2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union

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Nils Preer
I. Primäres Umweltschutzrecht
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
Blicke aus.
»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerwiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in Folge die
Haushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei
Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige HaushaltssatDas
Umweltschutzrecht
Europäischen
Union
(EU)Jahr
dringt
zung.
Doch
es zeichnet sich jetztder
schon
ab, dass wir das
in diesem
nichtin zunehmendem Maße in die
nationalen
Rechtsordnungen
einfürund
diese
auf vielfältige Weise. Dies geschieht
vor Ende
März schaffen
werden. Was das
uns überlagert
bedeutet ist klar:
vorläufige
Haushaltsführung.
nur als
Ausgaben,
die den
pflichtgemäßen Verwalsowohl durchAlso
primärauch durch
sekundärrechtliche
Vorgaben.
tungsbetrieb garantieren.«
Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr.
I.
Primäres Umweltschutzrecht
Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit
befassen.
Was wollen
Sie also?« Der Oberbürgermeisterin
sind die
Das primäre
Umweltschutzrecht
bildet die Grundlage
fürÄußedas auf sekundärrechtlicher Ebene
rungen Kunigges sichtlich unangenehm.
zu erlassende Umweltschutzrecht. Im Vordergrund steht hierbei das die EU konstituierende
»Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch
Vertragswerk (der Vertrag über die EU [EUV] und der Vertrag über die Arbeitsweise der EU
unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr
[VAEU]),können,
auf welches
sich die
nachfolgende
beschränkt. Dieses statuiert in gewiswahrnehmen
dann betrifft
mich
das als LeiterDarstellung
des Veranstaltungsser
Weise
„europäisches
Verfassungsrecht“.
wesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der freiwilligen Aufgaben!«
»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buch1. undVerhältnis
des EU-Umweltschutzrechts
zum noch
nationalen
lesungen
das Kammerkonzert
aus. Tja, was gibt es denn sonst
so an Recht
wirklich
wichtigen
Veranstaltungen
im Frühj…«
Prägend
für das
Verhältnis des
EU-Umweltschutzrechts zum nationalen Recht ist, dass die
Das
Stadtoberhaupt
erblasst.
Mitgliedstaaten mit den Unionsverträgen unter Beschränkung ihrer Souveränität in bestimm»Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …«
ten Bereichen eine gemeinschaftseigene Rechtsordnung geschaffen haben, die in die Rechts»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.«
2. Teil:
Umweltschutzrecht der Europäischen Union
1
2
3
ordnung der Mitgliedstaaten eingreift. Insoweit besteht ein Vorrangverhältnis des Unionsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten. Bei einer Kollision von EU-Recht mit
nationalem Recht setzt sich Ersteres gegenüber Letzterem durch. Dieser Vorrang erstreckt sich
den Grenzen
der Artt.
23,nun?
79 III GG selbst auf konfligierendes Verfassungsrecht und gilt,
2. in Tradition
in Gefahr
– was
gleich, ob das nationale Recht vor oder nach dem EU-Recht erlassen wurde oder speziellerer
Natur
ist.
Hätte
die Oberbürgermeisterin
gewusst, welche Nachrichten Kunigge zu
verkünden hatte, sie hätte sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte
Seiner Bedeutung nach entspricht dieses Vorrangverhältnis demjenigen von deutschem Bungespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Tischnachbarn
desrecht zu Landesrecht. Allerdings führt der angesprochene Vorrang nicht wie im Falle des
und jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische AtmoArt.
GG dazu,
dass
entgegenstehendes
nationales
Rechtihr.
seine Geltung verlöre. Es bleibt
sphäre
zu31
bringen,
muss ein
aussichtsloses
Unterfangen
sein, so schwant
vielmehr
in Geltung,
ohne indes angewendet werden zu dürfen, so dass ein AnwendungsSie lässt
es dennoch
nicht unversucht.
4
vorrang vor mitgliedstaatlichem Recht besteht. D. h. die nationalen Verwaltungen haben
insofern ein Normenverwerfungsrecht, als sie ggf. deutsches Recht ohne vorherige gerichtli20 che Entscheidung unangewendet lassen dürfen.
Die Mitgliedstaaten unterliegen zudem – ähnlich wie Gliedstaaten im Bundesstaat – einer
grundlegenden Loyalitätspflicht (Pflicht zur Gemeinschaftstreue). Diese hatte der EuGH (Slg.
1983, 255 [287]) zunächst aus Art. 5 EGV a. F. entwickelt und ist nunmehr umfassend in den
Artt. 4 f. EUV verankert. Hiermit ist jedoch nicht der ohnehin selbstverständlich geltende völkerrechtliche Grundsatz „pacta sunt servanda“ gemeint, sondern es werden auf diese Weise
zusätzliche Verhaltenspflichten vergleichbar den zivilrechtlichen vertraglichen Nebenpflichten statuiert. Generalisierend ausgedrückt obliegt es danach den Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung ihrer unionsrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen.
Hierzu gehört nicht zuletzt die Pflicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung transformierungsbedürftiger EU-Umweltschutz-Rechtsakte. Dafür sind alle Maßnahmen zu treffen, aufrechtzuerhalten oder zu unterlassen, welche die praktische Wirksamkeit („effet utile“) des EUV/
VAEU erfordert (vgl. insbes. Art. 4 III EUV).
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2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
2.
Umweltschutz als Aufgabe und Ziel der EU
Blicke aus.
»Wie
allen
ja EUV
bekannt
ist«,
beginnt
schließlich,
»befinden wir
6 Ihnen
Bereits
dem
sind
einige
für er
das
Umweltschutzrecht
bedeutsame Aufgaben und Ziele zu
uns momentan
in
einer
sehr
schwierigen
Haushaltslage.
Auf
Grund
schwerentnehmen. So „wirkt“ die Union gem. Art. 3 II EUV
u. a. „auf … ein hohes Maß an Umweltwiegender
Versäumnisse
können wir nun
das dritte Jahrhin“.
in Folge
die
schutz
und Verbesserung
derschon
Umweltqualität
Überhaupt
kommt ihr mit Blick auf die
Haushaltssatzung
nicht
fristgerecht
beschließen.
In
den
vergangenen
zwei
„Umwelt“ eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit zu (Art. 4 II lit. e VAEU). Die
Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige HaushaltssatErfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und Durchführung der Unizung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht
onspolitiken und -maßnahmen insbes. zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbevor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige
zogen werden (Art. 11 VAEU). Überdies enthält der VAEU in seinem „Titel XX“ (Artt. 191 –
Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwal193)garantieren.«
spezifische, die Umweltschutzaufgabe der Union näher ausgestaltende Vorschriften.
tungsbetrieb
Durch
die durch
zuvorden
erwähnten
Hervorhebungen
des Umweltschutzes an derart
Ein Raunen geht
Saal. »Dervertraglichen
Stadtrat ist bereits
von diesen
prominenter
Stelle
ist
die
EU
letztlich
auch
als
eine
„Umweltschutzunion“
angelegt.
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr.
