_____________________________________________________________________________________________________ 2 Musikstunde mit Antonie v. Schönfeld SWR2 Donnerstag, 21. November 2013, 9.05-10.00 "If wind and water could write music..." - Benjamin Britten zum 100. Geburtstag(1-5) IV. Peter Grimes, Peter Pears und Henry Purcell „Was wir an Britten lieben ist diese Fähigkeit, eine schroffe und unbarmherzige Welt in Musik zu setzen“, schreibt der Komponist Michael Berkley. „Auf eine seltsam britische Art reflektiert seine Musik Brüche in der Gesellschaft durch deren Abbild in der Natur. Er artikuliert den Konflikt zwischen unkonventioneller Lebensweise und einer offenbar prüden Gemeinschaft, einer Gesellschaft, die jegliches Nachgeben gegenüber menschlichen Schwächen ablehnt. In einer Ästhetik, die sich auf solche Aspekte beschränkt, hat Britten hier nicht nur Metal, sondern Gold gefunden. Mit dem Dichter George Crabbe als Muse an seiner Seite hat er (in seiner Oper Peter Grimes) gezeigt, wie sich das Meer von einem Moment zum anderen von schimmernder Ruhe in heftigen Sturm verwandeln kann, - genauso wie die Stimmung in einer Gemeinschaft plötzlich und von allein umschlagen kann.“ ________________________________________________________ Musik 1 Benjamin Britten 3´58 <35> Sunday Morning. Allegro spirituoso aus: Four Sea-Interludes op 33a (PeterGrimes) Bournemouth Symphony Orchestra Ltg. Richard Hickox CHAN 10784X, LC 7038 ________________________________________________________ Wir haben „Britten-Jahr“: Morgen ist der 100. Geburtstag von Benjamin Britten. Das haben etliche Theater im Land zum Anlass genommen, seine Opern wieder auf die Bühne zu bringen: Peter Grimes etwa ist dieses Jahr neu inszeniert worden an der 3 Deutschen Oper Berlin, aber auch am Staatstheater in Karlsruhe - (da wird sie z.B. morgen Abend aufgeführt); dann gibt es Wiederaufnahmen von Peter Grimes in Hamburg und an der Deutschen Oper am Rhein, in Düsseldorf dazu Billy Budd und The Turn of the Screw; ebenso in Mannheim, wo zurzeit eine ausgesprochen gelungene Inszenierung von TheTurn of the Screw läuft. In der Wiener Staatsoper steht auch eine Neuinszenierung des Peter Grimes an, und das Opernhaus Zürich führt die Oper im nächsten Mai wieder auf. Das ist nur eine Auswahl, - und diese Präsenz spricht für Britten und für das, was er immer wollte: Verständliche Kunst machen. Britten hat sich immer gesehen als einen Komponisten, der Musik schreibt für Menschen, Musik, die von ihren Problemen erzählt und ihre Nöte spiegelt, Musik aber auch, die Inhalte transportiert, „erbaut“ im alten Sinne und Musik, die zum Mitmachen animieren soll und häufig auch Laien mit einbindet. In England, in Aldeburgh an der Küste von Suffolk, hat Britten 1948 zusammen mit seinem Lebenspartner Peter Pears (und dem Librettisten Eric Crozier) sein Musikfestival gegründet, Aldeburgh ist durch Britten und Pears längst zu einem Zentrum der Musikförderung geworden. In diesem Jahr zum Jubiläum haben sich die Veranstalter des Festivals im Sommer etwas Besonderes einfallen lassen: Sie haben Peter Grimes, die Oper über den Außenseiter, genau hierhin geholt, an den Strand von Aldeburgh, von wo der „grumpy fisherman“ gut sein Boot zum Fang vom steinigen Strand in die raue Nordsee hätte schieben können, und genau dort so stellte Britten sich vor - hätte seine Hütte stehen können, „Grimeses hut“, wo die Dorfbewohner ihn heimsuchen, die wissen wollen, was es mit dem toten