Mathematische Grundlagen MSE WS 2011/12 H. Egger und M. Schlottbom 2. November 2011 2 1 Vorbermerkungen Als Grundlage für die Vorbereitung dieser Vorlesung dienten die Bücher • R. Ansorge und H.-J. Oberle: Mathematik für Ingenieure, Band 1, 3te Auflage, WileyVCF, 2000. • K. Meyberg und P. Vachenhauer: Höhere Mathematik, Band 1, Springer, 1999. Reichliches Übungsmaterial kann in den Bänden • Ansorge, Oberle, Übungsaufgaben • Viele Autoren, Mathematik, Spektrum, 2010. gefunden werden. Als weiterführende Literatur zu den Themenbereichen Analysis, Lineare Algebra und Numerik sei auf die Bücher • Königsberger, Analysis, • Fischer, Lineare Algebra, • W. Dahmen und A. Reusken: Numerische Mathematik, 2te Auflage, Springer, 2008. verwiesen. Im folgenden Skript werden elementare mathematische Begriffe eingeführt, sowie Grundlagen der linearen Algebra und der eindimensionalen Analysis besprochen. Theoretische Resultate werden an Beispielen veranschaulicht, und die tatsächliche Durchführung komplexer Rechnungen mittels numerischer Methoden wird anhand verschiedener Aufgabenstellungen behandelt. 2 1 Grundlegende Begriffe Die Mathematik beruht auf einigen (wenigen) Axiomen (Postulaten), in denen grundlegende Zusammenhänge festgestellt werden, die sich i.A. nicht beweisen lassen. In Definitionen werden neue Begriffe eingeführt, und in mathematischen Sätzen werden aus einfachen Voraussetzungen kompliziertere Folgerungen hergeleitet. Die Sätze sind als Aussagen formuliert, deren (immerwährende) Richtigkeit in Beweisen gezeigt wird. In dieser Definition-Satz-Beweis Manier lässt sich das Gebäude der Mathematik schrittweise erweitern. Weitere grundlegende Objekte der Mathematik sind Mengen und Funktionen. Im vorangehenden Beispiel wurde etwa bereits die Menge der natürlichen Zahlen verwendet. Die Variable n wurde als Platzhalter für beliebige natürliche Zahlen verwendet, und die Bedeutung der Symbole · oder = als bekannt vorausgesetzt. Im folgenden Abschnitt werden diese Grundbegriffe näher erläutert. Weiterhin wird das Formulieren und Beweisen von mathematischen Sätzen anhand von Beispielen exemplarisch vorgestellt. 1.1 Aussagenlogik Die Formulierung von mathematischen Sätzen (Resultaten) erfolgt in Aussagen. Definition 1.1. Eine Aussage A ist ein feststellender Satz, dem ein eindeutiger Wahrheitswert w(A) zugewiesen werden kann. Wir definieren w(A) = 1 w(A) = 0 :⇔ :⇔ A ist wahr, A ist falsch. Bemerkung 1.2. w(A) kann nur die Werte 0 oder 1 annehmen, Halbwahrheiten sind also nicht zulässig. Das Symbol :⇔ dient zur Definition, also: der Wahrheitswert w(A) von A ist per Definition 1 (0) falls A wahr (falsch) ist. Beispiel 1.3. • Die Erde ist eine Scheibe. • 5 > 4. 4 Grundlegende Begriffe Um keine mathematischen Aussagen handelt es sich jedoch bei • Komm endlich her! • 5 Sekunden ist ziemlich kurz. • Wirklich? Durch Verknüpfungen (Junktoren) lassen sich aus einfachen Aussagen kompliziertere bilden. Definition 1.4. Für Aussagen A und B werden folgende Symbole (Junktoren) definiert: ¬A : A∧B : A∨B : A⇒B: nicht A A und B A oder B falls A, dann B (Negation), (Konjunktion), (Disjunktion), (Implikation), A⇔B: A genau dann, wenn B (Äquivalenz). Der Wahrheitswert der verknüpften Aussagen ist in folgender Wahrheitstafel definiert: A 1 1 0 0 B 1 0 1 0 ¬A A ∧ B 0 1 0 0 1 0 1 0 A∨B 1 1 1 0 A⇒B 1 0 1 1 A⇔B 1 0 0 1 Bemerkung 1.5. Mathematische Sätze sind typischerweise als Implikation A ⇒ B formuliert. Dabei heißt A die Voraussetzung (Prämisse) und B die Behauptung (Folgerung, Conclusio). Man beachte: • Die Implikation A ⇒ B ist immer auch dann wahr, wenn die Voraussetzung A falsch ist, egal ob die Behauptung B stimmt oder nicht! Z.B. ist die Aussage: “Falls ich morgen 1000 Jahre alt werde, bekommt jeder meiner Studenten eine Million Euro” wahr, und somit wohl nicht einklagbar :) • Die Voraussetzung A ist hinreichend für die Folgerung B (“wenn A dann B”); umgekehrt ist die Folgerung B notwendig für A (“wenn B nicht stimmt, dann kann auch A nicht wahr sein”; siehe unten). Weiterhin sei bemerkt: • Das Symbol ∨ mein ein einschließliches “oder”, also A ∨ B ist wahr, wenn zumindest eine (oder beide) der Aussagen A oder B wahr sind. • Das Äquivalenzsymbol ⇔ hat für Aussagen eine ähnliche Bedeutung, wie das Gleichheitszeichen für Zahlen. 1.1 Aussagenlogik 5 Beispiel 1.6. Sei x := 2. Die Aussagen A und B seien gegeben durch A :⇔ (x > 5) und B :⇔ (x < 3). Wir erhalten verknüpfte Aussagen mit folgender Bedeutung: • ¬A bedeutet: x ≤ 5. Die Aussage ist wahr (da x = 2). • A ∧ B heißt: x > 5 und x < 3. Die Aussage ist falsch, da A falsch ist. Die Aussage wäre sogar für jede reelle Zahl x falsch, da x nicht gleichzeitig größer als 5 und kleiner als 3 sein kann. • A ∨ B heißt: x > 5 oder x < 3. Das stimmt, da B richtig ist. Die Aussage wäre falsch für reelle Zahlen 3 ≤ x ≤ 5. • A ⇒ B bedeutet: aus x > 5 folgt x < 3 (oder “wenn x > 5, dann auch x < 3). Da die Voraussetzung nicht stimmt, ist die Aussage wahr!, und zwar nicht nur für x = 2, sondern für jedes x ≤ 5! • A ⇔ B heißt: x > 5 genau dann, wenn x < 3. Die Aussage A ist falsch, B is wahr. Die Aussagen sind also nicht äquivalent, und somit w(A ⇔ B) = 0. Dies gilt wiederum für jedes reelle x. Anhand einer Wahrheitstabelle überzeugt man sich leicht, dass die Aussage ¬(¬A) ⇔ A, immer gilt. Solche immer geltende Wahrheiten heißen Tautologien, und diese können als “Rechenregeln” beim logischen Argumentieren verwendet werden. Satz 1.7. Seien A und B Aussagen. Dann gilt ¬(¬A) ⇔ A, (A ⇒ B) ⇔ ((¬B) ⇒ (¬A)), (A ⇒ B) ⇔ (B ∨ (¬A)), (A ⇒ B) ⇔ ¬(A ∧ (¬B)), sowie die De Morgan’schen Regeln ¬(A ∧ B) ⇔ ((¬A) ∨ (¬B)), ¬(A ∨ B) ⇔ ((¬A) ∧ (¬B)) Beweis. Mit Wahrheitstafeln. Oftmals hat man es mit Aussagen der folgenden Gestalt zu tun: • Für alle reellen Zahlen x gilt x2 ≥ 0. • Es gibt eine natürliche Zahl n mit n > 1. Diese Aussagen beinhalten Teile der Form x2 ≥ 0 bzw. n > 1, welche erst durch Einsetzen eines konkreten Objektes einen Sinn bekommen. 6 Grundlegende Begriffe Definition 1.8. Eine Aussageform ist ein formaler Ausdruck der Art A(x), welcher durch Einsetzen eines konkreten Objektes für die Variable x zu einer Aussage wird. Beispiel 1.9. Wir betrachten die Aussageform A(x) welche für natürliche Zahlen durch A(x) :⇔ x > 5 definiert sei. Für jedes x ≤ 5 ist diese Aussage falsch, während z.B. die Aussage A(6) wahr ist. Man beachte, dass x vorderhand eine “freie” Variable ist, A(x) also keinen Wahrheitsgehalt besitzt solange x kein Wert zugewiesen wurde. Definition 1.10 (Quantoren). Sei M eine Menge, und A(x) eine Aussageform, welche für x ∈ M wohldefiniert ist. Die Symbole ∀ und ∃, definiert durch ∀x ∈ M : A(x) ∃x ∈ M : A(x) :⇔ :⇔ Für alle x ∈ M gilt A(x), Es existiert ein x ∈ M für das A(x) gilt, heißen All- bzw. Existenzquantor. Weiterhin verwenden wir den Quantor ∃!x ∈ M : A(x) :⇔ A(x) stimmt für genau ein x ∈ M. Zum Begriff der Menge sowie des Elementsymbols ∈ siehe weiter unten. Bemerkung 1.11. Sei M = {1, 2, 3} gegeben. Man beachte ∀x ∈ M : (x > 5) ⇔ ((1 > 5) ∧ (2 > 5) ∧ (3 > 5)) sowie ∃x ∈ M : (x > 5) ⇔ ((1 > 5) ∨ (2 > 5) ∨ (3 > 5)). Die Quantoren ∀ und ∃ erlauben also “und“- bzw. “oder“-Verkettungen vieler Aussagen gleicher Gestalt kompakt darzustellen. Beispiel 1.12. “Es gibt genau eine reelle Zahl r > 0 mit r·r = 2” lässt sich formal ausgedrücken √ als: “∃!r > 0 reell : r · r = 2“. Diese Aussage ist wahr, und das richtige √ r ist gegeben √ r = 2. Die Aussage “∃!r reell : r · r = 2“ ist jedoch falsch, da neben r = 2 auch r = − 2 Lösung ist. Beispiel 1.13. Sei A(x) :⇔ x > 5 wie oben definiert, und M = {5, 6}. Dann ist ∀x ∈ M : A(x) eine falsche Aussage, denn (∀x ∈ M : A(x)) ⇔ (5 > 5) ∧ (6 > 5)). D.h., nicht “für alle x in M is x > 5”. Andererseits ist die Aussage ∃x ∈ M : A(x) wahr, denn (∃x ∈ M : A(x)) ⇔ (5 > 5) ∨ (6 > 5)), und die letzte Ungleichung ist korrekt bzw w(A(6)) = 1. “Es gibt ein x in M , sodass x > 5.” 