Lösungswille,
ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit
7 Als verbindliche
Ziele der gemeinschaftlichen Umweltschutzpolitik benennt Art. 191 I
befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die ÄußeVAEU – insoweit die vorher erwähnten Vertragsbestimmungen konkretisierend – ausdrückrungen Kunigges sichtlich unangenehm.
lich
»Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch
unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr
– Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserungen ihrer Qualität
wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungs– Schutz der menschlichen Gesundheit
wesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der frei– umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen
willigen Aufgaben!«
– Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder
»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buch– globaler Umweltprobleme und insbes. die Bekämpfung des Klimawandels
lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an
wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…«
8 Stadtoberhaupt
Daneben stecken
diese Zielsetzungen den sachlichen Umfang der durch Art. 192 I VAEU
Das
erblasst.
zwar
begründeten,
nicht
umrissenen
Verbandskompetenz der EU ab. Das
»Oh nein …«, stammelt sie, dort
» Sie aber
meinen
dochnäher
nicht etwa
…«
Ausmaß
der
umweltschutzrelevanten
Rechtsetzungszuständigkeit
der Union wird somit
»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.«
maßgeblich von der in Art. 191 I VAEU denkbar weit definierten Zielformulierung determiniert.
9
Obendrein zielt die EU-Umweltschutzpolitik in Art. 191 II 1 VAEU unter Berücksichtigung
Tradition in Gefahr – was nun?
der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes
Hier muss
aber
nichtNachrichten
jede einzelne
Maßnahme
an diesem Ziel ausgerichtet
Hätte dieSchutzniveau.
Oberbürgermeisterin
gewusst,
welche
Kunigge
zu
werden,
die Umweltschutzpolitik
insgesamt, so dass das Schutzniveau einverkünden
hatte, sondern
sie hätte lediglich
sich das Verlesen
der Tagesordnungspunkte
zelner
Maßnahmen
durchaus
hinter
zurückbleiben darf. Das kann mitungespart. Die
Versammelten
murmeln
derweil
wild diesem
mit ihrenGesamtziel
Tischnachbarn
selbst etwas
eine Ruhe
Absenkung
der Umweltschutzvorgaben
für das nationale Recht zur Folge
und jederter
Versuch,
in die aufgeschreckte,
fast panische Atmosphäre zuhaben.
bringen,
muss
ein
aussichtsloses
Unterfangen
sein,
so
schwant
ihr.
Die vom EuGH (Slg. 1992-I, 4431 ff.) zu Art. 130r II EGV a. F. (jetzt Art. 191 II VAEU) in
Sie lässt einem
es dennoch
nicht
unversucht.
obiter
dictum
vertretene anders lautende Auffassung, die dortigen Grundsätze bezögen
sich auf jede einzelne Maßnahme, stammt aus einer Zeit, als sich die Vorschrift noch an der
(jeweiligen) „Tätigkeit“ der EU orientierte.
2.
20
10
Schließlich muss sich die von der EU praktizierte Umweltschutzpolitik von folgenden in
Art. 191 II 2 VAEU verankerten drei tragenden Prinzipien leiten lassen: dem Vorsorgeprinzip,
dem Ursprungsprinzip und dem Verursacherprinzip. Das Vorsorgeprinzip (oben 1/9) verlangt vorbeugende Maßnahmen hinsichtlich möglicher Umweltbeeinträchtigungen, also Prävention statt Repression. Nach dem Ursprungsprinzip soll die Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen möglichst an deren Ursachenherd erfolgen, also zeitlich und kausal so früh
wie möglich ansetzen. Dieses Prinzip stellt für die europäische Rechtsetzung und für die Mitgliedstaaten ein verbindliches Optimierungsgebot dar. Dem Verursacherprinzip zufolge hat
jeder zumindest die Folgen einer von seinem Verhalten hervorgerufenen Umweltstörung zu
beseitigen (1/10).
3.
11
Kompetenzielle Grundlagen der EU-Umweltschutzpolitik
Als Grundlage für den Erlass von umweltschutzbedeutsamen Rechtsakten griff man bis zur
Vereinbarung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) überwiegend auf die um die sog.
„Abrundungsklausel“ des Art. 235 EGV (jetzt Art. 352 VAEU) i. V. m. den Artt. 2, 3 EWGV
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I. Primäres Umweltschutzrecht
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
ergänzte marktbezogene Rechtsangleichungsklausel des Art. 100 EGV (jetzt Art. 122 VAEU)
Blicke aus.
zurück. Diese primär wirtschafts- und integrationspolitisch motivierten Regelungsermächti»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
gungen erwiesen sich gerade im Hinblick auf künftige Umweltschutzaufgaben als unbefrieuns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerdigend.
Der durch können
die EEA
3.schon
Teil des
EGV Jahr
neuingeschaffene
wiegender
Versäumnisse
wirim
nun
das dritte
Folge die und nunmehrige „Titel XX
Umwelt“ (Artt.
191
– 193 VAEU
= ex Artt.
174vergangenen
– 176 bzw. zwei
ex Artt. 130r – 130t EGV) sollte in
Haushaltssatzung
nicht
fristgerecht
beschließen.
In den
Verbindung
dem ebenfalls
hinzugefügten
Art.Haushaltssat100a bzw. ex Art. 95 EGV (jetzt Art. 114
Jahren
hatten wir mit
zumindest
Ende Januar
eine rechtskräftige
VAEU)
eine
eindeutigere
Verankerung
desdas
Umweltschutzes
dokumentieren. Erst seitdem hat
zung.
Doch es
zeichnet
sich jetzt schon
ab, dass wir
in diesem Jahr nicht
vor Ende
März schaffen
werden.
Was das für uns bedeutet ist klar:
die EG/EU
spezifische
Rechtsetzungskompetenzen
fürvorläufige
den Umweltschutz.
Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen VerwalDie dafür zentrale Vorschrift ist Art. 192 VAEU (ex Art. 175 EGV). Da hierauf gestützte Rechtstungsbetrieb garantieren.«
akte
in dergeht
Regel
nurden
Mindeststandards
festschreiben,
Ein
Raunen
durch
Saal. »Der Stadtrat
ist bereits vonverbieten
diesen sie den einzelnen Mitgliedstaaten
nicht,
im
Interesse
eines
möglichst
hohen
Schutzstandards
verstärkte rechtliche
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr.
Schutzmaßnahmen
beizubehalten
oder
zu
ergreifen
(Art.
193
VAEU
[ex
Art.
176 EGV] – unten
Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit
Rn.
22).
Grenzen
finden
solche
Regelungen
allein
durch
das
Gebot
der
Vereinbarkeit
mit dem
befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen
Kunigges
sichtlich unangenehm.
übrigen
Vertragsrecht.
Insbesondere dürfen die Vorschriften nicht gegen Diskriminierungs»Das
liegt und
dochdie
auf Regeln
der Hand:
Wenn
als Stadtverwaltung
noch
verbote
über
denwir
freien
Warenverkehrnur
verstoßen.
unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr
wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungswesens
wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen
in die Rubrik der frei- der EU
4. sehr Umweltschutzrelevante
Rechtsetzungszuständigkeiten
willigen Aufgaben!«
Die
EU-Kompetenzen
folgen – wie speziell
Art.schon
5 I 1 EUV
zu entnehmen ist – durchweg dem
»Ja
…«,
brummt die Oberbürgermeisterin,
»dann fallen
zwei BuchPrinzip
der
begrenzten
Ermächtigung.
