Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen

Werbung
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 51–70
Übersicht
Review
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie
der Angststörungen
Hans-Peter Kapfhammer
Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Graz
Schlüsselwörter:
Angststörungen
–
Pharmakotherapie
– Psychotherapie – Kombinationsbehandlung
Key words:
anxiety disorders – pharmacotherapy
– psychotherapy – combined treatment
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
Angststörungen stellen in der psy­
chiatrischen und psychotherapeu­
tischen Versorgung durch ihre hohe
Prävalenz, den häufig rezividier­
enden und oft chronischen Verlauf
mit ausgeprägter psychiatrischer
Ko­mor­bidität und psychosozialer
Behinderung eine besondere Heraus­
forderung dar. Sowohl in psychop­
harmakologischer als auch in psy­
chotherapeutischer Hinsicht können
mittlerweile differenzierte Behand­
lungsrichtlinien dargestellt werden.
Häufig werden biologische und psy­
chologische Therapiemaßnahmen in
der Versorgungspraxis mit einander
kombiniert, auch wenn hierfür die
Evidenzbasierung noch nicht aus­
reicht.
Psychotherapy and pharmacotherapy of anxiety disorders
Anxiety disorders are highly preva­
lent in the general population, their
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
course of illness is often chronic with
many relapses, and is associated with
a pronounced psychiatric comor­
bidity and psychosocial disability.
Therefore, anxiety disorders are a
major challenge to any mental health
delivery system. From a perspective
of treatment both differential psy­
chopharmacological and psychother­
apeutic interventions can be outlined
which are well based in empirical
terms. In psychiatric care biological
and psychological approaches are
often combined although the empiri­
cal basement of combined treatments
still requires further validation.
Einleitung
Angststörungen zählen zu den häu­
figsten psychischen Störungen in
der Allgemeinbevölkerung. Die Le­
benszeitprävalenz liegt insgesamt bei
15–20%. Die moderne Diagnostik
unterscheidet mehrere Untergruppen:
Panikstörung mit und ohne Agora­
phobie, generalisierte Angststörung,
soziale Phobie und spezifische Pho­
bien. Ursache und Entstehung sind
multifaktoriell bedingt. Verschiedene
psychologische, psychodynamische,
soziale und neurobiologische Ein­
flüsse müssen eigenständig bewertet,
aber in ihren Interaktionen differen­
ziell gewichtet werden. Angststörun­
gen neigen zu einem häufig rezidivie­
renden, oft chronischen Krankheits­
verlauf und gehen mit einer hohen
psychiatrischen Komorbidität und
bedeutsamen psychosozialen Behin­
derung einher. Es existiert mittler­
weile eine Reihe von störungsorien­
tierten Ansätzen der Pharmako- und
Psychotherapie mit hohem Evidenz­
level. Zwischen biologischen und
psychologischen Verfahren besteht
heute in der Versorgungspraxis kein
Widerspruch mehr. Häufig ist eine
Kombinationsbehandlung angezeigt,
auch wenn die empirische Datenbasis
hierfür noch recht schmal ist [103].
Pharmakotherapie
Die störungsorientierte Pharmako­
therapie der Angststörungen hat sich
in den letzten Jahren enorm ausge­
weitet. Die empirischen Studien sind
zahlreich, sie beziehen sich mehr­
heitlich auf akute Behandlungsstadi­
en. Sie lassen aber mittlerweile auch
für die Langzeitperspektive wichtige
Aussagen zu. Ein Forschungsdefizit
besteht hinsichtlich therapieresisten­
ter Behandlungsverläufe.
Panikstörung und Agoraphobie
Mehrere Metaanalysen zur Wirksam­
keit pharmakologischer Interventio­
nen bei der Panikstörung belegen,
dass SSRI in der Akut- und Langzeit­
perspektive klare Vorteile besitzen
[Evidenz-Level A; 10, 12, 33, 54, 175,
234]. Auf der bisherigen empirischen
Datenbasis kann keinem Einzelprä­
parat aus der SSRI-Klasse ein Vorzug
hinsichtlich der klinischen Effizienz
eingeräumt werden [18, 216].
Auch der SSNRI Venlafaxin zeigt in
der Akutbehandlung gegenüber Pla­
cebo und im Vergleich mit Paroxetin
in randomisierten und doppel-blindkontrollierten Studien vergleichbar
Kapfhammer
gute Effekte und scheint sich auch in
der Langzeitperspektive zu bewähren
[34, 66, 180]. Für das gleichfalls dual
wirksame Milnacipran gibt es nur er­
mutigende Daten aus einer offenen
Studie [26]. Clomipramin und Imi­
pramin ebenso wie MAO-Hemmer
(Phenelzin, Tranylcypromin) besit­
zen ebenfalls eine gute antipanische
Wirkung, ihre bedeutsamen Neben­
wirkungen benachteiligen sie aller­
dings gegenüber SSRI und SSNRI
[111, 178]. Hochpotenz-Benzodiaze­
pine (z.B. Alprazolam, Clonazepam)
haben einen anerkannten Stellenwert
[169, 226].
Die drei Substanzklassen SSRI/SSN­
RI, TZA/MAO-Hemmer und Hoch­
potenz-Benzodiazepine
erreichen
etwa bei 50-80 % der Panikpatienten
eine Therapie-Response (Redukti­
on der Anzahl der Panikanfälle bzw.
der globalen Angstsymptomatik um
mindestens 50%) [154]. Die Benzo­
diazepine wirken schneller, besitzen
ein günstiges Nebenwirkungsprofil,
mögliche Probleme der Langzeit­
applikation müssen aber beachtet
werden, auch haben sie bei einer
zusätzlich zur Panikstörung häufig
vorliegenden depressiven Sympto­
matik im Vergleich zu SSRI/SSNRI
und TZA/MAO-Hemmer Nachteile
[234].
In einer pragmatischen Perspektive
kann empfohlen werden:
• 1. Wahl: SSRI ± initial Benzo diazepine (z.B. Escitalopram
5 – 20 mg/die,
Paroxetin (10 mg/die, allmähliche
Höherdosierung auf 50 mg/die)
• 2. Wahl: Clomipramin (150 mg/
die), Imipramin (150 mg/die),
Phenelzin (30 – 60 mg/die), Al­
prazolam (3 – 6 mg/die)
• 3. Wahl: Clonazepam (0.5 – 3 mg/
die), Lorazepam (2 – 6 mg/die)
Gabapentin (500 – 1000 mg/die)
SSRI weisen gegenüber Benzodia­
zepinen einen verzögerten Wirkein­
tritt von einigen Wochen auf. Panik­
patienten sind in der Anfangsphase
52
oft überempfindlich gegenüber den
SSRI-Nebenwirkungen. Sie tole­
rieren Symptome von Herzklopfen,
Schwitzen, Zittern, ängstliche Un­
ruhe, die initial sogar verstärkt sein
können, nur schlecht. Im Hinblick auf
Therapiemotivation und Compliance
empfiehlt sich deshalb anfangs häu­
fig eine Kombination von SSRI und
Benzodiazepin. Goddard et al. [75]
zeigten in einer 12-wöchigen Studie,
in der offen mit Sertralin behandelte
Patienten in einer doppel-blinden,
Placebo-kontrollierten 4-wöchigen
Behandlungsphase zunächst entwe­
der Clonazepam oder Placebo erhiel­
ten, dann in einer Phase über 3 – 4
Wochen schrittweise von Clonaze­
pam vs. Placebo reduziert und dann
ganz abgesetzt wurden und über vier
weitere Wochen mit Sertralin alleine
behandelt wurden, eine Überlegen­
heit dieser SSRI-BenzodiazepinKombinationsstrategie vor allem im
Hinblick auf eine niedrigere Dropout Rate auf. In einer mittelfristigen
Perspektive von 3 Monaten scheint
der Outcome einer SSRI-Monothe­
rapie gegenüber einer Kombinations­
strategie allerdings nicht ungünstiger
zu sein [182]. Dies zeichnet sich auch
in einer naturalistischen Langzeitbe­
obachtung ab [211].
Eine initiale Benzodiazepinkomedi­
kation bei einer Panikstörung zielt
neben einer besseren Verträglichkeit
der SSRI-Therapie auch auf eine
wirksame Kontrolle der Panikanfäl­
le, bis die serotonerge Medikation
ihre Effekte entfalten kann. Patienten
variieren beträchtlich hinsichtlich ih­
res therapeutischen Ansprechens und
ihrer Verträglichkeit der Medikation.
Deshalb ist ein experimentierendes
Höherdosieren des Benzodiazepins
und des gewählten SSRI bis zum Er­
reichen eines maximalen Effekts bei
minimalen Nebenwirkungen nicht zu
umgehen. Dosissteigerungen können
alle drei bis vier Tage vorgenommen
werden. Therapeutisches Ziel einer
solchen
Kombinationsbehandlung
muss sein, neben einer Kontrolle
der Panikanfälle, einer Reduktion
der antizipatorischen Angst und des
phobischen Vermeidungsverhaltens
auch ein allgemeines Wohlbefinden
und die soziale Adaptation im Auge
zu behalten. Patienten ohne eine aus­
reichende Dosierung sowohl des An­
tidepressivums als auch speziell des
Benzodiazepins erreichen keine Sym­
ptomremission, tragen aber trotzdem
ein beträchtliches Risiko von Absetz­
effekten. Sie zeichnen sich durch ein
anhaltendes ängstliches Unwohlge­
fühl aus.
Eine Kontrolle der Angstsymptome
durch diese Kombinationsstrategie
wird für zahlreiche Patienten zwi­
schen 4 bis 8 Wochen erzielt, so dass
dann eine sukzessive Reduktion des
Benzodiazepins unter Beibehaltung
des SSRI gewagt werden kann. Für
Patienten mit einer Teil-Response
oder Nicht-Response auf eine anti­
depressive Therapie kann auch eine
langfristige Zusatzmedikation von
Benzodiazepinen hinsichtlich mögli­
cher Vorteile und Nachteile kritisch
erwogen werden.
Eine Langzeitmedikation mit ei­
nem SSRI muss im Hinblick auf die
hohe Chronizität und den in seiner
symptomatischen Intensität fluktu­
ierenden Verlauf einer Panikstörung
bezogen werden. Derzeit verfügbare
Langzeitdaten erlauben noch keine
zuverlässige Beurteilung, wie lange
im Einzelfall eine SSRI-Medikati­
on wirklich verordnet werden sollte.
Da unter natürlichen Behandlungs­
bedingungen viele Patienten mit Pa­
nikstörung trotz über mehrere Jahre
beibehaltener SSRI-Medikation nicht
vollständig symptomfrei sind, scheint
eher die erreichte Remissionsqualität
die entscheidende Determinante als
die Gesamtdauer der Behandlung da­
für zu sein, in welchem Ausmaß nach
einem allmählichen Absetzen von
den SSRI wieder mit einem Rezidiv
zu rechnen ist [184]. Klinisch gilt es
ferner zu beachten, dass ein Absetzen
von SSRI, vor allem bei zu schnellen
Reduktionsschritten ein SSRI-Ent­
zugssyndrom verursachen kann, das
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
speziell unter Paroxetin hartnäckig
persistieren kann [24, 115].
Längere Krankheitsdauer, stärkere
Intensität der Paniksymptome, ausge­
prägteres phobisches Vermeidungs­
verhalten, Komorbidität mit depres­
siven und anderen Angststörungen,
speziell mit Generalisierter Angststö­
rung sowie mit Persönlichkeitsstö­
rungen reduzieren die Wahrschein­
lichkeit, auf eine antipanische Medi­
kation positiv anzusprechen, signifi­
kant [57, 139, 213]. Bei mangelnder
Therapie-Response oder Therapiere­
sistenz gegenüber den üblicherweise
favorisierten Substanzklassen ist ein
Versuch mit Mirtazapin, Reboxetin,
Bupropion, Valproat, Gabapentin,
oder Inositol möglich. Zu diesen Prä­
paraten liegen allerdings erst vorläu­
fige positive Hinweise vor. Proprano­
lol oder Buspiron haben sich bei der
Panikstörung dem Placebo als nicht
überlegen erwiesen. Kombinationen
oder Augmentationen, speziell SSRI/
SSNRI mit Benzodiazepinen oder
atypischen Neuroleptika werden dis­
kutiert [16, 68, 99, 162, 210, 238].
Generalisierte Angststörung
Die empirische Literatur zur Wirk­
samkeit pharmakologischer Interven­
tionen bei der Generalisierten Angst­
störung führt zu einer recht ähnlichen
Einstufung der verfügbaren Sub­
stanzgruppen wie bei der Panikstö­
rung. Die Effizienz von serotonerg
wirksamen Päparaten wie SSNRI
[Venlafaxin – 4, 73, 108, 120, 166;
Duloxetin – 84] und SSRI [Paroxetin
– 183, 192; Sertralin – 3, 35; Escita­
lopram – 13, 53] wurde in randomi­
sierten, doppel-blined und Placebokontrollierten Studien nachgewiesen
(Evidenz Level A). Das insgesamt
günstigere
Nebenwirkungsprofil
gibt ihnen im Vergleich zu Trizykli­
ka (Imipramin) den Vorzug, die sich
aber ebenfalls als gut wirksam erwie­
sen haben [14, 204, 206]. Angesichts
einer häufig assoziierten depressiven
Symptomatik, speziell auch in der
Präsentationsform von hartnäckigen
somatoformen Beschwerden kommt
den SSRI und vor allem den SSNRI
noch eine zusätzliche Bedeutung zu
[113, 191].
Generalisierte Angstsyndrome stell­
ten traditionellerweise einen Hauptin­
dikationsbereich für den Einsatz von
Benzodiazepinen dar (Evidenz-Level
A). Zahlreiche kontrollierte Studien
belegen die statistische Überlegenheit
von Benzodiazepinen gegenüber Bar­
bituraten, Meprobamat und Placebo in
der anxiolytischen Wirksamkeit [61].
Die gute und zuverlässige Effizienz
von Benzodiazepinen wird nochmals
in einer Metaanalyse bestätigt [156].
Rickels [193] kommentiert allerdings,
dass nur ca. 65 bis 75% der Patienten
unter Benzodiazepinen eine mäßige
bis gute Besserung erfahren. Patien­
ten mit stark ausgeprägten kognitiven
und somatischen Angstsymptomen,
jedoch mit nur geringer depressiver
Verstimmung und wenigen inter­
personalen Problemen sprechen mit
einer höheren Wahrscheinlichkeit
positiv auf die Gabe eines Benzodi­
azepins an. In einer randomisierten
Vergleichsstudie von Imipramin, Par­
oxetin und Chlordesmethyldiazepam
bei nicht-depressiven Patienten mit
einer generalisierten Angststörung
zeigte sich das Benzodiazepin nach
zwei Wochen überlegen, erwies sich
aber nach acht Wochen insgesamt als
weniger wirksam als die beiden An­
tidepressiva (195). In einer allgemei­
nen klinischen Bewertung wird heute
in der Indikationsstellung der Genera­
lisierten Angststörung den selektiven
Serotoninwiederaufnahmern (Citalo­
pram, Escitalopram, Paroxetin, Ser­
tralin) und dem SSNRI Venlafaxin
(speziell auch in der Retardform XR)
der Status von Mitteln der 1. Wahl
vor den Benzodiazepinen eingeräumt
[169]. SSRI und SSNRI reduzieren
vor allem die psychischen Sympto­
me einer generalisierten Angststö­
rung wirksamer als Benzodiazepine.
Sie besitzen klare Vorteile bei einer
häufig komorbiden Major Depression
sowie bei gleichzeitig vorliegendem
Alkohol- und Drogenmissbrauch [15,
56]. Trotzdem werden diese Antide­
53
pressiva sehr häufig auch weiterhin
mit Benzodiazepinen kombiniert. In
einer Meta-Analyse über 9 Studien
zeigte sich bei Patienten mit kombi­
nierten Angst- und depressiven Sym­
ptomen ein solches Vorgehen als si­
gnifikant überlegen [72].
Dem zwischenzeitlich favorisierten
Buspiron, einem 5-HT1A-Agonisten
kommt nach wie vor eine Bedeutung
als Mittel der 2. Wahl zu [EvidenzLevel A; 42]. Durch sein fehlendes
Abhängigkeitspotential
versprach
es bei Markteinführung eine interes­
sante Alternative zu den Benzodiaze­
pinen. Buspiron scheint aber gerade
von Patienten mit längerfristiger
Benzodiazepineinnahme nicht aus­
reichend angenommen zu werden.
Es zeigt eine Wirklatenz von 10 – 14
Tagen. Nicht selten wird eine gewisse
Unruhe und erhöhte Nervosität initial
beobachtet, die sich aber allmählich
gibt. In Wochenschritten sollte um je
5 mg höher dosiert, eine Dosierung
um 30 mg/die angestrebt, zuweilen
auch die Höchstdosis von 60 mg/
die eingesetzt werden. Eine klinisch
wirksame Dosierung sollte nicht vor
6 Monaten reduziert werden. Bei
Wiederaufflammen von Angstsymp­
tomen muss eine Langzeitmedikation
erwogen werden.
Bei leichteren Fällen kann unter die­
sen Indikationsvoraussetzungen auch
der Einsatz von Opipramol [157] oder
Hydroxyzin [129] versucht werden.
Pregabalin könnte künftig ebenfalls
eine interessante Option darstellen
[17], das sich gegenüber Placebo als
überlegen und sowohl Venlafaxin als
auch Alprazolam als ebenbürtig er­
wiesen hat [158, 179, 190].
In einer pragmatischen Perspektive
kann empfohlen werden:
• 1. Wahl: Venlafaxin XR (75 – 150
mg/die, SSRI (z.B. Escitalopram:
10 mg/die)
• 2. Wahl: Imipramin (150 mg/die),
Buspiron (15 – 30 mg/die)
• 3. Wahl: Benzodiazepine (z.B.
Diazepam: 5 – 30 mg/die), Opi­
Kapfhammer
pramol (50 – 200 mg/die), Prega­
balin (300 – 600 mg/die)
Auf eine initial mögliche Intensivie­
rung der Angstsymptomatik unter
SSRI und SSNRI ist zu achten, even­
tuell kurzfristig mit Benzodiazepinen
zu koupieren. Bei guter Response
sollte wiederum die Medikation in
der therapeutisch wirksamen Dosie­
rung für mindestens ein halbes Jahr
aufrechterhalten werden. Die hohe
Chronizität und klinische Komplexi­
tät der Generalisierten Angststörung
macht es wahrscheinlich, dass selbst
bei guter Stabilisierung und dann
vorsichtigen Reduktionsschritten häu­
fig wieder Angstsymptome auftre­ten.
Überlegungen zu einer Langzeit­
behandlung sind dann anzustellen
[191].
Bei sehr stark ausgeprägter, umfas­
send behindernder Ängstlichkeit
sowie einem Versagen zuvor erprob­
ter pharmakologischer Optionen ist
auch ein längerfristiger Einsatz von
Benzodiazepinen zu rechtfertigen
[104]. Eine Indikation hierfür muss
auf dem sorgfältigen Vergleich des
subjektiven Wohlbefindens, der be­
ruflichen Leistungsfähigkeit und der
Lebensqualität eines Patienten unter
und ohne zusätzliche Benzodiazepine
beruhen. Eine regelmäßige ärztliche
Überwachung des Therapieprozesses
ist unabdingbar. Eine möglichst voll­
ständige Kontrolle der generalisierten
Angst muss angestrebt werden. Eine
wirksame Dosierung ist ebenfalls
nicht vor 6 Monaten zu reduzieren.
Bei einer partiellen oder aber NonResponse ist zunächst eine Überprü­
fung der Diagnose angeraten. Vor
allem der hohe symptomatologische
Überlappungsbereich zwischen Ge­
neralisierter Angststörung und Ma­
jor Depression ist zu beachten und
erfordert eine Kombination mit an­
tidepressiv wirksamen Substanzen.
Eine detaillierte Aufklärung über die
möglichen Risiken einer Langzeitme­
dikation mit Benzodiazepinen ist in
jedem Fall durchzuführen [2].
54
Hohe Chronizität und Komplexität
der Generalisierten Angststörung
bewirken, dass monotherapeutische
Ansätze häufig nur zu mäßigen Er­
gebnissen führen und vielfältige
pharmakologische Kombinationen
und Augmentationsschritte nahe le­
gen. Atypischen Neuroleptika kommt
künftig unter dieser Indikationsstel­
lung möglicherweise eine stärkere
Bedeutung zu [28, 145, 165]. Trotz
eines gewissen Erfahrungswissens
existieren empirisch überprüfte Pfa­
de für eine Behandlungsrationale bei
mangelnder Therapieresponse oder
Therapieresistenz aber noch nicht
[93, 204, 206].
Soziale Phobie
Auch die pharmakologische Be­
handlung der sozialen Phobie stützt
sich im Wesentlichen auf die SSRI
[Paroxetin – 6, 11, 122, 126, 217,
218, 219; Sertralin – 107, 121, 233;
Fluvoxamin – 9, 220, 237; Escitalo­
pram – 105, 221] und SSNRI [Ven­
lafaxin – 5, 124, 189, 222]. Sowohl
für SSRI als auch für Venlafaxin be­
steht ein Wirknachweis auf Evidenz
Level A [87]. In etwa zwei Drittel
der Patienten kann unter dieser Me­
dikation mit einer Therapie-Response
(Reduktion der sozialen Angst um ≥
50%) gerechnet werden. Für den 5HT1A-Agonisten NaSSA Mirtazapin
liegt mittlerweile ebenfalls eine ran­
domisierte, doppel-blinde und Place­
bo-kontrollierte Studie mit positiven
Resultaten vor [161].
Die Daten mittels Trizyklika waren
nicht überzeugend [212].
Das pharmakologische Wirkprinzip
der MAO-Hemmer stellte sich in
vier placebo-kontrollierten Studien
für den nicht-selektiven und irrever­
siblen MAO-Inhibitor Phenelzin als
sehr aussichtsreich dar [74, 88, 125,
240]. Der zunächst in offenen Stu­
dien viel versprechende selektive
MAO-A-Hemmer Moclobemid zeig­
te in kontrollierten Studien allerdings
nur bescheidene Effekte gegenüber
Placebo [106, 168, 205]. Günstiger
schnitt der andere RIMA Brofaromin
in Placebo-kontrollierten Studien ab
[60, 130, 236]. Wegen der vereinzelt
schwerwiegenden Nebenwirkungen
speziell bei den irreversiblen Sub­
stanzen werden MAO-Hemmer heute
als Präparate der 2. Wahl angesehen
[163].
Die Gabe von Benzodiazepinen kann
gerechtfertigt sein. Drei Placebokontrollierte Studien bewiesen einen
diskret überlegenen Einsatz unter
dieser Indikationsstellung [Alprazo­
lam - 74; Clonazepam - 55; Broma­
zepam - 239].
Kontrollierte Studien mit Gabapentin
[176] und Pregabalin [177] machen
einen Versuch mit einem dieser Stim­
mungsstabilisatoren lohnenswert.
Für Betablocker (z.B. Atenolol) gibt
es nur einige positive Wirkhinwei­
se bei Patienten mit umschriebenen
leistungs- oder aufführungsbezoge­
nen sozialen Ängsten, nicht aber bei
der generalisierten sozialen Phobie
[125].
In einer pragmatischen Perspektive
kann empfohlen werden:
• 1. Wahl: SSRI (z.B. Paroxetin:
20 – 50 mg/die), Venlafaxin XR
(75 – 150 mg/die)
• 2. Wahl: Phenelzin (30 – 60 mg/
die)
• 3. Wahl: Clonazepam
(0.5 – 3 mg/die), Gabapentin
(500 – 1000 mg/die), Pregabalin
(300-600 mg), Moclobemid (600 mg/die), Olanzapin
(2.5 – 5 mg/die)
Auch wenn sich die Palette der bis­
her erprobten Substanzen bei der
sozialen Phobie in den letzten Jah­
ren ausgeweitet hat und sich eine ge­
wisse Hierarchie ihrer Effektstärken
abzeichnet [23, 25, 123, 163], kann
nicht übersehen werden, dass eine
bedeutsame Subgruppe von Patien­
ten nicht zufrieden stellend anspricht.
Diese Rate liegt beispielsweise für
die SSRI bei ca. 50 %. Ungünstige
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
Prädiktoren sind vermutlich in ganz
analoger Weise wie bei der Panikstö­
rung zu charakterisieren [57, 232].
In einer Orientierung an den Erfah­
rungen bei der Panikstörung scheint
eine Kombination von SSRI (Paro­
xetin) und Benzodiazepin (Clonaze­
pam) bei Patienten mit einer gene­
ralisierten sozialen Phobie aber zu
keiner rascheren Symptomkontrolle
zu führen [208].
Bei mangelnder Therapie-Response
oder Therapie-Resistenz bestehen ei­
nige weitere, wenngleich nicht unter
kontrollierten Bedingungen validier­
te pharmakologische Optionen. Eine
Umstellung von SSRI auf Venlafaxin
oder einen irreversiblen MAO-Hem­
mer kann weiterführen [1, 8], eine
Augmentation mit Buspiron [233],
Tiagabin [109] oder Pindolol [223]
Erfolg versprechend sein.
Spezifische Phobien
Es besteht zurzeit noch die klinische
Überzeugung, dass unkomplizierte
spezifische Phobien durch psychothe­
rapeutische Verfahren zu behandeln
und primär keine psychopharmakolo­
gische Interventionen indiziert seien
[49, 81].
Psychotherapie
Panikstörung und Agoraphobie
In keinem klinischen Feld ist der
Pharmakotherapie eine stärkere
Konkurrenz durch die Psychothera­
pie erwachsen als in der kognitiven
Verhaltenstherapie von Panik- und
agoraphobischen Störungen [76]. Die
meisten Ansätze beinhalten sowohl
kognitive als auch behaviorale Ele­
mente. Kognitive Techniken schei­
nen bei Patienten mit Panikattacken
ohne ausgeprägtes agoraphobisches
Vermeidungsverhalten
überlegen
zu sein, eine Exposition ist aber bei
deutlicher oder schwerer agoraphobi­
scher Vermeidung das entscheidende
Therapieelement [235].
Neben der Herstellung einer offenen,
toleranten und verständnisvollen the­
rapeutischen Beziehung beinhaltet
ein kognitiv-behavioraler Ansatz zu­
mindest 5 grundlegende Therapie­
komponenten [19]:
• Aufklärende Informationen über
die Natur einer Panikstörung,
speziell des bei einer Attacke ty­
pischen Circulus vitiosus: Patien­
ten lernen anfangs verstehen, dass
Paniksymptome harmlos sind, aus
physiologischen Veränderungen
des natürlichen Furchtsystems re­
sultieren, das zwar phylogenetisch
auf eine Flucht vor Gefahren zielt,
aber auch durch heftige Emotio­
nen, stressbeladene Situationen
sowie durch eine Reihe unspezi­
fischer körperlicher Stimuli wie
z.B. übermäßigen Alkohol- oder
Koffeinkonsum aktiviert werden
kann. Sie werden angehalten,
ein objektives Bewusstsein sich
selbst gegenüber zu entwickeln,
ein Selbst-Monitoring hinsicht­
lich Auslöser, Symptome und si­
tuativem Kontext eines Panikan­
falls zu zeigen. Sie werden dafür
sensibilisiert, was sie körperlich
spüren, was sie dabei denken und
wie sie sich verhalten.
• Erwerb von Fertigkeiten zur Symptombewältigung wie Entspan­
nungsübungen und Zwerchfell­
atmung: Günstig sind hier Tech­
niken wie die „progressive Mus­
kelrelaxation nach Jacobson“, die
durch ein kurzes An- und Ent­
spannen einzelner Muskelpartien
unterschiedliche Spannungszu­
stände wahrzunehmen helfen und
allmählich situationsübergreifend
eine wirksame Erregungsmodula­
tion vermitteln.
Von isolierten Übungen des auto­
genen Trainings ist bei dieser In­
dikation abzuraten, da sie die oh­
nehin übersensibilisierte viszerale
Wahrnehmung noch stärker un­
kontrollierbar eskalieren lassen.
Etwa 2 Drittel der Panikpatienten
berichten über Paniksymptome
bei Hyperventilation. Eine Schu­
55
lung des Atemrhythmus mit dem
Ziel, die Frequenz der Atemex­
kursionen zu reduzieren, kann
bei einer sich anbahnenden Pa­
nikattacke ein wertvolles Gegen­
regulativ sein, das zu wichtigen
Gefühlen der Selbstkontrolle und
-effizienz beiträgt.
• Eine kognitive Restrukturierung
betrifft in der innerseelischen Be­
wertung des Panikerlebnisses v. a.
eine Modifikation des dysfunktio­
nalen Denkstils: Panikpatienten
neigen dazu, ihre Angstanfälle als
unausweichliche, nicht kontrol­
lierbare Katastrophen ihrer kör­
perlichen Integrität zu beurteilen
und automatisch mit schwerwie­
genden Erkrankungen wie Herz­
infarkt, Gehirntumor usw. zu as­
soziieren. In der Therapie werden
sie systematisch herausgefordert,
eben diese Bewertungen zu hin­
terfragen, empirisch-pragmatisch
auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu
überprüfen, nach Alternativerklä­
rungen zu suchen und verfügbare
Hilfestellungen in Anspruch zu
nehmen. Entscheidend bei dieser
am „Sokratischen Dialog“ orien­
tierten Gesprächsführung ist die
Vermittlung der Erkenntnis, dass
Überzeugungen nicht notwen­
digerweise deswegen wahr sein
müssen, weil sie mit einer hohen
persönlichen Plausibilität gedacht
werden, dass feste Grundannah­
men über die Bedeutung von Er­
eignissen nicht notwendigerweise
durch objektive Fakten gestützt
sein müssen.
• Eine interozeptive Exposition
zielt auf die Löschung der Furcht
vor Angstsymptomen in einem
schrittweise Sich-Aussetzen eben
diesen besonderen körperlichen
Sensationen gegenüber: Ein for­
ciertes Atmen oder ein schnel­
les Sich-Drehen um die eigene
Körperachse rufen in der Regel
eine Reihe von Paniksensationen
hervor, denen ein kontrolliertes
Zwerchfellatmen und begleitende
Kapfhammer
kognitive Strategien erfolgreich
entgegenwirken können. Eine
wiederholte Expositionserfahrung
führt zur Erkenntnis, dass die­
se Symptome ungefährlich sind,
dass es möglich ist, sich ihnen
auch ohne Angstreaktion ausset­
zen zu können.
