z Zur Produktseite Nils Preer I. Primäres Umweltschutzrecht mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende Blicke aus. »Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerwiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in Folge die Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige HaushaltssatDas Umweltschutzrecht Europäischen Union (EU)Jahr dringt zung. Doch es zeichnet sich jetztder schon ab, dass wir das in diesem nichtin zunehmendem Maße in die nationalen Rechtsordnungen einfürund diese auf vielfältige Weise. Dies geschieht vor Ende März schaffen werden. Was das uns überlagert bedeutet ist klar: vorläufige Haushaltsführung. nur als Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwalsowohl durchAlso primärauch durch sekundärrechtliche Vorgaben. tungsbetrieb garantieren.« Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. I. Primäres Umweltschutzrecht Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Das primäre Umweltschutzrecht bildet die Grundlage fürÄußedas auf sekundärrechtlicher Ebene rungen Kunigges sichtlich unangenehm. zu erlassende Umweltschutzrecht. Im Vordergrund steht hierbei das die EU konstituierende »Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch Vertragswerk (der Vertrag über die EU [EUV] und der Vertrag über die Arbeitsweise der EU unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr [VAEU]),können, auf welches sich die nachfolgende beschränkt. Dieses statuiert in gewiswahrnehmen dann betrifft mich das als LeiterDarstellung des Veranstaltungsser Weise „europäisches Verfassungsrecht“. wesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der freiwilligen Aufgaben!« »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buch1. undVerhältnis des EU-Umweltschutzrechts zum noch nationalen lesungen das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst so an Recht wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« Prägend für das Verhältnis des EU-Umweltschutzrechts zum nationalen Recht ist, dass die Das Stadtoberhaupt erblasst. Mitgliedstaaten mit den Unionsverträgen unter Beschränkung ihrer Souveränität in bestimm»Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« ten Bereichen eine gemeinschaftseigene Rechtsordnung geschaffen haben, die in die Rechts»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.« 2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union 1 2 3 ordnung der Mitgliedstaaten eingreift. Insoweit besteht ein Vorrangverhältnis des Unionsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten. Bei einer Kollision von EU-Recht mit nationalem Recht setzt sich Ersteres gegenüber Letzterem durch. Dieser Vorrang erstreckt sich den Grenzen der Artt. 23,nun? 79 III GG selbst auf konfligierendes Verfassungsrecht und gilt, 2. in Tradition in Gefahr – was gleich, ob das nationale Recht vor oder nach dem EU-Recht erlassen wurde oder speziellerer Natur ist. Hätte die Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kunigge zu verkünden hatte, sie hätte sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte Seiner Bedeutung nach entspricht dieses Vorrangverhältnis demjenigen von deutschem Bungespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Tischnachbarn desrecht zu Landesrecht. Allerdings führt der angesprochene Vorrang nicht wie im Falle des und jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische AtmoArt. GG dazu, dass entgegenstehendes nationales Rechtihr. seine Geltung verlöre. Es bleibt sphäre zu31 bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant vielmehr in Geltung, ohne indes angewendet werden zu dürfen, so dass ein AnwendungsSie lässt es dennoch nicht unversucht. 4 vorrang vor mitgliedstaatlichem Recht besteht. D. h. die nationalen Verwaltungen haben insofern ein Normenverwerfungsrecht, als sie ggf. deutsches Recht ohne vorherige gerichtli20 che Entscheidung unangewendet lassen dürfen. Die Mitgliedstaaten unterliegen zudem – ähnlich wie Gliedstaaten im Bundesstaat – einer grundlegenden Loyalitätspflicht (Pflicht zur Gemeinschaftstreue). Diese hatte der EuGH (Slg. 1983, 255 [287]) zunächst aus Art. 5 EGV a. F. entwickelt und ist nunmehr umfassend in den Artt. 4 f. EUV verankert. Hiermit ist jedoch nicht der ohnehin selbstverständlich geltende völkerrechtliche Grundsatz „pacta sunt servanda“ gemeint, sondern es werden auf diese Weise zusätzliche Verhaltenspflichten vergleichbar den zivilrechtlichen vertraglichen Nebenpflichten statuiert. Generalisierend ausgedrückt obliegt es danach den Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung ihrer unionsrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen. Hierzu gehört nicht zuletzt die Pflicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung transformierungsbedürftiger EU-Umweltschutz-Rechtsakte. Dafür sind alle Maßnahmen zu treffen, aufrechtzuerhalten oder zu unterlassen, welche die praktische Wirksamkeit („effet utile“) des EUV/ VAEU erfordert (vgl. insbes. Art. 4 III EUV). 53 5 z Zur Produktseite Nils Preer 2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende 2. Umweltschutz als Aufgabe und Ziel der EU Blicke aus. »Wie allen ja EUV bekannt ist«, beginnt schließlich, »befinden wir 6 Ihnen Bereits dem sind einige für er das Umweltschutzrecht bedeutsame Aufgaben und Ziele zu uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerentnehmen. So „wirkt“ die Union gem. Art. 3 II EUV u. a. „auf … ein hohes Maß an Umweltwiegender Versäumnisse können wir nun das dritte Jahrhin“. in Folge die schutz und Verbesserung derschon Umweltqualität Überhaupt kommt ihr mit Blick auf die Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei „Umwelt“ eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit zu (Art. 4 II lit. e VAEU). Die Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige HaushaltssatErfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und Durchführung der Unizung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht onspolitiken und -maßnahmen insbes. zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbevor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige zogen werden (Art. 11 VAEU). Überdies enthält der VAEU in seinem „Titel XX“ (Artt. 191 – Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwal193)garantieren.