Demgemäß
dürfen
die
lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so
anRechtsetzungsorgane der EU –
anders
als die Veranstaltungen
mit umfassenden
Kompetenzen ausgestatteten Legislativorgane eines Staates –
wirklich
wichtigen
im Frühj…«
nurStadtoberhaupt
innerhalb der
ihr im EUV und im VAEU zugewiesenen Zuständigkeiten zur VerwirkliDas
erblasst.
»Oh
neinder
…«,darin
stammelt
sie, » Sie meinen
doch
nicht
etwa …«
chung
niedergelegten
Ziele
tätig
werden
(Art. 5 II EUV). Das geschieht nur in der
»Ja«,
erwidert
ernster
»unseren
Form
der inKunigge
Art. 288mit
VAEU
(exMiene,
Art. 249
EGV)Karnevalsumzug.«
vorgesehenen Rechtsakte. Diese grds. Zustän-
digkeitsbestimmung findet allerdings ihre Auflockerung durch die mit Art. 352 VAEU bestehende Möglichkeit, Vertragslücken schließen und Rechtsangleichungen vornehmen zu dürfen.
2.
Tradition in Gefahr – was nun?
Das EU-Umweltschutzrecht ist Querschnittsrecht. Dies wird durch die in Art. 11 VAEU (ex
Art.
EGV) festgeschriebene
sog. welche
„Querschnittsklausel“
unterstrichen.
Hiernach müssen die
Hätte
die6 Oberbürgermeisterin
gewusst,
Nachrichten Kunigge
zu
verkünden
hatte, sie
sich das Verlesen
Erfordernisse
deshätte
Umweltschutzes
bei der
der Tagesordnungspunkte
Festlegung und Durchführung der Unionspolitigespart.
Versammelten
murmeln
derweil
wild mit ihren
Tischnachbarn
ken Die
und
-maßnahmen
insbes.
zur Förderung
einer
nachhaltigen Entwicklung einbezogen
undwerden.
jeder Versuch,
etwas
Ruhe
in
die
aufgeschreckte,
fast
panische
Atmo- nur eine sektorielle Aufgabe
Auf diese Weise ist die Umweltschutzpolitik nicht
sphäre
zu
bringen,
muss
ein
aussichtsloses
Unterfangen
sein,
so
schwant
ihr. EU erlangt damit auf allen ihr
neben anderen, sondern Bestandteil aller Unionspolitiken. Die
Sie lässt es dennoch nicht unversucht.
zugewiesenen Politikfeldern zugleich auch eine am Umweltschutz ausgerichtete Regelungskompetenz. Diese ist gleichsam als eine Art Annex zu verstehen, weil dadurch alle nicht auf
20 Art. 192 VAEU gestützten Rechtsakte wegen ihrer möglicherweise negativen Auswirkungen
auf die Umwelt auch hinsichtlich der dadurch einzubeziehenden Schutzmaßnahmen Regelungen enthalten dürfen.
12
13
14
Die Artt. 2 – 4 VAEU enthalten eine dem GG nicht unähnliche Kompetenzverteilung (vgl. 1/
51 ff.). Die Frage, welche Zuständigkeiten für die Rechtsetzung in Umweltschutzangelegenheiten wem gebühren, spielt im Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedern wegen des
aus der Beantwortung zugleich resultierenden Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten
eine nicht zu unterschätzende Rolle. In Anlehnung an die im deutschen Recht übliche und
vom EuGH (Slg. 1981, 1045 [1072 f.]) adaptierte grds. Differenzierung kann im Folgenden
nach ausschließlichen und konkurrierenden Rechtsetzungsbefugnissen der EU unterschieden werden.
15
Soweit die EU in den Artt. 2 I, 3 VAEU ausschließliche Kompetenzen besitzt, tritt für die mitgliedstaatliche Rechtsetzung eine absolute Handlungssperre selbst dann ein, wenn die EU
keinen Gebrauch von der ihr zugewiesenen Option zur Normierung macht. In diesen Fällen
müssen sich die Mitgliedstaaten aller eigenständigen Regelungen enthalten. Davon bestehen
nur insofern Ausnahmen, als die Union die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermächtigt oder
trotz ihres Regelungsauftrags handlungsunfähig ist. Dann dürfen die Mitgliedstaaten sich vor-
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2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
läufig als „Sachwalter des gemeinsamen Interesses“ betätigen. Ausschließliche Kompetenzen
Blicke aus.
für die EU im Bereich des Umweltschutzes im engeren Sinne gibt es indes nicht. Sie existie»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
ren aber auf anderen Politikfeldern, wie der Erhaltung der biologischen Meeresschätze im
uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerRahmen
der gemeinsamen
Fischereipolitik
(Art.
I lit.die
c VAEU), in die der Umweltschutz
wiegender
Versäumnisse
können wir nun
schon das dritte Jahr
in 3Folge
wegen der
Querschnittsklausel
des In
Art.
11vergangenen
VAEU (oben
Rn. 14) einzubeziehen ist.
Haushaltssatzung
nicht
fristgerecht beschließen.
den
zwei
Jahren
hatten
wir
zumindest
Ende
Januar
eine
rechtskräftige
Haushaltssat17 Ganz anders verhält es sich mit der Befugnis der EU zu einer mit derjenigen der Mitgliedzung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht
staaten geteilten Zuständigkeit. Hier sind sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten zur
vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige
Normgebung befugt. Das betrifft gem. Art. 4 II VAEU neben dem Kernbereich der UmweltHaushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwalschutzpolitik mit der Landwirtschaft und Fischerei, dem Verbraucherschutz, dem Verkehr
tungsbetrieb garantieren.«
oder der
Energie
eineSaal.
Reihe
weiterer
umweltrelevanter
Materien. Die Mitgliedstaaten sind auf
Ein Raunen
geht
durch den
»Der
Stadtrat
ist bereits von diesen
diesen
Gebieten
zum
Erlass
nationaler
Regelungen
befugt,
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr. soweit und solange die EU einen
bestimmten
Bereich
abschließend
geregelt Zeit
hat. damit
Eine abschließende Regelung ist regelLösungswille,
ungehalten,
»und nicht
wir werden
uns zu gegebener
mäßig
anzunehmen,
wenn
durch
eine
nationale
Maßnahme
befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äuße- die Ziele einer bestehenden unirungen Kunigges
sichtlich Normierung
unangenehm. beeinträchtigt werden. Für die in Art. 91 I lit. c (Verbesserung der
onsrechtlichen
»Das liegt
doch auf der Hand:
als Stadtverwaltung
noch
Verkehrssicherheit)
u.Wenn
lit. d wir
VAEU
(alle sonstigennur
zweckdienlichen
Vorschriften) sowie für
unsere Pflichtaufgaben
erfüllen
und eben
keine80
freiwilligen
mehr
die in Art. 100
II VAEU
(ex Art.
II EGV –Aufgaben
Luft- und
Seeverkehr) festgeschriebenen Sachwahrnehmen
können,
betrifft mich das
Leiter des Veranstaltungsgebiete
gilt dann
Entsprechendes.
ImalsRegelungsfall
durch die EU entstehen somit punktuelle
wesens sehr
wohl!