1.2 Mengen und Relationen 7 Die DeMorgan’schen Regeln lassen sich wie folgt auf Quantoren erweitern. Satz 1.14. Die Aussageform A(x) sei für x ∈ M wohldefiniert. Dann gilt ¬(∀x ∈ M : A(x)) ⇔ ∃x ∈ M : (¬A(x)) ¬(∃x ∈ M : A(x)) ⇔ ∀x ∈ M : (¬A(x)) . Beispiel 1.15. Man beachte das vorhergehende Beispiel zu Quantoren. Weiterhin gilt: • Das Gegenteil von A :⇔ “alle Professoren unterrichten Mathematik” ist ¬A :⇔ “Es gibt einen Professor, der nicht Mathematik unterrichtet”. • Das Gegenteil von ∃x ∈ M : x > 5 ist ∀x ∈ M : x ≤ 5. 1.2 Mengen und Relationen Im folgenden beschäftigen wir uns mit dem Begriff der Menge und elementaren Konstruktionsprinzipien für solche. Nach Georg Cantor verstehen wir unter einer Menge anschaulich eine Zusammenfassung bestimmter, wohl unterscheidbarer Objekte zu einem Ganzen. Bemerkung 1.16. Dieser Mengenbegriff ist nicht ganz widerspruchsfrei, wie folgendes Beispiel belegt: “M sei die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten”. Das ist ein typisches Paradoxon, die “Russel’sche Antinomie”. Mengen können auf verschiedene Arten angegeben werden, etwa durch • Aufzählung der Elemente: M1 = {1, 2, 3} oder M2 = {∗, 0 a0 , M }, oder durch • Angabe einer Vorschrift, wie die Elemente konstruiert werden können, z.B. M3 = {x : x ist Bürger von Österreich} oder M = {x reelle Zahl : x < 5}. Mit ∅ oder {} bezeichnen wir die leere Menge, welche kein Element enthält. Definition 1.17. Sei M eine Menge, und x ein Objekt. Wir definieren die Symbole (Relationen) a∈M a 6∈ M :⇔ :⇔ a ist Element von M, ¬(a ∈ M ). Beispiel 1.18. Folgende Mengen werden immer wieder verwendet. • Die Menge der natürlichen Zahlen N := {1, 2, 3, . . .} und N0 := {0, 1, 2, . . .}. • Die Mengen der ganzen Zahlen Z := {0, −1, 1, −2, 2, . . .} sowie der rationalen Zahlen Q := {q : q = m/n wobei m ∈ Z, n ∈ N}. Ist q = m/n, dann heißt m Zähler, und n Nenner des Bruchs m/n. 8 Grundlegende Begriffe • Die reellen Zahlen R := {r : r ist reelle Zahl }. Mehr dazu später. Definition 1.19. Für zwei Mengen M und N definieren wir die folgenden Symbole M ⊂ N :⇔ ∀x ∈ M : (x ∈ N ) M = N :⇔ ((M ⊂ N ) ∧ (N ⊂ M ) (Teilmenge) (Gleichheit) Gilt M ⊂ N , so heißt M Teilmenge von N . Das Gegenteil wird mit M 6⊂ N ausgedrückt. Beispiel 1.20. • Offene, halboffene, und geschlossene Intervalle. Für a, b ∈ R definieren wir folgende Teilmengen von R: [a, b] := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b}, [a, b) := {x ∈ R : a ≤ b < c}, und (a, b) = {x ∈ R : a < x < b}. • Es gilt N ⊂ N0 ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R. • Für alle Mengen M gilt: {} ⊂ M . • Sei M = {1, 2} und N = {1, 2, 3}. Dann gilt M ⊂ N , N 6⊂ M , also M 6= N . Bemerkung 1.21. Für jede beliebige Aussageform A(x) gilt: ∀x ∈ {} : A(x). Über die leere Menge darf man also alles behaupten. Für die Konstruktion von Mengen aus bereits bekannten Mengen können folgende Operationen verwendet werden Definition 1.22. Für Mengen M und N definieren wir die Symbole (Operationen) M ∩N M ∪N M \N :⇔ :⇔ :⇔ {x : (x ∈ M ) ∧ (x ∈ N )}, {x : (x ∈ M ) ∨ (x ∈ N )}, {x : (x ∈ M ) ∧ (x 6∈ N )}, (Durchschnitt) (Vereinigung) (Differenz). Beispiel 1.23. • Sei M = {1, 2, 3} und N = {2, 4, 7}. Dann ist M ∩ N = {2}, M ∪ N = {1, 2, 3, 4, 7} und M \ N = {1, 3}. • Sei M = {n ∈ N : n < 3} und N = {n ∈ N : n > 3}. Dann ist M ∩ N = {}, M ∪ N = N \ {3} und M \ N = M . • Sei M = {x ∈ R : 0 ≤ x < 1} und N = {x ∈ R : x2 ≤ 1/4}. Dann ist N = {x ∈ R : −1/2 ≤ x ≤ 1/2} und daher M ∩ N = {x ∈ R : 0 ≤ x ≤ 1/2}, M ∪ N = {x ∈ R : −1/2 ≤ x < 1} und M \ N = {x ∈ R : 1/2 < x < 1}. Die elementaren Mengenoperationen lassen sich gut in so-genannten Venn-Diagrammen veranschaulichen. 1.2 Mengen und Relationen 9 Venn Diagramme Für das “Rechnen” mit Mengen gelten, ähnlich wie beim Rechnen mit Zahlen, folgende Regeln. Hierbei spielen ∩ bzw. ∪ die Rolle von · bzw. +. Satz 1.24. Seien M , N , O Mengen. Dann gilt M ∩ N = N ∩ M und M ∪ N = N ∪ M (M ∩ N ) ∩ O = M ∩ (N ∩ O) und (M ∪ N ) ∪ O = M ∪ (N ∪ O) (M ∪ N ) ∩ O = (M ∩ O) ∪ (N ∩ O) (Kommutativität) (Assoziativität) (Distributivität) Beweis. Wir zeigen nur die erste Behauptung, die restlichen folgen analog. Es gilt x ∈ (M ∩ N ) ⇔ (x ∈ M ) ∧ (x ∈ N ) ⇔ (x ∈ N ) ∧ (x ∈ M ) ⇔ x ∈ (N ∩ M ). Wir haben hier verwendet, dass die ∧ Verknüpfung kommutativ ist. Definition 1.25. Zur Konstruktion von Mengen definieren wir M ×N P (M ) :⇔ :⇔ {(x, y) : (x ∈ M ) ∧ (y ∈ N )}, {N : N ⊂ M }, (Cartesisches Produkt) (Potenzmenge). Bemerkung 1.26. Beim Cartesischen Produkt bezeichnet (x, y) ein geordnetes Paar. Für diese ist Gleichheit definiert durch (x1 , y1 ) = (x2 , y2 ) :⇔ (x1 = x2 ) ∧ (y1 = y2 ). Es kommt also auf die Reihenfolge an, und im Allgemeinen ist (x, y) 6= (y, x). Beispiel 1.27. Sei M = {1, 2} und N = {3, 4, 5}. Dann ist P (M ) = {{}, {1}, {2}, {1, 2}} und M × N = {(1, 3), (1, 4), (1, 5), (2, 3), (2, 4), (2, 5)}. Die Definitionen von Durchschnitt, Vereinigung und Cartesischem Produkt lassen sich sofort auf mehrere Mengen verallgemeinern. 10 Grundlegende Begriffe Definition 1.28. Mit Mi seien für 1 ≤ i ≤ n Mengen bezeichnet. Wir definieren n [ i=1 n \ i=1 n Y Mi := M1 ∪ M2 ∪ . . . ∪ Mn := {x : ∃i ∈ {1, . . . , n} : (x ∈ Mi )} Mi := M1 ∩ M2 ∩ . . . ∩ Mn := {x : ∀i ∈ {1, . . . , n} : (x ∈ Mi )} Mi := M1 × M2 × . . . × Mn := {(x1 , . . . , xn ) : ∀i ∈ {1, . . . , n} : (xi ∈ Mi )}. i=1 Bemerkung 1.29. • Gilt M1 = M2 = . . . = Mn = M , dann schreiben wir auch M n := Qn i=1 M. • Das n-fache Cartesische Produkt besteht aus n-Tupeln (x1 , . . . , xn ), die angeordnete Folgen von je n Objekten sind; die Reihenfolge ist wichtig! Beispiel 1.30. Mit R2 := R × R und R3 := R × R × R bezeichnen wir die Punkte (x, y) bzw (x, y, z) in der Euklideschen Zahlenebene, bzw. dem Euklidischen dreidimensionalen Raum. Beide werden in den folgenden Kapiteln häufig verwendet. Als abschließendes Beispiel soll nochmals ausdrücklich auf den elementaren Zusammenhang zwischen Mengen und Aussagen hingewiesen werden. Sn Bemerkung Tn 1.31. Es gilt: x ∈ i=1 Mi ⇔ ∃i ∈ {1, . . . , n} : x ∈ Mi und in ähnlicher Weise auch x ∈ i=1 Mi ⇔ ∀i ∈ {1, . . . , n} : x ∈ Mi . Es besteht also ein elementarer Zusammenhang zu den Quantoren. 1.3 Abbildungen Definition 1.32. Seien M und N Mengen. Eine Abbildung (Funktion) von M in N ist eine Vorschrift, welche jedem Element x ∈ M genau ein Element y = f (x) ∈ N zuordnet. Wir schreiben f : M → N, x 7→ f (x). M heißt Definitionsbereich (Urbildbereich) und N Bildbereich (Wertemenge) von f . Mit Graph(f ) := {(x, f (x)) : x ∈ M } ⊂ M × N bezeichnet man den Graphen der Funktion f . Bemerkung 1.33. Wichtig is hier, dass es für jedes x ∈ M genau ein y ∈ N mit y = f (x). Dies wird durch das Symbol x 7→ f (x) ausgedrückt. Beispiel 1.34. 1.3 Abbildungen 11 • f : R → R, x 7→ 2 · x ist eine Funktion. • f : {a, b, c} → {1} mit f (a) = 1, f (b) = 1, f (c) = 1 ist eine Funktion. • f : {a, b} → {1} mit f (a) = 1 ist keine Funktion. Dem Argument b is kein Funktionswert zugewiesen. Bemerkung 1.35. • Handelt es sich bei M um eine Menge mit endlich vielen Elementen, so kann die Vorschrift f (x) tabellarisch angegeben werden. • Seien M, N ⊂ R. Dann kann f : M → N durch Darstllung des Funktionsgraphen veranschaulicht werden. Wir wollen noch weitere Begriffe festlegen. Definition 1.36. Für A ⊂ M und B ⊂ N heißen die Mengen f (A) := {y ∈ N : ∃x ∈ A : y = f (x)} ⊂ N, f (B) := {x ∈ M : f (x) ∈ B} ⊂ M −1 das Bild von A bzw. das Urbild von B unter (der Funktion) f . Beispiel 1.37. Wir betrachten die Funktion f : [0, 2] → R, x 7→ 2x + 1. Es ist dann f ([0, 2]) = [1, 5] und f −1 ((1, 3)) = (0, 1). Man veranschauliche sich hierzu den Funktionsgraphen. Definition 1.38. Eine Funktion f : M → N heißt • injektiv, falls f (x1 ) = f (x2 ) ⇒ x1 = x2 für jedes x1 , x2 ∈ M . Zwei verschiedene Argumente können also nicht dasselbe Bild erzeugen. • surjektiv, falls ∀y ∈ N ∃x ∈ M : y = f (x). D.h., jedes Element im Bildbereich wird tatsächlich angenommen. • bijektiv, falls f injektiv und surjektiv ist. Beispiel 1.39. Die Funktion f : [0, 1] → R, x 7→ 2x + 1 ist • injektiv: Es gilt nämlich f (x1 ) = f (x2 ) ⇔ 2x1 + 1 = 2x2 + 1 ⇔ 2x1 = 2x2 ⇔ x1 = x2 . • nicht surjektiv: y = 0 liegt im Bildbereich, es gibt aber kein x im Urbildbereich [0, 1] für das f (x) = 0 ist. Das sieht man durch Auflösen f (x) = 0 ⇔ 2x + 1 = 0 ⇔ 2x = −1 ⇔ x = −1/2. x = −1/2 wäre also die einzige Möglichkeit, um mit der Vorschrift f (x) = 2x + 1 den Wert 0 zu erreichen. −1/2 liegt aber nicht im Definitionsbereich. 