anbricht, ist der Kampf noch immer
nicht entschieden, obwohl Jakob an der Hüfte
verwundet ist. Der Fremde bittet darum, gehen
zu dürfen. "Aber Jakob antwortete: `Ich lasse
17
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dich nicht, du segnest mich denn´. Er sprach: `Wie
heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: `Du sollst
nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du
hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und gewonnen." (Gen 32, 27-29).
Jakob söhnt sich mit Esau aus und siedelt bei Sichem in Kanaan. Schließlich zwingt ihn eine schwere Hungersnot, mit seinen Söhnen nach Ägypten zu
ziehen, wo sie 17 Jahre lang leben. Bevor er stirbt,
segnet er seine zwölf Söhne, die zu den Ahnherren
der zwölf Stämme Israels (Asser, Benjamin, Dan,
Gad, Isachar, Josef (Efraim u. Manasse), Juda,
Levi, Naftali, Ruben, Sebulon und Simeon) werden.
Nachdem Jakob gestorben ist, geraten seine Söhne
und deren Familien in große Bedrängnis. Ein neuer
Pharao fürchtet, die Stärke und der Reichtum der
hebräischen Siedler könnten seine Herrschaft gefährden. Daher zwingt er sie unter seine Knechtschaft und lässt sie Fronarbeit verrichten.
Gott erbarmt sich über das Elend seines Volkes in
Ägypten und wählt Moses zum Werkzeug der Errettung. Er trägt ihm auf, das Volk Israel nach Kanaan
zu führen. Auf diesem vierzigjährigen Zug durch die
Wüste ins gelobte Land erneuert Gott den Bund mit
seinem auserwählten Volk. Am Berg Horeb empfängt Moses die Gesetzestafeln und damit die
Grundlage des jüdischen Rechts- und Religionsverständnisses. (Ex 19, Ex 24,12-18 u. Ex 31,18) Damit wird der Exodus, der Auszug aus Ägypten, zu einem zentralen Element des jüdischen Glaubens und
der Geschichte Israels. Zum Gedenken an die Rettung aus der ägyptischen Gefangenschaft feiern die
Juden alljährlich das Pessachfest.
Unter der Führung Josuas erobern die zwölf Stämme das "verheißene Land" in langen und blutigen
Kriegen gegen die dort siedelnden Völker, Kleinkönige und Stadtstaaten der Kanaaniter und ihrer
Nachbarn. Nach der erfolgreichen Einnahme verteilen Josua und der Priester Eleasar auf Geheiß Gottes die Gebiete unter den zwölf Stämmen Israels
(Jos 13-20).
9.2 Vor- und Frühgeschichte Israels bis zur Errichtung der Königreiche Juda und Israel
Die früheste belegbare Erwähnung einer als Israel
bezeichneten Volksgruppe findet um 1220 v. Chr.
auf einer Stele des ägyptischen Pharaos Merenptha
um 1219 v. Chr. Vermutlich bereits vor dieser Zeit
wandern hebräische Nomaden aus den östlich des
Jordan gelegenen arabisch-syrischen Wüstengebieten ein. Archäologischen Funden zufolge siedeln sie
zunächst abseits der kanaanitischen Stadtstaaten
und vermeiden militärische Auseinandersetzungen
mit ihren überlegenen Nachbarn.
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Erst in dieser Zeit der Sesshaftwerdung schließen sie sich zu größeren Verbänden und
Stämmen zusammen. Die entscheidende politische Einheit dieser Landnahme ist der Stamm
(Stammesgesellschaft), wobei sich die im Alten
Testament genannten Zwölf Stämme wahrscheinlich erst mit dem Sesshaftwerden aus einer Vielzahl kleinerer Sippenverbände herausbilden.
Die Führung des Stammes liegt in den Händen
der Ältesten, worunter vermutlich die Häupter
der einzelnen Sippen zu verstehen sind. Die
Stämme roden urbares Land, betreiben Viehzucht und Ackerbau. Allmählich beginnen sie
damit, kleinere befestigte Städte ihrer Nachbarn anzugreifen und ihre Siedlungsgebiete in
Richtung der fruchtbaren Ebenen auszuweiten.
Von einem Gesamtvolk Israel, wie es das Alte
Testament immer wieder suggeriert, kann in
dieser Zeit keine Rede sein. Die Stämme agieren eigenständig, das Gebiet ist in getrennte
Siedlungseinheiten zersplittert. Auch der Exodus, den die biblische Rückschau zum zentralen Element der Volkwerdung stilisiert, kann
nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keinesfalls eine Erfahrung des gesamten Volkes Israel, sondern allenfalls die einer kleinen Gruppe gewesen sein.
Im Zuge der Ausweitung ihrer Siedlungsgebiete werden die israelitischen Stämme immer
häufiger in kriegerische Auseinandersetzungen
verwickelt. Die größte Gefahr droht ihnen von
den waffentechnisch und organisatorisch überlegenen Philistern, die das Gebiet der JesreelEbene kontrollieren. Eine weitere Bedrohung
erwuchs ihnen durch die Midianiter, ein Volk
von Kamelreitern, die regelmäßig einfielen und
israelitische Siedlungen plünderten.
Um dieser Bedrohung zu widerstehen, sind die
Stämme gezwungen, untereinander militärische Bündnisse zu schließen und bestimmen
Saul aus dem Stamm Benjamin zum Heerkönig auf Zeit. Nach anfänglichen Erfolgen wird
Saul von Philister geschlagen. Er stirbt auf
dem Schlachtfeld, seine Truppen lösen sich
auf. Da sich die Philister zum Gegenschlag
sammeln, ist die Gefahr größer denn je.
9.3 Der Aufstieg Davids zum König über
Juda und Israel (1005 - 965 v. Chr.)
In dieser Bedrängnis dient sich David, ein Gefolgsmann Sauls, als Retter an. Er stammt aus
Bethlehem und führt einen schlagkräftigen
Trupp ihm ergebener Männer an. Obwohl Da18
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vid das Geld zur Erhaltung seiner "Privatarmee"
durch Schutzgelderpressungen aufbringt und als
Gesetzloser gilt, sehen die Ältesten des Stammes
Juda keine andere Wahl: Um das Jahr 1000 wählen
sie ihn zum König über Juda.
Wenig später salben ihn die Stämme des Nordens
zum König über Israel. Damit entstehen im Nordreich Israel und im Südreich Juda zwei getrennte
Königreiche, die bis 722 bzw. 538 v. Chr. fortdauern. David regiert beide Länder in Personalunion,
ohne die staatliche Trennung je aufzuheben.
Gestützt auf ein stehendes und durch Steuern finanziertes Heer unterwirft er zahlreiche Nachbarvölker,
so dass er am Ende seiner rund vierzigjährigen Regentschaft über ein Territorium herrscht, das von
der Grenze zu Ägypten bis an den Euphrat reicht.
Das Zentrum der Doppelmonarchie ist Jerusalem,
eine von den Jebusitern befestigte Stadt an der
Grenze zwischen beiden Königreichen, die als uneinnehmbar gegolten hatte. David vertreibt die Jebusiter und lässt die Bundeslade mit den steinernen
Gesetzestafel in seine Stadt holen. Da die Bundeslade als Gotteswohnung gilt, in der Jahwe inmitten
seines Volkes anwesend ist, steigt Jerusalem zum
kultischen Mittelpunkt des israelitischen Volkes auf.
Dieser symbolischen Geste mitsamt ihren Ansprüchen und allen militärischen Erfolgen zum Trotz regt
sich bereits unter David wiederholt Unmut gegen die
fremde Institution des Königtums. Nach wie vor sind
die einzelnen Stämme bestrebt, sich ihre Eigenständigkeit zu bewahren und zetteln wiederholt Aufstände an, die David gewaltsam niederschlägt.
9.4 Juda und Israel unter König Salomo
(um 965 v. Chr. - 928 v. Chr.)
Davids Sohn Salomo, der den Thron um 965 bestiegen haben dürfte, kann den Bestand der Doppelmonarchie für die Zeit seiner ebenfalls rund vierzig
Jahre zählenden Herrschaft sichern. Anders als sein
Vater verzichtet er auf den Versuch weiterer Gebietsgewinne und treibt stattdessen den inneren
Ausbau voran.