Denn
noch
fallen
Veranstaltungen
die Rubriknationale
der frei- Gesetzgebung. Obendrein wird
Handlungssperren für eine ansonsten in
autonome
willigen Aufgaben!«
entgegenstehendes nationales Recht verdrängt. Als Konsequenz aus dem Tätigwerden des
»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei BuchUnionsgesetzgebers ergibt sich für die nationale Rechtsetzung ggf. nur noch die Pflicht zur
lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an
normativen Ausführung des EU-Rechts. Sofern das Primär- und Sekundärrecht der EU indes
wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…«
Vorbehalte zugunsten
Das Stadtoberhaupt
erblasst. der Mitgliedstaaten enthalten (dazu unten Rn. 21 ff.), tritt keine Sperrwirkung
ein.
»Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …«
»Ja«, erwidert
Kunigge mit
ernsterbezüglich
Miene, »unseren
Karnevalsumzug.«
18
Klärungsbedarf
besteht
der Kompetenzen
für Umweltschutzbeihilfen (Art. 107
VAEU = ex Art. 87 EGV). In diesem Rahmen wird zur Erreichung angestrebter Umweltschutzziele auf finanzielle Anreize zurückgegriffen, zu denen jede Form einseitiger Entlastung von
Unternehmen mittels Leistungsgewährung oder durch Belastungsverminderung seitens des
2.
Tradition in Gefahr – was nun?
Staates oder durch staatliche Institutionen zählt, die den Wettbewerb potenziell verzerren.
107 II VAEU gestattet
nurwelche
die Gewährung
Hätte dieArt.
Oberbürgermeisterin
gewusst,
Nachrichtenbestimmter
Kunigge zu Beihilfen. Umweltschutzbeihilfen
gehören
dazu.
Doch
Art. 107 III VAEU näher bezeichnete Beihilfen als mit
verkünden
hatte, nicht
sie hätte
sich
das können
Verlesen nach
der Tagesordnungspunkte
dem
Binnenmarkt
vereinbar
angesehen
werden.
Für den Umweltschutzsektor stehen „Beigespart. Die
Versammelten
murmeln
derweil
wild mit ihren
Tischnachbarn
zuretwas
Förderung
Vorhabenfast
von
gemeinsamem
und jederhilfen
Versuch,
Ruhe inwichtiger
die aufgeschreckte,
panische
Atmo- europäischem Interesse“ (lit. b)
sphäre zuim
bringen,
muss
ein
aussichtsloses
Unterfangen
sein,
so
schwant
Vordergrund. Hat die EU ein eigenes Beihilfesystemihr.
geschaffen, sind die Mitgliedstaaten
Sie lässt zu
es dennoch
nicht
unversucht.
einer den
Zielen
des Beihilfesystems widersprechenden Beihilfegewährung nicht befugt.
19
Schließlich besitzt die EU konkurrierende Umweltschutzkompetenzen für die Harmonisierung der indirekten Steuern in den Mitgliedstaaten. Ausgangspunkt dafür ist Art. 113 VAEU
(ex Art. 93 EGV). Indirekte Steuern sind solche, die nur mittelbar an die Leistungsfähigkeit
des Steuerbürgers anknüpfen. Charakteristisch für sie ist ihr starker Produkt- und Konsumausgabenbezug, bei dem über die Preisgestaltung die Steuerlast übergewälzt wird.
20
Für die Annahme von den dem längst obsoleten Art. 75 GG a. F. vergleichbaren Rahmenkompetenzen zugunsten der EU, bei denen den Mitgliedstaaten nur noch die Präzisierung unionsrechtlicher Rahmenbedingungen verbleibt, ist neben bestehenden konkurrierenden
Zuständigkeiten kein Raum.
21
Sofern der EU konkurrierende Rechtsetzungskompetenzen zukommen, enthält der VAEU mit
Blick auf einen verstärkten Umweltschutz auch Regelungsvorbehalte zugunsten der Mitgliedstaaten. Hierzu zählen die Artt. 193 u. 114 IV u. VAEU.
22
Art. 193 VAEU gestattet es den Mitgliedstaaten, bei den auf Art. 192 VAEU gestützten Rechtsakten „verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen“. Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 193 S. 1 VAEU ist dies nur zulässig, wenn mit diesen Maßnahmen ein
höheres Schutzniveau angestrebt wird. Selbstverständlich müssen die Maßnahmen mit den
Bestimmungen der Unionsverträge vereinbar (Art. 193 S. 2 VAEU), d. h. in erster Linie dem
20
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mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
Umweltschutz dienen und weder unverhältnismäßig noch diskriminierend sein. Zudem
Blicke aus.
muss die nationale Festlegung der Kommission notifiziert werden (Art. 193 S. 3 VAEU).
»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
uns Art.
momentan
in VAEU
einer sehr
schwierigen
Auf Grund
114 IV
ermöglicht
vorHaushaltslage.
dem Hintergrund
derschwerGeltung des Mehrheitsprinzips zum
wiegender
Versäumnisse
können
wir
nun
schon
das
dritte
Jahr
in
Folge die
Erlass von Rechtsakten zur Binnenmarktverwirklichung
und der damit einhergehenden
Haushaltssatzung
nicht der
fristgerecht
beschließen.die
In bislang
den vergangenen
zwei
Majorisierbarkeit
Mitgliedstaaten,
für Schutzgüter
wie die Umwelt ein höheJahren
wir
zumindest
Ende Januar eine rechtskräftige
Haushaltssatreshatten
als das
durch
die gemeinschaftliche
Harmonisierungsmaßnahme
erreichte Niveau haben,
zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht
die Beibehaltung nationaler Regelungen. Die Norm ist nicht zuletzt als ein Zugeständnis an
vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige
jene Mitgliedstaaten zu verstehen, die ihre Interessen wegen des Mehrheitsprinzips nicht
Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwaldurchsetzen konnten. Allerdings knüpft der insoweit dem Art. 95 IV EGV entsprechende
tungsbetrieb garantieren.«
Art.
114 IVgeht
VAEU
anders
als noch
100a
EGV von
a. F. diesen
die Option eines Mitgliedstaats zur
Ein
Raunen
durch
den Saal.
»Der Art.
Stadtrat
istIV
bereits
Beibehaltung
seiner
(schärferen)
Umweltschutzregelung
nicht
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau
Dr. mehr daran, dass die Harmonisierungsmaßnahme
vom
Rat
mit
qualifizierter
Mehrheit
erlassen
wurde, sondern lediglich
Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit
an
die
Tatsache
des
Erlasses
der
Maßnahme
durch
das
Europäische
Parlament und den Rat
befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen
Kunigges
unangenehm.
bzw.
den Ratsichtlich
oder die
Kommission. Deshalb ist es für die Weiteranwendung der der EU-Maß»Das
liegtentgegenstehenden
doch auf der Hand: Wenn
wir als Stadtverwaltung
nur noch
nahme
einzelstaatlichen
Bestimmungen
längst ohne Bedeutung, ob der
unsere
Pflichtaufgaben
undRat
eben
keine
Aufgaben mehr
betreffende
Staaterfüllen
selbst im
für
die freiwilligen
Harmonisierungsmaßnahme
gestimmt hat oder nicht.
wahrnehmen
betrifft mich das
alsWahrung
Leiter des seiner
VeranstaltungsBis dahinkönnen,
musstedann
ein Mitgliedstaat
zur
Rechte aus Art. 100a IV EGV a. F. eine
wesens
sehr wohl!