« spezifische, die Umweltschutzaufgabe der Union näher ausgestaltende Vorschriften. tungsbetrieb Durch die durch zuvorden erwähnten Hervorhebungen des Umweltschutzes an derart Ein Raunen geht Saal. »Dervertraglichen Stadtrat ist bereits von diesen prominenter Stelle ist die EU letztlich auch als eine „Umweltschutzunion“ angelegt. Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit 7 Als verbindliche Ziele der gemeinschaftlichen Umweltschutzpolitik benennt Art. 191 I befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die ÄußeVAEU – insoweit die vorher erwähnten Vertragsbestimmungen konkretisierend – ausdrückrungen Kunigges sichtlich unangenehm. lich »Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr – Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserungen ihrer Qualität wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungs– Schutz der menschlichen Gesundheit wesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der frei– umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen willigen Aufgaben!« – Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buch– globaler Umweltprobleme und insbes. die Bekämpfung des Klimawandels lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« 8 Stadtoberhaupt Daneben stecken diese Zielsetzungen den sachlichen Umfang der durch Art. 192 I VAEU Das erblasst. zwar begründeten, nicht umrissenen Verbandskompetenz der EU ab. Das »Oh nein …«, stammelt sie, dort » Sie aber meinen dochnäher nicht etwa …« Ausmaß der umweltschutzrelevanten Rechtsetzungszuständigkeit der Union wird somit »Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.« maßgeblich von der in Art. 191 I VAEU denkbar weit definierten Zielformulierung determiniert. 9 Obendrein zielt die EU-Umweltschutzpolitik in Art. 191 II 1 VAEU unter Berücksichtigung Tradition in Gefahr – was nun? der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Hier muss aber nichtNachrichten jede einzelne Maßnahme an diesem Ziel ausgerichtet Hätte dieSchutzniveau. Oberbürgermeisterin gewusst, welche Kunigge zu werden, die Umweltschutzpolitik insgesamt, so dass das Schutzniveau einverkünden hatte, sondern sie hätte lediglich sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte zelner Maßnahmen durchaus hinter zurückbleiben darf. Das kann mitungespart. Die Versammelten murmeln derweil wild diesem mit ihrenGesamtziel Tischnachbarn selbst etwas eine Ruhe Absenkung der Umweltschutzvorgaben für das nationale Recht zur Folge und jederter Versuch, in die aufgeschreckte, fast panische Atmosphäre zuhaben. bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr. Die vom EuGH (Slg. 1992-I, 4431 ff.) zu Art. 130r II EGV a. F. (jetzt Art. 191 II VAEU) in Sie lässt einem es dennoch nicht unversucht. obiter dictum vertretene anders lautende Auffassung, die dortigen Grundsätze bezögen sich auf jede einzelne Maßnahme, stammt aus einer Zeit, als sich die Vorschrift noch an der (jeweiligen) „Tätigkeit“ der EU orientierte. 2. 20 10 Schließlich muss sich die von der EU praktizierte Umweltschutzpolitik von folgenden in Art. 191 II 2 VAEU verankerten drei tragenden Prinzipien leiten lassen: dem Vorsorgeprinzip, dem Ursprungsprinzip und dem Verursacherprinzip. Das Vorsorgeprinzip (oben 1/9) verlangt vorbeugende Maßnahmen hinsichtlich möglicher Umweltbeeinträchtigungen, also Prävention statt Repression. Nach dem Ursprungsprinzip soll die Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen möglichst an deren Ursachenherd erfolgen, also zeitlich und kausal so früh wie möglich ansetzen. Dieses Prinzip stellt für die europäische Rechtsetzung und für die Mitgliedstaaten ein verbindliches Optimierungsgebot dar. Dem Verursacherprinzip zufolge hat jeder zumindest die Folgen einer von seinem Verhalten hervorgerufenen Umweltstörung zu beseitigen (1/10). 3. 11 Kompetenzielle Grundlagen der EU-Umweltschutzpolitik Als Grundlage für den Erlass von umweltschutzbedeutsamen Rechtsakten griff man bis zur Vereinbarung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) überwiegend auf die um die sog. „Abrundungsklausel“ des Art. 235 EGV (jetzt Art. 352 VAEU) i. V. m. den Artt. 2, 3 EWGV 54 z Zur Produktseite Nils Preer I. Primäres Umweltschutzrecht mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende ergänzte marktbezogene Rechtsangleichungsklausel des Art. 100 EGV (jetzt Art. 122 VAEU) Blicke aus. zurück. Diese primär wirtschafts- und integrationspolitisch motivierten Regelungsermächti»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir gungen erwiesen sich gerade im Hinblick auf künftige Umweltschutzaufgaben als unbefrieuns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerdigend. Der durch können die EEA 3.schon Teil des EGV Jahr neuingeschaffene wiegender Versäumnisse wirim nun das dritte Folge die und nunmehrige „Titel XX Umwelt“ (Artt. 191 – 193 VAEU = ex Artt. 174vergangenen – 176 bzw. zwei ex Artt. 130r – 130t EGV) sollte in Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den Verbindung dem ebenfalls hinzugefügten Art.Haushaltssat100a bzw. ex Art. 95 EGV (jetzt Art. 114 Jahren hatten wir mit zumindest Ende Januar eine rechtskräftige VAEU) eine eindeutigere Verankerung desdas Umweltschutzes dokumentieren. Erst seitdem hat zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir in diesem Jahr nicht vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: die EG/EU spezifische Rechtsetzungskompetenzen fürvorläufige den Umweltschutz. Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen VerwalDie dafür zentrale Vorschrift ist Art. 192 VAEU (ex Art. 175 EGV). Da hierauf gestützte Rechtstungsbetrieb garantieren.