Zur Verwaltung beider nach wie vor eigenständigen
Königreiche setzt er Beamte ein, denen ein oberster
Priester vorsteht. Er baut Jerusalem weiter aus, verstärkt die Festungsanlagen und errichtet den Tempel als zentrales Heiligtum seiner Hofburg (1 Könige
6; 7,13-51). Obwohl es ihn gelingt, das von David
ererbte Kernland der Doppelmonarchie zu halten,
können sich an den Reichsrändern einige der eroberten Gebiete aus der israelitischen Oberherrschaft lösen.
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9.5 Die Königreiche Israel und Juda unter
assyrischer Herrschaft (932 v. Chr. 612
v. Chr.)
Bereits mit dem Tod Salomos zerbricht die
Doppelmonarchie. Nachdem Salomos Sohn
Rehabeam (932-916) in Jerusalem zum König
in Juda ausgerufen wurde, zieht er nach Israel,
um sich auch dort salben zu lassen. Als die
zehn Nordstämme von ihm verlangen, die ihnen auferlegten Dienstleistungspflichten und
Steuerlasten zu senken, zeigt sich Rehabeam
unnachgiebig.
Daraufhin erheben sich die Nordstämme gegen Rehabeam und wählen Jerobeam (932911 v. Chr.) zum König über Israel. Da die
Macht des Südreichs Juda nicht ausreicht, um
diesen Abfall militärisch zu verhindern, ist der
Bruch besiegelt. Seither existieren mit dem
Nordreich Israel, das den Namen des Gesamtvolkes trägt, und dem Südreich Juda, das den
Namen des wichtigsten Stammes trägt, zwei
selbständige Staaten.
Das sowohl innen- als auch außenpolitisch stabilere Königreich Juda besteht bis 587 v. Chr.
unter der Dynastie der Davididen, das in beiderlei Hinsicht weitaus instabilere Königreich
Israel bis 722 v. Chr. unter wechselnden Geschlechtern.
Auslöser für den Untergang der beiden jüdischen Königreiche ist das Vordringen der Assyrer, die in mehreren Expansionswellen zur
beherrschenden Großmacht des Vorderen Orients aufsteigen. Bereits seit 841 ist Israel den
Assyrern tributpflichtig, muss aber keine Gebiete abtreten und bleibt eigenständig. Das ändert sich 733 v. Chr. Nach einem misslungenen Befreiungsversuch Israels gliedert der Assyrerkönig Tiglatpilesar III. große Teile des
Nordstaates seinem Reich ein und reduziert
das eigenständige Territorium Israels auf ein
Gebiet um die Königsstadt Samaria. Schließlich wagt Hosea, ein von den Assyrern eingesetzter König, 722 v.Chr. einen Aufstand, der
blutig niedergeschlagen wird. Die Assyrer erobern nun auch Samaria, das sie in eine assyrische Provinz umwandeln. Um die neue Ordnung zu festigen, lässt der Assyrerkönig Sargon II. die israelistische Oberschicht deportieren und siedelt babylonische Bauern in den geräumten Gebieten an. Damit ist das Nordreich
erloschen.
Im Jahr 733 unterwirft sich Juda dem Assyrerkönig Tiglatpilesar III., um sich gegen Übergriffe Israels zu schützen. Schließlich versucht Kö19
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nig Hiskias von Juda, die assyrische Oberherrschaft
abzuschütteln und stellt die Tributzahlungen ein. Um
705 v. Chr. verbündet sich Juda mit Ägypten, Babylonien und einigen syrischen Kleinstaaten gehen Assur.
Die Vergeltung bleibt nicht aus. Ab 701 v. Chr.
schlägt der Assyrerkönig Sanherib zurück. Seine
Truppen erobern das judäische Bergland, vernichten viele Städte und belagern zuletzt Jerusalem.
Hiskias muss sich geschlagen geben und erkauft
die Rettung der Stadt gegen einen immensen Tribut. Damit steht Juda nahezu ein Jahrhundert lang
als Vasallenstaat unter assyrischer Oberherrschaft.
9.6 Beginn und Ende des Babylonischen Exils
(587 v. Chr. - 537 v. Chr.)
Zwischen 625 und 608 zerschlagen Meder und
Chaldäer das assyrische Großreich; die Chaldäer
begründen das bis 539 v. Chr. bestehende Neubabylonische Reich. Im Zuge dieses Machtwechsels
geraten die Gebiete des einstigen Königreichs Israel
und das nominell fortbestehende Königreich Juda
unter babylonische Herrschaft.
604 v. Chr. besteigt Nebukadnezar II. den neubabylonischen Königsthron und tritt damit auch die Herrschaft über sämtliche ehemals assyrischen Provinzen an. Als er um 600 eine Niederlage in Ägypten
erleidet, wähnt sich Juda stark genug, die Tributzahlungen zu einzustellen. Diese Fehleinschätzung der
Kräfteverhältnisse leitet das Ende des Südreichs
ein. 597 belagert Nebukadnezar Jerusalem und
zwingt die Stadt zur Aufgabe. Die Königsfamilie und
zahlreiche Adlige werden nach Babylon deportiert,
Juda muss Gebiete abtreten bleibt aber dennoch als
eigenständiges, wenn auch territorial geschrumpftes
Königtum für weitere zehn Jahre erhalten.
Das Ende naht 589, als der von Babylon eingesetzte
König Zedekia erneut einen Aufstand gegen Babylon entfacht. Daraufhin marschieren Nebukadnezars
Truppen in Juda ein und erobern schließlich nach
achtzehnmonatiger Belagerung Jerusalem. Das
Strafgericht Nebukadnezars ist gnadenlos: Er lässt
die Stadt plündern, den Königspalast, die Befestigungsanlagen und die Mauern niederreißen. Tempel und Stadt gehen in Flammen auf, Zedekias Söhne werden abgeschlachtet, er selbst geblendet und
in Ketten nach Babylon geführt. Mit ihm treten ein
Großteil sowie zahlreiche Bauern den Weg in die
Verbannung an.
Nebukadnezar siedelt die Deportierten in geschlossenen Wohngebieten an, wodurch sie ihre kulturelle
und religiöse Eigenständigkeit weitgehend bewahren können. In dieser Zeit des Babylonischen Exils
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bilden sich wesentliche Elemente des Judentums als bewusste Abgrenzungshaltung und
zur Sicherung der eigenen Identität heraus.
Der stärker denn je betonte gemeinsame Glaube mit all seinen kultischen Vorschriften (Beschneidung , Speise- und Reinheitsvorschriften, Sabbathruhe) wird zum prägenden Moment der Selbsterfahrung. In regelmäßigen Zusammenkünften, die dem gemeinsamen Gebet
und der religiösen Unterrichtung dienen, sieht
die Forschung den Ursprung der späteren Synagoge als Versammlungs- Gebets- und Schulhaus begründet.
Im Jahr 539 v. Chr. erobert Kyros II. Babylon
und etabliert das neu entstandene Perserreich
als tonangebende Großmacht im ehemals assyrischen Einflussgebiet. Damit sind die israelitischen Gebiete der persischen Provinz (Satrapie) Syrien eingegliedert und der Veraltung persischer Statthalter unterworfen.
538 erlässt Kyros ein Edikt, das den Deportierten die Rückkehr in ihre Heimat und die uneingeschränkte Ausübung ihres Glaubens freistellt. Gleichzeitig ordnet er den Wiederaufbau
des Jerusalemer Tempels an. Die dafür nötigen Mittel trägt die königliche Kasse, zur Ausstattung sollen die von Nebukadnezar nach Babylon gebrachten Tempelgeräte nach Jerusalem geschafft werden.
Die Rückkehr aus dem Exil und die Errichtung des zweiten Tempels
Ab 537 brechen die ersten Exilanten auf, doch
erst um 520 scheint der Rückführungsprozess
so weit abgeschlossen zu sein, dass der Neubau des Tempels beginnen und 515 mit der
Weihe vollendet werden kann. Er besteht mehr
als 500 Jahre lang bis zur Neuerrichtung des
Tempels durch Herodes den Großen als zentrales Heiligtum der Juden in aller Welt.
