I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs - Beck-Shop

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I
Vier motivierende Probleme – ein
Schnupperkurs
Dieses erste Kapitel hat die Funktion, beim Leser das Interesse an zahlentheoretischen Fragestellungen zu wecken. Über vier interessante, leicht verständliche Probleme
– Sicherheit in der Apotheke
– Verblüffende Summendarstellungen
– Ein ungelöstes Problem
– Primzahlen – eine überraschende Entdeckung
wird der Leser sehr anschaulich und behutsam in Form eines Schnupperkur”
ses“ zur Elementaren Zahlentheorie hingeführt.
1
Sicherheit in der Apotheke
Frau Meyer ist erkrankt, und ihr Arzt verschreibt ihr ein neues Medikament.
Ihr Apotheker, Herr Müller, hat dieses nicht vorrätig und bestellt es beim Apothekengroßhandel, der es innerhalb weniger Stunden liefert. Die Bestellung erfolgt wegen der eindeutigen Identifikation und aus Rationalisierungsgründen
nicht durch Eingabe des Namens und der Packungsgröße (und ggf. weiterer
Details), sondern über eine siebenstellige Ziffernfolge, die sogenannte Pharmazentralnummer (kurz: PZN).
Beispiel
Im Regelfall ruft der Apotheker das entsprechende Medikament in der passenden Dosierung auf seinem Bildschirm auf, und die Bestellung erfolgt dann mithilfe der zugehörigen Pharmazentralnummer vollautomatisch. Heute klappt
dies jedoch nicht, und der Apotheker muss die PZN per Hand eingeben. Frau
6 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
Meyer schätzt ihren Apotheker zwar als äußerst gewissenhaften Menschen, dennoch kommt sie etwas ins Grübeln. Wie leicht kann Herr Müller – zumal gegen
Ende eines anstrengenden Tages – eine Ziffer beim Eintippen fehlerhaft eingeben (z. B. 7 statt 1) oder einen Drehfehler (z. B. 43 statt 34) machen. Hat dann
das falsche Medikament noch einen ähnlich klingenden Namen, könnte der Fehler bei der Übergabe des Medikaments übersehen werden – mit möglicherweise
bösen Folgen für ihre Gesundheit. Frau Meyer fragt daher den Apotheker, wie
die PZN aufgebaut ist und ob es Mechanismen gibt, zumindest gängige Eingabefehler zu verhindern. Glücklicherweise besitzt Herr Müller ein umfangreiches
Handbuch (Knoellinger und Berger, [16]), das u. a. auch genauere Informationen zur PZN enthält:
Die Pharmazentralnummer wird von der Informationsstelle für Arzneimittel
in Frankfurt vergeben. Jede PZN besteht aus 7 Ziffern, vorgeschaltet ist immer ein Bindestrich. Die letzte Ziffer – im folgenden Beispiel p genannt – ist
stets eine sogenannte Prüfziffer, die wie folgt aus den vorhergehenden Ziffern
berechnet wird: Die erste Ziffer wird mit 2, die zweite Ziffer mit 3, . . ., die
sechste Ziffer mit 7 multipliziert. Die Teilprodukte werden addiert, das Ergebnis durch 11 geteilt ( Modulo-11-Verfahren“).
”
Beispiel
PZN - 341496 p
2 · 3 + 3 · 4 + 4 · 1 + 5 · 4 + 6 · 9 + 7 · 6 = 138
138 : 11 = 12 Rest 6, also p = 6.
Die Prüfziffer p ist im Regelfall gleich dem Rest, hier also gleich 6, die vollständige PZN lautet: PZN - 3414966.
Ist der Rest 10, so wurde früher die betreffende PZN ausgelassen, heute ordnet
man ihr 0 als Prüfziffer zu. Gleiches gilt auch, wenn 11 die Summe ohne Rest
teilt.