12 Grundlegende Begriffe Es folgt, dass f auch nicht bijektiv ist. Bemerkung 1.40. Eine Funktion kann surjektiv gemacht werden, indem man den Wertebereich auf diejenigen Werte einschränkt, die tatsächlich angenommen werden, d.h., jede Funktion f : M → f (M ) ist automatisch surjektiv. Beispiel 1.41. Wir definieren f : [0, 2] 7→ [1, 5] mit x 7→ 2x + 1 wie oben. Dann ist f surjektiv, und mit obiger Überlegung auch injektiv, und somit bijektiv. Man veranschauliche sich den Unterschied zu oben anhand des Funktionsgraphen. Bemerkung 1.42. Für Funktionen f : M ⊂ R → N ⊂ R lässt sich anhand des Funktionsgraphen leicht entscheiden, ob Injektivität und/oder Surjektivität vorliegt. Injektivität bzw. Surjektivität reeller Funktionen Definition 1.43 (Hintereinanderausführung). Seien M , N , O Mengen, und f : M → N , g : N → O Funktionen. Dann ist mit (g ◦ f ) : M → O, x 7→ g(f (x)) eine Funktion (die Hintereinanderausführung von g und f ) definiert. Bemerkung 1.44. Zur besseren Unterscheidung haben wir das Symbol y für Elemente der Bildmenge N verwendet, und im Gegensatz dazu x für Elemente des Urbildbereiches. Satz 1.45. Sei f : M → N , x 7→ f (x) bijektiv. Dann existiert eine Abbildung g : N → M , y 7→ g(y) sodass (g ◦ f )(x) = g(f (x)) = x for all x ∈ M. Die Abbildung g heißt Umkehrabbildung und wird mit g = f −1 bezeichnet. Bemerkung 1.46. Die einfache Abbildung idM : M → M , x 7→ x wird Identitätsabbildung genannt. Obiger Satz liefert also f −1 ◦ f = idM . Ebenso gilt f ◦ f −1 = idN . Beispiel 1.47. Wie gezeigt, ist die Funktion f : [0, 2] → [1, 5], x 7→ 2x + 1 bijektiv. Die Umkehrabbildung erhält man, indem man die Gleichung y = 2x + 1 nach x auflöst (umkehrt). Man erhält y = 2x + 1 ⇔ y − 1 = 2x ⇔ (y − 1)/2 = x. 1.3 Abbildungen 13 Die Umkehrabbildung lautet also f −1 : [1, 5] → [0, 1], y 7→ (y − 1)/2. Zur Probe überprüfen wir f −1 (f (x)) = x: Ersetzen von y durch f (x) liefert f −1 (f (x)) = (f (x) − 1)/2 = ((2x + 1) − 1)/2 = 2x/2 = x, was wir zeigen wollten. Aufgaben Aufgabe 1. Bilden Sie von jeder der folgenden Aussagen die Verneinung und stellen Sie fest, ob jeweils die Aussage selbst oder ihre Verneinung wahr ist (mit Begründung). (a) Jeder Mensch hat blaue Augen. (b) ∀x ∈ Q∃y ∈ Q : x · y = 1. Aufgabe 2. Es seien A, B und C mathematische Aussagen. Zeigen Sie mit Hilfe von Wahrheitstafeln: (a) (A ⇒ B) ⇐⇒ (¬B ⇒ ¬A), (b) (A ∧ ¬B) ∨ (¬A ∧ B) ⇐⇒ ¬(A ⇔ B). Aufgabe 3. Geben Sie folgende Mengen in aufzählender Form an: (a) {x ∈ N : x5 = −1}, {x ∈ Z : x5 = −1}, (b) {(x, y) ∈ {1, 2, 3} × {4, 5, 6, 7} : x · y ist gerade}, (c) {x ∈ Z : 2 ≤ x2 ≤ 9}, (d) {x3 : x ∈ Z ∧ −2 ≤ x ≤ 3}. Aufgabe 4. Seien K, L und M Mengen. Zeigen Sie: (a) K \ (K \ L) = K ∩ L, (b) K \ (L ∪ M ) = (K \ L) ∩ (K \ M ), (c) K \ (L ∩ M ) = (K \ L) ∪ (K \ M ). Aufgabe 5. Untersuchen Sie die folgenden Abbildungen auf Injektivität, Surjektivität und Bijektivität: (a) f1 : R → R, x 7→ exp(x), (b) f2 : Z → Z, x 7→ 2x − 1, (c) f3 : R → R, x 7→ 2x − 1, 14 Grundlegende Begriffe (d) f4 : N × R → R, (x, y) 7→ x · y. Skizzieren Sie die Funktionen fi für i ∈ {1, 2, 3}. Aufgabe 6. Es seien A, B und C nicht-leere Mengen und f : A → B und g : B → C zwei Abbildungen. Zeigen Sie: (a) Wenn g ◦ f injektiv ist, dann muss auch f injektiv sein, aber g im Allgemeinen nicht. (b) Wenn g ◦ f surjektiv ist, dann muss auch g surjektiv sein, aber f im Allgemeinen nicht. 2 Zahlenmengen und Rechentechniken Im folgenden Kapitel betrachten wir die Zahlenmengen N und R der natürlichen bzw. reellen Zahlen. Darüber hinaus wird die Menge C der komplexen Zahlen eingeführt. 2.1 Natürliche Zahlen Nach unserem Verständnis ist die Menge der natürlichen Zahlen gegeben durch N = {1, 2, 3, . . .}. (2.1) Bei genauerer Betrachtung stellt sich die Frage, was mit . . . gemeint ist. Die natürlichen Zahlen lassen sich vollständig wie folgt charakterisieren: Axiom 2.48 (Peano Axiome). Die Menge N der natürlichen Zahlen ist eine Menge mit folgenden Eigenschaften: 1. 2. 3. 4. 5. 1∈N ∀n ∈ N : n + 1 ∈ N ∀n ∈ N : n + 1 6= 1 ∀m, n ∈ N : (m 6= n ⇒ m + 1 6= n + 1) 1 ∈ M ∧ (∀n ∈ M : n + 1 ∈ M ) ⇒ N ⊂ M Eins ist eine natürliche Zahl jede natürliche Zahl hat einen “Nachfolger” Eins hat keinen “Vorgänger” Ungleichheit bleibt für Nachfolger erhalten Induktionsaxiom Ohne weiteres können wir die natürlichen Zahlen um das Element 0 ergänzen, und zwar N0 := {0} ∪ N mit 1 = 0 + 1. In diesem Fall hat dann 1 einen Vorgänger, aber 0 nicht. Die wesentliche Eigenschaft bei der Charakterisierung der natürlichen Zahlen ist das Induktionsaxiom, welches besagt, dass sich die natürlichen Zahlen durch Abzählen 1, 2, 3, . . . ausschöpfen lassen. Das erklärt jetzt auch die Bedeutung der Punkte in (2.1). Die Induktionseigenschaft erlaubt uns, folgende Symbole “induktiv“ (rekursiv) zu definieren. 16 Zahlenmengen und Rechentechniken Definition 2.49. Für k ∈ N seien ak reelle Zahlen. Wir definieren Summe: Produkt: 0 X n X und für n ∈ N : ak := 0, k=1 k=1 0 Y n Y und für n ∈ N : ak := 1, k=1 ak := an + ak := an · n−1 X ak k=1 n−1 Y k=1 ak . k=1 Bemerkung 2.50. Gilt ak = a für alle k ∈ N, dann folgt n X n Y sowie a=n·a k=1 a =: an . k=1 Hier bezeichnet an die n-te Potenz von a, und es gilt: a0 := 1, a1 = a, a2 = a · a, .... Etwas informeller schreiben wir auch n X sowie ak = a1 + a2 + . . . + an n Y ak = a1 · a2 · . . . · an . k=1 k=1 Bemerkung 2.51. In natürlicher Weise erweitern wir die Definition auf allgemeine Indices, und zwar n X ak := am + am+1 + . . . + an bzw. n Y ak := am · am+1 · . . . · an k=m k=m Q P falls m ≤ n ist, sowie nk=m ak := 0 und nk=m ak := 1 wenn m > n. Man überzeugt sich leicht, dass eine Indexverschiebung bei entsprechender Anpassung der Grenzen das Ergebnis nicht beeinträchtig. So erhält man z.B. für k → l + 1 (k wird durch l + 1 ersetzt) n X k=1 ak = l+1=n X al+1 = l+1=1 n−1 X al+1 . l=0 Beispiel 2.52. Sei an := n + 1. Dann gilt 7 X n=5 an = a5 + a6 + a7 = 6 + 7 + 8 = 21; 6 Y an = a5 · a6 = 6 · 7 = 42. n=5 Aus der Induktionseigenschaft lässt sich sofort das folgende wichtige Beweisprinzip ableiten, mit dem wir verschiedene Sätze beweisen werden. 2.1 Natürliche Zahlen 17 Satz 2.53 (Prinzip der vollständigen Induktion). Sei A(n) eine Aussageform, die für alle n ∈ N definiert ist. Falls 1. A(1) wahr ist, und (Induktionsanfang) 2. für alle n ∈ N aus A(n) auch A(n + 1) folgt. (Induktionsschluss) Dann gilt die Aussage A(n) für alle n ∈ N. Formal ausgedrückt: (A(1) ∧ (∀n ∈ N : A(n)=⇒A(n + 1)))=⇒(∀n ∈ N : A(n)). Bemerkung 2.54. • Gilt der Induktionsanfang A(n0 ) für irgendein n0 ∈ N0 , und der Induktionsschluss für alle n ≥ n0 . Dann gilt die Aussage A(n) ebenfalls (zumindest) für alle n ≥ n0 . Der Satz wurde für n0 = 1 formuliert. • Anstelle des Induktionsschlusses 2. kann man auch die Variante 2.’ für alle n ∈ N gilt: Aus A(m) für alle 1 ≤ m ≤ n folgt A(n + 1). Wir dürfen als Voraussetzung also nicht nur A(n) sondern A(m) für alle m ≤ n verwenden. Als erste Anwendung des Induktionsprinzips betrachten wir das folgende Beispiel. Satz 2.55 (Der kleine Gauß). Für alle n ∈ N gilt n X k = n(n + 1)/2. k=1 Beweis. Die zu zeigende Aussage hat die Form ∀n ∈ N : A(n), wobei die Aussageform A(n) Pn definiert ist durch A(n) :⇔ k=1 k = n(n + 1)/2. Zum Beweis verwenden wir das Prinzip der vollständigen Induktion. 1. Induktionsanfang (IA): P Für n = 1 gilt: 1k=1 k = 1 sowie n(n + 1)/2 = 1(1 + 1)/2 = 1. Somit gilt A(1). 2a) Induktionsvoraussetzung (IV): P Für beliebiges n ∈ N gelte A(n) bereits, also nk=1 k = n(n + 1)/2 gilt für dieses n. 2b) Induktionsschluss (IS): Zu P zeigen ist, dass dann (A(n) ist nach Voraussetzung richtig) auch A(n+1) gilt, d.h., zu zeigen zz ist n+1 k=1 k = (n + 1)(n + 2)/2: Wir beginnen mit der linken Seite der Gleichung: n+1 X P k = (n + 1) + k=1 n X k k=1 IV = (n + 1) + n(n + 1)/2 = (n + 1)(1 + n/2) = (n + 1)(2 + n)/2, was genau die zu zeigende Aussage A(n + 1) ist. Nach dem Prinzip der vollständigen Induktion folgt somit die Richtigkeit von A(n) für all n ∈ N. 18 Zahlenmengen und Rechentechniken Wir führen weitere Symbole ein. Definition 2.56. Für m, n ∈ N0 mit m ≤ n definieren wir: Faktorielle (Fakultät): n! := n Y k, k=1 n n! . := m!