Epidemiologie, Diagnostik und Therapie degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen PD Dr. Dirk Winkler Klinik für Neurochirurgie Universität Leipzig © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 2 © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 3 © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 4 © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 5 Nichts in der Natur bleibt ewig jung © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 6 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Bandscheibe, Wirbelkörper und – gelenk, Muskel, Bänder Alter: - ∑ der Belastungen, denen WS ausgesetzt ist - Stoffwechselveränderungen wirken zusätzlich © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 7 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Bandscheibe, Wirbelkörper und – gelenk, Muskel, Bänder Alter: - ∑ der Belastungen, denen WS ausgesetzt ist - Stoffwechselveränderungen wirken zusätzlich Knochenstoffwechsel: - Festigkeit und Belastbarkeit als Funktion der Aktivität des Knochenstoffwechsels - pos. Beeinflussung durch körperliche Betätigung - Kalzium, Fluor - Sonnenlicht begünstigt Vitamin D - Bildung - Östrogen / Testosteron wirken knochenstabilisierend - Hormonmangel (Wechseljahre bzw. Andropause) fördert Abbau Körpergewicht: - Übergewicht belastet Skelettelemente vs. Anorexie / Bulimie fördern Defizite von Vitamine und Mineralstoffe © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 8 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Bandscheibe, Wirbelkörper und – gelenk, Muskel, Bänder Körperhaltung: - einzelne Strukturen der WS können durch ungünstige Haltung übermäßig belastet (z.B. Imbalance von Bandscheiben und kl. Gelenken) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 9 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Bandscheibe, Wirbelkörper und – gelenk, Muskel, Bänder Körperhaltung: - einzelne Strukturen der WS können durch ungünstige Haltung übermäßig belastet (z.B. Imbalance von Bandscheiben und kl. Gelenken) körperliche Tätigkeiten:- Beruf und/oder Freizeitaktivitäten können WS stark, z.T. einseitig beanspruchen, (schwere körperliche Tätigkeiten, langes Stehen, z.B. Heben, Drehen von Patienten in Pflegeberufen, langes Sitzen) Sport: - Sport kann WS einseitig belasten vs. Unterstützung der WS durch Rückentraining - z.B. Kraftsport vs. Schwimmen © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 10 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Erscheinungsformen Wirbelbruch: - Sinterung bzw. -fraktur durch Knochensubstanz / Belastungen und/oder Unfall = Erscheinungsform der Osteoporose Osteophyten: - Knochenanbauten (Spangen, Randzacken, Überbauungen) durch einseitige Belastungen - können Beweglichkeit eingeschränken ± Spinalnerven einengen © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 11 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Erscheinungsformen Wirbelgelenksarthrose: = belastungsbedingte Verformung des Gelenkes und Abnutzung des Gelenkknorpels - klinisch imponiert schmerzhafte Gelenkbewegung Sehnen und Bänder: - Bänder der WS sind eher durch prim. Erkrankungen (RA, Mb. Bechterew) betroffen - Überlastung, Übergewicht, Anorexie / Bulimie können Kalkeinalgerungen, Einrissen und Nekrosen begünstigen © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 12 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Symptome Rückenschmerzen: - Beschwerden meist erst dann, wenn Kompensationsgrenzen überschritten werden ! - Rückenschmerzen am häufigsten Nervenschäden: Spinalnerven) - durch Beeinträchtigung einzelner Nn. hervorgerufen (Druck auf z.B. bei Osteoporose, Foramenstenose, Spinalkanalstenose, BSV - motor., sens. (siehe Dermatome) und veget. Störungen durch knöcherne, diskoligamentäre und arthrotischer Veränderungen (z.B. Wurzelkompressionssyndrom bzw. Rückenmarksschädigung) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 13 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Diagnostik Anamnese: - Dauer, Stärke, Art der Beschwerden, Symptomverstärkung (körperliche Belastung, Husten, Niesen oder Pressen - Paresen, Sensibilitäts- und veget. Störungen - bisherige Diagnostik und Therapie Statuserhebung: - aktive und passive Beweglichkeit der WS, Klopfschmerzhaftigkeit, - Objektivierung von neurologischen Defiziten, einschl. vegetativer (!) Reflexstatus Diagnostik: - paraklinische und apparative - Osteoporosediagnostik, Rheumafaktoren, - Rö.-diagnostik, Funktionsröntgen, MRT, CT, Postmyelo-CT, Szintigrafie - Elektrophysiologie (EMG, ENG, NLG, SSEP, MEP) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 14 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Therapie Chronische Schmerzzustände sind vermeidbar !! - Übergewicht - regelmäßige körperliche Betätigung - phys. Anwendungen (lokale Wärme, Massagen, Myogelosen) - Medikamente (Relaxierung, Analgesie, ggf. Corticoideinsatz) - Unterstützung des Knochenstoffwechsel (Kalzium, Fluor, Vitamin D, Bisphosphonate, Östrogene, Testosteron) - Stabilisierung der WS durch orthopädisches Mieder - Operation bei Vorliegen eines kausalen und die Beschwerden bedingenden, operativ korrigierbaren Leidens (NPP, Listhesis und Instabilitäten, Foramen- und Spinalkanalstenose) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 15 Wurzelkompressionssyndrom Definition Allgemein: = Symptomkomplex - durch mechanische Reizung (z.B. Druck) der Nervenwurzel im Bereich der WS Einteilung - Ort: - thorakal (selten) - zervikal - lumbal Einteilung - Beginn: - angeboren (selten, z.B. Deformitäten/Skoliosen) - erworben (Mehrzahl; akut, subakut) - © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 16 Wurzelkompressionssyndrom Pathophysiologie - Nervenwurzeln verlaufen in den Foramina intervertebralia - sie grenzen an umgebende Knochen und Bandstrukturen - Nervenwurzeln können degen. bedingter Gewebevermehrung nicht ausweichen - Druckbelastung befördert Entzündungsreaktion, die den Schmerz auslöst - begleitendes Ödem des Hüllgewebes der Nervenwurzel (Epineurium) führt zu weiterer Einengung und Circulus vitiosus Achtung – pseudoradikuläre Beschwerden … der HWS (z. B. des Schultergelenkes) müssen von zervikalen Radikulopathien abgegrenzt werden, was besonders bei Wurzelreizsyndromen nicht immer trivial ist. … der LWS (z.B. im Rahmen von Coxarthrose, Gonarthrose, Facettensyndrom, Kokzygodynie, ISG-Syndrom, Piriformis-Syndrom, osteoporotische Wirbelkörperfrakturen, Tendomyopathien bei Überlastungen oder Muskelzerrungen) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 17 Wurzelkompressionssyndrom - Wirbelfrakturen © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 18 Wurzelkompressionssyndrom - Tumoren (u.a. Metastasen, Ependymome, Meningeome) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 19 Wurzelkompressionssyndrom - Hämatome © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 20 Wurzelkompressionssyndrom - Infektionen (Abszesse, Spondylodiszitis, Borreliose, Zoster) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 21 Wurzelkompressionssyndrom Symptome - Schmerzen im Versorgungsgebiet - motor. und sens. Ausfälle - paravertebraler muskulärer Hartspann - lokaler Klopf- oder DS - Beschwerdeexacerbation bei Husten-, Press- und Niesen - Nervendehnungszeichen Besonderheit: mediane BSV meist assoziiert mit asymmetr. periph. Störung