• Eine in-vivo-Exposition strebt
eine Reduktion des agorapho­
bischen Vermeidungsverhaltens
an: Erstes therapeutisches Ziel
bei der Agoraphobie ist es, einem
Patienten zu vermitteln, dass die
Vermeidung einer Angst auslö­
senden Situation zwar eine gewis­
se Kontrolle des Angsterlebens
erlaubt, aber gerade durch die
inhärente Erregungsreduktion das
Angstverhalten negativ verstärkt
und zudem der soziale Spielraum
mit seinen positiven Verstärker­
quellen sukzessiv eingeengt wird.
Deshalb ist die Methode der Wahl,
den Patienten zu motivieren, sich
eben mit diesen angsterfüllten Si­
tuationen wieder zu konfrontieren
und die erlebte Angst zu meistern.
Je nach angestrebter Intensität der
Angstreizexposition werden meh­
rere Verfahren unterschieden:
– Bei der Reizüberflutung, dem
„flooding“, wird der Patient
unmittelbar der Situation mit
maximaler Angstauslösung
ausgesetzt. Er wird angehal­
ten, bei aufsteigender Angst
oder Panik den Ort nicht zu
verlassen, das Erregungsni­
veau zu tolerieren, bis eine
physiologisch bedingte Habi­
tuation eintritt und es schließ­
lich regelhaft zu einem Ver­
siegen der Angstreaktionen
kommt. Eine vertrauensvolle
Beziehung zum Therapeuten,
eine sorgfältige psychoedu­
kative Vorbereitung auf die
wahrscheinlichen Abläufe in
der Angst auslösenden Situa­
tion sowie eine begleitende
kognitive Umstrukturierung
in der Beobachtung, die Angst
tatsächlich kontrollieren zu
56
können, ohne dass die zuvor
befürchteten katastrophalen
Konsequenzen eintreten, sind
Hauptelemente dieser Thera­
piemethode.
– In Abwandlung dieses Angst­
managementtrainings ist auch
eine abgestufte Exposition
möglich. In einer Hierarchie
aufeinander bezogener Angst
auslösender
Situationsele­
mente nähert sich ein Patient
schrittweise dem maximalen
Angststimulus an. Hierbei
setzt er sich erst dann der
nächst höheren Angststufe
aus, wenn er sich in der vor­
her aufgesuchten Szene völlig
angstfrei und sicher fühlt.
Empirische Ergebnisse der kognitivbehavioralen Therapie
Strukturiert durchgeführte kognitivbehaviorale Therapien bei Panik­
störungen mit durchschnittlich ca.
15 Sitzungen führen zu einer hohen
Erfolgsquote, die bei über 70% liegt
[19, 21, 47; Metaanalyse: 79]. Diese
Therapiegewinne lassen sich auch
noch in einer Kontrolluntersuchung
nach 2 Jahren in ca. 80% nachweisen
[48]. Ganz ähnliche Resultate liegen
für 1-Jahres-Follow-up-Studien vor
[21, 133]. Dieser Therapieansatz ist
auch Erfolg versprechend bei Pa­
tienten, die von einer supportiven
Psychotherapie nicht profitieren [21]
oder auf eine pharmakologische Mo­
notherapie nicht ausreichend anspre­
chen [181]. Psychotherapiestudien,
die auf mögliche Mechanismen der
Vermittlung therapeutischer Effekte
einer kognitiven Verhaltenstherapie
fokussierten, wiesen der kognitiven
Mediation tatsächlich eine zentrale
Rolle zu [95]. Körperbezogene Ka­
tastrophenkognitionen zeichnen die
Panikstörung zwar differenziell vor
anderen Angststörungen aus, und
doch ist eher die Intensität von so­
zialen Katastrophenkognitionen wie
z.B. soziale Beschämungs- oder De­
mütigungserwartung, die vorrangig
eine soziale Phobie charakterisieren,
mit einem ungünstigen Behandlungs­
verlauf assoziiert [92, 215]. Unter
kognitiver Verhaltenstherapie verän­
dern sich im weiteren Verlauf auch
die Abwehr- und Copingstrategien
in Richtung höherer Strukturierung
[90]. Metaanalytische Studien legen
nahe, dass Patienten sich diesem
Therapieansatz gegenüber sehr treu
verhalten, die Drop-out-Quote im
Vergleich zu anderen Behandlungs­
verfahren also relativ niedriger ist
und eine Kosten-Nutzen-Kalkulation
insgesamt günstiger ausfällt [174].
Unter Versorgungsgesichtspunkten
erscheint ferner relevant, dass ko­
gnitive Verhaltenstherapie auch über
Internetzugang erfolgreich eingesetzt
werden kann [40].
Selbst wenn die in einigen Therapie­
studien eingeschlossenen Patienten
sehr homogen in ihren klinischen
Variablen waren, und manualisierte
Standardverfahren der Kognitiven
Verhaltenstherapie vorteilhaft einge­
setzt werden konnten, auch dann wa­
ren Therapeutenmerkmale wie Erfah­
rung oder therapeutische Kompetenz
für den Outcome von Relevanz [98].
Eine Expositionstherapie bei Agora­
phobien besitzt ebenfalls eine sehr
hohe Effizienz [135]. Fava et al. [64]
berichteten über eine Langzeit-Fol­
low-up-Studie an 110 Patienten, die
mit einer verhaltenstherapeutischen
Expositionsmethode behandelt wor­
den waren. 93 Patienten hatten einen
Behandlungszyklus von 12 halbstün­
digen Selbst-Expositionen absolviert.
81 Patienten erzielten eine völlige
Remission ihrer panischen und ago­
raphobischen Symptome. 76 blieben
auch nach 5 Jahren und 67 nach 7
Jahren noch symptomfrei. Die Be­
handlungsergebnisse mehrerer Stu­
dien sprechen dafür, dass ein direktes
„flooding“ gegenüber einer abgestuf­
ten Exposition, diese Verfahren eines
„Angstmanagementtrainings“ wie­
derum gegenüber einem „Angstmei­
dungstraining“ z.B. durch systemati­
sche Desensibilisierung als überlegen
anzusehen sind. Es muss aber bedacht
werden, dass ca. 20–25 der Patienten
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
aus unterschiedlichen Gründen eine
Expositionsmethode ablehnen bzw.
eine mangelhafte Compliance in den
therapeutisch verordneten Hausauf­
gaben zeigen [59]. Es ist unklar, ob
eine zusätzliche Kombination einer
Exposition in vivo mit einem kogni­
tiven Ansatz zu einem größeren Ge­
samtbenefit führt, wenngleich eine
bedeutsame Effektstärke letzterer
Wirkkomponente erwiesen ist [230,
234].
Empirische Ergebnisse psychodynamischer Verfahren
Viel versprechende Ergebnisse aus
offenen Studien eines panikfokussier­
ten psychodynamischen Therapiean­
satzes (PFPP) [37, 38, 110, 148, 149,
152, 153] wurden mittlerweile auch
in einer randomisierten und kontrol­
lierten Studie gut bestätigt [150]. Für
dieses psychodynamische Vorgehen
könnte sich bei Panikpatienten mit
koexistenter Persönlichkeitsstörung
eine spezielle Indikation ergeben
[147]. Im Vorfeld von fast allen un­
tersuchten Panikpatienten waren be­
deutsame psychosoziale Stressoren
zu identifizieren, die von einer hohen
individuellen
Konfliktträchtigkeit
und subjektiven Bedeutsamkeit wa­
ren, entgegen der häufig akzeptierten
ersten Einschätzung dieser Patienten,
die Angstanfälle ereigneten sich völ­
lig unvermittelt und ohne Anlass.
Als Kernkonflikt kristallisierte sich
sehr häufig ein Zyklus aus bedrohter
Bindung, Verlassenheitsangst, Gefüh­
len der Hilflosigkeit und Ohnmacht,
ärgerlicher Vorwürflichkeit und
furchtsamer Abhängigkeit heraus,
der erfolgreich in strukturierten psy­
chodynamischen Kurzinterventionen
bearbeitet werden konnte [151]. Ein
psychodynamischer Ansatz kann zu
einer weiteren Reduktion des Rück­
fallrisikos im Vergleich zu einer me­
dikamentösen Behandlung mit Clo­
mipramin alleine beitragen [244].
Für eine Kombination von verhaltens­
orientierter Exposition und psycho­
dynamischer Einsichtsarbeit plädier­
te bereits S. Freud [70]. Shear et al.
[209] legten zu diesem kombinierten
Vorgehen erste Daten vor. Hoffmann
u. Bassler [94] berichteten über Er­
fahrungen mit einer Manual-gestüt­
zen Fokaltherapie.
Auch in anderen Studien gefunde­
ne bedeutsame psychosoziale und
interpersonale Problemfelder in der
Auslösesituation von Panikattacken
könnten ferner eine Indikation für die
Interpersonale Psychotherapie anzei­
gen [207]. Erste positive Ergebnisse
zum Einsatz einer interpersonalen
Psychotherapie liegen aus einer offen
durchgeführten Studie vor [128].
Generalisierte Angststörung
Der oft fehlende konkrete Situati­
onsbezug bei einer frei flottierenden
Grundängstlichkeit macht verständ­
lich, dass ein Behandlungsplan zu­
meist multimodale Elemente vereint.
Wichtig ist wiederum eine detaillierte
Aufklärung über das Wesen dieser
Angststörung, die sich auf den un­
terschiedlichen physiologischen, ko­
gnitiven und Verhaltensebenen in ty­
pischer Weise artikuliert. Ein Angst­
bewältigungstraining setzt vorteilhaft
an einer Beeinflussung der musku­
lären Verspannung und der vielfälti­
gen autonomen Überreaktionen an.
Entspannungstechniken wie die pro­
gressive Muskelrelaxation, aber auch
Biofeedback-Übungen haben hier
ihren Stellenwert. Für den Erwerb
von günstigeren Bewältigungsstrate­
gien gegenüber den vermeintlich als
unkontrollierbar erlebten Umwelter­
eignissen scheint die systematische
Modifikation des negativen Gedan­
kenkreisens mit der permanenten Ka­
tastrophenantizipation von grundle­
gender Wichtigkeit zu sein. Ein brei­
tes Spektrum von kognitiven Tech­
niken hat sich hier bewährt [22]. Ein
Problemlösungstraining für definierte
soziale Herausforderungen, ein sozi­
ales Selbstsicherheitstraining sowie
eine sukzessive Wiederaneignung der
unterschiedlichen
Lebensbereiche
sind wichtige weitere Bausteine eines
individuellen Therapieplans. Liegen
57
bei einem Patienten zusätzlich um­
schriebene Vermeidungsverhaltens­
weisen vor, so muss sich konsequent
eine Expositionsphase im Behand­
lungsablauf anschließen.
Empirische Ergebnisse der kognitivbehavioralen Therapie
Kontrollierte Therapiestudien zur ge­
neralisierten Angststörung beziehen
sich bisher mehrheitlich auf kombi­
nierte kognitiv-behaviorale Ansätze,
die in der Regel ein umfassendes
Angstbewältigungsprogramm über­
prüften. Metaanalytische Studien
dokumentieren eine hohe Effizienz
[Evidenz-Level A; 80, 167]. Die ge­
fundenen Therapieeffekte sind er­
mutigend und sprechen ebenfalls für
ein mehrjähriges Fortbestehen der
erzielten Symptombesserung [39].
Für einen kognitiv-behavioralen An­
satz bei ambulanten Patienten stellte
sich in einer randomisiert-kontrollier­
ten Studie eine statistisch gesicherte
Überlegenheit im Vergleich zur einer
Kontrollgruppe mit regelmäßigen
Kontakten ohne spezifische Interven­
tionen dar. Die erzielten Resultate
waren auch nach 8 Monaten weiter
stabil [127]. Der potentielle Einfluss
einer kognitiven Verhaltenstherapie
auf die Langzeitentwicklung wurde
bisher nur selten untersucht. In ei­
ner Follow-up Untersuchung war
ein positiver Effekt auch 8 bis 14
Jahre nach einer kognitiv-behaviora­
len Intervention unter kontrollierten
Bedingungen noch gut nachweisbar.
Komplexität und Schweregrad der
Generalisierten Angststörung trugen
aber ebenfalls bedeutsam zum Lang­
zeit-Outcome bei [58]. Im jüngsten
Cochrane-Review wurde zwar ins­
gesamt der überzeugende Stellenwert
kognitiv-behavioraler Ansätze betont,
aber einerseits die empirischen Daten
hinsichtlich einer Langzeitperspekti­
ve als noch nicht ausreichend einge­
stuft, andererseits eine differenzielle
Bewertung gegenüber anderen Psy­
chotherapieformen als derzeit noch
nicht möglich erachtet [97].
Kapfhammer
Empirische Ergebnisse psychodynamischer Verfahren
Einige nicht systematisch kontrol­
lierte Studien lassen erkennen, dass
psychoanalytische Therapieverfahren
auch bei Patienten mit Generalisier­
ter Angststörung zufrieden stellende
bis gute Ergebnisse erzielen können
(Evidenz-Level C), auch wenn die
Diagnosestellung noch nicht nach
ICD-10 oder DSM-IV erfolgte [23,
50, 51, 119, 201, 202, 224]. Mentzos
[145] berichtete mit seinen Mitarbei­
tern über 25 durchgeführte psycho­
analytische Langzeitbehandlungen
mit einem modizifiziertem Setting
im Sitzen und überwiegend 1–2 The­
rapiestunden in der Woche. Erste
Ergebnisse eines Vergleiches von
psychoanalytischen Langzeitthera­
pien gegenüber psychodynamischen
Kurzzeitinterventionen veröffentlich­
ten Jakobsen und Mitautoren [100].
Soziale Phobie
Eine forcierte Konfrontationsstrate­
gie, die sich bei den übrigen Phobien
als so erfolgreich erweist, kann in der
Behandlung der sozialen Phobie auf
mehrere Probleme stoßen: Zum einen
sind die sozialen Situationen, die be­
einträchtigende Angstsymptome trig­
gern, höchst variabel und erschweren
somit eine rationale Therapieplanung
erheblich [154]. Zum anderen gefähr­
den reale Mängel in den sozialen Fer­
tigkeiten eine Erfolg versprechende
Exposition in sozialen Situationen
mit Leistungscharakter, da sie erneu­
te Misserfolge geradezu vorprogram­
mieren. Hier ist es von grundlegender
Bedeutung, zunächst eine Schulung
und ein Training in den nötigen „so­
cial skills“ voranzustellen [225].
Als weiteres Hauptelement eines ver­
haltenstherapeutischen Ansatzes aber
muss eine systematische Identifikati­
on und Modifikation der die Störung
begleitenden negativen automatischen
Gedanken und Bewertungsschemata
gelten. Dieser dysfunktionale Denk­
stil zeichnet sich in aller Regel durch
eine Reihe von logischen Fehlern
und kognitiven Verzerrungen aus.
58
In einem am Therapiemodell nach
A. Beck orientierten Vorgehen las­
sen sich so charakteristische Beispie­
le einer „dichotomen Denkweise“,
die in einer Situationseinschätzung
bevorzugt „Alles-oder-Nichts“- Ka­
tegorien demonstriert, eine „Über­
generalisierung“ aufgrund von Ein­
zelbeobachtungen, eine „selektive
Abstraktion“, die nur wenige, in der
Regel die ungünstigen Aspekte einer
Szene aufgreift, ohne den Gesamt­
kontext zu würdigen, „Selbstentwer­
tungen“ bei positiven Erfolgen usw.
erfassen. Kognitiv-verhaltensthera­
peutische Verfahren werden durch
eine systematische Beachtung der bei
sozialphobischen Patienten typischen
Merkmale der affektiven und kogniti­
ven Informationsprozessierung profi­
tieren [46]. In einer pragmatisch-em­
pirischen Grundeinstellung werden
diese typischen Fehlinterpretationen
überprüft und modifiziert. Erst dann
schließt sich ein Expositionstraining
in definierten sozialen Situationen an
[242]. Neben einer Individualthera­
pie kommen bei dieser Indikations­
stellung auch gruppentherapeutische
Settings zum Einsatz.
Empirische Ergebnisse der kognitiven Verhaltenstherapie
Zur verhaltenstherapeutischen Be­
handlung der sozialen Phobie liegen
mehrere kontrollierte Therapiestudi­
en vor [62]. Metaanalysen bestätigen
eine Wirksamkeit auf einem EvidenzLevel A. Ein kognitiv-behavioraler
Ansatz ist einer pharmakologischen
Behandlung ebenbürtig [78]. Meta­
analytisch führt sowohl ein Expo­
sitionstraining alleine als auch ein
breiteres kognitiv-behaviorales Ver­
fahren zu vergleichbaren Effekten
[67]. In einer rezenten randomisiertkontrollierten Studie war ein neu
entwickeltes kognitives Verfahren
gegenüber einem Expositionstraining
und Entspannung sogar überlegen
[44]. Vor allem aus der Behandlung
von Patienten mit schweren sozialen
Ängsten resultiert die Empfehlung,
einem Expositionstraining in defi­
nierten sozialen Situationen zuerst
eine systematische Identifikation und
Modifikation begleitender negativer
automatischer Gedanken und Be­
wertungsschemata vorauszuschalten
[137; Metaanalyse: 227]. Die Er­
gebnisse eines solchen kombinierten
Vorgehens scheinen recht günstig zu
sein und über einen mehrjährigen
Zeitraum auch stabil anzuhalten [65,
231]. Gegenüber einer intensiven
kognitiven Verhaltenstherapie in der
Gruppe sowie einer üblichen psych­
iatrischen Behandlungsform (mittels
SSRI) erwies sich eine individuelle
KVT als überlegen [160]. Wenn die
therapeutische Beziehung von sozial
phobischen Patienten subjektiv als
sehr tragfähig eingestuft wird, dann
setzen sie sich in den Einzelsitzun­
gen auch bereitwilliger verunsichern­
den Expositionen aus und profitieren
von diesen Übungen stärker [86].
Die bekannten Hemmungen dieser
Patientengruppe, sich überhaupt in
eine fachspezifische Behandlung zu
begeben, könnten durch eine nieder­
schwellige Zugangsmöglichkeit zu
kognitiv strukturierten Behandlungs­
formen über Internet abgemildert
werden, wie eine randomisierte und
kontrollierte Studie belegte [41].
Empirische Ergebnisse psychodynamischer Verfahren
Zerbe [245], Marshall [136] und Al­
nas [7] publizierten über psychodyna­
mische Ansätze bei sozialphobischen
Patienten in Einzelfallstudien. Eine
Beurteilung der empirischen Erfolgs­
aussichten eines solchen Vorgehens
ist derzeit noch nicht möglich, auch
wenn erste vorliegende Daten für
eine durchaus mit anderen etablierten
Psychotherapieverfahren vergleich­
bare Wirksamkeit sprechen [30, 118].
Leichsenring et al. [117] haben eine
auf psychodynamischen Prinzipien
beruhende Behandlung in manuali­
sierter Form entwickelt, die derzeit in
einer randomisierten und kontrollier­
ten Multicenter-Studie erprobt wird.
Spezifische Phobien
Spezifische Phobien sind die Do­
mäne der verhaltenstherapeutischen
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
59
Expositionsverfahren, wie sie für die
Agoraphobie beschrieben worden
sind. Der systematischen Desensibili­
sierung kommt nur gelegentlich noch
eine Bedeutung zu.
lem bei der Flug- und der Höhenangst
als aussichtsreich beurteilt, kognitive
Ansätze hingegen bei der Klaustro­
phobie und bei der Blut- bzw. Verlet­
zungsphobie favorisiert [43].
legtes Vorgehen, dann lassen sich
speziell in üblichen Versorgungskon­
texten gute Gründe für eine Kombi­
nationsbehandlung bei Angststörun­
gen finden [56, 63, 83, 114, 187].
Die klassische Form der systemati­
schen Desensibilisierung beinhaltet
eine graduierte Stimulusexposition
und kann entweder in der Vorstel­
lung oder in vivo vollzogen werden.
Wesentlich ist, dass der Patient zuvor
gelernt hat, sich in einen völlig ent­
spannten Zustand zu versetzen. Man
spricht deshalb von einem „Angst­
meidungstraining“. Diese Entspan­
nungsübung wird regelhaft in der
hierarchischen Annäherung an den
spezifischen Angststimulus einge­
setzt, um über eine „reziproke Hem­
mung“ wieder in einen ausgegliche­
nen physiologischen Erregungszu­
stand zu gelangen. Erst dann wird der
nächste Schritt in Richtung auf eine
volle Exposition gegenüber dem pho­
bischen Objekt gewagt. In einer heuti­
gen Einschätzung ist die entscheiden­
de Wirkkomponente aber nicht mehr
in einer durch Entspannungselemente
bewirkten „reziproken Hemmung“ zu
erblicken, sondern in der Habituation,
die sich natürlicherweise nach einer
ausreichend langen Konfrontation
mit dem phobischen Objekt einstellt.
Empirische Ergebnisse psychodynamischer Verfahren
Es liegen bisher nur vereinzelte ka­
suistische Fallstudien zur psychody­
namisch orientierten Behandlung von
spezifischen Phobien vor [146, 194].
Eine Beurteilung der empirischen Er­
folgsaussichten eines solchen Vorge­
hens ist derzeit nicht möglich.
Panikstörung und Agoraphobie
Eine Metaanalyse bei der Panik­
störung fand nur wenige Belege für
Vorteile einer Kombination von Phar­
mako- und Psychotherapie [155]. In
einem neueren systematischen Re­
view, der nach Akutbehandlung und
Langzeitperspektive
unterschied,
zeigten sich Vorteile einer Kombi­
nationsbehandlung gegenüber Phar­
mako- und Psychotherapie je alleine
für die Akutphase. Diese Vorteile ei­
nes kombinierten Vorgehens waren in
der Langzeitbehandlung gegenüber
einer Pharmakomonotherapie, nicht
aber gegenüber einer Psychotherapie
alleine nachzuweisen [71, 164].
Empirische Ergebnisse der Exposi­
tionsverfahren
Systematische Reviews über 21 bzw.
25 kontrollierte Studien [170, 171]
sowie auch eine Metaanalyse [203]
belegen, dass Expositionsverfahren
eine hoch signifikant überlegene Ef­
fizienz gegenüber einer Wartegruppe
aufweisen (Evidenz-Level A). Zu­
mindest bei unkomplizierten spezi­
fischen Phobien kann mit wenigen
Therapiestunden eine bedeutsame
Symptomverbesserung bei ca. 90%
der Patienten erzielt werden. In einem
systematischen Review jüngst wurde
diese Einschätzung hinsichtlich der
meisten Phobien geteilt, aber auch auf
bedeutsame Drop-Out-Quoten hinge­
wiesen. Ein Expositions-Training in
der virtuellen Realität wurde vor al­
Kombinationsbehandlung
In einem Vergleich von Psychothe­
rapie und Pharmakotherapie wer­
den bei den Angststörungen für die
psychotherapeutischen Ansätze sehr
häufig höhere Effektstärken gefunden
[200]. Nicht selten ist hierbei aber die
Qualität des medikamentösen Thera­
piearms in den Untersuchungen zu
kritisieren. Hinzu kommt, dass in den
Studiensamples mehrheitlich Patien­
ten eingeschlossen wurden, die ohne
psychiatrische Komorbidität wa­
ren und ein eher nur geringgradiges
agoraphobisches Verhalten zeigten.
Gegenüber früheren Einschätzungen
relativierten jüngere, komplexe me­
taanalytische Untersuchungen aber
die erzielten Effekte bedeutsam. Vor
allem im Hinblick auf eine in den
Psychotherapiestudien übliche Aus­
wahl von Patienten ohne begleitende
psychiatrische Komorbiditäten soll­
ten die berichteten Effizienzgrade
nicht überschätzt werden und auch
nicht so ohne weiteres auf durch­
schnittliche Versorgungsbedingungen
extrapoliert werden [159, 243].
Berücksichtigt man höhere klinische
Schweregrade, eine mehrheitlich as­
soziierte psychiatrische Komorbidi­
tät, langfristige Rezidivquoten, nicht
selten begrenzte Therapieerfolge je
eines Ansatzes, u. U. ein nicht simul­
tanes, sondern ein sequentiell ange­
In den Vergleichsstudien waren
pharmakotherapeutisch
einerseits
Benzodiazepine, andererseits Anti­
depressiva (v. a. Imipramin) einge­
setzt worden. Bezüglich einer Ben­
zodiazepingabe zusätzlich zu einem
Expositionsverfahren äußerten einige
Autoren Bedenken, dass unter dieser
Kombination der therapeutisch indu­
zierte Lernprozess weniger wirksam
sei. Diese Einschätzung wird nicht
von allen Experten geteilt, aber in je­
dem Fall eine notwendige Abwägung
von kurzfristig erzielten Effekten ge­
genüber langfristig möglichen Proble­
men gefordert [241]. Auf Grund der
vorliegenden Studienergebnisse gibt
es wiederum keinen Hinweis, dass
eine psychologische Exposition oder
Verfahren der kognitiven Verhaltens­
therapie durch eine antidepressive
Medikation negativ beeinflusst wer­
den könnten [172, 229].
Wegen ihres nach wie vor breiten Ein­
satzes unter dieser Indikationsstellung
sind auch eventuelle Kombinationsbzw. Interaktionseffekte von Benzodiazepinen und Expositionstherapie zu
diskutieren. Marks et al. [135] konn­
ten zu dieser Fragestellung einerseits
Kapfhammer
eine klare Überlegenheit der Kom­
bination von Alprazolam und Expo­
sition gegenüber Alprazolam alleine
nachweisen. Andererseits zeigte der
Vergleich der Kombinationsgruppe
gegenüber der Gruppe mit Exposition
alleine keinerlei statistisch oder kli­
nisch relevante Unterschiede, obwohl
unter der Kombination die therapeu­
tischen Effekte früher auftraten.
In der Langzeitperspektive musste
aber ein differentielles Entwicklungs­
muster festgehalten werden. Wäh­
rend die Therapieeffekte nach einer
Expositionsmonobehandlung stabil
blieben, kam es in der Kombinati­
onsgruppe nach Absetzen von Al­
prazolam doch zu einem deutlichen
Wiederaufflammen des phobischen
Ver­meidungsverhaltens. Betrachtet
man die durchaus günstigen Kombi­
nationseffekte in der Akutinterventi­
on, so sollte man bei einer individu­
ellen Entscheidung für den zusätzli­
chen Einsatz eines Benzodiazepins
pragmatisch dafür sorgen, dass dieses
möglichst noch während des aktiven
Expositionstrainings wieder ausge­
schlichen wird [238].
Reduziert auf die Frage, ob Imipramin die therapeutischen Effekte einer
Exposition erhöhe, kamen nur Marks
et al. [134] zu einem negativen Resul­
tat. Vier andere kontrollierte Studien
[139, 228, 246, 247] sprachen hinge­
gen für klare Vorteile im Sinne einer
günstigeren klinischen Gesamtbesse­
rung mit einer Generalisierung des
antiphobischen Effekts auch auf die
Dimensionen von Panik und antizi­
patorischer Angst in der Akutbehand­
lung. Voraussetzung für den Nach­
weis eines positiven Kombinations­
effektes war aber eine ausreichende
Imipramindosis (150–200 mg/Tag).
Die umgekehrte Frage, ob eine Exposition die therapeutischen Effekte
von Imipramin erhöhe, ließ sich da­
hingehend beantworten, dass Imi­
pramin ohne spezifische Instruktio­
nen für oder gegen Exposition zwar
therapeutische Effekte zeige, durch
60
eine Kombination mit systematischer
Exposition die Wirkung aber deutlich
gesteigert werden könne. Umgekehrt
schien eine explizite Anweisung, sich
in keiner Weise den sozialen Situatio­
nen mit Angstauslösung zu stellen,
den antipanischen und antiphobi­
schen Effekt von Imipramin erheb­
lich zu mindern [138, 228].
Zusammenfassend kann für die Akut­
behandlung ein gut gesicherter Po­
tenenzierungseffekt von Imipramin
und Exposition auf die Extinktion des
phobischen Vermeidungsverhaltens
behauptet werden. Hinsichtlich ei­
nes antipanischen Effektes entfalten
beide Therapiemodalitäten je für sich
bereits gute Wirkungen, die in einer
Kombination aber nicht durchgängig
gesteigert werden können [142].
Von großer klinischer Bedeutsam­
keit ist, dass sich die in der Akut­
phase erzielten Kombinationseffekte
auch nach 2 Jahren noch stabil hal­
ten [140]. Sie vermitteln einen guten
Schutz gegenüber dem hohen Rezi­
divrisiko, das nach Absetzen einer
Imipraminmonotherapie droht [141].
Es ist zu beachten, dass ca. 20% der
Patienten aber auch von einer Kom­
binationstherapie letztlich nicht ent­
scheidend profitieren. Das Vorliegen
einer zusätzlichen Persönlichkeitsstö­
rung erweist sich als ein ungünstiger
Prädiktor für die Therapieresponse
[143]. Gerade bei diesen Patienten
mit unzureichendem Ansprechen
auf eine pharmakologische Mono­
therapie oder einfache Kombination
von Antidepressiva und Exposition
sind einerseits differenzierte psycho­
pharmakotherapeutische Strategien
gerechtfertigt, besitzen andererseits
zusätzliche Kombinationen mit ko­
gnitiven Verfahren sowie traditionel­
le psychodynamische Ansätze ihren
wichtigen Stellenwert [142].
Unter einem etwas veränderten kli­
nischen Blickwinkel kann sich eine
andere Indikation für eine Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie stellen, die nicht simul­
tan, sondern sequentiell durchgeführt
wird. Bruce et al. [36] konnten zei­
gen, dass Patienten, die zuvor lang­
fristig Benzodiazepine erhalten hat­
ten, eine signifikant höhere Chance
hatten, mittels kognitiv-behavioraler
Techniken einen Benzodiazepinent­
zug erfolgreich zu absolvieren und
auch noch nach 6 Monaten abstinent
zu bleiben. Zudem erzielten sie über
dieses psychotherapeutische Zusatz­
verfahren einen günstigeren Schutz
vor einem Rezidiv der Angststörung.
