Diagnostik im Kindes- und Jugendalter anhand strukturierter Interviews: Anwendung und Durchführung des Kinder-DIPS Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Zusammenfassung Für die Diagnosestellung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen erweisen sich insbesondere strukturierte Interviews als geeignete Instrumente. Strukturierte Interviews zeichnen sich durch ihre Ökonomie und Anwenderfreundlichkeit aus und erlauben eine systematische Erfassung von Informationen, was zu einer objektiven, reliablen und validen Diagnosestellung führt. Für den deutschen Sprachraum existiert mit dem „Diagnostischen Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter“ (Kinder-DIPS; Unnewehr, Schneider & Margraf, 1995; Neuauflage in Druck) ein strukturiertes Interview, das sowohl eine Kinder- als auch eine Elternversion umfasst. Für eine reliable Diagnosestellung mit dem Kinder-DIPS bedarf es eines intensiven Trainings, einer guten Vorbereitung sowie einer sorgfältigen Durchführung des Interviews. Im Folgenden werden die praktische Anwendung, Durchführung und mögliche Schwierigkeiten, die während eines Interviews auftreten können, beschrieben. Schlüsselwörter Diagnostik – Strukturierte Interviews – Kinder-DIPS Abstract Structured interviews have proven to be particularly useful in the diagnosing mental disorders in children and adolescents. Structured interviews are characterised by both their user friendliness and economy and allow for a systematic acquisition of information, leading to a reliable and valid diagnosis. The „ Diagnostic Interview for Mental Disorders for Children and Adolescents (Kinder-DIPS; Unnewehr, Schneider & Margraf, 1995; new edition in press), which comprises of both a parent and children version, is a structured interview available for German speaking areas. An intense training and a good preparation are required for the conducting of high-quality interviews with the Kinder-DIPS resulting in reliable diagnoses. The following paper describes the practical usage, the conducting of interviews and possible difficulties that may occur during an interview. Key words diagnostics – structured interviews – Kinder-DIPS Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1. Jg., 363–377, ISSN 1864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 364 Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Einleitung Die Diagnostik psychischer Störungen ist ein wichtiger Prozess in der Therapieplanung. Anhand einer sorgfältigen Abklärung vorhandener Beschwerden und Schwierigkeiten des Kindes bzw. Jugendlichen sowohl mit dem Betroffenen selber als auch dessen Eltern, kann eine Therapie angemessen geplant und zielgerichtet durchgeführt werden. Das diagnostische Vorgehen stellt im Kindes- und Jugendalter eine besondere Herausforderung dar. Zum einen müssen beschriebene Symptome sorgfältig auf ihre klinische Relevanz hin überprüft werden, da diese bei nahezu allen Kindern in bestimmten Entwicklungsphasen zu erkennen sind und für die jeweiligen Altersphasen normal sind. Zum anderen ist es, vor allem bei jüngeren Kindern, aufgrund der kognitiven Entwicklung, des Sprachverständnisses und einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne schwieriger, konkrete und zuverlässige Angaben zu erhalten. Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist der Einbezug mehrerer Informanten (Kind, Eltern und weitere Bezugspersonen) in den Diagnostikprozess unerlässlich. Nur verschiedene, sich ergänzende Informationen können eine vollständige Erfassung der Situation des Kindes und seiner Beschwerden gewährleisten, was eine valide Diagnosestellung ermöglicht (Kraemer et al., 2003). Für eine zuverlässige Diagnosestellung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen haben sich strukturierte Interviews als geeignete Instrumente erwiesen (vgl. Angold, 2002; Schneider & Adornetto, 2006; Unnewehr, 1995). Im deutschen Sprachraum existieren bislang zwei strukturierte Interviews zur Erfassung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter: das Mannheimer Elterninterview (MEI; Esser, Blanz, Geisel & Laucht, 1989) und das Diagnostische Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (Kinder-DIPS; Unnewehr, Schneider & Margraf, 