« akte in dergeht Regel nurden Mindeststandards festschreiben, Ein Raunen durch Saal. »Der Stadtrat ist bereits vonverbieten diesen sie den einzelnen Mitgliedstaaten nicht, im Interesse eines möglichst hohen Schutzstandards verstärkte rechtliche Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen (Art. 193 VAEU [ex Art. 176 EGV] – unten Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit Rn. 22). Grenzen finden solche Regelungen allein durch das Gebot der Vereinbarkeit mit dem befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen Kunigges sichtlich unangenehm. übrigen Vertragsrecht. Insbesondere dürfen die Vorschriften nicht gegen Diskriminierungs»Das liegt und dochdie auf Regeln der Hand: Wenn als Stadtverwaltung noch verbote über denwir freien Warenverkehrnur verstoßen. unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungswesens wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der frei- der EU 4. sehr Umweltschutzrelevante Rechtsetzungszuständigkeiten willigen Aufgaben!« Die EU-Kompetenzen folgen – wie speziell Art.schon 5 I 1 EUV zu entnehmen ist – durchweg dem »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen zwei BuchPrinzip der begrenzten Ermächtigung. Demgemäß dürfen die lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so anRechtsetzungsorgane der EU – anders als die Veranstaltungen mit umfassenden Kompetenzen ausgestatteten Legislativorgane eines Staates – wirklich wichtigen im Frühj…« nurStadtoberhaupt innerhalb der ihr im EUV und im VAEU zugewiesenen Zuständigkeiten zur VerwirkliDas erblasst. »Oh neinder …«,darin stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« chung niedergelegten Ziele tätig werden (Art. 5 II EUV). Das geschieht nur in der »Ja«, erwidert ernster »unseren Form der inKunigge Art. 288mit VAEU (exMiene, Art. 249 EGV)Karnevalsumzug.« vorgesehenen Rechtsakte. Diese grds. Zustän- digkeitsbestimmung findet allerdings ihre Auflockerung durch die mit Art. 352 VAEU bestehende Möglichkeit, Vertragslücken schließen und Rechtsangleichungen vornehmen zu dürfen. 2. Tradition in Gefahr – was nun? Das EU-Umweltschutzrecht ist Querschnittsrecht. Dies wird durch die in Art. 11 VAEU (ex Art. EGV) festgeschriebene sog. welche „Querschnittsklausel“ unterstrichen. Hiernach müssen die Hätte die6 Oberbürgermeisterin gewusst, Nachrichten Kunigge zu verkünden hatte, sie sich das Verlesen Erfordernisse deshätte Umweltschutzes bei der der Tagesordnungspunkte Festlegung und Durchführung der Unionspolitigespart. Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Tischnachbarn ken Die und -maßnahmen insbes. zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen undwerden. jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische Atmo- nur eine sektorielle Aufgabe Auf diese Weise ist die Umweltschutzpolitik nicht sphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr. EU erlangt damit auf allen ihr neben anderen, sondern Bestandteil aller Unionspolitiken. Die Sie lässt es dennoch nicht unversucht. zugewiesenen Politikfeldern zugleich auch eine am Umweltschutz ausgerichtete Regelungskompetenz. Diese ist gleichsam als eine Art Annex zu verstehen, weil dadurch alle nicht auf 20 Art. 192 VAEU gestützten Rechtsakte wegen ihrer möglicherweise negativen Auswirkungen auf die Umwelt auch hinsichtlich der dadurch einzubeziehenden Schutzmaßnahmen Regelungen enthalten dürfen. 12 13 14 Die Artt. 2 – 4 VAEU enthalten eine dem GG nicht unähnliche Kompetenzverteilung (vgl. 1/ 51 ff.). Die Frage, welche Zuständigkeiten für die Rechtsetzung in Umweltschutzangelegenheiten wem gebühren, spielt im Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedern wegen des aus der Beantwortung zugleich resultierenden Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten eine nicht zu unterschätzende Rolle. In Anlehnung an die im deutschen Recht übliche und vom EuGH (Slg. 1981, 1045 [1072 f.]) adaptierte grds. Differenzierung kann im Folgenden nach ausschließlichen und konkurrierenden Rechtsetzungsbefugnissen der EU unterschieden werden. 15 Soweit die EU in den Artt. 2 I, 3 VAEU ausschließliche Kompetenzen besitzt, tritt für die mitgliedstaatliche Rechtsetzung eine absolute Handlungssperre selbst dann ein, wenn die EU keinen Gebrauch von der ihr zugewiesenen Option zur Normierung macht. In diesen Fällen müssen sich die Mitgliedstaaten aller eigenständigen Regelungen enthalten. Davon bestehen nur insofern Ausnahmen, als die Union die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermächtigt oder trotz ihres Regelungsauftrags handlungsunfähig ist. Dann dürfen die Mitgliedstaaten sich vor- 16 55 z Zur Produktseite Nils Preer 2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende läufig als „Sachwalter des gemeinsamen Interesses“ betätigen. Ausschließliche Kompetenzen Blicke aus. für die EU im Bereich des Umweltschutzes im engeren Sinne gibt es indes nicht. Sie existie»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir ren aber auf anderen Politikfeldern, wie der Erhaltung der biologischen Meeresschätze im uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerRahmen der gemeinsamen Fischereipolitik (Art. I lit.die c VAEU), in die der Umweltschutz wiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in 3Folge wegen der Querschnittsklausel des In Art. 11vergangenen VAEU (oben Rn. 14) einzubeziehen ist. Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. den zwei Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige Haushaltssat17 Ganz anders verhält es sich mit der Befugnis der EU zu einer mit derjenigen der Mitgliedzung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht staaten geteilten Zuständigkeit. Hier sind sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten zur vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige Normgebung befugt. Das betrifft gem. Art. 4 II VAEU neben dem Kernbereich der UmweltHaushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwalschutzpolitik mit der Landwirtschaft und Fischerei, dem Verbraucherschutz, dem Verkehr tungsbetrieb garantieren.