Patienten mit Panikstörung, die auf
eine kognitive Verhaltenstherapie
nicht oder nur sehr unzureichend an­
gesprochen haben, können von der
anschließenden Gabe eines SSRI
noch gut profitieren, wie eine ran­
domisierte Studie für Paroxetin ge­
genüber Placebo nachweisen konnte
[101]. Umgekehrt können Patienten,
die unter Pharmakotherapie thera­
pieresistent waren, in einem hohen
Prozentsatz mit einer anschließenden
KVT noch entscheidende Symptom­
verbesserungen erzielen [91].
Wiederum deutet sich eine andere
Kombinationsindikation an, wenn eine
zusätzliche KVT bei einer antidepres­
siven Medikation (z.B. Imipramin) die
Rate von beklagten Nebenwirkungen
deutlich reduzieren kann [132].
Generalisierte Angststörung
Für die Generalisierte Angststörung
sind kombinierte Therapieansätze
eher die Regel als die Ausnahme. Dies
ist aber nicht Ausdruck eines durch
empirische Daten schon gut gestütz­
ten Behandlungsrationale. Vielmehr
spiegeln sich hierin die häufigen
Schwierigkeiten im therapeutischen
Vorgehen bei dieser Patientengruppe
wider [114]. Die wenigen kontrollier­
ten Untersuchungen gestatten bisher
keine eindeutige Schlussfolgerung
für eine klinische Handlungsanwei­
sung [20]. Eine der durchgeführ­
ten Studien betraf einen Vergleich
von kognitiver Verhaltenstherapie
(KVT), Diazepam, Plazebo und KVT
und Diazepam in einer 10wöchigen
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
Akutphase [185]. Sowohl im unmit­
telbaren Vorher-Nachher-Vergleich
als auch zum Follow-up-Termin nach
6 Monaten erwiesen sich die beiden
Therapiearme mit KVT alleine oder in
Kombination mit Diazepam als über­
legen. Diazepam war im Vergleich zu
Plazebo nicht wirksamer, was mög­
licherweise mit der zu niedrigen und
fixen Dosierung von Diazepam zu er­
klären war. Die Autoren diskutierten,
dass eventuelle additive Effekte unter
einer Diazepamkombinationstherapie
durch eine flexiblere symptomorien­
tierte Dosierung erzielbar gewesen
wären. Bond et al. (31) fanden einen
nur geringen Zusatzbenefit für Pa­
tienten, die neben einer kognitiven
Verhaltenstherapie im Vergleich zu
Placebo auch eine Buspiron-Medi­
kation erhielten. Ein sehr kleines
Sample von Studien-Patienten sowie
eine relativ hohe Drop-out Quote
schränkten Schlussfolgerungen aber
stark ein. In einer randomisierten und
kontrollierten Studie erwies sich ein
telefon-gestütztes, supportives Ma­
nagement, das kollaborativ zu einer
medikamentösen Therapie durch den
Hausarzt angeboten wurde, einer
Pharmakomonotherapie als überle­
gen [197]. KVT kann hoch wirksam
den Prozess eines sukzessiven Ben­
zodiazepinentzugs unterstützen [77].
Soziale Phobie
Auch bei der sozialen Phobie spre­
chen zunächst klinische Aspekte für
den möglichen Nutzen einer Kom­
binationsbehandlung, berücksichtigt
man die häufig unzulänglichen The­
rapieeffekte beispielsweise unter VT
alleine (Drop-out-Rate bis zu 30%),
ein ungenügendes Ansprechen auf
in dieser Indikationsstellung erprob­
te Medikamente wie z.B. Moclobe­
mid (mangelhafte Therapieresponse
bis zu 50%) sowie eine ausgeprägte
psychiatrische Komorbidität. Die
vorliegenden Informationen aus kon­
trollierten empirischen Studien erlau­
ben derzeit erst orientierende Richt­
linien für ein kombiniertes Vorgehen
[23, 196]. Mehrere kontrollierte Stu­
dien [45, 52, 69, 112] wie auch eine
naturalistische Studie mit einer der
KVT vorgeschalteten antidepressiven
Therapie [195] zeigten, dass Pharma­
komonotherapie (Fluoxetin), kogni­
tive Verhaltenstherapie alleine und
Kombinationsbehandlung jeweils der
Plazebobedingung signifikant über­
legen waren, aber sich kaum eine
Überlegenheit der Kombinations­
therapie gegenüber den beiden Mo­
notherapien darstellte bzw. eine vor­
ausgehende antidepressive Behand­
lung eine nachfolgende KVT in ihrer
Wirksamkeit nicht beeinflusste. Zu
einem recht vergleichbaren Ergebnis
war auch eine andere kontrollierte,
aber nicht verblindete Studie gekom­
men, bei der Sertralin pharmakothe­
rapeutisch eingesetzt wurde [29, 85].
Eine analog konzipierte Studie mit
Phenelzin, das im Vergleich etwa zu
Fluoxetin oder Sertralin einen be­
deutsamen Effekt bei der sozialen
Phobie aufweist, zeichnete sich eine
Überlegenheit der Kombinations­
therapie ab [89]. In einer weiteren
kontrollierten Studie wurden über 6
Monate drei Therapiearme (suppor­
tive Führung + Moclobemid; kogni­
tiv-behaviorale Gruppentherapie +
Placebo; kognitiv-behaviorale Grup­
pentherapie + Moclobemid) mitein­
ander verglichen und ein Follow-up
nach 2 Jahren angeschlossen [186].
Die Kombinationstherapie führte ins­
gesamt zur raschesten Symptomre­
duktion. Moclobemid alleine erwies
sich nach 3 Monaten überlegen in der
Besserung der allgemeinen subjekti­
ven Angstsymptomatik, zeigte aber
nur einen bescheidenen Einfluss auf
das Vermeidungsverhalten. Für den
kognitiv-behavioralen Ansatz stell­
ten sich die Wirkungen genau umge­
kehrt dar. Nach 6 Monaten zeichnete
sich die kognitive Verhaltenstherapie
durch die besten Ergebnisse aus, die
Kombinationstherapie erzielte keinen
zusätzlichen Benefit. In einem Ver­
gleich der Rückfallquoten schnitten
jene Patienten, die entweder alleine
oder in Kombination kognitive Ver­
haltenstherapie erhalten hatten, ge­
genüber einer Moclobemidmonothe­
rapie signifikant günstiger dar.
61
Spezifische Phobien
Trotz einiger kontrollierter Studien
mit älteren Psychopharmaka besteht
Einigkeit darin, dass spezifische
Phobien primär nicht pharmakothe­
rapeutisch behandelt werden sollten.
Ausnahmen bestehen bei einer se­
kundär sich entwickelnden Kompli­
kation wie einer anderen Angst- oder
depressiven Störung. Lediglich bei
massiven panikartigen Ängsten in der
Konfrontation mit einem phobischen
Objekt kann der Einsatz eines Ben­
zodiazepins gerechtfertigt sein. Er
muss aber zu einem verhaltensthera­
peutisch orientierten Expositionsver­
fahren führen, das in aller Regel eine
hohe Erfolgsaussicht verspricht. Die
zusätzliche Gabe eines Benzodiaze­
pins beeinflusst das Ergebnis einer
akuten Exposition vermutlich nicht
signifikant, muss aber hinsichtlich
langfristiger Konsequenzen ähnlich
eingeschätzt werden wie bei der Ago­
raphobie [81].
Künftig könnte es eine gewisse Ver­
sorgungsrelevanz erlangen, wenn der
mit psychologischen Techniken z.B.
mittels Exposition in Gang gebrach­
te Löschungsprozess von patholo­
gischen Ängsten durch glutamaterg
wirksame Medikamente wie z.B.
D-Cycloserin signifikant gefördert
werden kann [116, 173]. Derzeit lie­
gen erste Erfahrungen aus kleineren
empirischen Studien vor mit zum Teil
ermutigenden [Höhenangst – 188;
soziale Phobie – 96], zum Teil wenig
überzeugenden Ergebnissen [Spin­
nenphobie – 82].
Der Prozess der emotionalen Gedächt­
nisbildung, aber auch des Wiedererin­
nerns von emotionalen Inhalten, wie
er grundlegend bei pathologischen
Ängsten ist, wird von zahlreichen
Neurotransmittern, aber auch von
Glukokortikoiden gesteuert [198]. Er­
ste Ergebnisse bei der Spinnenphobie
und der sozialen Phobie zeigten, dass
der Einsatz von niedrig dosiertem
Kortison (10 mg/die, 25 mg/die) zu
einer deutlichen Reduk­tion der unter
Exposition provozierten Ängste füh­
Kapfhammer
ren und so ein therapeutisches Neu­
lernen fördern kann [214].
Pharmakotherapie – pragmatische Perspektive
Generell muss für die Pharmakothe­
rapie der Angststörungen festgestellt
werden, dass ein hohes Rezidivrisi­
ko nach Absetzen der Medikamente
droht, wenn Pharmaka zuvor aus­
schließlich monotherapeutisch ver­
abreicht worden sind. Selbstverständ­
lich sind Probleme der Nebenwir­
kungsunverträglichkeit
gegenüber
bestimmten Substanzklassen von
Anti­depressiva und die hiermit as­
soziierten Schwierigkeiten von NonCompliance bzw. Therapieabbruch
zu bedenken. Hinsichtlich eines Ben­
zodiazepinlangzeitgebrauchs müssen
zusätzliche Risiken und Komplika­
tionen wie z.B. Missbrauchs- und
Abhängigkeitsproblematik reflektiert
werden. Wiederum nicht zu über­
sehen ist, dass immerhin 30–45%
der Patienten mit unterschiedlichen
Angststörungen in empirischen Studi­
en auch eine gute Plazebo-Response
zeigen. Hierbei ist zu beachten, dass
bei fast allen durchgeführten psy­
chopharmakologischen Studien auch
wichtige supportive Elemente einer
ärztlichen Führung einschließlich der
ermunternden Instruktion, sich den
Angst auslösenden Situationen aktiv
auszusetzen, also Aspekte eines Ex­
positionstrainings mit enthalten sind.
Diese meist unkontrollierten Effekte
verweisen per se in Ansätzen schon
auf ein kombiniertes Behandlungs­
vorgehen.
Psychotherapie – pragmatische Perspektive
Wo auch immer möglich, sollten
Patienten zu einer differenzierten
störungsorientierten Psychotherapie
motiviert werden. Psychotherapeu­
tischen Verfahren ist wahrscheinlich
62
kann den Therapeuten leicht vor
einer emotional intensiveren Be­
ziehung zurückschrecken lassen.
Um sich zu entlasten, entschließt
er sich vielleicht zu einer vor­
schnellen medikamentösen Inter­
vention, die kontraproduktiv sein
kann. Eine abwehrbestimmte Idea­
lisierung des Therapeuten durch
den Patienten impliziert auch
eine Zuschreibung jeglicher Ver­
antwortung in Fragen wichtiger
Entscheidungen wie z.B. dem An­
setzen von Medikamenten. Diese
Idealisierung mag der Therapeut
bereitwillig aufgreifen. Eine di­
rektive Grundhaltung bewahrt ihn
davor, sich mit einer möglichen
Enttäuschungswut des Patienten
zu konfrontieren. Vordergründig
verschaffen Medikamente einem
Patienten eine rasche Abhilfe für
seine Bedürftigkeit, bestärken
aber gerade darin seine Abhän­
gigkeit von ambivalent erlebten
Objekten. Medikamente nehmen
Bedeutungen der unbewussten
therapeutischen Beziehung an.
eine Vorrangstellung einzuräumen,
wenn die vorliegenden Angststörun­
gen einen leichten bis mittleren Stö­
rungsgrad aufweisen. Aber auch bei
dieser Ausgangssituation ist das ty­
pische Krankheitsverständnis und die
subjektive Therapieerwartung eines
Patienten zu berücksichtigen. Hohe
Schweregrade, psychiatrische Ko­
morbidität und chronischer Krank­
heitsverlauf unterstreichen die unver­
zichtbare Rolle einer differenziellen
Psychopharmakotherapie. Auch in
diesen Fällen sollte, wo möglich, eine
Kombination mit psychotherapeuti­
schen Verfahren angestrebt werden.
Werden Psychopharmaka in Psycho­
therapien von Angstpatienten einge­
führt, so können im Therapieprozess
wichtige Übertragungs- und Gegen­
übertragungsmuster angestoßen wer­
den. Sie lassen sich psychodynamisch
konstruktiv aufnehmen, führt man
sich vor Augen, dass bei Angstpati­
enten oft dependente Persönlichkeits­
züge einerseits, ängstlich-vermeiden­
de Persönlichkeitszüge andererseits
vorherrschen können [102]:
• Für Patienten mit einer stark dependenten Persönlichkeit ist an­
klammerndes und unterwürfiges
Verhalten einem Therapeuten ge­
genüber typisch. Um tiefe Ängste
vor Trennung und Alleinsein zu
kontrollieren, signalisieren sie
eine verstärkte Hilfsbedürftigkeit.
Das prinzipielle therapeutische
Dilemma bei ihnen besteht darin,
dass sie zur Überwindung ihrer
Unselbständigkeit und Asthenie
sich zuvor in eine therapeutische
Abhängigkeit begeben müssen,
gerade darin aber oft ein Thera­
pieziel an sich erblicken.
Zyklen von Übertragungs- und
Gegenübertragungsmustern im
Laufe einer Behandlung müssen
erkannt und speziell auch bei ei­
nem psychopharmakologischen
Ansatz reflektiert werden. Die
drängende Suche des dependenten
Patienten nach Hilfe und Führung
besonders zu Behandlungsbeginn
Sie können die Funktion eines
„Übergangsobjekts“ zur Abwehr
eines schwer erträglichen Allein­
seins ausüben und mit einem idio­
synkratischen, zuweilen selbstge­
fährdenden Einnahmeverhalten
einhergehen. Da die Beziehung
zum Therapeuten nur schwer auf­
gegeben werden kann, darf der
Patient aber auch keine entschei­
denden Behandlungsfortschritte
erzielen. Diese „negative thera­
peutische Reaktion“ drückt sich
oft in einer unfruchtbaren Dis­
kussion um erwartbare, aber dann
doch nie eintretende Medikamen­
teneffekte und um stets wieder­
kehrende Unverträglichkeitsreak­
tionen unter den verschiedensten
Pharmaka aus. Umgekehrt kann
ein Patient evtl. schwerwiegende
Nebenwirkungen vor sich ver­
leugnen oder dem Arzt gegenüber
verschweigen, da er mit ihrer Mit­
teilung eine Gefährdung der Be­
ziehung verbindet.
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
Es ist also bei einem Patienten
mit einer dependenten Persön­
lichkeitsstörung
entscheidend,
die Indikation für Medikamen­
te sehr sorgfältig zu begründen,
sich hierbei das angesprochene
therapeutische Dilemma immer
wieder bewusst zu machen und
mit einer Pharmakotherapie asso­
ziierte Übertragungswiderstände
zu reflektieren. Als therapeutische
Grundregel muss wohl gelten,
dass die vordergründig geäußer­
ten Wünsche eines Patienten nach
rascher Abhilfe für psychopatho­
logische Symptome selten seine
eigentlichen Bedürfnisse ausdrüc­
ken. Die Gabe von Medikamenten
kann deshalb immer auch zu einer
unbewussten Aktivierung frühe­
rer schädlicher Beziehungsmuster
beitragen.
• Bei Patienten mit einer vorwie­
gend
ängstlich-vermeidenden
Persön­lichkeit muss einerseits
die besondere Vulnerabilität für
eine beschämende Bloßstellung,
die oft der sozialen Ängstlichkeit
zugrunde liegt, andererseits eine
generalisierte katastrophisierende
Einstellung gegenüber unvorher­
gesehenen Veränderungen oder
neuen Herausforderungen der
Umwelt beachtet werden. Die
Anfälligkeit für Beschämung und
Kritik mag es beispielsweise ei­
nem Patienten unmöglich machen,
sich in seiner Hilfsbedürftigkeit
und Schwäche mitzuteilen. Statt­
dessen aber missversteht er den
wohlmeinenden Rat des Arztes zu
einer medikamentösen Stützung
als Kränkung und Zurückweisung
und wertet die mit einem Pharma­
kon verknüpften Nebenwirkungen
als Beleg für diese interpersonale
Demütigung. Und in eben diesen
inneren Erlebnissen kann er sich
dem Therapeuten gegenüber nur
schwer öffnen, so dass die Gefahr
eines abrupten Behandlungsab­
bruchs droht.
Das ausgeprägte Bedürfnis nach
Sicherheit und die z. T. extreme
Sensibilität gegenüber Abwei­
chungen von eingeengten Erwar­
tungen können v. a. zu einer heik­
len Verarbeitung von möglichen
Nebenwirkungen einer psycho­
pharmakologischen Medikation
führen. Die prinzipielle Tendenz
des Patienten zu einer katastro­
phisierenden Bewertung macht es
dem Arzt wiederum oft unmög­
lich, in dessen Beschwerden zwi­
schen harmlosen und gefährlichen
Effekten zu unterscheiden. Nicht
selten wehrt er die in den Klagen
des Patienten implizite Infrage­
stellung seiner psychopharma­
kologischen Kompetenz dadurch
ab, dass er eine Übertreibung und
Schwächlichkeit des Patienten
thematisiert, ihn dadurch kränkt
und wiederum einem Circulus
vitiosus von Beschämung und
Rückzug aussetzt. Gelingt es hin­
gegen Patienten und Therapeuten
in einem gefestigten Arbeitsbünd­
nis diese psychodynamischen As­
pekte zu integrieren, dann können
psychopharmakologische Inter­
ventionen oft zu erstaunlichen
Therapiefortschritten beitragen.
Patienten tolerieren nun erstmals
ein Expositionsverhalten, das ih­
nen ein vielschichtiges soziales
Lernen eröffnet und lange Zeit
brach gelegene Talente endlich
positiv erproben lässt.
63
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
Literatur
[1]
[2]
[3]
Aarre T.F.: Phenelzine efficacy in re­
fractory social anxiety disorder: A case
series. Nord J Psychiatry 57: 313-315
(2003).
Allgulander C., Bandelow B., Holland­
er E. et al.: WCA recommendations for
the long-term treatment of generalized
anxiety disorder. CNS Spectrums 8
(suppl 1): 53-61 (2003).
Allgulander C., Dahl A.A., Austin
C. et al.: Efficacy of sertraline in a
12-week trial for generalized anxiety
disorder. Am J Psychiatry 161: 16421649 (2004).
[14]
[15]
[16]
Allgulander C., Hackett D., Salinas E.:
Venlafaxine extended release (ER) in
the treatment of generalized anxiety
disorder: Twenty-four-week placebocontrolled dose-ranging study. Br J
Psychiatry 179: 15-22 (2001).
Allgulander C., Mangano R., Zhang
J., et al.: Efficacy of venlafaxine ER in
patients with social anxiety disorder:
A double-blind placebo-controlled,
parallel-group comparison with parox­
etine. Hum Psychopharmacol 19: 387396 (2004).
Allgulander C.: Paroxetine in social
anxiety disorder: A randomized pla­
cebo-controlled study. Acta Psychiatr
Scand 100:193-198 (1999).
Alnas R.: Social phobia: Research and
clinical practice. Nord J Psychiatry
55:419–425 (2001).
Altamura AC, Pioli R, Vitto M, Mannu
P (1999) Venlafaxine in social phobia:
A study in selective serotonin reuptake
inhibitor non-responders. Int Clin Psy­
chopharmacol 14: 239-245
Asakura S., Tajima O., Koyama T.:
Fluvoxamine treatment of general­
ized social anxiety disorder in Japan:
a randomized double-blind, placebocontrolled study. Int J Neuropsychop­
harmacol 10, 263-274 (2007).
Bakker A., van Balkom A.J., Spinhov­
en P.: SSRIs vs. TCSs in the treatment
of panic disorder: A meta-analysis.
Acta Psychiatr Scand 106: 163-167
(2002).
Baldwin D., Bobes J., Stein D.J. et
al.: Paroxetine in social phobia/social
anxiety disorder. Randomised, doubleblind, placebo-controlled study. Par­
oxetine Study Group. Br J Psychiatry
175:120-126 (1999).
Baldwin D.S., Andersen I.M., Nutt
D.J., et al. Evidence-based guidelines
for the pharmacological treatment of
anxiety disorders: Recommendations
from the British Association for Psy­
chopharmacology. J Psychopharma­
cology 19: 587-596 (2005).
Baldwin D.S., Huusom A.K., Maeh­
lum E.: Escitalopram and paroxetine
in the treatment of generalised anxiety
disorder: randomised, placebo-control­
led, double-blind study. Br J Psychiatry
189, 264-272 (2006).
Baldwin D.S., Polkinghorn C.: Evi­
dence-based pharmacotherapy of gen­
eralized anxiety disorder. Int J Neu­
ropsychopharmacol 8:293-302 (2005).
Ballenger J.C.: Overview of different
pharmacotherapies for attaining remis­
sion in generalized anxiety disorder. J
Clin Psychiatry 62 (suppl. 19): 11-19
(2001).
Bandelow B., Rüther E.: Treatmentresistant panic disorder. CNS Spectr
9:725-739 (2004).
Kapfhammer
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]
[27]
[28]
[29]
Bandelow B., Wededind D., Leon T.:
Pregabalin for the treatment of gener­
alized anxiety disorder: a novel phar­
macologic intervention. Expert Rev
Neurother 7, 769-781 (2007).
Bandelow B., Zohar J., Hollender E.
et al.: World Federation of Societies of
Biological Psychiatry [WFSBP] Guide­
lines of the pharmacological treatment
of anxiety, obsessive-compulsive and
posttraumatic stress disorders. World J
Biol Psychiatry 3: 171-199 (2002).
Barlow D.H., Craske M.G., Cerny
J.A., Klosko J.S.: Behavioral treat­
ment of panic disorder. Behav Ther
20:261–282 (1989)
Beaudry P.: Generalized anxiety disor­
der. In: Beitman B.D., Klerman G.L.
(eds.) Integrating pharmacotherapy
and psychotherapy. American Psychi­
atric Press, Washington/DC, London,
pp 211–230 (1991).
Beck A.T., Sokol L., Clark D., Berchik
R., Wright F.A.: crossover study of fo­
cused cognitive therapy for panic dis­
order. Am J Psychiatry 149:778–783
(1992).
Becker E.S., Margraf J.: Kognitive
Therapie von Angsterkrankungen. In:
Kasper S, Möller HJ (Hrsg) Angst- und
Panikerkrankungen. Schattauer, Jena
Stuttgart, S 412–431 (1995).
Belzer K.D., McKee M.B., Liebowitz
M.R.: Social anxiety disorder: Current
perspectives on diagnosis and treatment.
Prim Psychiatry 12:35-48 (2005).
Bhanji N.H., Chouinard G., Kolivakis
T., Margolese H.C.: Persistent tardive
rebound panic disorder, rebound anxi­
ety and insomnia following paroxetine
withdrawal: A review of reboundwithdrawal phenomena. Can J Clin
Pharmacol 13, e69-74 (2006).
Blanco C., Schneier F.R., Schmidt A.,
et al.: Pharmacological treatment of
social anxiety disorder. Depress Anxi­
ety 18: 29-40 (2003).
Blaya C., Seganfredo A.C., Donrelles
M., Torres M., Paludo A., Heldt E.,
Manfro G.G.: The efficacy of mil­
nacipran in panic disorder: an open
trial. Int Clin Psychopharmacol 22,
153-158 (2007).
Blazer D.G., Hughes D., George L.K.:
Stressful life events and the onset of a
generalized anxiety syndrome. Am J
Psychiatry 144:1178–1183 (1987).
Blier P., Szabo S.T.: Potential mecha­
nisms of action of atypical antipsy­
chotic medication in treatment-resist­
ant depression and anxiety. J Clin Psy­
chiatry 66 (suppl 8): 30-40 (2005).
Blomhoff S., Haug T.T., Hellstrom K.
et al.: Randomised controlled general
practice trial of sertraline, exposure
therapy and combined treatment in
64
[30]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
generalised social phobia. Br J Psy­
chiatry 179:23–30 (2001).
Bögels S., Wijts S., Sallaerts S.: Ana­
lytic psychotherapy versus cognitvebehavioral therapy for social phobia.
European Congress for Cognitive and
Behavioural Therapies, September 1013, Prague, Czech Republic (2003).
Bond A.J., Wingrove J., Valerie Cur­
ran H., Lader M.H.: Treatment of gen­
eralized anxiety disorder with a short
course of psychological therapy, com­
bined with buspirone or placebo. J Af­
fect Disord 72: 267-271 (2002).
Bond M., Perry JC.:Long-term changes
in defense styles with psychodynamic
psychotherapy for depressive, anxiety,
and personality disorders. Am J Psy­
chiatry 161: 1665-1671 (2004).
Boyer W.: Serotonin uptake inhibitors
are superior to imipramine and alpra­
zolam in alleviating panic attacks: A
meta-analysis. Int Clin Psychopharma­
col 10: 45-49 (1995).
Bradwejn J., Ahokas A., Stein D.J. et
al. Venlafaxine extended-release cap­
sules in panic disorder: Flexible-dose,
double-blind, placebo-controlled study.
Br J Psychiatry 187: 352-359 (2005).
Brawman-Mintzer O., Knapp R.G.,
Rynn M. et al.: Sertraline treatment
of generalized anxiety disorder: A
randomized, double-blind, placebocontrolled study. J Clin Psychiatry 67:
874-881 (2006).
Bruce T.J., Spiegel D.A., Gregg S.F.,
Nuzzarello A.: Predictors of alpra­
zolam discontinuation with and with­
out cognitive behavior therapy in panic
disorder. Am J Psychiatry 152:1156–
1160 (1995).
Busch F., Cooper A., Klerman G.L.
et al.: Neurophysiological, cognitivebehavioral, and psychoanalytic ap­
proaches to panic disorder: Toward an
integration. Psa Inquiry 11:316–332
(1991).
Busch F., Milrod B., Cooper A., Sha­
piro T.: Psychodynamic approaches to
panic disorder. J Psychother Pract Res
5:73–83 (1996).
Butler G., Fennell M., Robson P.,
Gelder M.: Comparison of behavior
therapy and cognitive behavior therapy
in the treatment of generalized anxi­
ety disorder. J Consult Clin Psychol
59:167–175 (1991).
Carlbring P., Bohman S., Brunt S.,
Buhrman M., Westling B.E., Ekselius
L., Andersson G.: Remote treatment
of panic disorder: a randomized trial
of internet-based cognitive behavior
therapy supplement with telephone
calls. 163, 2119-2125 (2006).
Carlbring P., Gunnarsdottir M., Heden­
sö L., Andersson G., Ekselius L, Fuhr­
[42]
[43]
[44]
[45]
[46]
[47]
[48]
[49]
[50]
[51]
[52]
[53]
mark T.: Treatment of social phobia:
Randomised trial of internet-delivered
cognitive-behavioural therapy with tel­
ephone support. Br J Psychiatry 190,
123-128 (2007).
Chessick C.A., Allen M.H., Thase M.,
et al.: Azapirones for generalized anxi­
ety disorder. Cochrane Database Syst
Rev 3:CD006115 (2006).
Choy Y., Fyer A.J., Lipsitz J.D.: Treat­
ment of specific phobia in adults. Clin
Psychol Rev 27, 266-286 (2007).
Clark D.M., Ehlers A., Hackman A.
et al.: Cognitive therapy versus expo­
sure and applied relaxation in social
phobia: A randomized controlled trial.
J Consult Clin Psychol 74: 568-578
(2006).
Clark D.M., Ehlers A., McManus F.
et al.: Cognitive therapy versus fluox­
etine in generalized social phobia: A
randomized, placebo-controlled trial.
J Consult Clin Psychol 71: 1058-1067
(2003).
Clark D.M., McManus F.: Information
processing in social phobia. Biol Psy­
chiatry 51: 92-100 (2002).
Clark D.M., Salkovskis P.M., Hack­
mann A., t al.: A comparison of cog­
nitive therapy, applied relaxation and
imipramine in the treatment of panic
disorder. Br J Psychiatry 164:759–769
(1994).
Craske M.G., Brown T.A., Barlow
D.H.: Behavioral treatment of panic
disorder: A two-year follow-up. Behav
Ther 22:289–304 (1991).
Craske M.G., Waters A.M: Panic dis­
order, phobias, and generalized anxi­
ety disorder. Annu Rev Clin Psychol
1:197-225 (2005).
Crits-Christoph P., Connolly M.B.,
Azrian K. et al.: Psychodynamic-in­
terpersonal treatment of generalized
anxiety disorder. Psychotherapy 33:
418-430 (1996).
Crits-Christoph P., Crits-Christoph K.,
Wolf-Palacio D. et al.: Brief support­
ive-expressive psychodynamic therapy
for generalized anxiety disorder. In:
Barber J.P., Crits-Christoph P. (eds.)
Dynamic therapies for psychiatric
disorders (axis I). Basic Books, New
York, 43-83 (1995).
Davidson J.R.T., Foa E.B., Huppert
J.D, et al.: Fluoxetine, comprehensive
cognitive behavioural therapy, and
placebo in generalized social phobia.
Arch Gen Psychiatry 61, 1005-1013
(2004).
Davidson J.R., Bose A., Korotzer A.,
Zheng H.: Escitalopram in the gener­
alized anxiety disorder: Double-blind,
placebo controlled flexible-dose study.
Depress Anxiety 19: 234-240 (2004).
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
[54]
[55]
[56]
[57]
[58]
[59]
[60]
[61]
[62]
[63]
[64]
[65]
[66]
[67]
Davidson J.R.: Pharmacotherapy of
generalized anxiety disorder. J Clin
Psychiatry 62 (Suppl 11):46–50
(2001).
Davidson JRT, Potts NLS, Richichi
EA et al. (1993 b) Treatment of social
phobia with clonazepam and placebo. J
Clin Psychopharmacol 13:423–428
Demertzis K.H., Craske M.G.: Cog­
nitive-behavioral therapy for anxiety
disorders in Primary Care. Prim Psy­
chiatry 12: 52-58 (2005).