1995). Das Kinder-DIPS Die Neuauflagen des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-IV-TR; APA, 2000) und der „ International Classification of Diseases“ (ICD-10; WHO, 1993) sowie umfangreiche klinische Erfahrungen mit dem Kinder-DIPS in Forschung und Praxis machten eine Überarbeitung des Interviews notwendig. Zum einen wurden neue, für den psychotherapeutischen Bereich wichtige psychische Störungen in das Interview mit aufgenommen, zum anderen wurden formale Änderungen vorgenommen. Folgende Störungsbereiche wurden neu aufgenommen: t Ticstörungen: Tourette-Störung, Chronische Motorische oder Vokale Ticstörung, Vorübergehende Ticstörung t Schlafstörungen: Primäre Insomnie, Primäre Hypersomnie und Schlafstörung mit Alpträumen. In der Elternversion des Kinder-DIPS wurden zudem die Störungen Pavor Nocturnus und Schlafstörung mit Schlafwandeln aufgenommen. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Diagnostik im Kindes- und Jugendalter 365 t Prüfungsangst wurde als Subform der Sozialen Phobie integriert. t Selektiver Mutismus t Essstörungen: Pica und Binge-Eating-Störung („Forschungsdiagnose“ im DSM-IV-TR). Die Kriterienkästen für Essstörungen wurden um BMI-Perzentilkurven (Wachstumskurven) ergänzt, um anhand dieser Altersnormen das Körpergewicht der Kinder und Jugendlichen in Hinblick auf Abweichungen einordnen zu können. t Screening für Nikotin-, Alkohol- und Drogenmissbrauch Folgende Änderungen wurden vorgenommen: t Fragen mit langen Auflistungen wurden zum besseren Verständnis und zur Gewährleistung eines flüssigen Interviewverlaufs in mehrere Sätze aufgeteilt. So wird z. B. die Beeinträchtigung zu Hause, in der Schule, in der Freizeit und im sozialen Bereich einzeln erfragt. t Fragen zu Störungsbeginn und Dauer wurden systematisch in alle Störungssektionen eingegliedert. In einem ersten Schritt wird eine offene Frage gestellt und falls dazu keine konkreten Angaben gemacht werden können, wird in einem zweiten Schritt explizit nach Beginn bzw. Dauer der Störung gefragt. t Neue Fragen zu therapierelevanten Informationen wurden aufgenommen (z. B. Situationsanalyse von Essanfällen, Schweregradrating von Angst und Vermeidung bei Phobien). t Die klinische Einschätzung der Symptome (Beeinträchtigung, Belastung, Symptomratings) wurde von der ursprünglichen fünfstufigen Skala (0–4) auf eine vierstufige Skala (0–3) reduziert, um Antwortmuster mit Tendenz zur Mitte zu vermeiden. t Bei jeder Störungssektion wurden zudem Fragen nach der Therapiebedürftigkeit eingearbeitet, um den durch die Störung bedingten Leidensdruck auf eine andere Art zu klären, als direkt nach dem subjektiven Befinden zu fragen. In Tabelle 1 sind die psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters aufgelistet, die mit der erweiterten Version des Kinder-DIPS (Unnewehr, Adornetto, Suppiger, Margraf & Schneider, in Druck) erfasst werden. Weiter enthält das Kinder-DIPS einen allgemeinen klinisch-demographischen Teil und Screenings für körperliche Krankheiten, entwicklungsbezogene Koordinationsstörung, Kommunikationsstörungen, Alkohol-, Nikotin- und Drogenmissbrauch, nicht-organische Psychosen sowie für Medikamentengebrauch. Darüber hinaus werden eine psychiatrische Anamnese, eine Familienanamnese psychischer Störungen und die Achsen IV (psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme) und V (globale Erfassung des Funktionsniveaus) erhoben. Wie schon in seiner Vorgängerversion enthält die erweiterte Version des Kinder-DIPS therapierelevante Fragen, um das Interview insbesondere für den psychotherapeutischen Gebrauch nutzbar zu machen. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 366 Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Tabelle 1: Psychische Störungen, die mit dem Kinder-DIPS diagnostiziert werden Störung der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten, Störung des Sozialverhaltens Ticstörungen Angststörungen Störung mit Trennungsangst, Spezifische Phobie, Soziale Phobie, Selektiver Mutismus, Zwangsstörung, Generalisierte Angststörung, Posttraumatische Belastungsstörung, Panikstörung, Agoraphobie mit und ohne Anamnese einer Panikstörung Störungen der Ausscheidung Enuresis, Enkopresis Schlafstörungen Primäre Insomnie, Primäre Hypersomnie, Schlafstörung mit Alpträumen, Pavor Nocturnus, Schlafstörung mit Schlafwandeln Affektive Störungen Major Depression, Dysthyme Störung Essstörungen Pica, Anorexia Nervosa, Bulimia Nervosa, Binge-Eating Störung Das Kinder-DIPS umfasst eine Kinderversion zur direkten Befragung des Kindes ab 8 Jahren (frühestens ab 6 Jahren) sowie eine parallele Elternversion. Die Abfolge der Fragen, die eng an die DSM-IV-TR- und ICD-10-Kriterien formuliert sind, erfolgt syndromorientiert. Erfasst werden sowohl derzeitige Diagnosen als auch Lebenszeitdiagnosen. Die Diagnosestellung sowie deren Schweregrad und zeitliche Einordnung erfolgt zunächst unabhängig für das Kinder- oder Elterninterview. Erst dann wird die zusammengesetzte Diagnose aufgrund der Ergebnisse des Kindes- und Elterninterviews gebildet. Das Vorgehen bei Nicht-Übereinstimmung wird später genauer beschrieben. Zur Erfassung der Symptomausprägung werden die Auftretenshäufigkeit oder die Intensität eines Symptoms auf einer 4-stufigen Ratingskala quantitativ kodiert („nie/selten“ bis „sehr oft“ bzw. „gar nicht“ bis „sehr stark“). Daneben enthält das Interview auch offene Fragen, um eine individuelle Beschreibung von Situationen zu erhalten. Sprungregeln erlauben das Überspringen einzelner Abschnitte, wenn die Eingangsfrage einer Störung verneint wurde. Abhängig von der vorliegenden Anzahl Störungen bei einem Kind sowie dem Interviewverhalten des Kindes beträgt die Dauer des Interviews durchschnittlich 60–90 Minuten. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Diagnostik im Kindes- und Jugendalter 367 Gütekriterien des Kinder-DIPS Erste Untersuchungen zur Interrater-Reliabilität der überarbeiteten und erweiterten Version des Kinder-DIPS konnten an insgesamt 220 Interviews vorgenommen werden (110 Kinderinterviews und 110 Elterninterviews). Die Interviews wurden von 21 Psychologiestudenten (19 Frauen, 2 Männer) mit Bachelorabschluss und 7 diplomierten Psychologinnen durchgeführt. Kinderversion Bei den Kinderinterviews betrug der Mädchenanteil 52 %. Das durchschnittliche Alter der Kinder war 11 Jahre (SD = 2.9; Min = 6, Max = 17). Die folgenden Schultypen waren vertreten: 4 % der Kinder besuchten den Kindergarten, 53 % die Grundschule, 33 % die Hauptschule, 3 % machten eine Berufsausbildung und 7 % fiel unter „Sonstiges“ (z. B. Sonderschule, Privatschule). Die Übereinstimmungswerte für die einzelnen Störungskategorien sind in Tabelle 2 dargestellt. Auf der Ebene von Oberklassen ergeben sich für Lebenszeitdiagnosen befriedigende bis sehr gute Übereinstimmungswerte. Die prozentuale Übereinstimmung beträgt bei allen Oberklassen mindestens 85 %. Die Werte für Yule’s Y liegen bei .89 und höher, die Kappa-Werte liegen zwischen .48 (Schlafstörungen) und .88 (Affektive Störungen). Elternversion Bei den Elterninterviews lag der Mädchenanteil bei 54 %. Das Durchschnittsalter der Kinder betrug 10 Jahre (SD = 3.0; Min = 6, Max = 17). Die Stichprobe setzte sich aus folgenden Schultypen zusammen: 8 % Kindergarten, 53 % Grundschule, 29 % Hauptschule und 10 % „Sonstiges“ (z. B. Sonderschule, Privatschule). Die Übereinstimmungswerte für die einzelnen Störungskategorien sind in Tabelle 3 dargestellt. Auf der Ebene von Oberklassen ergeben sich für Lebenszeitdiagnosen sehr gute Übereinstimmungswerte. Die prozentuale Übereinstimmung beträgt bei allen Oberklassen mindestens 93 %. Die Werte für Yule’s Y liegen bei mindestens .99, die Kappa-Koeffizienten liegen zwischen .85 (Angststörungen) und .94 (expansive Verhaltensstörungen). Ausführliche Untersuchungen zu den psychometrischen Gütekriterien, sowohl bezüglich der Reliabilität als auch der Validität, sind zurzeit in Vorbereitung (Adornetto & Schneider, in Vorbereitung). Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 368 Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Tabelle 2: Interrater-Reliabilität des Kinder-DIPS Kinderversion (Störungsebene, Lebenszeitdiagnosen) (aus Schneider et al., in Druck) DSM-IV-TR Störungsebene Häufigkeiten –/– –/+ +/– +/+ % Kappa Yule’s Y Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung 108 1 0 1 99 (.66) — Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten 108 0 0 2 100 — — Störung des Sozialverhaltens 106 0 0 4 100 — — Enuresis 102 2 2 4 96 (.65) .98 Enkopresis 109 0 0 1 100 — — Major Depression 99 1 0 10 99 (.95) — Dysthyme Störung 103 1 2 4 97 (.71) .99 Störung mit Trennungsangst 91 6 3 10 92 .64 .96 Agoraphobie ohne Anamnese einer Panikstörung 107 1 2 0 97 (-.01) — 92 7 5 6 89 .44 .88 Soziale Phobie 102 2 3 3 96 (.52) .96 Zwangsstörung 106 2 2 0 96 (-.02) — Anorexia Nervosa 107 0 0 3 100 — — Primäre Insomnie 93 7 5 5 89 .39 .86 108 1 0 1 99 (.66) — Schlafstörung mit Alpträumen 106 2 1 1 97 (.39) .96 Spezifische Phobie Primäre Hypersomnie Anmerkungen: Kappa-Koeffizienten, welche aufgrund einer Basisrate der jeweiligen Oberklasse von weniger als 10 % (n = 11) eine Unterschätzung darstellen, sind in Klammern aufgeführt. – = Berechnung nicht möglich. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 369 Diagnostik im Kindes- und Jugendalter Tabelle 3: Interrater-Reliabilität des Kinder-DIPS Elternversion (Störungsebene, Lebenszeitdiagnosen) (aus Schneider et al., in Druck) DSM-IV-TR Störungsebene Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten Störung des Sozialverhaltens Enuresis Enkopresis Major Depression Dysthyme Störung Störung mit Trennungsangst Panikstörung ohne Agoraphobie Spezifische Phobie Soziale Phobie Generalisierte Angststörung Zwangsstörung Pica Anorexia Nervosa Binge Eating Disorder Primäre Insomnie Häufigkeiten –/– –/+ +/– +/+ 96 0 3 11 101 1 1 7 108 0 0 2 97 1 1 11 107 0 0 3 97 1 0 12 103 0 3 4 73 3 4 30 107 2 1 0 88 2 6 14 94 3 3 10 106 1 3 0 106 1 1 2 107 1 1 1 107 1 0 2 109 0 0 1 103 1 1 5 % Kappa Yule’s Y 97 .87 — 98 (.87) 1.00 100 (1.00) — 98 .91 1.00 100 (1.00) — 99 .96 — 97 (.71) — 94 .85 .99 97 (-.01) — 93 .74 .98 95 .74 .98 96 (-.01) — 98 (.66) .99 98 (.49) .98 99 (.80) — 100 — — 98 (.82) 1.00 Anmerkungen: Kappa-Koeffizienten, welche aufgrund einer Basisrate der jeweiligen Oberklasse von weniger als 10 % (n = 11) eine Unterschätzung darstellen, sind in Klammern aufgeführt. – = Berechnung nicht möglich. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 370 Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Praktische Anwendung des Kinder-DIPS Vorbereitung des Interviewers Für die korrekte Durchführung eines strukturierten Interviews sind sorgfältige Vorbereitungen zu treffen, wobei das Training der Interviewdurchführung unter Anleitung erfahrener Interviewer eine zentrale Rolle spielt. Nur nach einem intensiven Training kann eine reliable und valide Diagnosestellung gewährleistet werden. Als Voraussetzung für eine korrekte Durchführung des Interviews sind gute Kenntnisse der Störungsbilder und Diagnosekriterien unerlässlich. Das Training beinhaltet das sorgfältige Lesen des Handbuchs, insbesondere der Durchführungsanweisungen, sowie des Interviewleitfadens. Als nächster Schritt sollte das Interview praktisch geübt werden, indem es zunächst im Freundes- bzw. Bekanntenkreis und dann mit Kindern bzw. Jugendlichen und deren Eltern durchgeführt wird. Weiter ist das Überprüfen der Reliabilität wichtig. Dazu können Übungsinterviews in der Anwesenheit von weiteren Diagnostikern durchgeführt werden, die während des Interviews unabhängig voneinander die Antworten im Protokollbogen eintragen. Abweichende Einschätzungen und Diagnosen können im Anschluss diskutiert werden. Das strukturierte Training ist im Handbuch des Kinder-DIPS detailliert aufgeführt (Schneider et al., in Druck). Vorbereitung des Kindes/der Eltern Kind und Eltern sollten über den Zweck der Befragung informiert werden. Dadurch kann unrealistischen Erwartungen (z. B. sofortiger Beginn einer therapeutischen Intervention) und damit einhergehenden Enttäuschungen oder Verärgerungen vorgebeugt werden. Im Kasten 1 ist ein Beispiel für die Einführung in ein diagnostisches Interview mit dem Kind aufgeführt. Grundregeln bei der Durchführung des Kinder-DIPS Um eine zuverlässige Diagnosestellung zu gewährleisten, gilt es, einige allgemeine Grundregeln bei der Durchführung des Kinder-DIPS zu beachten (Schneider, Unnewehr & Margraf, 1995): 1. Fragestellung : Die Fragen sind möglichst wortgetreu zu stellen. Beim Interview mit dem Kind kann es aber durchaus sinnvoll sein, anstatt der vorgegebenen Begriffe, Formulierungen zu verwenden, die dem Alter oder dem Sprachgebrauch des Kindes besser entsprechen. Zusätzliche Fragen sind erlaubt, wenn eine Frage nicht richtig verstanden wurde oder mehrdeutige Antworten zu klären sind. Fragen können auch wiederholt werden, um sicherzustellen, dass die Fragen verstanden wurden. Entscheidend ist, dass anhand der Antworten des Interviewten die Diagnosekriterien beurteilt werden können. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Diagnostik im Kindes- und Jugendalter 371 Kasten 1: Beispiel für die Einführung in ein diagnostisches Interview mit dem Kind (aus Schneider & Adornetto, 2006) Diagnostiker: „Weißt du, (Kind beim Namen nennen), warum du heute hier bei mir bist?“ Kind: „…“ Der Diagnostiker nimmt die Antwort des Kindes auf und ergänzt: „Du bist zu mir gekommen, weil wir gemeinsam herausfinden möchten, welche Schwierigkeiten du hast und was notwendig ist, damit du dich wieder besser fühlst. Ich werde dir dazu ganz viele Fragen zu verschiedenen Bereichen stellen, in denen Kinder Schwierigkeiten oder Probleme haben können. Einige Bereiche treffen vielleicht auf dich zu, andere auch nicht. Du kannst mir dann jeweils angeben, wie das bei dir ist. Es gibt dabei keine falschen Antworten, wichtig ist, wie du die Dinge erlebst, wie du dich fühlst und was du denkst. Damit ich nichts vergesse, werde ich alles was du mir erzählst notieren. Vielleicht wird es auch passieren, dass ich dich ab und zu beim Sprechen unterbreche und dir bestimmte Fragen stelle. Das passiert, damit ich auch wirklich verstehe, was du mir erzählst und keine wichtigen Fragen vergesse. Am Schluss von unserem Gespräch haben wir dann nochmals genügend Zeit, über die Bereiche, die dir wichtig sind oder die du noch nicht besprechen konntest, zu reden. Wenn du müde wirst, gib mir Bescheid und wir legen eine kleine Pause ein. Das ganze Interview wird etwa eine Stunde dauern. Hast du noch eine Frage dazu? Dann lass uns beginnen.“ 2. Klinische Einschätzung : Der Diagnostiker darf seine subjektive Einschätzung von Symptomen mit einbringen und den Patienten bzw. die Eltern vorsichtig mit Antworten konfrontieren, die von anderen Informationen abweichen. 3. Zeitlicher Aspekt: Der Zeitraum, für den die Symptome erfragt werden, ist klar zu definieren. Der Interviewer hat sich zu vergewissern, dass sich die Antwort des Patienten bzw. der Eltern jeweils auf den Zeitraum bezieht, der zuvor festgelegt wurde. 4. Diagnostische Relevanz: Vorhandene Symptome müssen auf ihre diagnostische Relevanz hin überprüft werden. Wenn z. B. ein Jugendlicher berichtet, schon immer Schlafstörungen gehabt zu haben, kann dies nicht als ein Symptom für eine aktuelle Major Depression gewertet werden, außer, die Schlafstörungen hätten sich mit dem Beginn der Depression verschlimmert. Der Inhalt der Fragen in strukturierten Interviews richtet sich nach den Diagnosekriterien der Klassifikationssysteme und ist deshalb klar vorgegeben. Dennoch hat der Diagnostiker einen gewissen Freiraum, wie er die Fragen stellt. Ziel der Fragestellung ist die Klärung des Kriteriums, das mit der entsprechenden Frage exploriert wird. Im Folgenden wird auf eine Auswahl an geeigneten und weniger geeigneten Fragetechniken näher eingegangen (Angold, 2002). – Offene und geschlossene Fragen: Offene Fragen überlassen es dem Informanten, wie ausführlich oder beschreibend er antworten möchten, wähKlin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 372 – – – – Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider rend geschlossene Fragen mit einer Antwort aus einer eingeschränkten Auswahl zu beantworten sind. Für ein besseres Verständnis der Situation oder Beschwerden des Kindes empfiehlt es sich, zunächst offene Fragen zu stellen, die allenfalls mit geschlossenen Fragen ergänzt werden, um noch detaillierte Informationen zu gewinnen. Suggerierende Fragen: Suggerierende Fragen sollten vermieden werden, da die Antworten darauf nicht glaubwürdig sind. Insbesondere bei jüngeren, ängstlichen oder unsicheren Kindern, besteht die Gefahr, dass sie dem Diagnostiker zustimmen, obwohl die Antwort für sie nicht zutrifft. Die Gefahr, suggerierende Fragen zu stellen, besteht insbesondere bei Zeitdruck oder bei Patienten, die Mühe haben, die Fragen zu verstehen, die oftmals mit „weiß nicht“ antworten oder nicht motiviert mitmachen. Komplexe Fragen: Fragen, die zwei oder mehrere Aspekte gleichzeitig erfragen, sind vor allem für jüngere Kinder zu komplex und sollten vermieden werden. Multiple Choice Fragen: Multiple Choice Fragen können hilfreich sein, wenn Kinder auf Fragen mit „weiß nicht“ antworten. Bei Multiple Choice Fragen ist das Problem der Komplexität wieder anzutreffen. Dennoch kann es sein, dass nur mit Hilfe solcher Fragen die notwendigen Informationen eingeholt werden können. Wiederholte Fragen: Die gleiche Frage in anderen Worten nochmals zu stellen, kann für Kinder sehr hilfreich sein, z. B. wenn sie Begriffe nicht verstehen. Schwierigkeiten bei der Durchführung des Kinder-DIPS Fehlerquellen Bei der Anwendung diagnostischer Instrumente ist es wichtig, sich deren Fehlerquellen bewusst zu sein. Fehlerquellen des strukturierten Interviews sind z. B. Fragenformulierungen (Länge der Frage, Komplexität der Frage, Verwendung von vagen Begriffen wie „oft“ oder „ziemlich“ etc.) und Fragetypen (geschlossene vs. offene Fragen, Frage nach Beginn, Dauer, Häufigkeit und Schweregrad der Symptome etc.). Weiter ist für Kinder und Jugendliche die detaillierte Angabe von zeitlichen Aspekten schwierig, wie z. B. der Beginn und die Dauer einer Beschwerde. Weitere Fehlerquellen sind ungenaue Formulierungen der Diagnosekriterien oder unzureichende Informationsgewinnung, beispielsweise durch unpräzise Spezifikation eines Begriffes. Seitens des Diagnostikers spielt bei strukturierten Interviews die Art der Befunderhebung eine zentrale Rolle. Der Diagnostiker hat einen gewissen Freiraum in der Wortwahl der Fragen und kann sein klinisches Urteil mit einfließen lassen. Gefahren liegen z. B. in der Interpretation der Antworten, in der Voreingenommenheit aufgrund vorherrschender Symptomatik, so genannte „BestätiKlin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Diagnostik im Kindes- und Jugendalter 373 gungsdiagnostik“ oder in der fehlerhaften Anwendung des Interviews oder der Diagnosekriterien (Interviewvarianz). Dies beinhaltet z. B. das ungerechtfertigte Überspringen von Fragen oder die ungenügende Berücksichtigung der Kriterien. Schlechte Compliance Wenn das Kind die Mitarbeit verweigert, wird die Durchführung des Interviews schwierig. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die Anmeldung durch die Eltern erfolgt und das betroffene Kind bzw. der betroffene Jugendliche keinen Handlungsbedarf sieht und daher nicht motiviert ist mitzumachen. Zwar besteht die Möglichkeit, Angaben von den Bezugspersonen zu gewinnen, doch gehen wichtige und nützliche Informationen verloren, wenn das Kind nicht auch eigene Angaben macht. Die Gründe für eine schlechte Compliance können unterschiedlich sein: Es konnte noch keine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut werden, es wurden bereits schlechte Erfahrungen gemacht, Schüchternheit oder Ängstlichkeit. Eine schlechte Compliance kann auch seitens der Eltern bestehen. Gründe hierfür liegen oftmals in negativen Erfahrungen, eigenen Ängsten und Unsicherheit, eigener Psychopathologie oder wenn sie nicht aus eigener Initiative kommen, sondern z. B. von der Schule „geschickt“ werden. Weiter besteht die Gefahr, dass die Aussagen und Antworten der Kinder und Eltern aufgrund sozial erwünschten Verhaltens positiv verzerrt sind und die Problematik dadurch beschönigt wird. Auf der anderen Seite können Eltern dazu tendieren, die Situation ihres Kindes schlimmer darzustellen als sie tatsächlich ist, weil sie den Wunsch haben, ihr Kind behandeln zu lassen. Um die Mitarbeit des Kindes bzw. Jugendlichen und der Eltern zu fördern, lohnt es sich, zuerst ausreichend Zeit für den Beziehungsaufbau zu investieren. Für Kinder und Jugendliche eignen sich dazu insbesondere spielerische Aktivitäten (z. B. Memory, Kartenspiele). Bei jüngeren Kindern kann auch der Einsatz von Handpuppen einen hilfreichen Einstieg bieten, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Wenn die Angst des Kindes so groß ist, dass es sich unter keinen Umständen von den Eltern trennen möchte, können die Eltern bei der Untersuchung anwesend sein. In solchen Situationen ist unbedingt darauf zu achten, dass das Kind in der Beantwortung der Fragen nicht von den Eltern beeinflusst wird. „Weiß nicht“-Antworten In der Befragung von Kindern kommt es immer wieder vor, dass man auf Kinder trifft, die dazu neigen, „weiß nicht“ Antworten zu geben. Durch eine sorgfältige und einfühlsame Vorgehensweise gilt es abzuschätzen, ob ein Kind die Antwort tatsächlich nicht weiß oder nicht motiviert ist mitzumachen. Im Kasten 2 ist ein Dialogbeispiel für den Umgang mit „weiß nicht“-Antworten aufgeführt. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 374 Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Kasten 2: Beispiel für den Umgang mit „weiß nicht“-Antworten Diagnostiker: „Seit wann ist es so, dass du diese Angst vor Hunden hast?“ Kind: „Ich weiß nicht.“ Diagnostiker: „Hast du eine Idee, wann diese Angst vor Hunden angefangen hat?“ Kind: „Mmh, nein, keine Ahnung.“ Diagnostiker: „Kannst du dich erinnern, ist etwas Besonderes passiert, als du das erste Mal diese Angst hattest?“ Kind: „Ja, da war ein großer Hund in den Ferien, der hat immer so laut gebellt, das hat mir Angst gemacht.“ Diagnostiker: „Vorher hattest du noch keine Angst vor Hunden?“ Kind: „Nein, ich glaube nicht.“ Diagnostiker: „Welche Ferien waren denn das?“ Kind: „Ich weiß nicht.“ Diagnostiker: „Kannst du dich erinnern, war das im Sommer oder im Winter?“ Kind: „Oh ja, es war ganz heiß.“ … Unterschiedliche Eltern-Kind Angaben Mehrere Untersuchungen, vor allem mit englischsprachigen strukturierten Interviews, und erste Berechnungen zum überarbeiteten Kinder-DIPS haben ergeben, dass sich Eltern und Kinder in ihren Angaben zu Art und Häufigkeit von Symptomen beim Kind oft stark unterscheiden (Choudhury, Pimentel, & Kendall, 2003; Grills & Ollendick, 2003; Jensen et al., 1999; Nauta et al., 2004; Rapee, Barrett, Dadds & Evans, 1994; Schneider et al., in Druck). Generell kommt es bei gut beobachtbaren und klar definierten Beschwerden (z. B. Ausscheidungsstörungen) zu guten Übereinstimmungen und bei Verhaltensweisen, die stark von der subjektiven Bewertung abhängen, zu schlechteren Übereinstimmungen. Diskrepanzen bestehen vor allem in den Angaben zu Ursache, Art, Häufigkeit und Ausmaß der Symptome. Für die Nicht-Übereinstimmung sind verschiedene Gründe zu nennen, wie z. B. die Interpretation der Fragen, die Einschätzung des Verhaltens (ab wann ist ein Verhalten problematisch), die Information (Eltern sind nicht über das Verhalten ihrer Kinder informiert) und die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern (Qualität des Beisammenseins und Häufigkeit der gemeinsamen Gespräche) (vgl. Kramer, Phillips, Hargis, Burns & Robbins, 2004; Treutler & Epkins, 2002). Zudem spielt das Alter des Kindes eine wichtige Rolle. Jüngere Kinder haben häufiger Mühe, Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen zu beschreiben, detaillierte Angaben zu machen und haben häufiger Verständnisschwierigkeiten. Im Jugendalter hingegen sind die Eltern nicht mehr unbedingt die Ansprechpersonen, mit denen über Probleme gesprochen wird (Grills & Ollendick, 2002). Weiter kann die elterliche Psychopathologie zu einer mangelnden Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Diagnostik im Kindes- und Jugendalter 375 Übereinstimmung führen, indem Eltern mit psychischen Störungen sensibler für die Symptomatik ihres Kindes sind, das kindliche Verhalten falsch interpretieren oder die eigenen Symptome auf ihr Kind projizieren (Grills & Ollendick, 2002). Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass es sehr wichtig ist, sowohl Eltern als auch das Kind selbst zu befragen. Nur verschiedene, sich ergänzende Informationen mit unterschiedlichen Sichtweisen können eine vollständige Erfassung der Situation des Kindes und seiner Beschwerden gewährleisten, was die Voraussetzung für eine valide Diagnosestellung ist (Kraemer et al., 2003). Aufgabe des Diagnostikers ist es, die unterschiedlichen Informationen zu integrieren und für die Diagnostik psychischer Störungen zu nützen. Die Konfrontation einer Diskrepanz in einer gemeinsamen Sitzung mit allen Beteiligten erweist sich als weniger geeignet, da dies zu Konflikten führen kann und Informanten ihre Meinungen ändern und somit zugeben müssen, dass sie falsch liegen oder nicht genügend