Mit der Rückkehr aus dem Exil und der Errichtung des 2. Tempels gelangt das Amt des Hohenpriesters zu neuen Würden. Während der
Monarchie war es dem König als Herrn des
Tempels vorbehalten gewesen, den Hohenpriester ein- oder abzusetzen.
Da die Perser das jüdische Königtum nicht erneuern, übernimmt der Hohepriester die Funktion eines geistigen und zunehmend auch politischen Führers der jüdischen Gemeinschaft.
Er ist das Haupt der Priesterschaft, Herr des
Tempels und des Kultes und vertritt das Volk
gegenüber Jahwe.
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9.7 Palästina unter ptolemäischer und seleukidischer Herrschaft (332 v. Chr. - 141 v. Chr.)
333 v. Chr. schlägt Alexander der Große die Perser
ein erstes Mal bei Issos und erobert auf seinem Zug
nach Ägypten die syrisch-palästinische Küste. 332
hat er die unter persischer Oberhoheit stehende
Provinz Ägypten erobert, lässt sich zum Pharao krönen und stellt das Land unter makedonische Finanzverwaltung.
Nach dem plötzlichen Tod Alexanders am 10. Juni
323 kämpfen seine Nachfolger (griech. Diadochen)
mehr als ein halbes Jahrhundert um die Vormacht in
den eroberten Gebieten (Diadochenkämpfe).
Ptolemaios I. Soter, dem Alexander die Satrapie
(Provinz) Ägypten übertragen hatte, nimmt um
305/304 v. Chr. den Königstitel an und gründet das
bis 30 v. Chr. bestehende, hellenistisch geprägte
Ptolemäereich.
In nächster Nachbarschaft begründet der Mazedonier Seleukos Nikator, ebenfalls ein Feldherr Alexanders des Großen, um 312 das nach ihm benannte
hellenistisch geprägte Seleukidenreich. Es umfasst
die Satrapie Babylonien mit Syrien und Kleinasien.
In der Folge entbrennt zwischen beiden Dynastien
ein Kampf um die umstrittene Zugehörigkeit Palästinas, das nach teils verheerenden kriegerischen
Auseinandersetzung um 301 v. Chr. ein Jahrhundert
lang unter die Herrschaft der Ptolemäer fällt.
Im Laufe dieser Epoche bildet sich mit dem Ältestenerat (Gerusia) ein Organ der religiös-kultischen
Selbstverwaltung aus, aus dem sich das spätere
Synhedrium (hebr. Sanhedrin) entwickelt. Das Finanzsystem basiert auf dem Prinzip der Steuerpacht. Dabei überträgt der ptolemäische Staat das
Recht des Steuereinzugs auf Mitglieder der jüdischen Oberschicht, die den geforderten Betrag zunächst vorfinanzieren und anschließend mit Gewinn
bei ihren Landsleuten eintreiben.
9.8 Die Herrschaft der Seleukiden
(198 v. Chr. - v. Chr. 141 v. Chr.)
Im Jahr 198 v. Chr. bringt der Seleukidenkönig Antiochus III. (223-187 v. Chr.) Palästina unter seine
Gewalt und drängt die ägyptischen Ptolemäer zurück. Er unterstützt den Ausbau des Tempelbezirks,
senkt die Steuerlast und stellt den Jahwe-Kult unter
seinen Schutz. Die jüdische Oberschicht kooperiert
mit den Seleukiden und adapiert deren hellenistische Lebensweise.
Das anfangs gedeihliche Miteinander endet abrupt,
als Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.) die
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Herrschaft antritt. Sein Versuch, den Einfluss
des Judentums zugunsten eines einheitlich hellenistischen Staates zurückzudrängen, kulminiert 168 v. Chr: Antiochos IV. konfisziert den
Tempelschatz und weiht das Jahwe-Heiligtum
dem Zeus Olympios. Er zwingt die Priesterschaft einer Zeusstatue auf dem Vorplatz des
Tempels zu huldigen und lässt in den Städten
des Landes Altäre für griechische Götter errichten. Fortan steht die Ausübung zentraler
Elemente des Judentums unter strengstem
Verdikt. Beschneidung, Tempeldienst, Einhaltung der Sabbathruhe oder auch nur der Besitz
von Thorarollen sind bei Todesstrafe verboten.
9.9 Aufstand und Herrschaft der Makabäer / Hasmonäer (168 - 63 v. Chr.)
Unter Führung des Priesters Mattathias aus
dem Geschlecht der Hasmonäer ziehen sich
thoratreue Juden in die Berge zurück und beginnen den bewaffneten Kampf gegen die seleukidische Herrschaft. Nach seinem Tod führt
Judas, ein Sohn des Mattathias, den Aufstand.
Aufgrund seiner militärischen Erfolge legen ihm
seine Anhänger den Beinamen "Makkabi", der
Hammer, zu. Nach ihm sind sowohl der Makkabäer-Aufstand als auch die Makkäbäer-Bücher des Alten Testament benannt. Einiger
Rückschläge zum Trotz führt die ausgesprochene Guerillataktik der makkabäischen Truppen zum Erfolg. Antiochos V. (164-162) widerruft das Religionsverbot seines Vaters und sichert den Juden die freie Ausübung ihres Kultes zu.
Damit gibt sich Judas Makkabi jedoch nicht zufrieden. Längst hat er den Aufstand nach Juda
getragen, wo er seleukidische Siedler vertreibt
und das enteignete Land an seine Anhänger
verteilt. Schließlich greift er Jerusalem an, das
von einer seleukidischen Garnison verteidigt
wird. Es gelingt ihm, den Tempel zu erobern
und neu zu weihen. Die Wiederaufnahme des
Tempeldienstes wird jedes Jahr in dem jüdischen Fest Chanukka gefeiert.
Damit sind die Seleukiden allerdings noch nicht
vertrieben. Sie halten ihre Stellung in Jerusalem und rüsten zum Gegenschlag. Als Judas
160 fällt, setzt sein Bruder Jonathan (160-143)
den Kampf fort. Nach zähem Ringen erheben
ihn die Seleukiden im Jahr 152. v. Chr. zum
Hohenpriester. Zehn Jahre später, im Jahr 142
v. Chr., ist die seleukidische Partei so erschöpft, dass sie Simon, den letzten Sohn des
Mattathias, als selbständigen Herrn und Herrscher von Jerusalem anerkennt.
21
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Im Jahr darauf beginnt mit der Räumung der letzten
seleukidischen Feste, der Jerusalemer Akra, eine
fast hundertjährige faktische staatliche Selbständigkeit. Die Seleukiden gewähren den Juden völlige
Steuerfreiheit. Die jüdische Bevölkerung überträgt
Simon die Würde des Hohepriesters, das Amt des
Heerführers und Anführers der Juden. Seine Söhne
weiten den Herrschaftsbereich der Hasmonäer, die
diesen Namen nach der Sippe ihres Ahnherrn Mattathias führen, Zug um Zug aus. Sie erobern
Idumäa, Samaria, Galiläa sowie Judäa und bringen
damit praktisch das alte israelitische Siedlungsgebiet unter ihre Gewalt.
Als Judas Aristobul I. (104-103 v. Chr.) zusätzlich
zum Titel eines Hohenpriesters den Königstitel annimmt, erreicht die Herrschaft der Hasmonäer ihren
Zenit.
9.10 Der Beginn der Römerherrschaft in Judäa
bis zur Königsherrschaft Herodes des
Großen (63 v. Chr. - 37 v. Chr.)
Der Zerfall des Hasmonäerstaates beginnt 67 v.
Chr. mit einem Bruderzwist, der zwischen Hyrkan II.
und Aristobul II. entbrennt. Den Anlass liefert die
Herrschaft der Königin Salome Alexandra (76-67 v.