(n − m)! m Binomialkoeffizient: Beispiel 2.57. • Nach Definition gilt auch 0! = 1. Q • 5! = 5k=1 k = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 = 120. Beispiel 2.58. • Für alle n ∈ N gilt: n n = , k n−k n n = = 1, 0 n n n = = n, 1 n−1 was man sofort durch Einsetzen in die Definition sieht. • Man kann in der Formel für den Binomialkoeffizienten ”kürzen“, und zwar n · (n − 1) · (n − k + 1) · (n − k)! n n−1 n−k+1 n n! = = · ··· . = k!(n − k)! k · (k − 1) · . . . · 1 · (n − k)! k k−1 1 k Mit Hilfe der Binomialkoeffizienten können wir Potenzen von Summen zweier Zahlen ausrechnen. Satz 2.59 (Binomische Formel). Seien a und b natürliche (reelle, komplexe) Zahlen. Dann gilt für alle n ∈ N n X n n−k k n n 0 n n−1 1 n 0 n (a + b) = a b = a b + a b + ... + ab . k 0 1 n k=0 n Beweis. Wir überprüfen die Formel für n = 1 und n = 2: Für n = 1 gilt zum einen (a + b)1 = (a + b), zum anderen haben wir n X 1 0 1 n k n−k 1 1 0 a b = ab + a b = a + b, k 0 1 k=0 2.1 Natürliche Zahlen 19 wobei wir a0 = 1 für alle reelle Zahlen a, sowie 1 0 = 1 1 = 1 verwendet haben. Somit gilt A(1). Für n = 2 erhalten wir einerseits (a + b)2 = (a + b) · (a + b) = a2 + a · b + b · a + b2 = a2 + 2ab + b2 . Andererseits liefert die binomische Formel für n = 2 2 X 2 2−k k 2 2 0 2 1 1 2 0 2 a b = ab + ab + a b = 1 · a2 + 2 · ab + 1 · b2 . k 0 1 2 k=0 Das zeigt die Richtigkeit von A(2). Der allgemeine Fall A(n) folgt mit vollständiger Induktion; Beweis siehe Übung. Unter den natürlichen Zahlen besonders ausgezeichnet sind sogenannte Primzahlen. Definition 2.60. • Für n ∈ N heißt eine natürliche Zahl m Teiler von n, falls es ein k ∈ N gibt, mit n = k · m. Wir sagen ”m teilt n”, und schreiben m|n. • Eine natürliche Zahl p > 1, die nur 1 und sich selbst als Teiler besitzt, heißt Primzahl. Satz 2.61 (Hauptsatz der Arithmetik, Primfaktorzerlegung). Jede natürliche Zahl n > 1 lässt sich als Produkt von Primzahlpotenzen schreiben, d.h., es existiert ein k ≥ 1, Primzahlen p1 , . . . pk sowie Exponenten r1 , . . . , rk (alle natürlich), sodass n= pr11 · ... · prkk = k Y pri i i=1 gilt. Die Zahlen pi und ri sind bis auf Umordnung eindeutig bestimmt. Beweis. Der Beweis wird hier nicht erbracht, kann aber relativ einfach mittels vollständiger Induktion geführt werden. Bemerkung 2.62. Für natürliche Zahlen m, n definieren wir den größten gemeinsamen Teiler bzw. das kleinste gemeinsame Vielfache als ggT(m, n) := max{k ∈ N : k|n ∧ k|m} und kgV(m, n) := min{k ∈ N : m|k ∧ n|k}. Unter Benutzung der Primzahlzerlegung kann man einfache Formeln für ggT(m, n) und kgV(m, n) angeben. Seien r̂ r̃ m = p̃r̃11 · . . . · p̃k̃k̃ , n = p̂r̂11 · . . . · p̂k̂k̂ die Primzahlzerlegungen von m und k. Wir fassen alle vorkommenden Primzahlen zu einer Menge {pj : 1 ≤ j ≤ k} = {p̃j : 1 ≤ j ≤ k̃} ∪ {p̂j : 1 ≤ j ≤ k̂}, und erweitern die Primfaktorzerlegungen von m und n zu m = pr11 · . . . · prkk , 0 0 n = pr1 1 · . . . · prk k . 20 Zahlenmengen und Rechentechniken Man beachte, dass jetzt manche Exponenten ri auch null sein können und pri i = 1. Durch Vergleich erhält man ggT(m, n) = k Y min{ri ,ri0 } pi und kgV(m, n) = i=1 k Y max{ri ,ri0 } pi , i=1 woraus durch einfache Rechnung sofort folgt, dass ggT(m, n) · kgV(m, n) = m · n. Wegen 2 m = k Y pri i 2 = i=1 k Y i p2r i i=1 sieht man sofort ein, dass ggT(m, n) = 2 k Y min{ri ,ri0 } 2 pi i=1 = k Y 2 min{ri ,ri0 } pi i=1 = k Y min{2ri ,2ri0 } pi = ggT(m2 , n2 ). i=1 Die wichtigsten Ergebnisse fassen wir in folgendem Satz zusammen. Satz 2.63. Seien m, n ∈ N. Dann gilt ggT(m, n) · kgV(m, n) = m · n und ggT(m, n)2 = ggT(m2 , n2 ). Bemerkung 2.64. Beinhalten die Primfaktorzerlegungen von m und n keine gemeinsamen Primfaktoren, dann heißen m und n teilerfremd. Mit obiger Überlegung also m, n teilerfremd :⇔ ggT(m, n) = 1. 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen Im Folgenden werden wir sehen, dass der Wunsch, bestimmte Gleichungen lösen zu können, schrittweise Erweiterungen der Menge verfügbarer Zahlen nötig macht. Ganze Zahlen: Sei n ∈ N gegeben. Die einfache Gleichung z+n=0 besitzt offensichtlich keine Lösung z ∈ N. Wir führen deshalb neue Zahlen (−n) ein, welche gerade die Lösungen dieser Gleichungen sind. Dies führt uns auf die Menge der ganzen Zahlen Z := N0 ∪ {(−n) : n ∈ N} = {0, 1, −1, 2, −2, . . .} Man beachte: Die ganzen Zahlen z mit z > 0 sind wieder natürliche Zahlen. 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 21 Bemerkung 2.65. Die Definitionen von Symbolen für natürliche Zahlen aus dem vorhergehenden Abschnitt lassen sich größtenteils auf ganze Zahlen erweitern. Ist z.B. die ganze Zahl z < 0, so gilt 0 < −z ∈ N. Jede ganze Zahl z ∈ Z \ {0} besitzt demnach ebenfalls eine (eindeutige) Primfaktorzerlegung der Form z = ±pr11 · . . . · prkk , wobei je nach Vorzeichen von z in der Formel + oder − zu wählen ist. Rationale Zahlen: Für gegebenes n ∈ N suchen wir nach einer Lösung der Gleichung q · n = 1. So ein q liegt im allgemeinen nicht in Z. Wir führen daher neue Zahlen nz als Lösung der Gleichung q · n = z mit z ∈ Z ein. Die Menge aller solcher rationaler Zahlen wird mit Q := { z : z ∈ Z, n ∈ N}. n bezeichnet. Bemerkung 2.66. • Für z = 0 gilt nz = 0. Für z 6= 0 können wir z und n in Primfaktoren zerlegen, und dann den Bruch soweit kürzen, dass Zähler und Nenner keine gemeinsamen Primfaktoren aufweisen. So gilt etwa 20 2·2·5 2·2 4 = = = . 15 3·5 3 3 Dieser Bruch lässt sich nicht weiter kürzen. • Die Zahlen 20/15 und 4/3 sind gleich und lassen sich nicht unterscheiden. In Q kommt daher eigentlich nur eine Zahl mit Wert 4/3 = 20/15 = ... vor. Reelle Zahlen: Wie das folgende Beispiel zeigt, reicht die Menge der rationalen Zahlen immer noch nicht aus, um einfache Gleichungen der Form x · x = n mit n ∈ N zu lösen. Satz 2.67 (Existenz irrationaler Zahlen). Es gibt keine Zahl x ∈ Q, sodass x · x = 2 gilt. Beweis. Die Aussage lautet formal: A :⇔ ∀x ∈ Q : x · x 6= 2. Nach den deMorgan’schen Regeln haben wir A :⇔ ∀x ∈ Q : x · x 6= 2 ⇔ ¬(∃x ∈ Q : x · x = 2) ⇔ ¬(¬A). Wir führen einen Widerspruchsbeweis, d.h., wir nehmen ¬A an, und zeigen, dass diese Annahme falsch (und somit A richtig) ist. 22 Zahlenmengen und Rechentechniken Angenommen ¬A ist richtig, d.h., ∃x ∈ Q : x · x = 2. Daraus folgt, dass x = z/n mit z ∈ Z und n ∈ N. Wir können ferner annehmen, dass z und n keine gemeinsamen Primfaktoren besitzen (sonst zuvor kürzen). Die vollständige Annahme lautet also: ∃x ∈ Q : x · x = 2 ∧ (∃n ∈ N, z ∈ Z : (x = z/n) ∧ (ggT(z, n) = 1) . Nach Annahme gilt: z2 z z · = 2, n n n 2 2 2 2 insbesondere ist n ein Teiler von z , also ggT(n , z ) ≥ n2 . Wegen z 2 6= 2 für alle z ∈ Z, folgt n2 > 1. Aus Satz 2.63 folgern wir nun, dass 2=x·x= 1 = ggT(n, z)2 = ggT(n2 , z 2 ) ≥ n2 > 1, was einen Widerspruch ergibt. Somit ist die Annahme ¬A falsch (widersprüchlich), und daher ist A wahr. Die Lösung der Gleichung x2 = x · x = 2 nennen wir √ 2, die (Quadrat-)Wurzel aus 2. Wir definieren im Folgenden die Menge der reellen Zahlen R, welche neben den rationalen Zahlen auch alle Quadratwurzeln natürlicher Zahlen, aber noch viele weitere Zahlen enthält. Die Menge R lässt sich durch folgende Rechenregeln charakterisieren. Axiom 2.68 (Axiome der reellen Zahlen). Die Menge R der reellen Zahlen enthält Q. Darüber hinaus gelten für alle x, y, z ∈ R folgende Regeln: (1) Regeln der Addition (A1) (A2) (A3) (A4) x + (y + z) = (x + y) + z x+y =y+x ∃!0 ∈ R : x + 0 = 0 + x = x ∃!(−x) ∈ R : x + (−x) = (−x) + x = 0 (assoziativ) (kommutativ) (neutrales Element; 0 Element) (inverses Element) (2) Regeln der Multiplikation (M 1) (M 2) (M 3) (M 4) (x · y) · z = x · (y · z) x·y =y·x ∃!1 ∈ R \ {0} : x · 1 = 1 · x = x 1 1 1 x 6= 0 : ∃!