24 Endokrines System und Stoffwechsel | 3 Erkrankungen der Schilddrüse Radiojodtherapie: ▪▪ bei Kontraindikationen für eine OP ▪▪ Strumarezidiv. Prophylaxe: ▪▪ Konsum von jodiertem Speisesalz ▪▪ generelle Prophylaxe bei Schwangeren und während der Stillzeit. 3.3 Hyperthyreose Definition Überfunktionszustand der Schilddrüse mit ver- mehrter Hormonproduktion, der zu einem pathologisch gesteigerten Stoffwechsel im gesamten Organismus führt. Ätiopathogenese: Die häufigsten Ursachen sind der Morbus Basedow (S. 26) und Schilddrüsenautonomien (S. 28). Wesentlich seltener finden sich hyperthyreote Zustände im Rahmen einer Thyreoiditis, eines Schilddrüsenkarzinoms, eines zentralen TSH-produzierenden Hypophysentumors (sekundäre Hyperthyreose), einer paraneoplastischen TSH-Sekretion oder iatrogen infolge Zufuhr von Schilddrüsenhormonen (Hyperthyreosis factitia). Die Kombination aus Schilddrüsenautonomie und Morbus Basedow wird Marine-Lenhart-Syndrom genannt. Die vermehrte Produktion und Sekretion von Schilddrüsenhormonen führt zu einem gesteigerten Stoffwechsel des gesamten Organismus (Thermogenese↑, Oxidation freier Fettsäuren↑, Glykogen- bzw. Cholesterinabbau↑ sowie Proteinumbau↑). Klinik: ▪▪ Struma ▪▪ Hypermetabolismus mit warmer und feuchter Haut, vermehrtem Schwitzen, Wärmeintoleranz, gesteigertem Hungergefühl und Essverhalten, aber dennoch Gewichtsverlust ▪▪ erhöhte Katecholaminsensibilität am Herzen und an den Gefäßen: –– Herzrhythmusstörungen, Palpitationen –– Tachykardie –– gesteigerte Blutdruckamplitude ▪▪ psychomotorische Symptome (z. B. Unruhe, Nervosität, vermehrte Reizbarkeit, Adynamie, Psychosen, Tremor) ▪▪ Diarrhöen (Obstipation spricht allerdings noch nicht gegen eine Hyperthyreose) ▪▪ Haarausfall ▪▪ Schlafstörungen ▪▪ Myopathie (rasche Ermüdbarkeit insbesondere der Oberschenkelmuskulatur) ▪▪ evtl. Osteoporose (negative Kaliziumbilanz), Zyklusstörungen ▪▪ bei Morbus Basedow (S. 26): Exophthalmus, prätibiales Myxödem. Lerntipp Besonders beliebt beim IMPP sind Hyperthyreose-Fragen. Stellen Sie sich den typischen Patienten vor: Er ist unruhig und gereizt, klagt über Herzbeschwerden, hat ständig Hunger, verliert aber trotzdem an Gewicht, schwitzt stark und zittert feinschlägig, ermüdet rasch, klagt über Diarrhö und kann schlecht schlafen. Altershyperthyreose: Besonders bei alten Menschen verläuft eine Hyperthyreose häufig monosymptomatisch: Kardiale (absolute Arrhythmie) und intestinale Beschwerden stehen i. d. R. im Vordergrund und werden meist falsch interpretiert und auf das Alter zurückgeführt. Aus diesem Grund sollten speziell bei älteren Patienten eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung durchgeführt sowie die schilddrüsenspezifischen Laborwerte (TSH) kontrolliert werden. Komplikationen: Gefürchtet ist die thyreotoxische Krise. Potenzielle Auslöser dieser lebensbedrohlichen Komplikation sind: ▪▪ die Verabreichung von Jod bei bestehender Schilddrüsenautonomie (z. B. jodhaltige Röntgenkontrastmittel) ▪▪ starke Manipulationen im Halsbereich ▪▪ Exsikkose ▪▪ Absetzen einer thyreostatischen Therapie. Die Letalität liegt bei 30–50 %. Ein rascher Beginn mit Symptomen einer übersteigerten Hyperthyreose und Fieber > 41 °C ist nicht selten. Die thyreotoxische Krise wird in 3 Stadien gegliedert: Bewusstseinsstörungen