Chr.), die nach dem Tode ihres Mannes den Thron
bestiegen hatte. Da eine Frau nicht Hoherpriester
sein konnte, musste das Priesteramt von der Königswürde geteilt werden. Während sie selbst die
Regentschaft führte, erhob sie daher ihren ältesten
Sohn Hyrkan zum Hohenpriester. Als sie 67 v. Chr.
stirbt, macht Hyrkan seinen Thronanspruch geltend.
Noch im selben Jahr zwingt ihn sein Bruder Aristobul II., gestützt auf die Partei der Sadduzäer, zum
Thronverzicht. Hyrkan flieht, versammelt ein Heer
und belagert Jerusalem.
Da die Waffen nicht entscheiden können, bitten sie
mit Gnäus Pompeius den neuen Machthaber im Osten, ihren Streit zu schlichten. Pompeius empfängt
eine jüdische Delegation in Damaskus. Der Auseinandersetzungen und des Königtums überdrüssig,
schlagen Vertreter der jüdischen Oberschicht vor,
geistliche und weltliche Macht wieder zu trennen
und die politische Herrschaft in die Hände der Römer zu legen.
Als sich Pompeius einverstanden zeigt und mit einem Teil seines Heeres nach Jerusalem marschiert,
ist Hyrkan II. bereit, Jerusalem zu übergeben. Drei
Monate hält Aristobul der Belagerung stand, bevor
er kapituliert und Pompeius in die Stadt einziehen
kann. Er setzt Hyrkan II. als Hoherpiester (Ethnarch)
im nunmehr tributpflichtigen Judäa ein und unterstellt ihm überdies Galiläa sowie Peräa. Mit dieser
erblichen Würde ist allerdings bis auf bestimmte,
zumeist religiöse Aspekte der Gerichtsbarkeit, kei© Bayerischer Rundfunk
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nerlei politische Macht verbunden. Die übt ein
römischer Statthalter aus, dem die neu geschaffenen Verwaltungsbezirke Jerusalem,
Gazara, Jericho, Amathus (Peräa) und Sepphoris (Galiläa) direkt unterstellt sind.
Überdies lässt Pompeius die meisten Befestigungsanlagen schleifen und schenkt zahlreichen von den Hasmonäern eroberten Küstenstädten die Freiheit.
9.11 Herodes der Große und die Herodianer
(37 v. Chr. - 44 n. Chr.)
Im Gefolge Hyrkans tritt ein Mann ins Licht der
Geschichte, der als Antipater der Jüngere den
Aufstieg jener Familie einleitet, die als Herodianer von 37 v. Chr. bis 44 n. Chr. als Vasallenkönige der Römer über Teile Palästinas herrschen sollten.
Dem jüdischen Geschichtsschreiber zu Folge
ist Antipater der Jüngere ein enger Vertrauter
Hyrkans II. Die freundschaftlichen Beziehungen fußen auf lang bewährten Kontakten beider Familien. Obwohl kein Jude, hatte schon
der Vater, Antipater der Ältere, in Diensten der
Hasmonäer / Makkabäer gestanden und war
vom König Alexander Jannäus (103-76. v.
Chr.) mit der Verwaltung Idumäas betraut worden. Mit dieser Position waren anscheinend
auch ein militärisches Kommando und diplomatische Tätigkeiten verbunden. Auf Grund
dieser einflussreichen Stellung hatte sich die
Familie Antipaters ein ausgezeichnetes Netz
an Kontakten und beträchtlichen Reichtum geschaffen. Josephus beschreibt Antipater den
Jüngeren als einen ebenso tatkräftigen wie rebellischen Menschen, der zudem mit Aristobul
II. aus nicht näher genannten Gründen verfeindet war. Jedenfalls scheint es, als habe Antipater der Jüngere immer wieder eine treibende
Rolle im Bruderzwist Hyrkans II. gegen Aristobul gespielt.
Nachdem Pompeius den Thronstreit beendet,
Aristobul deportiert und Hyrkan II. als Hohenpriester bestätigt hat, unterstützt Antipater in
den folgenden Jahren die militärischen Aktionen der Römer gegen die Nabatäer und Parther. Im Auftrag oder zumindest mit Billigung
Hyrkans organisiert er den Getreidenachschub
für die Truppen, stellt Waffen und Geld zur
Verfügung, setzt sein diplomatisches Geschick
zugunsten der Römer ein. Diese Hilfsleistungen sichern ihm die Gunst des Pompeius und
ermöglichen einen kontinuierlichen Ausbau seiner Machtposition.
22
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Nach 54 heiratet Antipater eine Idumäerin; dieser
Ehe entstammen seine vier Söhne Phasael, Herodes, Joseph und Pheroras sowie eine Tochter namens Salome.
Kurz nach der Jahrhundertmitte haben sich die
Machtverhältnisse im römischen Reich abermals
grundlegend verändert. Im Kampf um die Vorherrschaft hat Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) den
Bürgerkrieg durch den bei Pharsalos erfochtenen
Sieg über Pompeius (48 v. Chr.) für sich entschieden. Pompeius selbst kann nach Ägypten entkommen, wo er von einem römischen Soldaten erschlagen wird. Nahezu zwei Jahre lang sammeln seine
übrig gebliebenen Anhänger ihre Kräfte in der Provinz Africa. Im April 46 kommt es bei der Seefestung Thapsus zur Entscheidungsschlacht, in der
Caesar die letzten Reste der pompeianischen Partei
vernichtend schlägt. Damit ist Caesar nicht nur Herr
in Rom sondern auch im Orient.
Zu dieser Zeit erscheint Antipater bei Josephus als
eigentliches politisches Oberhaupt der Juden, dessen Einfluss den des Hohenpriester Hyrkan bei weitem überwiegt. Als Caesars Truppen im Verlauf des
ägyptischen Feldzugs in Bedrängnis geraten, eilt
ihm Antipater mit einer großen jüdischen Truppe zu
Hilfe und hat entscheidenden Anteil am siegreichen
Ausgang der Kampagne. Dafür gewährt ihm Caesar
das römische Bürgerrecht und Steuerfreiheit im gesamten römischen Machtbereich. Darüber hinaus
erhebt er ihn zum Prokurator (Statthalter) in Judäa.
Hyrkan II., der ebenfalls persönlich am Feldzug teilgenommen hatte, wird als Hoherpriester und Ethnarch bestätigt. Zum Dank für den militärischen Beistand werden die Juden vom Militärdienst befreit
und steuerlich entlastet. Des Weiteren gesteht ihnen
Caesar eigene Gerichte zu, die für alle Vergehen
zuständig sein sollten, die sich nicht gegen die römische Oberherrschaft richten.
9.12 Der Aufstieg Herodes des Großen zum König von Judäa
In der Folgezeit bestätigt sich immer deutlicher,
dass nicht Hyrkan, den Josephus als träge und antriebslos schildert, sondern der agile Realpolitiker
Antipater die eigentliche Macht in Händen hält. Es
gelingt ihm, seinem ältesten Sohn Phaesalos (Phasael) die Verwaltung von Judäa und Peräa zu übertragen; seinem zweiten Sohn Herodes, damals gerade 15 Jahre alt, unterstellt er Galiläa.
Die stetig wachsende Machtfülle Antipaters und seiner Söhne weckt Argwohn in weiten Kreisen der jüdischen Oberschicht. Ein Übriges trägt die hohe
Steuerlast bei, die Phasael und Herodes unnachsichtig im Namen Roms eintreiben. Hinzu kommt
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Schulfernsehen
schließlich, dass sie ihrer Herkunft wegen nicht
als vollgültige Juden anerkannt sind. Im Jahr
43 v. Chr. fordert das Aufbegehren gegen dieses straffe prorömische Regiment ein blutiges
Opfer: Antipater wird erschlagen, seine Söhne
Phasael und Herodes können sich jedoch in ihren Positionen behaupten.
Im Jahr 40 v. Chr. hat sich Marcus Antonius
(82-30 v. Chr.) als neuer Herr im Osten etabliert. Mit Zustimmung Hyrkans bestätigt er Herodes und Phasael als Tetrarchen jener Gebiete, die ihnen Antipater übertragen hatte. Eine
gewisse Rolle könnten dabei auch jene Geldsummen gespielt haben, die Antonius einem
Bericht des Josephus zu Folge von beiden
empfangen hatte.
