VIII. Zukunftsforum Islam Muslime als Akteure der Zivilgesellschaft in Deutschland: Zwischen Emanzipation und Anpassung 10.-12.5.2013 Prof. Dr. Christine Langenfeld: Muslime als Akteure der Zivilgesellschaft - Politische und rechtliche Rahmenbedingungen in der Einwanderungsgesellschaft 1. Staat und Gesellschaft sind angewiesen auf das Engagement von allen, die hier leben und dazu gehören, auf bürgerschaftliche Zuwendung zu diesem Gemeinwesen, zu Deutschland und seiner rechtsstaatlichen und freiheitlichen Ordnung. 2. Die Grundrechte bestehen unabhängig davon, welcher Religion jemand angehört. Innerhalb der staatlichen Sphäre, also dort, wo der Staat handelt, spielt die Religion keine Rolle, darf keine Rolle spielen, denn der Staat ist neutral: Er darf seinem Handeln keine explizit religiöse Begründung geben. Hierin drückt sich die Trennung von Staat und Religion aus, die Säkularität des Staates. Ohne Säkularität kann es keine Religionsfreiheit geben. 3. Das auf wechselseitige Zugewandtheit beruhende Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes bietet ein erhebliches Integrationspotential. Es eröffnet die Möglichkeit der Einbeziehung von Religion auch im staatlichen Bereich des öffentlichen Lebens und der Anerkennung ihres öffentlichen Wirkens. Der Staat zeigt sich damit offen für die religiösen Überzeugungen seiner Bürger. Diese Offenheit besteht gegenüber allen Religionen gleichermaßen. Angesichts des Umstands, dass der Staat religiös und weltanschaulich neutral ist, ist der Anspruch der Muslime auf Gleichbehandlung im Verhältnis zum Staat also berechtigt. 4. Die religionsverfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes kann diese Gleichbehandlung leisten. Hierzu müssen allerdings die vorhandenen Potentiale für die Weiterentwicklung und Flexibilisierung genutzt werden. Geschieht dies, stellen die Anforderungen an die Selbstorganisation der Muslime keine unüberwindbaren Hürden dar. Entscheidend ist, dass sichergestellt ist, dass es sich um eine Kooperation von Religion und Staat handelt, deren Inhalt von den Gläubigen selbst getragen wird. 5. Die Entwicklungen in der jüngsten Zeit hin zur Einrichtung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts und zur Etablierung von Studiengängen für islamische Theologie sind wichtige Schritte hin zu einer Beheimatung des Islam in Deutschland. Die in diesem Rahmen errichteten Kooperationsstrukturen sind für eine Übergangszeit hinzunehmen, müssen allerdings einmünden in die Gründung einer oder mehrere islamischer Religionsgemeinschaften. 6. Die inhaltlichen Bindungen eines islamischen Religionsunterrichts in der öffentlichen Schule gehen über die formale Rechtstreue hinaus. Der Staat ist befugt und verpflichtet zu verlangen, dass die grundlegenden Erziehungsziele auch im Religionsunterricht beachtet werden. Hieraus ergibt sich, dass über die Verpflichtung zum Respekt der geltenden Rechts- und Verfassungsordnung hinaus, die positive Akzeptanz der elementaren Grundsätze des freiheitlichen und säkularen Verfassungsstaates zu fordern ist. 7. Ein islamischer Religionsunterricht kann einen bedeutsamen Beitrag zur Integration der jungen Muslime (und ihrer Eltern) leisten. Denn seine Aufgabe ist es auch, die jungen Muslime mit jenen Konflikten zu konfrontieren, die zwischen einem traditionsgebundenen Verständnis des Islam und dem Grundgesetz bestehen können. Die kritische Auseinandersetzung mit der Religion in ihrer Vielfalt und ihrem Wirken in der Welt ist Teil der Wissenschaftlichkeit, die von einem ordentlichen Lehrfach erwartet werden muss. 8. Gegenstand des islamischen Religionsunterrichts muss neben der Vermittlung der Religionspraxis und der Stärkung der Identifikation der muslimischen Kinder mit ihrem Glauben die Bewältigung und Anerkennung des Umstandes stehen, dass in einer nicht muslimischen Umwelt das Individuum als Träger der Religionsfreiheit stärker in den Vordergrund rückt und eine große Pluralität von Zugängen zum Islam als Religion hervorbringt. Diese Entwicklung wird vom organisierten Islam bislang nicht hinreichend zur Kenntnis genommen. Jedenfalls Teile von ihm beharren auf einem traditionellen Verständnis des Islam und des Glaubensvollzuges, das insbesondere Kinder und Jugendliche in der Schule in erhebliche Konflikte zwischen den schulischen Anforderungen einerseits und den Anforderungen des Glaubens andererseits bringen kann. 9. Die Schule ist der Ort, an dem Identität vermittelt und gebildet wird. In der Schule werden die Grundlagen für spätere gesellschaftliche Partizipation des Einzelnen gelegt. Neben der Vermittlung von Wissen umfasst die schulische Erziehung die Erziehung zu Toleranz und Offenheit sowie zur freiheitlich demokratischen Gesinnung und zu eigenständigem Denken. Gegenüber diesen Grundsätzen, die man getrost als Leitkultur des freiheitlichen Verfassungsstaates bezeichnen kann, ist der Staat nicht neutral. Er vermittelt diese Grundsätze einschließlich ihrer Entstehungsbedingungen auch innerhalb der öffentlichen Schule. 10. In der öffentlichen Schule kommen Schüler unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Religion zusammen. Auch wenn die Schule also der Ort ist, an dem auf die Auseinandersetzung mit Andersgläubigen in besonderer Weise vorbereitet wird, so müssen doch der Religionsfreiheit im Interesse eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens und der Funktionsfähigkeit der Schule Grenzen gezogen werden. 11. Die demokratische Freiheit erfordert einen politischen Prozess, der ohne die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung nicht denkbar ist. In der jüngeren Zeit ist von verschiedenen Seiten, muslimischer und christlicher, die stärkere Aktivierung des Blasphemieparagraphen gefordert worden. Dieser stellt die Verunglimpfung des Religiösen unter Strafe, allerdings nur dann, wenn von dieser Verunglimpfung eine Gefahr für den öffentlichen Frieden ausgeht. Die Vorschrift dient nicht dem Schutz der religiösen Gefühle Einzelner bzw. religiöser Gruppierungen. Keine Religion kann Verschonung verlangen vor Leugnung, Kritik und Verspottung. Dies ist nicht als Plädoyer für einen ungezügelten Meinungskampf zu verstehen, der auf die Gefühle Andersdenkender keine Rücksicht nimmt. Es ist nur so, dass es regelmäßig nicht der Gesetzgeber und die Gerichte sein können, die diese Form der gegenseitigen Rücksichtnahme erzwingen, sondern das ist eine Frage der politischen Kultur. 12. Die Sicherung von Integration im Sinne der gleichberechtigten Teilhabe aller ist nicht nur eine staatliche, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Integration braucht zivilgesellschaftliches Engagement von allen, im religiösen und nicht religiösen Kontext. Die immer stärkere Diversifizierung der Gesellschaft ist Ausdruck eines modernen, sich stetig weiter entwickelnden und vor allen Dingen freien Gemeinwesens. Hieraus ergeben sich Chancen, aber auch Herausforderungen und Konflikte, die die offene Bürgergesellschaft mit ihrer Kraft zum Dialog annehmen muss. Hierbei muss es darum gehen, sicherzustellen, dass die Menschen untereinander kommunikationsfähig und –willig bleiben, dass es ihnen trotz aller Unterschiede möglich ist, Politik in Deutschland gemeinsam zu gestalten. Das hierfür notwendige allen gemeinsame Fundament ist die Akzeptanz des Grundgesetzes und die Erkenntnis, dass der Staat des Grundgesetzes nicht ausgrenzt, sondern einbezieht, nicht Entwicklungsmöglichkeiten nimmt, sondern bietet, kurz ein Staat der Teilhabe und Freiheit ist.