2.3 Semantik von AL Ein und derselbe Satz kann in Bezug auf unterschiedliche Situationen s1 und s2 unterschiedliche Wahrheitswerte haben. Beispiel: s1 : s2 : Es regnet. Es regnet nicht. 0 1 1 0 Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 1 Es gibt Sätze, die in Bezug auf unterschiedliche Situationen immer wahr bzw. immer falsch sind. Beispiele: s1 : s2 : Es regnet und es regnet nicht. 0 1 0 0 1 0 Es ist nicht der Fall, dass s1 : s2 : 1 1 Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 es regnet und nicht regnet. 0 1 0 0 1 0 2 Die Wahrheitswerte der zusammengesetzten Sätze hängen auf eine bestimmte Weise von den Wahrheitswerten ihrer Teilsätze ab. Gesucht wird ein Algorithmus, d.h. eine genau definierte Handlungs-vorschrift, mit der sich für eine beliebige Situation errechnen lässt, welchen Wahrheitswert logisch komplexe Sätze ausgehend von den Wahrheitswerten der in ihnen vorkommenden atomaren Sätze in Bezug auf diese Situation haben. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 3 Wahrheitsbedingungen von AL-Formeln Die Wahrheitsbedingungen einer Formel von AL werden durch die Angabe aller möglichen AL-Bewertungen dieser Formel bestimmt. Eine AL-Bewertung ist eine Funktion, die auf der Menge der Formeln definiert ist und jedem Element dieser Menge genau einen Wahrheitswert zuordnet. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 4 Eine Funktion ist eine Zuordnung von Elementen einer Menge B (Funktionswerte) zu den Elementen einer Menge A (Argumente), so dass jedem Element von A genau ein Element von B zugeordnet wird. Es handelt sich damit um eine eindeutige Abbildung von A nach B . Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 5 Beispiel: eine Menge A von Personen Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 6 Beispiele für Funktionen von A (eine Menge von Personen) nach B (eine Menge von Namen): Lisa Bart Maggie A B Lisa Bart Maggie A Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 B 7 Beispiele für Abbildungen, die keine Funktionen sind: Lisa Bart Maggie A B Lisa Bart Maggie A Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 B 8 AL-Bewertung V : A = {φ1, φ2, φ3,...} φ1 φ2 φ3 ... (Argumente) ⇒ ⇒ ⇒ B = {0,1} 1 0 0 ... (Funktionswerte) Notation: V (φ) = 1 steht für „Der Wahrheitswert von φ bei V ist gleich 1.“ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 9 D2.2 AL-Bewertung Eine AL-Bewertung V ist eine Funktion von der Menge der AL-Formeln nach {0,1} , so dass gilt: (1) Für jede atomare Formel φ gilt entweder V (φ) = 1 oder V (φ) = 0 . (2)V (¬φ) = 1 gdw V (φ) = 0 . (3) (a) V (φ ∧ ψ) = 1 gdw V (φ) = 1 und V (ψ) = 1 . (b) V (φ ∨ ψ) = 1 gdw V (φ) = 1 oder V (ψ) = 1 . (c) V (φ → ψ) = 1 gdw V (φ) = 0 oder V (ψ) = 1 . (d) V (φ ↔ ψ) = 1 gdw V (φ) = V (ψ). Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 10 Beispiele: V1 : V2 : V3 : V4 : p 1 1 0 0 q 1 0 1 0 ¬ (¬p ∧ ¬q ) 1 1 0 0 1 0 1 0 Bei n atomaren Formeln ergeben sich 2n mögliche Bewertungen. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 11 ? Gib die Wahrheitswerte der komplexen Formeln in ¬ (¬p ∧ ¬q ) bei den Bewertungen V1 −V4 an. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 12 D2.3 AL-Tautologie Eine Formel φ ist eine AL-Tautologie (ist AL-wahr, AL-gültig) gdw für jede ALBewertung V gilt: V (φ) = 1 . Notation: ⊨AL φ Tautologien sind immer wahr. Beispiele: ¬ (p ∧ ¬ p ) , p ∨ ¬p Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 13 Einige AL- Gesetze ⊨ φ ∨ ¬φ Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten ⊨ ¬ (φ ∧ ¬φ) Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch ⊨ ¬¬φ ↔ φ Gesetz der doppelten Negation ⊨φ∧ψ →φ Konjunktionsabschwächung ⊨φ∧ψ ↔ ψ∧φ Kommutativität der Konjunktion ⊨ φ ∧ (ψ ∧ χ) ↔ (φ ∧ ψ) ∧ χ Assoziativität derKonjunktion ⊨ φ ∧ (ψ ∨ χ) ↔ (φ ∧ ψ) ∨ (φ ∧ χ) Distributivität der Konjunktion über die Disjunktion ⊨ (φ → ψ) ↔ (¬ψ → ¬φ) Kontraposition der materialen Implikation Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 14 ⊨ ¬ (φ ∧ ψ) ↔ ¬φ ∨ ¬ψ ⊨ ¬ (φ ∨ ψ) ↔ ¬φ ∧ ¬ψ } de Morgansche Gesetze ⊨ (φ → ψ) ∧ (φ → χ) → (φ → ψ ∧ χ) Konklusionskonjunktion ⊨ (φ → ψ) ∧ (ψ → χ) → (φ → χ) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 Transitivität der materialen Implikation 15 Jede Formel, die unter ein logisches Gesetz ‚fällt’, ist eine Tautologie. Beispiele: ⊨ p ∨ ¬p ⊨ ¬¬ (p ∨ ¬p) ↔ p ∨ ¬p ⊨ (p → q ) ∧ (q → r ∨ ¬s ) → (p → r ∨ ¬s ) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 16 D2.4 AL-Kontradiktion Eine Formel φ ist eine AL-Kontradiktion (ist AL-falsch) gdw für jede ALBewertung V gilt: V (φ) = 0 . Kontradiktionen sind immer falsch. Beispiele: φ ∧ ¬φ , (ψ → ψ) → ¬ (φ ∨ ¬φ) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 17 D2.5 AL-Kontingenz Eine Formel φ ist eine AL-Kontingenz (ist AL-kontingent) gdw für mindestens eine AL-Bewertung V gilt: V (φ) = 0 und für mindestens eine AL-Bewertung V gilt: V (φ) = 1 . Kontingenzen können sowohl wahr als auch falsch sein. Jede Formel ist entweder eine Kontingenz, eine Tautologie oder eine Kontradiktion. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 18 D2.6 AL-Folgerung Die Formel ψ ist eine AL-Folgerung (AL-Implikation) von φ1,..., φn (n ≥ 1) bzw. aus φ1,..., φn folgt AL-logisch ψ gdw für jede AL-Bewertung V gilt: Wenn V (φ1 ) = 1,...,V (φn ) = 1, dann V (ψ) = 1 . Notation: φ1,..., φn ⊨AL ψ (oder φ1,..., φn ⇒AL ψ ) Spezialfall: ⊨AL ψ (AL-Tautologie) (falls n = 0 ) Beispiele: φ ∧ ψ ⊨AL φ φ ∧ ¬φ ⊨AL χ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 19 D2.7 AL-Äquivalenz Die Formeln φ und ψ sind AL-äquivalent gdw für jede AL-Bewertung V gilt: V (φ) = V (ψ). Notation: φ ≈AL ψ (oder φ ⇔AL ψ ) Beispiele: φ ∧ ψ, ≈AL ψ ∧ φ ¬ (φ → ψ), ≈AL φ ∧ ¬ψ φ → ψ, ≈AL ¬ψ → ¬φ ¬ (φ ∧ ψ), ≈AL ¬φ ∨ ¬ψ φ → (ψ → χ), ≈AL φ ∧ ψ → χ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 20 Metatheoreme über AL (=beweisbare Sätze über AL) ⊨AL φ gdw ¬φ eine AL-Kontradiktion ist. φ ⊨AL ψ gdw ⊨AL φ → ψ φ1,..., φn ⊨AL ψ gdw ⊨AL φ1 ∧ ... ∧ φn → ψ φ ≈AL ψ gdw ⊨AL φ ↔ ψ φ ≈AL ψ gdw ⊨AL φ → ψ und ⊨AL ψ → φ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 21 D2.8 AL-Gültigkeit eines Schlussschemas Ein Schlussschema φ1,..., φn / ψ ist AL-gültig (eine AL-Schlussregel) gdw φ1,..., φn ⊨AL ψ . Beispiele: φ → ψ, φ / ψ Modus ponens (MP), Abtrennungsregel (AR) φ → ψ, ¬ψ / ¬φ Modus tollens (MT) φ ∧ ψ /φ ∨ ψ φ → ψ, ψ → χ / φ → χ (φ → ψ) ∨ (φ → χ)/ φ → ψ ∨ χ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 22 2.4 Entscheidungsverfahren für AL ? Gib die möglichen Wahrheitswerte der Formel ¬ (p → (q ∨ r )) an. Wahrheitstafelmethode Zwei Varainten: • Variante 1: ausführliche Wahrheitstafel • Variante 2: vereinfachte Wahrheitstafel Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 23 Variante 1: 1. Schritt p 1 1 1 1 0 0 0 0 q 1 1 0 0 1 1 0 0 r q ∨r 1 0 1 0 1 0 1 0 p → (q ∨ r ) ¬ (p → (q ∨ r )) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 24 Variante 1: 2. Schritt p 1 1 1 1 0 0 0 0 q 1 1 0 0 1 1 0 0 r q ∨r 1 1 0 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 0 0 p → (q ∨ r ) ¬ (p → (q ∨ r )) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 25 Variante 1: 3. Schritt p 1 1 1 1 0 0 0 0 q 1 1 0 0 1 1 0 0 r q ∨r 1 1 0 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 0 0 p → (q ∨ r ) ¬ (p → (q ∨ r )) 1 1 1 0 1 1 1 1 Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 26 Variante 1: 4. Schritt p 1 1 1 1 0 0 0 0 q 1 1 0 0 1 1 0 0 r q ∨r 1 1 0 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 0 0 p → (q ∨ r ) ¬ (p → (q ∨ r )) 1 1 1 0 1 1 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 27 Variante 2: 1. Schritt ¬ (p → 1 1 1 1 0 0 0 0 1. (q ∨ r )) 1 1 1 0 0 1 0 0 1 1 1 0 0 1 0 0 1. 1. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 28 Variante 2: 2. Schritt ¬ (p → 1 1 1 1 0 0 0 0 1. (q 1 1 0 0 1 1 0 0 1. ∨ 1 1 1 0 1 1 1 0 2. r )) 1 0 1 0 1 0 1 0 1. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 29 Variante 2: 3. Schritt ¬ (p → 1 1 1 1 1 1 1 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1. 3. (q 1 1 0 0 1 1 0 0 1. ∨ 1 1 1 0 1 1 1 0 2. r )) 1 0 1 0 1 0 1 0 1. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 30 Variante 2: 4. Schritt ¬ 0 0 0 1 0 0 0 0 4. (p 1 1 1 1 0 0 0 0 1. → 1 1 1 0 1 1 1 1 3. (q 1 1 0 0 1 1 0 0 1. ∨ 1 1 1 0 1 1 1 0 2. r )) 1 0 1 0 1 0 1 0 1. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 31 ? Konstruiere für ¬ p ∧ (q ↔ r ) eine Wahrheitstafel nach Variante 2. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 32 Reduktionsmethode Bedingung für die Anwendung der Methode ist, dass die Formel die Form φ → ψ hat oder sich in eine solche Form überführen lässt. Variante 1: Indirekter Beweis Annahme: φ → ψ ist keine Tautologie. Also: Also: Es gibt mindestens eine Bewertung V , so dass V (φ → ψ) = 0 . V (φ) = 1 und V (ψ) = 0 usw. Wenn die Annahme zu einem Widerspruch führt, so ist sie falsch. Also ist φ → ψ eine Tautologie. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 33 Beispiel: q ) → (¬ q → ¬ p) Annahme: 0 Also: 1 0 0 Also: 1 Also: 0 1 Also: 1 0 Also: 0 Widerspruch (p → Also: ⊨ (p → q ) → (¬q → ¬ p) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 34 ? Zeige, dass (p → q ),(q → r )/(p → r ) ein gültiger Schluss ist. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 35 Variante 2: Direkter Beweis Annahme: V (φ) = 1 Behauptung: V (ψ) = 0 ist ausgeschlossen, d.h. es ist immer V (ψ) = 1 . Also ist φ → ψ eine Tautologie. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 36 Beispiel: (p ∧ q ) → ¬ (¬ q ∨ ¬ Annahme: 1 Also: 1 1 1 Also: Also: 0 0 Also: 0 Also: 1 p) 1 Wenn also V (p ∧ q ) = 1 , so auch V (¬(¬q ∨ ¬p)) = 1 . Also: ⊨ (p ∧ q ) → ¬(¬q ∨ ¬p) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 37 2.5 Definierbarkeit von Konnektoren Generell können Begriffe mit Hilfe von anderen, grundlegenderen Begriffen nach folgendem Definitionsschema definiert werden: Definiendum =def Definiens A =def B („ A ist definitionsgleich mit B ”) A wird durch Definition als mit B bedeutungsgleich eingeführt und kann im Weiteren an Stelle von B verwendet werden. Dabei stellt A eine Abkürzung von B dar. Eine wesentliche Voraussetzung für die Korrektheit einer Definition ist, dass B nicht bereits A enthält oder durch ein C definiert wird, das seinerseits A enthält (Ausschluss einer ‚Zirkeldefinition’). Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 38 Konnektoren lassen sich mit Hilfe von anderen Konnektoren definieren. Grundlage für die Adäquatheit der Definitionen sind entsprechende logische Äquivalenzen zwischen Formeln, in denen die betreffenden Konnektoren vorkommen. Beispiele: φ ↔ ψ, =def (φ → ψ) ∧ (ψ → φ) φ → ψ, =def ¬φ ∨ ψ φ ∧ ψ, =def ¬(¬φ ∨ ¬ψ) φ : ψ, =def (φ ∧ ¬ψ) ∨ (¬φ ∧ ψ) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 39 ? Aus welchem Grund sind die angegebenen Definitionen korrekt? Was ist jeweils Grundlage dafür, dass die Definitionen adäquat sind? ? Definiere ↔ und : unter ausschließlicher Verwendung von ¬ und ∨ . Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 40 Eine Menge von AL-Konnektoren, mit der sich alle anderen AL-Konnektoren definieren lassen, nennt man definitorisch vollständig. Beispiele: {¬, ∧}, {¬, ∨}, {¬, →}, {¬, ↔} Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 41