Die ohnehin angespannten Verhältnisse in Palästina erfahren eine dramatische Wende, als
die Parther 40 v. Chr. in die Provinz Syria einfallen. Antigonos, der Sohn Aristobuls II., paktiert mit den Angreifern gegen seinen Bruder
Hyrkan und die Söhne Antipaters. Die Parther
marschieren in Judäa ein und belagern Jerusalem, wobei es scheint, als habe sich der Hasmonäer Antigones persönlich an den Kampfhandlungen beteiligt.
Hyrkan II. wird gefangen genommen und deportiert, Phasael begeht Selbstmord. Die Parther gewähren Antigones den Titel eines Hohenpriesters und Königs von Judäa. Herodes
flieht über Ägypten nach Rom zu Marcus Antonius, der ihm seine Hilfe zusichert. Schließlich
erreicht Herodes beim Senat zugleich mit der
Verurteilung des Antigones seine Erhebung
zum rechtmäßigen, das heißt von Rom anerkannten König von Judäa.
Bis er diese im Jahr 40. v. Chr. erlangte Würde
tatsächlich wahrnehmen kann, vergehen allerdings drei Jahre, in denen er mit Hilfe römischer Truppen und jüdischer Kontingente die
Parther Zug um Zug aus Palästina vertreibt.
Fünf Monate dauert allein der Kampf um Jerusalem, den Herodes schließlich im Jahr 37. v.
Chr. für sich entscheidet.
Antigones wird gefangen genommen, vor Antonius geführt und auf Betreiben Herodes´ hingerichtet. Damit endet die Herrschaft der Hasmonäer (Makkabäer).
9.13 Das Königtum Herodes des Großen
(37 v. Chr. - 4 v. Chr.)
Als Herodes den Thron besteigt, muss ihm bewusst sein, dass er kein leichtes Amt antritt.
23
Schulfernsehen
Sein strenges Regiment als Tetrarch über Galiläa
war unvergessen, seine nicht- oder allenfalls halbjüdische Herkunft, die starke Abhängigkeit von Rom
und nicht zuletzt Tatsache, dass ihm die geistliche
Würde des Oberpriesters versagt blieb, entfremden
ihn dem jüdischen Volk.
Daher versucht er, sich durch die noch während der
Belagerung Jerusalems geschlossene Ehe mit der
Hasmonäerin Mariamne, einer Nichte Hyrkans II.,
eine Art dynastischer Legitimation zu verschaffen.
Zudem respektiert er, unbeschadet seines durch
und durch hellenistischen Lebensstils, die Regeln,
Sitten und Gebräuche des Judentums. Er untersagt
die Aufstellung menschlicher Bildnisse in jüdischen
Einrichtungen und stellt Verstöße gegen die Thora
unter strengste Strafe.
Im Zuge dieser steten Bemühung, nicht nur Vasallenkönig der Römer zu sein, lässt er auch den 515
vor Chr. eingeweihten 2. Tempel abtragen, um Platz
für einen prächtigen Neubau zu schaffen.
Darüber hinaus zeichnet er sich durch Tatkraft, diplomatisches Geschick, politische Klugheit sowie
großzügige Stiftungen für Bäder, Gymnasien, Tempel und Bewässerungsanlagen aus. Zahlreiche Spuren seiner immensen Bautätigkeit haben sich bis auf
heute erhalten.
Auch der Selbstmord Marc Antons (30. v. Chr.)
bringt seinen Thron nicht ins Wanken. Octavian, der
ab 27. v. Chr. als römischer Kaiser regiert, bleibt
ihm gewogen. Aufgrund seiner Stellung als "verbündeter König und Freund des römischen Volkes" (rex
socius et amicus populi Romani) genießt Herodes
weiterhin eine privilegierte Stellung. Er ist von Tributzahlungen befreit und nicht dem Provinzstatthalter sondern unmittelbar dem Kaiser unterstellt. Innenpolitisch hat Herodes weitgehend freie Hand. Er
ist Herr der Zivil- und Strafrechtspflege, der öffentlichen und finanziellen Verwaltung und überdies befugt, ein eigenes Heer zu unterhalten. Gestützt auf
diese Militärmacht ist er zum Schutz der pax romana, der Reichsgrenzen und zur Entsendung von Hilfstruppen im Kriegsfall verpflichtet. In allen Belangen
der Außenpolitik ist Herodes jedoch an die Weisungen bzw. die Zustimmung Roms gebunden. Dasselbe gilt für testamentarische Verfügungen sowie insbesondere für die Wahl eines Nachfolgers.
Obwohl das Reich des Herodes die einstige territoriale Größe des davidischen Reiches wiederherstellt
und obwohl er alles daran setzt, sein Ansehen zu
verbessern, geht er als blutiger Tyrann und rücksichtloser Gewaltherrscher in die Geschichte ein.
Vieles davon scheint aufgrund neuster Forschungen
überzeichnet. So hat beispielsweise der bethlehemitische Kindermord, den das Evangelium des Mat© Bayerischer Rundfunk
Schulfernsehen
thäus (Mt 2,16-18) in die Kindheitsgeschichte
Jesu einflicht, mit größter Wahrscheinlichkeit
nie stattgefunden.
Dennoch spiegelt dieser Bericht einen Charakterzug des Königs, der seine Zeitgenossen
zweifellos in Angst und Schrecken versetzte.
Argwöhnisch und misstrauisch gegen jeden,
der seine Herrschaft gefährden könnte, zögerte
Herodes nicht, seine Position gewaltsam zu sichern. Um einen potenziellen Gegenspieler
auszuschalten, lässt er den Hohenpriester Hyrkan, der 80-jährig aus seinem parthischen Exil
nach Jerusalem zurückgekehrt war, ermorden.
Auch seine Frau Mariamne sowie vier von sieben Söhnen aus zehn verschiedenen Ehen
und eine Menge weiterer Familienangehöriger
fallen seinem Verfolgungswahn zum Opfer.
Im Sinne einer umfassenden Kontrolle über
sämtliche jüdischen Selbstverwaltungsinstanzen schränkt Herodes die Befugnisse des Synhedrions und des Hohenpriestertums erheblich
ein. Er schafft die Erblichkeit der hochpriesterlichen Würde, die mehr als 120 Jahre lang vom
Haus der Hasmonäer ausgeübt wurde, ab. Zugleich reduziert er das Amt auf eine rein kultische Bedeutung und entblößt es aller politischen Kompetenzen
9.14 Die Herodianer nach Herodes dem
Großen bis zur Eingliederung Palästinas ins römische Provinzialsystem (4
v. Chr. bis 44 n. Chr.)
Anfang April des Jahres 4. v. Chr. stirbt Herodes nach längerer schwerer Krankheit.
In seinem Testament bestimmt er seinen ältesten Sohn Archelaos zum König über Judäa und
damit zum Oberherrn des ganzen Landes. Herodes Antipas sollte als Tetrach über Galiläa
und Peräa, Philippos als Tetrarch über den
Nordosten des Landes (Batanäa, Trachonitis,
Auranitis) herrschen.
Unmittelbar nach dem Tod des Königs brechen
allerorten Unruhen aus, zusätzlich geraten die
Söhne über ihre Erbteile in Streit. Octavian Augustus, dem es vorbehalten ist, das Herodes-Testament anzuerkennen, nimmt einige
Änderungen am Vermächtnis vor. Zunächst
teilt er das Herrschaftsgebiet in Tetrarchien
auf. Archelaos, dem er den Königstitel verweigert, muss sich mit der Würde eines Ethnarchen von Judäa, Samaria und Idumäa begnügen; die Städte Gaza, Gadara und Hippos werden der Provinz Syrien zugeschlagen. Antipas
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Schulfernsehen
und Philippos werden als Tetrarchen über die ihnen
zugewiesenen Gebiete bestätigt.
Im Gefolge dieser Teilung und Neuordnung erheben
sich Revolten, die Augustus durch den syrischen
Leganten Publius Quinctilius Varus niederschlagen
lässt.