( ) ∈ R : x · ( ) = ( ) · x = 1 x x x (assoziativ) (kommutativ) (neutrales Element; 1 Element) (inverses Element) (3) Distributivgesetz (D) x · (y + z) = (x · y) + (x · z) (distributiv) 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 23 (4) Ordnungseigenschaften (O1) (O2) (O3) (O4) (O5) (O6) x≤y∨y ≤x x≤x x≤y∧y ≤x⇔x=y x≤y∧y ≤z ⇒x≤z x≤y ⇔x+z ≤y+z x≤y∧z ≥0⇒x·z ≤y·z (vergleichbar) (reflexiv) (eindeutig) (transitiv) (verträglich mit +) (verträglich mit ·) (5) Vollständigkeitsaxiom Sei R = L ∪ R mit L, R 6= ∅ und ∀x ∈ L∀y ∈ R : x < y. Dann existiert genau eine Schnittzahl z ∈ R sodass ∀x ∈ L, y ∈ R : x ≤ z ≤ y. Bemerkung 2.69. • Wir identifizieren die reellen Zahlen oft mit den Punkten der Zahlengeraden. Das Vollständigkeitsaxiom besagt, dass diese keine Löcher aufweist, d.h., schneidet man die Zahlengerade in zwei Stücke L und R, dann geschieht dies exakt bei einer Zahl z. • Wir werden später noch andere Kriterien für Vollständigkeit kennenlernen. Bemerkung 2.70 (Algebraische Strukturen). • Jede beliebige Menge G mit einer Operation (Addition) + : G × G → G welche (A1)– (A4) erfüllt heißt Abelsche- (oder kommutative) Gruppe. Gilt (A2) nicht, dann nur Gruppe. Neben (R, +) sind auch (Z, +) oder (R \ {0}, ·) Abelsche Gruppen; (N, +) nicht. • Eine Menge K mit Operationen + : K × K → K (Addition) und · : K × K → K (Multiplikation) welche (A1)–(A4), (M1)–(M4) und (D) erfüllen, heißt Körper (kurz K oder (K, +, ·)). Man überzeugt sich leicht, dass neben (R, +, ·) auch (Q, +, ·) ein Körper ist; (Z, +, ·) jedoch nicht. • Eine Menge M mit einer Relation ≤, welche (O1)–(O4) erfüllt, heißt angeordnet. Ist (M, +, ·) ein Körper, und ≤ zusätzlich verträglich mit + und ·, dann heißt (M, +, ·, ≤) angeordneter Körper. Als Beispiel seien R und Q genannt. • R (bzw. (R, +, ·, ≤)) ist nach Definition ein vollständiger (angeordneter) Körper, Q jedoch √ nicht; man könnte Q ja bei z = 2 auseinander schneiden, und wie gezeigt liegt dieses z nicht in Q. Bemerkung 2.71. Mit Hilfe der Relation ≤ definieren wir für alle reelen Zahlen x, y • x < y :⇔ x ≤ y ∧ x 6= y • x ≥ y :⇔ y ≤ x und x > y :⇔ y < x. Weiters können wir über die inversen Elemente folgende Operationen definieren: 24 Zahlenmengen und Rechentechniken • / : R × R \ {0} → R, x/y := x · ( y1 ) • − : R × R → R, x − y := x + (−y) Alle bekannten Rechenregeln für reelle Zahlen lassen sich auf obige Axiome zurückführen. Die folgende unvollständige Aufzählung fasst einige dieser Folgerungen zusammen. Satz 2.72. Seien x, y, z ∈ R. Dann gilt (a) x = y ⇔ x + z = y + z, (c) x · 0 = 0, (e) x 6= 0 ⇒ x · x > 0, (O3) (b) x = y ⇔ x · z = y · z (z 6= 0), (d) (−1) · x = (−x), (f ) 1 > 0. (O5) (O3) Beweis. (a): x = y ⇔ x ≤ y ∧ y ≤ x ⇔ x + z ≤ y + z ∧ y + z ≤ x + z ⇔ x + z = y + z; (b): siehe Übung; (a) (M 3,A3) (c): x · 0 = 0 ⇔ x · 0 + x = 0 + x ⇔ die letze Aussage ist nach (M3) wahr. (a,A3) (D) (A3) x · 0 + x · 1 = x ⇔ x · (0 + 1) = x ⇔ x · 1 = x, und (M 3,D) (A3,c) (A3) (d): (−1) · x = (−x) + x + (−1) · x = (−x) + (1 + (−1)) · x = (−x) + 0 = (−x). c (e): Sei x > 0. Dann ist mit (O6’) x · x > 0 · x = 0. Der Fall x < 0 folgt ähnlich (Übung: mit x < 0 ⇔ −x > 0 und (−x) · (−x) = x · x). (M 3) (e) (f): Es gilt 1 = 1 · 1 > 0. Definition 2.73. Eine Menge M ⊂ R heißt nach oben (bzw. nach unten) beschränkt, falls es eine Zahl a ∈ R (b ∈ R) gibt, sodass ∀x ∈ M : a ≤ x (x ≤ b) gilt. Die Zahlen a (bzw. b) heißen obere (untere) Schranke. Aus dem Vollständigkeitsaxiom können wir nun die Existenz von Schranken ableiten. Satz 2.74. Jede nichtleere, nach oben (nach unten) beschränkte Menge M ⊂ R besitzt eine größte untere (kleinste obere) Schranke a = inf M b = sup M (Infimum; größte untere Schranke), bzw. (Supremum; kleinste obere Schranke). Genauer, ist a (bzw. b) charakterisiert über die beiden Eigenschaften (i) ∀x ∈ M : a ≤ x (bzw. x ≤ b), (ii) ∀a0 ∈ R : (∀x ∈ M : a0 ≤ x) ⇒ a0 ≤ a b ≤ b0 ). (bzw. für alle unteren Schranken b0 gilt: Beweis. Wir definieren die Mengen L := {x ∈ R : ∀y ∈ M : x < y} und R := {x ∈ R : ∃y ∈ M : x ≥ y} (die Menge L liegt “links” von M ). Die Menge L, R sind nicht leer (warum?), 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 25 haben kein gemeinsames Element, und es gilt L ∪ R = R. Nach dem Vollständigkeitsaxiom gibt es eine Schnittzahl a mit x≤a≤y ∀x ∈ L, y ∈ R. (2.2) Behauptung: a = inf M . Zu zeigen sind die beiden folgenden Punkte (i) ∀x ∈ M : a ≤ x, (ii) ∀a0 ∈ R : a0 > a ⇒ (∃x ∈ M : x < a0 ) , zu (i): Da M ⊂ R, folgt aus a ≤ y für alle y ∈ R insbesondere a ≤ y für alle y ∈ M . zu (ii): Sei a0 ∈ R mit a0 > a. Definiere c := (a + a0 )/2. Es gilt a < c < a0 . Aufgrund von (2.2) folgt c ∈ R. Also existiert ein y ∈ M mit y ≤ c. Für dieses y gilt dann y < a0 . Damit gilt auch (ii). Der Beweis für die Existenz des Supremums folgt analog. Bemerkung 2.75. Die Aussage des Satzen gilt nicht für die rationalen Zahlen Q: Die Menge √ M := {q ∈ Q √ : 0 ≤ q ≤ 2} besitzt keine kleinste obere Schranke in Q. Die kleinste obere Schranke wäre 2, und diese liegt nicht in Q! Die Menge Q ist nicht vollständig. Definition 2.76. Das größte (kleinste) Element einer Menge heißt Maximum (bzw. Minimum) von M und wird mit max M (min M ) bezeichnet. Nach obigem Satz besitzt jede beschränkte Menge ein Infimum und Supremum. Ein Maximum oder Minimum braucht allerdings im Allgemeinen nicht vorzuliegen. Beispiel 2.77. Seien a, b ∈ R mit a < b. Dann gilt inf(a, b) = a und sup(a, b) = b. Das offene Intervall (a, b) besitzt jedoch kein Minimum oder Maximum. Für das geschlossene Intervall [a, b] gilt hingegen inf[a, b] = a = min[a, b] sowie sup[a, b] = b = max[a, b]. Beweis. Wir zeigen nur die Aussage a = inf(a, b). Nach Definition des offenen Intervalls (a, b) := {x ∈ R : a < x < b} folgt, dass a untere Schranke ist (Eigenschaft (i) in der Definition des Infimums). Zu zeigen bleibt, dass jede andere untere Schranke a0 kleiner gleich a ist. Angenommen, es gäbe ein a0 ∈ R (a0 < b) sodass ∀x ∈ (a, b) : a0 ≤ x und a0 > a, also eine untere Schranke die echt größer als a0 ist. Dann gilt für x0 := (a + a0 )/2 dass a < x0 < a0 . Aus der ersten Bedingung folgt, dass x0 ∈ (a, b) ist, und aus der zweiten, dass a0 keine untere Schranke für alle Elemente in (a, b) ist. Widerspruch zur Annahme. Wir beschließen diesen Abschnitt mit dem folgenden Satz und einigen nützlichen Folgerungen. 26 Zahlenmengen und Rechentechniken Satz 2.78 (Satz von Archimedes). Die Menge N der natürlichen Zahlen ist nicht nach oben beschränkt. Beweis. Übung. Folgerung 2.79. Es gelten folgende Sachverhalte: 1 < ε, (ii) ∀x ∈ R∃n ∈ Z : n ≤ x < n + 1, n (iii) ∀x, y ∈ R mit y > x > 0 ∃n ∈ N : nx > y. (i) ∀ε > 0 ∃n ∈ N : 0 < Beweis. Übung. 2.2.1 Rechnen mit reellen Zahlen Im Folgenden wird das Rechnen mit reellen Zahlen anhand von Beispielen demonstriert. Man beachte, dass sich alle weiteren Regeln aus den obigen Axiomen herleiten lassen. Variablen, Terme, Ausdrücke Die Grundbausteine um (reelle, mathematische) Ausdrücke zu konstruieren sind Zahlen und Variablen. Letztere stehen als Platzhalter für (reelle) Zahlen. x = 1, x+1 = 5y, 2 usw. Durch Rechenoperationen haben wir Variablen und Zahlen zu Termen verknüpft. Beispiel für Terme sind x, 1, (x + 1) oder x+1 . 2 Wir nennen x = 1 bzw. x+1 = 5y einen Ausdruck (in den Variablen x, y, ...). Streng genommen 2 handelt es sich dabei um eine Aussageform, also einen formalen Ausdruck ohne Wahrheitswert. Gleichungen, äquivalente Umformungen Bei Gleichungen der Form x+1 =5 2 stellt sich oft die Frage, ob es ein x (einen Wert für die Variable x) gibt, sodass die Gleichung wahr ist. Formal kann man das formulieren als A(x) :⇔ B :⇔ ∃x ∈ R : x+1 = 5. 2 Durch den Quantor haben wir die Aussageform (den formalen Ausdruck) A(x) in eine Aussage überführt, und wir können dieser einen Wahrheitswert zuordnen. Hier würden wir erhalten: w(B) = 1, es existiert eine Lösung der Gleichung. 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 27 Natürlich stellt sich jetzt die Frage, welches x (welche reelle Zahl – welcher Einsetzungswert für die Variable x) Lösung der Gleichung ist. Hierzu benutzen wir die Rechenregeln aus den Axiomen für reelle Zahlen, z.B. ∀x ∈ R : ( x+1 ·2 −1 = 5 ⇔ x + 1 = 10 ⇔ x = 9). 2 Oftmals wird ∀x ∈ R nicht explizit angegeben, oder im Text als “Für jede reelle Zahl x gilt”, oder “sei x eine beliebige reelle Zahl; dann gilt” formuliert. Für jede reelle Zahl x gilt also: x+1 = 5 ⇔ x = 9. 2 Bemerkung 2.80. Man beachte: Die “Rechenregeln” ∀x, y, z ∈ R : x = y ⇔ x + z = y + z ∀x, y, z ∈ R, z 6= 0 : x = y ⇔ x · z = y · z folgen unmittelbar aus den Regeln (O1)–(O6). Somit haben wir gezeigt: x+1 B :⇔ ∃x ∈ R : = 5 ⇔ ∃x ∈ R : x = 9 . 