Elementarmathematik 1 Einleitung Im Buch ’Virus Dynamics’ von M. Nowak und R. May findet man das Zitat: ... mathematics is no more, but no less, than a way of thinking clearly [3]. (... die Mathematik ist nichts mehr, aber nichts weniger, als eine Art, klar zu denken.) Wenn wir diese Art zu denken gut beherrschen, dann haben wir etwas, was uns in vielen Lebenslagen helfen kann. Außerdem ist die Mathematik an und für sich schön. Diese Vorlesung soll den Hörern wichtige Aspekte der Mathematik nahebringen, die praktisch eingesetzt werden können und hoffentlich auch etwas von der Schönheit des Fachs vermitteln. 2 Zahlen Wer an Mathematik denkt, denkt sofort an Zahlen. Zahlen spielen in der Tat eine zentrale Rolle in der Mathematik und in dieser Vorlesung sind sie unser erstes Thema. Es gibt verschiedene Arten von Zahlen und diese möchten wir Revue passieren lassen. Es gibt natürliche Zahlen, ganze Zahlen, rationale Zahlen, reelle Zahlen und komplexe Zahlen. Jetzt wird beschrieben, was diese unterschiedlichen Arten von Zahlen sind und was man damit machen kann. Die einfachsten Zahlen sind die natürlichen Zahlen {1, 2, 3, 4, . . .}, (1) die Zahlen, die wir in der Kindheit kennenlernen. Die Menge der natürlichen Zahlen wird mit N bezeichnet. Wenn a und b natürliche Zahlen sind, dann sind die Summe a + b und das Produkt ab auch natürliche Zahlen. Im Rahmen der natürlichen Zahlen können wir aber nicht immer subtrahieren. Z.B. gibt es 2 − 3 als natürliche Zahl nicht. Anders gesagt, gibt es keine natürliche Zahl a mit der Eigenschaft, dass 3 + a = 2. Die Lösung dieses Problems ist schon lange bekannt. Wir können die Null einführen (wie es schon die alten Inder getan haben) und die negativen Zahlen. Dann können wir 2 − 3 = −1 schreiben. Wenn die natürlichen Zahlen durch die Null und die negativen Zahlen {−1, −2, −3, −4, . . .}, 1 (2) erweitert werden, dann bekommen wir die ganzen Zahlen. Die Menge der ganzen Zahlen wird mit Z bezeichnet. Im Rahmen der ganzen Zahlen ist die Subtraktion ohne Einschränkung möglich. Wenn a und b ganze Zahlen sind, dann ist a − b immer sinnvoll. Durch eine Erweiterung des Zahlensystems haben wir uns mehr Möglichkeiten geschaffen. Addition und Multiplikation sind immer noch möglich, so dass durch die Erweiterung nichts verlorengegangen ist. Einige Autoren rechnen die Null zu den natürlichen Zahlen. Diese Alternative übernehmen wir hier nicht. Wir bezeichnen die Menge der natürlichen Zahlen mit der Null dazu als N0 , d.h. N0 = N ∪ {0}. Im Rahmen der ganzen Zahlen ist die Division nur begrenzt möglich. Z.B. gibt es 32 als ganze Zahl nicht. Es gibt keine ganze Zahl a mit der Eigenschaft dass 3a = 2. Diese Einschränkung kann aufgehoben werden in dem wir die ganzen Zahlen durch die Brüche erweitern. Die Brüche, einschließlich der ganzen Zahlen heißen rationale Zahlen. Das Wort ’rational’ hier soll nicht als ’vernünftig’ interpretiert werden sondern kommt vom lateinischen ’ratio’ (Verhältnis). Die Menge der rationalen Zahlen wird mit Q bezeichnet. (Q steht für Quotienten.) Die bekannten Regeln der Bruchrechnung erlauben es im Rahmen der rationalen Zahlen die vier Grundrechenarten ohne Einschränkung auszuführen bis auf die Tatsache, dass die Division durch Null nicht definiert ist. Zusammenfassend, haben wir jetzt drei Zahlenarten N, Z, Q eingeführt mit N ⊂ Z ⊂ Q. Es gibt noch eine weitere Klasse von Zahlen, die sehr wichtig sind, die reellen Zahlen, √ die mit R bezeichnet werden. Außer den rationalen Zahlen