mit Erregungszuständen (Stadium I), Halluzinationen (Stadium II) und Koma (Stadium III). Daneben kann es auch zu NNR-Insuffizienz und Multiorganversagen kommen. Praxis Wegen der Gefahr der thyreotoxischen Krise darf jodhaltiges Kontrastmittel nicht ohne vorhergehende Bestimmung des TSH-Werts verabreicht werden. Diagnostik: ▪▪ internistischer Status ▪▪ klinische Untersuchung der Schilddrüse ▪▪ Labor (= Funktionsdiagnostik) zur Abklärung der Stoffwechsellage: –– Messung von TSH –– latente (primäre) Hyperthyreose: TSH ↓, fT3 und fT4 normal –– manifeste (primäre) Hyperthyreose: TSH ↓, fT3 und fT4 ↑ –– Autoantikörpersuche bei Verdacht auf Morbus Basedow (z. B. TSH-Rezeptorantikörper [TRAK]). Lerntipp Wenn Sie eine Hyperthyreose vermuten, müssen Sie die Stoffwechsellage im Labor kontrollieren, d. h., Sie bestimmen TSH, fT3 und fT4 (vgl. Abb. 3.6). und Szintigrafie: Leitbefunde bei der Hyperthyreose sind: –– autonomes Adenom: stark speichernde („heiße“), echoarme Knoten –– Morbus Basedow: diffuse Echoarmut, Hypervaskularisa­ tion und homogener Radionuklid-Uptake. ▪▪ Feinnadelpunktion: bei kalten, echoarmen Knoten und unklaren Befunden (→ Karzinom?) ▪▪ Diagnostik der endokrinen Orbitopathie: Sonografie und MRT der Augenmuskeln. ▪▪ Sonografie Lerntipp Der Begriff „primäre Hyperthyreose“ bedeutet, die Funktionsstörung liegt in der Schilddrüse. Um im Labor eine primäre Hyperthyreose zu erkennen, orientiert man sich am basalen TSH-Wert (Screening-Parameter). Er ist in diesem Fall immer erniedrigt, da fT3 und fT4 vermehrt produziert werden (negatives Feedback). Liegt TSH basal im Normbereich, kann man daher eine primäre Schilddrüsenfunktionsstörung ausschließen. aus: Endspurt Klinik – Innere und Chirurgie – Skript 4 (ISBN 9783131742414) © 2013 Georg Thieme Verlag KG Latente vs. manifeste Hyperthyreose – prägen Sie sich die Laborkonstellation ein: –– latente primäre Hyperthyreose: TSH ist niedrig, die peripheren Schilddrüsenhormone (fT3 und fT4) sind normal –– manifeste primäre Hyperthyreose: TSH ist niedrig, fT und 3 fT4 sind erhöht. Therapie: Latente Hyperthyreosen werden in der Regel nur bei zusätzlichen Risikofaktoren wie einer Osteoporose therapiert. Hier gilt es, Jodexzesse zu verhindern, also z. B. jodhaltige Kontrastmittel bzw. eine Amiodaron-Therapie zu vermeiden. Kann auf den Einsatz dieser Mittel nicht verzichtet werden, muss die Schilddrüse zuvor mit Perchlorat und Thiamazol blockiert werden (s. u.). Funktionelle Untersuchungen sind danach für einen Zeitraum von ca. 3 Wochen allerdings nicht mehr möglich. Manifeste Hyperthyreosen werden medikamentös (Thyreostatika), operativ oder mittels Radiojodtherapie behandelt. Abb. 3.7 zeigt die Therapieprinzipien bei Hyperthyreose. Thyreostatika: Thiamazol und Carbimazol sind die thyreostatischen Medikamente der Wahl. Sie hemmen die Thyreoperoxidase der Thyreozyten und verhindern damit die Jodisation und die Synthese von T3 und T4. Propylthiouracil hemmt zusätzlich die periphere Umwandlung von T4 zu T3 und kommt daher bevorzugt bei thyreotoxischen Krisen zum Einsatz. Die Thyreo­ statika haben keinen Einfluss auf bereits synthetisierte Hormone, sodass ihre Wirkung erst mit einer gewissen Verzögerung eintritt (ca. 1 Woche). Die Therapie wird mit einer erhöhten Anfangsdosis