Darmerkrankungen: Brain-Gut Achse, Relevanz für den Psychiater

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11. April 2016, Zürich
Darmerkrankungen: Brain‐Gut Achse, Relevanz für den Psychiater
Gerhard Rogler, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, UniversitätsSpital Zürich
“The association between GI conditions and psychological problems goes far beyond
the fact that chronic diseases make people more vulnerable to depression and anxiety.
In fact, the gut, while responding to environmental and physiological factors, is also
directly interconnected to the brain by the so‐called ‘brain–gut axis’”
/
Brain-Gut Achse: Bidirektionale Signalwege
Abb. aus Holzer 2011 (http://universimed.com)
„Mögen die Eingeweide auch hässlich
erscheinen …
- sie sind umhüllt von mehr als 100
Millionen Nervenzellen: mehr
Neuronen, als im gesamten
Rückenmark zu finden sind.“
GEO-Magazin 11/2000
/
/
Thure von Uexküll; *1908 in Heidelberg; † 2004 in Freiburg Mediziner und Begründer der psychosomatischen Medizin
„Der Bauch erzählt dem Kopf Geschichten, den ganzen Tag und die
ganze Nacht, ohne dass wir dies bewusst wahrnehmen. Wenn sich der
Darm zusammenzieht, wenn er Serotonin oder andere Botenstoffe
ausscheidet, wenn Immunzellen zur Arbeit aktiviert werden, dann
werden diese Daten ins Gehirn weitergeleitet, dort übersetzt und als
Müdigkeit oder Aktivität, Unwohlsein oder Heiterkeit, Schmerz oder
Völlegefühl wahrgenommen. Der Bauch macht also Stimmung! “.
/
Abdominelle Symptome:
Abdominelle Symptome gehören zu den häufigsten Symptomen in der ärztlichen Praxis
Schappert S, Vital Health Stat. 1994
In den USA mehr als 2.5 Milionen ambulante Konsultationen/Jahr
wegen gastrointestinalen Symptomen (320 Mio US Dollar Kosten / Jahr)
Everhart J. NIH publication no. 94‐1447, 1994
in 35‐ 51% der Fälle bleibt die Ursache der Beschwerden unklar
Klinkman MS, Arch. of Family Medicine 1996
Dokumentname / Autor / Abteilung / 12. April 2016
6
Häufige “unspezifische” Magen‐Darmbeschwerden
•
Durchfall
•
Obstipation
•
Blähungen
•
Völlegefühl
•
Bauchschmerzen
/
Gastroenterologische Erkrankungen bei denen psychologische Faktoren eine anerkannte Rolle spielen
• Funktionelle gastroenterologische
Erkrankungen
• Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
/
Funktionelle Gastroenterologische
Erkrankungen
/
Funktionelle gastroenterologische Erkrankungen:
B. Funktionelle gastroduodenale Störungen
B1. Funktionelle Dyspepsie
B1a. «Postprandial distress syndrome»
B1b. Epigastrisches Schmerzsyndrom
B2. Funktionelles Luftaufstossen
B2a. Aerophagie
B2b. Unspezifisches exzessives Luftaufstossen
B3. Übelkeit und Erbrechen
B3a. Chronische idiopathische Übelkeit
B3b. Funktionelles Erbrechen
B3c. Syndrom des zyklischen Erbrechens
B4. Ruminationssyndrom des Erwachsenen
C. Funktionelle intestinale Störungen
C1. Reizdarmsyndrom
C2. Funktionelle Blähungen
C3. Funktionelle Obstipation
C4. Funktionelle Diarrhoe
C5. Unspezifische funktionelle intestinale Störungen
D. Funktionelle abdominale Schmerzsyndrome
/
Fallbeispiel
Heute 40‐jährige alleinerziehende Mutter von drei Kindern (2002, 2004, 2008)
• seit 2005 diffuse abdominale Schmerzen, leichte Besserung nach Defäkation, Gefühl der inkompletten Evakuation, seit Beginn Änderung der Stuhlgewohnheit (eher obstipiert).