enthalten sie z. B. 2 und die Kreiszahl π. Diese Zahlen sind notwendig für die Anwendungen der Mathematik in den Naturwissenschaften und, innerhalb der Mathematik, auf die Geometrie. Sie werden gebraucht, um die diagonale des Quadrats mit Seitenlänge Eins oder den Umfang des Kreises mit Radius Eins auszudrücken. Diese Zahlen sind keine rationalen Zahlen (was nicht offensichtlich ist). Auf diese Dinge gehen wir später genauer ein. Die reellen Zahlen, die keine rationalen Zahlen sind, heißen irrationale Zahlen. Selbst innerhalb der reellen Zahlen hat die Gleichung z 2 = −1 keine Lösung. Um dieses Problem zu umgehen führt man eine Größe i ein, die imaginäre Einheit, mit der Eigenschaft i2 = −1. Es gilt auch (−i)2 = −1. Dann hat unsere Gleichung zwei Lösungen. Man kann eine Klasse von Zahlen definieren, die komplexen Zahlen, die auch i enthält. Sie wird mit C bezeichnet. Die Zahlen der Form ai mit a reell heißen imaginär und die Bezeichnung ’reelle Zahlen’ entstand als Gegensatz zum Begriff ’imaginäre Zahlen’. 2.1 Die reellen Zahlen Wir haben jetzt von den reellen Zahlen gesprochen, nicht aber genau gesagt, was sie sind. Ein anschauliches Bild der reellen Zahlen wird durch die Zahlengerade gegeben. Betrachten wir eine Gerade auf der ein Punkt (der Ursprung) ausgezeichnet wird. Eine Richtung auf der Gerade wird als positiv deklariert. Z. B. wird oft eine waagerechte Gerade genommen und die positive Richtung als ’nach rechts’ gewählt. Der Ursprung wird mit der Zahl Null identifiziert. 2 Eine positive Zahl a wird mit dem Punkt identifiziert, der in positiver Richtung im Abstand a zum Ursprung liegt. Eine negative Zahl a wird mit dem Punkt identifiziert, der in negativer Richtung im Abstand −a zum Ursprung liegt. Auf diese Weise bekommt insbesondere jede rationale Zahl eine Darstellung auf der Zahlengerade. Wie schon angedeutet entsprechen aber nicht alle Punkte auf der Gerade rationalen Zahlen. Es ist relativ kompliziert, eine präzise und vollständige Definition der reellen Zahlen zu geben und eine solche Definition kann im Rahmen dieser Vorlesung nicht gebracht werden. Ein wesentlicher Umstand ist dass die rationalen Zahlen in den reellen Zahlen dicht liegen. Das heißt, dass wenn a eine reelle Zahl ist und > 0 es eine rationale Zahl b gibt, so dass der Abstand zwischen a und b kleiner als ist. Man kann eine reelle Zahl beliebig gut durch rationale Zahlen approximieren. Praktische Messungen in der realen Welt haben nur eine endliche Genauigkeit. Wenn wir die Länge eines Stabs messen wird das Ergebnis immer nur mit endlich vielen Dezimalstellen angegeben. Das heißt, das Ergebnis ist eine rationale Zahl. Die reellen Zahlen sind trotzdem für die Anwendungen der Mathematik von großer Bedeutung. Die Vorteile dieses Begriffs hängen damit zusammen, dass wir ein intuitives Bild der Gerade in uns tragen. Eine Definition der reellen Zahlen wurde erst 1872 von Richard Dedekind aufgestellt, der damals Professor der Mathematik in seinem Geburtsort Braunschweig war. Seine Konstruktion, der ’Dedekindsche Schnitt’ wird bis heute verwendet. Jetzt soll gezeigt werden, warum die rationalen Zahlen für die Geometrie nicht ausreichen. Die alten Griechen √ wussten, dass die Diagonale eines Quadrats der Seitenlänge Eins die Länge 2 hat, und dass diese Zahl irrational ist. Der Beweis ist ein sogenannter ’indirekter Beweis’ oder Beweis durch Widerspruch. Man nimmt an, dass eine bestimmte Aussage wahr sei und leitet aus dieser Aussage durch logische Schritte