Lehrjungen auf sich habe... 4 ________________________________________________________ Musik 2 Benjamin Britten 3´00 CD4 <2+3> 2. Shall we go and see Grimes in his hut? (0´44) 3. Chorus: Now is gossip on the trial (2´12) aus: Peter Grimes op 33 Peter Pears - Peter Grimes Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden Ltg. Benjamin Britten intense/documents, LC 12281 ________________________________________________________ Es ist die Geschichte eines Außenseiters: Die Menschen eines Küstendorfes verdächtigen Peter Grimes, seinem Lehrjungen, Gewalt angetan zu haben: - Der Junge ist tot, Grimes der Gemeinschaft suspekt. In einem Netz von Gerüchten, Gewalt und übler Nachrede wird es schwierig für ihn, als Fischer so zu leben, wie er möchte und trotzdem Teil der Gemeinschaft zu sein: Grimes ist eine ambivalente Figur, die sich nicht den vertrauten Regeln der Gemeinschaft fügt. Im Laufe der Handlung wenden sich auch die beiden Figuren von ihm ab, die ihm zu Beginn noch nahe standen, Kapitän Balstrode und Ellen Orford, ein zweiter Junge stirbt und schließlich Grimes selbst. Es ist die Geschichte eines Außenseiters, der letztlich am Druck der Gemeinschaft zerbricht, dessen eigener Anteil an Schuld, an Versagen (zwei Jungen sterben) dabei zumindest teilweise im Dunkeln bleibt. Das Seelendrama Peter Grimes geht zurück auf eine Dichtung von George Crabbe aus dem 19. Jahrhundert: The Borough - Die Dorfgemeinschaft. Crabbe kam übrigens - wie Britten selbst - aus der Grafschaft Suffolk, sogar genau aus Aldeburgh an der Nordsee-Küste, wo Britten kurz vor seiner Ausreise nach Amerika in einer alten Mühle - in Snape Mill - Wohnung bezogen hatte. Die Landschaft, in der die Handlung spielt, das Setting ist dabei von grundlegender Bedeutung: das Meer im Hintergrund - zwischen trügerischer Ruhe und mächtigem Sturm - spiegelt das Geschehen im Dramas. 5 Das Meer aber war auch in Brittens Leben essentiell: Hier hat er den größten Teil seines Lebens verbracht und die Arbeit an Peter Grimes (wie später an der Oper Billy Budd) hat ihm auch Gelegenheit gegeben, das ganz normale, harte Leben an der Küste darzustelllen: 1945 hat Britten geschrieben: „Die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich in engem Kontakt mit dem Meer. Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen. Als ich Peter Grimes schrieb ging es mir darum, meinem Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, Ausdruck zu verleihen – trotz aller Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen.“ (Soweit Britten) Die Ausschnitte aus Peter Grimes übrigens, die wir heute Morgen hören, stammen aus einer Aufnahme von 1958 aus dem Royal Opera House, Covent Garden mit Peter Pears, für den Britten die Rolle des Grimes geschrieben hat, und Britten selbst am Dirigentenpult, -und jetzt fragt Grimes auf der Suche nach seinem Seelenfrieden: “What harbour shelters peace?” - “Welcher Hafen birgt Frieden?” und dann wird der Sturm losbrechen: ________________________________________________________ Musik 3 Benjamin Britten 5´23 CD3 <12+13> 12. What harbour shelters peace (Peter)(1´12) 13. Interlude II: Storm (4´08) aus: Peter Grimes op 33 Peter Pears - Peter Grimes Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden Ltg. Benjamin Britten intense/documents, LC 12281 ________________________________________________________ 6 Die Idee, die große Oper in diesem Jubiläumsjahr an Ort und Stelle aufzuführen, nämlich am Strand von