an Extremitäten ± spastische Gangstörung, Reflexsteigerung, verbreiterten Reflexzonen, unerschöpfliche Kloni und Pyramidenbahnzeichen sowie Blasenentleerungsstörungen Achtung: bei fehlenden Nervendehnungszeichen und nächtlich auftretenden Therapie-resistenten Schmerzen, die nicht durch LWS-Bewegung beeinflussbar sind, sollte immer an eine Radikulitis (Borrelien, Herpes zoster) oder einen Tumor gedacht werden. © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 22 Wurzelkompressionssyndrom Symptome © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 23 Wurzelkompressionssyndrom Symptome Entwicklung eines chronisches Schmerzsyndrom (Ausmaß der Schmerzen durch morph. Befunde nur unzureichend erklärt), hängt von weiteren Faktoren ab: - psychischer Disposition - sozialen Begleitumstände - iatrogenen Faktoren (mangelnde Info`s über Gutartigkeit der Störung - Überbewertung radiologischer Befunde - prolongierte Krankschreibung - unkritisch langer Einsatz von Analgetika oder lokaler Infiltrationen - Nichtbeachtung psychiatrischer Komorbidität wie Depression, Angsterkrankung oder Persönlichkeitsstörung © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 24 Wurzelkompressionssyndrom Diagnostik Status- und Anamneseerhebung Instrumentell: - MRT : Wurzelkompression, Raumforderung oder entzündlichen Veränderungen - CT: z.B. Dünnschichttechnik ± knöcherner Rekonstruktion (Myelo-CT-Untersuchung) - Rö.-WS in 2 Ebenen: z. B. Instabilität, Spondylodiszitis - EMG: Erkennung und Gradierung von Paresen, Abgrenzung gegenüber Neuritiden Labor: - bei klinischem Verdacht auf Entzündung (Spondylodiszitis) - Serologie: Borreliose, Zoster, Myobacterium tuberculosis, Meningeosis, SAB © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 25 Wurzelkompressionssyndrom - zervikal © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 26 Wurzelkompressionssyndrom - zervikal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie konservative Verfahren sind gleichwertig und besser als gar keine Therapie konservativ: - multimodales, interdisziplinäres konservatives Vorgehen Ruhigstellung, Halskrause, Hüftgurt, Physiotherapie - frühzeitige Mobilisation reduziert sofort und kurzzeitig die Schmerzen im Vergleich zu keiner Behandlung Cave: Traktionsbehandlungen zur Schmerzlinderung können nicht empfohlen werden (Graham et al. 2008) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 27 Wurzelkompressionssyndrom - zervikal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie konservativ: - Physikalische Maßnahmen Effizienz von z.B. Massagen nicht gesichert - Medikamentöse Therapie Orientierung am Stufenschema zur Behandlung von Schmerzen (WHO 1996) - Analgetika (z. B. Paracetamol 2–3 x 500–1000 mg/d, maximal 4 g/d) - nicht steroidale Antiphlogistika (z. B. Ibuprofen 400–800 mg alle 6–8 h [max. 2400 mg/d] oder Diclofenac 50–100 mg alle 8 h [max. 150 mg/d]) - schwach wirksame Opioide (z.B. Tramadol 100–200 mg alle 6–8 h [max. 600mg/d] - stark wirksame Opioide (z.B. Fentanyl transdermal 12,5–75 μg/h) - Muskelrelaxanzien bei begleitender Muskelverspannung © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 28 Wurzelkompressionssyndrom - zervikal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie Optional: - Infiltrative Maßnahmen bei länger anhaltenden Schmerzen periradikulärer CT-gesteuerter Steroidapplikation, aber: keine Leitlinie - Antibiotische Therapie (Lyme-Borreliose, Zoster, Spondylodiszitiden) Cave: Borreliose Borrelien-Neurose - komplementäre medik. Therapie trizyklischen Antidepressiva, Serotonin- und Noradrenalin-re-uptakeinhibitor - Physio- und Sporttherapie behaviorale Psychotherapie mit