• Gastroskopie, Koloskopie, US‐Abdomen ohne Befunde
11
/
Fallbeispiel
Heute 40‐jährige alleinerziehende Mutter von drei Kindern (2002, 2004, 2008)
•
wird behandelt mit verschiedenen Medikamenten: Abführmittel, Ernährungsberatung (FODMAP), Spasmolytika, Amitryptilin 25mg/d, Colpermin, Johanniskraut, Iberogast, Padma‐Lax, Probiotika aus dem Internet, Rifaximin, Akupunktur 12
/
Fallbeispiel
Heute 40‐jährige alleinerziehende Mutter von drei Kindern (2002, 2004, 2008)
•
im Rahmen der letzten Visite befragt der AA nochmals die Anamnese des Beginns und fragt nach sexuellen Übergriffen
•
Patientin berichtet unter Tränen, dass Sie im Jahre 2005 durch Ihren damaligen Partner vergewaltigt wurde, wenige Wochen später seien die Bauchschmerzen aufgetreten
13
/
Funktionelle gastroenterologische Erkrankungen:
Dysphagie
Noncardiac chest pain
Sodbrennen
Nicht ulcerierende
Dyspepsie (NUD)
Funktioneller Bauchschmerz
Blähungen
Funktionelle
Gallenblasen Störungen
IBS
Funktionelle
Obstipation/Diarrhöe
/
Überlappung der verschiedenen
funktionellen GI‐Erkrankungen
Funktionelle
Bauschmerzen
Funktionelle
Diarrhöe
Blähungen
IBS
Funktionelle
Obstipation
/
•
organische
versus
•
funktionelle
Beschwerden
•
Bei etwa 50 % der Patienten, die sich mit anhaltenden Bauchbeschwerden (> 3 Monate) beim Allgemeinarzt oder Gastroenterologen vorstellen liegt eine funktionelle gastrointestinale Störung vor (1)
2 Oberndorff‐Klein Woolthuis AH, Brummer RJ, et al. IScand J Gastroenterol Suppl 2004
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Funktionelle Gastroenterologische Erkrankungen:
Konzept der Pathogenese:
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Drossmann et al. Gut1999;45:II25‐II30
Funktionelle Darmerkrankungen (IBS):
Häufigkeit von psychologischen Störungen:
Soziale Stressoren spielen
Erkrankungsschübe
eine Rolle für Symptomverschlechterung oder
Sexueller und physischer Missbrauch (Abuse): Angaben bis zu (30–56%) (auf der
Basis von Eigen Anamnese)
Psychiatrische Erkrankungen: Für IBS: 1) Angst‐Störungen, 2) Depressionen 3)
Somatisierungsstörungen bei 42 bis 61% (im Vergleich zu 25% in der Kontrollgruppe
ohne gastrointestinale Symptome)
Persönlichkeitsstruktur: Höhere Rate an Angst‐Persönlichkeiten und neurotischen
Persönlichkeiten
/
Drossmann et al. Gut1999;45:II25‐II30
Sekundäre Ursachen einer chronischen Obstipation:
Erkrankungen1,2
Metabolische
Ursachen
Diabetes mellitus, Hypothyreose, Porphyrie, Hypokaliämie,
Hyperkalzämie
Neurologische
Ursachen
Schlaganfall, M. Parkinson, Multiple Sklerose, Autonome
Neuropathie, M. Alzheimer, Rückenmarksaffektion, M. Hirschsprung
Psychiatrische
Ursachen
Anorexia nervosa, Depression, Angststörungen
Gynäkologische
Ursachen
Schwangerschaft, Ovarialkarzinom
Systemische
Ursachen
Systemische Sklerose, Amyloidose, Dermatomyositis,
Mukoviszidose
Primäre Kolonerkrankungen
Hämorrhoiden, Striktur, Kolorektalkarzinom, Analfissur, Proktitis,
Rektozele
Tabelle adaptiert nach
Biedermann L et Fried M. 2008
und Heuss L. et Degen L. 2004
Referenzen: 1 Biedermann L et Fried M. CME Online Fortbildung Obstipation. Praxis 2008; 97: 1109–1119.