Denn noch
fallen
Veranstaltungen
in die Rubrik
dergesamteuropäisch
freigeplante
Maßnahme
selbst
dann
ablehnen, wenn
er diese
als einen Schritt
willigen Aufgaben!«
in die richtige Richtung ansah, gleichwohl auf nationaler Ebene weiterreichende Umwelt»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buchschutzvorschriften entwickelt hatte, die er nicht aufzugeben gedachte. Mit Art. 114 IV VAEU
lesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an
können also ungeachtet der Harmonisierungsanstrengungen der EU bereits vorhandene
wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…«
nationale
Umweltschutzregelungen
unter Durchbrechung des Prinzips vom Vorrang des UniDas
Stadtoberhaupt
erblasst.
onsrechts
(oben
Rn.
3)
Bestandsschutz
erlangen.
Beibehalten
werden dürfen aufgrund dieser
»Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch
nicht etwa
…«
Vorschrift
auch
nationale
Vorschriften
mit
höherem
als
dem
EU-Schutzniveau,
die während
»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.«
23
des Fristlaufes zur Umsetzung für eine Harmonisierungsregelung der EU erlassen worden
sind. In der Zeit danach von den Mitgliedstaaten intendierte, von der Harmonisierungsmaßnahme abweichende Umweltschutzregelungen sind nur nach Maßgabe des Art. 114 V VAEU
2. (unten
Tradition
in Gefahr
– was nun?
Rn. 24)
möglich.
Art.
V VAEU knüpft gewusst,
die Zulässigkeit
der durch Kunigge
die Mitgliedstaaten
neu zu erlassenden
Hätte
die114
Oberbürgermeisterin
welche Nachrichten
zu
Umweltschutzvorschriften
an Verlesen
weitergehende
Voraussetzungen als Art. 114 IV VAEU. Die
verkünden
hatte, sie hätte sich das
der Tagesordnungspunkte
künftigen,
ebenfalls ein
höheres
Schutzniveau
alsTischnachbarn
das des mittels gemeinschaftlicher Harmogespart.
Die Versammelten
murmeln
derweil
wild mit ihren
Umweltstandards
zu schaffenden
nationalen Bestimmunundnisierungsmaßnahmen
jeder Versuch, etwas Ruheerreichten
in die aufgeschreckte,
fast panische
Atmosphäre
zu
bringen,
muss
ein
aussichtsloses
Unterfangen
sein,
so
schwant
ihr.
gen müssen auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sein und zudem auf einem speSie lässt
es dennoch
nicht für
unversucht.
zifischen
Problem
den Mitgliedstaat beruhen, das sich nach dem Erlass der EU-
24
Harmonisierungsmaßnahme ergibt. Diese beiden Voraussetzungen dürften in der Praxis
jedoch äußerst selten vorliegen, so dass eine nennenswerte Inanspruchnahme des Art. 114 V
20
VAEU durch die Mitgliedstaaten wohl kaum zu erwarten ist. Überhaupt lassen sich umweltschutzpolitische Innovationen in den Mitgliedstaaten auf diese Weise schwerlich verwirklichen.
Art. 114 X VAEU ermöglicht zwar eine weitere Abweichung von der Harmonisierungsmaßnahme, indem er von ihr vorübergehende Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten (Schutzklauseln) vorsieht. Doch ist eine Inanspruchnahme der Schutzklausel nur aus den in Art. 36
VAEU genannten nichtwirtschaftlichen Gründen zulässig. Da die Erfordernisse des Umweltschutzes in Art. 36 VAEU nicht aufgeführt sind, können die Mitgliedstaaten die hier in Rede
stehenden Schutzklauseln auch nicht im Bereich des nationalen Umweltschutzes für sich
reklamieren.
25
Ein nicht immer ganz einfach zu bewältigendes Abgrenzungsproblem besteht zwischen
Art. 193 VAEU und Art. 114 IV u. V VAEU. Diese Frage ist aus Sicht der Mitgliedstaaten
schon deshalb von Relevanz, weil die Möglichkeit eines nationalen Alleingangs zum Zwecke
höherer nationaler Umweltschutzstandards nach Art. 114 V VAEU an ungleich strengere
Voraussetzungen geknüpft ist als im Falle des Art. 193 VAEU, die einzelnen Staaten somit bei
Letzterem für den Erlass von Schutzverstärkungen einen weitaus größeren Handlungsspiel-
26
57
z
Zur Produktseite
Nils Preer
2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
raum behalten. Für die Zuordnung wird man grds. auf die jeweilige Ausrichtung der in
Blicke aus.
Betracht kommenden einzelstaatlichen Regelung abzustellen haben: Zielt die Regelung auf
»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
überwiegend wirtschaftliche Belange, ist Art. 114 IV o. V VAEU einschlägig. Steht hingegen
uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerder
ökologische
Aspekt
werden
die Rechtsakte
nach Art. 193 VAEU erlaswiegender
Versäumnisse
können
wirim
nunVordergrund,
schon das dritte
Jahr in Folge
die
sen.
Haushaltssatzung
nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei
Jahren
hatten
wir
zumindest
Ende Januar
eine rechtskräftige
Haushaltssat27 Die Verträge enthalten
aber auch
Kompetenzausübungsschranken
für die Umweltschutzzung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht
rechtsetzungstätigkeit der EU. Hier sind in erster Linie zu nennen das Subsidiaritätsprinzip,
vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige
der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.
Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwaltungsbetrieb
28 Art.garantieren.«
5 III EUV enthält eine allgemeine Subsidiaritätsklausel. Danach wird die EU in den
Ein Raunen
geht durch
den in
Saal.
»Der
Stadtrat ist bereits
von diesen fallen, nur tätig, sofern und soweit
Bereichen,
die nicht
ihre
ausschließliche
Zuständigkeit
Umständen
unterbricht
die Oberbürgermeisterin,
Frau
die unterrichtet«,
Ziele der in Betracht
gezogenen
Maßnahmen von
denDr.Mitgliedstaaten weder auf zentraler
Lösungswille,
ungehalten,
»und
wir
werden
uns
zu
gegebener
Zeit
noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichenddamit
verwirklicht und daher wegen ihres
befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die ÄußeUmfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Unionsebene erreicht werden können. Dieses Subrungen Kunigges sichtlich unangenehm.
sidiaritätsprinzip ist als Rechtspflicht verankert.
»Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch
29 Pflichtaufgaben
unsere
erfüllen
und eben
keine freiwilligen
Aufgaben
Art. 5 IV EUV
überträgt
gleichsam
in Ergänzung
zum mehr
Subsidiaritätsprinzip das als allgemeiwahrnehmen
können,
dann
betrifft
mich
das
als
Leiter
des
Veranstaltungsner Rechtsgrundsatz im Verhältnis zum betroffenen Bürger seit langem anerkannte Prinzip
wesens sehr
Denn noch fallen Veranstaltungen
in die Rubrik
freiderwohl!
Verhältnismäßigkeit
auch auf das Verhältnis
derder
EU
zu den Mitgliedstaaten. Danach darf
willigen eine
Aufgaben!«
EU-Maßnahme inhaltlich wie formal nicht über das für die Erreichung der Vertragsziele
»Ja …«,
brummt die Oberbürgermeisterin,
fallen
schon zwei
Bucherforderliche
Maß hinausgehen.»dann
Dieser
Grundsatz
gilt
sowohl im Bereich der ausschließlilesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an
chen als auch in dem der konkurrierenden EU-Rechtsetzungskompetenzen.
wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…«
30
Für nationaleerblasst.