Frau Meyer kann jetzt leicht überprüfen, ob die Verwechslung von 1 mit 7 in
obiger PZN auffällt. Dieser Fehler fällt nicht auf, wenn wir bei korrekter wie
fehlerhafter Eingabe dieselbe Prüfziffer erhalten. Sind die Prüfziffern dagegen
verschieden, so wird der Fehler aufgedeckt. Bei der Verwechslung von 1 mit 7
an der dritten Stelle der PZN bleiben selbstverständlich alle übrigen Teilprodukte in der Summe unverändert, es ändert sich nur das Teilprodukt an der
dritten Stelle, und zwar um 4 · 7 − 4 · 1 = 4 · (7 − 1) = 24. Die Summe beträgt
bei der richtigen PZN 138 (Prüfziffer: 6), bei der Verwechslung von 1 mit 7
I.1 Sicherheit in der Apotheke | 7
dagegen 138 + 4 · (7 − 1) = 162. Da der Rest bei Division durch 11 jetzt 8 ist,
lautet die Prüfziffer 8. Der Fehler fällt also auf, da die beiden Prüfziffern verschieden sind. Auf dem Bildschirm erscheint der Hinweis: Eingabefehler. Gilt
dies auch, wenn wir statt 1 irrtümlich 0, 2, 3, 4, 5, 6, 8 oder 9 eintippen? Werden alle diese Fehler aufgedeckt? Was passiert, wenn eine Verwechslung bei der
ersten Ziffer (Ziffer: 3, Faktor: 2) oder bei der fünften Ziffer (Ziffer: 9, Faktor:
6) auftritt? Wird dieser Fehler bei allen dort theoretisch möglichen Verwechslungen aufgedeckt? Werden bei obiger PZN alle denkbaren Verwechslungen an
jeweils einer Stelle durch das Prüfziffernverfahren aufgedeckt? Ist die Antwort
in allen Fällen Ja, so wissen wir jetzt nach diesen vielen Rechnungen nur, dass
bei dieser einen Pharmazentralnummer sämtliche Verwechslungen einer Ziffer
stets aufgedeckt werden. Wollen wir wissen, ob alle Verwechslungen an zwei
(oder mehr) Stellen der PZN ebenfalls restlos aufgedeckt werden, müssen wir
wieder ganz von vorne beginnen.
Frau Meyer kann sich jetzt auch leicht überzeugen, dass bei ihrem Medikament ein Drehfehler bei den beiden ersten Ziffern der PZN (43 statt 34)
auffällt. Wegen der im deutschen Sprachraum vorhandenen Unterschiede zwischen Sprech- und Schreibweise kommen diese Drehfehler bei manueller Eingabe relativ häufig vor. In diesem Fall ändert sich die Summe aus dem ersten und
zweiten Teilprodukt i. A., während die Summe aus den Teilprodukten an den
übrigen Stellen unverändert bleibt. Von 138 müssen wir also im Falle dieses
Drehfehlers 2 · 3 + 3 · 4 = 18 subtrahieren und stattdessen 2 · 4 + 3 · 3 = 17
addieren. Aus 138 wird so also 137. Der Drehfehler fällt auf, da die Prüfziffern
unterschiedlich sind (6 bzw. 5). Werden durch dieses Prüfziffernverfahren auch
alle übrigen möglichen Drehfehler benachbarter Ziffern aufgedeckt? Falls die
Antwort in allen Fällen Ja ist, wissen wir jetzt, dass bei dieser einen PZN
sämtliche Drehfehler benachbarter Ziffern aufgedeckt werden. Werden aber
auch Drehfehler der ersten und dritten Ziffer, der zweiten und sechsten Ziffer,
kurz: werden auch beliebige Drehfehler aufgedeckt? Falls wir alle Fragen mit
Ja beantworten können, wissen wir jetzt, dass bei der PZN dieses einen Medikaments sämtliche Verwechslungen an einer Stelle sowie sämtliche Drehfehler
aufgedeckt werden. Müssen nun – um eine hohe Sicherheit bei der manuellen
Eingabe zu haben – sämtliche Pharmazentralnummern auf diese Art mit viel
Rechenaufwand mühsam überprüft werden? Oder lässt sich viel eleganter begründen, dass sämtliche genannten Fehler durch das Prüfziffernverfahren stets
aufgedeckt werden?
Bevor wir hierzu an dieser Stelle einige Hinweise und eine vollständige Ant-
8 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
wort in XI.3 geben, werfen wir zunächst einen Blick auf den Strichcode, der
sich neben der PZN auf jedem Medikament befindet. Durch den Strichcode
kann die PZN mittels Scanner in den Computer eingelesen werden. Dies beschleunigt den Erfassungsvorgang beim Wareneingang und Warenausgang und
hilft gleichzeitig, Erfassungsfehler stark zu reduzieren oder gar zu eliminieren.