einen Widerspruch. Daraus schließt man, dass die Annahme √ falsch gewesen sein muss. Im Beispiel, das uns interessiert führt die Annahme, 2 sei rational zu einem Widerspruch und damit ist bewiesen, dass √ 2 irrational ist. Bevor wir den Beweis durchführen machen wir auf folgende Umstände aufmerksam. (i) Wenn a eine positive rationale Zahl ist, dann kann sie in der Form p/q geschrieben werden mit p und q aus Z. Dabei darf angenommen werden, dass p und q positiv sind. Weil wenn p negative wäre, wäre q auch negativ und man könnte p und q durch −p und −q ersetzen. Wenn p und q positiv sind können wir weiterhin anehmen, dass p die kleinste Zahl ist für die es ein solches Paar (p, q) gibt. In dem Fall sind p und q nicht beide gerade. Weil sonst könnten wir sie durch (p/2, q/2) ersetzen. (ii) Wenn eine ganze Zahl a gerade ist, dann ist definitionsgemäss a = 2b für eine ganze Zahl b. Dann ist a2 = 4b2 = 2(2b2 ) auch gerade. Wenn dagegen a ungerade ist, dann ist a = 2b + 1 für eine ganze Zahl b und a2 = (2b + 1)2 = 2(2b2 + 2b) + 1 auch ungerade. Zusammenfassend, eine ganze Zahl a ist gerade 2 genau dann wenn √ a gerade ist. Satz Die Zahl 2 ist irrational. √ Beweis Wenn √ wir annehmen, dass 2 rational ist, dann gibt es ganze Zahlen p und q mit 2 = pq . Wir können nach (i) annehmen, dass p und q positiv sind 3 und nicht beide gerade. Quadrieren und mit q 2 multiplizieren gibt p2 = 2q 2 . Deshalb ist p2 gerade. Es folgt aus der obigen Diskussion, dass p gerade ist, also p = 2r für eine ganze Zahl r. Deshalb ist 4r2 = 2q 2 und q 2 = 2r2 . Daraus folgt, dass q 2 und deshalb auch q gerade ist. Die Zahlen p und q sind also beide gerade, was unserer Annahme widerspricht. Damit ist der Beweis geführt. Es ist viel schwieriger zu beweisen, dass π irrational ist. Der erste Beweis stammt vom schweizer Mathematiker Johann Heinrich Lambert im Jahr 1761. 3 Der Goldene Schnitt Der Goldene Schnitt ist ein Verhältnis von Längen, das in der Kunst als besonders schön gilt. Sie kommt auch an vielen Stellen in der Natur vor, z.B. bei der Blattstellung von Pflanzen (Phyllotaxis). 3.1 Definition des Goldenen Schnitts Der Goldene Schnitt wird durch eine Art definiert, eine Strecke zu schneiden, liefert aber am Ende eine reine Zahl. Definition Eine Strecke der Länge s > 0 wird im Goldenen Schnitt s = a + b geteilt, wenn sich die ganze Länge s zum größeren Abschnitt a wie dieser zum kleineren Abschnitt b verhält. Das heißt, es ist a s = . a b (3) Aus dieser Beziehung folgt, dass s a = , a s−a a 2 s + a −1=0 s (4) Die Formel für die Lösung einer quadratischen Gleichung liefert 1 1√ a =− ± 5. s 2 2 (5) Eine dieser Lösungen ist negativ und deshalb für das ursprüngliche Problem nicht relevant. Die andere ist a 1 √ = ( 5 − 1) = 0, 618 . . . . (6) s 2 Die Zahl Φ= a s = = 1, 618 . . . b a (7) ist das Goldene Verhältnis. Es wird manchmal behauptet, dass bei bestimmten schönen Gebäuden das Verhältnis der Dimensionen das Goldene Verhältnis ergibt (z. B. das Parthenon in Athen, der Dom von Florenz, Notre Dame in Paris). Es gibt aber anscheinend keine Dokumente die belegen würden dass beim Bau an so etwas 4 bewusst gedacht wurde. Vielleicht war es der unbewusste Sinn des Architekten nach Schönheit. In der Natur findet man das Goldene Schnitt bei der Anordnung der Blätter bestimmter Pflanzen. Der Goldene Winkel ist, in Grad ausgedrückt, 360 Φ . Bei bestimmten Pflanzen wo die Blätter um einen Stiel herum angeord net sind ist der Winkel zwischen aufeinanderfolgen Blättern 360 1 − Φ1 . Nach einer Theorie erreicht die Pflanze dadurch, dass die Blätter sich möglichst wenig überdecken und sich dadurch bei der Photosynthese möglichst wenig gegenseitig behindern. 