Maßnahmen soll auf diese Weise der Spielraum so weit wie möglich erhalten
Das Stadtoberhaupt
»Oh nein
…«, stammelt
sie, » Sie meinen
doch
nicht etwa
…« vor Reglementierungen. Bei der Einfühbleiben.
Unterstützungsakte
haben
insoweit
Vorrang
»Ja«, erwidert
mit ernster Miene,
»unserennach
Karnevalsumzug.«
rung vonKunigge
Unionsstandards
sind deshalb
Möglichkeit Mindeststandards festzulegen, die
den Mitgliedstaaten die Option zur Festlegung anspruchsvollerer Niveaus belassen. Eine RL,
die den Mitgliedstaaten prinzipiell einen Umsetzungsspielraum zubilligt, hat Vorrang vor
dem Erlass einer VO.
2.
Tradition in Gefahr – was nun?
31 Eine Kompetenzausübungsschranke für Handlungen der Gemeinschaftsorgane kann sich ferHätte diener
Oberbürgermeisterin
gewusst,
welche
Nachrichten
Kuniggesich
zu nämlich nicht nur die Pflicht der
aus Art. 4 III EUV
ergeben.
Insbes.
hieraus ergibt
verkünden
hatte, sie hättezur
sich
das Verlesen(oben
der Tagesordnungspunkte
Mitgliedstaaten
Unionstreue
Rn. 5), sondern auch umgekehrt die Pflicht der Unigespart. Die
Versammelten
murmelnZusammenarbeit
derweil wild mit ihren
onsorgane
zur loyalen
mitTischnachbarn
den Mitgliedstaaten. Diese Verpflichtung verund jederlangt
Versuch,
etwas
Ruhe
in
die
aufgeschreckte,
fast
panische
von der EU, keine Rechtsakte zu erlassen,
die Atmoim Gegensatz zu elementaren Bestandsphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr.
teilen der Verfassung eines Mitgliedstaates stehen. Diesem Gesichtspunkt kommt angesichts
Sie lässt es dennoch nicht unversucht.
des Umstands, dass die Mitgliedstaaten der einheitlichen Wirkung des Unionsrechts grds.
nicht entgegenhalten können, die Umsetzung EU-rechtlicher Pflichten bereite ihnen aufgrund ihrer Verfassungsrechtsordnung Schwierigkeiten, in praxi allenfalls marginales
20
Gewicht zu. Lediglich in Extremfällen wird daher eine entsprechende Rücksichtnahme seitens der EU-Organe geboten sein.
II.
32
Sekundäres Umweltschutzrecht
Das auf dem EUV/VAEU beruhende sekundäre EU-Umweltschutzrecht umfasst entweder
unmittelbar oder lediglich mittelbar in den einzelnen Mitgliedstaaten geltende, bei der mitgliedstaatlichen Rechtsetzung zu beachtende Rechtsakte. Art. 288 VAEU differenziert dabei
nach VO, RL, Beschlüssen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Diese unterscheiden sich in
erster Linie in ihrer Rechtswirkung und können sich auch an unterschiedliche Adressaten
richten.
58
z
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Nils Preer
II. Sekundäres Umweltschutzrecht
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
1.
Verordnungen
Blicke aus.
»Wie
Ihnen allen
ja bekannt
ist«,allgemein
beginnt erund
schließlich,
wir verbindlich (Art. 288 Uabs. 2
VO gelten
unmittelbar
und
sind in»befinden
allen Teilen
uns VAEU).
momentan
in
einer
sehr
schwierigen
Haushaltslage.
Auf
Grund
schwerMacht die EU von ihrer Kompetenz Gebrauch, bleibt nach Inhalt und Umfang für den
wiegender
Versäumnisse
können wir nun schon
das dritte Jahr in Folge
die
Mitgliedstaat
kein eigenständiger
Regelungsspielraum.
Die nationale
Rechtsetzung ist wegen
Haushaltssatzung
nicht
fristgerecht
beschließen.
In
den
vergangenen
zwei
der unmittelbaren Geltung der EU-VO und der damit einsetzenden Sperrwirkung insoweit
Jahren hatten wir zumindest Ende Januar eine rechtskräftige Haushaltssatnicht mehr handlungsbefugt. Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass die VO der nationalen
zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht
Ebene ausdrücklich Normierungsmöglichkeiten einräumt. Innerhalb dieses Rahmens dürfen
vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige
dann, ggf. auch müssen die Mitgliedstaaten Regelungen treffen.
Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwaltungsbetrieb garantieren.«
Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen
2.
Richtlinien
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr.
Lösungswille,
ungehalten,
»und wirBestimmungen
werden uns zu gegebener
damit
Die in den
RL formulierten
entfalten Zeit
keine
direkte Bindungswirkung in dem
befassen.
Was wollen
also?«
Der Oberbürgermeisterin
sind die diesen
Äuße- unter Überlassung der Wahl
Mitgliedstaat,
anSie
den
sie gerichtet
sind. RL verpflichten
rungen
sichtlich
unangenehm.
vonKunigges
Form und
Mittel
lediglich zur Transformation ihrer Vorgaben in nationales Recht
»Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch
(Art. 288 Uabs. 3 VAEU). Ungeachtet der bei Erlass der RL bestehenden materiellen Bindung
unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr
des Mitgliedstaats ist die RL aber auf Aktivitäten durch die nationale Rechtsetzung ausgelegt.
wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungswesens
sehrgenügt
wohl! Denn
noch fallen der
Veranstaltungen
in dieUmsetzung
Rubrik der freiDabei
es angesichts
eine effektive
von RL verlangenden Rspr. des
willigen
Aufgaben!«
EuGH (z. B. ZfW 1991, 221 ff.; ZfW 1992, 351 ff.; NVwZ 1997, 369 ff.) für eine formal ausrei»Ja
…«, brummt
die Oberbürgermeisterin,
»dann fallen
schon
Buch- Mitgliedstaat jedoch nicht,
chende
Implementierung
des RL-Rechts
durch
denzwei
jeweiligen
lesungen
und
das
Kammerkonzert
aus.
Tja,
was
gibt
es
denn
sonst
noch
so an
wenn sich auf nationaler Ebene lediglich eine richtlinienkonforme,
jederzeit änderbare Verwirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…«
waltungspraxis auf der Grundlage von VwV herausbildet bzw. herausgebildet hat. Denn die
Das Stadtoberhaupt erblasst.
verbindliche Geltung des RL-Inhalts im nationalen Recht müsse für den Einzelnen und die
»Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …«
mitgliedstaatlichen Vollzugsorgane zweifelsfrei gesichert sein, was nur durch Außenrechts»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.«
sätze gewährleistet werden könne. Diese wiederum kann es in der deutschen Rechtsordnung
nur in Gestalt von Gesetzen, RechtsVO und Satzungen geben. In diesem Rahmen ist es allerdings allein eine Frage der Zweckmäßigkeit, wie die Umsetzung erfolgt.