Durch das Einscannen eines Medikaments beim Verkauf kann auch automatisch
die PZN auf das Rezept aufgedruckt werden (wie es seit 1995 für Kassenrezepte vorgeschrieben ist), und es kann auch beispielsweise der Lagerbestand in
der Apotheke gesteuert werden. Beim Unterschreiten bestimmter Mindestwerte wird automatisch eine Nachbestellung mit vorher festgelegten Stückzahlen
durchgeführt. Der Strichcode besteht aus einer Serie von parallelen dunklen
Strichen mit unterschiedlichem Abstand auf hellem Untergrund. Der in Apotheken benutzte sogenannte Code 39 gestattet es, die Ziffern von 0 bis 9, die
26 Buchstaben (Großbuchstaben) sowie 7 Sonderzeichen darzustellen. Neben
der PZN können so also weitere wichtige Informationen codiert werden. Ein
Zeichen besteht bei diesem Code aus 5 Strichen und 4 Lücken, also insgesamt
aus 9 Komponenten.
Beispiel Aspirin
Beim Abtasten des Strichcodes mittels Laserlicht reflektieren die hellen Streifen
das Licht gut, die dunklen Streifen dagegen nur ganz schwach. Das reflektierte
Licht wird in entsprechende elektrische Impulse umgewandelt. Daher können
durch eine Variation der Dicke der einzelnen Striche die Ziffern 0 bis 9 (sowie
auch die Buchstaben) maschinenlesbar codiert werden, und es kann so die PZN
bequem in den Computer eingescannt werden.
Wir beantworten jetzt zum Abschluss dieses Abschnittes die Frage, ob die
Sicherheit des Prüfziffernverfahrens bei der Pharmazentralnummer sehr viel
einfacher und eleganter entschieden werden kann als durch eine Vielzahl von
Rechnungen. Die Antwort ist ein klares Ja.
Wir werden nämlich im Kapitel XI Rationalisierung und Sicherheit im Handel
durch den Rückgriff auf einfache, bis dahin bewiesene Sätze der elementa-
I.2 Verblüffende Summendarstellungen | 9
ren Zahlentheorie nachweisen, dass sämtliche Vertauschungen einer Ziffer sowie sämtliche Drehfehler (benachbarter und auch nicht benachbarter Ziffern)
bei der Internationalen Standardbuchnummer (kurz: ISBN) durch das dortige Prüfziffernverfahren aufgedeckt werden. Die nur sehr selten auftretenden
Verwechslungen zweier Ziffern werden zwar oft, aber nicht stets aufgedeckt.
Obwohl die Internationale Standardbuchnummer und die Pharmazentralnummer verschieden viele Ziffern besitzen und auch die Berechnung der Prüfziffer
in der Standardversion der ISBN formal anders verläuft, können wir dort einfach zeigen, dass wir die PZN als Spezialfall der ISBN deuten können und dass
damit auch bei der PZN die dort für die ISBN bewiesenen Aussagen gelten.
Eine Ausnahme bildet seit Neuerem (vgl. Seite 6) die Prüfziffer 0. Da sie seither bei der PZN sowohl beim Rest 10 wie beim Rest 0 verwandt wird, kann
es passieren, dass in sehr seltenen (!) Fällen Vertauschungen einer Ziffer sowie Drehfehler nicht aufgedeckt werden, wie die folgenden Beispiele belegen.
Tippt der Apotheker statt 4513860 fehlerhaft 4515860, so wird dieser Fehler
offensichtlich nicht aufgedeckt, da der fehlerhaften PZN wegen des Restes 10
ebenfalls die Prüfziffer 0 zugeordnet wird. Entsprechendes gilt bei der durch
einen Drehfehler aus 1295210 hervorgegangenen fehlerhaften PZN 2195210.
Wir können aber dennoch zu Recht sagen, dass die Sicherheit in den Apotheken beim Bestellen und Liefern von Medikamenten sehr hoch ist.
2
Verblüffende Summendarstellungen
Versuchen wir natürliche Zahlen als Summe von drei aufeinanderfolgenden
natürlichen Zahlen darzustellen, so beobachten wir, dass dies bei einigen Zahlen funktioniert, dass dies aber wesentlich häufiger nicht möglich ist. Woran
liegt dies?
Betrachten wir beispielsweise die Zahlen 42, 46, 80 und 84, so erhalten wir
nach einigem Probieren:
42 = 13 + 14 + 15
46 kann so nicht dargestellt werden; denn 14 + 15 + 16 = 45, 15 + 16 + 17 = 48
mit 45 < 46 und 48 > 46.