Entspannungsverfahren, Krankheitsverarbeitung und Stressbewältigung © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 29 Wurzelkompressionssyndrom - zervikal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie Operativ: - keine validen Daten, die beweisen, dass OP langfristig zu besserem Ergebnis führt als kons. Vorgehen (unabhängig von der Art und Dauer der Symptomatik) - OP verkürzt Schmerzdauer (Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit) absolute OP-Indikation: - progrediente, motorische Ausfälle schlechter als Kraftgrad 3/5, veget. Störungen relative OP-Indikation: - trotz kons. Maßnahmen (8–12 Wo. Ø Beschwerderückgang) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 30 Wurzelkompressionssyndrom - zervikal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie Operative Verfahren: - offene mikrochirurg. Diskektomie ± interkorporeller Spondylodese (verschiedene Fusionsmethoden und –materialien wie Titan, Polyetheretherketon [PEEK]) über ventralen Zugang oder Bandscheibenprothetik - Sequesterektomie über eine dorsale Foraminotomie bei lateralen Sequester (Frykholm-OP) - Datenlage alleinige Diskektomie vs. Diskektomie mit Fusion ist in Hinblick auf das klinisches Ergebnis nicht eindeutig Achtung: Kyphosen bei alleiniger Diskektomie © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 31 Wurzelkompressionssyndrom - lumbal © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 32 Wurzelkompressionssyndrom - lumbal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie aktiver Therapie ist der Bettruhe Vorzug zu geben konservativ: - Physiotherapie spätestens 4 Tage nach dem akuten Ereignis Entlastung und Ruhigstellung sind in der Akutphase nicht empfehlenswert - Physikalische Maßnahmen positiver Effekt in Akutphase: lokalen Wärmeanwendungen, evtl,. Bewegungstherapie im Wasserbad, Entspannungs- und Lockerungsübungen - Massage und Elektrotherapie kann bei subak. / chron. Rückenschmerzen hilfreich sein Normalisierung von Muskeltonus - medikamentöse Therapie © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 33 Wurzelkompressionssyndrom - lumbal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie optional: - aktive spinale Manipulation bei akuten Rückenschmerzen ohne radikuläre Symptomatik binnen 4–6 Wo. hilfreich Achtung: beim akuten lumboradikulären Syndrom KI ! bei akuten lumbalen Schmerzen mit Ischialgie nicht wirksam - Physiotherapie und Rückenschule zur Korrektur Muskeltonuserhöhung hilfreich aber: wenig Einfluss auf Schmerz und Funktionsstatus - Verhaltenstherapie Beeinflussung kognitiver Prozesse, Abbau angstmotivierten Vermeidungsverhaltens Kombination mit medikamentöser und Physiotherapie aber: Ziel ≠ Schmerzbeseitigung, aber Optimierung der Schmerzbewältigung © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 34 Wurzelkompressionssyndrom - lumbal © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 35 Wurzelkompressionssyndrom - lumbal Allgemeine Empfehlungen zur Therapie Operativ: - ältere Arbeiten: vorübergehende Überlegenheit operativer Verfahren - neuere Studien: nach 10 Jahren Zufriedenheit in OP-Kollektiv größer als in konserv. Kollektiv, aber Nachoperationen / Behinderungen / Symptomreduktion vergleichbar - Trend bezüglich der Schmerzreduktion für operierte Patienten - früh operierten Patienten zeigen schnellere Erholung und Schmerzlinderung absolute OP-Indikation: - Kauda-Syndrom - Blasen- und Mastdarmlähmungen - progrediente und akut aufgetretene schwere motorische Ausfälle (schlechter als KG 3/5) relative OP-Indikation: - analog zervikal © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 36 © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 37 Dura