« oder der Energie eineSaal. Reihe weiterer umweltrelevanter Materien. Die Mitgliedstaaten sind auf Ein Raunen geht durch den »Der Stadtrat ist bereits von diesen diesen Gebieten zum Erlass nationaler Regelungen befugt, Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. soweit und solange die EU einen bestimmten Bereich abschließend geregelt Zeit hat. damit Eine abschließende Regelung ist regelLösungswille, ungehalten, »und nicht wir werden uns zu gegebener mäßig anzunehmen, wenn durch eine nationale Maßnahme befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äuße- die Ziele einer bestehenden unirungen Kunigges sichtlich Normierung unangenehm. beeinträchtigt werden. Für die in Art. 91 I lit. c (Verbesserung der onsrechtlichen »Das liegt doch auf der Hand: als Stadtverwaltung noch Verkehrssicherheit) u.Wenn lit. d wir VAEU (alle sonstigennur zweckdienlichen Vorschriften) sowie für unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine80 freiwilligen mehr die in Art. 100 II VAEU (ex Art. II EGV –Aufgaben Luft- und Seeverkehr) festgeschriebenen Sachwahrnehmen können, betrifft mich das Leiter des Veranstaltungsgebiete gilt dann Entsprechendes. ImalsRegelungsfall durch die EU entstehen somit punktuelle wesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen die Rubriknationale der frei- Gesetzgebung. Obendrein wird Handlungssperren für eine ansonsten in autonome willigen Aufgaben!« entgegenstehendes nationales Recht verdrängt. Als Konsequenz aus dem Tätigwerden des »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei BuchUnionsgesetzgebers ergibt sich für die nationale Rechtsetzung ggf. nur noch die Pflicht zur lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an normativen Ausführung des EU-Rechts. Sofern das Primär- und Sekundärrecht der EU indes wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« Vorbehalte zugunsten Das Stadtoberhaupt erblasst. der Mitgliedstaaten enthalten (dazu unten Rn. 21 ff.), tritt keine Sperrwirkung ein. »Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« »Ja«, erwidert Kunigge mit ernsterbezüglich Miene, »unseren Karnevalsumzug.« 18 Klärungsbedarf besteht der Kompetenzen für Umweltschutzbeihilfen (Art. 107 VAEU = ex Art. 87 EGV). In diesem Rahmen wird zur Erreichung angestrebter Umweltschutzziele auf finanzielle Anreize zurückgegriffen, zu denen jede Form einseitiger Entlastung von Unternehmen mittels Leistungsgewährung oder durch Belastungsverminderung seitens des 2. Tradition in Gefahr – was nun? Staates oder durch staatliche Institutionen zählt, die den Wettbewerb potenziell verzerren. 107 II VAEU gestattet nurwelche die Gewährung Hätte dieArt. Oberbürgermeisterin gewusst, Nachrichtenbestimmter Kunigge zu Beihilfen. Umweltschutzbeihilfen gehören dazu. Doch Art. 107 III VAEU näher bezeichnete Beihilfen als mit verkünden hatte, nicht sie hätte sich das können Verlesen nach der Tagesordnungspunkte dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. Für den Umweltschutzsektor stehen „Beigespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Tischnachbarn zuretwas Förderung Vorhabenfast von gemeinsamem und jederhilfen Versuch, Ruhe inwichtiger die aufgeschreckte, panische Atmo- europäischem Interesse“ (lit. b) sphäre zuim bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant Vordergrund. Hat die EU ein eigenes Beihilfesystemihr. geschaffen, sind die Mitgliedstaaten Sie lässt zu es dennoch nicht unversucht. einer den Zielen des Beihilfesystems widersprechenden Beihilfegewährung nicht befugt. 19 Schließlich besitzt die EU konkurrierende Umweltschutzkompetenzen für die Harmonisierung der indirekten Steuern in den Mitgliedstaaten. Ausgangspunkt dafür ist Art. 113 VAEU (ex Art. 93 EGV). Indirekte Steuern sind solche, die nur mittelbar an die Leistungsfähigkeit des Steuerbürgers anknüpfen. Charakteristisch für sie ist ihr starker Produkt- und Konsumausgabenbezug, bei dem über die Preisgestaltung die Steuerlast übergewälzt wird. 20 Für die Annahme von den dem längst obsoleten Art. 75 GG a. F. vergleichbaren Rahmenkompetenzen zugunsten der EU, bei denen den Mitgliedstaaten nur noch die Präzisierung unionsrechtlicher Rahmenbedingungen verbleibt, ist neben bestehenden konkurrierenden Zuständigkeiten kein Raum. 21 Sofern der EU konkurrierende Rechtsetzungskompetenzen zukommen, enthält der VAEU mit Blick auf einen verstärkten Umweltschutz auch Regelungsvorbehalte zugunsten der Mitgliedstaaten. Hierzu zählen die Artt. 193 u. 114 IV u. VAEU. 22 Art. 193 VAEU gestattet es den Mitgliedstaaten, bei den auf Art. 192 VAEU gestützten Rechtsakten „verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen“. Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 193 S. 1 VAEU ist dies nur zulässig, wenn mit diesen Maßnahmen ein höheres Schutzniveau angestrebt wird. Selbstverständlich müssen die Maßnahmen mit den Bestimmungen der Unionsverträge vereinbar (Art. 193 S. 2 VAEU), d. h. in erster Linie dem 20 56 z Zur Produktseite Nils Preer I. Primäres Umweltschutzrecht mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende Umweltschutz dienen und weder unverhältnismäßig noch diskriminierend sein. Zudem Blicke aus. muss die nationale Festlegung der Kommission notifiziert werden (Art. 193 S. 3 VAEU). »Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir uns Art. momentan in VAEU einer sehr schwierigen Auf Grund 114 IV ermöglicht vorHaushaltslage. dem Hintergrund derschwerGeltung des Mehrheitsprinzips zum wiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in Folge die Erlass von Rechtsakten zur Binnenmarktverwirklichung und der damit einhergehenden Haushaltssatzung nicht der fristgerecht beschließen.die In bislang den vergangenen zwei Majorisierbarkeit Mitgliedstaaten, für Schutzgüter wie die Umwelt ein höheJahren wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige Haushaltssatreshatten als das durch die gemeinschaftliche Harmonisierungsmaßnahme erreichte Niveau haben, zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht die Beibehaltung nationaler Regelungen. Die Norm ist nicht zuletzt als ein Zugeständnis an vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige jene Mitgliedstaaten zu verstehen, die ihre Interessen wegen des Mehrheitsprinzips nicht Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwaldurchsetzen konnten. Allerdings knüpft der insoweit dem Art. 95 IV EGV entsprechende tungsbetrieb garantieren.