3.2 Harmonische Rechtecke Ein Rechteck heißt harmonisch wenn die Längen der Seiten a, b mit a > b so a . In diesem Fall gilt ab = Φ. Wenn man ein Rechteck in sind, dass ab = a+b ein Quadrat und einen Rest zerlegt und das Verhältnis der Seiten beim Rest so ist wie beim ursprünglichen Rechteck, dann ist das ursprüngliche Rechteck harmonisch. 3.3 Vergleich mit der DIN-Norm für Papierformate Wie werden die üblichen Papierformate (A0, A1, A2, A3, A4, . . .) definiert? Sie haben die Eigenschaft, dass wenn man ein Blatt in einem dieser Formate halbiert, das Ergebnis ein Blatt im nächsten Format der Reihe ist. Alle Formate der Reihe haben das gleiche Verhältnis der Breite zur Länge. Dieses Verhältnis kann man folgendermassen berechnen. Wenn Länge und Breite des ersten Blattes a und b sind, dann ist die Bedingung die erfüllt werden muss ab = 2b a . Daraus √ a folgt, dass b = 2. Um zu wissen, wie groß die einzelnen Blätter sind muss man noch wissen, wie groß eins der Formate ist. Es wird festgelegt, dass das A0-Blatt die Fläche ein Quadratmeter haben soll. Die Länge des A0-Blatts ist dann die vierte Wurzel aus zwei. Sie ist nicht rational und insbesondere keine ganze Zahl von Millimetern. In der Praxis arbeitet man mit einer gewissen Toleranz. Der Richtwert ergibt eine Fläche von 999.949 Quadratmillimetern. 4 4.1 Die Fibonacci-Zahlen Definition der Fibonacci-Zahlen Leonardo da Pisa, Fibonacci genannt, war einer der ersten, der die indo-arabischen Ziffern in Europa bekannt gemacht hat. In seinem Buch ’Liber Abbaci’ (um 1200 erschienen) hat er folgendes Beispiel beschrieben: Ein bestimmter Mann hat ein Kaninchenpaar an einem Ort gehalten der auf allen Seiten von einer Mauer umgeben war. Wie viele Kaninchenpaare können in einem Jahr aus diesem Paar produziert werden wenn angenommen wird, dass jedes Paar in jedem Monat ein weiteres Paar hervorbringt, welches ab dem zweiten Monat fruchtbar wird? 5 Dieses Beispiel hat natürlich wenig mit Biologie und viel mit Mathematik zu tun. Die Fibonacci-Folge (die schon vor mehr als 2000 Jahren von anderen betrachtet wurde) wird folgendermassen definiert Definition Die Fibonacci-Folge {Fn } wird rekursiv durch F1 = F2 = 1, (8) Fn = Fn−1 + Fn−2 , n = 3, 4, . . . (9) definiert. Die ersten Elemente der Folge sind 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, . . . 4.2 (10) Goldener Schnitt und Fibonacci-Zahlen Betrachten wir die Zahlen √ 1− 5 φ= = −0, 618 . . . , 2 Φ= √ 1+ 5 = 1, 618 . . . . 2 (11) Die Zahl Φ ist nichts anderes als das Goldene Verhältnis. Die Zahlen φ und Φ sind beide Lösungen der Gleichung x2 − x − 1 = 0. Von diesem Ausgangspunkt können wir verschiedene Gleichungen für φ herleiten: 1 + φ = φ2 1 + 2φ = φ3 , 4 1 + 2φ = 1 + φ + φ = φ + φ2 = φ(1 + φ) = φ3 2 + 3φ = φ , 2 + 3φ = 1 + φ + 1 + 2φ = φ2 + φ3 = φ2 (1 + φ) = φ4 3 + 5φ = φ5 , 3 + 5φ = 1 + 2φ + 2 + 3φ = φ3 + φ4 = φ3 (1 + φ) = φ5 5 + 8φ = φ6 , 5 + 8φ = 2 + 3φ + 3 + 5φ = φ4 + φ5 = φ4 (1 + φ) = φ6 Diese Rechnung könnten wir beliebig lange weiterführen. Die gleichen Identitäten gelten für Φ, da Φ die gleiche Ausgangsleichung erfüllt wie φ. Hier baut sich ein Muster auf, wo die Fibonacci-Zahlen zum Vorschein kommen. Wenn wir die Gleichungen dieser Folge für φ von den entsprechenden Gleichungen für Φ subtrahieren dann ergeben sich die Gleichungen Φ2 − φ 2 Φ3 − φ 3 Φ4 − φ 4 Φ5 − φ 5 = 1, = 2, = 3, = 5, usw. (12) Φ−φ Φ−φ Φ−φ Φ−φ √ In diesen Formeln können wir den Nenner durch 5 ersetzen. Durch diese Überlegungen kommt man auf folgende Aussage, die von de Moivre und Binet bewiesen wurde. (Die soeben gemachten Rechnungen beweisen den Satz nicht.) Satz Zwischen den Fibonacci-Zahlen Fn und den Goldenen Zahlen φ und Φ besteht der Zusammenhang 1 Fn = √ (Φn − φn ), 5 n = 1, 2, 3, . . . Da |φ| < 1 folgt aus diesem Satz, dass für n groß Fn ungefähr gleich 6 (13) √1 Φn 5 ist. 4.3 Binomischer Lehrsatz und Pascalsches Dreieck Die Fakultät wird durch n! = 1 · 2 · 3 · . . . · n definiert. Die Binomialkoeffizienten werden durch n n! n n = , = 1, =1 (14) k k!(n − k)! 0 n definiert. In diesem Zusammenhang ist es auch günstig 0! = 1 zu definieren. Satz (Binomischer Lehrsatz) Wenn a, b ∈ R und n ∈ N dann gilt n (a + b) = n X n k=0 k an−k bk . (15) Dieser Satz wird normalerweise durch vollständige Induktion bewiesen. Dieser Beweismethode wenden wir uns im nächsten Abschnitt zu. Im Fall n = 1 reduziert sich der Satz auf die uninteressante Gleichung a + b = a + b. Dagegen sind die Fälle n = 2 und n = 3 schon für algebraische Rechnungen sehr nützlich. Sie lauten (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 , 3 3 2 (16) 2 3 (a + b) = a + 3a b + 3ab + b . (17) Wenn wir (a + b)n für größere Werte von n auf diese Weise ermitteln wollten, dann könnten die Rechnungen langwierig werden. Sie lassen sich einfacher sukzessiv durch die Verwendung der Identität n+1 n n = + (18) k k−1 k berechnen. Diese Identität bekommt eine geometrische Interpretation durch das Pascalsche Dreieck. [In der Vorlesung wird das Dreieck angeschrieben.] 4.4 Restklassen nach Division Definition Für zwei ganze Zahlen a, b ∈ Z und eine positive natürliche Zahl m ∈ N schreiben wir a ≡ b mod m bzw. a − b ≡ 0 mod m (19) genau dann, wenn a und b nach Division durch m den gleichen ganzzahligen Rest lassen. Es sind also z. B. 1 ≡ 5 mod 2 und 5 ≡ 14 mod 3. Die Division durch zwei teilt die natürlichen Zahlen N offenbar in zwei disjunkte Restklassen ein. Es sind die Restklasse aller ungeraden Zahlen (die Division durch zwei lässt den Rest 1) und die Restklasse aller geraden Zahlen (die Division durch zwei lässt den Rest 0). Wir schreiben 0̄ = {. . . , 2, 4, 6, 8, 10 . . .}, 1̄ = {. . . , 1, 3, 5, 7, 9 . . .}. 7 Analog zerlegt die Division durch 5 die Menge N in fünf einander disjunkte Restklassen, deren Elemente durch den gemeinsamen Rest 0, 1, 2, 3 oder 4 charakterisiert sind: 0̄ = {. . . , 5, 10, 15, 20, 25 . . .}, 1̄ = {. . . , 1, 6, 11, 16, 21 . . .}, 2̄ = {. . . , 2, 7, 12, 17, 22 . . .}, 3̄ = {. . . , 3, 8, 13, 18, 23, . . .}, 4̄ = {. . . , 4, 9, 14, 19, 24 . . .}. (20) Wir wollen die Elemente einer solchen Restklasse als äquivalent ansehen, gekennzeichnet durch das Symbol ∼, schreiben also z. B. 5 ∼ 10, 5 ∼ 15 , 10 ∼ 15 usw. (21) für die Restklasse 0̄ bei Division durch 5. Für dieses Beispiel schreibt man allgemeiner a ∼ b genau dann, wenn a − b ≡ 0 mod 5. (22) Die hierdurch eingeführte Relation zwischen zwei Elementen a und b besitzt interessante Eigenschaften, die sie als sogenannte Äquivalenzrelation auszeichnen. Definition Eine Äquivalenzrelation ist durch folgende Eigenschaften charakterisiert. Sie ist reflexiv: es gilt stets x ∼ x symmetrisch: wenn x ∼ y dann gilt auch y ∼ x transitiv: wenn x ∼ y und y ∼ z dann gilt auch x ∼ z Der Begriff der Äquivalenzrelation hat in der Mathematik viele Anwendungen. Diese Definition kann im Rahmen der Mengenlehre präzisiert werden. Wir fangen mit einer Menge X an. Die Produktmenge X × X ist die Menge aller Paare (a, b) mit a, b ∈ X. Eine Relation auf X wird durch eine Teilmenge R von X × X definiert. Die Relation heißt Äquivalenzrelation wenn folgende drei Eigenschaften gelten, die den schon oben genannten Eigenschaften entsprechen. Für jedes Element a ∈ X ist (a, a) ∈ R. Wenn (a, b) ∈ R, dann auch (b, a). Wenn (a, b) ∈ R und (b, c) ∈ R dann ist (a, c) ∈ R. Die Beziehung zwischen den zwei Schreibweisen ist, dass (a, b) ∈ R der Aussage a ∼ b entspricht. Es werden jetzt verschiedene Rechenregeln für Restklassen ohne Beweis angegeben. Aus a ≡ b mod m und c ∈ Z folgt a + c ≡ b + c mod m Aus a ≡ b mod m und c ≡ d mod m folgt a + c ≡ b + d mod m Aus a ≡ b mod m und c ∈ Z folgt ac ≡ bc mod m Aus a ≡ b mod m und c ≡ d mod m folgt ac ≡ bd mod m Aus a ≡ b mod m und n ∈ N folgt an ≡ bn√mod m Denken wir an den Beweis zurück, dass 2 irrational ist. In diesem Beweis haben wir zwei Tatsachen verwendet. Die erste ist, dass wenn man eine rationale 8 Zahl in Form p/q schreibt mit ganzen Zahlen p und q man annehmen darf, dass p und q nicht beide gerade sind. Es ist allgemeiner so, dass man annehmen kann, dass p und q teilerfremd sind. Das heisst, es gibt keine natürliche Zahl r > 1, die p √und q teilt. Die einzige andere Eigenschaft der Zahl 2 die wir im Beweis, dass 2 irrational ist verwendet haben ist, dass eine Zahl n gerade ist genau dann wenn n2 gerade ist. Dies ist die Aussage dass n ≡ 0 mod 2 genau dann, wenn n2 ≡ 0 mod 2. In dem Fall, dass für eine andere Zahl k gilt, dass n ≡ 0 mod k genau dann wenn n2 ≡ 0 mod k, dann kann man ähnlich argumentieren wie im Fall k = 2. Dass die zweite Aussage aus der ersten folgt sieht man aus den obigen Rechenregeln. Die Umkehrung kann man für einen gegebenen Wert von k überprüfen, in dem man alle Fälle durchgeht. Z. B. im Fall k = 5. 2 2 12 ≡ 1 mod 5, 22 ≡ 4 mod √ 5, 3 ≡ 4 mod 5, 4 ≡ 1 mod 5 Damit ist bewiesen dass 5 irrational ist und dass das goldene Verhältnis irrational ist. 4.5 Fermatsche Primzahlen In diesem Abschnitt werden die Rechenregeln für Restklassen verwendet, um ein klassisches Beispiel zu untersuchen. Der französische Mathematiker Pierre de Fermat hat 1637 vermutet, dass alle Zahlen der Form n Fn = 22 + 1 (23) Primzahlen sind, also natürliche Zahlen, die größer als 1 und nur durch sich selbst teilbar sind. Diese Zahlen heißen aus diesem Grund Fermatsche Zahlen. Sie sind beispielsweise F0 = 3, F1 = 5, F2 = 17, F3 = 257, F4 = 65537. (24) Leonhard Euler bewies aber dass F5 = 4294967297 keine Primzahl ist, sondern den Teiler 641 besitzt. 5 22 + 1 = 232 + 1 ≡ 0 mod 641. (25) Diese Aussage wird jetzt bewiesen. Zunächst ist 641 = 640 + 1 = 5 · 27 + 1 und 5 · 27 ≡ −1 mod 641. (26) In dem wir die vierte Potenz bilden bekommen wir 54 · 228 ≡ 1 mod 641. (27) 54 + 24 = 625 + 16 = 641 und 54 ≡ −24 mod 641. (28) Andererseits ist Diese Gleichung wird jetzt mit 228 multipliziert, mit dem Ergebnis 232 ≡ −54 · 228 mod 641 ≡ −1 mod 641. 9 (29) 5 5.1 Summenformeln Was sind Summenformeln? Wir in diesem Abschnitt explizite Darstellungen für die Summen Sp (n) = Pn wollen p p k=1 k für Potenzen k mit p ∈ N kennenlernen. An solchen Beispielen lernt man in der Regel die Beweismethode der vollständigen Induktion. Diese Vorgehensweise hat den Nachteil, dass man die richtige Antwort kennen muss, bevor man sie beweist. Wir wollen daher auch der Frage nachgehen, wie explizite Darstellungen für Summen von Potenzen auf direktem Wege hergeleitet werden können. Zweitens Pn leiten wir eine explizite Darstellung für die geometrische Summe Gq (n) = k=0 q k ab und diskutieren an einem Beispiel ihre Anwendung im Bereich der Zinsrechnung. 