Öffentliches Recht I Dr. Jacob VORLESUNGSSKRIPTUM (Fassung 2002) S t o f f ü b e r s i c h t (zugleich: Inhalt Stunden 1 und 2) Zum Material: 1. Nomos Verlag, STUDJUR, Öffentliches Recht, neueste Auflage 2000/2001 (verwendbar auch für die Vorlesung „Umweltrecht“) 2. F. Becker, Grundzüge des öffentlichen Rechts, München (Vahlen Verlag), 7. Auflage 2000 Aufteilung des Lehrstoffes: Verfassungsrecht (ca 2/3) und Verwaltungsrecht (ca 1/3) Zu den Rechtsgebieten: Öffentliches Recht ---------------------Privatrecht---------weitere Rechtsgebiete (ArbeitsR,SteuerR,SozialR) Staatsrecht-------Völkerrecht----------------------Verwaltungsrecht + Europarecht (s.Art. 24 und 25 GG) Allg. VerwRecht, Einzelne insbes. Verw.Verfahren Gebiete Rechts(VwVfG) z.B. (u.v.a.) Schutz (VwGO) Umweltrecht BauR PolizeiR AuslR Allg. Staatslehre (Voraussetzungen des Staatsbegriffs, wichtig etwa für Asylrecht: Asyl nur bei staatlicher Verfolgung) Verfassungsrecht (GG) Allg.Grundsätze Grundrechte des GG, inst. Garantien, Staatsziele Die für die Vorlesung wesentlichsten Gesetze: (alles Bundesrecht) GG (Grundgesetz) VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz) regelt das Handeln von Behörden VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung): Rechtsschutz gegen Behörden Beispiele für die Anwendung von Völkerrecht: Sammlungen zur Unterstützung von Revolutionen in Drittstaaten (Nichteinmischungsgebot); amerikanischer Aufklärer über China (völkerrechtl. Verträge über Luftverkehr); Völkerkriegsrecht (Problem Afghanistaneinsatz und Gefangene in Guantanamo: „Polizeiaktion“ oder Krieg?; oder: Ist Palästina ein Staat? Aktuelles Beispiel für die Relevanz von Europarecht: BSE- und MKS-Regelungen bis hin zu Sperrungen von Autobahnen; „Keulungsanordnungen“ (Tötung ganzer Herden beim Auftreten der Krankheit bei nur einem Tier). Problem: Wie ist rechtzeitiger Rechtsschutz möglich?? (Antwort: §§ 80 Abs. 5 VwGO). Weiteres Beispiel: Wehrdienst für Frauen (Europ. Gerichtshof Luxemburg), strenge Subventions- und Fusionskontrollen im Interesse des freien Wirtschaftsverkehrs (keine Diskriminierung von Konkurrenten anderer EG-Staaten. Explosion der europ. Rechtsvorschriften, die jeder Beitrittsstaat übernehmen muss: schon jetzt ca. 80 000 Seiten Texte (sog. Acquis communautaire)! Zum Problem Frauenwehrdienst: Wie wäre das GG u.U. so auszulegen, daß auch Frauen Dienst an der Waffe tun dürfen? Bedeutung des Worts „Sie“ in Art. 12 a Abs. 4 S. 2 GG? Andrerseits: Sinn und Zweck? Historische Auslegung? Systematische Stellung? Konsequenzen für Wehrpflichtproblem? Hängt schon am EuGH! (s. aber BVerfG 2002: Dass Frauen nicht Wehrdienst leisten müssen, ist mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar) Zur Unterscheidung insbesondere Öffentliches Recht ---- Privatrecht: Im Öff. Recht geht es immer um Rechtsbeziehungen, an denen mindestens ein Träger öff. Gewalt, ein sog. Subjekt des öffentlichen Rechts, beteiligt ist (z.B. Behörde einer Gemeinde, eines Bundeslandes oder der BRD, oder eine Anstalt, Körperschaft), auf der anderen Seite steht in aller Regel der Bürger als Betroffener. Beispiele für sog.Subjekte des öff. Rechts: Bund, alle Bundesländer, Gemeinden und Städte, Körperschaften (z.B. Unis), Anstalten (z.B. Rundfunkanstalt). Nur ganz ausnahmsweise Einzelne Private: z.B. TÜV, Prüfingenieure o.