2. Jenseits
Tradition
in Gefahr
– was
nun?
dieser
formalen
Anforderungen
ist dennoch unverkennbar, dass die RL den Mitglied-
33
34
35
36
staaten inhaltlich – je nach Detailliertheit ihrer Vorgaben – einen mehr oder minder großen
Hätte die Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kunigge zu
Rechtsetzungsspielraum zu ihrer Umsetzung in die nationale Rechtsordnung einräumt: So
verkünden hatte, sie hätte sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte
gaben
die EG-PSM-Verbots-RL
bis zur Ablösung durch die PSM-VO
gespart.
Dieetwa
Versammelten
murmeln derweil und
wild die
mit EG-PSM-RL
ihren Tischnachbarn
Pflanzenschutzrecht
derart detailliert
dass Atmoder bundesdeutschen Normgebung
und2011
jeder das
Versuch,
etwas Ruhe in die aufgeschreckte,
fastvor,
panische
in Gestalt
desmuss
PflSchG
und seiner Unterfangen
AusführungsVO
nochihr.
eine weitgehende – nicht selten
sphäre
zu bringen,
ein aussichtsloses
sein, sonur
schwant
wortgetreue
– Übernahme
ohne eigentlichen Gestaltungsspielraum verbleibt. Hinzu kommt,
Sie lässt
es dennoch
nicht unversucht.
dass diese auf Art. 100 EGV a. F. (= Art. 115 VAEU) bzw. Art. 43 EGV a. F (= Art. 43 VAEU)
gestützten RL es den Mitgliedstaaten nicht gestatten, Erhöhungen des Schutzstandards (oben
20 Rn. 22) vorzunehmen. Ähnliches gilt für das ursprünglich auf Art. 100 EWGV beruhende EUChemikalienrecht (8/4 ff.). Sofern es indes mittlerweile auf Art. 100a EGV a. F. (jetzt Art. 114
VAEU) basiert, verbleibt den Mitgliedstaaten wegen Art. 100a IV EGV a. F. (jetzt Art. 114 IV u.
V VAEU) die Möglichkeit zum Erlass nationaler Schutzverstärkungen. Demgegenüber überlässt etwa die auf Art. 130s EGV a. F. (jetzt Art. 192 VAEU) gestützte „EG-IVU-RL“ im Hinblick
auf die von ihr medienübergreifend bezweckte Bekämpfung industrieanlagenbedingter
Umweltverschmutzung der nationalen Rechtsetzung einen sehr weiten Umsetzungsspielraum.
Einige RL gestatten den Mitgliedstaaten, zu den EU-seitig vorgesehenen Maßnahmen alternative, in ihren Auswirkungen gleichwertige Maßnahmen zu ergreifen. Dies geschieht in
zahlreichen Vorschriften, in denen ein Verfahren beschrieben wird, das beim Vollzug der Vorschriften zum Einsatz kommen soll. Die RL benennen dabei in unterschiedlicher Weise die
Anforderungen an die alternativ zulässigen Verfahren: So wird etwa verlangt, dass das Alternativverfahren „mindestens ebenso geeignet“ ist (z. B. Art. 3 IV EG-AlkalichloridelektrolyseRL) oder dass es „nachweislich gleichwertige Ergebnisse“ oder „vergleichbare Ergebnisse“
liefert (z. B. Anh. I Abschn. D EG-Abwasserbehandlungs-RL). In diesen Fällen bleiben den
59
37
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Zur Produktseite
Nils Preer
2. Teil: Umweltschutzrecht der Europäischen Union
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
Mitgliedstaaten zwar Regelungsspielräume, doch sind diese deutlich geringer als bei einem
Blicke aus.
vollständigen Verzicht auf die betreffende EU-rechtliche Regelung.
»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
uns38
momentan
in einer sehr schwierigen
Auf Grund schwerIm Außenverhältnis
zur EUHaushaltslage.
ist für die Umsetzung
der RL in Deutschland zwar allein der
wiegender
Versäumnisse
können
wir
nun
schon
das
dritte
Folge
die
Bund verantwortlich. Gleichwohl erstreckt Jahr
sichindie
innerstaatliche
Kompetenz des BundesHaushaltssatzung
nicht
fristgerecht
beschließen.
In
den
vergangenen
zwei
gesetzgebers nur auf die vom bundesdeutschen Verfassungsrecht vorgegebenen ZuständigJahren hatten
wir Von
zumindest
Ende
Januar eine
rechtskräftige
Haushaltssatkeiten.
einiger
Tragweite
vermag
insoweit
der den Bundesländern für die hier themazung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr nicht
tisch einschlägigen Regelungsmaterien Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege, RO
vor Ende März schaffen werden. Was das für uns bedeutet ist klar: vorläufige
sowie Wasserhaushalt eine Abweichungskompetenz einräumende Art. 72 III GG zu sein (vgl.
Haushaltsführung. Also nur Ausgaben, die den pflichtgemäßen Verwal1/59 ff., insbes. 1/63). Diesbzgl. darf der Bund zwar anders als noch nach der weggefallenen
tungsbetrieb garantieren.«
Rahmengesetzgebungskompetenz
(Art.ist
75bereits
GG a.von
F.) Vollregelungen
enthaltende Gesetze zur
Ein Raunen
geht durch den Saal. »Der Stadtrat
diesen
Umsetzung
der
EU-RL
erlassen.
Gleichwohl
dürfen
die
Länder
hiervon
abweichen. Sofern
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr.
dies
gegen
unionsrechtliche
Vorgaben
geschieht,
zwingen
indes
der
Gesichtspunkt
des bunLösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit
destreuen
Verhaltens
und
die
Maßgaben
des
Art.
23
GG
die
Länder
dazu,
die
jeweiligen
RLbefassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen Kunigges
sichtlich
unangenehm.
Vorgaben
einzuhalten
und ihrem inhaltlichen Ziel entsprechend auszuführen. Zudem ver»Das liegt
doch das
auf der
Hand:
Wenn wir als Stadtverwaltung
nur noch
pflichtet
in den
innerstaatlichen
Rechtskreis hineinwirkende
EU-Recht alle mitgliedstaatunsere Pflichtaufgaben
erfüllen
eben
keine
Aufgaben
lichen Organe
– alsound
auch
die
derfreiwilligen
Bundesländer
– zurmehr
Realisierung des jeweiligen RL-Ziels.
wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungs39 sehr
Zu wohl!
beachten
dassVeranstaltungen
RL nach der Judikatur
des
wesens
Dennbleibt,
noch fallen
in die Rubrik
derEuGH
frei- (Slg. 1997-I, 7411 ff.) bereits vor
der Umsetzungsfrist eine gewisse Vorwirkung entfalten. Demnach darf ein Mitgliedwilligen Ablauf
Aufgaben!«
staat
während
der laufenden Umsetzungsfrist
keine
erlassen, die geeignet sind,
»Ja …«,
brummt
die Oberbürgermeisterin,
»dann fallen schon
zweiVorschriften
Buchdes in der
Ziels
in Frage zu stellen. Der EuGH
lesungendie
undErreichung
das Kammerkonzert
aus. RL
Tja, vorgeschriebenen
was gibt es denn sonst
nochernstlich
so an
wirklich leitet
wichtigen
im Frühj…«
diesVeranstaltungen
aus Art. 5 II und
Art. 189 III EGV a. F. (jetzt Art. 4 III EUV und Art. 288 Uabs. 3
Das Stadtoberhaupt
erblasst.