5.2 Die Summe der ersten n Zahlen Wir beginnen mit dem Satz Es gilt S1 (n) = n X k= k=1 n(n + 1) . 2 (30) Beweis Die Idee des nachfolgenden Beweises stammt vom neunjährigen C. F. Gauß: wir schreiben die Summe zweimal untereinander, einmal aufsteigend, einmal absteigend, auf und summieren die Elemente in den einzelnen Spalten 1+ 2 + ... n + (n − 1) + . . . +(n − 1) + n (31) + (32) 2 +1 Jede Spalte liefert einen Beitrag n + 1 und es gibt n davon. Das Ergebnis ist das doppelte der Summe, die wir ausrechnen wollten. Damit ist der Satz bewiesen. 5.3 Die Summe der ersten n Quadratzahlen Wir wollen eine explizite Darstellung für S2 (n) herleiten. Dazu benötigen wir den Hilfssatz Für jedes n gilt 1 + 3 + 5 + 7 + . . . + (2n − 1) = n2 . (33) Erster Beweis Dieser Beweis benutzt das Ergebnis des letzten Satzes. Die Summe die uns hier interessiert kann als die Summe von drei Beiträgen geschrieben werden. Dazu wird die Identität 2k − 1 = (k − 1) + (k − 1) + 1 benutzt. Die Summe von k ist das bereits bekannte n(n+1) während die Summe von 1 ist n. 2 Deshalb ist die Gesamtsumme n(n − 1) n(n − 1) + + n = n2 . 2 2 10 (34) Zweiter Beweis Dieser geometrische Beweis wird an der Tafel gezeigt. Satz S2 (n) = n(n+1)(2n+1) . 6 In der Vorlesung wird eine geometrische Darstellung dieser Identität im Fall n = 4 gegeben. Dabei werden sowohl der Hilfssatz als die Formel für die Summe der ersten n Zahlen verwendet. 5.4 Summe der ersten n Kubikzahlen - vollständige Induktion Eine explizite Darstellung von S3 (n) kann man mittels vollständiger Induktion bekommen. Die Beweismethode der vollständigen Induktion können wir wie folgt zusammenfassen. Satz Für jedes n ∈ N ∪ {0} sei eine Aussage An der Art gegeben, so dass gelten (i) die Aussage A0 is richtig, und (ii) aus der Richtigkeit von An für beliebig gewähltes n ∈ N0 folgt die Richtigkeit von An+1 . Dann gilt An für alle n ∈ N0 . Der erste Punkt wird als Induktionsvoraussetzung bezeichnet. Der Induktionsschritt is dann Inhalt des zweiten Punktes. Der Beweis dieses Satzes ist eng mit dem axiomatischen Aufbau der Zahlensysteme verwandt und wird hier nicht behandelt. Jetzt wird diese Beweismethode zur Bestimmung der Größe S3 (n) verwendet. Satz Es gilt n X n2 (n + 1)2 (35) k3 = S3 (n) = 4 k=1 Beweis Es reicht zu beweisen, dass S3 (n) = (S1 (n))2 , was jetzt mit vollständiger Induktion gemacht wird. Induktionsanfang: (S1 (1))2 = 1 = S3 (1). Die Aussage gilt also für n = 1. Induktionsschritt: Es sei vorausgesetzt, dass (S1 (n))2 = S3 (n) für einen bestimmten Wert von n. Dann berechnen wir 2 2 (n + 1)(n + 2) n(n + 1) 2 (S1 (n + 1)) = = + (n + 1) (36) 2 2 = (S1 (n))2 + n(n + 1)2 + (n + 1)2 (37) = S3 (n) + (n + 1)3 = S3 (n + 1). (38) Damit ist die Behauptung bewiesen. Bei der Induktion kann man genau so gut bei irgendeinem n = n0 anfangen wie bei n = 0. Das Ergebnis ist dann, dass die Aussage An für alle n ≥ n0 gilt. 5.5 Die geometrische Reihe Die geometrische Reihe ist die unendliche Summe der Glieder der sogenannten geometrischen Folge, d.h. derjenigen Zahlenfolge {ak } für welche das Verhältnis 11 benachbarter Folgenglieder stets konstant ist. Hier ist k ∈ N0 . Sei q = aak+1 k dieses Verhältnis. Dann ist ak = a0 q k . Für die n-te Partialsumme Sn der geometrischen Zahlenfolge ist daher Sn = n X ak = a0 k=0 n X qk (39) k=0 Satz Sei q 6= 1. Dann gilt n X qk = k=0 1 − q n+1 . 