Aldeburgh, hätte Britten gefallen können! Das Wetter hat an dem entsprechenden Abend in diesem Juni seine Rolle wohl bestens gespielt: es muss englisch-ungemütlich gewesen sein, windig-kalt (und alle Vorurteile bestätigt haben). Die Sängerin der Ellen hat erzählt, vier Strumpfhosen übereinander getragen zu haben, das Orchester kam sowieso Playback vom Band man hatte es ein paar Tage zuvor aufgenommen, der Chor hat original gesungen und nur die Solisten waren dezent Mikrophon-verstärkt. Und die Zuhörer müssen zum Teil in Schlafsäcken da gestanden haben, die wärmende Hülle hoch gezogen bis fast an die Ohren. Eine Aufführung, die wohl für alle eine Herausforderung gewesen ist, und doch: es muss packendes, spannendes Musiktheater gewesen sein, kein flaches open-airSpektakel, - und ich bedaure es, nicht hingefahren zu sein. (- Angeblich übrigens war es am nächsten Abend windstill und mild...) Britten gelingt es hier, die komplexe Handlung nicht nur zu erzählen, sondern zu komponieren: Spannend beispielsweise, wie er Landschaft im doppelten Sinn - die geographische wie die psychologische, in der Peter Grimes spielt - musikalisch abbildet. Im Lied Old Joe goes fishing beispielsweise vermischt sich das Volksliedhafte - in den Rhythmen - mit Lied-fremdem Gesang: Wenn nämlich Grimes einsetzt und mitsingen will wird im Text gesagt, dass er nie den Ton der anderen trifft. Und das ist zu hören: Britten lässt die verschiedenen Ebenen - derbes Volkslied und die Klage des Fischermanns - kontrastierend nebeneinander stehen: - dieser Konflikt wird nicht mehr zu lösen sein. ________________________________________________________ Musik 4 Benjamin Britten ca. 4´ CD3 <18+19> 18. Old Joe has gone fishing (Keene+Chor) (2´28) 19. The bridge is down, we half swam over (1´28) aus: Peter Grimes op 33 Peter Pears - Peter Grimes Orchestra of the Royal Oper a House, Covent Garden Ltg. Benjamin Britten intense/documents, LC 12281 ________________________________________________________ 7 Der Sturm wird immer bedrohlicher, - das war noch einmal ein Ausschnitt aus der Oper Peter Grimes in einer Aufnahme aus dem Jahr 1958 mit Chor und Orchester des Royal Opera House, Covent Garden unter der Leitung von Benjamin Britten. England und Europa zu verlassen ist dem Komponisten nicht leicht gefallen: Zum Einen hatte die politische Situation, der drohende Krieg ihn als überzeugten Pazifisten diese Entscheidung treffen lassen, zum anderen aber war er vielleicht auch einer intensiven, aber nicht erfüllten Schwärmerei zu dem deutlich jüngeren Wulff Scherchen entflohen, einem Sohn des Dirigenten Hermann Scherchen. Und er hatte Peter Pears näher kennengelernt, den Sänger und späteren Lebenspartner, sie hatten sich gemeinsam dazu entschlossen, auszureisen, es war auch die Zeit, in der sich Britten allmählich - so wie Freund W.H. Auden es noch in London vorhergesagt hatte - seiner Homosexualität (vielleicht kann man sagen:) gestellt hat. Außenseiter zu sein, durch Veranlagung und Überzeugung außerhalb einer Gesellschaft zu stehen, die wiederum das Recht hatte, ihn für Überzeugung und Neigung vor Gericht zu stellen, das hat Britten auch selbst gekannt. Für die Tenorstimme von Peter Pears, die ein ganz eigenes Timbre gehabt hat, hell und klar - Freunde haben immer wieder erwähnt, das Pears’ Stimme der von Brittens Mutter geähnelt habe - für diese Stimme hat Britten sein Leben lang komponiert, und vielleicht hat er sich zu Beginn auch in genau dieses Singen verliebt: ________________________________________________________ Musik 5 Franz Schubert 2´27 CD5 <6> Danksagung an den Bach aus: Die schöne Müllerin D 795 Peter Pears, Tenor Benjamin Britten, Klavier intense/documents, LC 12281 ________________________________________________________ 8 Danksagung an den Bach aus Der schönen Müllerin von Franz Schubert in einer Aufnahme von 1959 mit Peter Pears und (am Klavier) Benjamin Britten. Siebzehn Jahre vor dieser gemeinsamen Aufnahme, 1942, haben Pears and Britten gerade zurück aus den Staaten - die Sieben Sonette nach Michelangelo in den Abbey Road Studios in London aufgenommen, zwei Monate zuvor war die Uraufführung in der Wigmore Hall (-das ist übrigens heute noch ein wunderbarer Konzertsaal für Liederabende und Kammermusik in London). Diese Sonette sind die ersten Lieder, die Britten speziell für Pears komponiert hat, sie sind eine Liebeserklärung an den Freund. Im dritten Lied, dem Sonett Nr. 30, Veggio co´ bei vostri occhi un dolce lume lässt Britten die Stimme in einen Dialog mit dem Klavier treten, das in gleichmäßigen Vierteln als Orgelpunkt fungiert: “In Eurem Wollen all mein Wille wohnt. Aus Eurem Herzen kommt mein Denken her, In Eurem Atem sich mein Wort erfindet.” ________________________________________________________ Musik 6 Benjamin Britten 3´11 CD3 <3> Veggio co´ bei vostri occhi (XXX) aus: Seven Sonnets of Michelangelo op 22 Peter Pears, Tenor Benjamin Britten, Klavier EMI 0 15167 2, LC 6646 ________________________________________________________ Veggio co’ bei vostri occhi - Ich seh’ in deinen schönen Augen das war eines der Sieben Sonette von Michelangelo, die Benjamin Britten Anfang der 40er Jahre in Amerika für Peter Pears geschrieben hat: In einer Aufnahme aus dem Jahr 1942 begleitet Britten Peter Pears. 9 Bei der Uraufführung übrigens fanden Freunde die Stimme von Peter Pears völlig verändert: In den knapp drei Jahren in den Staaten (die Pears zum Studium genutzt hatte ) habe sie Charakter bekommen, Reife und sei jetzt fähig, allen Nuancen einer solchen Komposition wie der der Sonette, herauszuarbeiten. Für Britten war der gemeinsame Auftritt mit dem Freund - dazu mit den Sieben Sonetten im Programm - ein Kraftakt: Ihm wird bewusst gewesen sein, dass das Publikum die wahre Natur ihrer Beziehung wenn nicht gekannt, so doch zumindest geahnt hat. Es war insgesamt eine belastende Zeit für beide Männer: Mit der Entscheidung, in Kriegszeiten als erklärte Pazifisten nach England zurückzukehren, erwarteten sie im eigenen Land nicht nur Feindseligkeiten, als Kriegsdienst-Verweigerer drohten ihnen auch rechtliche Konsequenzen: Vielleicht lag es mit an der Fürsprache von William Walton, dass Britten nicht inhaftiert wurde, - anders als sein Freund und Kollege Michael Tippett, der sollte im darauffolgenden Jahr, 1943, zu drei Monaten Gefängnis verurteilt werden. Brittens Ausführungen vor dem Wehrdienstverweigerer-Tribunal zeigen ihn fest entschlossen: „Ich bin nicht dazu fähig, das Leben eines anderen Menschen zu zerstören, weil in jedem Mensch der Geist Gottes anwesend ist. (...) Ich glaube nicht an die Göttlichkeit Christi, aber daran, dass seine Lehre Klang ist und das man seinem Beispiel folgen soll.