informiert sind. Außerdem wird das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kind bzw. Jugendlichen und Diagnostiker gebrochen, wenn vertrauliche Dinge vor den Eltern besprochen werden. Für die klinische Praxis empfiehlt sich bei Nicht-Übereinstimmung bei externalisierenden Störungen und bei Fragen zu Beginn und Dauer eher auf die Aussagen der Eltern zu vertrauen, während bei internalisierenden Störungen beide Meinungen in Betracht gezogen werden sollten. Bei Kindern ab ca. 10 Jahren kann dabei vermehrt auf die Aussagen des Kindes vertraut werden. Ausblick Das Kinder-DIPS stellt ein ökonomisches und anwenderfreundliches Instrument für die Diagnostik psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter dar. Die detaillierte Darstellung des diagnostischen Vorgehens und der Diagnosekriterien psychischer Störungen unterstützen die korrekte Durchführung des Interviews. Dennoch sind für eine reliable und valide Diagnosestellung ein Training sowie eine gute Vorbereitung sowohl des Diagnostikers als auch des Kindes bzw. der Eltern notwendig. In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, die Gütekriterien des aktuellen Kinder-DIPS weiter zu überprüfen. Weiter ist die Akzeptanz des strukturierten Interviews bei Kindern und Eltern eine interessante Fragestellung, der zukünftig nachgegangen wird. Insgesamt zeigt sich bezüglich reliabler und valider Befunderhebung eine erfreuliche Entwicklung in der Diagnostik psychischer Störungen im Kindesund Jugendalter. Es bedarf jedoch weiterer systematischer Forschung, zum einen, um die Auswahl diagnostischer Instrumente zu vergrößern, zum anderen um mit bestehenden Schwierigkeiten effizient umgehen zu können. Dazu zählt beispielsweise der Umgang mit unterschiedlichen Eltern-Kind Angaben. Hier sind weitere Untersuchungen notwendig, um klare Empfehlungen abgeben zu können. Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 376 Carmen Adornetto, Tina In-Albon und Silvia Schneider Bei der Entwicklung und Erweiterung des Kinder-DIPS wurde sehr darauf geachtet, dass das Interview nicht nur Fragen zur Klärung der Diagnosen beinhaltet, sondern auch zusätzliche Informationen erfasst, die für die Therapie relevant sind (z. B. Auslöser für die Beschwerden). Das Kinder-DIPS ist somit nicht nur für die Anwendung in der Forschung gedacht, sondern eignet sich auch für den Einsatz in der Praxis. Das strukturierte Interview wendet sich an einen großen Anwenderkreis, der aus Kinderpsychologen, Kinder- und Jugendpsychiatern und Angehörigen der Nachbardisziplinen besteht. Als Hindernis für die Anwendung des Kinder-DIPS im klinischen Alltag könnte sich zum einen die Notwendigkeit eines intensiven Trainings, zum anderen der zeitliche Aufwand erweisen. Um den Einsatz des Interviews zu steigern, können drei Punkte hervorgehoben werden. Erstens, die Integration des Trainings zur Anwendung des Kinder-DIPS in Ausbildungen bzw. Therapieweiterbildungen, zweitens, das Angebot regelmäßiger Kurse für Praktiker und drittens, Änderung gesundheitspolitischer Richtlinien, so dass die Anzahl Stunden, die für Diagnostik abgerechnet werden dürfen, erhöht wird. Literatur American Psychiatric Association (Eds.) (2000). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – Text Revision (DSM-IV-TR). Washington, D. C.: American Psychiatric Association. Angold, A. (2002). Diagnostic interviews with parents and children. In M. Rutter & E. Taylor (Eds.), Child and Adolescent Psychiatry (4th ed.) (pp. 32–51). Oxford: Blackwell Science. Choudhury, M. S., Pimentel, S. S., & Kendall, P. C. (2003). Childhood anxiety disorders: parent-child (dis)agreement using a structured interview for the DSM-IV. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 42, 957–964. Esser, G., Blanz, B., Geisel, B. & Laucht, M. (1989). 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Geneva: World Health Organisation. Korrespondenzadresse: Dr. phil. Carmen Adornetto, Universität Basel, Institut für Psychologie, Abteilung Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, Missionsstrasse 64a, CH-4055 Basel, Schweiz; E-Mail: [email protected] Klin. Diagnostik u. Evaluation, 1 . Jg., 363–377, ISSN 1 864-6050 © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen