Prof. Dr. Hubertus Gersdorf Sommersemester 2010 Repetitorium Besonderes Verwaltungsrecht Fall 8: „Wahlkampf in der Stadthalle“ In Mecklenburg-Vorpommern finden demnächst Landtagswahlen statt, an denen auch die in der Öffentlichkeit als rechtsradikal eingestufte P-Partei teilnehmen wird. Die P-Partei, die ausschließlich in Mecklenburg-Vorpommern aktiv ist, verfügt in der Stadt R über einen Kreisverband (K). K möchte kurz vor der Wahl in der Stadthalle von R, die von einer zu 100 % in den Händen von R liegenden GmbH betrieben wird, eine Wahlveranstaltung durchführen. In der Vergangenheit wurde die Stadthalle regelmäßig von allen Parteien für Wahlkampfveranstaltungen benutzt. Die GmbH weigert sich jedoch , die Stadthalle zu vermieten. K stellt daraufhin bei der Stadt R den Antrag, die zum Abschluss eines entsprechenden Mietvertrages erforderlichen Maßnahmen gegenüber der GmbH zu ergreifen. Dieser Antrag wird mit folgender Begründung abgelehnt: In der Vergangenheit sei es – was zutreffend ist – anlässlich von Veranstaltungen der P-Partei zu Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern gekommen. Dabei hätten die Gegner der P-Partei, die sich durch die Veranstaltungen der P-Partei provoziert fühlten, auch vor Gewalt nicht zurückgeschreckt. Es müsse befürchtet werden, dass die Stadthalle Schaden nehme. Ob die Polizei einen hinreichenden Schutz gewähren werde, sei nicht hinreichend gewährleistet; jedenfalls habe die Stadt R darauf keinen entscheidenden Einfluss. Auch verfolge die P-Partei verfassungsfeindliche Ziele. Weiterhin verweist die R darauf, dass die in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen sich dafür ausgesprochen haben, den Bürgermeister zu bitten, die Stadthalle nicht für Veranstaltungen des bevorstehenden Wahlkampfes freizugeben. Sämtliche Parteien sollten sich um anderweitige Säle bemühen. Die Fraktionen sagten ihrerseits zu, auf eine Inanspruchnahme der Halle zu verzichten. Die dadurch geübte Solidarität der Demokraten ermögliche auch eine formale Gleichbehandlung aller Parteien. Eine derart kleine Partei wie die P-Partei (Stimmenanteil bei der letzten Wahl: 0,9 %) könne nicht weitergehende Ansprüche stellen als die größeren Parteien. Schließlich sei die Halle für die P-Partei angesichts ihrer geringen Anhängerschaft viel zu groß. Der K hält sämtliche Gesichtspunkte für unbegründet. Insbesondere weist er darauf hin, dass er eine Versicherung gegen etwaige Schäden an der Stadthalle abzuschließen bereit sei. 1. Hätte eine gerichtliche Klage des K gegen R Aussicht auf Erfolg? 2. Was kann K unternehmen, wenn bis zum Veranstaltungstermin nur noch zwei Wochen Zeit sind und noch keine gerichtliche Entscheidung ergangen ist? Lösungsskizze: 1. Frage: Hätte eine gerichtliche Klage der P-Partei Aussicht auf Erfolg? A. Zulässigkeit einer verwaltungsrechtlichen Klage I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges ( § 40 I 1 VwGO) bestimmt sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO Öffentlich-rechtliche Streitigkeit: o (P) weil Stadthalle von einer GmbH betrieben wird o Sonderrechtstheorie: wenn streitentscheidende Normen ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten Streitentscheidende Normen hier §§ 14 II, III KV M-V bzw. § 5 ParteiG, verpflichten ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt daher öffentlich-rechtliche Streitigkeit (+) o außerdem: im Bereich der Leistungsverwaltung Zweistufentheorie K begehrt eine staatliche Leistung, nämlich den Zugang zur Stadthalle zu unterscheiden, ob das „Ob“ oder das „Wie“ des Zugangs zur staatlichen Leistung streitig ist „Ob“ bestimmt sich stets nach öffentlichem Recht „Wie“ kann dagegen öffentlich- oder privatrechtlich ausgestaltet sein hier: „Ob“ streitig, daher öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit (+), da keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit keine abdrängende Sonderzuweisung (+) Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet II. Statthafte Klageart 1. Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) Verpflichtungsklage statthaft, wenn Erlass eines VA begehrt hier: Einwirkung der Stadt R auf GmbH begehrt VA i.S.d. § 35 VwVfG M-V? o (P) Außenwirkung 2 = wenn Maßnahme an eine natürliche oder juristische Person außerhalb des Verwaltungsträgers gerichtet ist GmbH zwar selbstständige juristische Person des Privatrechts aber: Stadthallen-GmbH steht zu 100 % in den Händen der Stadt Betreiben der Stadthalle = Aufgabenwahrnehmung im Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge nach dem Prinzip der demokratischen Legitimation muss GmbH der Gemeinde hierarchisch unterstellt sein daher keine Außenwirkung (vergleichbar mit dienstlicher Weisung im Beamtenverhältnis) o daher kein VA demnach Verpflichtungsklage nicht statthaft 2. Statthaftigkeit einer allgemeinen Leistungsklage Begehren demnach auf schlicht-hoheitliches Handeln in der Gestalt des Einwirkens auf die GmbH gerichtet (= Ausübung der gesellschaftsrechtlichen Befugnisse) statthafte Klageart daher die allgemeine Leistungsklage. III. Klagebefugnis ( § 42 II VwGO analog) Erfordernis des § 42 II VwGO gilt nach h.M. im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage analog (Ausschluss einer Popularklage drängt gleichermaßen auf Verwirklichung) K hat möglicherweise Anspruch auf das von ihr begehrte schlicht-hoheitliche Handeln aus § 5 ParteiG oder § 14 II KV M-V daher: Klagebefugnis (+) IV. Klagegegner bestimmt sich bei der allgemeinen Leistungsklage nach Rechtsträgerprinzip richtiger Klagegegner daher R V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit K gem. § 3 S. 2 ParteiG beteiligten- und gem. § 62 III VwGO prozessfähig R gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligten- und gem. § 62 III VwGO prozessfähig VI. Zwischenergebnis Klage zulässig B. Begründetheit Die allgemeine Leistungsklage ist begründet, wenn K einen auf den Abschluss eines Mietvertrages gerichteten Einwirkungsanspruch gegen die Stadt R hat. Sofern K ge3 gen R einen Anspruch auf Benutzung der Stadthalle hat, ist die Stadt R verpflichtet, entsprechend auf die GmbH einzuwirken, um diesen Anspruch durch Abschluss eines Mietvertrages zu realisieren. I. Anspruch aus § 14 II, III KV M-V 1. Voraussetzungen der AGL a) Öffentliche Einrichtung Stadthalle = öffentliche Einrichtung? = Leistungseinrichtungen im Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge, die einem bestimmten öffentlichen Zweck gewidmet sind und die der Bürger im Rahmen der öffentlichen Zweckbestimmung nutzen kann Stadthalle (+) b) Einwohner der Gemeinde K = Einwohner der Gemeinde? gem. § 14 III KV M-V sind Personenvereinigungen Einwohnern gleichgestellt, wenn sie ihren Sitz in der Gemeinde haben K = Personenvereinigung (Kreisverband der P-Partei) mit Sitz in R teilweise zusätzlich einschränkend gefordert, dass bei Parteigliederungen nur dann Anspruch auf Zugang zu kommunaler Einrichtung, wenn Veranstaltung mit örtlichem Einzugsbereich; liegt hier aber vor, da Mehrheit der Besucher aus R kommen werden, so dass örtlicher Bezug gegeben c) Nutzung im Rahmen der Widmung (=ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung) Teilhabeanspruch von vornherein auf den durch Widmung vorgegebenen Einrichtungszweck begrenzt Wahlkampfveranstaltungen gehören zum Widmungszweck einer Stadthalle, insbesondere, wenn dies der vorangegangenen Vergabepraxis entspricht (P) durch Beschluss des Stadtrates sollen Wahlkampfveranstaltungen bei dieser Wahl ausgeklammert sein o nur dann erheblich, wenn Widmungsänderung o hier wurde Bürgermeister nur „aufgefordert“, Stadthalle nicht mehr für Wahlkampfveranstaltungen freizugeben; die im Stadtrat vertretenen Fraktionen verzichten freiwillig auf Nutzung der Halle für Wahlkampf o daher wohl keine Widmungsänderung geplante Nutzung somit im Rahmen der Widmung d) Nutzung im Rahmen der vorhandenen Kapazität (=ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung) Stadthalle weder bereits durch andere Veranstaltungen belegt, noch zu klein für die geplante Veranstaltung 4 Einwand der Saal sei für P-Partei zu groß? o kein Rechtfertigungsgrund für Ablehnung; alleinige Zweckmäßigkeitserwägung des K, wenn er riskieren will, die Wahlkampfveranstaltung in einer halbleeren Halle abzuhalten o andere Bewertung allenfalls, wenn mehrere Veranstaltungen um den Saal konkurrieren (dann z.B. Prioritäts- oder Losprinzip) e) Nutzung „im Rahmen der bestehenden Vorschriften“ Einwand der Gleichbehandlung o weder über § 5 ParteiG noch über Art. 3 GG kann Verhalten anderer Berechtigter zu einer Einschränkung des Rechts der P-Partei führen o Vorschriften gewähren ja gerade auch der P-Partei Rechte und können nicht umgekehrt zum Nachteil der P-Partei angewandt werden o daher führt freiwilliger Verzicht der anderen Parteien nicht zu einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot Einwand der Verfassungsfeindlichkeit der P-Partei o Art. 21 II 2 GG: Entscheidungsmonopol des BVerfG politische Parteien genießen aufgrund ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben gegenüber anderen Vereinigungen und Verbänden das sog. „Parteienprivileg“: erhöhte Schutz- und Bestandsgarantie politische Parteien daher solange als verfassungsgemäß zu behandeln, bis BVerfG Verfassungswidrigkeit festgestellt hat o Einwand daher hier unerheblich Einwand der drohenden Schäden o zu bestehenden Vorschriften gehört auch das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht; d.h. wenn Voraussetzungen der §§ 13, 16 SOG M-V vorliegen, könnte Zugang untersagt werden o Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung? hier aufgrund der Gefahrenprognose Eintritt von Schäden an der Gesundheit von Teilnehmern der Veranstaltung und politischen Gegnern, sowie Sachschäden an der Stadthalle = Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit o Ordnungspflichtigkeit des K? Verhaltensstörer gem. § 69 I SOG M-V? Gewalt gegen Personen und Sachbeschädigungen nicht durch Verhalten der Organisatoren, sondern anlässlich früherer Veranstaltungen durch politische Gegner der Veranstaltungen Gefahr geht daher nicht auf Verhalten des K zurück Zweckveranlasser? 5 aufgrund Sonderstellung politischer Parteien in der Verfassung restriktive Anwendung des Zweckveranlasserbegriffs geboten aus Sachverhalt geht nicht hervor, dass K zu Gewalt gegen Personen oder Sachbeschädigungen aufruft oder diese bezweckt, eher von rein politischer Provokation auszugehen daher scheidet auch Inanspruchnahme als Zweckveranlasser aus Inanspruchnahme als Nichtstörer gem. § 71 SOG M-V? hier schon gem. § 71 I Nr. 1 SOG M-V Inanspruchnahme der Störer durch Polizei möglich o (P) Einwand, dass unsicher sei, ob Polizei einen hinreichenden Schutz gewährleisten könne? Gewährung von Rechten darf grundsätzlich nicht vom Verhalten von Rechtsbrechern abhängig gemacht werden nur wenn konkrete Anhaltspunkte, dass es der Polizei unmöglich ist, Schäden auf andere Weise abzuwenden hier schon deshalb (-), weil P-Partei lediglich eine kleine Partei, so dass nicht von solch einem Ausmaß von Störungen auszugehen ist, dass Polizei dagegen machtlos wäre Sachschäden zudem durch Versicherung oder Sicherheitsleistung abdeckbar; P-Partei hat sich dazu bereit erklärt mit gleicher Begründung zudem davon auszugehen, dass Gefahr gem. § 71 I Nr. 2 SOG M-V von Polizei selbst beseitigt werden kann daher kann K nicht als Nichtstörer in Anspruch genommen werden o Einwand der drohenden Schäden somit unerheblich Nutzung daher „im Rahmen der bestehenden Vorschriften“ f) Zwischenergebnis Voraussetzungen der AGL liegen vor 2. Rechtsfolge § 14 II KV M-V gewährt Anspruch auf Benutzung; kein Ermessen 3. Ergebnis Einwirkungsanspruch des K gegen die Stadt R auf die GmbH ist nach § 14 II, III KV M-V 6 II. Anspruch aus § 5 ParteiG keine originäre AGL für Zugang zu öffentlichen Einrichtungen nur Anspruch auf Gleichbehandlung der Parteien, wenn zumindest einer Partei eine öffentliche Leistung gewährt wird; dabei Abstufungen nach Bedeutungen der Parteien zulässig hier jedoch kein Gleichbehandlungsproblem, da Zugang zur Stadthalle bislang keiner anderen Partei gewährt III. Ergebnis der Begründetheit allgemeine Leistungsklage ist begründet C) Ergebnis zu Frage 1: Eine allgemeine Leistungsklage hat Aussicht auf Erfolg. 2. Frage: Was kann K zwei Wochen vor dem Veranstaltungstermin unternehmen? K könnte Einwirkungsanspruch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen Erfolgsaussichten (+), wenn Antrag zulässig und begründet A. Zulässigkeit eines Antrags im einstweiligen Rechtsschutz I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (§ 40 I 1 VwGO) (+) s.o. II. Statthaftigkeit des Antrags § 80 V VwGO oder § 123 VwGO? o Rechtsschutzbegehren nicht auf Suspendierung eines VA gerichtet (s.o.) o Hauptsacheverfahren = allgemeine Leistungsklage o daher: Verfahren nach § 123 I VwGO statthaft Statthafte Antragsform o Sicherungs- oder Regelungsanordnung? o Sicherungsanordnung dient der Sicherung eines vorhandenen Rechtsbestands, Regelungsanordnung dagegen auf Erweiterung des Rechtskreises gerichtet o hier Gewährung eines Rechts begehrt, = Erweiterung des Rechtskreises o daher Antrag auf Regelungsanordnung statthaft III. Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) (+) s.o. 7 IV. Antragsgegner bestimmt sich nach statthafter Klageart in der Hauptsache, daher gilt auch hier das Rechtsträgerprinzip, da die allgemeine Leistungsklage in Hauptsache statthaft (s.o.) richtiger Antragsgegner daher R V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (+) s.o. VI. Rechtsschutzbedürfnis (+), insbesondere vorher erfolglos Anspruch auf Benutzung der Stadthalle bei der Stadt R geltend gemacht VII. Zwischenergebnis Antrag nach § 123 I VwGO zulässig B. Begründetheit des Antrags Antrag nach § 123 I VwGO begründet, wenn K einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat I. Anordnungsgrund = Vorliegen eines Eilfalls wegen einer Gefahr der Rechtsvereitelung oder der wesentlichen Erschwerung der Rechtsdurchsetzung hier (+), da Veranstaltung bereits in zwei Wochen stattfinden soll und eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren bis dahin nicht erlangt werden kann II. Anordnungsanspruch Regelungsanspruch (+), wenn der Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine hoheitliche Leistung oder ein Rechtsverhältnis glaubhaft macht; bestimmt sich nach der materiellen Rechtslage hier Anspruch auf Zugang zur Stadthalle (+) s.o. (P) Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache o grundsätzlich darf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur vorläufige Regelung getroffen werden hier: allein die Entscheidung über Einwirkungspflicht der Stadt R auf ihre GmbH bzgl. der Zugangsgewährung zur Stadthalle kommt in Betracht = Entscheidung, die auch in Hauptsache begehrt wird und damit keine bloß vorläufige, sondern eine endgültige Regelung, die sich zum Zeitpunkt des Hauptsacheverfahrens erledigt hat und somit nicht wieder rückgängig gemacht werden kann o aber: Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache anerkannt, wenn andernfalls schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren 8 nachträglichen Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre hier: (+), Abwarten bis zur Hauptsache würde Durchführung der Wahlkampfveranstaltung im Zeitraum des Wahlkampfes unmöglich machen aufgrund der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien würde dies auch einen schweren und unzumutbaren Nachteil darstellen III. Ergebnis der Begründetheit Antrag nach § 123 I VwGO begründet C. Ergebnis Antrag nach § 123 I VwGO hat Aussicht auf Erfolg 9