80 kann ebenfalls so nicht dargestellt werden; denn 25 + 26 + 27 = 78,
26 + 27 + 28 = 81 mit 78 < 80 und 81 > 80.
84 = 27 + 28 + 29.
Weitere Untersuchungen führen uns zu der
10 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
Vermutung
Jedes Vielfache von 3 lässt sich darstellen als Summe von drei aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen.
Bemerkung
Wollen wir Null als Summanden ausschließen, müssen wir uns auf Vielfache
von 3 größer als 3 beschränken.
Die Vermutung lässt sich auf verschiedenen Niveaus begründen1 .
(1) Ikonische Begründung
Jedes Vielfache von 3 können wir durch Punkt- oder Plättchenmuster
darstellen, die aus drei gleich langen Reihen bestehen. Schieben wir –
wie es die folgende Abbildung zeigt – ein Plättchen von der obersten
Reihe zur untersten Reihe, so vermittelt der so erhaltene stufenförmige
Verlauf der Reihen sehr prägnant die Einsicht, dass jedes Vielfache von 3
als Summe von drei aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen dargestellt
werden kann. (Durch . . .“ deuten wir in der Abbildung an, dass unsere
”
Argumentation nicht nur für eine spezielle Zahl, sondern für beliebige
Vielfache von 3 gilt.)
vorher
nachher
Dieser stufenförmige Verlauf lässt sich offenbar durch das Verschieben
des äußersten Plättchens der untersten Reihe in die oberste Reihe stets
wieder rı̈ckgängig machen. Wir gewinnen so die Einsicht, dass jede Zahl,
die als Summe von drei aufeinanderfolgenden Zahlen darstellbar ist, stets
ein Vielfaches von 3 sein muss. Andere Zahlen lassen sich also so nicht
darstellen. Wir haben hiermit insgesamt auf der ikonischen Repräsentationsebene bewiesen:
1
Für eine genauere Darstellung verschiedener Begründungsniveaus vgl. Padberg ([25], S.
58 ff.).
I.2 Verblüffende Summendarstellungen | 11
Satz
Eine natürliche Zahl lässt sich genau dann als Summe von drei aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellen, wenn sie ein Vielfaches von
3 ist2 .
(2) Begründung auf der Zahlenebene
Am Beispiel von 81 = 26 + 27 + 28 erarbeiten wir hier eine Beweisstrategie, die sich auf jedes Vielfache von 3 übertragen lässt:
81
= 27 · 3
= 3 · 27
= 27 + 27 + 27
(Vielfaches von 3)
(Kommutativgesetz)
(Multiplikation als wiederholte
Addition)
= (27 − 1) + 27 + (27 + 1)
= 26 + 27 + 28
Entsprechend können wir bei jedem Vielfachen von 3 vorgehen: Wir
können jede derartige Zahl wegen des Kommutativgesetzes als Produkt
mit 3 als erstem Faktor darstellen. Daher können wir diese Zahl auch stets
durch dreifache Addition des zweiten Faktors erhalten. Verkleinern wir
in der so erhaltenen Summe den ersten Summanden um 1 und vergrößern
wir gleichzeitig den dritten Summanden um 1, so bleibt die Summe unverändert, und wir gewinnen so direkt eine Darstellung der betreffenden
Zahl als Summe dreier aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen. Völlig
analog wie bei (1) können wir auch die Umkehrung dieser Aussage zeigen und haben so erneut den vorstehenden Satz bewiesen.
In (2) gewinnen wir – ähnlich wie schon in (1) – die Einsicht, dass die
Vorgehensweise bei 81 unmittelbar auf alle entsprechenden Fälle übertragbar ist. Das Beispiel mit der Zahl 81 liefert uns also eine Strategie,
wie wir stets vorgehen können, es liefert uns eine Beweisstrategie.
(3) Beweis mit Variablen
a sei ein Vielfaches von 3, es gelte also a = n · 3 mit n ∈
= {1, 2, 3, . . .}.
2
und
Man beachte die Bemerkung im Anschluss an die Vermutung auf der vorigen Seite.
12 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
Dann gilt
a
=
=
=
n·3
3·n
n+n+n
=
(n − 1) + n + (n + 1)
(Vielfaches von 3)
(Kommutativgesetz)
(Multiplikation als wiederholte
Addition)
Also lässt sich jedes Vielfache von 3 als Summe der drei aufeinanderfolgenden Zahlen n − 1, n und n + 1 darstellen. Umgekehrt ist auch jede
Summe der drei aufeinanderfolgenden Zahlen n − 1, n und n + 1 ein
Vielfaches von 3 und hiermit der vorstehende Satz vollständig bewiesen.