2 Heuss L. et Degen L. Chronische Obstipation. Schweiz Med Forum 2004;4:683–689.
/
Sekundäre Obstipationsursachen
/
Fallbeispiel
39‐jährige Patientin
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/
Fallbeispiel
39‐jährige Patientin
Aktuelle Situation: Notfallmässige Selbstzuweisung. Seit 4‐5 Tagen fiebriges Gefühl; Lichtempfindlichkeit;
Seit 2‐3 Tagen Steigerung des Geruchssinnes und Hitze im Kopf mit Brennen frontal/biparietal
Zudem bestehe ein Druck im Oberbauch und ein Brennen, das bis in den Rachen aufsteige, sowie ein bitterer Geschmack. Sie könne kaum mehr etwas essen und habe 4 kg Gewicht verloren.
Diagnostische Beurteilung: «Neben einer möglichen noch auszuschliessenden somatischen Ursache der Beschwerden steht mit übermässiger Besorgnis bezüglich der eigenen Gesundheit und dem Wohlergehen ihrer Angehörigen und häufigem Kreisen um eigene körperliche Beschwerden der Verdacht auf eine generalisierte Angststörung (ICD‐10 F41.1) im Raum. «
22
/
Fallbeispiel
39‐jährige Patientin
23
/
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Chronisch entzündliche Darmerkranungen
/
Sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen psychosomatisch erklärbar?
«Colitis‐Patienten sind ….. Menschen, die Probleme mit dem Abgeben
von Kot hatten, was sie später in der Tendenz eher zurückhaltend,
schüchtern, pflichtbewusst und pedantisch werden lässt. Dazu gehören
Haltungen des Perfektionismus, der Zwanghaftigkeit, der Gefühlskargheit,
der Überempfindlichkeit sowie depressive Verstimmungen. Wegen ihrer
Übergewissenhaftigkeit geraten sie bei Veränderungen und Schwierigkeiten
leicht in Unruhe. Das geschieht vor dem Hintergrund einer latenten
Lebensangst. ……
Andererseits fühlen sich Menschen mit geschwüriger Dickdarmentzündung
aufgefordert, mehr zu geben und zu leisten, als sie können. Bei
Überforderung setzt Durchfall ein. Manchmal ist Geiz kompensiert durch
überreichlichen Stuhlabgang. (Fuchs und Rattner in Danzer 1994, 129‐138)
/
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind eher Ursache psychosomatisch Störungen!
ECCO Statement 12A
Psychische Störungen scheinen eher eine Folge der Erkrankung als
eine Ursache des Morbus Crohn oder spezifisch für Morbus Crohn
zu sein. Das Ausmaß der seelischen Belastung korreliert mit der
Krankheitsschwere,
prädiziert
die
gesundheitsbezogene
Lebensqualität und beeinflusst den Krankheitsverlauf [EL 1b, 2b und
3b, RG B]
ECCO Statement 12B
Eine Assoziation von psychischen Faktoren und der Ätiologie des
Morbus Crohn ist nicht bewiesen [EL 3b,4, RG D]. Seelische
Faktoren haben jedoch einen mäßigen Einfluss auf den
Krankheitsverlauf [EL 1b,2b, RG B].
/
Erstsymptome von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Morbus Crohn (n = 279)
Durchfälle
Blutbeimengungen
Schmerzen
allg. Unwohlsein
Gewichtsverlust
Gelenkschmerzen
Fieber
Hautveränderungen
89.5 %
27.3 %
86.9 %
81.7 %
59.6 %
29.2 %
24.7 %
14.2 %
Colitis ulcerosa
(n = 113)
96.4 %
89.3 %
81.3 %
40.2 %
38.4 %
27.7 % 20.5 %
15.2 %
/
“….there is no doubt that stress is a triggering and
exacerbating factor in relation to the course and symptoms of IBD.»