L5 links ZWR L4/5 © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 38 Dura L5 links ZWR L4/5 Dura ZWR L4/5 © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen L5 links 39 Wurzelkompressionssyndrom - lumbal Operative Maßnahmen Offene Sequesterentfernung und/oder Nukleotomie in mikrochirurgischer Technik: - Sequesterentfernung ohne Diskektomie meist ausreichend und komplikationsärmer - Endoskop-anwendung zeigt keinen signifikanten Unterschied perkutane Laserdiskektomie: - keine Vergleichsstudien zur mikrochirurgischen Technik Stabilisierungsoperation ggf. mit Dekompression: - Wirbelkörperdestruktion, Spondylolisthesis, therapieresistente Spondylodiszitis (Hemi-)Laminektomie oder erweiterte Fensterung mit Dekompression der Gegenseite („Undercutting") mit und ohne Stabilisierung: - Claudicatio caudae equinae (neurogene Claudicatio) künstliche Bandscheiben: - derzeit kritisch bewertet © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 40 Kraniozervikaler Übergangsbereich Pathomechanismus: Knöcherne Fehlbildung (Malformation): - Atlasassimilation (Fusion von Atlas (C1) und Okziput) - Atlashypoplasie - Klippel-Feil Fehlbildung (Blockwirbel) - Os odontoideum (Knochenbein im Bereich des Atlas (C1) - Platybasie (Abflachung der Schädelbasis) - basiläre Invagination oder Impression („Einstülpen“ der oberen Halswirbel in die Schädelbasis) Trauma: und dadurch bedingte Einklemmung von Rückenmark und/oder Nervenwurzel Instabilität: - Atlanto-axiale Subluxation, z.B. nach Trauma - Infektion - Tumor - rheumatoider Polyarthritis (PAR) / Paget-Krankheit Tumore: - Chordom, Meningeom, Schwannom, Metastase, primäre Knchentumore Gefäße: - Bow Hunter Syndrom (Einklemmung der Aa. vertebrales bei Drehung) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 41 Kraniozervikaler Übergangsbereich © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 42 Kraniozervikaler Übergangsbereich Symptome: - Kopf- und Nackenschmerz, Armschmerzen - Einklemmungszeichen von kaudalen Hirnnerven, Rückenmark, Kleinhirn Diagnostik: - Status- und Anamneseerhebung - CT und MRT - Gefäßuntersuchungen (angio MR, angio CT, Doppler, zerebrale Angio) - komplementäre Verfahren (z.B. PET) - dynamische Röntgenuntersuchung für Ausschluss/Bestätigung einer Instabilität Therapie: - konservativ oder chirurgisch - Dekompression von Nervenstrukturen und einer gleichzeitigen Stabilisierung durch Metallstäbe und/ oder -schrauben © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 43 Kraniozervikaler Übergangsbereich © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 44 Zervikale Myelopathie Pathomechanismus = altersabhängige degen. Erkrankung – HWS - bei prädisponiertem engen Zervikalkanal führt Degenerationen der HWS zur Kompression Halsmarkes oder dessen Blutgefäße - Kompression von Myelon und Nn. führt zur direkten Schädigung der Myelinscheide, später der Axone und sekundär der Integrität des Zellsomas - Motorische, sensible Symptome sowie Schmerz als Folgen der Entwicklung, verstärkt durch dynamische Komponente infolge Bewegung - vaskuläre Faktoren (Drosselung der arteriellen Blutzufuhr, Reduktion des venösen Abflusses) sowie ein Myelonödem tragen zur Pathogenese bei Trias aus Kompression von Rückenmarks, Gefäßen/Ischämie und intramedullärem Ödem © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 45 Zervikale Myelopathie Symptomatik - radikulärer Ausfälle der ob. Extremitäten und Zeichen der Rückenmarkschädigung (zervikale spondylotische Myelopathie) - Neurologische Zeichen: - Pyramidenbahnzeichen - spastische Tonuserhöhung - breitbasig-ataktischer Gang durch Störung der Afferenzen - Atrophien und periphere Paresen der Handmuskeln