Wir haben bisher Beispiele von Zahlen kennengelernt, die als Summe von drei
aufeinanderfolgenden Zahlen dargestellt werden können. Die Beispiele
40 = 6 + 7 + 8 + 9 + 10
65 = 11 + 12 + 13 + 14 + 15
zeigen, dass es auch Zahlen gibt, die als Summe von fünf aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen dargestellt werden können. Völlig analog wie bei den
Vielfachen von 3 können wir hier den folgenden Satz auf verschiedenen Begründungsniveaus beweisen:
Satz
Eine natürliche Zahl lässt sich genau dann als Summe von fünf aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellen, wenn sie ein Vielfaches von 5 (größer
als 5) ist.
Beweisen Sie diesen Satz auf verschiedenen Begründungsniveaus. Überprüfen
Sie, ob es Zahlen gibt, die als Summe von 7, 9, 11, . . . aufeinanderfolgenden
natürlichen Zahlen dargestellt werden können, formulieren Sie entsprechende
Sätze, und beweisen Sie diese auf verschiedenen Begründungsniveaus.
Wir haben bislang nur natürliche Zahlen betrachtet, die sich als Summe einer
ungeraden Anzahl aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen darstellen lassen
(3, 5, 7, 9, 11, . . .). Können wir entsprechend auch sämtliche natürliche Zahlen angeben, die sich als Summe einer geraden Anzahl aufeinanderfolgender
natürlicher Zahlen darstellen lassen (2, 4, 6, 8, . . .)? Durch Auflisten der ersten Summen aus 2, 4, 6, 8, . . . Summanden und Beobachtung der jeweiligen
Veränderung von Zeile zu Zeile, nämlich um 2, 4, 6, 8, . . ., erhalten wir leicht,
I.3 Ein ungelöstes Problem | 13
dass wir alle ungeraden Zahlen 2 · n + 1 mit n ∈ 0 und 0 = {0, 1, 2, . . .}
als Summe von zwei aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen, alle Zahlen der
Form 2 · (2n + 3) mit n ∈ 0 als Summe von vier aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen, alle Zahlen der Form 3 · (2n + 5) mit n ∈ 0 als Summe von sechs
aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen, alle Zahlen der Form 4 · (2n + 7) mit
n ∈ 0 als Summe von acht aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellen können, . . . . Umgekehrt besitzen auch nur genau diese Zahlen die geforderte Darstellung. Die skizzierte Vorgehensweise bei den geraden Anzahlen liefert
offensichtlich eine weitere, andersartige Begründungsmöglichkeit für die Sätze
über die ungeraden Anzahlen aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen.
Wir beenden diesen Abschnitt mit einer Variation der bisherigen Fragestellung. Wir gehen jetzt von einer festen Zahl aus und untersuchen, auf wie viele
Arten sie als Summe aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen darstellbar ist.
Stellen Sie beispielsweise 63, 105 und 225 auf alle möglichen Arten als Summe
aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen dar. (Hinweis: Zerlegen Sie die Zahlen jeweils in geeignete Produkte mit zwei Faktoren. Beachten Sie auch die in
diesem Abschnitt formulierten passenden Sätze.)
3
Ein ungelöstes Problem
Es gibt viele Möglichkeiten, beispielsweise 9 oder 10 als Summe zweier beliebiger natürlicher Zahlen darzustellen. Verlangen wir speziell, dass beide
Summanden Primzahlen sind, die nicht unbedingt verschieden sein müssen,
so erhalten wir für 9 eine (9 = 2 + 7) und für 10 zwei solche Darstellungen
(10 = 3 + 7 = 5 + 5). Hierbei sind Primzahlen bekanntlich natürliche Zahlen
größer als 1, die nur durch 1 und sich selbst (ohne Rest) teilbar sind.
Können wir sämtliche natürliche Zahlen als Summe zweier – nicht notwendig
verschiedener – Primzahlen darstellen? Für 1, 2 und 3 ist dies offenkundig nicht
möglich, da 2 die kleinste Primzahl ist. Gilt diese Aussage für alle natürlichen
Zahlen ab 4?