“ Worte mit Wirkung: Tatsächlich ist Britten von jeglichem Militärdienst frei gesprochen worden. - In den Jahren kurz vor dem Krieg hatte er auch musikalisch Stellung bezogen: Mit dem Pazifistenmarsch für einen Dokumentarfilm für die Peace Pledge Union 1937, den Friedensbund, und im November 1938 mit dem kleinen Chorstück Advanced Democracy auf einen Text des Kommunisten Randall Swingler, - das ist ein flammender Aufruf für den Erhalt der Demokratie in Europa: 10 „Time to arise democracy, Time to rise up and cry That what our fathers fought for We´ll not allow to die.“ ________________________________________________________ Musik 7 Benjamin Britten 2´50 <6> Advanced Democracy (1938) The Finzi Singers Ltg. Paul Spicer CHAN 10771 (3)X, LC 7038 ________________________________________________________ Time to decide - Zeit, sich zu entscheiden: die Finzi-Singers mit Advanced Democracy, Benjamin Brittens Aufruf zur Demokratie aus dem Jahr 1938. (In Deutschland war da längst alles zu spät.) Britten ist vom Militärdienst freigesprochen worden, doch er musste Ersatzdienst leisten: „Die Vereinigung zur Förderung der Musik und der Künste“, die spätere „Arts Council of Great Britain“ hat ihn (und Peter Pears) beauftragt, im ganzen Land Konzerte ohne Gagen zu geben, also seine Kunst - die Musik - den Menschen zur Verfügung zu stellen, die unter dem Krieg besonders zu leiden hätten. Damit begann eine Zeit der ständigen Konzerttouren durch England, unterwegs in verdunkelten Zügen und provisorischen Konzertsälen erlebten Britten und Pears den Krieg, von dem sie bis dahin in Amerika so gut wie nichts mitbekommen hatten. (Nach Kriegsende sollte er eine ähnliche Tour mit Yehudi Menuhin durch Deutschland machen, überall dahin, wo britische Soldaten stationiert waren. Was er da gesehen hat, in den Lagern der sogenannten „Displaced Persons“, hat er sein Leben lang nicht vergessen. Erfahrungen, die zu hören sind in seinen Holy Sonnets of John Donne.) 11 Auf den Programmen seiner England-Touren mit Peter Pears standen u.a. FolksongArrangements: Britten hatte schon in Amerika - heimweh-getrieben -damit begonnen, Folksongs zu bearbeiten: Insgesamt sind es über acht Bände geworden - jetzt, in den Kriegsjahren, waren sie ausgesprochen populär: In The Ash Grove, einem Lied über vergangene Liebe aus Wales, lässt Britten Melodie und Klavierbegleitung in Rhythmus und Harmonie jedes für sich fast eine Art Eigenleben führen, zwei Stimmen, die wie zwei Interpretationen eines Themas wirken und sich an Schnittstellen berühren und ergänzen. Diese Technik, die Britten in seinen Liedern und Bearbeitungen häufig angewendet hat, entfaltet ihren Charme immer auf´s Neue: ________________________________________________________ Musik 8 Benjamin Britten 2´58 CD4 <11> The Ash Grove (Folksong Arrangement) Ian Bostridge, Tenor Julius Drake, Klavier EMI 0 15168 2, LC 6646 ________________________________________________________ „Ye echoes, O tell me, where is the sweet maiden? She sleeps 'neath the green turf down by the Ash grove.“ - Dort liegt sie begraben, die Liebste, unten im Eschen Wäldchen. Vokalmusik nimmt in Brittens Werk den größten Platz ein, sicherlich motiviert durch die Partnerschaft mit dem Tenor Peter Pears, für den Britten unzählige Lieder geschrieben und nicht nur Volkslieder bearbeitet hat, wie das gerade gehörte The Ash Grove mit Ian Bostridge und Julius Drake. Wenn er gefragt wurde, von wem er gelernt habe, englische Dichtung in Musik zu setzen, dann hat Britten nicht auf die Komponistengeneration vor ihm verwiesen, auf die „pastorale Kompositionsschule“, nein, Britten hat überraschenderweise einen Komponisten des 17. Jahrhunderts genannt: Henry Purcell. 