VAEU) her. Daran
gemessen ist es unstatthaft, wenn ein Mitgliedstaat innerhalb der Umset»Oh nein
…«, stammelt
sie, » SiePunkten
meinen doch
etwa …« abweichende Regelungen erlässt. Etwas
zungsfrist
in zentralen
vomnicht
RL-Standard
»Ja«, erwidert
Kunigge
mit
ernster
Miene,
»unseren
Karnevalsumzug.«
anderes gilt nur für solche nationalen Rechtsakte, die auf eine allmähliche Heranführung des
innerstaatlichen Rechts an RL-Standards bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist gerichtet sind.
40
Die nicht oder nur unvollständig erfolgte Umsetzung kann für den Mitgliedstaat nach Maßgabe desinArt.
260 II
IIInun?
VAEU als Folge einer ganz oder teilweise ignorierten Verurteilung in
Tradition
Gefahr
– u.
was
einem Vertragsverletzungsverfahren Sanktionen in Form der Zahlung eines Pauschalbetrages
Hätte dieoder
Oberbürgermeisterin
gewusst,
welche
Nachrichten
Kuniggefavorisiert
zu
eines Zwangsgeldes
nach
sich ziehen.
Eindeutig
wird das Zwangsgeld, desverkünden
hätte
das Verlesen
derden
Tagesordnungspunkte
senhatte,
Höhesiesich
fürsich
Deutschland
nach
Vorstellungen der Kommission auf Tagessätze von
gespart. Die
Versammelten
murmeln
derweil wild
mitSolche
ihren Tischnachbarn
13.200
bis 792.000
Euro belaufen
darf.
Sanktionen trafen Deutschland im Bereich des
und jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische AtmoUmweltschutzrechts bereits mehrere Male: So wegen der Missachtung der EuGH-Urteile zur
sphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr.
EG-Grundwasserschutz-RL (Slg. 1991-I, 865 ff.), zur EG-Vogelschutz-RL (Slg. 1990-I, 2721 ff.)
Sie lässt es dennoch nicht unversucht.
sowie zur EG-Oberflächenwasserqualitäts-RL (Slg. 1991-I, 4983 [5019 ff.]).
2.
41
20
Überdies gesteht der EuGH den RL unter bestimmten Voraussetzungen aber auch unmittelbare – begünstigende – Rechtswirkungen für den Einzelnen zu. Das ist der Fall, wenn ein
Bürger aufgrund der nicht, nicht fristgerecht oder nur unzureichend in innerstaatliches Recht
umgesetzten Vorschrift Nachteile erleidet, die Vorschrift zudem hinreichend präzise
bestimmt ist und ihr Wirksamwerden von keiner weiteren Bedingung abhängt.
3.
42
Sonstige Rechtsakte
Weniger bedeutsam für die nationale Umweltschutzrechtsetzung als die zuvor behandelten
VO und RL sind die übrigen in Art. 288 VAEU aufgeführten Rechtsakte: Beschlüsse sind nur
für die in ihnen ausdrücklich bezeichneten Adressaten (Mitgliedstaaten, Personen) vollumfänglich verbindlich (Art. 288 Uabs. 4 VAEU). Dagegen haben die grds. an die Mitgliedstaaten
gerichteten Empfehlungen und Stellungnahmen keinen bindenden Charakter (Art. 288 Uabs.
5 VAEU).
60
z
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Nils Preer
III. Art der umweltpolitischen Rechtsakte
mich bitte kurz zur Ruhe kommen und Ihnen erklären …« Kunigge atmet tief
durch und nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee, der vor ihm
steht. Die anwesenden Stadtratsmitglieder tauschen untereinander fragende
III.
Art der umweltpolitischen Rechtsakte
Blicke aus.
»Wie Ihnen allen ja bekannt ist«, beginnt er schließlich, »befinden wir
Art. 192 VAEU legt den Rat für den Erlass von Umweltschutzrecht auf keinen der genannten
uns momentan in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Auf Grund schwerRechtsakte fest. Gleiches gilt für die Artt. 114 u. 352 VAEU, aber auch für die Artt. 43 u. 91
wiegender Versäumnisse können wir nun schon das dritte Jahr in Folge die
VAEU; während Art. 115 VAEU den Erlass von RL verbindlich vorschreibt. Als HandlungsHaushaltssatzung nicht fristgerecht beschließen. In den vergangenen zwei
form
wurde
und wird Ende
auchJanuar
über eine
die Bindung
desHaushaltssatArt. 115 VAEU (ex Art. 100 E[W]GV a. F.
Jahren
hatten
wir zumindest
rechtskräftige
bzw.
ex
Art.
95
EGV)
hinaus
aus
sachlichen
Gründen
die nicht
RL bevorzugt. Sie stellt angesichts
zung. Doch es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir das in diesem Jahr
des diffusen
Umweltschutzrechts
den
Mitgliedstaaten,
für dessen Ausgestaltung und Vollvor Ende
März schaffen
werden. Was das fürinuns
bedeutet
ist klar: vorläufige
zug sowie für Also
den daraus
resultierenden
zurzeit wohl das praktikabelste
Haushaltsführung.
nur Ausgaben,
die den Angleichungsbedarf
pflichtgemäßen Verwaltungsbetrieb
garantieren.«
Mittel dar.
In geeigneten Fällen kommt ansonsten aber auch der Erlass von VO zum Tragen.
Ein Raunen geht durch den Saal. »Der Stadtrat ist bereits von diesen
Umständen unterrichtet«, unterbricht die Oberbürgermeisterin, Frau Dr.
Lösungswille, ungehalten, »und wir werden uns zu gegebener Zeit damit
befassen. Was wollen Sie also?« Der Oberbürgermeisterin sind die Äußerungen Kunigges sichtlich unangenehm.
»Das liegt doch auf der Hand: Wenn wir als Stadtverwaltung nur noch
unsere Pflichtaufgaben erfüllen und eben keine freiwilligen Aufgaben mehr
wahrnehmen können, dann betrifft mich das als Leiter des Veranstaltungswesens sehr wohl! Denn noch fallen Veranstaltungen in die Rubrik der freiwilligen Aufgaben!«
»Ja …«, brummt die Oberbürgermeisterin, »dann fallen schon zwei Buchlesungen und das Kammerkonzert aus. Tja, was gibt es denn sonst noch so an
wirklich wichtigen Veranstaltungen im Frühj…«
Das Stadtoberhaupt erblasst.
»Oh nein …«, stammelt sie, » Sie meinen doch nicht etwa …«
»Ja«, erwidert Kunigge mit ernster Miene, »unseren Karnevalsumzug.«
2.
Tradition in Gefahr – was nun?
Hätte die Oberbürgermeisterin gewusst, welche Nachrichten Kunigge zu
verkünden hatte, sie hätte sich das Verlesen der Tagesordnungspunkte
gespart. Die Versammelten murmeln derweil wild mit ihren Tischnachbarn
und jeder Versuch, etwas Ruhe in die aufgeschreckte, fast panische Atmosphäre zu bringen, muss ein aussichtsloses Unterfangen sein, so schwant ihr.
Sie lässt es dennoch nicht unversucht.
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