Denys D., De Geus F.: Predictors of
pharmacotherapy response in anxiety
disorders. Curr Psychiatr Rep 7: 252257 (2005).
Durham R.C., Chambers J.A., Mac­
Donald R.R., et al.: Does cognitivebehavioural therapy influence the
long-term course of generalized anxi­
ety disorder? An 8-14 year follow-up
of two clinical trials. Psychol Med 33:
499-509 (2003).
Edelman R.E., Chambless D.L.: Com­
pliance during sessions and homework
in exposure-based treatment of agora­
phobia. Behav Res Ther 31:767–773
(1993).
Fahlen T., Nilsson H.L., Borg K. et al.:
Social phobia: The clinical efficacy
and tolerability of the monoamino oxi­
dase-A and serotonin uptake inhibitor
brofaromine: A double-blind placebocontrolled study. J Clin Psychophar­
macol 17: 255-260 (1997).
Faravelli C., Rosi S., Truglia E.: Ben­
zodiazepines. In: Nutt D, Ballenger J
(eds) Anxiety disorders. Blackwell
Publishing, Oxford, 315-338 (2003).
Fava G.A., Grandi S., Rafanelli C. et
al.: Long-term outcome of social pho­
bia treated by exposure. Psychol Med
31:899–905 (2003).
Fava G.A., Ruini C., Rafanelli C.: Se­
quential treatment of mood and anxi­
ety disorders. J Clin Psychiatry 66:
1392-1400 (2005).
Fava G.A., Zielezny M., Savron G.,
Grandi S.: Long-term effects of be­
havioural treatment for panic disor­
der with agoraphobia. Br J Psychiatry
166:87–92 (1995).
Fedoroff I.C., Taylor S.: Psychologi­
cal and pharmacological treatments of
social phobia: a meta-analysis. J Clin
Psychopharmacol 21:311–324 (2001).
Ferguson J. M., Khan A., Mangano
R., Entsuah R., Tzanis E.: Relapse
prevention of panic disorder in adult
outpatient responders to treatment with
venlafaxine extended release. J Clin
Psychiatry 68, 58-68 (2007).
Feske U., Chambless D.L.: Cognitive
behaviour versus exposure treatment
for social phobia: A meta-analysis. Be­
hav Ther 26: 695-720 (1995).
[68]
[69]
[70]
[71]
[72]
[73]
[74]
[75]
[76]
[77]
[78]
[79]
[80]
Feusner J., Cameron M., Bystritsky A.:
Pharmacotherapy and psychotherapy
for panic disorder. Primary Psychiatry
12:49-55 (2005).
Foa E.M., Davidson J.R.T., Huppert
J.D., et al.: Comprehensive CBT, flu­
voxamine, and their combination: A
randomized placebo-controlled trial.
Annual Meeting of the Association for
the Advancement of Behavior Ther­
apy, November 20-23, Boston, Mass
(2003).
Freud S.: Wege der psychoanalyti­
schen Therapie. GW Bd. 12, S 183–
194 (1919).
Furukawa T.A, Watanbe N., Churchill
R.: Psychotherapy plus antidepressant
for panic disorder with or without ago­
raphobia. Br J Psychiatry 188:305-312
(2006).
Furukawa T.A., Streiner D.L., Young
L.T.: Antidepressant and benzodi­
azepine for major depression. Cochrane
Database Syst Rev 1: CD001026
(2002).
Gelenberg A., Lydiard R.B., Rudolph
R., et al.: Efficacy of venlafaxine
extended-release capsules in nonde­
pressed outpatients with generalized
anxiety disorder: A 6-month rand­
omized controlled trial. JAMA 283:
3082-3088 (2000).
Gelernter C.S., Uhde T.W., Cimbolic
P. et al.: Cognitive-behavioral and
pharmacological treatments of social
phobia: A controlled study. Arch Gen
Psychiatry 48: 938-945 (1991).
Goddard A.W., Brouette T., Almai A.,
et al.: Early coadministration of clon­
azepam with sertraline for panic disor­
der. Arch Gen Psychiatry 58: 681-686
(2001).
Goisman R.M., Warshaw M.G., Kel­
ler M.B.: Psychosocial treatment pre­
scription for generalized anxiety disor­
der, panic disorder, and social phobia,
1991-1996. Am H Psychiatry 156:
1819-1821 (1999).
Gosselin P, Ladouceur R., Morin C.M.,
Dugas M. J., Baillargeon L.: Benzodi­
azepine discontinuation among adults
with GAD: A randomized trial of cog­
nitive-behavioral therapy. J Consult
Clin Psychol. 74, 908-19 (2006).
Gould R.A., Buckminster S., Pollack
M.H., et al.: Cognitive-behavioral and
pharmacological treatment for social
phobia: A meta-analysis. Clin Psychol
Science Prac 4:291-306 (1997).
Gould R.A., Otto M.W., Pollack M.H.:
A meta-analysis of treatment outcome
for panic disorder. Clin Psychol Rev
15: 819-844 (1995).
Gould R.A., Safren S.A., Washington
D.O.N, Ott M.W.: Cognitive-behavio­
ral treatment for generalized anxiety
disorder: A metaanalytic review. In:
65
[81]
[82]
[83]
[84]
[85]
[86]
[87]
[88]
[89]
[90]
[91]
Mennin D.S. (ed.) Gneralized anxi­
ety disorder: Advances in research and
practice.Guilford Press, New York
(2003).
Grös D.F., Anthony M.M.: The assess­
ment and treatment of specific phobias:
A review. Curr Psychiatry Rep 8: 298303 (2006).
Guastella A.J., Dadds M.R., Lovibond
P.F., Mitchell P., Richardson R.: A ran­
domized controlled trial of the effect
of d-cycloserine on exposure therapy
for spider fear. J Psychiatr Res (Epub
ahead of print) (2006).
Haby M.M., Donnelly M., Corry J.,
Vos T.: Cognitive behavioural therapy
for depression, panic disorder and
generalized anxiety disorder: A metaregression of factors that may predict
outcome. Australian and New Zealand
Journal of Psychiatry 40:9-19 (2006).
Hartford J., Kornstein S., Liebowitz
M., et al.: Duloxetine as an SNRI treat­
ment for generalized anxiety disorder:
results from a placebo and active-con­
trolled trial. Int Clin Psychopharmacol.
22, 167-174 (2007).
Haug T.T., Blomhoff S., Hesstrom K.,
et al.: Exposure therapy and sertraline
in social phobia: I-year follow-up of a
randomised controlled trial. Br J Psy­
chiatry 182:312-318 (2003).
Hayes S.A., Hope D.A., VanDyke
M.M., Heimberg R.G.: Working alli­
ance for clients with social anxiety dis­
order: relationship with session help­
fulness and within-session habituation.
Cong Behav Ther 36, 34-42 (2007).
Hedges D.W., Brown B.L., Shwalb
D.A., Godfrey K., Larcher A.M.: The
efficacy of selective serotonin reuptake
inhibitors in adult social anxiety disor­
der: A meta-analysis of double-blind,
placebo-controlled trials. J Psy­
chopharmacol (Epub ahead of print)
(2006).
Heimberg R.G., Liebowitz M.R., Hope
D.A., et al.: Cognitive-behavioral
group therapy vs. phenelzine therapy
for social phobia: 2-week outcome.
Arch Gen Psychiatry 55: 1133-1141
(1998).
Heimberg R.G.: Cognitive behavioral
and psychotherapeutic strategies for
social anxiety disorder. Annual Meet­
ing of the Anxiety Disorders Associa­
tion of America. March 27-30, Toronto
(2006).
Heldt E., Blaya C., Kipper L., Salum
G.A., Otto M.W., Manfro G.G.: De­
fense mechanisms after brief cogni­
tive-behavior group therapy for panic
disorder: one-year follow-up. J Nerv
Ment Dis 195, 540-543 (2007).
Heldt E., Gus Manfro G., Kipper L., et
al.: One-year follow-up of pharmaco­
therapy restistant patients with panic
Kapfhammer
disorder treated with cognitive-behav­
iour therapy: Outcome and predictors
of remission. Behav Res Ther 44, 647665 (2006).
[92] Hicks T.V., Leitenberg H., Barlow
D.H., et al.: Physical, mental, and so­
cial catastrophic cognitions as prog­
nostic factors in cognitive-behavioral
and pharmacological treatment for
panic disorder. J Consult Clin Psychol
73: 506-514 (2005).
[93] Hoehn-Saric R.: Generalized anxiety
disorder in medical practice. Prim Psy­
chiatry 12: 30-34 (2005).
[94] Hoffmann S.O., Bassler M.: „Manual“
für fokal orientierte psychoanalytische
Psychotherapie bei Angststörungen.
Erste Erfahrungen aus einer Therapi­
estudie. Forum Psa 11:2–14 (1995).
[95] Hofmann S.G., Meuret A.E., Rosen­
field D., et al.: Preliminary evidence
for cognitive mediation during cogni­
tive-behavioral therapy of panic dis­
order. J Conult Psychol 75, 374-379
(2007).
[96] Hofmann S.G., Meuret A.E., Smits
J.A., et al.: Augmentation of exposure
therapy with D-cycloserine for social
anxiety disorder. Arch Gen Psychiatry
63: 298-304 (2006).
[97] Hunot V., Churchill R., Silva de Lima
M., Teixeira V.: Psychological thera­
pies for generalised anxiety disor­
der. Cochrane Database Syst Rev 24,
CD001848 (2007).
[98] Huppert J.D., Bufka L.F., Barlow D.H.
et al.: Therapists, therapist variables,
and cognitive-behavioral therapy out­
come in a multicenter trial for panic
disorder. J Consult Clin Psychol 69:
747-755 (2001).
[99] Ipser J.C., Carey P., Dhansay Y., et al.:
Pharmacotherapy augmentation strate­
gies in treatment-resistant anxiety dis­
orders. Cochrance Database Syst Rev.
18, CD005471 (2006).
[100] Jakobsen T., Rudolf G., Brockmann
J., et al.: Results of psychoanalytic
long-term therapy i specific diagnos­
tic groups: improvement in symptoms
and interpersonal relationship [article
in german]. Z Psychosom Med Psy­
chother 53, 87-110 (2007).
[101] Kampman M., Keijsers G.P.J., Hoog­
duin C.A.L., Hendriks G.J.: A rand­
omized, double-blind, placebo-control­
led study of the effects of adjunctive
paroxetine in panic disorder patients
unsuccessfully treated with cognitivebehavioral therapy alone. J Clin Psy­
chiatry 63: 772-777 (2002).
[102] Kapfhammer H.P.: Psychotherapie und
Pharmakotherapie. Eine Übersicht zur
Kombinationsbehandlung bei neuroti­
schen und Persönlichkeitsstörungen.
Psychotherapeut 43:331–351 (1998).
66
[103] Kapfhammer H.P.: Angststörungen.
In: Möller H.J., Laux G., Kapfham­
mer H.P. (Hrsg.) Psychiatrie und Psy­
chotherapie. 3. Aufl. Springer, Berlin
Heidelberg New York Tokyo (2007)
[104] Kaplan M.E., DuPont R.L.: Benzo­
dazepines and anxiety disorders: A re­
view for the practicing physician. Curr
Med Res Opin 21: 945-50 (2005).
[105] Kasper S., Stein D., Loft H. et al.:
Escitalopram in the treatment of social
anxiety disorder: Randomized, pla­
cebo-controlled, flexible dosage study.
Br J Psychiatry 186: 222-226 (2005).
[106] Katschnig H., Stein M.B., Buller R,
The International Multicenter Clinical
Trial Group on Moclobemide in Social
Phobia: Moclobemide in social pho­
bia: A double-blind, placebo-control­
led clinical study. Eur Arch Psychiatry
Clin Neurosci 247: 71-80 (1997).
[107] Katzelnick D.J., Kobak K.A., Greist
J.H., et al.: Sertraline for social pho­
bia: A double-blind, placebo-control­
led crossover study. Am J Psychiatry
152: 1368-1371 (1995).
[108] Kim T.S., Pae C.U., Yoon S.J., et al.:
Comparison of venlafaxine extended
release versus paroxetine for treatment
of patients with generalized anxiety
disorder. Psychiatry Clin Neurosci. 60,
347-351 (2006).
[109] Kinrys G., Soldani F., Hsu D., et al.:
Adjunctive tiagabine for treatment re­
fractory social anxiety disorder. Poster
presented at: Annual meeting of the
American Psychiatric Association.
May 1-6, New York (2004).
[110] Klein C., Milrod B., Busch F., Levy
K.N., Shapiro T.: A process-outcome
study of panic-focused psychodynam­
ic psychotherapy. Psa Inquiry 23: 308331 (2003).
[111] Klein D.F.: Anxiety reconceptualised.
Gleaning from pharmacological dis­
section: Early experience with imi­
pramine and anxiety. Mod Probl Phar­
macopsychiatry 22: 1-35 (1987).
[112] Kobak K.A., Griest J.H., Jefferson
J.W., Katzelnick D.J.: Fluoxetine in
social phobia: A double blind, placebocontrolled pilot study. J Clin Psychop­
harmacol 22: 257-262 (2002).
[113] Kroenke K., Messina N., Benattia I.,
Graepel J., Musgnung J.: Venlafax­
ine extended release in the short-term
treatment of depressed and anxious
primary care patients with multiso­
matoform disorder. J Clin Psychiatry
67: 72-80 (2006).
[114] Kuzma J.M., Black D.W.: Integrating
pharmacotherapy and psychotherapy
in the management of anxiety disor­
ders. Curr Psychiatr Rep 6: 268-273
(2004).
[115] Lader M.: Pharmacotherapy of mood
disorders and treatment discontinua­
tion. Drugs 67, 1657-1663 (2007).
[116] Ledgerwood L., Richardson R., Cran­
ney J.: D-cycloserine facilitates extinc­
tion of learned fear: Effects on reacqui­
sition and generalized extinction. Biol
Psychiatry 15:841-847 (2005).
[117] Leichsenring F., Beutel M., Leibing E.:
Psychodynamic psychotherapy for so­
cial phobia: a treatment manual based
on supportive-expressive therapy. Bull
Menninger Clin 71:56-83 (2007).
[118] Leichsenring F., Rabung S., Leibing
E.: The efficacy of short-term psy­
chodynamic psychotherapy in specific
psychiatric disorders: A meta-analysis.
Arch Gen Psychiatry 61: 1208-1216
(2004).
[119] Leichsenring F., Winkelbach C., Leib­
ing.: Die Generalisierte Angststörung
– Krankheitsmuster, Diagnostik und
Therapie. Z Psychosom Med Psy­
chother 48: 235-255 (2002).
[120] Lenox-Smith A.J., Reynolds A.: A
double-blind, randomised, placebocontrolled study of venlafaxine XR in
patients with generalized anxiety dis­
order in primary care. Br J Gen Pract
53: 772-777 (2003).
[121] Liebowitz M.R., DeMartinis N.A.,
Weihs K., et al.: Efficacy of sertraline
in severe generalized social anxiety
disorder: Results of a double-blind,
placebo-controlled study. J Clin Psy­
chiatry 64:785-792 (2003).
[122] Liebowitz M.R., Gelenberg A.J.,
Munjack D.: Venlafaxine extended
release vs placebo and paroxetine in
social anxiety disorder. Arch Gen Psy­
chiatry 62:190-198 (2005 a).
[123] Liebowitz M.R., Ginsberg D.L., Ninan
P.T., et al.: Integrating neurobiology
and psychopathology into evidencebased treatment of social anxiety dis­
order. CNS Spectr 10:1-16 (2005).
[124] Liebowitz M.R., Mangano R.M.,
Bradwein J., Asnis G.: A randomized
controlled trial of venlafaxine extend­
ed release in generalized social anxiety
disorder. J Clin Psychiatry 66:238-247
(2005 b).
[125] Liebowitz M.R., Schneider F., Campeas
R. et al.: Phenelzine vs atenolol in so­
cial phobia: A placebo-controlled com­
parison. Arch Gen Psychiatry 49:290300 (1992).
[126] Liebowitz M.R., Stein M.B., Tancer
M. et al.: A randomised, double-blind,
fixed-dose comparison of paroxetine
and pacebo in the treatment of gener­
alized social anxiety disorder. J Clin
Psychiatry 63: 66-74 (2002).
[127] Linden M., Zubrägel D., Bär T. et al.:
Efficacy of cognitive behaviour ther­
apy in generalized anxiety disorders.
Results of a controlled clinical trial
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
[128]
[129]
[130]
[131]
[132]
[133]
[134]
[135]
[136]
[137]
[138]
[139]
[140]
(Berlin CBT-GAD Study). Psychother
Psychosom 74: 36-42 (2005).
Lipsitz J.D., Gur M., Miller N.L., et
al.: An open pilot study of interperson­
al psychotherapy for panic disorder. J
Nerv Ment Dis 194:440-445 (2006).
Llorca P.M., Spadone C., Sol O., et
al.: Efficacy and safety of hydroxyzine
in the treatment of generalized anxi­
ety disorder: A 3-month double-blind
study. J Clin Psychiatry 63:1020-1027
(2002).
Lott M., Greist J.H., Jefferson J.W. et
al.: Brofaromine for social phobia: A
multicenter, placebo-controlled, dou­
ble-blind study. J Clin Psychopharma­
col 17: 55-260 (1997).
Marchesi C., Cantoni A., Fonto S., Gi­
anelli M.R., Maggini C.: Predicotors
of symptom resolution in panic disor­
der after one year of pharmacological
treatment: a naturalistic study. Phar­
macopsychiatry 39, 60-65 (2006).
Marcus S.M., Gorman, J., Shear M.K.,
et al.: A comparison of medication
side effect reports by panic disorder
patients with and without concomi­
tant cognitive behaviour therapy. Am J
Psychiatry. 164, 273-275 (2007).
Margraf J., Barlow D.H., Clark D.M.,
Telch M.J.: Psychological treatment of
panic: Work in progress on outcome,
active ingredients, and follow-up. Be­
hav Res Ther 31:1–8 (1993).
Marks I.M., Gray S., Cohen D. et al.:
Imipramine and brief therapist-aided
exposure in agoraphobics having selfexposure homework. Arch Gen Psy­
chiatry 40:153–162 (1983).
Marks I.M., Swinson R.P., Basoglu M.
et al.: Alprazolam and exposure alone
and combined in panic disorder with
agoraphobia. Br J Psychiatry 162:776–
778 (1993).
Marshall R.D.: Integrated treatment of
social phobia. Bull Menninger Clin 59
(Suppl A): A27–A37 (1995).
Mattick R.P., Peters L., Clarke J.C.:
Exposure and cognitive restructuring
for severe social phobia: A controlled
study. Behav Ther 20: 3-23 (1989).
Mavissakalian M.R., Michelson L.,
Dealy R.S.: Pharmacological treat­
ment of agoraphobia: Imipramine vs
imipramine with programmed practice.
Br J Psychiatry 143:348–355 (1983).
Mavissakalian M.R., Michelson L.:
Relative and combined effectiveness
of therapist-assisted in vivo exposure
and imipramine. J Clin Psychiatry
47:117–122 (1986 a).
Mavissakalian M.R., Michelson L.:
Two-year follow-up of exposure and
imipramine treatment of agorapho­
bia. Am J Psychiatry 143:1106–1112
(1986 b).
[141] Mavissakalian M.R., Perel J.M.: Clini­
cal experiments in maintenance and
discontinuation of imipramine in panic
disorder with agoraphobia. Arch Gen
Psychiatry 49:318–323 (1992).
[142] Mavissakalian M.R.: Combined behav­
ioral and pharmacological treatment
of anxiety disorders. In: Oldham JM,
Riba MB, Tasman A (eds) Review of
psychiatry, vol 12. American Psychiat­
ric Press, Washington/DC London, pp
565–584 (1993).
[143] Mavissakalian M.R.: The relationship
between panic disorder/agoraphobia
and personality disorders. Psychiatr
Clin North Am 13:661–684 (1990).
[144] Mentzos S.: Angstneurose. Psychody­
namische und psychotherapeutische
Aspekte. Fischer, Frankfurt/Main
(1984).
[145] Menza M.A., Dobkin R.D., Marin H.:
An open-label trial of aripiprazole aug­
mentation for treatment-resistant gen­
eralized anxiety disorder. J Clin Psy­
choopharmacol. 27, 207-210 (2007).
[146] Meyer J.K., Maletic V.: The clinical
and theoretical structures of adult pho­
bias. Psa Inquiry 11:333–350 (1991).
[147] Milrod B. L., Leon A.C., Barber J.P.,
Markowitz J.C., Graf E.: Do comorbid
personality disorders moderate panicfocused psychotherapy? An explora­
tory examination of the American Psy­
chiatric Association practice guideline.
J Clin Psychiatry 68, 885-891 (2007).
[148] Milrod B., Busch F., Leon A.C. et al.: A
pilot open trial of brief psychodynamic
psychotherapy for panic disorder. J
Psychother Pract Res 10:239–245
(2001).
[149] Milrod B., Busch F., Leon A.C., et
al.: Open trial of psychodynamic psy­
chotherapy for panic disorder: A pilot
study. Am J Psychiatry 157: 18781880 (2000).
[150] Milrod B., Leon AC, Busch F., et al.:
A randomized controlled clinical trial
of psychoanalytic psychotherapy for
panic disorder. Am J Psychiatry 164,
976-977 (2007).
[151] Milrod B.L., Busch F., Cooper A., Sha­
piro T.: Manual of panic-focused psy­
chodynamic psychotherapy. American
Psychiatric Press, Washington/DC
London (1997).
[152] Milrod B.L., Shear M.K.: Dynamic
treatment of panic disorder: A review. J
Nerv Ment Dis 179:741–743 (1991 a)
[153] Milrod B.L., Shear M.K.: Psychody­
namic treatment of panic: Three case
histories. Hosp Comm Psychiatry
42:311–312 (1991 b).
[154] Mineka S., Zinbarg R.: Condition­
ing and ethological models of social
phobia. In: Heimberg R.G., Liebowitz
M.R., Hope D.A. (eds.) Social phobia:
Diagnosis, assessment, and treatment.
67
[155]
[156]
[157]
[158]
[159]
[160]
[161]
[162]
[163]
[164]
[165]
[166]
Guilford, New York, pp 134–162
(1995).
Mitte K. A meta-analysis of the effi­
cacy of psycho- and pharmacotherapy
in panic disorder with and without
agoraphobia. J Affect Disord 88: 27-45
(2005).
Mitte K., Noack P., Steil R., Hautzinger
M.: A meta-analytic review of the ef­
ficacy of drug treatment in generalized
anxiety disorder. J Clin Psychophar­
macol 25:141-150 (2005).
Möller H.J., Volz H.P., Reimann I.W.,
Stoll K.D.: Opipramol for the treat­
ment of generalized anxiety disorder:
A placebo-controlled trial including an
alprazolam-treated group. J Clin Psy­
chopharmacol 21:59-65 (2001).
Montgomery S.A., Tobias K., Zornberg
G.L., Kasper S., Pande A.C.: Efficacy
and safety of pregabalin in the treat­
ment of generalized anxiety disorder:
1 6-week, multicenter, randomized,
double-blind, placebo-controlled com­
parison of pregabalin and venlafaxine.
J Clin Psychiatry 67, 771-782 (2006).
Morrison K.H., Bradley R., Westen
D.: The external validity of control­
led clinical trials of psychotherapy for
depression and anxiety: A naturalistic
study. Psychol Psychother 76:109-132
(2003).
Mörtberg E., Clark D.M, Sundin O.,
Aberg Wistedt A.: Intensive group
cognitive treatment and individual
cognitive therapy vs. treatment as
usual in social phobia: a randomized
controlled trial. Acta Psychiar Scand
115, 142-154 (2007).
Mühlbacher M., Nickel M.K., Nickel
C., et al.: Mirtazapine treatment of so­
cial phobia in women: A randomized,
double-blind placebo-controlled study.
J Clin Psychopharmacol 25:580-583
(2005).
Mula M., Pini S., Cassano G.B.: The
role of anticonvulsant drugs in anxi­
ety disorders: a critical review of the
evidence. J Clin Psychopharmacol 27,
263-272 (2007).
Muller J.E., Koen L., Seedat S., Stein
D.J.: Social anxiety disorder current
treatment recommendations. CNS
Drugs 19:377-391 (2005).
Nagoya T.A., Watanabe N., Churchill
R.: Combined psychotherapy plus an­
tidrepressants for panic disorder with
or without agoraphobia.Cochrane
Database Syst Rev. 24, CD004364
(2007).
Nemeroff C.B.: Use of atypical antip­
sychotics in refractory depression and
anxiety. J Clin Psychiatry 66 (suppl 8):
13-21 (2005).
Nimatoudis I., Zissis N.P., Kogeorgos
J. et al.: Remission rates with venla­
faxine extended release in Greek oup­
Kapfhammer
[167]
[168]
[169]
[170]
[171]
[172]
[173]
[174]
[175]
[176]
[177]
[178]
[179]
taients with neralized anxiety disorder:
A double-blind, randomized, placebo
controlled study. Int Clin Psychophar­
macol 19: 331-336 (2004).
Norton P.J., Price E.C.: A meta-analyt­
ic review of adult cognitive-behavioral
treatment outcome across the anxiety
disorders. J Nerv Ment Dis 195, 521531 (2007).
Noyes R., Moroz G., Davidson J.R.T.
et al.: Moclobemide in social phobia:
A controlled dose-response trial. J Clin
Psychopharmacol 17: 247-254 (1997).
Nutt D.J.: Overview of diagnosis and
drug treatments of anxiety disorders.
CNS Spectr 10: 49-56 (2005).
Öst L.G.: Rapid treatment of spe­
cific phobias. In: Davey G.C.L. (ed.)
Phobias. Wiley, New York, 227-246
(1997).
Öst L.G.: Spezifische Phobien: In:
Margraf J. (Hrsg.) Lehrbuch der Ve­
rhaltenstherapie, Bd 2, 2. Aufl. Spring­
er, Berlin Heidelberg New York, 29-42
(2000).
Otto M.W, Powers M., Smits J.A.J.:
Adding cognitive-behavioral therapy
to pharmacotherapy for panic disor­
der. Issues and strategies. CNS Spectr
9:32-39 (2005).
Otto M.W., Basden S.L., Leyro T.M.,
McHugh R.K., Hofmann S.G.: Clini­
cal perspectives on the combination of
D-cydloserine and cognitive-behavio­
ral therapy for the treatment of anxi­
ety disorder. CNS Spectr 12, 51-61
(2007).
Otto M.W., Gould R.A., Pollack M.H.:
Cognitive-behavioral treatment of
panic disorder: Considerations for the
treatment of patients over the long
term. Psychiatr Annals 24:307–315
(1994).
Otto M.W., Tuby K.S., Gould R.A.
et al.: An effect-size analysis of the
relative efficacy and tolerability of
serotonin selective reuptake inhibitors
for panic disorder. Am J Psychiatry
158:1989–1982 (2001)
Pande A.C., Davidson J.R., Jefferson
J.W., et al.: Treatment of social phobia
with gabapentin: A placebo-controlled
study. J Clin Psychopharmacol 19:341348 (1999).
Pande A.C., Feltner D.E., Jefferson
J.W., et al.: Efficacy of the novel
anxiolytic pregabalin in social anxiety
disorder: A placebo-controlled, multi­
center study. J Clin Psychopharmacol
24: 141-149 (2004).
Papp L.A., Schneier F.R., Fyer A.J. et
al.: Clomipramine treatment of panic
disorder: Pros and cons. J Clin Psy­
chiatry 58: 423-425 (1997).
Pohl R.B., Feltner D.E., Fieve R.R.,
Pande A.C.: Efficacy of pregabalin in
the treatment of generalized anxiety
68
[180]
[181]
[182]
[183]
[184]
[185]
[186]
[187]
[188]
[189]
[190]
disorder: Double-blind, placebo-con­
trolled comparison of BID versus TID
dosing. J Clin Psychopharmacol 25:
151-158 (2005).
Pollack M.H., Lepola U., Koponen
H., et al.: A double-blind study of the
efficacy of venlafaxine extended-re­
lease, paroxetine, and placebo in the
treatment of panic disorder. Depress
Anxiety 24, 1-14 (2007).
Pollack M.H., Otto M.W., Kaspi S.P.,
Hammerness P.G., Rosenbaum J.F.:
Cognitive therapy for treatment-refrac­
tory panic disorder. J Clin Psychiatry
55:200–205 (1994).
Pollack M.H., Simon N.M., Worthing­
ton J.J. et al.: Combined paroxetine
and clonazepam treatment strategies
compared to paroxetine monotherapy
for panic disorder. J Psychopharmacol
17: 276-282 (2003).
Pollack M.H., Zaninelli R., Goddard
A. et al.: Paroxetine in the treatment of
generalized anxiety disorder: Results
of a placebo controlled, flexible-dos­
age trial. J Clin Psychiatry 62: 350-357
(2001).
Pollack M.H.: The pharmacotherapy
of panic disorder. J Clin Psychiatry 66
(suppl 4): 23-27 (2005).
Power K.G., Simpson R.J., Swanson
V., Wallace L.A.: A controlled com­
parison of cognitive-behaviour thera­
py, diazepam, and placebo, alone and
in combination, for the treatment of
generalized anxiety disorder. J Anxiety
Disord 4:267–292 (1990).
Prasko J., Dockery C., Horacek J., et
al.: Moclobemide and cognitive be­
havioral therapy in the treatment of
social phobia. A six-month controlled
study and 24 months follow up. Neuro
Endocrinol Lett (Epub ahead of print)
(2006).
Pull C.B.: Combined pharmacotherapy
and cognitive-behavioural therapy for
anxiety disorders. Curr Opin Psychia­
try 20, 30-35 (2007).
Ressler K.J., Rothbaum B.O., Tannen­
baum L., et al.: Cognitive enhancers
as adjuncts to psychotherapy: Use of
D-cycloserine in phobic individuals to
facilitate extinction of fear. Arch Gen
Psychiatry 61: 1136-1144 (2004).
Rickels K., Mangano R., Khan A.: A
double-blind, placebo-controlled study
of a flexible dose of venlafaxine ER in
adult outpatients with generalized so­
cial anxiety disorder. J Clin Psychop­
harmacol 24:488-496 (2004).
Rickels K., Pollack M.H., Feltner
D.E., et al.: Pregabalin for treatment
of generalized anxiety disorder: a 4week, multicenter, double-blind, pla­
cebo-controlled trial of pregabalin and
alpazolam. Arch Gen Psychiatry 62,
1022-1030 (2005).
[191] Rickels K., Rynn M., Iyengar M., Duff
D.: Remission of generalized anxiety
disorder: A review of the paroxetine
clinical trials database. J Clin Psychia­
try 67: 41-47 (2006).
[192] Rickels K., Zaninelli R., McCafferty J.
et al.: Paroxetine treatment of general­
ized anxiety disorder: A double-blind,
placebo-controlled study. Am J Psy­
chiatry 160: 749-756 (2003).
[193] Rickels K.: Use of antianxiety agents
in anxious outpatients. Psychopharma­
col 58: 1-17 (1978).
[194] Rocah B.S.: A clinical study f a phobic
illness: The effects of traumatic scars
on symptom formation and treatment.
Psa Inquiry 11: 351-375 (1991).
[195] Rocca P., Fonzo V., Scotta M. et al.:
Paroxetine efficacy in the treatment of
generalized anxiety disorder. Acta Psy­
chiatr Scand 95: 444-450 (1997).
[196] Rodebaugh TL, Holaway RM, Heim­
berg RG (2004) The treatment of so­
cial anxiety disorder. Clin Psychol Rev
24: 883-908
[197] Rollman B..L, Belnap B.H., Mazum­
dar S., et al.: A randomized trial to im­
prove the quality of treatment for panic
and generalized anxiety disorders in
primary care. Arch Gen Psychiatry
62:1332-1342 (2005).
[198] Roozendaal B., Okuda S., de Quervain
D.J., McGaugh J.L.: Glucocorticoids
interact with emotion-induced no­
radrenergic activation in influencing
different memory functions. Neuro­
science 138: 901-910 (2006).
[199] Rosser S., Erskine A., Crino R.: Preex­
isting antidepressants and the outcome
of group cognitive behaviour therapy
for social phobia. Aust N Z J Psychia­
try 38, 233-239 (2004).
[200] Roth A., Fonagy P.: What works for
whom? A critical review of psycho­
therapy research. 2nd ed. Guilford
Press, New York, London (2005).
[201] Rudolf G., Grande T., Porsch U.: Die
Berliner Psychotherapiestudie. Z Psy­
chosom Med Psychoanal 34:2–18
(1988).
[202] Rudolf G., Manz R., Öri C.: Ergeb­
nisse psychoanalytischer Therapien. Z
Psychosom Med Psychoanal 40:25–40
(1994).
[203] Ruhmland M., Margraf J.: Effektivität
psychologischer Therapien von spe­
zifischer Phobie und Zwangsstörung:
Meta-Analysen auf Störungsebene.
Verhaltenstherapie 11: 14-26 (2001).
[204] Rynn M.A., Brawman-Mintzer O.: Ge­
neralized anxiety disorder: Acute and
chronic treatment. CNS Spectr 9: 716723 (2004).
[205] Schneier F.R., Goetz D., Campeas R.
et al.: Placebo-controlled trial of mo­
clobemide in social phobia. Br J Psy­
chiatry 172: 70-77 (1998).
Zur Psychotherapie und Pharmakotherapie der Angststörungen
[206] Schulz J.B.A., Gotto J.G., Rapaport
M.H.: The diagnosis and treatment
of generalized anxiety disorder. Prim
Psychiatry 12: 58-67 (2005).
[207] Scocco P., Barbieri I., Frank E.: Inter­
personal problem areas and onset of
panic disorder. Psychopathology 40,
8-13 (2007).
[208] Seedat S., Stein M.B.: Double-blind,
placebo-controlled assessment of
combined clonazepam with parox­
etine compared with paroxetine mono­
therapy for generalized social anxiety
disorder. J Clin Psychiatry 65: 244-248
(2004).
[209] Shear M.K., Pilkonis P.A., Cloitre M.,
Leon A.C.: Cognitive behavioral treat­
ment compared with nonprescriptive
treatment of panic disorder. Arch Gen
Psychiatry 51:395–401 (1994).
[210] Sheehan D., V., Harnett Sheehan K.:
Current approaches to the pharmaco­
logic treatment of anxiety disorders.
Psychopharmacol Bull 40, 09-109
(2007).
[211] Simon N.M., Safren S.A., Otto M.W.,
et al.: Longitudinal outcome with phar­
macotherapy in a naturalistic study of
panic disorder. J Affect Disord 69:
201-208 (2002).
[212] Simpson H.B., Schneider F.R,.
Campeas R., et al.: Imipramine in the
treatment of social phobia. J Clin Psy­
chopharmacol 18:132-135 (1998).
[213] Slaap B.R., Boer J.A. den: The predic­
tion of nonresponse to pharmacothera­
py in panic disorder: a review. Depress
Anxiety 14:112–122 (2001).
[214] Soravia L.M., Heinrichs M., Aerni A.
et al.: Glucocorticoids reduce phobic
fear in humans. Proc Natl Acad SCI
USA 103:5585-5590 (2006).
[215] Starcevic V., Berle D.: Cognitive spe­
cificity of anxiety disorders: A review
of selected key constructs. Depress
Anxiety 23: 51-61 (2006).
[216] Starcevic V.: Anxiety states: A re­
view of conceptual and treatment is­
sues. Curr Opin Psychiatry 19: 79-83
(2006).
[217] Stein D.J., Berk M., Els C., et al.: A
double-blind placebo-controlled trial
of paroxetine in the management of
social phobia (social anxiety disorder)
in South Africa. S Afr Med J 89:402406.(1999).
[218] Stein D.J., Stein M.B., Goodwin W.,
et al.: The selective serotonin reuptake
inhibitor paroxetine is effective in
more generalized and in less general­
ized social anxiety disorder. Psychop­
harmacology 158:267–272 (2001)
[219] Stein D.J., Westenberg H.G., Yang H.,
Li D., Barbato L.M.: Paroxetine treat­
ment of generalized social phobia (so­
cial anxiety disorder): A randomized
[220]
[221]
[222]
[223]
[224]
[225]
[226]
[227]
[228]
[229]
[230]
controlled trial. JAMA 26:708-713
(1998).
Stein M.B., Fyer A.J., Davidson J.R.,
Pollack M.H., Wiita B.: Fluvoxamine
treatment of social phobia (social anxi­
ety disorder): A double-blind placebocontrolled study. Am J Psychiatry
156:756-760 (1999).
Stein M.B., Kasper S., Andersen E.W.,
et al.: Escitalopram in the treatment of
social anxiety disorder: Analysis of ef­
ficacy for different clinical subgroups.
Depress Anxiety 20: 175-181 (2005
a).
Stein M.B., Pollack M.H., Bystritsky
A. et al.: Efficacy of low and higher
dose extended - release venlafaxine in
generalized social anxiety disorder: A
6-month randomized controlled trial.
Psychopharmacology 177: 280-288
(2005 b).
Stein M.B., Sareen J., Hami S., Chao
J.: Pindolol potentiation of paroxetine
for generalized social phobia: A dou­
ble-blind, placebo-controlled croos­
over study. Am J Psychiatry 158: 1721727 (2001).
Strauss B., Burgmeier-Lohse M.:
Evaluation einer stationären Langzeit­
gruppenpsychotherapie. Ein Beitrag
zur differentiellen Psychotherapiefor­
schung im stationären Feld. Psychother
Psychosom Med Psychol 44:184–192
(1994).
Stravynski A., Arbel N., Bounader J.,
et al.: Social phobia treated as a prob­
lem in social functioning: A controlled
comparison of two behavioural group
approaches. Acta Psychiatr Scand 102:
188-198 (2000).
Susman J., Klee B.: The role of highpotency benzodiazepines in the treat­
ment of panic disorder. Prim Care
Companion J Clin Psychiatry 7: 5-11
(2005).
Taylor S.: Meta-analysis of cognitivebehavioral treatments for social pho­
bia. J Behav Ther Exp Psychiatry 27:
1-9 (1996).
Telch M.J., Agras W.S., Taylor C.B.,
et al.: Combined pharmacological and
behavioral treatment for agoraphobia.
Behav Res Ther 23:325–335 (1985).
Thase M.E., Jindal R.D.: Combining
psychotherapy and psychopharmacol­
ogy for treatment of mental disorders.
In: Lambert M.J. (ed.) Bergin and
Garfield´s Handbook of psychotherapy
and behaviour change. 5th ed.John
Wiley & Sons, New York, 743-766
(2004).
Trull T.J., Nietzel M.T., Maier A.: The
use of meta-analysis to assess the clini­
cal significance of behavior therapy for
agoraphobia. Behav Ther 19: 527-538
(1988).
69
[231] Turk C.L., Lerner J., Heimberg R.G.,
Rapee R.M.: An integrated cognitivebehavioral model of social anxiety. In:
Hofmann S.G., Di Bartolo P.M. (eds.)
From social anxiety to social phobia:
Multiple perspectives. Allyn, Bacon,
Heedham Heights, 281-303 (2002).
[232] Van Ameringen M., Mancini C., Pipe
B., Bennett M.: Optimizing treatment
in social phobia: A review of treatment
resistance. CNS Spectr 9: 753-762
(2004).
[233] Van Ameringen M., Mancini C., Wil­
son C.: Buspirone augmention of se­
lective serotonin reuptake inhibitors
(SSRIs) in social phobia. J Affect Dis­
ord 39: 115-121 (1996).
[234] van Balkom A.J., Bakker A, Spin­
hoven P. et al.: A meta-analysis of the
treatment of panic disorder with and
without agoraphobia: A comparison of
psychopharmacological, cognitive-be­
havioral, and combination treatments.
J Nerv Ment Dis 185: 510-516 (1997).
[235] Van den Hout M, Arntz A, Hoekstra R
(1994) Exposure reduced agoraphobia
but not panic, and cognitive therapy
reduced panic but not agoraphobia.
Behav Res Ther 32:447–451
[236] Van Vliet I.M., den Boer J.A., West­
enberg H.G.: Psychopharmacological
treatment of social phobia: Clinical and
biochemical aspects of brofaromine, a
selective MAO-A inhibitor. Eur Neu­
ropsychopharmacol 2: 21-29 (1992).
[237] Van Vliet I.M., den Boer J.A., West­
enberg H.G.: Psychopharmacological
treatment of social phobia: A double
blind placebo controlled study with
fluvoxamine.
Psychopharmacology
115: 128-134 (1994).
[238] Vanelli M.: Improving treatment re­
sponse in panic disorder. Prim Psy­
chiatry 12: 68-73 (2005).
[239] Versiani M., Nardi A.E., Figueria J. et
al.: Double-blind placebo-controlled
trial with bromazepam in social pho­
bia. J Brasil de Psiquiutria 46: 167-171
(1997).
[240] Versiani M., Nardi A.E., Mundim
F.D., et al.: Pharmacotherapy of social
phobia: A controlled study with mo­
clobemide and phenelzine. Br J Psy­
chiatry 161: 353-360 (1992).
[241] Watanabe N., Churchill R, Furukawa
T.A.: Combination of psychotherapy
and benzodiazepines versus either
therapy alone for panic disorder: a sys­
tematic review. BMC Psychiatry 14,
18 (2007).
[242] Wells A., Papageorgiou C.: Brief cog­
nitive therapy for social phobia: a case
series. Behav Res Ther 39:713–720
(2001).
[243] Westen D., Morrison K.: A multidi­
mensional meta-analysis of treatments
for depression, panic, and generalized
Kapfhammer
anxiety disorder: An empirical exami­
nation of the status of empirically sup­
ported therapies. J Consult Clin Psy­
chol 69:875–899 (2001).
[244] Wiborg I.M., Dahl A.A.: Does brief
dynamic psychotherapy reduce the re­
lapse rate of panic disorder? Arch Gen
Psychiatry 53:689-694 (1996).
[245] Zerbe K.J.: Uncharted waters: Psy­
chodynamic considerations in the di­
agnosis and treatment of social phobia.
Bull Menninger Clin 58 (Suppl A)
A3–A20 (1994).
70
[246] Zitrin C.M., Klein D.F., Woerner M.G.:
Treatment of agoraphobia with group
exposure in vivo and imipramine. Arch
Gen Psychiatry 37:63–72 (1980).
[247] Zitrin C.M., Klein D.F., Woerner M.G.:
Treatment of phobias I: Comparison of
imipramine hydrochloride and place­
bo. Arch Gen Psychiatry 40:125–138
(1983).
Univ. Prof. Dr.med. Dr.phil.
Hans-Peter Kapfhammer
Klinik für Psychiatrie
Medizinische Universität Graz
[email protected]
Übersicht
Review
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 71–82
Depressive Symptome und das Idiopathische
Parkinson Syndrom (IPS): Ein Review
Giancarlo Giupponi1, Roger Pycha2, Andreas Erfurth3,
Armand Hausmann4 und Andreas Conca5
1
Psychiatrische Dienste Bozen, Italien
2
Psychiatrische Dienste Bruneck, Italien
3
Univ.-Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Wien
4
Univ.-Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck
Abteilung für Psychiatrie, Landeskrankenhaus Rankweil
5
Schlüsselwörter:
Idiopathisches Parkinsonsyndrom – organische Depression – Diagnose – Therapie
Keywords:
ideopathic parkinson’s syndrome – organ-
den. Dopamin-Agonisten der neuen
Generation und Antidepressiva sind
die Basis der medikamentösen Behandlung. Ein auf theoretischen
Überlegungen basierender therapeutischer Algorithmus wird tabellarisch
vorgestellt.
ic depression – diagnosis – therapy
Depressive Symptome und das
Idiopathisches Parkinson Syndrom
(IPS): Ein Review
Das IPS ist mit einer Prävalenz von
2% die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Neben den psychotischen, kognitiven und Verhaltensstörungen, welche dieses Syndrom begleiten, fokussieren die Autoren auf
die Pathogenese, Klinik und Therapie
depressiver Symptome im Rahmen
des IPS. Metaanalytische Daten sprechen von einer durchschnittlichen
Prävalenz depressiver Symptome von
31%. Bei der Depression im Rahmen
einer Parkinsonerkrankung liegt eine
komplexe Verflechtung psychologischer und biologischer Faktoren vor,
welche klinisch schwierig zu fassen
ist da die Symptome sich von typischen depressiven Bildern unterschei© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
Depressive symptoms and the
Ideopathic Parkinson’s Syndrome
(IPS): A review
The prevalence of the Ideopathic
Parkinson’s Syndrome sums up to
2% and ranks second in the list of
neurodegenerative diseases. Beside
psychotic, cognitive and behavioral
symptoms that go along with the IPS,
the authors focus on epidemiology,
pathogenesis as well as diagnosis and
therapy of depressive symptoms seen
in the context of IPS. Metaanalytic
data on the prevalence of depressive
symptoms sum up to 31%. As depression in IPS relies on a complex
interaction of psychological and biological causes the clinical picture is
difficult to assess because symptomatology differs from classical depression. Dopamine agonists as well as
antidepressants present the mainstay
in biological therapeutic interventions. A therapeutic algorithm based
on theoretical considerations is presented.
Einleitung
Das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS-Morbus Parkinson-) ist
mit einer altersabhängigen Prävalenz
von 2% eine der häufigsten neurologischen Störungen. Meist liegt der
Erkrankungsbeginn dieser nach dem
Morbus Alzheimer zweithäufigsten
neurodegenerativen
Erkrankung
zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr. [1,2] Die Störung war seit jeher
aufgrund ihrer typischen motorischen
Symptome wie Tremor, Rigor, Hypokinese und Haltungsinstabilität als
rein neurologisch definiert, obwohl in
den Erstbeschreibungen von Parkinson 1871 und von Charcot und Vulpian 1861-62 auch markante psychiatrische Symptome zu finden sind und
die Erkrankung in den letzten Jahren
zunehmend routinemäßig auch die
Psychiatrie beschäftigt.
Diese späte Aufmerksamkeit erklärt
sich einerseits aus der diagnostischen
Vorliebe der Ärzte für das sichtbare
und leicht prüfbare motorische Bild
und anderseits aus der defensiven
Haltung einiger psychiatrischer
Schulrichtungen gegenüber den als
„organisch“ definierten Krankheiten
und ihren psychischen Aspekten.
Man überließ oft den Neurologen das
Feld, und diese fokussierten auf andere Symptome.
Giupponi, Pycha, Erfurth, Hausmann, Conca
Moderne Behandlungsmöglichkeiten
der motorischen Krankheitskomponente hatten verbesserte Lebensqualität und verlängerte Lebenserwartung zur Folge, und die stürmische
Entwicklung der Neuropsychiatrie
machte therapeutische Eingriffe zur
Besserung der psychischen Symptomatik systematisch möglich, sodass das Augenmerk der behandelnden Ärzte zunehmend auch auf
psychiatrische Aspekte fallen konnte.
Die Lebensqualität von Parkinsonpatienten wird jenseits der motorischen
Einschränkungen auch durch, kognitive und affektive Defizite beschnitten. [3] Die Stimmung beeinflusst offenbar unabhängig vom motorischen
Bild die Schmerzsymptomatik [4], die
Compliance, die kognitive Leistung,
die organische Symptomatik [5], die
Lebensqualität der Patienten und belastet die Beziehung zu Angehörigen
und Helfern – weshalb es angezeigt
ist, sich mit ihr auseinanderzusetzen.
[6,7,8].
Klassifikation der psychiatrischen
Aspekte
Das psychiatrische Spektrum des IPS
ist 4 großen Segmenten zuordenbar:
1. Die kognitiven Störungen: Betroffen sind zu Beginn der Erkrankung vorwiegend die frontalen exekutiven Funktionen
.[9] Sie können Ausdruck eines
neurodegenerativen Prozesses
sein , der allmählich zu einer
Demenz, aber auch zu fokalen
kognitiven Defiziten führt; Abzugrenzen sind sie von medikamentös induzierten Verwirrtheitszuständen und von kognitiven
Störungen im Rahmen einer
Depression, die allerdings überzufällig häufig bei Parkinsonpatienten Vorläufer einer dementiellen Entwicklung sind. [10]
2. Die
affektiven
Störungen:
Entsprechend der Diagnosekriterien nach ICD 10 können sie
als depressive Episode, Dysthymie, Anpassungsstörung und
Angststörung klassifiziert werden.
3. Die psychotischen Störungen:
Dabei kann man ein hirnorganisch begründbares paranoid
halluzinatorisches Syndrom (wie
z.B. Delirium, Halluzinose und
Verwirrtheitszustand mit und
ohne medikamentöse Einflüsse)
von depressiven Episoden ev.
mit psychotischen Symptomen
abgrenzen. [11]
4. Die Verhaltensstörungen: Sie
hängen mit der Akzentuierung
der Persönlichkeitsmerkmale zu­
sam­men und sind vielen psycho­
organischen Störungen gemein.
Epidemiologie depressiver
Symptome
Die depressiven Symptome Energieund Antriebsarmut, motorische Verlangsamung, Insomnie, geringer oder
übermäßiger Appetit, Konzentrationsund Entscheidungsfindungsstörungen
entsprechen den Symptomen des IPS.
Dieser Umstand limitiert eine eindeutige epidemiologische Beurteilung
der Komorbidität. So ist es auch nicht
verwunderlich, dass in Abhängigkeit
von Methodik und Diagnosekriterien
die Prävalenz der Depression bei Parkinsonpatienten von 4 bis 75% variiert. [12] Eine profunde Metaanalyse
mit 45 Studien und 5911 ParkinsonPatienten ergibt eine durchschnittliche Prävalenz von 31% mit einer
Varianz von 20-40%. Diese leitet sich
aus 42,4% unter Anwendung präziser
nosologischer Kriterien, aus 37,5%
bei Verwendung von Beurteilungsskalen und aus 23,7% bei klinischer Diagnosestellung ohne Hilfsmittel ab.
Die durchschnittliche Prävalenz der
Analyse ist immerhin doppelt so hoch
wie die 16% Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung. [13,14, 15, 16]
Eine weltweite Studie der WHO mittels des BDI (Beck Depression Inventory) ergab eine Prävalenz depressiver
Symptome bei 50% der Patienten. Dabei waren sich nur 2% der Patienten
der Depression bewusst und nur 1%
der Helfer nahm sie wahr. [17]
72
Nicht immer ist eine typische depressive Episode diagnostizierbar. Diese
Schwierigkeit besteht üblicherwiese
bei der Beurteilung älterer Patienten,
bei denen depressive Symptome insgesamt zu selten diagnostiziert werden. Depressive Symptome, die nicht
ausreichend sind, um eine Depression
zu diagnostizieren, sind bei 20% der
über 65jährigen zu beobachten und
werden häufig als Nebenwirkungen
von Pharmakotherapien fehlgedeutet.
Einige Autoren [18] beschreiben eine
seltene Komorbidität zwischen IPS
und Major Depression (7,7% der
Fälle), während leichte depressive
Syndrome oder einzelne depressive
Symptome sehr häufig seien (45,5%).
Am häufigsten bestehen einzelne
depressive Symptome (bei mehr als
50% der Patienten) [1], die zur Diagnose einer Anpassungsstörung führen
und eine wenngleich geringfügige
funktionelle Beeinträchtigung nach
sich ziehen.
Risikofaktoren für eine Depression
bei Parkinsonpatienten sind weibliches Geschlecht [18], Depression in
der Vorgeschichte [19], früher Beginn der Parkinsonerkrankung (vor
dem 55. LJ) [20], Rechtslastigkeit
der motorischen Symptome (19)
oder atypisches IPS (rigordominante,
akinetische oder vaskuläre Formen).
[21]
Nicht unerwähnt sollte auch die Tatsache bleiben, dass die Parkinsonkrankheit per se schwierig zu diagnostizieren ist. Selbst wenn von Experten
nach standardisierten Kriterien durchgeführt, zeigen post mortem Untersuchungen (der Gold-Standard)
eine Fehlerrate von bis zu 25 %.[22]
Pathogenese
Grundsätzlich liegen zwei Erklärungsmodelle affektiver Störungen,
nämlich ein reaktives und ein biologisches, vor.
Depressive Symptome und das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS): Ein Review
Die reaktive Hypothese sieht eine
psychische Reaktion auf die zunehmenden körperlichen Beeinträchtigungen im Vordergrund. Diese
Reaktion ist allen chronischen und
invalidisierenden Krankheiten gemeinsam, tritt aber bei IPS häufiger
auf und scheint nicht linear mit dem
Schweregrad der Erkrankung zu korrelieren. [23] Autoren wie Liebermann bezweifeln diese Häufigkeit
grundsätzlich und führen als Argument dafür das Fehlen von Scham-,
Schuld- und Traurigkeitsgefühlen an;
die vorhandene oder nicht vorhandene
Dysfunktionalität des dopaminerg dominierten mesokortikalen Regelkreises, der den orbitofrontalen Kortex
(OFC) mit einschließt, könnte dabei
von entscheidender Relevanz sein.
Die biologische Hypothese bezieht
sich auf die neurochemische Basisstörung, nämlich den Dopaminmangel. Die Symptome Apathie
und Anhedonie lassen sich dem
subkortikalen Regelkreis Ncl Accumbens, Ventrales Striatum, über
den Ventralen Globus Pallidus zum
Thalamus und dem vorderen Gyrus
Cinguli und wiederum zurück zum
Ncl. Accumbens zuschreiben; dieser Regelkreis liegt in unmittelbarer
anatomisch-funktioneller Nachbar­
schaft zum motorischen nigrostriatalen System, welches von der Substantia Nigra zum Dorsalen Striatum,
vom Dorsalen Globus Pallidus zum
Thalamus, weiter zum supplementorischen motorischen Kortex und
zurück ins Dorsale Striatum zieht.
[24] Weitere Symptome der Depression lassen sich auch zwei anderen
subkortikalen- kortikalen Regelkreisen 1. vom OFC übers Caudatum
zum Globus Pallidus, Thalamus und
zurück zum OFC und 2. dem dorsolateralen Präfrontalen Kortex (DLPFC)
übers Caudatum zum Globus Pallidus, weiter zum Thalamus und zurück
zum DLPFC zuordnen. [25]
Neben diesem Dopaminmangel im
Putamen, im lateralen Hypothalamus, im Nucleus Accumbens und im
Nucleus Caudatus konnte auch eine
herabgesetzte serotonerge Aktivi-
tät im temporalen Pol des Nucleus
Caudatus und im frontalen Pol des
Hippocampus sowie in den dorsalen
Raphe Kernen und im Liquor nachgewiesen werden; da allerdings Serotonin die dopaminerge Ausschüttung
im Striatum hemmt, könnte diese
Reduktion auch als ein adaptativer
Prozeß verstanden werden. So könnte auch erklärt werden, weshalb die
Depression häufig dem IPS vorausgeht und weshalb eine Behandlung
mit SSRI einen Parkinson erst demaskiert. [26, 27, 28] Andererseits
konnten Scholtissen und Mitarbeiter
2006 in funktionellen Testversuchen
nachweisen, dass die nicht-spezifische serotonerge Aktivität und die selektive HT-5 1 A Rezeptor-Modulation selbst im frühen Stadium des IPS
weder die kognitive Leistung noch
die Stimmung direkt beeinflussen,
sehr wohl aber die Bradykinese. [29]
Auch in den noradrenergen und cholinergen Systemen sind Dysfunktionalitäten bei Parkinsonpatienten mit
depressiven Störungen nachgewiesen
worden. [30,31,32] Diese Ergebnisse
sind durch PET- und MRI-Befunde
belegt [33, 34, 35, 36, 37] und erneuern die Hypothesen des Gleichgewichtes zwischen diesen beiden Neurotransmittern und ihrer Bedeutung
für die Modulation der Stimmung,
des Antriebs, der Psychomotorik,
des Affekt-Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Konzentration.
Allerdings wäre es verfehlt, einzelne
Neurotransmitter oder „TransmitterPaare“ für die Erklärung eines dynamischen komplexen Prozesses, wie
ihn die depressive Störung an sich,
und umso mehr die Komorbidität mit
dem IPS, darstellt, heranzuziehen.
Die Vielfalt und Variabilität der funktionellen Störung der Neurotransmitter und ihrer verschiedenen Rezeptoren in diversen Hirnregionen sind für
die Heterogeneität der psychischen
Symptome und für den Schweregrad
der Depression verantwortlich. [38]
Einblicke in die Pathophysiologie der
affektiven Störungen gibt uns auch
die tiefe Hirnstimulation. Die Stimulation des Ncl Subthalamicus, aber
73
auch angrenzender Regionen kann
unabhängig von der motorischen Besserung mit depressiven, manischen,
panischen, aber auch rasch wechselnden Stimmungszuständen einhergehen, sogar eine erhöhte Inzidenz an
Suizidalität wurde beschrieben. [39,
40] Andererseits wurden auch deutliche positive und andauernde Effekte
auf die Stimmung und Neurokognition beobachtet. [41]
Die Anatomie mit der unmittelbaren Nachbarschaft zum Ventralen
Tegmentum, dem dopaminergen Ursprung der mesolimbischen und mesokortikalen Bahnen und die direkt
und indirekt mit dem Ncl. Subthalamicus in Verbindung stehenden katecholaminergen und serotonergen
Pfade erklären dessen eigenständigen
Beteiligung an der Entsehung affektiver Prozesse. Bei einem Volumen des
Ncl subthalamicus von 10 mm Breite,
6 mm Tiefe und 8 mm Länge mit ca
540.000 Neuronen, die in 3 funktionelle (motorische, assoziative und
limbische) Gruppen mit entsprechenden subkortikalen-kortikalen Verbindungen unterteilt sind, kann es leicht
geschehen, dass innerhalb der Struktur oder in angrenzenden Regionen
nicht selektiv mitstimuliert wird, was
auch die zum Teil widersprüchlichen
Beschreibungen der Psychopathologie erklären würde. [42,43]
Klinisch-diagnostische
Aspekte
Die psychopathologische Aussagekraft der affektiven Symptome wird
durch die motorischen Defizite eingeschränkt. Diese verändern die üblichen Grenzen der Dauer, Flüssigkeit,
Modulierbarkeit und Intensität des
motorischen Ausdrucks, die im Verlauf des psychiatrischen Gesprächs
eine Unterscheidung zwischen physiologischen und pathologischen
Schwankungen der Affekte ermög­
lichen.
Das Gespräch, die Haltung, die Gestik, die Mimik des Gesichts, die
Giupponi, Pycha, Erfurth, Hausmann, Conca
unwillkürliche Körpersprache (die
vom autonomen System gesteuert
wird), der motorische Antrieb und die
Schlafstörung dürfen die Diagnose
nur partiell beeinflussen. Beinahe alle
Beurteilungsskalen der Depression,
die richtigerweise bei reinen Depressionen auch deren motorische Komponente berücksichtigen, ergeben bei
Parkinsonpatienten fälschlicherweise
erhöhte Depressionswerte. Deshalb
sollten bei IPS am ehesten jene Instrumente Verwendung finden, die
motorische und somatische Aspekte
der Depression kaum berücksichtigen. Um diese Schwierigkeiten zu
vermeiden, empfehlen einige Autoren, auf die subjektiven Depressionsempfindungen der Patienten, wie
Leeregefühl, Verzweiflung, Affektarmut und Anhedonie zu fokussieren.
Eine Ausnahme liegt vor, wenn die
depressiven Symptome der Parkinsonerkrankung vorausgehen. Das Risiko depressiver Patienten, ein IPS zu
entwickeln wird mit 3.13 angegeben.
[44] In diesen Fällen, die Früherkrankungen mit mäßigem Schweregrad
und positiver Familienanamnese darstellen (ca. 25 % aller Fälle) [45,23]
folgen die motorischen Symptome
dem depressiven Bild und erschweren die Diagnose nicht. Offen bleibt,
ob die affektiven Symptome Frühzeichen des IPS sind oder eben ein erhöhtes Risiko darstellen; dabei wäre
auch zu klären, ob depressive Symptome nicht überhaupt ein „allostatic
load“ für neurodegenerative Störungen bedeuten (siehe Zusammenhang
Depression-IPS; Depression-Alzhei­
mer; Depression-cerebrovaskuläre
Störungen). [46] In diesem Fall erübrigt sich die Diskussion um den
Begriff der „reaktiven Depression“,
da ein Patient nicht auf eine schwere chronische Erkrankung depressiv
reagieren kann, an der er noch nicht
leidet. Darüber hinaus stützen bedeutsame Befunde die Hypothese einer biologischen Genese der Depression, auch wenn die Unterscheidung
zwischen „endogen“ und „reaktiv“
ein komplexes Phänomen bleibt. [47]
Die klinische Ausprägung der depressiven Störung ist auch von anderen
Faktoren wie der medikamentösen
Behandlung und allfälligen Nebenwirkungen, dem fortgeschrittenen Alter mit seinen psychosozialen Implikationen, der psychischen Reaktion
auf motorische Einschränkung und
Behinderung, der eventuellen Beteiligung anderer höherer Hirnfunktionen
und der Komorbidität mit anderen
Krankheiten abhängig. [48]
So liegt bei der Depression im Rahmen einer Parkinsonerkrankung eine
komplexe Verflechtung psychologischer und biologischer Faktoren vor.
Grundsätzlich werden drei Varianten
beschrieben: Die depressive Episode
(die ca. bei 50% der Fälle vorliegt),
die Anpassungsstörung (die ca. die
zweite Hälfte der Fälle ausmacht)
und ein depressives Bild kombiniert
mit Angst-Paniksymptomatik (das
eine kleine Minderheit der Fälle ausmacht) (49). Die Persönlichkeit des
Patienten und die Schwierigkeiten,
das Auftreten oder die Verschlechterung der Erkrankung zu akzeptieren,
nehmen Einfluss auf den Krankheitsverlauf der depressiven Störung und
des IPS. [50]
Der
Zusammenhang
zwischen
Schwere­grad der Beeinträchtigung,
be­sonderen motorischen Symptomen (wie rechter Hemiparkinson, im
Vordergrund stehende Bradykinesie
oder Rigor), kognitiven Störungen,
Erkrankungsalter und Depression ist
trotz der Ergebnisse einiger Studien
Gegenstand offener Diskussionen.
Die Persönlichkeit des Patienten ist
ein bedeutsames Element aller psychiatrischen Störungen und beeinflusst
auch bei Parkinsonpatienten den
Ausdruck affektiver Symptome. Die
Persönlichkeitsmerkmale können die
Symptome im Sinn einer Glättung
oder Verstärkung modulieren. Vor allem bei älteren Patienten treten maskierte oder somatisierte Depressionen
sehr häufig auf.
Einige Autoren haben eine prämorbide Persönlichkeit zu definieren
versucht, die von rigiden, introvertierten, ängstlichen und zu Abhän-
74
gigkeit neigenden Verhaltensweisen
bestimmt wäre. Allerdings bleibt
unklar, ob dieses Bild nicht einem
unauffälligen Krankheitsbeginn mit
noch wenig evidenten Symptomen
entspricht. [13]
Um dennoch einen praktikablen und
flexiblen Umgang mit den gängigen
Diagnosesystemen zu gewährleisten
und in der Diagnostik kategorial
(=syndrom-orientiert) vorzugehen,
sind die Symptom- und Zeit-Kriterien der Affektiven Störung und der
Depressiven Episode nach DSM IV in
Tabelle 1 und 2 angeführt. Präzisere
Angaben sind den Handbüchern des
DSM IV oder des ICD 10 zu entnehmen [51,52].Wie oben beschrieben
sind die von den Patienten angegebenen Symptome oft nicht zureichend,
um die Diagnose einer Major Depression zu stellen, sondern erfüllen die
Kriterien einer leichten depressiven
Störung oder einer Dysthymie (Tabelle 2). [19]
Die Symptome der Depression bei
IPS scheinen sich von typischen depressiven Bildern abzuheben. Einige
Autoren [53,54,55] haben in diesem
Fall das Fehlen bestimmter Symptome wie negative Selbsteinschätzung, Schuld- oder Versagensgefühle, Selbstanklage, Selbsthass oder
Selbstbestrafung bemerkt. Andere
Autoren unterstrichen eine starke
Dysphorie, Ängstlichkeit und pessimistische Zukunftssicht, sowie
eine Reizbarkeit und gedankliche
Auseinandersetzung mit dem Suizid
bei geringer Tendenz zur Verwirklichung. Halluzinationen träten bei
entsprechenden depressiven Episoden selten auf. Die Untersuchung der
psychopathologischen Unterschiede
hat die Hypothese genährt, IPS-Patienten entwickelten auch auf der Basis
biologischer Besonderheiten andere Depressionsformen als Patienten
mit typischen affektiven Störungen.
[56] Van Praag hat eine ängstlich/
dysphorisch/irritable Form, die mit
Serotoninmangel korreliert sein soll,
von einer Form mit Einschränkungen
der Motivation und des Antriebs, die
Depressive Symptome und das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS): Ein Review
75
Diagnostische Kriterien im DSM IV für die Affektive Störung Aufgrund von (in diesem Fall einem Morbus Parkinson)
(293.83). Im ICD 10 wird diese Störung organische depressive Störung (F06.32) genannt.
A Eine bedeutsame und dauerhafte Störung der Stimmung beherrscht das klinische Bild und ist von einem (oder beiden) der
folgenden Symptome gekennzeichnet:
1. gedrückte Stimmung oder markanter Verlust von Interesse oder Freude an (beinahe) allen Aktivitäten
2. gehobene, expansive oder gereizte Stimmung
B Aus Anamnese, körperlicher Untersuchung oder Laborbefunden geht hervor, dass die Störung die direkte körperliche Folge
eines medizinischen Krankheitsfaktors ist.
C Das affektive Störungsbild kann nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden (z. Bsp. Anpassungsstörung
mit depressiver Stimmung), die sich als psychische Reaktion auf die psychosoziale Belastung, an einer körperlichen Krankheit
zu leiden, entwickelt.
D Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf eines Delirs auf.
E Die Symptome führen zu klinisch bedeutsamen Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
Diagnostische Kriterien für die Major Depression (296.2x). Im ICD 10 heißt diese Störung depressive Episode (F32.xx)
A Vorliegen einer Episode einer Major Depression (siehe unten).
B Die Episode ist nicht eher als Schizoaffektive Störung einordenbar und ist nicht einer Schizophrenie, einer Schizopfreniformen
Störung, Wahnhaften Störung oder einer Anderen Psychotischen Störung superponiert.
C Eine Manische, Hypomanische oder Gemischte Episode war nie vorhanden.
Kriterien des DSM IV für eine Episode einer Major Depression
A Fünf (oder mehrere) der folgenden Symptome sind gleichzeitig während zweier Wochen vorhanden und bedingen eine
Veränderung gegenüber dem vorbestehenden Funktionszustand, mindestens eines der Symptome ist
1. gedrückte Stimmung oder
2. Verlust von Interessen und Freude (subjektiv beschrieben oder objektiv beobachtet)
3. Gedrückte Stimmung fast den ganzen Tag über und beinahe jeden Tag, die vom Betroffenen beschrieben (er fühlt sich z. B. traurig und leer)
oder von anderen beobachtet wird (erscheint z. B. klagsam)
4. Markante Interesse- oder Freudlosigkeit beinahe den ganzen Tag über und fast jeden Tag
5. Signifikanter Gewichtsverlust ohne Diät oder Gewichtszunahme (z.B. um mehr als 5% des Körpergewichts in 1 Monat) oder Verlust oder
Steigerung des Appetits beinahe jeden Tag
6. Insomnie oder Hypersomnie fast jeden Tag
7. Agitiertheit oder psychomotorische Verlangsamung fast täglich (von anderen beobachtet, nicht allein subjektiv empfunden)
8. Müdigkeit und Energieverlust fast täglich
9. Übertriebene und inadäquate Minderwertigkeits- und Schuldgefühle (die wahnhaft sein können) beinahe täglich (sie gehen über die einfachen
Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle wegen der Erkrankung hinaus)
10. Fast täglich reduzierte Denk-, Konzentrations- oder Entscheidungsfähigkeit (subjektiver Eindruck oder beobachtbares Phänomen)
11. Wiederkehrende Todesgedanken (nicht bloße Angst vor dem Tod), wiederkehrende Suizidideen ohne oder mit konkretem Suizidplan, Suizidversuche
B Es liegt keine Gemischte Episode vor.
C Die Symptome verursachen klinisch bedeutsamen Leidensdruck oder Einschränkungen in sozialen, beruflichen oder anderen
wichtigen Funktionsbereichen.
D die Symptome sind nicht auf die direkte körperliche Wirkung oder Nebenwirkung einer Substanz (Droge, Medikament) und
nicht auf einen medizinischen Krankheitsfaktor (z. B Hypothyreose) zurückführen lassen.
E Die Symptome sind nicht leichter durch Trauer erklärbar: Sie persistieren nach dem Verlust einer geliebten Person länger als 2
Monate oder sind von deutlicher funktioneller Beeinträchtigung, pathologischen Minderwertigkeitsgefühlen, Suizidgedanken,
psychotischen Symptomen oder psychomotorischer Verlangsamung begleitet.
Tabelle 1:Kategoriale Kriterien für depressive Störungen nach DSM IV
Giupponi, Pycha, Erfurth, Hausmann, Conca
76
Diagnostische Krierien des DSM IV für die Dysthymie (300.4, entspricht im ICD 10 F34.1)
A Depressive Stimmung den größten Teil des Tages über, beinahe täglich, laut Angabe des Betroffenen und Beobachtung anderer, für mindestens 2 Jahre
B
1. 2. 3. 4. 5. 6. Vorhandensein von zwei oder mehreren der folgenden Symptome während der depressiven Verstimmung:
geringer oder übermäßiger Appetit
Insomnie oder Hypersomnie
wenig Energie oder Asthenie
geringes Selbstvertrauen
Konzentrations- und Entscheidungsfindungsstörungen
Verzweiflung
C Während der 2 Krankheitsjahre war der Betroffene nie für länger als ununterbrochene 2 Monate frei von den unter A oder B
aufgezählten Symptomen
D Während der ersten 2 Krankheitsjahre war keine Episode einer Major Depression präsent, d.h., die Störung kann nicht eher als
chronische Major Depression oder als Major Depression in Teilremission beschrieben werden.
E Es war nie eine manische, gemischte oder hypomanische Episode vorhanden, auch die Kriterien für eine zyklothyme Störung
sind nie erfüllt gewesen.
F Die Erkrankung manifestiert sich nicht ausschließlich während einer chronischen psychotischen Störung, wie Schizophrenie
oder wahnhafte Störung.
G Die Symptome sind nicht unmittelbar von einer Substanz oder einem medizinischen Krankheitsfaktor verursacht.
H Die Symptome verursachen klinisch relevante Leidenszustände oder Beeinträchtigungen des sozialen, beruflichen oder anderer wichtiger Bereiche.
Tabelle 2:Kategoriale Kriterien für depressive Störungen nach DSM IV
durch Noradrenalin- und Dopaminmangel erklärbar ist, abgegrenzt. [57]
Alexopoulos hat eine bevorzugt die
Exekutivfunktionen einschränkende
Form beschrieben, die vor allem ältere Patienten mit psychomotorischer
Verlangsamung und Apathie beträfe.
Diese Form könnte durch Defizite in
den frontostriatalen Bahnen und an
den D3-Rezeptoren erklärt werden
und geringes Ansprechen auf Antidepressiva und Chronifizierungsneigung zur Folge haben. [58] Kirsch
et al. konnten hingegen zeigen, dass
gerade die Apathie ein typisches
Symptom des IPS ist und nicht der
Depression. [59] Teilweise werden
diese verschiedenen Befunde von
Ehrt et al. [60] bestätigt; was heißt,
dass geriatrische depressive Patienten
ohne IPS im Vergleich zu denen mit
IPS deutlich weniger Konzentrationsstörungen hatten, aber ausgeprägtere depressive Stimmungslagen und
Schuldgefühle, allerdings auch eine
bedeutendere Antriebslosigkeit.
Eigens zu erwähnen und mit therapeutischen Konsequenzen verbunden
ist die mit 60% hohe Inzidenz der isolierten Schlafstörung beim IPS. Sie
geht häufig mit einem hohen depressiven Score einher und kann deshalb
im Rahmen eines Syndroms missverstanden werden. [61]
Therapie
Jede medikamentöse antidepressive
Therapie muss Teil eines ganzheitlichen Therapieplans sein, der psychologische und soziale Maßnahmen
einschließt. Der Patient soll eingehend über die Krankheit aufgeklärt
und mit einem übersichtlichen Therapiekonzept vertraut gemacht werden,
um seine Motivation und Beteiligung
an der Behandlung möglichst groß zu
halten. Auch über den Ablauf einer
antidepressiven Therapie und ihre
Wirkungsweise sind Patient und Angehörige eingehend und wiederholt
aufzuklären. Die erwünschte Wirkung von Antidepressiva tritt nach 24 Wochen ein, manchmal sind sogar 6
Wochen Wirklatenz zu erwarten.[62]
Depressive Symptome und das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS): Ein Review
In aller Regel treten Nebenwirkungen
deutlich früher auf als der antidepressive Effekt. Über diesen Umstand
müssen Patienten und ihre Angehörigen genau informiert werden, damit
die Therapie nicht noch vor dem Wirkungseintritt abgebrochen wird. Mitund Zusammenarbeit (compliance
und adhearence) sind die Schrittmacher jeder Therapie!
Zwei große Substanzklassen (Dopamin-Agonisten der neuen Generation
und Antidepressiva) sind die Basis
der medikamentösen Behandlung.
1. Die Dopamin-Agonisten der
neuen Generation
Die zur Behandlung der motorischen
Symptome verwendeten Substanzen
besitzen aufgrund ihrer dopaminergen
Wirkung auch einen antidepressiven
Effekt.
Stimmungsschwankungen
sind während Levodopa-Therapien,
vor allem während der on/off-Phasen,
beschrieben worden. Pramipexol und
Ropinerol, Dopaminagonisten auf
D2- und D3-Rezeptoren , sind sogar
mit Erfolg zur Augmentation bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt worden. [63] Die antidepressive
Wirkung scheint mit der D3-Rezeptoraffinität zu korrelieren [64]
Der D3 Rezeptor ist in mesolimbischen Regelkreisen vom ventralen
Mesencephalon, über den Ncl. Accumbens und den Amygdalae weitläufig exprimiert. [65] Eine eindeutige antidepressive Wirksamkeit von
Pramipexol bei geringer Nebenwirkungsrate ist in zwei offenen Studien (n=724) nachgewiesen worden.
[66,67,68] Denselben Effekt von Pramipexol ergab auch eine placebokontrollierte Studie. [69]
77
2. Antidepressiva
Zur medikamentösen Therapie der
Depression bei IPS gibt es viele offene Studien und Fallberichte, aber
wenige placebokontrollierte Doppelblindstudien. [70] Die wenigen vorhandenen Studien beschränken sich
vorwiegend auf die Verwendung von
Trizyklika, entsprechen selten den
üblichen Standards und sind zudem
in ihrem Design heterogen, was einen
Vergleich schwierig macht. [71]
In der Vergangenheit hat die Verwendung der üblichen Beurteilungsskalen (die für diese Störung nicht
korrekt validiert sind) eine präzise
Erfassung des affektiven Zustandes
von Parkinsonpatienten erschwert.
[72,73] Der Database Cochrane
(2003) [74] spricht von mangelndem
Wirk­samkeitsnachweis der Elektrokonvulsionstherapie, der Verhaltens-
Antidepressiva mit vorwiegender oder selektiver Hemmung der Serotoninwiederaufnahme
Trizyklika wie Clomipramin mit vorwiegender Serotonin-Wiederaufnahmehemmung
Citalopram, Sertralin, Paroxetin, Fluxetin und Fluvoxamin als selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
Venlafaxin als selektiver Serotonin-, und in höheren Dosen auch als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Nefazodon als vorwiegender Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Antagonist am 5HT2-Rezeptor
Antidpressiva mit vorwiegender oder selektiver Hemmung der Noradrenalin-Wiederaufnahme
Trizyklika wie Nortriptylin oder Desipramin mit vorwiegender Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung
Reboxetin als vorwiegender Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Tetrazyklika wie Maprotilin mit vorwiegender Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung
Mianserin als vorwiegender Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und Antagonist der Histamin-, 5HT2-, Alpha-1-, und Alpha-2-Rezeptoren.
Antidepressiva mit Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung
Trizyklika wie Apitriptylin, Imipramin, Doxepin,Venlafaxin, Duloxetin, Milnacipran
Antidepressiva mit bevorzugter oder selektiver Dopamin-Wiederaufnahmehemmung
Bupropion
Monoaminooxydase-Hemmer
Moclobemid als selektiver reversibler MAO-A-Hemmer
Tranylcipromin als irreversibler nicht selektiver MAO-Hemmer
Andere Wirkmechanismen
Phytopharmaka: Hypericum soll ein schwacher Serotonin-, Noradrenalin- und Dopaminwiederaufnahmehemmer sein
Mirtazapin ist ein Alpha-2- (und ein schwächerer Alpha-1)Rezeptorblocker, antagonisiert aber auch die Histamin-, 5HT2- und 5HT3-Rezeptoren
und verstärkt auf indirekte Weise die noradrenerge und serotonerge Transmission
Trazodon ist ein schwacher Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und ein 5HT2-, und Alpha-1-Rezeptorantagonist
Tabelle 3:Einteilung der Antidepressiva nach ihrer primären Wirkung im ZNS
Giupponi, Pycha, Erfurth, Hausmann, Conca
therapie und der Antidepressiva. Eine
Metaanalyse aus dem Jahr 2005, die
ca. dreißig Publikationen zum Thema
berücksichtigt und 11 davon in die
Metaanalyse inkludiert, ergibt einen
unspezifischen positiven Effekt der
antidepressiven Behandlung trotz
mangelnder signifikanter Unterschiede zu Placebo. Die Patienten schienen
die Antidepressiva gut zu tolerieren
und keine Verschlechterung des IPS
zu erleiden. [75]
Die antidepressiven Substanzen werden gemeinhin nach ihrer chemischen Beschaffenheit oder nach ihrer
Hauptwirkung im ZNS eingeteilt (Tabelle 3)
Serotonin, Noradrenalin und teilweise
auch Dopamin scheinen eine bedeutsame Rolle bei der Pathophysiologie
der Depression zu spielen. Fast alle
auf dem Markt befindlichen Antidepressiva wirken über eine Hemmung
der Wiederaufnahme oder eine Blockade des abbauenden Enzyms auf
einen oder mehrere der genannten
Transmitter. Neben den SSRI`s ist
Bupropione hervorzuheben. Es wirkt
als selektiver Dopamin- und Noradrenalin- Wiederaufnahme-Hemmer.
Wegen dieses Wirkmechanismus
bietet es sich zur Depressions- und
Parkinson-Behandlung von Patienten
mit IPS geradezu an. Aber es fehlen
die kontrollierten Studien; in Fallberichten zumindest werden positive
Effekte auf die Symptome des IPS
beschrieben: Während die psychoaktive Wirksamkeit bescheiden ist,
kann die Tagesmüdigkeit positiv beeinflusst werden. [76,77]
Nur wenige Antidepressiva, wie zum
Beispiel Mirtazapin, Trazodon, Trimipramin oder die Phytopharmaka
weisen alternative Wirkmechanismen auf. Jenseits ihrer Hauptwirkung
beeinflussen Antidepressiva zentral
auch das Azetylcholin-, das Histamin- und weitere Systeme. Daraus
abgeleitete Effekte bedingen das spezifische Profil des Antidepressivums
mit und sind oft für Nebenwirkungen
verantwortlich (Tabelle 4 und 5).
78
Blockade der muskarinartigen Azetylcholinrezeptoren
1. Akkomodatonsstörungen
2. Mundtrockenheit
3. Obstipation
4. Sinustachykardie
5. Miktionsstörungen, Harnverhalten
6. Zentrales anticholinerges Syndrom mit Kurzzeitgedächnisstörungen,
Verwirrtheit, Delir
Blockade der Histaminrezeptoren
1. Müdigkeit
2. Sedierung
3. Gewichtszunahme
4. Desorientiertheit, Verwirrtheit
Blockade der 5HT-2-Rezeptoren
1. Gewichtszunahmen
2. Angstlösende Wirkung
3. Sedierung
Blockade der Dopaminrezeptoren
1. Prolaktinerhöhung
2. Libidoreduktion
3. Extrapyramidal-motorische Bewegungsstörungen
Blockade der adrenergen Alpha-1-Rezeptoren
1. Orthostatische Hypotonie
2. Vertigo
3. Müdigkeit
4. reflektorische Tachykardie
Tabelle 4:Durch postsynaptische Rezeptorblockade verursachte
Nebenwirkungen
Bei Therapiebeginn (erste 2 – 4 Wochen): Angst, Agitation, sexuelle Funk­tionsstörungen,
Inappetenz und Gewichtsverlust, Reizbarkeit, Nausea, ­ Erbrechen, Kopfschmerzen,
Schweißausbrüche
5HT2A-Rezeptoren
1. Angst
2. Agitation
3. Störungen der Sexualfunktion (persisitieren)
5HT2C-Rezeptoren
1. Inappetenz, Gewichtsverlust
2. Reizbarkeit
5HT3-Rezeptoren
1. Nausea
2. Erbrechen
3. Kopfschmerzen
Durch Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung verursachte Nebenwirkungen
1. Tremor
2. Tachykardie
3. Agitation
4. Kopfschmerz
5. Miktionsstörungen
6. Schweißausbrüche
7. Mundtrockenheit
Tabelle 5: Nebenwirkungen der Serotonin-Wiederaufnahmehemmung
Depressive Symptome und das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS): Ein Review
79
Therapiephase
Procedere
Beginn
Berücksichtigung nicht-pharmakologischer Faktoren wie Infekte und Dehydrierung
Absetzen/Reduktion nicht notwendiger Medikamente und Beginn der
Antiparkinsontherapie; Psychoedukation, Soziotherapie, Physiotherapie und Sport,
kognitive VT
Optimierung der
Antiparkinson-Therapie
Gabe von Dopaminagonisten der neuen Generation wie Pramipexol als Mono- oder
Kombinationstherapie; ev. Absetzen von MAO-B-Hemmern
(z.B. Selegilin)
mindestens 4-6
Wochen
Antidepressive Therapie
1. Wahl
SSRI: z.B.
Sertralin (Einstiegsdosis 50 mg/d , steigern bis 150 mg/d)
Citalopram (Einstieg 20 mg/d, steigern bis 40 mg/d),
Paroxetin (Einstieg 20 mg/d, steigern bis 40 mg/d: cave Interaktion CYP 2D6!)
mindestens 4-6
Wochen
antidepressive Therapie
2. Wahl
SNRI: z.B. Reboxetin (Einstieg 4 mg/d, steigern bis 8 mg/d)
SDNRI: z.B. Bupropion (Einstieg 150 mg/d, steigern 300 mg/d) wenn auch nicht
zugelassen manchmal 450 mg/d
Cave Epileptische Anfälle besonders bei Essgestörten
mindestens 4-6
Wochen
antidepressive Therapie
3. Wahl
Kombination von SSRI und SNRI oder Gabe von SSNRI , z.B.
Venlafaxin (Einstiegsdosis 150 mg/d, steigern bis 225 mg/d) oder Duloxetin
(60 mg/d)
mindestens 4-6
Wochen
antidepressive Therapie
4. Wahl
Gabe von Trizyklika: z.B.
Clomipramin (Einstiegsdosis 150 mg/d, steigern bis 250 mg/d)
Amitriptylin (Einstieg 150 mg/d, steigern bis 225 mg/d),
mindestens 4-6
Wochen
antidepressive Therapie
5. Wahl
Kombination Antidepressiva und Schlafentzug oder Lithium
(cave Kreatinin, Cl und Kognitive Störungen)
mindestens 4-6
Wochen
Absetzen der antidepressiven Therapie.
Diagnostische Neubeurteilung (Ausschluss von Demenz oder anderen progressiven
organischen Erkrankungen); eventuell Wiederholung der gesamten Diagnostik.
1 bis 4 Wochen
antidepressive Therapie
6.Wahl
Gabe von MAO-Hemmern, z.B.
Moclobemid (Einstieg 300 mg/d, steigern bis 600 mg/d)
Erfahrungsgemäss reichen 600 mg nicht aus. 1200 mg sind oft notwendig
(wenn auch nicht zugelassen Tranylcipromin (Einstieg 10 mg/d, steigern bis 30mg/d)
antidepressive Therapie
7. Wahl
ECT
antidepressive Therapie
8. Wahl
TMS und VNS
Tabelle 6: Algorithmus der ambulanten Depressionsbehandlung beim IPS
Dauer
Giupponi, Pycha, Erfurth, Hausmann, Conca
Bei der Behandlung von (vor allem
älteren) Parkinsonpatienten ist die
Beurteilung des körperlichen Zustandes von besonderer Wichtigkeit, um
Interaktionen mit anderen Krankheitsbildern oder pharmakologischen
Therapien zu vermeiden. Beim älteren Patienten tritt die Wirkung von
Pharmaka grundsätzlich später ein,
auch soll die Therapie mit besonders
niedrigen Einstiegsdosen begonnen
werden, um das Intoxikationsrisiko
zu senken. Einem Patienten mit ausgeprägten kognitiven Störungen, der
unter Sedierung und Harnretention
leidet, ist von der Verwendung eines
Trizyklikums abzuraten, weil anticholinerge und anithistaminische Nebenwirkungen die Compliance eher
verschlechtern und das Erreichen
eines suffizienten Wirkspiegels wahrscheinlich verunmöglichen würden.
Hingegen könnte ein jüngerer Patient
von der anticholinergen Wirkung auf
seine motorische Störung und vom
sedierenden antihistaminischen Effekt profitieren.
tigen Wirkungseinritt verbessern
und den Effekt der Antidepressiva
steigern. Die häufigste flankierende
Behandlung nach den Benzodiazepinen stellen atypische Antipsychotika
und Hormone dar. Weitere hilfreiche
Behandlungsversuche können der
Schlafentzug, die Lichttherapie und
die TMS sein; für die Elektrokonvulsionstherapie liegen positive Ergebnisse aus Fallserien vor [78] .
Es fehlen also evidenzbasierte Daten
nach denen man fundierte TherapieEmpfehlungen und -Schritte geben
könnte. So fußt der von den Autoren
zusammengestellte
BehandlungsAlgorithmus (Tabelle 6) nur auf den
wenigen kontrollierten Studien zu
den SSRI`s, überwiegend aber auf
Studien zu Fallserien, einzelnen Kasuistiken und fundierter aber theoretischer Wirkmodelle.
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
Literatur
[1]
Auch wenn die höchste Evidenzstufe
für die Wirksamkeit medikamentöser
antidepressiver Behandlungen bei
dieser Indikation fehlt, ist es aufgrund
zahlreicher empirischer Befunde
unter Einbezug der Nebenwirkungsund Sicherheitsprofile der einzelnen
Substanzen möglich, im Sinne einer
individuellen Nutzen/Risiko Abwägung konsensuelle Therapie-Empfehlungen abzugeben.
Grundsätzlich wird eine Monotherapie mit einer niedrigen Einstiegsdosis
empfohlen, wobei die Substanz zu
bevorzugen ist, die bereits in der Vergangenheit gute Wirkung gezeigt hat
und ein möglichst günstiges Nebenwirkungsprofil aufweist. Falls auch
nach geeigneter Dosiserhöhung kein
therapeutisches Ansprechen erfolgt,
kann zu einer antidepressiven Kombinationsbehandlung übergegangen
werden
Auch eine symptomatische Begleittherapie ( z. B. bei starker Angstkomponente mit einem Benzodiazepin)
kann die Compliance durch sofor-
80
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
McDonald W.M., Richard I.H., Delong
M.R.: Prevalence, Etiology, and Treatment of Depression in Parkinson´s Disease. Biol Psychiatry 54(3): 363-375
(2003).
Leentjens A.F.: Depression in Parkinson’s disease: Conceptual issues and
clinical challenges. J Geriatr Psychiatry
Neurol 7: 120 – 126 (2004).
Hobson P., Golden A., Meara J.: Measuring the impact of Parkinson’s disease
with the Parkinson’s Disease Quality of
life questionnaire. Age Ageing 28: 341346 (1999).
Friedman J.H., Fernandez H.H.: The
non-motor problems of Parkinson’s disease. Neurologist 6: 18-27 (2000).
Torta R., Borio R.: Depressione e demenza:manifestazioni sindromiche e
differenziazione categoriale. Quaderni
Italiani di Psichiatria XVIII (2): 5-15
(1999).
Caap-Ahlgren M., Dehlin O.: Insomnia
and depressive Symptoms in patients
with Parkinson’s disease. Relationship
to health- related quality of the life.
An interview study of patients living at
home. Arch Gerontol Geriatr 32: 23-33
(2001).
Kuopio A.M., Marttila R.J., Helenius H.,
Toivonen M., Rinne U.K.: The life quality in Parkinson’s disease. Mov Disord
15: 216-223 (2000).
[15]
[16]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
Global Parkinson’s Disease Survey
Steering Committee. Factors impacting
on life quality in Parkinson’s disease:
Results from an international survey.
Mov Disord 17: 60-67 (2002).
Silberman C.D., Laks J., Capitão C.F.,
Rodrigues C.S., Moreira I., Vasconcellos
L.F., Engelhardt E.: Frontal functions in
depressed and nondepressed Parkinson's
disease patients: impact of severity stages. Psychiatry Res 149: 285-289 (2007).
Lieberman A.: Are dementia and depression in Parkinson's disease related? J
Neurol Sci 248: 138-142 (2006)
Weintraub D., Morales K.H., Duda J.E,.
Moberg P.J., Stern M.B.: Frequency and
correlates of co-morbid psychosis and
depression in Parkinson's disease. Parkinsonism Relat Disord 12(7): 427-431
(2006).
Allain H., Schuck S., Mauduit N.: Depression in Parkinson´s disease. Br Med
J 320(7245): 1287-1288 (2000).
Slaughter J.R., Slaughter K.A., Nichols
D.: Prevalence, Clinical Manifestations,
Etiology and Treatment of Depression in
Parkinson’s Disease. J Neuropsychiatry
Clin Neurosci 13: 187-196 (2001).