12 Die Entdeckung dieses Komponisten - und auch von John Dowland, Dietrich Buxtehude u.a. Renaissance- und Frühbarock-Meistern - fiel in die Amerika-Jahre, und sie müssen für Britten eine Entdeckung, eine Offenbarung gewesen sein, vor allem Purcell und seine Behandlung von Sprache im Lied, seine Art, Poesie mit Musik zu verbinden, die sich so sehr unterscheidet von der Sprachbehandlung seiner direkten Vorgänger. „Für uns heute liegt die wohl wichtigste Bedeutung Purcells in seiner beispielhaft behandelten Prosodie“, so Britten (also in dem Verhältnis zwischen Wort und Ton). „Eindeutig ist hier der Weg gewiesen, die englische Sprache im Gesang zu neuem Leben zu erwecken. Purcell war erfolgreich in jeder Art von Prosodie: in der naturgegebenen Deklamation, in den kunstvollen Koloraturen wie in schlichtesten Liedern. Kein Komponist kann seine Muttersprache so geliebt haben.“ ________________________________________________________ Musik 9 Henry Purcell 1´48 <13> Let each gallant heart James Bowman, Countertenor Mark Caudle, Bassgambe David Miller, Theorbe Robert King, Orgelpositiv CDA 66710, LC 7533 ________________________________________________________ „Über Purcell wurde uns am Konservatorium nichts gelehrt. Wir haben ihn uns selbst entdeckt“, hat Michael Tippett einmal gesagt. -Wie ihm ist es auch Benjamin Britten ergangen, Purcell war nicht mehr als „ein Name in den Geschichtsbüchern“ und Tippett hat sich noch in seinen Essays zur Musik von 1995 darüber gewundert, dass Purcell im Kompositionsunterricht nicht einmal „als Grundlage für die Vertonung englischer Texte“ empfohlen wurde. 13 Auch Britten hat ihn unabhängig vom College entdeckt, von den Oden über die Welcome Songs, Masques, Instrumentalstücken bis zu scheinbar einfachen Liedern wie „Let each gallant heart“, das James Bowman gerade gesungen hat. Schon in diesem kleinen Lied geht Purcell sehr lebendig mit Sprache um: Das Wort „dull“ beispielsweise hebt er mithilfe von „blue notes“ kurz aus dem Kontext heraus, in dem er die Grundtonart verlässt und einen tonartfremden Ton dazu nimmt.- Hier betont Purcell damit „dull peace“ - den „faden Frieden“, den ein Leben ohne Liebe bedeutet. Brittens erklärtes Ziel war es, „der Vertonung englischer Dichtung eben jene Brillianz, Freiheit und Vitalität wiederzugeben, die seit Purcells Tod so erstaunlich selten geworden ist.“ Und das hat er erfolgreich umgesetzt, ob in Liedern, Chorwerken, Hymnen, Kanons, in seinen Chorliedern für Kinder oder in seinen Opern - Peter Grimes Billy Budd, The Turn of the Screw, Winfried Owen, Midsummer Nights Dream, Gloriana und wie sie alle heißen, - den Titel „Orpheus Britannicus“ hat Britten zurecht von seinem großen Vorgänger geerbt. Henry Purcell war Brittens persönlicher „favourite“ in der Reihe der alten englischen Komponisten und er gehörte zu den ersten, die Purcells Werke wiederbelebt und seine Oper und semi-operas wieder aufgeführt haben, und das keineswegs nur in England: Anfang Dezember 1956 beispielsweise hat das SWR-Sinfonieorchester eine Bearbeitung der Chaconne aus King Arthur von Henry Purcell im Rosbaud-Studio in Baden-Baden aufgenommen mit Benjamin Britten am Dirigentenpult: ________________________________________________________ Musik 10 Henry Purcell (arr. Julian Herbage) 5´02 <15> Chaconne aus: King Arthur SWR Sinfonieorchester Ltg. Benjamin Britten CD 94.213, LC 13312 ________________________________________________________