9.15 Die Errichtung der Prokuratur Judäa nach
Archelaos (4 v. Chr. - 6 n. Chr.)
Archelaos, den Josephus als tückisch und launisch
beschreibt, erweist sich als ebenso herrschsüchtig
wie unfähig. Seine Lebensführung und seine Amtshandlungen machen jede Hoffnung auf Anerkennung seitens der Juden zunichte. Ohne Rücksicht
auf die Stimmung im Land greift er in die Wahl des
Hohenpriesters ein, leistet der Korruption und
Günstlingswirtschaft Vorschub, bringt das Volk
durch die umstrittene Heirat mit der Frau seines
Halbbruders gegen sich auf. Auch im Evangelium
des Matthäus (Mt 2, 19-22) findet sich eine Stelle,
die den schlechten Ruf des Herrschers illustriert.
Dort zaudern Josef und Maria, die vor Herodes nach
Ägypten geflohen waren, mit der Heimkehr nach
Galiläa aus Furcht vor Archelaos: "Als aber Herodes
gestorben war, siehe, da erschien dem Josef in
Ägypten ein Engel des Herrn im Traum und sprach:
"Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und ziehe in das Land Israel, denn die dem Kinde nach
dem Leben strebten, sind gestorben." Da stand er
auf, nahm das Kind und seine Mutter und zog in das
Land Israel. Als er aber hörte, dass Archelaus an
Stelle seines Vaters über Judäa herrschte, fürchtete
er sich dorthin zu gehen. Nachdem er aber im
Traum eine Weisung empfangen hatte, zog er in
das Gebiet von Galiläa."
Im Jahr 6. n. Chr. läuft das Fass über. Eine jüdische
Gesandtschaft erhebt bei Octavian Augustus Klage
gegen das tyrannische Regiment des Ethnarchen.
Der Kaiser macht kurzen Prozess. Er bestellt Archelaos nach Rom ein, wo ihn ein förmlicher Gerichtsbeschluss seines Amtes enthebt. Seine Besitz wird
eingezogen, er selbst nach Gallien verbannt. Über
das weitere Schicksal des Herodessohnes ist nichts
bekannt.
Mit der Amtsenthebung kommt Judäa unter unmittelbare römische Verwaltung und wird der Provinz
Syrien eingegliedert. Die Oberherrschaft übt jetzt ein
dem syrischen Legaten unterstellter Statthalter mit
dem Titel eines praefectus Judaeae aus. Sein Zuständigkeitsbereich umfasst Judäa, Samaria und
Idumäa.
Der Präfekt ist in erster Linie für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung verantwortlich. Er fun© Bayerischer Rundfunk
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giert als oberster Gerichtsherr und kontrolliert
die örtlichen Autoritäten. Da Rom den jüdischen Glauben und seine kultischen sowie religiösen Vorschriften respektiert, bleibt es den
Jerusalemer Juden erspart, Münzen mit dem
Abbild eines heidnischen Gottes oder des Kaiser zu benutzen. Sie verwenden Sonderprägungen ohne Kaiserbild.
9.16 Galiläa unter Herodes Antipas
(4 v. Chr. - 39. n. Chr.)
Herodes Antipas ist Herr über Galiläa. Er residiert zunächst in Sepphoris, später dann in Tiberias am See Genezareth, das er zu einer
prunkvollen hellenistisch-römischen Stadt ausbaut. Die Juden meiden diesen Ort, der über
aufgelösten Gräbern errichtet ist und deshalb
als unrein gilt.
Die Evangelien des Markus und des Matthäus
(Mk 6,17-29 und Mt 14,3-12) zeichnen sein Bild
als das eines ebenso grausamen wie triebhaften Willkürherrschers, der sich über jüdische
Sitten und Gebräuche kurzerhand hinwegsetzt.
Als Johannes der Täufer dem Tetrarchen das
Recht abspricht, Herodias, die Frau seines
Bruders, zu heiraten, lässt er den unbequemen
Widersacher vermutlich um das Jahr 20 n.
Chr. enthaupten. Da er im Gegensatz zum Jerusalemer Synhedrion die volle Gerichtsgewalt
inne hat und auch Todesurteile fällen kann, ist
er dabei nicht auf die Zustimmung der Römer
angewiesen. Flavius Josephus vermutet, Herodes habe befürchtet, der Täufer könnte sein
wachsendes Ansehen im jüdischen Volk dazu
nutzen, politischen Aufruhr zu schüren.
Im Jahr 37 v. Chr. wird Herodes Antipas von
Kaiser Caligula abgesetzt und nach Lugdunum
(Lyon) in Gallien verbannt. Dort stirbt er.
9.17 Philippos (4 v. Chr. -37 n. Chr.) und Herodes Agrippa I. (37 - 44 n. Chr.)
Der Tetrarch Philippos ist der einzige Nachfolger Herodes des Großen, den Flavius Josephus als gerechtigkeitsliebend und milde bezeichnet. Den Römern erweist er sich als loyaler Landesherr, der seine Ergebenheit unter
anderem dadurch ausdrückt, dass er die Küstenstadt Pannaeas in Kaisareia (Cäsarea) umbenennt und durch Prunkbauten (Amphitheater) im hellenistischen Stil umgestalten lässt.
Nicht in Jerusalem, sondern in dieser Stadt, die
bei Markus (Mk. 8,27) als Cäsarea Philippi erwähnt ist, residiert der römische Statthalter.
25
Schulfernsehen
Und anders als in Judäa oder Galiläa sind in Samaria auch Münzen in Umlauf, die das Bild des Kaisers
zeigen.
Im Jahr 37 n. Chr. stirbt Philippos ohne Nachkommen. Kaiser Caligula erhebt Herodes Agrippa I.,
einen Enkel Herodes des Großen, zum König über
Nordostpalästina (Batanäa). Nach der Absetzung
und Vertreibung des Herodes Antipas herrscht
Agrippa I. auch über Galiläa und Peräa, schließlich
weitet der Kaiser sein Königtum im Jahr 41 auf Judäa, Samaria und Idumäa aus. Damit regiert Herodes Agrippa I. drei Jahre lang ein Territorium, dessen Größe dem seines Großvaters gleichkommt.
In seine Zeit fällt die erste, maßgeblich von ihm entfachte Verfolgungswelle gegen die christliche Urgemeinde. Herodes, so berichtet die Apostelgeschichte (Apg 12,1-5 .) "ließ einige aus der Gemeinde verhaften und foltern". Jakobus der Ältere wurde enthauptet, Petrus eingekerkert.
Vieles spricht dafür, dass sich Herodes Agrippa,
den die jüdische Oberschicht als Fremdling und
Günstling der Römer ablehnt, mit diesem politischen
Schachzug den Rückhalt orthodoxer Kreise sichern
wollte. Der allenthalben gärende religiöse Unmut,
den nicht zuletzt Caligulas bekannt gewordene Pläne, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufrichten
und anbeten zu lassen, noch weiter angeheizt hatte,
schien solche blutigen Zugeständnisse erforderlich
zu machen.
Sein Ende erscheint im Neuen Testament als Strafgericht Gottes über einen hoffärtigen Potententaten:
"Dann zog Herodes von Judäa nach Cäsarea hinab
und blieb dort. Er war über die Bewohner von Tyrus
und Sidon sehr aufgebracht. Sie kamen gemeinsam
zu ihm, gewannen Blastus, den Kämmerer des Königs, für sich und baten um Frieden, weil ihr Land
sich vom Land des Königs ernährte. Am festgesetzten Tag nahm Herodes im Königsgewand auf der
Tribüne Platz und hielt eine große Rede an sie. Das
Volk aber schrie: Eines Gottes, nicht eines Men-
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schen Stimme! Auf der Stelle schlug ihn ein
Engel des Herrn, weil er nicht Gott die Ehre gegeben hatte. Und von Würmern zerfressen
starb er." (Apg 12,21-23)
Nach dem Tod Agrippas I. im Jahr 44 erlischt
das Haus der Herodianer. Palästina wird wieder in das System römischer Provinzen eingegliedert und von einem Prokurator verwaltet.
9.18 Der Fall Masadas und das Ende der jüdischen Selbstbestimmung
Als der römische Legat Quirinus im Jahr 8 n.