2 Offensichtlich ist x = 9 die Lösung des Problems, und B ist wahr. Die Menge aller x, für welche die Gleichung stimmt, nennen wir Lösungsmenge L := {x ∈ R : x+1 = 5} = {x ∈ R : x = 9} = {9}. 2 Achtung! Multiplizieren von Gleichungen mit 0 ist keine äquivalente Umformung, also ∀x, y ∈ R : x = y ⇒ x · 0 = y · 0, aber die Umkehrung stimmt im Allgemeinen nicht, denn 1 · 0 = 2 · 0 = 0, aber 1 6= 2! Brüche Das sind Terme der Form 5x + 1 , 2 1 ,... x+2 Zähler Nenner Man beachte: Der Bruch ist nur dann definiert, wenn der Nenner ungleich 0 ist. Division durch Null ist nicht erlaubt (nicht definiert). Für das zweite Beispiel machen wir also den Zusatz 1 , x 6= −2, x+2 28 Zahlenmengen und Rechentechniken was bedeutet, dass der Term nur für x 6= −2 definiert ist. Multiplizieren von Brüchen geschieht durch Multiplikation von Zähler und Nenner, also (für alle a, b, c, d ∈ R mit b, d 6= 0 gilt) a·c a c · = . b d b·d Brüche, die gleiche Faktoren im Zähler und Nenner enthalten, können gekürzt werden, also 2x 2x x = = , 2y 2y y y 6= 0. (Nur) Brüche mit gleichem Zähler können durch entsprechendes Zusammenfassen der Zähler addiert bzw. subtrahiert werden, also x+1 1 (x + 1) + 1 x+2 x 2 x + = = = + = + 1. 2 2 2 2 2 2 2 Durch Erweitern (Multiplikation mit Termen der Form aa ) lassen sich Brüche immer auf gleichen Nenner bringen. Etwa 1 1 x+2 1 2 x+2 2 x+4 1 + = · + · = + = . 2 x+2 2 x+2 x+2 2 2 · (x + 2) 2 · (x + 2) 2 · (x + 2) Den Kehrwert eines Bruches (= inverses Element bezüglich der Multiplikation) erhält man durch Vertauschen von Zähler und Nenner, also a, b 6= 0. 1/(a/b) = b/a, Daraus ergibt sich auch die Formel zum Auflösen für Doppelbrüche: a b c d = a c a d a·d · (1/( )) = · = . b d b c b·c Potenzen Für a ∈ R und n ∈ N haben wir definiert an := n Y k=1 a = |a · a ·{z. . . · a} . n mal a heißt Basis und n der Exponent. Weiterhin definieren wir ∀a ∈ R : a0 := 1 und 0n = 0; Man sieht sofort, dass für m, n ∈ N gilt am · an = am+n und (am )n = am·n . 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 29 Unter Zuhilfenahme von a0 = 1 und am · an = am+n definieren wir a−n := 1/(an ), a 6= 0. Für a ≥ 0 definieren wir die n-te Wurzel von a als diejenige positive reelle Zahl Potenz gerade a ist, d.h. √ √ 1 a n := n a und ( n a)n = a. Es gilt beispielsweise √ √ √ √ 2 2 2· 2= 2· 2=2 und √ 3 n· √ n a, deren n-te √ √ 3 n · 3 n = n. Diese Definition ist verträglich mit den Regeln a0 = 1 und (am )n = am·n . Die Definitionen lassen sich für a ≥ 0 auf reelle Exponenten erweitern. Es gelten folgende Rechengesetze: Seien a, b ≥ 0 und x, y ∈ R. Dann ist ax · ay = ax+y a−x = 1/(ax ) ax · bx = (a · b)x a0 = 1 (ax )y = ax·y 00 := 1. Lösen quadratischer Gleichungen Sei a ∈ R. Dann gilt (a)2 = a2 = (−a)2 . Die Gleichung x2 = a2 besitzt also (mindestens) zwei Lösungen, nämlich x = a sowie x = −a. Wie später gezeigt wird, sind das die einzigen beiden Lösungen. Abstrakt können wir dies ausdrücken durch x2 = a2 ⇔ x = a ∨ x = −a kurz: x = ±a. Als nächstes betrachten wir die allgemeine quadratische Gleichung a · x2 + b · x + c = 0, a, b, c ∈ R, a 6= 0. Im Fall a = 0 vereinfacht sich die Gleichung. Gesucht sind Lösungen (Werte für) x, für welche Gleichheit gilt. Wir definieren p := b/a und q := c/a. Die quadratische Gleichung ist dann äquivalent zu (Division durch a) x2 + px + q = 0. Durch Nachrechnen sieht man, dass dies wiederum äquivalent ist zu (x + p/2)2 = p2 /4 − q, und durch Ziehen der Quadratwurzel auf beiden Seiten erhält man die Lösungen p p x + p/2 = ± p2 /4 − q bzw. äquivalent: x = −p/2 ± p2 /4 − q, 30 Zahlenmengen und Rechentechniken wobei vorausgesezt werden muss, dass p2 /4 − q ≥ 0 ist. Wir haben also die p-q-Lösungsformel für quadratische Gleichungen hergeleitet: p p x2 + px + q = 0 ⇔ x = −p/2 + p2 /4 − q ∨ x = −p/2 − p2 /4 − q. Die Lösungsmenge der quadratischen Gleichung ist somit p L = {−p/2 ± p2 /4 − q} falls q ≤ p2 /4, sonst L = ∅. Ungleichungen, Abschätzen Wir definieren zunächst: und x ≥ y :⇔ y ≤ x x < y ⇔ (x ≤ y ∧ x 6= y). Die Bedeutung des Symbols > sollte dann klar sein. Beim Rechnen mit Ungleichungen benutzen wir (O1)–(O6). Aus diesen Regeln folgen auch a ≤ b ⇒ (−a) ≥ (−b) und a≤b⇒ 1 1 ≥ , a b Beispiel 2.81. Sei y ∈ R gegeben. Man finde alle x, für welche menge der Ungleichung. Lösung: Es gilt x+5y 3 a, b 6= 0. ≤ 1 gilt; also die Lösungs- x + 5y (O60 ) (O5) ≤ 1 ⇔ x + 5y ≤ 3 ⇔ x ≤ 3 − 5y. 3 Die Lösungsmenge ist also gegeben durch L(y) := {x ∈ R : x ≤ 3 − 5y}. Diese hängt noch vom tatsächlichen Wert von y ab. Bemerkung 2.82. Wir haben hier eine verschärfte Version von (O6) verwendet, nämlich: (O60 ) : ∀z > 0 : x ≤ y ⇔ z · x ≤ z · y. Beispiel 2.83. Gesucht sind Lösungen der Ungleichung Lösung: Wie vorhin erhalten wir x2 +5y 3 ≥ 1 für gegebenes y ∈ R. x2 + 5y ≥ 1 ⇔ x2 ≥ 3 − 5y. 3 Da x2 ≥ 0 für alle x ∈ R, gilt die letzte Ungleichung immer falls 3 − 5y ≤ 0. Für den Fall 3 − 5y > 0, gilt weiter p p x2 + 5y ≥ 1 ⇔ x ≥ 3 − 5y ∨ x ≤ − 3 − 5y, 3 Die Lösungsmenge der Ungleichung ist also p p L = R \ (− 3 − 5y, 3 − 5y), falls y ≥ 3/5, falls: y ≤ 3/5. sonst: L = R. (a, b) = {x ∈ R : x > a ∧ x < b} bezeichnet hierbei das offene Intervall. 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 31 Ungleichungen dienen oft zum Abschätzen komplizierter Ausdrücke. Beispiel 2.84. Man zeige, dass n2 ≤ n2 für alle n ∈ N, n ≥ 2 gilt. Lösung: Es gilt n n! n · (n − 1) · (n − 2)! n n−1 = = = · ≤ n · n = n2 . 2 2!(n − 2)! 2 · 1 · (n − 2)! 2 1 Beträge Für reelle Zahlen x ∈ R definieren wir den Betrag von x durch x, falls x ≥ 0 |x| := −x, falls x < 0. Der Betrag misst die absolute Größe einer Zahl. Beispiel 2.85. Sei y ∈ R, y ≥ 0 gegeben. Man berechne die Lösungsmenge der Ungleichung |x − 1| ≤ y. Lösung: Nach Definition des Betrags gilt: |x − 1| ≤ y ⇔ (x − 1 ≤ y ∧ x − 1 ≥ 0) ∨ (−(x − 1) ≤ y ∧ x − 1 < 0) ⇔ (x ≤ y + 1 ∧ x ≥ 1) ∨ (x ≥ 1 − y ∧ x < 1). Die Lösungsmenge ist demnach gegeben durch L = [1, y + 1] ∪ [1 − y, 1) = [1 − y, 1 + y]. Man überzeugt sich relativ leicht, dass der Betrag folgende Eigenschaften hat. Satz 2.86. Für alle x, y ∈ R gilt (B1) (B2) (B3) |x| ≥ 0 ∧ (|x| = 0 ⇔ x = 0) |x · y| = |x| · |y| |x + y| ≤ |x| + |y| (definit) (homogen) (Dreiecksungleichung). Beweis. Mit Fallunterscheidung; siehe Übung. 2.2.2 Reellwertige Funktionen einer Variablen Zur Auffrischung des Schulwissens wollen wir einige bekannte Funktionen der Form f : R → R, x 7→ f (x) betrachten. Da sowohl Werte- als auch Definitionsbereich die reellen Zahlen sind, 32 Zahlenmengen und Rechentechniken sprechen wir von reell-wertigen Funktionen einer reellen Variablen. Solche Funktionen lassen sich einfach durch Darstellung (eines Teiles) ihres Funktionsgraphen graph(f ) := {(x, f (x)) : x ∈ R} ⊂ R × R visualisieren. Polynomfunktionen Seien a0 , . . . , an ∈ R gegeben. Die Funktion pn : R → R, x 7→ a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn heißt Polynom(funktion) vom Grad n mit Koeffizienten ai . (Reelle) Lösungen der Gleichung pn (x) = 0 nennen wir (reelle) Nullstellen von pn . Beispiel 2.87. Sei pn (x) := x2 + x − 2 (das ist kurz für: pn : R → R, x 7→ x2 + x − 2). Gesucht sind die Nullstellen von pn . Lösung: Nach Definition der Nullstellen suchen wir also nach Lösungen der Gleichung x2 + x − 2 = 0. Nach der p-q-Formel ist die Lösungsmenge gegeben durch p L = {−1/2 ± 1/4 + 2} = {−2, 1}, und dies ist gerade die Menge der Nullstellen von pn . Die einfachsten Polynomfunktionen sind die konstante Funktion sowie die Identitätsabbildung p0 : R → R, x 7→ a0 bzw. id : R → R, x 7→ x. Wir schreiben auch kurz: p0 (x) = a0 bzw. id(x) = x. Winkelfunktionen Wir bezeichnen im Folgenden mit x den Winkel im Bogenlängenmaß. Die Funktionen sin(x) und cos(x) sind durch folgende Skizze definiert Definition der Winkelfunktionen 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 33 Aus der Skizze und dem Satz von Pythagoras folgt für jedes x ∈ R | cos(x)| ≤ 1 und | sin(x)| ≤ 1, sin(x)2 + cos(x)2 = 1. Weiter sieht man, dass sin und cos periodisch sind, d.h., sin(2πn + x) = sin(x), cos(2πn + x) = cos(x) ∀x ∈ R, n ∈ Z. Ebenfalls aus der Skizze ablesbar ist die Verschiebungsregel cos(x) = sin(x + π/2). Schließlich bemerken wir die Gültigkeit der folgenden Winkelsummensätze (Additionstheoreme) sin(x ± y) = sin x · cos y ± sin y · cos x cos(x ± y) = cos x · cos y ∓ sin x · sin y. Diese Formeln werden wir später mit Hilfe komplexer Zahlen zeigen. Exponentialfunktion und Logarithmus Über die besondere Bedeutung der Euler’schen Zahl e ≈ 2.7182818 werden wir später noch berichten. Wir definieren die Exponentialfunktion exp : R → R, x 7→ exp(x) := ex . Aus der Definition ergeben sich sofort folgende elementare Eigenschaften: exp(x + y) = exp(x) · exp(y) exp(0) = 1, exp(−x) = 1/ exp(x), exp(x) > 0, welche für alle x ∈ R gelten. Wir werden später sehen, dass x2 x 2 + + ... 