M. S. Sajadinejad et al, Psychological Issues in Inflammatory Bowel Disease: An Overview, 2012
/
Anteil Patienten in Remission
Stress und das Risiko von Schüben bei CED
Levenstein, Am J Gastro
2000
/
ECCO Statement 12C
Es besteht eine Evidenz für die Interaktion von psychischen
Faktoren und der Aktivität der chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen:
Depression
und
wahrgenommener
chronischer Stress scheinen zusätzliche Risikofaktoren für ein
Rezidiv der Erkrankung zu sein. Es ist nicht geklärt, ob akute
Lebensereignisse Rückfälle initiieren [EL 1b,2b , RG B]. Die meisten
Patienten sind der Ansicht, dass Stress einen Einfluss auf ihre
Erkrankung hat [EL 2c,3 , RG C].
/
Patientenängste bei IBD
Drossman et al., Psychosomatic Medicine 53:701‐712 (1991)
/
Einfluss der Krankheitsaktivität auf Angst vor Schmerzen
Lisa M. Lix, Inflamm Bowel Dis 2008;14:1575–1584
/
Risikofaktoren für Angst und Depression bei CED
•
•
11% der Patienten ware depressiv
41% hatten Ängste
Faktoren, die mit Ängsten assoziiert waren:
•
•
•
•
•
Schwere CED (P = 0.04) Schübe (P = 0.05) Non‐adherence (P = 0.03) Arbeitslosigkeit oder IV (P = 0.002) Sozioökonomische Deprivation (P < 0.0001). Faktoren, die mit Depression assoziiert waren
•
•
•
•
Alter (P = 0.004) Schübe (P = 0.03)
Arbeitslosigkeit oder IV (P = 0.03) Sozioökonomische Deprivation (P < 0.0001) Stephane Nahon et al Inflamm Bowel
Dis 2012
/
Hilft Psychotherapie bei CED?
M. S. Sajadinejad et al, Psychological Issues in Inflammatory Bowel Disease: An Overview, 2012
/
Hilft Psychotherapie bei CED?
Selection criteria
Randomized, quasi‐randomized and non randomized controlled trials of psychological interventions in children or adults with IBD‐
with a follow up time of 2 months. Main results
21 studies were eligible for inclusion. In adolescents, there were positive short term effects of psychotherapy on most outcomes assessed including quality of life and depression.
There is no evidence for efficacy of
psychological therapy in adult
patients with IBD in general.
Timmer A, et al. 2011
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Potentielle Bausteine der Psychotherapie
• Stressbewältigung
• Aufmerksamkeitslenkung, Selbstbeobachtung, Symptomtagebuch • Verhaltensexperimente, Abbau von Vermeidungs‐ und Kontrollverhalten
• Entspannungstraining, Biofeedback
• Kognitive Interventionen zur Veränderung von Fehlinterpretationen • Psychoedukation, Erweiterung des somatischen Krankheitsmodells
• Arbeit an Hintergrundproblemen, Entwicklung einer aktiven Haltung gegenüber Problemen/Konflikten
/
ECCO Statement 12D
Die psychosozialen Folgen und die gesundheitsbezogene Lebensqualität sollten
in der klinischen Praxis bei planmäßigen Arztbesuchen berücksichtigt werden.
Individuelle Information und Erklärung der Erkrankung sollten in einem
persönlichen Gespräch gegeben werden. Der Krankheitsverlauf kann durch die
Kombination von Selbstmanagement und patientenzentrierten Konsultationen
verbessert werden [EL 1b,3b , RG B].
ECCO Statement 12E
Ärzte sollten den psychosozialen Status des Patienten und den Bedarf für
zusätzliche psychologische Behandlung erfassen und eine Psychotherapie
empfehlen, wenn eine Indikation besteht. In Zentren für chronisch entzündliche
Darmerkrankungen sollte eine integrierte psychosomatische Versorgung
angeboten werden [EL 2b , RG B].
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Und vice versa: Sind gastroenterologische Veränderungen schuld an psychiatrischen Erkrankungen?
Dokumentname / Autor / Abteilung / 12. April 2016
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Das Mikrobiom und ZNS Funktion
Foster et al. Trends in Neurosciences, May 2013
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„Vollendetes Glück
ist nichts anderes als
außerordentliche Harmonie
im Verdauungstrakt“
A. Lunatscharski
/
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
/
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