begonnen und nach Erreichen der euthyreoten Stoff- wechsellage langsam auf eine Erhaltungsdosis reduziert (z. B. Carbimazol anfangs 15–40 mg/d, dann 5–15 mg/d). Eine seltene, aber bedrohliche Nebenwirkung ist die Agranulozytose (Achten Sie auf Infektzeichen!). Die Patienten müssen darüber aufgeklärt und darauf hingewiesen werden, dass sie bei Fieber oder Halsschmerzen unverzüglich einen Arzt aufsuchen sollten. Des Weiteren werden allergische Hautreaktionen, gastrointestinale Beschwerden und ein Anstieg der Cholestase-Parameter beobachtet. Perchlorat hemmt kompetitiv die Aufnahme von Jod in die Thyreozyten. Anwendung findet es z. B. vor jodhaltiger Kon­ trast­mittelgabe oder bei jodinduzierter Hyperthyreose. Die sonstigen Begleiterscheinungen werden symptomatisch behandelt, z. B. β-Blocker bei Tachykardie. Propranolol ist dabei besonders geeignet, da es zusätzlich die Dejodierung von T4 zu T3 verhindert. Lerntipp Gerne wird nach den medikamentösen Behandlungsmaßnahmen gefragt. Lernen Sie die gebräuchlichen Pharmaka, ihre Einsatzgebiete und auch mögliche Nebenwirkungen. Radiojodtherapie: 131Jod reichert sich selektiv in den Thyreozyten an und zerstört das umgebende Gewebe. Der Therapieerfolg kann erst nach 3–4 Monaten erreicht werden, daher muss also begleitend mit Thyreostatika vor- und nachbehandelt werden. Bei multifokaler bzw. disseminierter Autonomie ist die Radiojodtherapie die Methode der Wahl. Schwangerschaft und Stillzeit sind absolute Kontraindikationen. Abhängig vom Therapiekonzept unterscheidet man zwischen einer funktionsoptimierten (die Hyperthyreose wird behoben, möglichst ohne eine Hypothyreose zu verursachen) und einer ablativen Dosierung (infolge der Gewebezerstörung entsteht eine Hypothyreose, die eine lebenslange Hormonsubstitution erfordert). Die Nebenwirkungen (S. 34) werden in einem anderen Abschnitt besprochen. Lerntipp 131Jod verwendet man zur Radiojodtherapie, 123Jod (relativ selten) zur Diagnostik. Operative Therapie: Indikationen sind ▪▪ eine große Struma mit knotiger Umwandlung ▪▪ Thyreostatikaunverträglichkeit Abb. 3.6 Diagnostik bei Verdacht auf Hyperthyreose. [aus Hahn, Checkliste Innere Medizin, Thieme, 2010] Abb. 3.7 Therapieprinzipien bei Hyperthyreose. [aus: Greten, Rinninger, Greten, Innere Medizin, Thieme, 2010] aus: Endspurt Klinik – Innere und Chirurgie – Skript 4 (ISBN 9783131742414) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 25 L er n pa ket 1 3.3 Hyperthyreose 26 Endokrines System und Stoffwechsel | 3 Erkrankungen der Schilddrüse ▪▪ Rezidiv ▪▪ junge Patienten ▪▪ ausgeprägte Orbitopathie ▪▪ thyreotoxische Entgleisung. Vor der Operation muss durch thyreostatische Vorbehandlung eine euthyreote Stoffwechsellage hergestellt werden. ▪▪ Vorgehen bei Morbus Basedow: subtotale (dorsaler Rest von 2–4 g) bis totale Thyreoidektomie ▪▪ Vorgehen bei funktioneller Autonomie: Entfernung des knotigen Gewebes. In nahezu 100 % der Fälle wird eine postoperative Hypothyreose erzeugt, sodass sich die Patienten einer lebenslangen Substitutionstherapie mit Thyroxin unterziehen müssen. Zu den Komplikationen s. auch Abschnitt Grundlagen der Schilddrüsenchirurgie (S. 22). Therapie der thyreotoxischen Krise: Die thyreotoxische Krise ist lebensbedrohlich und bedarf einer notfallmäßigen Behandlung auf