« Art. 114 IVgeht VAEU anders als noch 100a EGV von a. F. diesen die Option eines Mitgliedstaats zur Ein Raunen durch den Saal. »Der Art. Stadtrat istIV bereits Beibehaltung seiner (schärferen) Umweltschutzregelung nicht Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. mehr daran, dass die Harmonisierungsmaßnahme vom Rat mit qualifizierter Mehrheit erlassen wurde, sondern lediglich Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit an die Tatsache des Erlasses der Maßnahme durch das Europäische Parlament und den Rat befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen Kunigges unangenehm. bzw. den Ratsichtlich oder die Kommission. Deshalb ist es für die Weiteranwendung der der EU-Maß»Das liegtentgegenstehenden doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch nahme einzelstaatlichen Bestimmungen längst ohne Bedeutung, ob der unsere Pflichtaufgaben undRat eben keine Aufgaben mehr betreffende Staaterfüllen selbst im für die freiwilligen Harmonisierungsmaßnahme gestimmt hat oder nicht. wahrnehmen betrifft mich das alsWahrung Leiter des seiner VeranstaltungsBis dahinkönnen, musstedann ein Mitgliedstaat zur Rechte aus Art. 100a IV EGV a. F. eine wesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik dergesamteuropäisch freigeplante Maßnahme selbst dann ablehnen, wenn er diese als einen Schritt willigen Aufgaben!« in die richtige Richtung ansah, gleichwohl auf nationaler Ebene weiterreichende Umwelt»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buchschutzvorschriften entwickelt hatte, die er nicht aufzugeben gedachte. Mit Art. 114 IV VAEU lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an können also ungeachtet der Harmonisierungsanstrengungen der EU bereits vorhandene wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« nationale Umweltschutzregelungen unter Durchbrechung des Prinzips vom Vorrang des UniDas Stadtoberhaupt erblasst. onsrechts (oben Rn. 3) Bestandsschutz erlangen. Beibehalten werden dürfen aufgrund dieser »Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« Vorschrift auch nationale Vorschriften mit höherem als dem EU-Schutzniveau, die während »Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.« 23 des Fristlaufes zur Umsetzung für eine Harmonisierungsregelung der EU erlassen worden sind. In der Zeit danach von den Mitgliedstaaten intendierte, von der Harmonisierungsmaßnahme abweichende Umweltschutzregelungen sind nur nach Maßgabe des Art. 114 V VAEU 2. (unten Tradition in Gefahr – was nun? Rn. 24) möglich. Art. V VAEU knüpft gewusst, die Zulässigkeit der durch Kunigge die Mitgliedstaaten neu zu erlassenden Hätte die114 Oberbürgermeisterin welche Nachrichten zu Umweltschutzvorschriften an Verlesen weitergehende Voraussetzungen als Art. 114 IV VAEU. Die verkünden hatte, sie hätte sich das der Tagesordnungspunkte künftigen, ebenfalls ein höheres Schutzniveau alsTischnachbarn das des mittels gemeinschaftlicher Harmogespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Umweltstandards zu schaffenden nationalen Bestimmunundnisierungsmaßnahmen jeder Versuch, etwas Ruheerreichten in die aufgeschreckte, fast panische Atmosphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr. gen müssen auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sein und zudem auf einem speSie lässt es dennoch nicht für unversucht. zifischen Problem den Mitgliedstaat beruhen, das sich nach dem Erlass der EU- 24 Harmonisierungsmaßnahme ergibt. Diese beiden Voraussetzungen dürften in der Praxis jedoch äußerst selten vorliegen, so dass eine nennenswerte Inanspruchnahme des Art. 114 V 20 VAEU durch die Mitgliedstaaten wohl kaum zu erwarten ist. Überhaupt lassen sich umweltschutzpolitische Innovationen in den Mitgliedstaaten auf diese Weise schwerlich verwirklichen. Art. 114 X VAEU ermöglicht zwar eine weitere Abweichung von der Harmonisierungsmaßnahme, indem er von ihr vorübergehende Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten (Schutzklauseln) vorsieht. Doch ist eine Inanspruchnahme der Schutzklausel nur aus den in Art. 36 VAEU genannten nichtwirtschaftlichen Gründen zulässig. Da die Erfordernisse des Umweltschutzes in Art. 36 VAEU nicht aufgeführt sind, können die Mitgliedstaaten die hier in Rede stehenden Schutzklauseln auch nicht im Bereich des nationalen Umweltschutzes für sich reklamieren. 25 Ein nicht immer ganz einfach zu bewältigendes Abgrenzungsproblem besteht zwischen Art. 193 VAEU und Art. 114 IV u. V VAEU. Diese Frage ist aus Sicht der Mitgliedstaaten schon deshalb von Relevanz, weil die Möglichkeit eines nationalen Alleingangs zum Zwecke höherer nationaler Umweltschutzstandards nach Art. 114 V VAEU an ungleich strengere Voraussetzungen geknüpft ist als im Falle des Art. 193 VAEU, die einzelnen Staaten somit bei Letzterem für den Erlass von Schutzverstärkungen einen weitaus größeren Handlungsspiel- 26 57 z Zur Produktseite Nils Preer 2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende raum behalten. Für die Zuordnung wird man grds. auf die jeweilige Ausrichtung der in Blicke aus. Betracht kommenden einzelstaatlichen Regelung abzustellen haben: Zielt die Regelung auf »Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir überwiegend wirtschaftliche Belange, ist Art. 114 IV o. V VAEU einschlägig. Steht hingegen uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerder ökologische Aspekt werden die Rechtsakte nach Art. 193 VAEU erlaswiegender Versäumnisse können wirim nunVordergrund, schon das dritte Jahr in Folge die sen. Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige Haushaltssat27 Die Verträge enthalten aber auch Kompetenzausübungsschranken für die Umweltschutzzung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht rechtsetzungstätigkeit der EU. Hier sind in erster Linie zu nennen das Subsidiaritätsprinzip, vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwaltungsbetrieb 28 Art.garantieren.« 5 III EUV enthält eine allgemeine Subsidiaritätsklausel. Danach wird die EU in den Ein Raunen geht durch den in Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen fallen, nur tätig, sofern und soweit Bereichen, die nicht ihre ausschließliche Zuständigkeit Umständen unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau die unterrichtet«, Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von denDr.Mitgliedstaaten weder auf zentraler Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichenddamit verwirklicht und daher wegen ihres befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die ÄußeUmfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Unionsebene erreicht werden können. Dieses Subrungen Kunigges sichtlich unangenehm. sidiaritätsprinzip ist als Rechtspflicht verankert. »Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch 29 Pflichtaufgaben unsere erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben Art. 5 IV EUV überträgt gleichsam in Ergänzung zum mehr Subsidiaritätsprinzip das als allgemeiwahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungsner Rechtsgrundsatz im Verhältnis zum betroffenen Bürger seit langem anerkannte Prinzip wesens sehr Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik freiderwohl! Verhältnismäßigkeit auch auf das Verhältnis derder EU zu den Mitgliedstaaten. Danach darf willigen eine Aufgaben!« EU-Maßnahme inhaltlich wie formal nicht über das für die Erreichung der Vertragsziele »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, fallen schon zwei Bucherforderliche Maß hinausgehen.»dann Dieser Grundsatz gilt sowohl im Bereich der ausschließlilesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an chen als auch in dem der konkurrierenden EU-Rechtsetzungskompetenzen. wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« 30 Für nationaleerblasst. Maßnahmen soll auf diese Weise der Spielraum so weit wie möglich erhalten Das Stadtoberhaupt »Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« vor Reglementierungen. Bei der Einfühbleiben. Unterstützungsakte haben insoweit Vorrang »Ja«, erwidert mit ernster Miene, »unserennach Karnevalsumzug.« rung vonKunigge Unionsstandards sind deshalb Möglichkeit Mindeststandards festzulegen, die den Mitgliedstaaten die Option zur Festlegung anspruchsvollerer Niveaus belassen. Eine RL, die den Mitgliedstaaten prinzipiell einen Umsetzungsspielraum zubilligt, hat Vorrang vor dem Erlass einer VO. 2. Tradition in Gefahr – was nun? 31 Eine Kompetenzausübungsschranke für Handlungen der Gemeinschaftsorgane kann sich ferHätte diener Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kuniggesich zu nämlich nicht nur die Pflicht der aus Art. 4 III EUV ergeben. Insbes. hieraus ergibt verkünden hatte, sie hättezur sich das Verlesen(oben der Tagesordnungspunkte Mitgliedstaaten Unionstreue Rn. 5), sondern auch umgekehrt die Pflicht der Unigespart. Die Versammelten murmelnZusammenarbeit derweil wild mit ihren onsorgane zur loyalen mitTischnachbarn den Mitgliedstaaten. Diese Verpflichtung verund jederlangt Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische von der EU, keine Rechtsakte zu erlassen, die Atmoim Gegensatz zu elementaren Bestandsphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr. teilen der Verfassung eines Mitgliedstaates stehen. Diesem Gesichtspunkt kommt angesichts Sie lässt es dennoch nicht unversucht. des Umstands, dass die Mitgliedstaaten der einheitlichen Wirkung des Unionsrechts grds. nicht entgegenhalten können, die Umsetzung EU-rechtlicher Pflichten bereite ihnen aufgrund ihrer Verfassungsrechtsordnung Schwierigkeiten, in praxi allenfalls marginales 20 Gewicht zu. Lediglich in Extremfällen wird daher eine entsprechende Rücksichtnahme seitens der EU-Organe geboten sein. II. 32 Sekundäres Umweltschutzrecht Das auf dem EUV/VAEU beruhende sekundäre EU-Umweltschutzrecht umfasst entweder unmittelbar oder lediglich mittelbar in den einzelnen Mitgliedstaaten geltende, bei der mitgliedstaatlichen Rechtsetzung zu beachtende Rechtsakte. Art. 288 VAEU differenziert dabei nach VO, RL, Beschlüssen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Diese unterscheiden sich in erster Linie in ihrer Rechtswirkung und können sich auch an unterschiedliche Adressaten richten. 58 z Zur Produktseite Nils Preer II. Sekundäres Umweltschutzrecht mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende 1. Verordnungen Blicke aus. »Wie Ihnen allen ja bekannt ist«,allgemein beginnt erund schließlich, wir verbindlich (Art. 288 Uabs. 2 VO gelten unmittelbar und sind in»befinden allen Teilen uns VAEU). momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerMacht die EU von ihrer Kompetenz Gebrauch, bleibt nach Inhalt und Umfang für den wiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in Folge die Mitgliedstaat kein eigenständiger Regelungsspielraum. Die nationale Rechtsetzung ist wegen Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei der unmittelbaren Geltung der EU-VO und der damit einsetzenden Sperrwirkung insoweit Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige Haushaltssatnicht mehr handlungsbefugt. Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass die VO der nationalen zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht Ebene ausdrücklich Normierungsmöglichkeiten einräumt. Innerhalb dieses Rahmens dürfen vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige dann, ggf. auch müssen die Mitgliedstaaten Regelungen treffen. Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwaltungsbetrieb garantieren.« Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen 2. Richtlinien Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. Lösungswille, ungehalten, »und wirBestimmungen werden uns zu gegebener damit Die in den RL formulierten entfalten Zeit keine direkte Bindungswirkung in dem befassen. Was wollen also?« Der Oberbürgermeisterin sind die diesen Äuße- unter Überlassung der Wahl Mitgliedstaat, anSie den sie gerichtet sind. RL verpflichten rungen sichtlich unangenehm. vonKunigges Form und Mittel lediglich zur Transformation ihrer Vorgaben in nationales Recht »Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch (Art. 288 Uabs. 3 VAEU). Ungeachtet der bei Erlass der RL bestehenden materiellen Bindung unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr des Mitgliedstaats ist die RL aber auf Aktivitäten durch die nationale Rechtsetzung ausgelegt. wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungswesens sehrgenügt wohl! Denn noch fallen der Veranstaltungen in dieUmsetzung Rubrik der freiDabei es angesichts eine effektive von RL verlangenden Rspr. des willigen Aufgaben!