4
5
6
7
8
9
10
=
=
=
=
=
=
=
2
2
3
2
3
2
3
+
+
+
+
+
+
+
2
3
3
5
5
7
7=5+5
14 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
11 ist die erste Zahl, die so nicht darstellbar ist, wie systematisches Zerlegen
sofort zeigt. Die nächste Zahl, bei der diese Zerlegung ebenfalls nicht klappt,
ist 17. Beide Zahlen sind ungerade. Bei den geraden Zahlen hat man bislang
mindestens bis 400 Billionen (4 · 1014) mit Computerhilfe verifiziert, dass diese
Zahlen ausnahmslos als Summe von zwei – nicht notwendig verschiedenen –
Primzahlen dargestellt werden können (Richstein, [33]). Schon vor weit über
250 Jahren hat Christian von Goldbach (1690–1764) auf der Grundlage einer
sehr viel kleineren Datenbasis in einem Brief an den Mathematiker Leonhard
Euler (1707 -1783) die Vermutung geäußert, dass alle geraden Zahlen ab 4
darstellbar sind als Summe zweier nicht notwendig verschiedener Primzahlen (Goldbach’sche Vermutung). Es ist sehr überraschend, dass ein so einfach
zu formulierendes Problem über so einen langen Zeitraum bis heute jedem
Lösungsversuch vieler fähiger Mathematiker getrotzt hat – trotz in den letzten 100 Jahren ausgesetzter hoher Preisgelder. Schon 1908 lobte der deutsche
Industrielle und Amateur-Mathematiker Paul Wolfskehl für die Lösung dieses
Problems einen Preis von 10.000 Mark aus – in heutigen Preisen entspricht
dies etwa 1 Million Dollar. Auch das im Jahr 2000 von einem britischen Verlag
im Rahmen einer Werbekampagne für einen Roman über die Goldbach’sche
Vermutung ausgesetzte Preisgeld in Höhe von 1 Million Dollar (begrenzt bis
April 2002) hat nicht dazu geführt, dass die Goldbach’sche Vermutung bislang
bewiesen, widerlegt oder als nicht entscheidbar nachgewiesen werden konnte (vgl. www.mathematik.ch/mathematiker/ Goldbachsche Vermutung.php).
Wie das Beispiel 10 schon zeigt, muss es nicht jeweils nur genau eine Zerlegung
geben. So gilt beispielsweise 20 = 3 + 17 = 7 + 13; 30 = 7 + 23 = 11 + 19 = 13
+ 17 oder 50 = 3 + 47 = 7 + 43 = 13 + 37 = 19 + 31. Man vermutet sogar,
dass die Anzahl dieser Zerlegungen bei geraden Zahlen n mit wachsendem n
stark (sogar unbeschränkt) wächst (vgl. Scheid, [35], S. 370).
Bezüglich der Goldbach’schen Vermutung wissen wir heute, dass jede genügend
”
große“ natürliche Zahl als Summe von höchstens vier Primzahlen darstellbar
15
ist. Jede ungerade Zahl größer als 33 ist als Summe von drei Primzahlen dar15
stellbar. (Hierbei hat allerdings die so harmlos aussehende Zahl 33 6 846 165
Ziffern!) Man hat auch gezeigt, dass jede genügend große gerade Zahl als Summe aus einer Primzahl und einer aus höchstens zwei Primzahlen multiplikativ
zusammengesetzten Zahl darstellbar ist (vgl. Scheid, [35], S. 420). Hiermit
hat man sich zwar einem Beweis der Goldbach’schen Vermutung schon stark
genähert, dennoch ist sie bis zum heutigen Tag noch ein ungelöstes Problem
geblieben.
I.4 Primzahlen – eine überraschende Entdeckung | 15
Eine Fülle von Hinweisen zur Goldbach’schen Vermutung liefern die folgenden
Internetadressen:
=⇒ www.utm.edu/research/primes
=⇒ www.mathematik.ch/mathematiker/Goldbachsche Vermutung.php
=⇒ www.de.wikipedia.org/wiki/Goldbachsche Vermutung
Hier findet man auch Hinweise auf weiterführende Literatur.
4
Primzahlen – eine überraschende Entdeckung
Im letzten Abschnitt haben wir versucht, gerade Zahlen jeweils als Summe von
zwei Primzahlen darzustellen. In diesem Abschnitt erarbeiten und begründen
wir eine Darstellung sämtlicher Primzahlen (außer 2) jeweils als spezielle Differenzen.