Chr. einen Census befiehlt, rufen radikale Juden unter zelotischer Führung zum Widerstand
gegen die römische Besatzungsmacht sowie
deren herodianische Vasallen auf. Sie verweigern die Zahlung von Steuern und formieren
guerillaartig vorgehende Kampfverbände, die
auch vor Attentaten nicht zurückschrecken.
Zwischen 40 und 68 n. Chr. gelingt es den Aufständischen, breite Volksschichten zu mobilisieren und in den offenen Kampf gegen Rom
zu führen. Im Jahr 66 entfacht die Frage des
Kaiserkultes den Jüdischen Krieg. Treibende
Kraft sind wiederum die Zeloten. Sie stellen
den größten Teil der antirömischen Freiheitskämpfer und besetzen die Festung Masada.
Der römische Kaiser Vespasian und später
sein Sohn Titus schlagen unerbittlich zurück.
Im April 70 fällt Jerusalem, der Tempel verbrennt. Der jüdische Staat ist erloschen, die
Juden verlieren das Siedlungsrecht. Sie werden vertrieben, die Diaspora beginnt.
Vier Jahre später stürmen die Römer Masada,
wo sich das letzte Aufgebot des Widerstands
verschanzt hat. Mit ihrem kollektiven Selbstmord auf Masada besiegeln die Zeloten ihre
Entschlossenheit, eher unterzugehen, als die
Herrschaft Roms anzuerkennen.
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Schulfernsehen
Didaktische Hinweise
Der Beitrag eignet sich für den Einsatz im katholischen und evangelischen Religionsunterricht sowie im
Fach Ethik der Jahrgangsstufen 2 bis 9 aller Schularten.
Lehrplanbezüge (Bayern)
Grundschule
Ethik
3. Jgst.
3.4 Kultur in ihrer Vielfalt entdecken und achten (Begegnung mit verschiedenen Kulturkreisen und unterschiedlichen Bekenntnissen; Grundzüge des Christentums und des Judentums kennen lernen und
erfahren, wie Christen und Juden ihren Glauben leben)
3.4.3 Religionen begegnen: Das Judentum (Glaubensleben, Gebet, Synagoge, Sabbat, Festtage)
Evangelische Religionslehre
3. Jgst.
3.8 Juden und ihren Glauben verstehen lernen
3.8.1 Begegnung mit dem Judentum
Erfahren, was Juden für ihren Glauben besonders wichtig ist (Thora, Sabbat, Feste u. Feiertage)
3.8.2 Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen
Katholische Religionslehre
2. Jgst.
2.1 Auf vielfältige Weise beten
2.1.3 Im Gebet mit Gott und den Menschen verbunden (Menschen anderer Religionen beten anders
(z. B. Juden, Muslime).
3. Jgst.
3.2 Jüdischem Glauben begegnen (Pessach-Fest kennen lernen und seine Bedeutung verstehen, Einblick in den jüdischen Gottesdienst und das jüdische Glaubensleben)
3.2.1 Das Volk Israel erzählt von seiner Befreiung (Pessachfest, Seder)
3.2.2 Wie Juden ihren Glauben leben (Sabbat, Synagoge, Gebetsleben)
Hauptschule
Ethik
5. Jgst.
5.4.2 Symbole und Überlieferungen, die für viele Menschen wichtig sind (wichtige religiöse Symbole
und ihre Bedeutung, z. B. Kreuz, siebenarmiger Leuchter, Halbmond)
5.4.3 Religiöses Brauchtum und Feste (wichtige Feste verschiedener Religionen, z. B. Osterfest, Ramadanfest, Laubhüttenfest)
Evangelische Religionslehre
5. Jgst.
5.4 Jüdisches Leben - Zeit und Umwelt Jesu
5.4.3 Jüdische Religion (die Bedeutung des Gesetzes im Leben der Juden (Sabbat, Speisegebote);
Freude am Gesetz als Weg mit Gott zu leben, Feste, Synagoge, Kult)
8. Jgst.
8.3 Einander besser verstehen - Glaube und Leben der Juden
8.3.1 Jüdischer Glaube - Leben und Überlieferung (jüdisches Leben bei uns; Einblick in das Leben gemäß der Thora und ihrer Überlieferung gewinnen: Alltag und Feste (Sabbat, Pessach, Bar-Mizwa)
8.3.2 Miteinander verbunden – Gemeinsamkeiten im jüdischen und christlichen Glauben
8.3.3 Ausgrenzung und Verfolgung - Verständigung und Annäherung (Antisemitismus, Ghetto, Judenpogrome, Verfolgung der Juden im „Dritten Reich")
Katholische Religionslehre
8. Jgst.
8.4 „Höre Israel, der Herr unser Gott ist einzig“– die Religion der Juden
© Bayerischer Rundfunk
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Schulfernsehen
8.4.1 Jüdisches Glaubensleben – Frömmigkeit, Feste und Brauchtum (religiöse Traditionen und Bräuche; tägliche Gebete; Sabbatfeier, Beschneidung, Bar/Bat Mizwa, Jom Kippur, Sukkot, Chanukka,
Pessach und andere Feste)
8.4.2 Miteinander zutiefst verbunden – jüdischer und christlicher Glaube
8.4.3 Entfremdung und Verfolgung – Verständigung und Versöhnung (Juden und Christen in der Geschichte, judenfeindliche Einstellungen im Christentum, Ghettos, Judenpogrome; Verfolgungen der Juden im Nationalsozialismus; Ansatzpunkte zur Verständigung und Versöhnung)
8.5 Weltreligionen: Glaube und Leben im Judentum
8.5.1 Jüdische Zeugnisse, jüdisches Leben (Zeugnisse jüdischen Lebens; bedeutende jüdische Persönlichkeiten in Wissenschaft und Kunst; nach der Thora leben, z. B. tägliche Gebete, Reinheitsgebote, Sabbatfeier, Feste im Jahreskreis)
8.5.2 Der jüdische Glaube (Thora als Glaubensweisung: Glaube an den einen Gott; Landnahme- und
Vertreibungsgeschichten, z. B. David, Jerusalem und der Tempel, babylonisches Exil; Abraham als
Glaubensgestalt für Juden, Christen und Muslime
8.5.3 Zeiten der Verfolgung, Zeit der Verständigung und Befriedung (Zerstörung Jerusalems 70 bzw.
135 n. Chr. und Vertreibung aus Jerusalem; Leben in der Diaspora, Leben in ständiger Bedrohung, zB.
Ghettos, Judenpogrome, Israel heute; Vernichtungsprogramm im Nationalsozialismus und Versöhnungsanstrengungen in der Gegenwart)
Realschule
Evangelische Religionslehre
9. Jgst.
9.3 Judentum: Achtung vor dem Verwandten und doch Anderen (Wiederholung und Vertiefung der
Kenntnisse über das Judentum; Begegnung mit dem jüdischen Glauben: Grundzüge jüdischer Lehre,
Thora; Sabbat, Feste, Riten und Vorschriften, Lebensgestaltung; Stationen jüdischer und christlicher
Geschichte: Diaspora: zweite Zerstörung des Tempels, Vertreibung aus Palästina, Antisemitismus, Erklärungs- und Überwindungsversuche)
Katholische Religionslehre
6. Jgst.
6.4 In der Wurzel verbunden: vom Leben und Glauben der Juden (Frömmigkeitspraxis im jüdischen
Glaubensleben; jüdischer Alltag bei uns und in Israel: religiöse Feste und Bräuche: Beschneidung,
Bar/Bath Mizwa); Feiern im Laufe des Jahres, z. B. Sabbat, Pessach und andere Feste)
Gymnasium
Ethik
6. Jgst.
6.3 Menschenbild und Ethik von Judentum und Christentum (Einblick in das Judentum und Christentum; zentrale Personen der jüdischen und christlichen Religion; jüdische und christliche Überlieferungen; ethische Forderungen von Judentum und Christentum und ihre aktuelle Relevanz)