« EuGH (z. B. ZfW 1991, 221 ff.; ZfW 1992, 351 ff.; NVwZ 1997, 369 ff.) für eine formal ausrei»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon Buch- Mitgliedstaat jedoch nicht, chende Implementierung des RL-Rechts durch denzwei jeweiligen lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an wenn sich auf nationaler Ebene lediglich eine richtlinienkonforme, jederzeit änderbare Verwirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« waltungspraxis auf der Grundlage von VwV herausbildet bzw. herausgebildet hat. Denn die Das Stadtoberhaupt erblasst. verbindliche Geltung des RL-Inhalts im nationalen Recht müsse für den Einzelnen und die »Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« mitgliedstaatlichen Vollzugsorgane zweifelsfrei gesichert sein, was nur durch Außenrechts»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.« sätze gewährleistet werden könne. Diese wiederum kann es in der deutschen Rechtsordnung nur in Gestalt von Gesetzen, RechtsVO und Satzungen geben. In diesem Rahmen ist es allerdings allein eine Frage der Zweckmäßigkeit, wie die Umsetzung erfolgt. 2. Jenseits Tradition in Gefahr – was nun? dieser formalen Anforderungen ist dennoch unverkennbar, dass die RL den Mitglied- 33 34 35 36 staaten inhaltlich – je nach Detailliertheit ihrer Vorgaben – einen mehr oder minder großen Hätte die Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kunigge zu Rechtsetzungsspielraum zu ihrer Umsetzung in die nationale Rechtsordnung einräumt: So verkünden hatte, sie hätte sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte gaben die EG-PSM-Verbots-RL bis zur Ablösung durch die PSM-VO gespart. Dieetwa Versammelten murmeln derweil und wild die mit EG-PSM-RL ihren Tischnachbarn Pflanzenschutzrecht derart detailliert dass Atmoder bundesdeutschen Normgebung und2011 jeder das Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fastvor, panische in Gestalt desmuss PflSchG und seiner Unterfangen AusführungsVO nochihr. eine weitgehende – nicht selten sphäre zu bringen, ein aussichtsloses sein, sonur schwant wortgetreue – Übernahme ohne eigentlichen Gestaltungsspielraum verbleibt. Hinzu kommt, Sie lässt es dennoch nicht unversucht. dass diese auf Art. 100 EGV a. F. (= Art. 115 VAEU) bzw. Art. 43 EGV a. F (= Art. 43 VAEU) gestützten RL es den Mitgliedstaaten nicht gestatten, Erhöhungen des Schutzstandards (oben 20 Rn. 22) vorzunehmen. Ähnliches gilt für das ursprünglich auf Art. 100 EWGV beruhende EUChemikalienrecht (8/4 ff.). Sofern es indes mittlerweile auf Art. 100a EGV a. F. (jetzt Art. 114 VAEU) basiert, verbleibt den Mitgliedstaaten wegen Art. 100a IV EGV a. F. (jetzt Art. 114 IV u. V VAEU) die Möglichkeit zum Erlass nationaler Schutzverstärkungen. Demgegenüber überlässt etwa die auf Art. 130s EGV a. F. (jetzt Art. 192 VAEU) gestützte „EG-IVU-RL“ im Hinblick auf die von ihr medienübergreifend bezweckte Bekämpfung industrieanlagenbedingter Umweltverschmutzung der nationalen Rechtsetzung einen sehr weiten Umsetzungsspielraum. Einige RL gestatten den Mitgliedstaaten, zu den EU-seitig vorgesehenen Maßnahmen alternative, in ihren Auswirkungen gleichwertige Maßnahmen zu ergreifen. Dies geschieht in zahlreichen Vorschriften, in denen ein Verfahren beschrieben wird, das beim Vollzug der Vorschriften zum Einsatz kommen soll. Die RL benennen dabei in unterschiedlicher Weise die Anforderungen an die alternativ zulässigen Verfahren: So wird etwa verlangt, dass das Alternativverfahren „mindestens ebenso geeignet“ ist (z. B. Art. 3 IV EG-AlkalichloridelektrolyseRL) oder dass es „nachweislich gleichwertige Ergebnisse“ oder „vergleichbare Ergebnisse“ liefert (z. B. Anh. I Abschn. D EG-Abwasserbehandlungs-RL). In diesen Fällen bleiben den 59 37 z Zur Produktseite Nils Preer 2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende Mitgliedstaaten zwar Regelungsspielräume, doch sind diese deutlich geringer als bei einem Blicke aus. vollständigen Verzicht auf die betreffende EU-rechtliche Regelung. »Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir uns38 momentan in einer sehr schwierigen Auf Grund schwerIm Außenverhältnis zur EUHaushaltslage. ist für die Umsetzung der RL in Deutschland zwar allein der wiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Folge die Bund verantwortlich. Gleichwohl erstreckt Jahr sichindie innerstaatliche Kompetenz des BundesHaushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei gesetzgebers nur auf die vom bundesdeutschen Verfassungsrecht vorgegebenen ZuständigJahren hatten wir Von zumindest Ende Januar eine rechtskräftige Haushaltssatkeiten. einiger Tragweite vermag insoweit der den Bundesländern für die hier themazung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht tisch einschlägigen Regelungsmaterien Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege, RO vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige sowie Wasserhaushalt eine Abweichungskompetenz einräumende Art. 72 III GG zu sein (vgl. Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwal1/59 ff., insbes. 1/63). Diesbzgl. darf der Bund zwar anders als noch nach der weggefallenen tungsbetrieb garantieren.« Rahmengesetzgebungskompetenz (Art.ist 75bereits GG a.von F.) Vollregelungen enthaltende Gesetze zur Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat diesen Umsetzung der EU-RL erlassen. Gleichwohl dürfen die Länder hiervon abweichen. Sofern Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. dies gegen unionsrechtliche Vorgaben geschieht, zwingen indes der Gesichtspunkt des bunLösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit destreuen Verhaltens und die Maßgaben des Art. 23 GG die Länder dazu, die jeweiligen RLbefassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen Kunigges sichtlich unangenehm. Vorgaben einzuhalten und ihrem inhaltlichen Ziel entsprechend auszuführen. Zudem ver»Das liegt doch das auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch pflichtet in den innerstaatlichen Rechtskreis hineinwirkende EU-Recht alle mitgliedstaatunsere Pflichtaufgaben erfüllen eben keine Aufgaben lichen Organe – alsound auch die derfreiwilligen Bundesländer – zurmehr Realisierung des jeweiligen RL-Ziels. wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungs39 sehr Zu wohl! beachten dassVeranstaltungen RL nach der Judikatur des wesens Dennbleibt, noch fallen in die Rubrik derEuGH frei- (Slg. 1997-I, 7411 ff.) bereits vor der Umsetzungsfrist eine gewisse Vorwirkung entfalten. Demnach darf ein Mitgliedwilligen Ablauf Aufgaben!