mit Störungen der Feinmotorik - Blasen- und Mastdarmstörungen eher gering Quantifizierung der Funktionseinbußen sowie Basis für die Erfassung von Therapieeffekten über den Japanese Orthopaedic Association (JOA) Score (Erfassung der motor. und sens. Funktionen aller Extremitäten sowie der Blasenfunktion) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 46 Zervikale Myelopathie Diagnostik Status- und Anamneseerhebung Instrumentell: - Rö - HWS - MRT - CT (Osteophyten, Facettengelenkshypertrophie; Kalzifizierung der Ligamente) - Myelografie mit anschließendem Myelo-CT - EMG, NLG - SSEP und MEP zur Objektivierung der Beschwerden und Quantifizierung (z. B. Verlaufsuntersuchung bei N. medianus und N. tibialis) - Beurteilung der Blasenfunktion (Restharnsonografie) Labor: - bei Risikogruppen: atrophische Gastritis, Vegetarier/Veganer, Patienten > 80 Jahre): Vitamin-B12-Spiegel, Methylmalonsäure, Homozystein, Holocobalamin (zum Ausschluss einer funikulären Myelose) - Borrelien-Serologie, Liquoruntersuchungen (Abgrenzung entzündlicher Erkrankungen) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 47 Zervikale Myelopathie © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 48 Zervikale Myelopathie Therapie randomisierte Studien liegen nicht vor konservativ: - bei geringer Funktionsstörung bzw. fehlender oder geringer Progredienz und höherem Lebensalter - engmaschige Verlaufskontrolle operativ: - Gangunsicherheit, ältere Patienten, Verschlechterung einer vorbestehenden Myelopathie als negative Prädiktoren - bei eindeutiger Korrelation von Bild und Klinik bzw. deutlicher elektrophysiologische Verschlechterung absolute OP-Indikation: - rasch progrediente, durch Myelopathie verursachter Querschnitt elektive OP-Indikation: - bei Gangstörung und deutlicher Feinmotorikstörung der Hände sowie Blasenstörung. © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 49 Zervikale Myelopathie operative: = Dekompression des Rückenmarks und ggf. der Wurzeln zur Vermeidung bleibender Ausfälle bzw. Stop einer weiteren Progredienz - bei Vorliegen einer Indikation sollte operativer Eingriff rasch erfolgen (Zeitfaktor) Operationstechniken: - Techniken abhängig von Zahl der betroffenen Segmente, Lokalisation der Enge und Sagittalprofil der HWS ab Anteriore Verfahren: - umschriebene Stenosen (1 oder 2 Segmente) ± Foraminotomie - mediane Vorfälle, Ossifikation des hinteren Längsbandes, ventrale Osteophyten - zervikale Instabilität mit der Notwendigkeit einer Fusion (Titan, Polyetheretherketon [PEEK]), ggf. Verplattung Posteriore Verfahren: - von dorsal verursachte Enge ≥ 2 Segmente (Laminoplastie/-ektomie) - ggf. Stabilisierung durch ein Schrauben-Stab-System) © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 50 Spinalkanalstenose Definition = umschriebene, knöchern ligamentäre Einengung des Spinalkanals - relative Stenose (10–14 mm Sagittaldurchmesser) - absolute Stenose (< 10 mm) aber: keine Erfassung des lateralen Durchmesser des Rec. lateralis Faktoren der Entwicklung: - Degeneration der Bandscheibe führt zu ventraler Einengung und Höhenminderung - gleichzeitige Einengung des Recessus und das Neuroforamen - verstärkte segmentale Mobilität führt zu Mehrbelastung der Facettengelenke - subklinische Segmentinstabilität mit ossären Anbauten als Folge mit konsekutiver Hypertrophie der Facettengelenke © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 51 Spinalkanalstenose Pathophysiologie bei fehlender Kompensation folgt manifeste Instabilität i.S. einer Spondylolisthesis mit Nervenwurzelkompression - Stehbelastung führt zu segmentaler Hyperlordosierung und weiterer Vorwölbung des Lig. flavum in den Spinalkanal - mechanische Irritation der Nervenwurzeln + vaskuläre Kompression - arterielle Ischämie als auch venöse Kongestion werden diskutiert - unter Gehbelastung dekompensiert die vaskuläre Versorgung der Spinalnerven, die in Ruhe meist noch ausreicht - Claudicatio spinalis als Resultat der Entwicklung © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 52 Spinalkanalstenose © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 53 Spinalkanalstenose Symptomatik - langjährige, schleichend progrediente Rückenschmerzen - belastungsabhängige Schmerzausstrahlung in die Beine - Müdigkeit und Schweregefühl - im weiteren Verlauf Hypästhesie und Paresen - Kaudasyndrom selten - Linderung durch Aufhebung der Hyperlordosierung (siehe Pathophysiologie) z.B. beim Radfahren oder Aufstützen - Co-Morbiditäten: - PNP (D.m.) - Coxarthrose - Facettengelenksarthrose und Segmentinstabilität - gleichzeitiger BSV DD peripheren arteriellen Verschlusskrankheit: Stehenbleiben für Erholung ausreichend Patienten während der ärztlichen Untersuchung häufig schmerzfrei und ohne neurologische Defizite, aber Einschränkung der Mobilität und der Lebensqualität oftmals eklatant © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 54 Spinalkanalstenose © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 55 Spinalkanalstenose Diagnostik: Status- und Anamneseerhebung Instrumentell: - MRT, ggf. CT - elektrophysiologische Diagnostik ohne charakteristische Hinweise - Rö-LWS bei VD auf Instabilität, Frakturen, Tumoren, Spondylodiszitis und Skoliose - Lumbale Myelografie mit Postmyelo-CT Therapie: Allgemein: - Spontanverlauf nicht ausreichend untersucht - Beschwerden scheinen oft (60 bis 70 %) zu stagnieren - für Befundprogredienz sprechen: - ausgeprägte Symptome, Listhese und Stenose © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 56 Spinalkanalstenose konservativ: - initial gerechtfertigt und indiziert - multimodales Therapiekonzept (medik., physiotherap., physik. Therapie) - Mittel der Wahl: NSAR, kurzfristige Corticoidgabe, ggf. Opioide, Muskelrelaxantien - entlordosierende Flexionsübungen - entlordosierende Orthesen - Trainingstherapie zur Stärkung der stabilisierenden Bauch- und Rückenmuskulatur sowie Laufband- und Ergometertraining - Elektrotherapie (TENS) - therapeutische Infiltrationen (epidural, periradikulär, Facettengelenke) aber: Claudicatio spinalis konservativ kaum beeinflussbar Im Gegensatz zum BSV mit Neigung zur spontanen Regredienz, zeigt die Spinalkanalstenose eine chronische, langsam progrediente Veränderung der segm. Strukturen © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 57 Spinalkanalstenose operativ: - nach Versagen intensiver konservativer Therapiemaßnahmen über mindestens 3 Monaten - Vorteil der operativen gegenüber der konservativen Therapie belegt - OP verringert belastungsabhängigen Rückenschmerz stärker als durch kons. Therapie - OP führte zu schnellerer und signifikant besserer Beschwerdelinderung Fensterung: - interlaminäre Techniken zur Dekompression der Nervenwurzeln und unter Erhalt dorsaler knöcherner/bindegewebiger „Zuggurtung“ Stabilisierung: - Resektion ligamentärer und ossärer Strukturen, zzgl. Stabilisierung Achtung: Funktionsaufnahmen zur präoperativen Klärung Interspinöse Spacer: - Rationale ist segm. Entlordosierung und damit eine Erweiterung des Spinalkanals - bislang fehlt jedoch Beleg einer sign. Überlegenheit des Verfahrens - Entfernung von Dornfortsätze, Wirbelbögen, Ligamenta flava und Gelenkanteile Laminektomie: © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 58 Vielen Dank © Universitätsmedizin Leipzig: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 59