einer Intensivstation. Zuerst wird hochdosiert Thiamazol i. v. verabreicht, ggf. können Glukokortikoide zum Einsatz kommen (Hemmung der Konversion von T4 zu T3). Ebenfalls kann die Gabe hochdosierten Jods die Schilddrüsenhormonsynthese blockieren (Cave: Zuvor muss ausgeschlossen sein, dass die thyreotoxische Krise durch Jod ausgelöst wurde!). Besonders bei der jodinduzierten Form ist die frühzeitige subtotale Schilddrüsenresektion die wirksamste kausale Behandlungsmaßnahme (→ Entfernung der gespeicherten Hormone und Verhinderung der Hormonneubildung). Bestehen Kontraindikationen, kann eine Plasmapherese zur Reduktion der Schilddrüsenhormone versucht werden. Symptomatische Maßnahmen umfassen: ▪▪ Flüssigkeits- und Elektrolytersatz, parenterale Ernährung ▪▪ β-Blocker (Propranolol) zur Behandlung der Tachykardie ▪▪ Glukokortikoide bei relativer NNR-Insuffizienz ▪▪ ggf. Temperatursenkung (Eisbeutel), Sedierung, Intubation und Muskelrelaxation ▪▪ Thromboseprophylaxe. Prüfungshighlights –– ! Ätiologie –– !!! Klinik Ätiopathogenese: Grundlage der Erkrankung sind autoreaktive IgG-Antikörper (thyreoideastimulierende Immunglobuline), die gegen den TSH-Rezeptor gerichtet sind (TRAK). Sie entstehen durch Bindung von TSH an HLA-Oberflächenproteine (HLADR3). Da ihre Molekularstruktur dem TSH ähnlich ist, können die Antikörper ebenfalls die Rezeptoren der Thyreozyten aktivieren. Folglich kommt es zu: ▪▪ fT /fT -Überproduktion 3 4 ▪▪ Proliferation der Thyreozyten ▪▪ Hemmung der normalen TSH-Bindung. Auch Fibroblasten besitzen einen ähnlichen Rezeptor, weshalb in der Orbita (Exophthalmus) sowie prätibial (Myxödem) vermehrt Bindegewebe proliferiert. Auch retroorbitale Prä­ adipozyten exprimieren diesen Rezeptor. Die Aktivierung von Makrophagen und Präadipozyten in der Orbita führt zu einer entzündlichen Reaktion mit Infiltration der Augenmuskulatur und des Fettgewebes. Dadurch treten die Augen verstärkt hervor (Exophthalmus) und sind in ihrer Motilität eingeschränkt (Auftreten von Doppelbildern). Die Autoantikörper sind plazentagängig und können auch beim Neugeborenen eine transiente Hyperthyreose verursachen. Klinische Pathologie: Makroskopisch ist die Schilddrüse symmetrisch vergrößert und weist eine rote, fleischige Schnittfläche auf. Histologisch erkennt man sternförmig konfigurierte Follikel mit einem geringen Kolloidgehalt und Resorptionsvakuolen. Sogenannte Sanderson-Polster entstehen durch papilläre hochzylindrische Zellknospen (Abb. 3.8). Klinik: Zusätzlich zu den Symptomen einer Hyperthyreose (S. 24) bestehen beim Morbus Basedow folgende Charakteristika: ▪▪ endokrine Orbitopathie (Exophthalmus, Stadieneinteilung s. Tab. 3.5): Typische Anzeichen sind –– seltener Lidschlag (Stellwag-Zeichen) –– sichtbarer Sklerastreifen oberhalb der Hornhaut (DalrympleZeichen) –– Zurückbleiben des oberen Augenlides bei Blicksenkung (Graefe-Zeichen) –– Konvergenzschwäche (Möbius-Zeichen) –– !! Labor: latente vs. manifeste Hyperthyreose –– !! Sonografie- und Szintigrafie-Bilder befunden –– !!! Therapie: Einsatz von Thyreostatika und NW. 3.3.1 Morbus Basedow Synonym: Immunogene Hyperthyreose, Grave’s Disease Definition Immunthyreopathie infolge Bildung von Autoanti- körpern gegen den TSH-Rezeptor mit oder ohne Bildung einer hyperthyreoten Struma. Epidemiologie: Die Inzidenz beträgt rund 40/100 000 Einwohner im Jahr. Frauen sind weit häufiger betroffen als Männer (bis zu 8:1). Das Hauptmanifestationsalter liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Einteilung: Man unterscheidet zwischen einem Morbus Basedow ohne Struma, mit diffuser Struma und mit knotiger Struma. Abb. 3.8 Histologischer Befund bei Morbus Basedow. SP: SandersonPolster, C: Restkolloid mit randständigen Resorptionsvakuolen. [aus: Riede, Werner, Schaefer, Allgemeine und spezielle Pathologie, Thieme, 2004] aus: Endspurt Klinik – Innere und Chirurgie – Skript 4 (ISBN 9783131742414) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 3.3 Hyperthyreose 27 Stadium L er n pa ket 1 Tab. 3.5 Stadieneinteilung der endokrinen Orbitopathie Klinik I Fremdkörpergefühl, Augentränen, Lichtscheu, retro­ okuläres Druckgefühl II Retraktion des Oberlids, Konjunktivitis, periorbitale Schwellung III Protusio bulbi IV gestörte Motilität der Augenmuskeln, Doppelbilder V Lagophthalmus, Hornhautulkus VI Kompression des N. opticus, Visusverlust bis Erblindung –– Lichtscheu, retrookuläres Druckgefühl, Schmerzen und Doppelbilder –– Kompression des Nervus opticus in seltenen Fällen mit Visusverlust ▪▪ Struma (Cave: kann auch fehlen!): mit starker Vaskularisation (→ auskultatorisches oder palpatorisches Schwirren) ▪▪ Tachykardie ▪▪ prätibiales Myxödem (teigige Schwellung am Unterschenkel, die nicht weggedrückt werden kann, Abb. 3.10). Lerntipp Lassen Sie sich nicht verwirren: Sowohl bei der Hyperthyreose (Morbus Basedow) als auch bei der Hypothyreose kann ein Myxödem auftreten: –– Morbus Basedow: lokalisiert an der Unterschenkelvorderseite (prätibial) –– Hypothyreose: generalisierte teigige Schwellungen, „aufgeschwemmter“ Aspekt. Myxödeme kann man außerdem – im Unterschied zu Ödemen – nicht wegdrücken. Praxis Charakteristisch für den Morbus Basedow ist die Merseburger Trias aus Struma, Exophthalmus (Abb. 3.9) und Tachykardie. Abb. 3.9 Exophthalmus bei endokriner Orbitopathie. Beidseitiger Exophthalmus. Beim Geradeausblick ist ein weißer Sklerastreifen oberhalb der Hornhaut sichtbar (Dalrymple-Zeichen). Abb. 3.10 Prätibiales Myxödem bei Morbus Basedow. [aus: Baenkler et al., Duale Reihe Innere Medizin, Thieme, 2009] Diagnostik: In ausgeprägten Fällen (endokrine Orbitopathie, Schwirren der Schilddrüse) lässt sich die Diagnose klinisch stellen. Bestätigt wird sie durch die Bestimmung der Laborwerte (fT3/fT4 ↑, TSH ↓). Zusätzlich können auch TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK , 90 % positive Befunde) und Anti-TPO (70 %) nachgewiesen werden (Cave: Antikörper können trotzdem negativ sein!). Praxis Kontrollieren Sie die Schilddrüsenwerte regelmäßig, da eine endokrine Orbitopathie einer Hyperthyreose auch vorausgehen kann. Die typischen Autoantikörper müssen beim Morbus Basedow allerdings nicht zwingend vorhanden sein. Sonografisch zeigt sich eine vergrößerte Schilddrüse mit diffuser Echoarmut und Hypervaskularisation (Abb. 3.11). Die szintigrafische Untersuchung (homogene intensive Radionuklidanreicherung) ist bei eindeutigem sonografischem und laborchemischem Befund nicht notwendig. Bei einer endokrinen Orbitopathie kann das Ausmaß der entzündlichen Aktivität mittels MRT festgestellt werden. Therapie: Therapeutisch stehen die medikamentöse Behandlung mit Thyreostatika (Methode der Wahl), die Radiojodtherapie sowie die operative Entfernung (Letztere v. a. bei Rezidiv und Therapieresistenz) der Schilddrüse zur Verfügung. Der Morbus Basedow zeigt eine hohe Spontanremissionsrate. Aus diesem Grund ist initial eine mindestens 1-jährige The- Abb. 3.11 Farbdoppler-Sonografie bei Morbus Basedow. Deutliche Hypervaskularsation der Schilddrüse. TR: Trachea. [aus: Baenkler et al., Kurzlehrbuch Innere Medizin, Thieme, 2010] aus: Endspurt Klinik – Innere und Chirurgie – Skript 4 (ISBN 9783131742414) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 28 Endokrines System und Stoffwechsel | 3 Erkrankungen der Schilddrüse rapie mit Thyreostatika (S. 25) indiziert. Therapieziel ist das Erreichen eines euthyreoten Zustandes. Danach wird ein Auslassversuch unternommen, bei dem in 50 % der Fälle mit einer Langzeitremission gerechnet werden kann. Bei Rauchern und jungen Patienten ist die Rezidivrate höher. Rezidiviert der Morbus Basedow, sollte eine endgültige Sanierung mittels Radiojodtherapie oder Operation angestrebt werden. Die endokrine Orbitopathie kann durch eine euthyreote Stoffwechsellage in rund 60 % der Fälle verbessert werden. Nikotinkarenz ist obligat (→ Nikotin erhöht das Risiko und verschlechtert den Verlauf einer endokrinen Orbitopathie deutlich). Bei starker entzündlicher Aktivität werden meist parenteral Glukokortikoide appliziert (Methylprednisolon). Gegebenenfalls können Bestrahlung (externe Retrobulbärbestrahlung), chirurgische Maßnahmen (Orbitadekompression bei Beteiligung des N. opticus) und sehr selten Immunsuppressiva (Ciclo­ sporin, Rituximab) zum Einsatz kommen. Symptomatische Maßnahmen (z. B. Sonnenbrille, hochgestelltes Bettkopfende) können die Beschwerden ebenfalls lindern. Bei inkomplettem Lidschluss und seltenem Lidschag sind außerdem die regelmäßige Benetzung der Kornea mit künstlicher Tränenflüssigkeit und Applikation einer Vitamin-A-haltigen Augensalbe vor Bettruhe notwendig (Gefahr der kornealen Ulzeration). Lerntipp Zur Therapie sollten Sie sich merken, dass man Basedow-Patienten zunächst immer konservativ behandelt (Thyreostatika). Außerdem sollten Sie Patienten mit endokriner Orbitopathie unbedingt zur Nikotinkarenz raten, damit sich die Erkrankung nicht noch weiter verschlechtert. Eine Radiojodtherapie sollte beim Rezidiv oder einer persistierenden Hyperthyreose in Erwägung gezogen werden und stellt eine gleichwertige Alternative zur Operation dar. Sie kann jedoch eine endokrine Orbitopathie verschlechtern und ist bei ausgeprägtem Befall deshalb kontraindiziert. Die totale oder subtotale Strumektomie stellt eine effektive chirurgische Maßnahme bei rezidivierendem oder therapieresistentem Morbus Basedow dar. Prüfungshighlights –– !!! Klinik: Hyperthyreose, endokrine Orbitopathie, prätibiales Myxödem, schwirrende Struma –– !! Labor: fT /fT ↑, TSH ↓ (= primäre Hyperthyreose), Autoan3 4 tikörper (TRAK, anti-TPO) –– !! Sonografie: große echoarme und hypervaskularisierte Schilddrüse –– !! Szintigrafie: homogene deutliche Anreicherung von Radio- nuklid –– !!! Therapie: Radiojodtherapie oder OP erst bei Basedow- Rezidiv, Nikotinkarenz und Behandlung der endokriner Orbitopathie 3.3.2 Schilddrüsenautonomie Einteilung: Das autonome Schilddrüsengewebe kann disseminiert über das gesamte Organ (diffus) verteilt oder auf einen (unifokal = autonomes Adenom) bzw. mehrere Bezirke (multifokal) beschränkt sein. Abhängig von der funktionellen Aktivität spricht man von warmen (Tracerspeicherung im angrenzenden normalen Gewebe) bzw. heißen (keine Tracerspeicherung mehr im Normalgewebe) Knoten. Kalte Knoten (überhaupt keine Speicherung) können zusätzlich bestehen und sind abklärungsbedürftig (→ Malignomverdacht). Ätiopathogenese: Zum autonomen Adenom führen aktivierende Mutationen im TSH-Rezeptorgen oder in den nachgeschalteten intrazellulären Signaltransduktionswegen. Folge ist eine andauernde Stimulation der Thyreozyten. Ein Jodmangel scheint das Auftreten von Autonomien zu fördern. Zunächst kann die autonome Sekretion noch zu einem gewissen Grad vom gesunden Gewebe gesteuert werden (warmer Knoten). Die Patienten sind euthyreot (kompensierte Funktionslage). Mit zunehmender Hormonproduktion aus dem Adenom (sog. heißer Knoten) wird das gesunde Schilddrüsengewebe immer stärker supprimiert (TSH↓). Die Patienten dekompensieren und eine Hyperthyreose manifestiert sich. Häufig ist eine Jodexposition für die Dekompensation verantwortlich (→ Demaskierung einer latenten Hyperthyreose). Klinische Pathologie: Autonome Adenome sind meist abgekapselt und heller als das umgebende Gewebe. Durch das schnelle Wachstum sprießen Blutgefäße erst nachträglich ein, nichtversorgtes Gewebe geht unter und hinterlässt Gewebsnekrosen oder Blutungen. Diese verändern sich im Verlauf regressiv und bilden ein bindegewebiges Netzwerk, das das Organ durchzieht. Es entsteht ein buntes Bild aus Adenomen und Pseudoknoten (normales Gewebe, das in die Netzmaschen hineingepresst wird). Klinik: mechanische Symptome und Symptome der Hyperthyreose bei stark gesteigerter autonomer Hormonproduktion. Bei Jodmangel tritt eine Autonomie aufgrund des fehlenden Sub­ strats meist erst spät in Erscheinung, wenn die autonomen Gebiete bereits beträchtliche Ausmaße angenommen haben. Praxis Insbesondere bei älteren Patienten mit absoluter Arrhythmie sollte man an eine Schilddrüsenautonomie denken. Diagnostik: Die Kontrolle der Schilddrüsenhormone (TSH↓, fT3↑, fT4↑; ggf. nur fT3↑ bei T3-Hyperthyreose) ist ausschlaggebend für die Diagnosestellung. Autoantikörper sind nicht nachweisbar. In der Sonografie lässt sich ein autonomes Adenom als echoarmer Bezirk mit häufig zentral gelegenem echofreiem Areal (Zystenbildung) darstellen. Diffuse Autonomien erscheinen inhomogen. Szintigrafisch können warme (relative Mehrspeicherung im Knoten verglichen mit dem Umgebungsgewebe) oder heiße Knoten (extreme Speicherung im Knoten, subnormale Speicherung im Umgebungsgewebe) nachgewiesen werden (Abb. 3.12). Näheres siehe bei der Szintigrafie der Schilddrüse (S. 19). Definition Vom TSH-Einfluss unabhängige, autonome Hor- Lerntipp monproduktion der Thyreozyten. Schilddrüsen-Szintigrafie-Bilder kommen regelmäßig in Examina vor. Machen Sie sich daher nochmals den Unterschied zwischen heißen und kalten Knoten klar (Abb. 3.2). Epidemiologie: Gehäuftes Auftreten in Jodmangelgebieten, insbesondere im höheren Lebensalter. aus: Endspurt Klinik – Innere und Chirurgie – Skript 4 (ISBN 9783131742414) © 2013 Georg Thieme Verlag KG