2! 3! gilt. Hieraus sieht man auch, dass für x ≥ 0 die Abschätzung exp(x) ≥ 1 + x gilt. exp(x) = 1 + x + Aus der Definition folgt weiterhin, dass die Exponentialfunktion streng monoton, und daher injektiv ist. Schänkt man den Wertebereich geeignet ein, kann man eine Umkehrfunktion log : R+ → R, x 7→ log(x) = exp−1 (x). Hierbei bezeichnet exp−1 die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion. Beispiel 2.88. Nach Definition gilt exp(0) = 1 und exp(1) = e. Wendet man die Umkehrfunktion an, und benutzt dass f −1 (f (x)) = x gilt, so erhält man 0 = log(1), 1 = log(e) sowie log(exp(x)) = x = exp(log(x)). Weiterhin gelten folgende Rechenregeln, die sich sofort aus den Regeln für die Exponentialfunktion ergeben: log(x · y) = log(x) + log(y), log(xy ) = y · log(x), Auch die Logarithmusfunktion ist streng monoton wachsend. log(1/x) = − log(x). 34 Zahlenmengen und Rechentechniken Logarithmus und Exponentialfunktion Aufgaben Aufgabe 1. Berechnen Sie folgende Ausdrücke explizit und die Summen zusätzlich mit Formeln von diesem Blatt. 9 4 3 5 X X X Y 1 3 1 2 a) k b) c) d) 2k k k k=3 k=0 k=0 k=1 Aufgabe 2. Sei n ∈ N0 . Zeigen Sie per vollständiger Induktion. Pn 1 2 (a) k=0 k = 6 n(n + 1)(2n + 1). P n+1 (b) Geometrische Summenformel: nk=0 q k = q q−1−1 für q ∈ R mit q 6= 1. P (c) Binomische Formel: nk=0 nk ak bn−k = (a + b)n . n Hinweis: Verwenden Sie k−1 + nk = n+1 falls k > 0. k Aufgabe 3. Zeigen Sie mit Hilfe von Aufgabe 2, dass Pn n n (a) k=0 k = 2 für alle n ∈ N0 . Pn n k (b) k=0 k (−1) = 0 für alle n ∈ N. P (c) (a − b) nk=0 ak bn−k = an+1 − bn+1 für alle n ∈ N0 und a, b ∈ R. Hinweis: Für b 6= 0, verwenden Sie die geometrische Summenformel (A.2b) mit q = a/b. Aufgabe 4. Sei n ∈ N. Transformieren Sie den (Lauf-) Index in der/dem Summe/Produkt. P9 (a) k=2 (k + 2), gemäß der Beziehung l = k + 1. Q49 (b) k=23 (k − 1)(k + 2)(k + 5), gemäß der Beziehung l − 7 = −k. Pn 1 (c) k=1 k(k+1) , gemäß der Beziehung l − 1 = k. Pn Qp 3 (d) p=5 p · s=4 (s + 2) , gemäß der Beziehung p + 1 = k und s − 2 = t. Aufgabe 5. Seien x, y ∈ R. Zeigen Sie die folgenden Ungleichungen: 2.2 Ganze, rationale und reelle Zahlen 35 √ xy ≤ x+y . 2 √ √ √ (b) Falls x, y ≥ 0, dann gilt x + y ≤ x + y. √ √ (c) Falls x, y > 0, dann gilt x + y ≤ √xy + √yx . (a) Falls x, y ≥ 0, dann gilt (d) Falls |x| < 1 und n ∈ N0 , dann gilt (1 + x)n ≤ Aufgabe 6. Zeigen Sie, dass √ 1 . (1−x)n 3 keine rationale Zahl ist. Aufgabe 7 (Satz von Archimedes). Zeigen Sie, dass die Menge N der natürlichen Zahlen nicht nach oben beschränkt ist. Hinweis: Nehmen Sie dazu an, N wäre nach oben beschränkt. Wenden Sie dann Satz 2.75 (Existenz von Suprema) an und führen Sie einen Widerspruch hierbei. Aufgabe 8. Zeigen Sie die Aussagen von Folgerung 2.79. Aufgabe 9. (a) Sei y ∈ R. Für welche x ∈ R gilt (x − y)2 ≤ 2? (b) Für welche x ∈ R gilt |x3 − 5| ≤ 5? (c) Für welche x ∈ R gilt |x−1| |x+1|+1 ≤ 12 ? Aufgabe 10. Bestimmen Sie, ob die folgenden Mengen beschränkt sind und geben Sie gegebenenfalls Infimum, Supremum, Minimum und Maximum an. (a) M = {x : x2 − 10x ≤ 24}. |x| : x ∈ R}. (b) N = { 1+|x| (c) P = { m+n : m, n ∈ N}. m·n Aufgabe 11. Seien a, b ∈ R. Zeigen Sie mit Hilfe der Körper- und Ordnungsaxiome, dass (a) −a ≥ −b. (b) (−1) · (−1) = 1. (c) a2 ≥ 0 und a2 > 0 falls a 6= 0. (d) a > 0 ⇒ (e) 1 a ≥ 1 b 1 a > 0. für 0 < a ≤ b. (f) (ab)−1 = a−1 b−1 für a, b 6= 0. 36 Zahlenmengen und Rechentechniken 3 Komplexe Zahlen Da für alle reellen Zahlen x das Quadrat x2 = x · x ≥ 0 und −1 < 0 ist, kann die Gleichung x2 = −1 keine reelle Lösung besitzen. Wie zuvor erweitern wir unseren Zahlenbereich, um auch solche Gleichungen lösen zu können. Wir definieren eine neue Zahl i mit der Eigenschaft i2 = −1. Definition 3.89 (Komplexe Zahlen). Unter einer komplexen Zahl verstehen wir einen Ausdruck der Form z = a + ib, a, b ∈ R Hierbei heißt a =: Re z Realteil und b =: Im z Imaginärteil von z. Für komplexe Zahlen gilt z1 = z2 :⇔ Re(z1 ) = Re(z2 ) ∧ Im(z1 ) = Im(z2 ). Die Menge aller komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet. Wir müssen noch festlegen, wie mit komplexen Zahlen überhaupt gerechnet wird. Satz 3.90. Für komplexe Zahlen z1 = a1 + ib1 , z2 = a2 + ib2 definieren wir Addition: z1 + z2 := (a1 + a2 ) + i(b1 + b2 ) Multiplikation: z1 · z2 := (a1 · a2 − b1 · b2 ) + i(a1 · b2 + b1 · a2 ). Zusammen mit diesen Operationen bilden die komplexen Zahlen einen Körper, d.h., es gelten die Körperaxiome (A1)–(A4), (M1)–(M4) und (D). Beweis. Übung. Bemerkung 3.91. • Wir werden später sehen, dass auch die komplexen Zahlen vollständig sind, d.h., die komplexe Zahlenebene hat keine “Löcher”. • Die komplexen Zahlen lassen sich nicht anordnen: Wäre i > 0 (i < 0), dann müsste −1 = i2 > 0 sein, was im Widerspruch zu 1 > 0 steht. 38 Komplexe Zahlen Bemerkung 3.92. Jede reelle Zahl a ∈ R lässt sich mit der komplexen Zahl z = a + i0 identifizieren. In diesem Sinne gilt R ⊂ C. Weiters schreiben wir a + i0 = a + 0i = a sowie 0 + ib = ib = bi. Komplexe Zahlen der Form a + i0 (bzw 0 + ib) heißen (rein) reell (bzw imaginär). Beispiel 3.93. Man überzeuge sich von der Richtigkeit der folgenden Aussagen: • i2 = (−i)2 = −1. • Sei z = a + ib. Dann gilt ∀x ∈ R : x · z = (x · a) + i(x · b). Definition 3.94. Für jede komplexe Zahl z := a + ib ∈ C definieren wir: • Konjugierte: z := a − ib √ • Betrag: |z| := a2 + b2 (entspricht Abstand zum Nullpunkt) • (Haupt-)Argument: Arg(z) := φ ∈ [0, 2π) (Winkel zur reellen Achse) Beispiel 3.95. Mithilfe der Definitionen verifiziert man leicht • Re(z) = 1 (z 2i + z) und Im(z) = 12 (z − z), • z · z = |z|2 sowie z = z, • z1 + z2 = z1 + z2 und z1 · z2 = z1 · z2 , welche für alle komplexen Zahlen z, z1 , z2 gelten. Beispiel 3.96. Die Regeln für den Betrag einer reellen Zahl gelten wörtlich, d.h. • |z| ≥ 0 und |z| = 0 ⇔ z = 0 (Definitheit) • |z1 · z2 | = |z1 | · |z2 | (Homogenität) • |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | (Dreiecksungleichung). Beispiel 3.97. Die Division komplexer Zahlen lässt sich wie folgt durchführen: Seien z1 , z2 ∈ C gegeben. Dann erhält man durch Erweitern des Nenners z1 z1 z2 z1 · z2 1 = · = = (z1 · z2 ). z2 z2 z2 z2 · z2 |z2 |2 Die Division komplexer Zahlen lässt sich also auf Multiplikation komplexer und Division reeller Zahlen zurückführen. Man beachte: Für z2 = 0 (|z2 |2 = 0), ist der Bruch nicht definiert! 39 Bemerkung 3.98. Wir können jede komplexe Zahl z = a + ib ∈ C mit dem Punkt (Vektor) (a, b) ∈ R × R der Zahlenebene identifizieren Darstellung komplexer Zahlen Die Addition entspricht genau der Addition der Vektoren. Realteil Re(z) sowie Imaginärteil Im(z) ergeben sich als Abschnitte auf der reellen bzw imaginären Achse. Bei der Multiplikation wird die Länge der Vektoren multipliziert, und Ihre Winkel addiert (vgl. Satz Moivre). Weiters lasen sich Argument und Betrag der komplexen Zahl leicht ablesen. Aus der Darstellung erkennt man z = a + ib = |z| cos φ + i|z| sin φ = |z|(cos φ + i sin φ) mit φ := Arg(z). Diese Form heißt Polarkoordinatendarstellung von z. Mit Hilfe der Polarkoordinatendarstellung und der Winkelsummensätze erhält man folgendes Ergebnis für ganzzahlige Potenzen komplexer Zahlen. Satz 3.99 (Moivre). Sei z = |z|(cos φ + i sin φ). Dann gilt z n = z · . . . · z = |z|n cos(nφ) + i sin(nφ) . Beweis. Die Aussage kann elementar aus den Winkelsummensätzen hergeleitet werden. Sie folgt jedoch leichter aus den Rechenregeln für die komplexe Exponentialfunktion (siehe unten). Bemerkung 3.100. Die n-te Potenz einer komplexen Zahl lässt sich gut in der komplexen Ebene visualisieren. Dabei wird einfach die Länge mit n potenziert, und der Winkel ver-nfacht. Definition 3.101 (Euler’sche Formel). Für φ ∈ R definieren wir exp(iφ) := eiφ := cos φ + i sin φ. Wir werden später sehen, dass diese Definition der Exponentialfunktion für komplexe Argumente mit der für natürliche (rationale, reelle) Argumente übereinstimmt. Die wesentliche Eigenschaft dieser Definition ist, dass sich alle Rechenregeln für Potenzen übertragen lassen. 