Lieberman A.: Depression in Parkinson's
disease- a review. Acta Neurol Scand
113: 1-8 (2006).
Brooks D.J., Doder M.: Depression in
Parkinson's disease. Curr Opin Neurol14: 465- 470 (2001).
Kessler R.C., Berglund P., Demler O.:
National Comorbidity Survey Replication. The epidemiology of major depressive disorder: results from the National
Comorbidity Survey Replication (NCSR). JAMA 289: 3095-3105 (2003).
Yamamoto M.: Depression in Parkinson’s disease: its prevalence, diagnosis,
and neurochemical background. J Neurol 248 (Suppl 3): III: 5-11 (2001).
Tandberg E., Larsen J.P., Aarsland D.:
The occurence of depression in Parkinson’s disease. Arch Neurol 53: 175-179
(1996).
Starkstein S.E., Preziosi T.J., Buldoc
P.L., Robinson R.G.: Depression in Parkinson’s disease. J Nerv Ment Dis 178:
27-31 (1990)
Cole S.A., Woodard J.L., Juncos J.L.,
Kogos J.L., Youngstrom E.A., Watts
R.L.: Depression and disability in
Parkinson´s disease. J Neuropsychiatry
Clin Neurosi 8: 20-25 (1996).
Tanderberg E., Larsen J.P., Aarsland D.,
Laake K., Cummings J.L.: Risk factors
for depression in Parkinson disease.
Arch Neurol 54: 625-630 (1997).
Hughes A.J., Daniel S.E., Kilford L.: Accuracy of clinical diagnosis of idiopathic
Parkinson’s disease: clinico-pathological
study of 100 cases. J Neurol Neurosurg
Psychiatry 55:181-185 (1992).
Depressive Symptome und das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS): Ein Review
[23] Tom T., Cummings J.L.: Depression in
Parkinson’ s disease. Pharmacological
characteristics and treatment. Drugs Aging 12: 55-74 (1998).
[24] Cummings J.L.: Frontal-subcortical circuits and human behavior. Arch Neurol.
50: 873-880 (1993).
[25] Alexander G.E., DeLong M.R., Strick
P.L.: Parallel organization of functionally segregated circuits linking basal ganglia and cortex. Annual Rev Neurosci. 9:
357- 381 (1986).
[26] Van Praag H.M., De Haen S.: Central
serotonergic metabolism and frequency
of depression. Psychiatr Res 1: 219-224
(1979).
[27] Leo R :J. : Movement disorders associated with the serotonin selective reuptake
inhibitors. J Clin Psychiatry 57; 449-454
(1996).
[28] Gerber P.E., Lynd L.D.: Selective serotonin reuptake inhibitor-induced movement disorder. Ann Pharmacother 32:
692-698 (1998).
[29] Scholtissen B., Verhey F.R., Adam J.J.,
Weber W., Leentjens A.F.: Challenging
the serotonergic system in Parkinson
disease patients: effects on cognition,
mood, and motor performance. Clin
Neuropharmacol 29: 276-85 (2006).
[30] Hornykiewicz O., Kish S.J.: Biochemical pathophysiology of Parkinson’s disease. Adv Neurol 45: 19-34 (1986).
[31] Remy P., Doder M., Lees A., Turjanski
N-, Brooks D.: Depression in Parkinson's disease: loss of dopamine and
noradrenaline innervation in the limbic
system. Brain 128: 1314-1322 (2005).
[32] Bohnen N.I., Kaufer D.I. Hendrickson
R., Constantine G.M,. Mathis C.A.,
Moore R.Y.: Cortical cholinergic denervation is associated with depressive
symptoms in Parkinson's disease and
parkinsonian dementia. J Neurol Neurosurg Psychiatry 78: 641-643 (2007).
[33] Mayberg H.S., Solomon D.H.: Depression in Parkinson´s disease: a biochemical and organic viewpoint. Adv Neurol
65: 49-60 (1995).
[34] Becker T., Becker G., Seufert J., Hoffmann E., Lange K.W., Naumann M.,
Lindner A., Reichmann H., Riederer P.,
Beckmann H., Reiners K.: Parkinson´s
disease and depression: evidence for
an alteration of the basal limbic system
detected by transcranial sonography. J
Neurol Neurosurg Psychiatry 63: 590596 (1997).
[35] Piccini P.: Neurodegenerative movement
disorders: the contribution of functional
imaging. Curr Opin Neurol 17(4): 45966 (2004).
[36] Sossi V., de la Fuente-Fernandez R.,
Holden J.E., Schulzer M., Ruth T.J.,
Stoessl J.: Changes of dopamine turnover
in the progression of Parkinson's disease
as measured by positron emission tom-
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42]
[43]
[44]
[45]
[46]
[47]
[48]
[49]
ography: their relation to disease-compensatory mechanisms J Cereb Blood
Flow Metab 24(8): 869-76 (2004).
Kerenyi L., Ricaurte G.A., Schretlen
D.J., McCann U., Varga J., Mathews
W.B., Ravert H.T., Dannals R.F., Hilton
J., Wong D.F., Szabo Z.: Positron emission tomography of striatal serotonin
transporters in Parkinson disease. Arch
Neurol. 60(9): 1223-1239 (2003).
Torta R.: Depressione, Parkinson ed Epilessia. Mediserve, Milano, (1995)
Anderson V.C., Burchiel K.J., Hogarth
P., Favre J., Hammerstad J.P.: Pallidal vs
subthalamic nucleus deep brain stimulation in Parkinson disease. Arch Neurol.
62: 554-560 (2005).
Perriol M.P., Krystkowiak P., Defebvre
L., Blond S., Destée A., Dujardin K.:
Stimulation of the subthalamic nucleus
in Parkinson's disease: cognitive and affective changes are not linked to the motor outcome. Parkinsonism Relat Disord
12: 205-210 (2006).
Kalteis K., Standhardt H., KryspinExner I., Brücke T., Volc D., Alesch F.:
Influence of bilateral Stn-stimulation on
psychiatric symptoms and psychosocial
functioning in patients with Parkinson's
disease. J Neural Transm. 113: 1191-206
(2006).
Kopell B.H., Greenberg B., Rezai A.R.:
Deep brain stimulation for psychiatric
disorders. J Clin Neurophysiol 21: 51-67
(2004).
Temel Y., Blokland A., Steinbusch H.W.,
Visser-Vandewalle V.: The functional
role of the subthalamic nucleus in cognitive and limbic circuits. Prog Neurobiol.
76: 393-341 (2005).
Leentjens A.F., Van den Akker M.,
Metsemakers J.F.: Higher incidence of
depression preceding the onset of Parkinson's disease: a register study. Mov
Disord 18: 414- 418 (2003).
Santamaria J., Tolosa E., Valles A.: Parkinson’s disease with depression: a possibile subgrup of idiopathic parkinsonism. Neurology 36: 1130-1133 (1986).
McEwen B.S.: Protective and damaging
effects of stress mediators: central role
of the brain. Dialogues Clin Neurosci 8:
367-81 (2006).
Menza M.A., Colbe L.I., Cody R.A.,
Forman N.E.: Dopamine-related personality traits in Parkinson´s disease. Neurology 45: 505-508 (1993).
Papapetropoulos S., Ellul J., Argyriou
A.A., Chroni E., Lekka N.P.: The effect
of depression on motor function and
disease severity of Parkinson's disease.
Clin Neurol Neurosurg. 108: 465-469
(2006).
Schiffer R.B., Kurlan R., Rubin A., Boer
S.: Evidence for atypical depression in
Parkinson's disease. Am J Psychiatry
145(8): 1020-1022.(1988).
81
[50] Costa A., Peppe A., Carlesimo G.A., Pasqualetti P., Caltagirone C.: Major and
minor depression in Parkinson's disease:
a neuropsychological investigation. Eur
J Neurol. 13: 972-80 (2006).
[51] American Psychiatric Association.
DSM- IV-TR Manuale diagnostico e statistico dei disturbi mentali Text Revision
Masson (2001)
[52] WHO. ICD-10 Classificazione delle sindromi e dei disturbi psichici e comportamentali. Guida tascabile; Masson (1996)
[53] Brown R.G., MacCarthy B., Gotham
AM et al. Depression and disability in
Parkinson’s disease: a follow-up study
of 132 cases. Psychol Med 18: 49-55
(1988).
[54] Meco G.: I disturbi psichiatrici nei disordini del movimento. “tb today” vol 18,
(suppl 3) (1994).
[55] Gasparini M., Fabrizio E., Alessandrini A., Meco G. Morbo di Parkinson e
Depressione, Studio Descrittivo. Atti
XXII Riunione LIMPE, Trieste 457-464
(1995).
[56] Mayberg H.S., Solomon D.H.: Depression in Parkinson’s disease: a biochemical and organic viewpoint. Adv Neurl
65: 49-60 (1995).
[57] van Praag H.M.: 5-HT-related, anxietyand/or aggression-driven depression. Int
Clin Psychopharmacol 9 (Suppl 1): 5-6
(1994).
[58] Alexopulos G.S.: The depression-executive dysfunction syndrome of late life:
a specific target for D3 agonists? Am J
Geriatr Psychiatry 9: 22-29 (2001).
[59] Kirsch-Darrow L., Fernandez H.H.,
Marsiske M., Okun M.S., Bowers D.:
Dissociating apathy and depression in
Parkinson disease. Neurology 11, 67:
33-38 (2006).
[60] Ehrt U., Brønnick K., Leentjens A.F.,
Larsen J.P., Aarsland D.: Depressive
symptom profile in Parkinson's disease:
a comparison with depression in elderly
patients without Parkinson's disease.
Int J Geriatr Psychiatry 21(3): 252-258
(2006).
[61] Gjerstad M.D., Wentzel-Larsen T., Aarsland D., Larsen J.P.: Insomnia in Parkinson's disease: frequency and progression
over time. J Neurol Neurosurg Psychiatry 78(5): 476-479 (2007).
[62] Gelenberg A.J., Chesen C.L .: How fast
are antidepressants? J Clin Psychiatry
61(10):712-21 (2000).
[63] Corrigan M.H., Denahan A.Q., Wright
C.E., Ragual R.J., Evans D.L.: Comparison of pramipexole, fluoxetine, and placebo in patients with major depression.
Depress Anxiety 12: 58-65 (2000).
[64] Maj J., Rogoz Z., Skuza G., Kolodziejczyk K.: Antidepressant effects of promipexole, a novel dopamine receptor
agonist. J Neural Transm 104: 525-533
(1997).
Giupponi, Pycha, Erfurth, Hausmann, Conca
[65] Cummings J.L.: D-3 receptor agonists:
combined action neurologic and neuropsychiatric agents. J Neurol Sci 163:
2-3 (1999).
[66] Barone P., Scarzella L., Marconi R., Antonini A., Morgante L., Braccco F., Zappia M., Musch B.: Pramipexole versus
sertraline in the treatment of depression
in Parkinson´s disease. J Neurol 253:
601-607 (2006).
[67] Lemke M.R., Brecht H.M., Koester J.,
Reichmann H.: Effects of the dopamine
agonist pramipexole on depression, anhedonia and motor functioning in Parkinson's disease. J Neurol Sci 248: 26670 (2006).
[68] Pahwa R., Stacy M.A., Factor S.A., Lyons K.E., Stocchi F., Hersh B.P., Elmer
L.W., Truong D.D., Earl N.L., EASE-PD
Adjunct Study Investigators: Ropinirole
24-hour prolonged release: randomized,
controlled study in advanced Parkinson
disease. Neurology 68: 1108-15 (2007).
[69] Corrigan M.H., Denahan A.Q., Wright
C.E.: Comparison of pramipexole, fluoxetine, and placebo in patients with major
depression. Depress Anxiety 11: 58 – 65
(2000).
[70] Lemke M.R., Reiff J.: Therapie der
Depression bei Parkinson- Patienten.
Arzneimitteltherapie
19:
324-330
(2001).
[71] Poewe W., Seppi K.: Treatment options for depression and psychosis in
Parkinson’s disease. J Neurol 248 (Suppl
3: III) 12-21 (2001).
[72] Weintraub D., Oehlberg K.A., Katz I.R.,
Stern M.B.: Test Characteristics of the
15-Item Geriatric Depression Scale and
Hamilton Depression Rating Scale in
Parkinson Disease. Am J Geriatr Psychiatry 14: 169-175 (2006).
[73] Visser M., Leentjens A.F., Marinus
J., Stiggelbaut A.M., van Hilten J.J.:
Reliability and Validity of the Beck
Depression Inventory in Patients with
Parkinson´s disease. Mov Disord 21(5):
668-672 (2006).
[74] Shabnam G.N., Th C., Kho D., H R., Ce
C. Therapies for depression in Parkinson's disease. Cochrane Database Syst
Rev.(3): CD003465 (2003).
[75] Weintraub D., Morales K.H., Moberg
P.J., Bilker W.B., Balderston C., Duda
J.E., Katz J.R., Stern M.B.: Antidepressant Studies in Parkinson´s Disease: A
82
Review and Meta- Analysis. Mov Disord Vol 20 N. 9: 1161-1169 (2005)
[76] Goetz C.G., Tanner C.M., Klawans
H.L.: Bupropion in Parkinson's disease.
Neurology 34: 1092-1094 (1984).
[77] Rye D.B.: Excessive daytime sleepiness
and unintended sleep in Parkinson's disease. Curr Neurol Neurosci Rep. 6(2):
169-176 (2006).
[78] Veazey C., Aki S.O., Cook K.F., Lai
E.C., Kunik M.E.: Prevalence and treatment of depression in Parkinson's disease. J Neuropsychiatry Clin Neurosci
17: 310-323 (2005).
Giancarlo Giupponi
Psychiatrische Dienste Bozen
[email protected]
Originalarbeit
Original
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 83–91
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der
elterlichen Betreuung von Schizophrenie-Kranken?
Johannes Wancata1, Marion Freidl1, Fabian Friedrich1, Teresa Matschnig1,
Anne Unger1, Andrea Kucera1, Ralf Gössler2 und Rainer Alexandrowicz3
Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien
Univ.-Klinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters,
Medizinische Universität Wien
3
Institut für Psychologie, Abteilung für Angewandte Psychologie und
Methodenforschung, Universität Klagenfurt
1
2
Schlüsselwörter:
Angehörige – Schizophrenie – Belas­tun­
gen – Gender
Keywords:
Caregivers – parents – schizophrenia
– burden – gender
Gibt esgeschlechtsspezifische Unter­
schiede in der elterlichen Betreu­
ung von Schizophrenie-Kranken?
Anliegen: Ziel der vorliegenden Studie war es, Unterschiede zwischen
Müttern und Vätern von Kranken,
die unter Schizophrenie oder schizoaffektiven Psychosen leiden, zu
untersuchen, wobei neben dem zeitlichen Aufwand der Angehörigen
auch andere Aufgaben der Betreuung
erfasst werden sollten. Methode: Insgesamt wurden 101 Mütter und 101
Väter derselben PatientInnen mit der
Diagnose Schizophrenie oder schizoaffektive Störung entsprechend
ICD-10 untersucht. Ergebnisse: Es
zeigte sich, dass im Mittel Mütter
signifikant mehr Zeit als Väter persönlich oder telephonisch in Kontakt
mit den Kranken stehen. Bezogen auf
die einzelnen Kranken zeigte sich,
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
dass in etwa der Hälfte der Fälle die
Mütter mehr Zeit aufwandten, bei
nahezu 40% aber Mütter und Väter
gleich viel Zeit aufwandten. In 12%
der Fälle verbrachten die Väter mehr
Zeit in persönlichem oder telephonischem Kontakt mit den Kranken
als die Mütter. Bei anderen erfassten
Variablen bezüglich der Betreuungsintensität von Müttern und Vätern
(z.B. Sachwalterschaft, Betreuung
des Haushalts der Kranken, finanzielle Ausgaben) fanden sich keine
Unterschiede zwischen Müttern und
Vätern. Schlussfolgerungen: Wir
konnten die üblichen geschlechtspezifischen Annahmen, dass Mütter generell in höherem Umfang in die Betreuung der Kranken involviert sind,
in mehreren wesentlichen Aspekten
nicht bestätigen.
Are there gender-specific differ­
ences between mothers and fathers
caring for a schizophrenia patient?
Objective: The purpose of this study
was to investigate differences between mothers and fathers of patients
with schizophrenia or schizoaffective
disorders concerning the time spent
with the patients as well as other aspects of caring. Methods: 101 mothers and 101 fathers of the same patients suffering from schizophrenia or
schizoaffective disorders according to
ICD-10 were investigated. Results:
The mean time spent in personal (i.e.
face-to-face) or telephone contact
with patients was significantly higher
for mothers than for fathers. About
the half of the mothers spent more
time with the patients than the fathers,
while 12% of fathers spent more time
than the mothers. Among 40% of patients, mothers and fathers spent an
equal amount of time for personal or
telephone contact with the patients.
Concerning other aspects of caring
(legal representative of the patient,
payment for patient’s costs, caring for
the patient’s household) we could not
find any differences between mothers
and fathers. Conclusions: Concerning several aspects we could not confirm that mothers are more involved
into the patients’ care than the fathers.
These findings are in contrast to the
usual assumptions about familial caregivers based on the traditional gender-specific role models.
Einleitung
Angehörige von Schizophreniekranken leiden unter zahlreichen Belastungen, die von Stress über finanzielle Belastungen bis hin zu Symptomen einer Depression reichen [6, 7,
12, 15, 20, 29]. Mittlerweile ist aber
auch bekannt, dass Interventionen
zur Unterstützung der Angehörigen
und zur Verbesserung ihrer Kommu-
Wancata et al.
nikation mit den Kranken wirksam
sind [11, 18, 24].
In den meisten Studien, die die Angehörigen von Schizophreniekranken
untersucht hatten, bestanden die Stichproben der Angehörigen überwiegend
aus Eltern und unter den untersuchten
Eltern waren überwiegend Mütter [5].
Beispielsweise berichteten Katschnig
et al. [7], dass in ihrer Stichprobe von
Angehörigen 77% Müttern und 6%
Väter waren. Eine ähnliche Stichprobenzusammensetzung war auch von
zahlreichen anderen AutorInnen berichtet worden [12, 14, 15, 26]. Erst
in letzter Zeit finden sich Studien, die
sich auch mit anderen Familienmitgliedern wie Geschwistern, Partnern
oder Kindern der Kranken beschäftigten [3, 9, 10, 21, 22]. Obwohl bei
psychischen Kranken zahlreiche geschlechtsspezifische
Unterschiede
berichtet wurden [4, 19, 28], finden
sich bislang kaum Studien, die eventuelle geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Angehörigen explizit
zum Thema gemacht haben.
Die meisten Studien, die sich mit den
Familienangehörigen von Schizophreniekranken beschäftigten, basieren auf dem Konzept des „Key relative“, womit jenes Familienmitglied
gemeint ist, das zeitlich den meisten
Kontakt zur Patientin oder zum Patienten hat [13]. Dieses Konzept geht
implizit davon aus, dass der „Key
relative“ die zentrale Rolle in der
Betreuung innehat und somit auch
die größten Belastungen erlebt. Dieser Forschungsansatz berücksichtigt
aber nicht, ob auch andere Angehörige beträchtliche Zeit für die Betreuung verwenden. Es kann daher nicht
ausgeschlossen werden, dass andere
Angehörige nahezu die gleiche Zeit
wie der „Key relative“ aufwenden.
Überdies ist es möglich, dass andere Angehörige (unabhängig von der
aufgewandten Zeit) emotional viel
stärker involviert sind, was möglicherweise auch die erlebte Belastung
erhöhen könnte. Unseres Wissens
findet sich nur eine einzige neuere
84
Studie, die die Belastung der „Key
relatives“ mit jener anderer Angehöriger derselben Kranken verglichen
hat [13]. In dieser Studie fanden sich
zwischen den erwähnten Angehörigen keine Unterschiede bezüglich der
Belastungen. Da nach bisheriger Datenlage – wie erwähnt – der Großteil
der Betreuungsarbeit von den Eltern
der Kranken geleistet wird, stellt sich
die Frage, ob das Konzept des „Key
relative“ für die Eltern von Schizophreniekranken wirklich zutreffend
ist und ob Väter wirklich in den meisten Fällen weniger als die Mütter zur
Betreuung der Kranken beitragen.
Bei den meisten Studien wurde pro
PatientIn nur ein einziges Familienmitglied untersucht [7, 10]. Da aber
der Zeitaufwand und die erlebten
Belastungen der Angehörigen auch
von der individuell unterschiedlichen
Situation der Kranken (z.B. Krankheitssymptomatik, Einschränkungen
im Alltag, Dauer der Krankheit) abhängen können, kann die Frage des
Vergleichs zwischen Müttern und
Vätern nur sehr eingeschränkt untersucht werden, wenn Mütter und Väter
von verschiedenen Kranken untersucht werden. Der Einfluss derartiger
konfundierender Variable sollte also
durch das Studiendesign möglichst
ausgeschlossen werden. Wenn in
einer Studie sowohl Väter als auch
Mütter derselben Kranken untersucht
werden, ist es möglich den Einfluss
derartiger potenziell konfundierender
Variablen zu vermeiden.
Das Ziel der vorliegenden Studie war
es daher, die Mütter und die Väter
derselben Kranken zu untersuchen,
wobei neben dem zeitlichen Aufwand
der Angehörigen auch andere Aufgaben der Betreuung erfasst werden
sollten.
Methodik
In der vorliegenden Studie untersuchten wir sowohl die Mütter als auch
die Väter derselben Kranken. Die
Einschlusskriterien betreffend die
Kranken waren abgeschlossenes 16.
Lebensjahr und die Diagnose einer
Schizophrenie bzw. schizoaffektiven
Störung entsprechend ICD-10. Eine
weitere Voraussetzung war, dass zumindest einer der Elternteile im selben Haushalt wie der/die PatientIn
lebte oder zumindest mehrmals wöchentlich persönlichen Kontakt zum/r
PatientIn hatte.
Es war geplant, zumindest 100 Kranke und deren Mütter und Väter in die
Studie einzuschließen. In den folgenden Einrichtungen wurden die PatientInnen und deren Angehörige eingeladen an der Studie teilzunehmen:
Universitätsklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie Wien, Abteilung für
Sozialpsychiatrie des Krankenhauses Hollabrunn, Universitätsklinik
für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters Wien, 5. Psychiatrische
Abteilung des Otto-Wagner-Spitals
in Wien, Sozialpsychiatrischer Dienst
der Caritas St. Pölten, Sozialpsychiatrische Beratungsstelle Graz, Sozialpsychiatrisches Zentrum der Caritas
Wien, Pro Mente Wien, Therapeutische Wohngemeinschaft „Pension
Bettina“ Wien.
Sowohl in den ambulanten als auch in
den tagesklinischen und stationären
Einrichtungen wurden die PatientInnen gefragt, ob sie bereits wären an
dieser Studie teilzunehmen und ob
die Studienmitarbeiter die Eltern kontaktieren dürften. Wenn die PatientInnen einverstanden waren, wurden die
Eltern gefragt, ob sie bereit wären
an der Untersuchung teilzunehmen.
In jedem Fall wurde von den PatientInnen, den Vätern und Müttern eine
schriftliche Einverständniserklärung
eingeholt. Die vorliegende Studie
war von der Ethikkommission der
Medizinischen Universität Wien geprüft worden.
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der elterlichen Betreuung von Schizophrenie-Kranken?
Von den PatientInnen wurden soziodemographische Daten sowie Informationen zur Krankheit und deren
Verlauf erfragt. Weiters wurde die
Krankheitssymptomatik der PatientInnen im Rahmen eines psychiatrischen
Interviews mittels der Positive and
Negative Syndrome Scale (PANSS
[8]] erfasst. Die PANSS-Skala basiert
auf einem Experteninterview. Die
Daten für die Interrater-Reliabilität
der deutschsprachigen Übersetzung
waren zufrieden stellend [17].
Von den Eltern wurden neben soziodemographischen Daten auch Informationen zu ihrem Kontakt mit
psychiatrischen Diensten und Einrichtungen sowie zu ihrem Kontakt
mit den Kranken erfragt. Um das
Ausmaß des Kontakts mit den Kranken und die finanziellen Ausgaben
zu erfassen wurden Teile des Involvement Evaluation Questionnaire
[27] verwendet. Die mit den Kranken verbrachte Zeit wurde bewusst
durch mehrere Variable erhoben, da
beispielsweise manche Kranke zwar
eine eigene Wohnung haben, in der
sie den Großteil der Zeit verbringen,
aber in Zeiten akuter Krankheit vorübergehend wieder bei einem Elternteil wohnen oder in dieser Zeit von
den Eltern häufiger besucht werden.
Alle Daten wurden von ÄrztInnen in
Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie oder PsychologInnen mit ausreichend psychiatrischer Erfahrung
erhoben.
Statistische Auswertungen
Alle Auswertungen erfolgten mittels
SPSS. Je nach Datenqualität wurden
für die Vergleiche zwischen Vätern und
Müttern McNemar Tests, Chi-Quadrat-Tests und Wilcoxon Signed Ranks
Tests verwendet. Für alle Berechnungen wurde ein kritisches Alpha von
0,05 angenommen. Da auf zahlreiche
bivariate Unterschiede getestet wurde,
wurde eine Korrektur des Alpha-Fehlers nach Bonferoni [1] vorgenommen
(neues kritisches Alpha 0,0023).
Ergebnisse
Stichprobe der PatientInnen
Insgesamt wurden in die vorliegende Untersuchung 104 PatientInnen
sowie deren Väter und Mütter eingeschlossen. Nach Beginn der Datenerhebung entschieden sich 3 Elternteile
ihre Bereitschaft zur Studienteilnahme zurückzuziehen. Diese Daten
wurden von den vorliegenden Analysen ausgeschlossen. Somit standen
die Daten von 101 PatientInnen, Vätern und Müttern zur Auswertung zur
Verfügung.
Etwa zwei Drittel der PatientInnen
(67,3%) waren männlichen Geschlechts. Das mittlere Alter der
PatientInnen war 28,3 Jahre (Standardabweichung = SD = 7,4) und
93% waren ledig. Nur 12,6% hatten
eine Vollzeitanstellung und 7,4% hatten eine Teilzeitanstellung, während
9,5% Studenten und 70,5% gänzlich
ohne Arbeit waren. Bereits 26,5%
mussten von einer Invaliditätspension und 31,4% von einer Arbeitslosenunterstützung oder vom Krankengeld
leben. 86% der PatientInnen litt unter
einer Schizophrenie und 14% unter
einer schizoaffektiven Psychose. Die
mittlere Krankheitsdauer der Stichprobe betrug 6,9 Jahre (SD 5,8). Die
Hälfte der PatientInnen war dreimal
oder öfter stationär im Spital aufgenommen worden und mehr als die
Hälfte (56,5%) war zumindest einmal
in einer psychiatrischen Tagesklinik
behandelt worden. Der Gesamtscore
der psychiatrischen Symptomatik
(PANSS-Summenscore) betrug 69,1
(SD 20,8).
Stichproben der Mütter und Väter
Die Beschreibung der beiden Stichproben der Mütter und Väter anhand
soziodemographischer Daten ist in
Tabelle 1 dargestellt. Die Väter waren durchschnittlich älter und waren
häufiger verheiratet bzw. in einer Beziehung lebend als die Mütter. Bezüglich Berufstätigkeit waren die Väter
häufiger selbständig oder bereits in
85
Pension, während die Mütter häufiger
im Haushalt tätig waren. Väter hatten
häufiger als die Mütter eine allgemein
bildende höhere Schule oder die Universität bzw. eine Hochschule abgeschlossen. Nach Alpha-Adjustierung
fand sich kein Unterschied zwischen
Vätern und Müttern bezüglich Zahl
der Personen im Haushalt, monatlichem Einkommen und der Frage, ob
sie mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben.
Betreuung der PatientInnen durch
Mütter und Väter
Knapp 40% der Mütter und Väter
lebte mit den Kranken im selben
Haushalt (Tabelle 2). Wenn die Eltern
nicht mit den Kranken zusammenlebten, betreuten 40% der Mütter aber
nur 22% der Väter auch den Haushalt der Kranken (Unterschied nicht
signifikant). Auch bezüglich der Zahl
der Tage während des letzten Monats,
an denen die Kranken bei einem Elternteil gelebt hatten, fand sich kein
signifikanter Unterschied. Sowohl
Mütter als auch Väter waren vom
Gericht nur sehr selten als Sachwalter der Kranken eingesetzt. Mütter
hatten zwar wegen des kranken Familienmitgliedes häufiger als Väter
Kontakt mit psychiatrischen Einrichtungen, dieser Unterschied war
aber nach Alpha-Adjustierung nicht
signifikant. Die Mütter hatten insgesamt mehr persönlichen oder telephonischen Kontakt mit den Kranken als
die Väter (Tabelle 2).
In Tabelle 3 ist dargestellt, ob Mütter oder Väter mehr persönlichen
oder telephonischen Kontakt mit den
Kranken hatten (in Stunden mittels
einer Rangskala erfasst). Es zeigte
sich, dass in knapp der Hälfte der
Fälle Mütter mehr Zeit mit den Kranken verbrachten, während in 12,1%
die Väter mehr Zeit mit den Kranken
verbrachten. Bei 38,4% fand sich für
Mütter und Väter ein ähnlicher Zeitumfang.
Wancata et al.