Untersuchen wir die Primzahlen 5, 7 und 11, so entdecken wir folgende sehr
überraschende Darstellung als Differenz:
5= 9−4
7 = 16 − 9
11 = 36 − 25
Diese Primzahlen lassen sich also jeweils als Differenzen benachbarter Quadratzahlen darstellen. Gilt diese Aussage für weitere Primzahlen, gilt sie gar
für alle Primzahlen? 2 lässt sich offenbar so nicht als Differenz darstellen; denn
bei benachbarten Quadratzahlen ist die eine stets eine gerade, die andere eine
ungerade Zahl, also die Differenz eine ungerade Zahl. Ausprobieren bei 3, 13,
17 und 19 ergibt: 3 = 4 − 1; 13 = 49 − 36; 17 = 81 − 64 und 19 = 100 − 81.
Wir vermuten daher:
Vermutung
Jede Primzahl (außer 2) lässt sich als Differenz zweier unmittelbar benachbarter Quadratzahlen darstellen.
Die Aussage lässt sich leicht und anschaulich mit Punkt- oder Plättchenmustern begründen, wie die folgenden Punktmuster der Quadratzahlen von 12 bis
52 gut erkennen lassen:
16 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
Wir sehen: Die Quadratzahl 1 = 12 (schwarzer Punkt) steckt vollständig in
der Quadratzahl 4. Die Zahl 4 ist um 2 · 1 + 1 größer (weiße Punkte) als 1. Die
Quadratzahl 4 = 22 (schwarze Punkte) steckt vollständig in der Quadratzahl
9. Die Zahl 9 ist um 2 · 2 + 1 (weiße Punkte) größer als 4. Die Quadratzahl
9 = 32 (schwarze Punkte) steckt vollständig in der Quadratzahl 16. Die Zahl
16 ist um 2 · 3 + 1 (weiße Punkte) größer als 9. Die Quadratzahl 16 = 42
(schwarze Punkte) steckt vollständig in der Quadratzahl 25. Die Zahl 25 ist
um 2 · 4 + 1 (weiße Punkte) größer als 16. Der Unterschied zwischen aufeinanderfolgenden Quadratzahlen (weiße Plättchen) beträgt also der Reihe nach
3 = 2 · 1 + 1; 5 = 2 · 2 + 1; 7 = 2 · 3 + 1; 9 = 2 · 4 + 1, . . .. Also lässt sich
jede ungerade Zahl ab 3 als Differenz zweier unmittelbar benachbarter Quadratzahlen darstellen. (Es gilt auch: 12 = 12 − 02 .) Da alle Primzahlen größer
als 2 ungerade Zahlen sind und somit eine Teilmenge aller ungeraden Zahlen
bilden, gilt obige Aussage auch für alle Primzahlen größer als 2.
Daher gilt:
Satz
Jede Primzahl (außer 2) lässt sich als Differenz zweier unmittelbar benachbarter Quadratzahlen darstellen.
Neben dem Beweis auf der ikonischen Repräsentationsebene beweisen wir diesen Satz hier auch mit Variablen.
Beweis
(n + 1)2 und n2 mit n ∈ sind jeweils zwei unmittelbar benachbarte Quadratzahlen. Für ihre Differenz gilt: (n + 1)2 − n2 = n2 + 2 · n + 1 − n2 = 2 · n + 1 mit
n ∈ . Also gilt 2 · n + 1 = (n + 1)2 − n2 für alle n ∈ , folglich lassen sich
alle ungeraden Zahlen ab 3, daher auch alle Primzahlen außer 2, als Differenz
zweier unmittelbar benachbarter Quadratzahlen darstellen.
I.5 Einige weitere Problemstellungen | 17
Bemerkung
Bei der Differenzdarstellung gibt es zwischen ungeraden Primzahlen und sonstigen ungeraden Zahlen einen deutlichen Unterschied. Ungerade Nichtprimzahlen lassen sich oft auf viele verschiedene Arten als Differenz von Quadratzahlen
darstellen (Beispiel: 225 = 1132 −1122 ; 225 = 392 −362 ; 225 = 252 −202 ; 225 =
172 − 82 ; vgl. auch Aufgabe 12), ungerade Primzahlen dagegen stets nur auf
genau ein Art. Es gilt:
Satz
Jede ungerade Primzahl lässt sich auf genau eine Art als Differenz zweier
Quadratzahlen darstellen. Hierbei sind die Quadratzahlen jeweils unmittelbar
benachbart.