1−q (40) Ist ferner |q| < 1, so haben wir im Grenzfall n → ∞ ∞ X qk = k=0 1 . 1−q (41) Beweis Wir schreiben die n-te Partialsumme wie folgt aus Sn = n X qk = 1 + q + q2 + . . . + qn . (42) k=0 Es folgt, dass (1 − q)Sn = (1 + q + q 2 + . . . q n ) − (q + q 2 + q 3 + . . . q n+1 ) 1 − q n+1 . (43) Für q 6= 1 bekommen wir daraus die erste Behauptung. Um die Grenzformel zu bekommen benutzt man die Tatsache dass |q| < 1 impliziert |q|n → 0 for n → ∞. Die geometrische Reihe findet insbesondere Anwendung in der Zinseszinsrechnung bei Sparanlagen. Hier ist ein Beispiel. Zu Beginn eines jeden Jahres zahlt man 2000 Euro bei einer Bank bei einem Zinssatz von 5% ein. Wieviel Geld hat man nach fünf Jahren angespart? Wir gehen wie folgt vor. Zunächst berechnen wir den Zinsfaktor 1,05. Um diesen Faktor vermehrt sich das Geld in einem Jahr. Das im ersten Jahr eingezahlte Geld wird fünf Jahre verzinst, mit dem Ergebnis 2000 · (1, 05)5 . Das im zweiten Jahr eingezahlte Geld wird vier Jahre verzinst, mit dem Ergebnis 2000 · (1, 05)4 . Das gesamte angesparte Kapital ergibt sich also aus folgender Rechnung: 2000 · (1, 05)5 + 2000 · (1, 05)4 + 2000 · (1, 05)3 + 2000 · (1, 05)2 + 2000 · (1, 05)1 = 2000 · 1, 05 · ((1, 05)4 + (1, 05)3 + (1, 05)2 + (1, 05)1 + (1, 05)0 ) = 2000 · 1, 05 · 4 X (1, 05)k = 2000 · 1, 05 · k=0 = 11.602, 826 12 1 − (1, 05)5 1 − 1, 05 nach Rundung. Durch Zinsen hat sich das eingezahlte Kapital um 1.602,83 Euro erhöht. Hätte man die 10000 Euro am Anfang eingezählt und zu 5% auf 5 Jahre verzinst so wäre der Endbetrag 10000 · (1, 05)5 = 12.762, 82 gewesen, also wesentlich mehr. 5.6 Beweis der binomischen Formel Die Methode der vollständigen Induktion kann angewendet werden um die binomische Formel zu beweisen. Die Aussage An , die es zu beweisen gilt ist die Formel für einen gegebenen von n. Betrachten wir zuerst die Aussage PWert 0 A0 . (a + b)0 = 1 während k=0 k0 a−k bk = 00 = 1. Als nächstes kommt der Induktionschritt. n X n n−k k (a + b)n+1 = (a + b)(a + b)n = (a + b) a b k k=0 n n X n n−k+1 k X n n−k k+1 = a b + a b (44) k k k=0 k=0 Die zweite Summe auf der rechten Seite kann durch n+1 X n an−k+1 bk k−1 (45) k=1 ersetzt werden. Deshalb ist n n n n+1 n n+1 X n n−k+1 k n+1 a + + a b + b (a + b) = k k−1 n 0 k=1 n n n+1 n n+1 X n + 1 n−k+1 k a b + b = a + k n 0 k=1 n+1 X n + 1 = an−k+1 bk . (46) k k=0 Mit der letzten Aussage haben wir An+1 bewiesen und auch den binomischen Lehrsatz. 6 Quellen Im Sommersemester 2012 hat Steffen Fröhlich die Vorlesung Elementarmathematik an der Universität Mainz gehalten und ein Skript dazu geschrieben. Für die Vorlesung Elementarmathematik in späteren Semestern hat Alan Rendall dieses Skript nach seinem Geschmack abgeändert. Der vorliegende Text ist das Ergebnis. Die Abschnitte 2-7 basieren auf dem Text von Fröhlich. Die Hauptquelle für die Abschnitte 9 und 10 ist das Buch von Clark und Holton [1]. Die Hauptquelle für den Abschnitt 11 ist das Buch von Feller [2]. 13 References [1] Clark, J. und Holton, D. A. Graphentheorie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. [2] Feller, W. 1950 An introduction to probability theory and its applications. Wiley, New York. [3] Nowak, M. A. und May, R. M. 2000 Virus Dynamics. Oxford University Press, Oxford. [4] Singh, S. 2000 Fermats letzter Satz - die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels. DTV, München. 14