ä. Dementsprechend ist das öff. Recht gekennzeichnet durch ein Über/Unterordnungsverhältnis; die Behörde hat entspr. Befugnisse und auch Zwangsmittel. Im Privatrecht muß sich der Bürger des Staates zur Durchsetzung seiner Ansprüche bedienen. Kriterien zur Annahme von öffentlichem Recht: Ist überhaupt ein Subjekt des öff. Rechts beteiligt (Behörde)? Wenn nein: Privatrecht Wenn Behörde beteiligt: Tritt sie wie jeder beliebige Dritte auf (z.B. Uni schafft neue Computer an: Privatrecht) oder speziell zu Zwecken, die ihr als Behörde zur Erfüllung öff. Aufgaben obliegen (Öff. Recht)? Liegt Über-/Unterordnung, insbes. ein Verwaltungsakt, vor? (Vorsicht: es gibt auch öffentlichrechtliche Verträge!) Typisch für öffentliches Recht ist neben der Tatsache, dass Behörden zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und Zwecke tätig werden, die Über- und Unterordnung (keine Gleichstellung der Beteiligten). Ausnahmen: Subjekte des öff. Rechts werden zunehmend auch rein privatwirtschaftlich tätig (z.B. Gemeinde betreibt Bestattungsunternehmen) und nehmen insofern ganz normal am Privatrechtsverkehr teil. Außerdem wird weitgehend privatisiert („Flucht ins Privatrecht“). Geht nur eingeschränkt: s. Art. 33 Abs. 4 GG! Außerdem können Subjekte des öffentlichen Rechts außer privatrechtlichen Verträgen (s.o.) auch öffentlichrechtliche Verträge schließen: Sie handeln dann auf gleicher Ebene wie der Vertragspartner, aber nicht privatrechtlich. Beispiele: Verträge zwischen Städten über gemeinsame Erschließungsprojekte, über die Kosten von öffentlichrechtl.Massnahmen). Solche Verträge können auch mit Privaten (Einzelpersonen oder Gesellschaften) denkbar sein. Aktuell: Verträge über sog. Atomausstieg. Gesetze dürfen aber auf diese Weise nicht umgangen werden, s. §§ 54 ff. VwVfG. Ausdruck dieses Über/Unterordnungsverhältnisses ist der sog. Verwaltungsakt (VA), der bei fehlendem Widerspruch bestandskräftig wird (auch wenn er rechtswidrig ist!! Ausnahme: § 44 VwVfG) . Verwaltungsakt ist definiert in § 35 VwVfG Daher: Rechtsmittelbelehrungen bei allen Behördenschreiben lesen! Fristen für Widerspruch beachten (1 Monat, bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung ein Jahr) Verwaltungsakte sind z.B. Baugenehmigung, Versetzung eines Schülers, Abitur, Immatrukulation, Gebühren z.B. für Langzeitstudenten oder Rundfunk -- jedenfalls alles, worüber „Bescheid, Verfügung, Genehmigung, Anordnung, Entscheidung“ o.ä. steht. Wichtigste Frage beim (belastenden) Verwaltungsakt ist immer: WO STEHT DAS? (Jede belastende staatl. Maßnahme braucht eine gesetzliche Grundlage). Ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) Fallbeispiel zu den Gefahren der Bestandskraft: Einberufungsbescheid gegen Studenten im 5. Semester (trotz Zurückstellungsgrund oder u.U. sogar trotz schon erfüllter Wehrpflicht). Bestandskraft oder Nichtigkeit? (geregelt in § 44 VwVfG, setzt aber schweren Fehler und Offensichtlichkeit des Fehlers voraus. Wofür ist die Unterscheidung Öffentl. Recht - Privatrecht eigentlich relevant? Das öffentliche Recht hat Gefahren (insbes. den Verwaltungsakt, der bestandskräftig wird, wenn man sich nicht wehrt), aber für den Bürger auch Vorteile: - Insbesondere die unmittelbare Bindung an Gesetz und Recht (und die Grundrechte), s. Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 und 3 GG: Die Rechtsposition des Einzelnen ist (wenn er sich fristgerecht gewehrt hat) prinzipiell nicht schlecht. - Dann die Amtsermittlung und Aufklärung von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) durch die für das öff. Recht zuständigen Verwaltungsgerichte (während die Zivilgerichte die Sachverhaltsaufklärung mehr oder weniger dem jeweiligen Vortrag der Prozeßparteien überlassen) - Dann auch die günstigere Haftung der Körperschaften Staat, Gemeinde usw (Art. 34 GG i.V. mit § 839 BGB); Beispiel: Kindergartenfall - Günstigerer Rechtsschutz: Wenn gegen einen Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt worden ist, hat er in der Regel aufschiebende Wirkung (s. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) dh es wird so getan als sei der VA noch nicht ergangen (Beispiel Entziehung der Fahrerlaubnis, Stilllegung eines Kfz o.ä.). Ausnahme: wenn die Behörde im öff. Interesse den sog. Sofortvollzug anordnet (§ 80 Abs. 2 Ziff. 4 VwGO) oder wenn das Gesetz selbst die aufschiebende Wirkung ausschließt (s. § 80 Abs. 2 Ziff. 1 bis 3 VwGO), insbes. bei öff. Abgaben (Steuern, Gebühren, Beiträge). Beispiel zur Bedeutung der unmittelbaren Grundrechtsbindung: Das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und seine „Relativierung“ im privatrechtlich organisierten Krankenhaus auf der Intensivstation (Anspruch auf Aufnahme in ein Forschungsprogramm für Krebspatienen?) Bindung an Gleichheitssatz u.ä. wenn Gemeinde Grundstücke verkauft? In der Regel im Privatrecht nur Treu und Glauben (§ 242 BGB) und gute Sitten (§ 138 BGB) als Schranke der Privatautonomie. Fallbeispiel: Gemeinde will Grundstücke nur an junge Paare mit Kindern verkaufen. Diskriminierungsverbote auch im Privatrecht? (gesetzl. Regelung fehlt noch). Bindung an Grundrechte bei öffentlichrechtlich betriebenen Einrichtungen; Beispielsfall Städt. Altersheim, Obdachlosenheim oder Asylbewerberunterkunft. Ein Fall zu Überschneidungen und zur Abgrenzung Privatrecht/Öff. Recht: Der zu laute Rasenmäher auf dem Nachbargrundstück<. Es besteht sowohl die Möglichkeit, gegen einen Nachbarn direkt privatrechtlich vorzugehen ( § 1004 BGB wäre die Anspruchsgrundlage) oder aber - wenn ein Rechtsverstoß vorliegt, für den eine Behörde zuständig wäre - sich an diese Behörde zu wenden und ein Einschreiten gegen den Nachbarn zu verlangen. (Hier: Nach Immissionsschutzrecht). In diesem Fall erginge ein VA (Verwaltungsakt) nach öffentlichem Recht; entweder ein Verbot gegen den Nachbarn oder aber eine Verfügung (Verwaltungsakt), wenn die Behörde ein Einschreiten ablehnt. In beiden Fällen sind für den jeweils Betroffenen Rechtsmittel möglich. Ob und wie die Behörde einschreitet, hängt von der Vorschrift (Norm) ab, in der das Problem geregelt ist (hier: § § 24, 25 BImSchG). Kann- oder Sollvorschrift? Regel: Je größer die Rechtsgefährdung, desto eher Anspruch des Betroffenen auf Einschreiten. (Beispielfall Misthaufen: es gibt auch sog. Bestandsschutz, wenn ein Zustand früherem Recht entsprach, ähnlich wenn er von den Betroffenen lange Zeit akzeptiert wurde) Aktuelles und Fragen am Rande: Plakat: („Unser Sohn sagte, Graffiti seien Kunst - der Richter war anderer Meinung“). Angesprochen wird hier die Abgrenzung von Kunst (geschützt durch Art. 5 Abs. 1 GG) zum Eigentumsschutz (Art. 14 GG und strafrechtl. Vorschriften über Sachbeschädigung). Sog. Schaukeltheorie besagt: Was Vorrang hat, steht nicht abstrakt von vorneherein fest, sondern ist durch gegenseitige Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zu entwickeln; die eine Vorschrift ist „im Licht“ der anderen so auszulegen, dass für beide jeweils angemessener Raum bleibt. Probleme des Versammlungsrechts: NPD-Demonstrationen und Art. 8 GG - kann es darauf ankommen, um welche Meinung oder Position es gerade geht?? Wann genügt die Eskalation durch Gegendemonstrationen als Verbotsgrund? Differenzen zwischen BVerfG (stellt Demonstrationsrecht in den Vordergrund) und einzelnen Verwaltungsgerichten in NW und Bayern (sprechen Neoazis einen Grundrechtsschutz von vornherein ab). Wichtiger Begriff, wenn Behörden auf Anträge hin untätig bleiben oder die Bearbeitung verschleppen: Untätigkeitsklage (geregelt in § 75 VwGO) kann das Verfahren beschleunigen, wenn kein sachl. Grund für die Verzögerung vorliegt.