Beweis
p sei eine ungerade Primzahl. Es gelte p = a2 − b2 mit a, b ∈ . Dann folgt
wegen der dritten binomischen Formel direkt p = (a+b)·(a−b). Da p Primzahl
ist, muss der größere Faktor a + b gleich p, der kleinere Faktor a − b gleich 1
sein:
a+b=p
a−b=1
Seitenweise Addition bzw. Subtraktion ergibt:
2a = p + 1, also a =
p+1
2
p−1
2
Also sind die Quadratzahlen a2 und b2 in der Differenzdarstellung
2b = p − 1, also b =
p = a2 − b2
durch p eindeutig festgelegt, und sie sind wegen a − b = 1, also a = b + 1,
unmittelbar benachbart.
5
Einige weitere Problemstellungen
1. Bestimmen Sie die Prüfziffer p zu folgenden Pharmazentralnummern:
a) PZN - 354687 p
18 | I Vier motivierende Probleme – ein Schnupperkurs
b) PZN - 294661 p
c) PZN - 435713 p
2. Überprüfen Sie, ob folgende Fehler bei der Pharmazentralnummer
PZN - 1873776 durch das Prüfziffernverfahren aufgedeckt werden:
a) Verwechslung von 1 mit 7, von 8 mit 3, von 3 mit 9.
b) Verwechslung von 3 mit 0, 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9.
c) Verwechslung von 8 mit 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9.
d) Drehfehler: 81 statt 18, 37 statt 73.
3. Beweisen Sie mit einer beispielgebundenen Beweisstrategie (ikonisch):
Eine natürliche Zahl ist genau dann als Summe von sieben aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellbar, wenn sie ein Vielfaches von 7
(größer als 14) ist.
4. Beweisen Sie (mit Variablen):
Eine natürliche Zahl ist genau dann als Summe von sieben aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellbar, wenn sie ein Vielfaches von 7
(größer als 14) ist.
5. Beweisen Sie mit einer beispielgebundenen Beweisstrategie
(Zahlenebene):
Eine natürliche Zahl ist genau dann als Summe von neun aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellbar, wenn sie ein Vielfaches von 9
(größer als 27) ist.
6. Beweisen Sie (mit Variablen):
Eine natürliche Zahl ist genau dann als Summe von neun aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellbar, wenn sie ein Vielfaches von 9
(größer als 27) ist.
7. Beweisen Sie mit einer beispielgebundenen Beweisstrategie
(Zahlenebene):
Eine natürliche Zahl ist genau dann als Summe von elf aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellbar, wenn sie ein Vielfaches von 11
(größer als 44) ist.
I.5 Einige weitere Problemstellungen | 19
8. Beweisen Sie (mit Variablen):
Eine natürliche Zahl ist genau dann als Summe von elf aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen darstellbar, wenn sie ein Vielfaches von 11
(größer als 44) ist.
9. Bestimmen Sie jeweils zwei gerade Zahlen, die sich
a) auf drei verschiedene Arten,
b) auf vier verschiedene Arten,
c) auf fünf verschiedene Arten
als Summe von zwei Primzahlen darstellen lassen.
10.
a) Überprüfen Sie an fünf geraden Zahlen größer als 30, ob sie sich
jeweils als Summe von vier (nicht notwendig verschiedenen) Primzahlen darstellen lassen.
b) Beweisen Sie:
Wenn die Goldbach’sche Vermutung wahr ist, dann lässt sich jede gerade Zahl größer als 6 als Summe von vier (nicht notwendig
verschiedenen) Primzahlen darstellen.
11.
a) Überprüfen Sie an den natürlichen Zahlen zwischen 30 und 50, ob
sie sich jeweils als Summe von höchstens drei Primzahlen darstellen
lassen.
b) Beweisen Sie:
Wenn die Goldbach’sche Vermutung wahr ist, dann können wir jede
natürliche Zahl größer als 1 als Summe von höchstens drei Primzahlen darstellen.
2 a−b 2
12. Weisen Sie zunächst die Gültigkeit von a · b = a+b
− 2
für a, b ∈
2
nach, und bestimmen Sie mithilfe dieser Identität alle verschiedenen
Darstellungen von a) 45, b) 441, c) 1323 als Differenz von Quadratzahlen.
13. Begründen Sie, dass die Differenz zweier ungerader Zahlen stets eine
gerade Zahl ist.
http://www.springer.com/978-3-8274-1759-6
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