7. Jgst.
7.4 Feste und ihre Bedeutung für die Gemeinschaft (Kenntnis wichtiger jüdischer, christlicher und islamischer Feste im Jahreslauf, ihr Zusammenhang und ihre Symbolik: Pessachfeier (Auszug aus Ägypten unter Mose, Ex 12), Ostern (Tod und Auferstehung Jesu, vgl. die Evangelien); Pfingsten (Apg. 2,136); Weihnachten (Mt 2,1-12, Lk 2,1-21); Opferfest; Fest des Fastenbrechens; Brauchtum in Zusammenhang mit diesen Festen)
Evangelische Religionslehre
6. Jgst.
6.1 Zeit und Umwelt Jesu (Historische geographische und gesellschaftliche Situation in Palästina zur
Zeit Jesu; Elemente des jüdischen Alltagslebens und religiöser Feste, die in neutestamentlichen Texten erwähnt werden; verschiedene Gruppen des Judentums und ihre Frömmigkeit; Messiaserwartung)
9. Jgst.
9.1 Judentum (Kenntnisse über jüdische Geschichte und jüdisches Selbstverständnis erwerben; gegenwärtiges jüdisches Leben und jüdischen Glauben wahrnehmen; jüdische Feste und Bräuche, Gebet und Gottesdienst; Grundmotive jüdischen Glaubens; Thora als Orientierung; Bedeutung von Erinnerung und Hoffnung; Motive und Formen des Antijudaismus und des Antisemitismus)
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Katholische Religionslehre
9. Jgst.
9.2 Das Judentum: Weltreligion und Wurzel des Christentums (Religion und Glaubenspraxis des Judentums; Thora als Lebensorientierung; Jerusalem und das von Gott geschenkte Land; Religion im
Alltag und Gottesdienst, Pessach als Beispiel jüdischer Feste, Festkalender; Judenverfolgung im Mittelalter und 20. Jahrhundert; Dialog nach der Schoah: Wege zum Miteinander, Schuldbekenntnis des
Papstes im Jahr 2000)
Lernziele
Die Schülerinnen und Schüler sollen:
Grundzüge des Judentums kennen lernen und erfahren, wie Juden ihren Glauben leben,
wichtige Fest- und Feiertage und ihre Bedeutung kennen,
einen Einblick in den jüdischen Gottesdienst und das jüdische Glaubensleben erhalten,
die Bedeutung des Gesetzes im Leben der Juden begreifen,
Thora und Talmud als Fundament des jüdischen Lebens erkennen,
Grundkenntnisse über jüdische Geschichte und jüdisches Selbstverständnis erwerben,
Ausgrenzung und Verfolgung als aufgezwungenen Teil der jüdischen Geschichte begreifen,
über Judenverfolgungen im Mittelalter und in der Neuzeit sowie die deutschen Verbrechen gegen
Juden im 20. Jahrhundert Bescheid wissen,
• über Wege zum Miteinander nachdenken und aktiv für Aussöhnung eintreten.
•
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Anregungen zur Unterrichtsgestaltung
Nach der gemeinsamen Betrachtung des Filmbeitrags konfrontiert die Lehrkraft die Schüler mit einem
oder mehreren der folgenden Zitate:
„Das Sich-Erinnern an das Heilshandeln Gottes macht den Kern jüdischer Religiosität aus.“ (Hutter, S.
41.)
„Das Gedenken an Gottes Schöpfungs- und Heilstat für das jüdische Volk prägt entscheidend die äußeren Formen des jüdischen religiösen Lebens.“ (Hutter, S. 47.)
„Das Judentum definiert sich weniger durch ein gemeinsames Dogma als vielmehr dadurch, dass in
gemeinsamen Feiern die Erinnerung an die Geschichte des jüdischen Volkes bewahrt wird. (…) Das
kollektive Gedächtnis prägt die jüdische Identität, Weltsicht und das Leben daher stärker als Lehrinhalte“ (Hutter, S. 49f.)
„Wie keine andere Religion ist die des Judentums auf Geschichtserfahrungen gegründet, vom Glauben an ein Handeln Gottes in der Geschichte geprägt […] Religion und Volk, Volk und Geschichte gehören somit wesentlich zusammen.“ (Stemberger, S. 16.)
Im gemeinsamen Gespräch überprüfen die Schüler,
• ob die Aussagen zutreffen,
• mit welchen Aussagen im Beitrag sie übereinstimmen und
• welche stützenden Beispiele der Beitrag zeigt.
Anschließend diskutiert die Klasse, ob dieses Phänomen eine Eigenart des Judentums ist oder auch in
anderen Religionen, insbesondere im Christentum bemerkbar ist.
Arbeitsaufträge
Warum ist der Thoraschrein durch goldene Türen geschlossen? Welche Symbolik steckt dahinter?
Welchem Element einer christlichen Kirche entspricht der Thoraschrein?
Wie lässt sich der wesentliche Unterschied zwischen den Inhalten der beiden Schreine beschreiben?
Was ist damit über das Wesen der beiden Religionen gesagt?
© Bayerischer Rundfunk
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Schulfernsehen
Schulfernsehen
Rabbiner Dray sagt, das Volk Israel habe einen Bund mit Gott geschlossen. Wie kam es dazu und was
ist das Wesen dieses Bundes?
Rabbiner Dray stellt einen symbolischen Zusammenhang zwischen dem Ölwunder bei der Tempelweihe und dem Widererstarken des Glaubens der Juden her. Formuliere diesen Zusammenhang in eigenen Worten.
Während Rabbiner Dray Herkunft und Bedeutung des Chanukkahfestes erklärt, sehen wir Bilder von
der Wiedereröffnung der neuen Hauptsynagoge Ohel Jakob in München.
Ist das nur eine beliebige Illustration? Was könnte die Geschichte von der Vertreibung der Unterdrücker und der Wiederweihe des Tempels mit der Neueröffnung der Hauptsynagoge zu tun haben?
Überlegt, ob ihr einen inhaltlichen Zusammenhang erkennen könnt und formuliert eure Gedanken.
Weitere Informationen zu Ohel Jakob findet ihr auf der Homepage der Israelitischen Kultusgemeinde
München und Oberbayern (www.ikg-m.de).
Fasst in eigenen Worten zusammen, was Rabbiner Steven Langnas über die Bedeutung der vielen religiösen Vorschriften im Judentum sagt. Erklärt, warum sie so wichtig sind und was sie bewirken.
Was meint Rabbiner Steven Langnas mit der Aufforderung „Fang einfach an, und der Rest wird kommen!“? Von welchem Rest ist hier die Rede, welche Funktion hat das Anfangen?
Wie fasst Steven Langnas im Interview den religiösen Kern des Judentums zusammen?
Literaturhinweise
Manfred Hutter: Die Weltreligionen. München [Beck, Reihe C.H. Beck Wissen] 22006. ISBN 978-3-40650865-3.
Günter Stemberger: Jüdische Religion. München [Beck, Reihe C.H. Beck Wissen] 52006. ISBN 978-3406-45003-7.
Beide gut greifbaren Bände informieren prägnant und wissenschaftlich zuverlässig über zentrale
Aspekte des religiösen Judentums.
Manfred Claus: Das Alte Israel. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. München [Beck, Reihe C.H. Beck
Wissen] 1999.
Martin Metzger: Grundriss der Geschichte Israels. Neukirchen-Vluyn [Neukirchener Verlag] 1998. ISBN
3788704632.
Links
Eine Fülle von Informationen zum Judentum sowie weiterführende Literaturhinweisen und Internetlinks
bieten u.a.:
http://www.ikg-m.de
(Homepage der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern)
http://www.talmud.de/cms/Traktat_Berachot_2_a-b.143.0.html
http://www.chabad-baden.de
http://www.payer.de/judlink.htm
http://staff-www.uni-marburg.de/~terno/judentum/
http://www.zentralratdjuden.de/de/article/239.html
http://www.judentum-projekt.de/
(Sehr ambitionierte, umfangreiche Homepage zu einem Schülerprojekt des in . Empfehlenswert sind
u.a. die Mindmaps in der Rubrik „Materialien“ als knapp gehaltene Gedächtnisstützen und inhaltliche
Konzentrate.)
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