40 Komplexe Zahlen Satz 3.102. Für alle a, b, c ∈ R und z1 , z2 ∈ C gilt ex+iy = ex · eiy , ez1 +z2 = ez1 · ez2 , ea(x+iy) = (ex+iy )a , e−z1 = 1/ez1 , e0 = 1, ei(x+2mπ) = ex ∀m ∈ Z. Die Aussagen folgt zum Teil aus der Definition. Ein vollständiger Beweis wird später im Rahmen von Potenzreihen (und der Definition der Exponentialfunktion als Potenzreihe) erbracht. Folgerung 3.103 (Einheitswurzeln). Für jede komplexe Zahl a 6= 0 und jedes n ∈ N gibt es genau n verschiedene komplexe Zahlen z1 , . . . , zn mit zkn = a für k = 1, . . . , n. Beweis. Sei φ := Arg(a) ∈ [0, 2π). Wir definieren komplexe Zahlen zk = |a|1/n (cos φk + i sin φk ) mit φk = (φ + 2(k − 1)π)/n. Aus der Formel von Moivre und der Periodizität der Winkelfunktionen cos und sin folgt sofort, dass jede Lösung so aussehen muss (mit k ∈ Z). Die Zahlen zk sind für k = 1, . . . , n paarweise verschieden (Skizze); es gibt also mindestens n verschiedene Wurzeln. Aus der Periodizität der Winkelfunktionen folgt weiters, dass zk+n = |a|1/n cos φk+n + i sin(φk+n ) = |a|1/n (cos φk + i sin φk ) = zk für alle k gilt, also existieren genau n verschiedene Wurzeln. Beispiel 3.104. • Die Gleichung z 2 = 1 = ei0 hat zwei Lösungen, nämlich z1 = ei0/2 und z2 = ei(0+2π)/2 = eiπ = −1. • Die n-ten Wurzeln von 1 = ei0 gegeben durch zk = ei2(k−1)π/n heißen Einheitswurzeln. • Die Gleichung z 2 = −1 = eiπ hat ebenfalls zwei Lösungen, nämlich z1 = eiπ/2 = i und z2 = ei(π+2π)/2 = ei3π/2 = −i. • Für z 3 = −2(1 − i) gibt es drei Lösungen: Es gilt φ = Arg(z 3 ) = 3π/4 und |z 3 | = |2||(1 − √ √ 3 √ √ i(3π/4)/3 2 = 2 . Somit erfüllen alle Wurzeln |z| = 2 und es gilt z = 2e = i)| = 2 1 √ iπ/4 √ i(3π/4+2π)/3 √ i11π/12 √ √ 1 2e = 1 + i, z2 = 2e = 2e = 2 (−1 − 3 + i(−1 + 3)), sowie √ i(3π/4+2·2π)/3 √ i19π/12 1 √ √ z3 = 2e = 2e = 2 (−1 + 3 + i(−1 − 3)). Nach obiger Folgerung kann man für die Gleichung z n = a, a∈C genau n verschiedene Lösungen (Wurzeln) finden. Man beachte: Die Wurzeln zk sind gerade die Nullstellen der komplexen Polynomfunktion z n − a = 0. Die folgenden Sätze zeigen, dass auch allgemeinere Polynome vom Grad n Nullstellen besitzen. 41 Satz 3.105 (Hauptsatz der Algebra). Sei pn (z) := an z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z 1 + a0 eine komplexe Polynomfunktion vom Grad n (d.h. ak ∈ C, an 6= 0). Dann hat pn mindestens eine Nullstelle zn ∈ C, also pn (zn ) = 0. Beweis. Der Beweis wird hier nicht erbracht. Bemerkung 3.106. Ist z1 eine Nullstelle des Polynoms pn (z) vom Grad n, dann existiert genau ein Polynom pn−1 (z) vom Grad n − 1 sodass pn (z) = (z − z1 ) · pn−1 (z) gilt. Dies zeigt man mit Hilfe der Polynomdivision (bzw Vergleich der Koeffizienten). Hierzu ein Beispiel: Sei pn (z) = z 3 − z 2 − z + 1. Dann ist z = 1 eine Nullstelle, und es gilt z 3 − z 2 − z + 1 = (z − 1) · z 2 + z 2 +(−z 2 − z + 1) = (z − 1) · z 2 + (−z + 1) | {z } =z 3 = (z − 1) · z 2 + (z − 1) · (−1) − 1 +1 = (z − 1) · (z 2 − 1). | {z } =−z Aus der Existenz einer Nullstelle folgt mittels Polynomdivision, dass sogar n Nullstellen vorliegen. Auch das folgende Ergebnis wird als “Hauptsatz der Algebra” bezeichnet. Folgerung 3.107 (Hauptsatz der Algebra). Jedes komplexe Polynom vom Grad n besitzt genau n komplexe Nullstellen zk , k = 1 . . . , n, und es gilt die Zerlegung in Linearfaktoren pn (z) = an (z − z1 ) · . . . · (z − zn ). Die Nullstellen sind bis auf Umordnung eindeutig. Beweis. Wir zeigen die Existenz der Darstellung mittels vollständiger Induktion: (IA): Jedes Polynom vom Grad 1 besitzt die Form p1 (z) = a1 z + a0 = a1 (z − a0 /a1 ), was die Behauptung für n = 1 ist. Man beachte, dass a1 6= 0 (sonst wäre der Grad des Polynoms nicht 1), und dass die Darstellung eindeutig ist! (IV): Für n ≥ 1 besitze jedes Polynom pn (z) eine eindeutige Zerlegung wie oben angegeben. (IS): Sei pn+1 (z) = an+1 z n+1 + . . . + a0 ein Polynom vom Grad n + 1. Nach dem Hauptsatz der Algebra und der Bemerkung zur Polynomdivision existiert eine Nullstelle zn+1 sowie ein Polynom pn (z) mit pn+1 (z) = (z − zn )pn (z). Für das Polynom pn (z) existiert aber nach Voraussetzung eine Zerlegung in Linearfaktoren, was die Behauptung für n + 1 zeigt. Die Eindeutigkeit der Faktorisierung wird hier nicht gezeigt (vgl aber mit dem Satz über Eindeutigkeit). Bemerkung 3.108. Jedes Polynom mit komplexen (oder auch reellen) Koeffizienten besitzt also genau n komplexe Nullstellen. Es kann ein und dieselbe Nullstelle auch mehrfach auftreten. Man spricht dann von der (algebraischen) Vielfachheit der Nullstelle, z.B. hat p3 (z) := (z 3 − z 2 − z + 1) = (z − 1)2 (z + 1) die Nullstellen 1 (mit Vielfachheit 2) und −1 (mit Vielfachheit 1). Das ergibt (unter Berücksichtigung der Vielfachheit) genau 3 Nullstellen. 42 Komplexe Zahlen Satz 3.109 (Eindeutigkeit). Jedes komplexe Polynom pn (z) vom Grad n ist durch seine Werte an n + 1 verschiedenen Stellen zk für k = 0, . . . , zn bereits eindeutig bestimmt. Beweis. Man nimmt zunächst an, dass zwei verschiedene Polynome pn (z) und p̃n (z) mit denselben Funktionswerten existieren. Die Differenz der Polynome hat Grad n und Nullstellen z1 , . . . , zn und lässt sich nach der Folgerung aus dem Hauptsatz der Algebra zerlegen in pn (z) − p̃n (z) = an (z − z1 ) · . . . · (z − zn ), mit einem an ∈ R. An der Stelle z0 sind nach Vorausetzung alle Linearfaktoren ungleich 0, aber pn (z0 ) − p̃n (z0 ) = 0. Also folgt an = 0 und somit pn (z) − p̃n (z) = 0 für alle z. Aufgaben Aufgabe 1. Verifizieren Sie die Aussagen von Beispiel 3.93. Aufgabe 2. Berechnen Sie Real-, Imaginärteil, Betrag und Argument für die komplexen Zahlen √ z1 = (1 + i), z2 = −i, z3 = 3 − i; und skizzieren sie die Zahlen in der komplexen Ebene. Aufgabe 3. Berechnen Sie für die Zahlen aus Aufgabe 2 jeweils zk , 1/zk sowie z 3 . Aufgabe 4. Berechnen sie für die Zahlen aus Aufgabe 2 die Ausdrücke a1 = z1 · z2 , a2 = z1 /z2 , a3 = (z2 + z3 )/z1 . Aufgabe 5. Geben Sie die Resultate ak aus Aufgabe 4 in Polarkdarstellung an. Aufgabe 6. Zeigen Sie, dass (C, +, ·) die Körperaxiome erfüllt. Aufgabe 7. Skizzieren Sie die Mengen M1 := {z ∈ C : |z − 1| ≤ 1}, M2 := {z ∈ C : −1 ≤ Re(z) ≤ Im(z) ≤ 1}. Aufgabe 8. Überprüfen Sie die Rechenregeln für die Konjugation aus Beispiel 3.95. Aufgabe 9. Verifizieren Sie die Regeln für den Betrag aus Beispiel 3.96. Aufgabe 10. Man zeige mittels Euler’scher Formel die Darstellung der Winkelfunktionen: 1 cos φ = (eiφ + e−iφ ) 2 und sin φ = 1 iφ (e − e−iφ ). 2i 43 Aufgabe 11. Beweisen Sie mit Hilfe der Euler’schen Formel, den Rechenregeln für Potenzen sowie Aufgabe 10 die Winkelsummensätze sin(x ± y) = sin x · cos y ± sin y · cos x cos(x ± y) = cos x · cos y ∓ sin x · sin y. Aufgabe 12. Berechnen Sie alle Lösungen der Gleichung (z − √ 2(−1 + i))4 = 16. Aufgabe 13. Das Polynom p2 (z) := a2 z 2 + a1 z + a0 habe reelle Koeffizienten ak ∈ R. Zeigen Sie mit Hilfe der Rechenregeln für die Konjugation, dass die beiden Nullstellen z1 , z2 von p2 komplex-konjugiert sind, d.h., z1 = z2 . Aufgabe 14. Verallgemeinern Sie die Beobachtung aus Aufgabe 13 auf Polynome mit beliebigem Grad. Aufgabe 15. Zeigen Sie, dass jedes Polynome pn (z) mit ungeradem Grad n und reellen Koeffizienten mindestens eine reelle Nullstelle besitzt. Aufgabe 16. Das Polynom p4 (z) = z 4 + 3z 3 + 3z 2 + 2z + 1 lässt sich faktorisieren al p4 (z) = (z +1)·p3 (z). Berechnen Sie mittels Polynomdivision (bzw. Koeffizientenverlgiehc) das Polynom p3 . Aufgabe 17. Berechnen Sie alle Nullstellen von p3 (z) = z 3 + 2z 2 − z − 2. Hinweis: Eine Nullstelle durch Probieren; dann Polynomdivision. Aufgabe 18. Finden Sie alle Nullstellen von p3 (z) = z 3 − z 2 + z − 1.