« staat während der laufenden Umsetzungsfrist keine erlassen, die geeignet sind, »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zweiVorschriften Buchdes in der Ziels in Frage zu stellen. Der EuGH lesungendie undErreichung das Kammerkonzert aus. RL Tja, vorgeschriebenen was gibt es denn sonst nochernstlich so an wirklich leitet wichtigen im Frühj…« diesVeranstaltungen aus Art. 5 II und Art. 189 III EGV a. F. (jetzt Art. 4 III EUV und Art. 288 Uabs. 3 Das Stadtoberhaupt erblasst. VAEU) her. Daran gemessen ist es unstatthaft, wenn ein Mitgliedstaat innerhalb der Umset»Oh nein …«, stammelt sie, » SiePunkten meinen doch etwa …« abweichende Regelungen erlässt. Etwas zungsfrist in zentralen vomnicht RL-Standard »Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.« anderes gilt nur für solche nationalen Rechtsakte, die auf eine allmähliche Heranführung des innerstaatlichen Rechts an RL-Standards bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist gerichtet sind. 40 Die nicht oder nur unvollständig erfolgte Umsetzung kann für den Mitgliedstaat nach Maßgabe desinArt. 260 II IIInun? VAEU als Folge einer ganz oder teilweise ignorierten Verurteilung in Tradition Gefahr – u. was einem Vertragsverletzungsverfahren Sanktionen in Form der Zahlung eines Pauschalbetrages Hätte dieoder Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kuniggefavorisiert zu eines Zwangsgeldes nach sich ziehen. Eindeutig wird das Zwangsgeld, desverkünden hätte das Verlesen derden Tagesordnungspunkte senhatte, Höhesiesich fürsich Deutschland nach Vorstellungen der Kommission auf Tagessätze von gespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mitSolche ihren Tischnachbarn 13.200 bis 792.000 Euro belaufen darf. Sanktionen trafen Deutschland im Bereich des und jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische AtmoUmweltschutzrechts bereits mehrere Male: So wegen der Missachtung der EuGH-Urteile zur sphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr. EG-Grundwasserschutz-RL (Slg. 1991-I, 865 ff.), zur EG-Vogelschutz-RL (Slg. 1990-I, 2721 ff.) Sie lässt es dennoch nicht unversucht. sowie zur EG-Oberflächenwasserqualitäts-RL (Slg. 1991-I, 4983 [5019 ff.]). 2. 41 20 Überdies gesteht der EuGH den RL unter bestimmten Voraussetzungen aber auch unmittelbare – begünstigende – Rechtswirkungen für den Einzelnen zu. Das ist der Fall, wenn ein Bürger aufgrund der nicht, nicht fristgerecht oder nur unzureichend in innerstaatliches Recht umgesetzten Vorschrift Nachteile erleidet, die Vorschrift zudem hinreichend präzise bestimmt ist und ihr Wirksamwerden von keiner weiteren Bedingung abhängt. 3. 42 Sonstige Rechtsakte Weniger bedeutsam für die nationale Umweltschutzrechtsetzung als die zuvor behandelten VO und RL sind die übrigen in Art. 288 VAEU aufgeführten Rechtsakte: Beschlüsse sind nur für die in ihnen ausdrücklich bezeichneten Adressaten (Mitgliedstaaten, Personen) vollumfänglich verbindlich (Art. 288 Uabs. 4 VAEU). Dagegen haben die grds. an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlungen und Stellungnahmen keinen bindenden Charakter (Art. 288 Uabs. 5 VAEU). 60 z Zur Produktseite Nils Preer III. Art der umweltpolitischen Rechtsakte mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende III. Art der umweltpolitischen Rechtsakte Blicke aus. »Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir Art. 192 VAEU legt den Rat für den Erlass von Umweltschutzrecht auf keinen der genannten uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerRechtsakte fest. Gleiches gilt für die Artt. 114 u. 352 VAEU, aber auch für die Artt. 43 u. 91 wiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in Folge die VAEU; während Art. 115 VAEU den Erlass von RL verbindlich vorschreibt. Als HandlungsHaushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei form wurde und wird Ende auchJanuar über eine die Bindung desHaushaltssatArt. 115 VAEU (ex Art. 100 E[W]GV a. F. Jahren hatten wir zumindest rechtskräftige bzw. ex Art. 95 EGV) hinaus aus sachlichen Gründen die nicht RL bevorzugt. Sie stellt angesichts zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr des diffusen Umweltschutzrechts den Mitgliedstaaten, für dessen Ausgestaltung und Vollvor Ende März schaffen werden. Was das fürinuns bedeutet ist klar: vorläufige zug sowie für Also den daraus resultierenden zurzeit wohl das praktikabelste Haushaltsführung. nur Ausgaben, die den Angleichungsbedarf pflichtgemäßen Verwaltungsbetrieb garantieren.« Mittel dar. In geeigneten Fällen kommt ansonsten aber auch der Erlass von VO zum Tragen. Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen Kunigges sichtlich unangenehm. »Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungswesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der freiwilligen Aufgaben!« »Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buchlesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…« Das Stadtoberhaupt erblasst. »Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …« »Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.« 2. Tradition in Gefahr – was nun? Hätte die Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kunigge zu verkünden hatte, sie hätte sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte gespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Tischnachbarn und jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische Atmosphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr. Sie lässt es dennoch nicht unversucht. 20 61 43