Alter (Jahre)
Familienstand
Höchster Schulabschluss
Lebt mit PartnerIn im
selben Haushalt zusammen
Berufstätigkeit
Zahl der Personen, die
im Haushalt eben
Nettoeinkommen im
Monat (Euro)
86
Mütter
Väter
Wert
p
Mittelwert
54,9
59,1
7,063
0,000 ***
SD
8,6
9,0
82,717
0,000 **
62,937
0,000 **
Ledig
(%)
0,0
1,0
Verheiratet / in Beziehung
(%)
84,2
87,1
Geschieden
(%)
13,7
10,9
Verwitwet
(%)
2,1
1,0
Pflichtschule
(%)
27,5
28,4
Berufsschule
(%)
20,0
21,0
Berufsbildende mittlere und
höhere Schule
(%)
22,5
14,8
allgemein bildende höhere
Schule
(%)
11,3
14,8
Universität / Hochschule /
College
(%)
18,8
21,0
Nein
(%)
35,6
27,7
Ja
(%)
64,4
72,3
Angestellt
(%)
34,2
30,9
Selbständig
(%)
8,9
18,5
Pensioniert
(%)
39,2
45,7
ohne Beschäftigung im
erwerbsfähigen Alter
(%)
2,5
1,2
im Haushalt tätig
(%)
10,1
3,7
Anderes
(%)
5,1
0
Mittelwert
2,9
3,0
SD
1,4
1,4
< 500
(%)
1,0
0,0
500 – 1000
(%)
7,2
5,3
1000 – 1500
(%)
19,6
15,8
1500 – 2000
(%)
22,7
18,9
2000 – 2500
(%)
21,6
25,3
> 2500
(%)
27,8
34,7
0,008 *
67,146
0,000 **
2,335
0,020 ***
2,244
0,025 ***
Tabelle 1:Stichprobe der Angehörigen: soziodemographische Daten (SD = Standardabweichung)
* McNemar-Test
** Chi-Quadrat-Test
*** Wilcoxon Signed Ranks Test (Z-Wert)
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der elterlichen Betreuung von Schizophrenie-Kranken?
Vom Gericht als Sachwalter
eingesetzt
Zahl der Kontakte mit
psychiatrischen oder
sozialen Einrichtungen
(wegen Kranken, letzte
3 Monate)
Lebt mit PatientIn im selben
Haushalt
Falls nicht selber Haushalt:
betreut Haushalt des/r
Kranken
Zahl der Tage, die mit
Krankem/r während der
letzten 4 Wochen im selben
Haushalt gewohnt
Stunden pro Woche
persönlicher oder
telefonischer Kontakt
mit Krankem/r
(letzte vier Wochen)
Mütter
Väter
Nein
(%)
97,6
98,9
Ja
(%)
2,4
1,1
Mittelwert
2,21
1,88
SD
1,71
1,62
Nein
(%)
60,6
62,0
Ja
(%)
39,4
38,0
Nein
(%)
60,0
77,9
Teilweise
(%)
16,9
2,9
Voll
(%)
23,1
19,1
keinen Tag
(%)
28,7
26,0
einen Teil der 4 Wochen
(%)
41,6
42,0
die gesamten 4 Wochen
(%)
29,7
32,0
<1
(%)
5,0
15,0
1–4
(%)
15,0
20,0
5–8
(%)
18,0
21,0
9 – 16
(%)
16,0
18,0
17 – 32
(%)
19,0
11,0
> 32
(%)
27,0
15,0
Wert
* McNemar-Test
** Chi-Quadrat-Test
p
1,000 *
2,026
0,043 ***
0,727 *
2,000
0,046 ***
1,043
0,297 ***
4,218
0,000 ***
Tabelle 2: Stichprobe der Angehörigen: Aspekte der Betreuung der Kranken (SD = Standardabweichung)
87
*** Wilcoxon Signed Ranks Test (Z-Wert)
Wancata et al.
88
%
Vater mehr Zeit
12,1
Gleiche Zeit
38,4
Mutter mehr Zeit
49,5
Tabelle 3: Vergleich von Müttern und Vätern: Stunden pro Woche persönlicher
oder telefonischer Kontakt der Eltern mit den Kranken (letzte vier
Wochen)
Zahl der Tage
%
>20
5,1
10-19
1,0
1-9
12,4
0
61,5
1-9
14,5
10-19
4,0
>20
1,0
Vater mehr Tage
Gleiche Zahl von Tagen
Mutter mehr Tage
Tabelle 4: Vergleich von Müttern und Vätern: Zahl der Tage, die die Eltern
mit den Kranken während der letzten 4 Wochen im selben Haushalt
gewohnt haben
Als weiterer Indikator, ob Mütter
oder Väter mehr in die Betreuung der
Kranken involviert sind, wurde die
Differenz der Zahl der Tage, die Mütter und Väter in den letzten 4 Wochen
mit den Kranken im selben Haushalt
gewohnt haben, gebildet (Tabelle
4). In 61,5% der Stichprobe lebten
Mütter und Väter dieselbe Zahl von
Tagen mit den Kranken im selben
Haushalt. Wenn die Zahl der Tage in
Gruppen zusammengefasst werden,
finden sich für Mütter und Väter sehr
ähnliche Ergebnisse.
Sowohl Mütter als auch Väter hatten
durch die Krankheit ihres Familienmitgliedes hohe finanzielle Belastungen. 32,5% der Mütter und 35,2% der
Väter hatten im letzten Monat mehr
als 250 Euro für die Kranken ausgegeben (Tabelle 5). Beide Elternteile
berichteten, dass vor allem für professionelle Hilfe, für Medikamente
und für Fahrtkosten besonders häufig
Ausgaben angefallen waren. Zwischen Vätern und Müttern fanden
sich keine Unterschiede bezüglich der
Gesamtsumme der Ausgaben und der
einzelnen Gründe für die Aus­gaben.
Diskussion
Bei der vorliegenden Untersuchung
handelt es sich um die erste Studie, in
der gezielt die Mütter und die Väter
derselben Kranken untersucht wur-
den. Auf diese Weise gelang es den
Einfluss anderer potenziell konfundierender Variablen auszuschließen.
Trotz dieses methodischen Vorteils
müssen aber die Ergebnisse der vorliegenden Studie auf jene Angehörigen beschränkt bleiben, wo sowohl
Väter als auch Mütter zur Betreuung
der Kranken zur Verfügung standen.
Über jene Kranken, die von einem
einzigen Elternteil versorgt werden,
können aus der vorliegenden Studie
keine Aussagen getroffen werden.
Die hohe Zahl von mehrfachen Spitalsaufnahmen, der geringe Anteil der
Berufstätigen sowie der hohe Anteil
jener, die von einer Invaliditätspension oder Arbeitslosenunterstützung
leben mussten, weist darauf hin, dass
in die vorliegende Studie in einem
beträchtlichen Umfang PatientInnen
mit stark beeinträchtigenden Krankheitsverläufen eingeschlossen worden waren. Diese Behinderungen und
Belastungen im Alltag stimmen mit
den Ergebnissen zahlreicher Studien überein [2, 16, 23, 30]. Die Tatsache, dass in knapp 40% der Fälle
die Kranken im selben Haushalt wie
Vater oder Mutter lebten, zeigt, dass
die Angehörigen in die Betreuung der
Kranken in beträchtlichem Ausmaß
involviert waren, was mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen übereinstimmt [5, 7, 12, 20]. So wie in
anderen Studien fanden sich teilweise
enorm hohe finanzielle Ausgaben der
Eltern für die Kranken [29].
E zeigte sich, dass im Mittel Mütter
signifikant mehr Zeit als Väter persönlich oder telephonisch in Kontakt
mit den Kranken stehen. Als wir der
Frage nachgingen, wie häufig einzelne Mütter mehr Zeit als die Väter mit
den Kranken verbringen, zeigte sich,
dass in etwa der Hälfte der Fälle die
Mütter mehr Zeit aufwandten, bei
nahezu 40% aber Mütter und Väter
gleich viel Zeit aufwandten. In 12%
der Fälle verbrachten die Väter mehr
Zeit in persönlichem oder telephonischem Kontakt mit den Kranken als
die Mütter. Obwohl also die Mütter
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der elterlichen Betreuung von Schizophrenie-Kranken?
Ausgaben in Euro
Grund für die Ausgaben
89
Mütter
Väter
Wert
p
1,049
0,294 ***
< 50
(%)
25,8
30,7
50 – 100
(%)
20,2
18,2
100 – 250
(%)
21,3
15,9
250 – 500
(%)
25,8
19,3
< 500
(%)
6,7
15,9
Professionelle Helfer
(Ärzte, Psychologen, Kranken­
schwestern, Sozialarbeiter)
(%)
29,7
22,8
0,210 *
Schaden von Kranken
angerichtet
(%)
6,9
5,9
1,000 *
Viel Geld, das Kranke
ausgegeben haben
(%)
16,8
12,9
0,454 *
Fahrtkosten
(%)
28,7
26,7
0,839 *
Medikamente
(%)
23,8
20,8
0,607 *
Schulden der Kranken
(%)
3,0
5,9
0,453 *
Andere
(%)
11,9
10,9
1,000 *
Tabelle 5: Ausgaben für von den Kranken verursachte Kosten (während der letzten vier Wochen)
* McNemar-Test
** Chi-Quadrat-Test
häufig mehr Zeit als die Väter aufwenden, gibt es einen beträchtlichen
Teil, wo beide Elternteile gleich viel
Zeit aufwenden. Die sonst übliche
Annahme, dass ein einziges Familienmitglied die Hauptkontaktperson für die Kranken ist, konnte also
in einem beträchtlichen Teil unserer
Stichprobe nicht bestätigt werden. In
unserer Studie hatten wir aber – den
Fragen des Involvement Evaluation
Questionnaire [27] folgend – den
*** Wilcoxon Signed Ranks Test (Z-Wert)
Zeitaufwand für telephonischen und
persönlichen Kontakt gemeinsam
erfasst. Möglicherweise würden sich
bei einer getrennten Auswertung von
persönlichem Kontakt und telephonischem Kontakt die Ergebnisse in
Richtung eines größeren persönlichen Kontakts der Mütter verschieben. Dies muss als Einschränkung
der vorliegenden Untersuchung gewertet werden.
In unserer Studie wurde die Rolle der
„Key relatives“ aber nicht nur aufgrund der gemeinsam mit den Kranken verbrachten Zeit, sondern auch
aufgrund anderer Variablen wie der
Häufigkeit des Kontakts zu psychiatrischen Einrichtungen, Zusammenleben mit den Kranken oder finanziellem Aufwand untersucht. In der Auswertung des Mittelwerts der Tage, die
Mütter und Väter mit den Kranken im
selben Haushalt gelebt hatten, fand
Wancata et al.
sich kein Unterschied zwischen den
Elternteilen. Auch in der Auswertung der Differenz der Tage zwischen
Müttern und Vätern zeigte sich, dass
in nahezu zwei Drittel der untersuchten Stichprobe beide Elternteile
die gleiche Zahl von Tagen mit den
Kranken im selben Haushalt gewohnt
hatte. Bei allen anderen erfassten Variablen bezüglich der Betreuungsintensität von Müttern und Vätern (z.B.
Sachwalterschaft, Zahl der Kontakte
mit psychiatrischen und sozialen Einrichtungen, Betreuung des Haushalts
der Kranken, finanzielle Ausgaben)
fanden sich keine Unterschiede zwischen Müttern und Vätern. Auch diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass
das Konzept des „Key relative“ bei
einem nicht unwesentlichen Teil der
Kranken nicht zutreffend ist.
Angesichts der Tatsache, dass sich
bezüglich der meisten Variablen kein
signifikanter Unterschied zeigte, stellt
sich die Frage, ob durch die Adjustierung des Alpha-Fehlers (wegen der
zahlreichen bivariaten Vergleiche)
reale Unterschiede verschleiert wurden. Aber auch bei einem unkorrigierten kritischen Alpha von 0,05 wären die meisten Ergebnisse bezüglich
der Frage, wer der „Key relative“ ist,
unverändert geblieben.
Es scheint interessant, dass Mütter
und Väter sich in einer Reihe soziodemographischer Aspekte unterscheiden. So waren die Väter älter, hatten
häufig einen höheren Schulabschluss
und unterschieden sich von den Müttern bezüglich Berufstätigkeit und
Familienstand, was den Geschlechtsunterschieden in der österreichischen
Bevölkerung entspricht [25]. Es
scheint also, als würden die von uns
untersuchten Eltern bezüglich soziodemographischer Variablen die üblichen geschlechtspezifischen Aspekte
aufweisen (z.B. höheres Alter der Väter, höherer Schulabschluss der Väter). Bezüglich der Versorgungsaufgaben konnten wir aber die übliche
geschlechtspezifische Annahme, dass
Mütter generell in höherem Umfang
90
in die Betreuung der Kranken involviert sind, in mehreren wesentlichen
Aspekten (z.B. Zusammenleben mit
Kranken, Versorgung des Haushalts
der Kranken) nicht bestätigen.
Die vorliegenden Ergebnisse weisen
darauf hin, wie wichtig es ist, dass
psychiatrische Dienste ihre Angebote
für Angehörige nicht nur Mütter, sondern auch für Väter anbieten. Möglicherweise führen auch traditionelle
geschlechtsspezifische Rollenerwartungen der in der Psychiatrie Tätigen
dazu, dass Mütter stärker als Väter zu
Angeboten wie Angehörigenrunden,
Psychoedukation oder Familiengespräche eingeladen werden.
Danksagung
Die hier dargestellte Studie wurde
vom “Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank” gefördert,
dem wir hierfür zu Dank verpflichtet
sind (Projekt-Nummer. 11550).
Literatur
[1] Dunn G.: Statistics in psychiatry. Arnold, London 2000.
[2] Frühwald S., Bühler B., Grasl R., Gebetsberger M., Matschnig T., König F.,
Frottier P.: (Irr-) Wege in die Arbeitswelt – Langzeitergebnisse arbeitsrehabilitativer Einrichtungen für psychisch
Kranke der Caritas St. Pölten. Neuropsychiatrie 20, 250–256 (2006).
[3] Grube M., Dorn A.: Elternschaft bei
psychisch Kranken. Psychiat Prax 34,
66-71 (2007).
[4] Günther O.H., Friemel S., Bernert S.,
Matschinger H., Angermeyer M.C.,
König H.-H.: Die Krankheitslast
von depressiven Erkrankungen in
Deutschland Ergebnisse aus dem Projekt European Study of the Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD).
Psychiat Prax 34, 292-301 (2007).
[5] Jungbauer J., Bischkopf J., Angermeyer M.C.: Belastung von Angehörigen
psychisch Kranker: Entwicklungslinien, Konzepte und Ergebnisse der
Forschung. Psychiat Prax 28, 105-114
(2001).
[6] Jungbauer J., Stelling K., Angermeyer
M.C.: „Auf eigenen Beinen wird er
nie stehen können“: Entwicklungsprobleme in Familien mit schizophrenen
Patienten aus Sicht der Eltern. Psychiat Prax 33, 14-22 (2006).
[7] Katschnig H., Simon M., Kramer
B.: Die Bedürfnisse von Angehörigen schizophreniekranker Patienten
- Erste Ergebnisse einer Umfrage. In:
Katschnig H., König P.: Schizophrenie
und Lebensqualität. Springer, Vienna
- New York 1994.
[8] Kay S.R., Fiszbein A., Opler L.A.:
The Positive and Negative Syndrome
Scale (PANSS) for schizophrenia.
Schizophr Bull 13, 261–276 (1987).
[9] Könnecke R., Wening U., Ropeter D.,
an der Heiden W., Maurer K., Häfner
H.: Sozialer Entwicklungsstand und
subjektives Belastungserleben bei
Nachkommen Schizophrener. Psychiat Prax 33, 269-276 (2006).
[10] Krautgartner M., Unger A., Gössler
R., Rittmannsberger H., Simhandl
C., Grill W., Stelzig-Schöler R., Doby
D., Wancata J.: Minderjährige Angehörige von Schizophrenie-Kranken:
Belastungen und Unterstützungsbedarf. Neuropsychiatrie 21, 267–274
(2007).
[11] Leff J., Kuipers L., Berkowitz R.,
Eberlein-Vries R., Sturgeon D.: A
controlled clinical trial of intervention in families with schizophrenia patients. Brit J Psychiatry 141, 121-134
(1982).
[12] Magliano L., Fadden G., Economou
M., Held T., Xavier M., Guarneri M.,
Malangone C., Marasco C., Maj M.:
Family burden and coping strategies
in schizophrenia: 1-year follow-up
data from the BIOMED-1 study. Soc
Psychiatr Psychiat Epidemiol 35, 109115 (2000).
[13] Magliano L., Fadden G., Fiorillo A.,
Malangone C., Sorrentino D., Robinson A., Maj M.: Family burden and
coping strategies in schizophrenia: are
key relatives really different to other
relatives? Acta Psychiatr Scand 99,
10-15 (1999).
[14] Martens L., Addington J.: The psychological well-being of family members
in individuals with schizophrenia. Soc
Psychiatry Psychiat Epidemiol 36,
128-133 (2001).
[15] Meijer K., Schene A., Koeter M.,
Knudsen H.C., Becker T., Thornicroft
G., Vazquez-Barquero J.L., Tansella
M.: Needs for care of patients with
schizophrenia and the consequences
for their informal caregivers: results
from the EPSILON multi center study
on schizophrenia. Soc Psychiatr Psychiat Epidemiol 39, 251-258 (2004).
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der elterlichen Betreuung von Schizophrenie-Kranken?
[16] Meise U., Sulzenbacher H., Eder B.,
Klug G., Schöny W., Wancata J.: Psychische Gesundheitsversorgung in
Österreich. Neuropsychiatrie 20, 174185 (2006).
[17] Mueller M.J., Rossbach W., Davids
E., Wetzel H., Benkert O.: Evaluation
of standardized training for the “Positive and Negative Syndrome Scale”
(PANSS). Nervenarzt 71, 195-204
(2000).
[18] Pilling S., Bebbington P., Kuipers
E., Garety P., Geddes J., Orbach C.,
Morgan C.: Psychological treatments
in schizophrenia: 1. Meta-analysis of
family interventions and cognitive
behavioural therapy. Psychol Med 32,
763-782 (2002).
[19] Rutz W., Klotz T.: Gesundheitsverhalten bei Männern – kaum eine Besserung in Sicht. Psychiat Prax 34, 367369 (2007).
[20] Schene A.H., Tessler R.C., Gamache
G.M.: Instruments measuring family
or caregiver burden in severe mental
illness. Soc Psychiatr Psychiat Epidemiol 29, 228-240 (1994).
[21] Schmid R., Schielein T., Spießl H.,
Cording C.: Belastungen von Geschwistern schizophrener Patienten.
Psychiat Prax 33, 177-183 (2006).
[22] Schrank B., Sibitz I., Schaffer M., Amering M.: Zu unrecht vernachlässigt:
Geschwister von Menschen mit schizophrenen Psychosen. Neuropsychiatrie 21, 216–225 (2007).
[23] Schwappach D.L.B.: Die ökonomische Bedeutung psychischer Erkrankungen und ihrer Versorgung – ein
blinder Fleck? Neuropsychiatrie 21,
18–28 (2007).
[24] Solomon P., Draine J., Mannion E.,
Meisel M.: Impact of brief family psychoeducation on self-efficacy. Schizophrenia Bull 22, 41-50 (1996).
[25] Statistik Austria: Volkszählung: Die
demographische, soziale und wirtschaftliche Struktur der österreichischen Bevölkerung. Statistik Austria,
Wien, 2007.
[26] Szmukler G.I., Burgess P., Herrman
H., Benson A., Colusa S., Bloch S.:
Caring for relatives with serious mental illness: the development of the Experience of Caregiving Inventory. Soc
Psychiatry Psychiat Epidemiol 31,
137-148 (1996).
[27] Van Wijngaarden B., Schene A.H.,
Koeter M., Vazquez-Barquero J.L.,
Knudsen H.C., Lasalvia A., McCrone
P.: Caregiving in schizophrenia: development, internal consistency and
reliability of the Involvement Evaluation Questionnaire - European Version. EPSILON Study 4. European
Psychiatric Services: Inputs Linked to
Outcome Domains and Needs. Brit J
Psychiatry Suppl 39, s21-s27 (2000).
[28] Weiss E.M., Marksteiner J., Hinterhuber H., Nolan K.A.: Geschlechtsunterschiede bezüglich aggressivem
und gewalttätigem Verhalten bei schi-
91
zophrenen und schizoaffektiven Patienten. Neuropsychiatrie, 20, 186–191
(2006).
[29] Wilms H.-U., Mory C., Angermeyer
M.C.: Erkrankungsbedingte Kosten
für Partner psychisch Kranker: Ergebnisse einer Mehrfacherhebung. Psychiat Prax 31, 177-183 (2004).
[30] Zechmeister I., Österle A.: Informelle Betreuung psychisch erkrankter
Menschen: Schafft das österreichische
Pflegevorsorgesystem adäquate Voraussetzungen? Neuropsychiatrie 21,
29–36 (2007).
Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata
Universitätsklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: [email protected]
Originalarbeit
Original
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 92–99
Geschwindigkeit des Depressionsbeginns:
Ein Unterscheidungsmerkmal hinsichtlich
uni- versus bipolarer affektiver Störungen
Ulrich Hegerl1, Anja-Christine Bottner2, Roland Mergl1, Bettina Holtschmidt-Täschner2, Florian Seemüller2, Winfried Scheunemann2, Michael Schütze2, Heinz Grunze3,
Verena Henkel2, Jules Angst4 und Christoph Born2
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universitätsklinikum Leipzig
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität
München
3
School of Neurology, Neurobiology and Psychiatry, Newcastle University
4
Zürich Universitätshospital für Psychiatrie, Zürich
1
2
Schlüsselwörter:
Onset-of-Depression Inventory – unipolare
Depression – bipolare affektive Störung
– depressive Episode – Geschwindigkeit
des Beginns
Key words:
Onset-of-Depression Inventory – unipolar depression – bipolar affective disorder
– depressive episode – speed of onset
Geschwindigkeit des Depressions­
be­ginns: Ein Unterscheidungsmerk­
mal hinsichtlich uni- versus bipo­
larer affektiver Störungen
Anliegen: Depressive Episoden können abrupt oder über Wochen langsam einschleichend beginnen. Dieses
bedeutsame klinische Merkmal affektiver Störungen ist bis heute nicht
systematisch untersucht. Ziel dieser
Studie war, die Geschwindigkeit des
Einsetzens der Symptomatik depressiver Episoden bei Patienten mit einer unipolaren Depression (UD) und
einer Depression im Rahmen einer
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
bipolaren affektiven Störung (BAS)
zu analysieren. Methode: Untersucht
wurden 158 Patienten mit einer UD
(N=108) und BAS (N=50) mit dem
strukturierten “Onset-of-Depression
Inventory” (ODI). Patienten, die von
kritischen Lebensereignissen berichteten, die dem Einsetzen depressiver Symptomatik unmittelbar vorausgingen, wurden ausgeschlossen.
Ergebnisse: Gefunden wurde eine
signifikante Assoziation zwischen
der Geschwindigkeit des Einsetzens
der letzten und der vorangehenden
depressiven Episode (rho = 0.66;
p < 0.001). Bei Patienten mit BAS
war der Depressionsbeginn signifikant rascher als bei Patienten mit UD
(p < 0.001) (innerhalb 1 Woche bei
58% der Patienten mit BAS vs. 7.4%
mIT UD). Schlussfolgerungen: Der
rasche Beginn depressiver Episoden
(innerhalb einer Woche) ist typisch
für bipolare, nicht dagegen für unipolare affektive Störungen. Dieses klinische Merkmal kann Hinweise auf das
mögliche Vorliegen einer BAS bei
Patienten mit bisher ausschließlich
depressiver Episode liefern und auf
Untergruppen mit unterschiedlichen
neurobiologischen Mechanismen der
Pathogenese deuten.
Speed of onset of depressive epi­
sodes: a clinical criterion helpful
for separating uni- from bipolar
affective disorders
Objective: Depressive episodes can
begin abruptly or start very slowly
(over weeks). This relevant clinical
feature of affective disorders has not
been systematically investigated so far.
The aim of this study was to analyze
speed of onset of depressive episodes
in patients with unipolar depression
(UD) and bipolar affective disorders
(BD). Methods: 158 adult patients
with UD (N=108) and BD (N=50)
were examined using the structured
“Onset-of-Depression
Inventory”.
Only patients without acute critical
life events preceding the onset were
included in the study. Results: There
was a significant positive correlation
between speed of onset of the present
and that of the preceding depressive
episode (rho = 0.66; p < 0.001). The
association between speed of onset
and speed of decay of depressive episodes failed to be significant (rho =
0.20; p = 0.09). Patients with bipolar
disorder were found to develop depressive episodes significantly faster
than patients with major depression
(p < 0.001): Whereas depressive episodes started in 58% of patients with
bipolar disorder within one week, this
was only the case in 7.4% of patients
Geschwindigkeit des Depressionsbeginns: Ein Unterscheidungsmerkmal ...
with major depression. Conclusions:
Within subjects, the speed of onset of
depression is similar across different
episodes. In the absence of acute critical life events, rapid onset of depressive episodes (within one week) is
typical for bipolar depression, but not
for unipolar depression. A rapid onset
of depressive episodes might point to
BD in patients with solely depressive
episodes in the past and to subgroups
with different neurobiological pathogenetic mechanisms.
Einleitung
Die klinische Erfahrung zeigt, dass
sich depressive Episoden mit unterschiedlicher
Geschwindigkeit
entwickeln. Auf der einen Seite des
Spektrums sind Patienten mit abruptem Beginn, bei denen sich voll
ausgeprägte depressive Symptomatik
innerhalb einer Stunde ausbildet,
auf der anderen Seite sind Patienten,
bei denen sich depressive Episoden
langsam innerhalb von Monaten
entwickeln. Es ist zu erwarten, dass
sich diese Patienten hinsichtlich neurobiologischer Mechanismen der
Pathogenese dieser Episoden unterscheiden.
In diesem Kontext ist es von Interes­
se, dass die Geschwindigkeit des
Einsetzens depressiver Episoden bei
Patienten mit einer bipolaren affektiven Störung („bipolare Depression“;
BD) rascher zu sein scheint, verglichen mit Patienten mit unipolarer
Depression (UD). Dies ist insbesondere eindrücklich bei raschen
Wechseln von depressiver und manischer Stimmungslage. 20% der
Patienten mit BD erleben ein „rapid
cycling“, wie eine Auswertung des
„Systematic Treatment Enhancement
Program“ (STEP-BD) ergab, während die Angaben in anderen Studien
zwischen 14% und 56% liegen [14].
In diesem Rahmen erleben viele
Patienten einen abrupten „Switch“
in die Stimmungslage entgegen gesetzter Polarität ohne ein längeres
euthymes Intervall. Überdies ist
seit langem bekannt, dass manische
Episoden im Rahmen von BD wesentlich rascher einsetzen als depressive Episoden [16]. So könnte
der Beginn einer Depression nach
einem euthymen Intervall ebenfalls
schneller sein, wie in einer retrospektiven Vergleichsstudie vermutet
[9]. Wenn dies der Fall ist, könnte
die Geschwindigkeit des Einsetzens
hilfreich sein, depressive Episoden
bei UD versus BD zu unterscheiden.
Das frühe Erkennen von Patienten
mit BD ist ein klinisch relevantes
und bisher nicht zufriedenstellend
gelöstes Problem, da es bei bis zu
45% der Patienten mit BD initial nur
zu Episoden einer Major Depression
kommt [10].
Ohne frühere manische oder hypomanische Episoden gibt es bisher keine
Indikatoren, die eine reliable diagnostische Klassifikation depressiver
Episoden erlauben [3]. Einige mögliche Indikatoren wie Major Depression
oder Manie in der Familienanamnese
[13, 17], psychotische Merkmale während der ersten depressiven Episode
[6, 15], atypische und neurovegetative Symptome (etwa Hyperphagie
und Hypersomnie) [1, 4], melancholische Merkmale [2, 12] und familiäre Variationen in der Häufigkeit der
Episoden [8] wurden untersucht, aber
die Ergebnisse in der Literatur sind
nicht konsistent (Überblick bei [5]).
Trotz deutlicher interindividueller
Unterschiede in der Geschwindigkeit
des Beginns depressiver Episoden
wurde dieses klinische Merkmal unseres Wissens bisher nicht systematisch untersucht. Allein in einer Studie
werden quantitative Informationen zu
Unterschieden zwischen Patienten
mit BD und UD hinsichtlich der
Geschwindigkeit des Beginns depressiver Episoden berichtet: In
dieser Studie bei stationären tunesischen Patienten wurde bei 44,8% der
Patienten mit BD, aber nur bei 15,9%
der Patienten mit einer rezidivierenden depressiven Störung ein schnelles
Einsetzen depressiver Episoden beobachtet [9].
93
Mit Hilfe eines speziell entwickelten
strukturierten klinischen Interviews –
des “Onset-of-Depression Inventory”
(ODI) – wurde in dieser Studie die
Bedeutung der Geschwindigkeit des
Depressionsbeginns für die Diagnose
und Subtypisierung von Patienten mit
depressiver Störung untersucht.
Zunächst wurde geprüft, ob die
Geschwindigkeit des Beginns depressiver Episoden ein individuell stabiles Charakteristikum über
verschiedene depressive Episoden
hinweg ist. Dies sollte der Fall sein,
wenn die Geschwindigkeit des
Beginns auf stabile interindividuelle
Unterschiede hinsichtlich pathophysiologischer und möglicher genetischer Aspekte hinweist. Dafür korrelierten wir die Geschwindigkeit des
Einsetzens der letzten depressiven
Episode mit jener der vorangehenden
Episode. Danach wurden Patienten
mit UD und BD hinsichtlich dieser
Merkmale verglichen. Die Hypothese
war, dass bei BD ein schnellerer
Beginn zu beobachten ist als bei UD.
Abschließend wurde explorativ untersucht, ob die Geschwindigkeit des
Beginns depressiver Episoden mit der
Geschwindigkeit ihres Abklingens
korreliert.
Material und Methode
Patienten
Die Patienten (N = 215) wurden sowohl in der Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, der dortigen Spezialambulanz
für Patienten mit bipolarer affektiver
Störung als auch im Zentrum für klinische Studien in Nürnberg, welches
mit der Münchener Klinik für Psychiatrie der LMU assoziiert ist, konsekutiv eingeschlossen. Im Nürnberger
Studienzentrum wurden Patienten im
Kontext einer klinischen Studie für
leichte Depressionen im Rahmen der
Primärversorgung rekrutiert. Die Daten wurden zwischen Dezember 2001
und Januar 2007 gesammelt.
Hegerl et al.
Als Einschlusskriterien für diese
offene Querschnittsstudie galten:
ein Mindestalter von 18 Jahren; die
Fähigkeit, das schriftliche Einverständnis zu geben; bipolare affektive
Störungen; depressive Episoden im
Rahmen einer depressiven Störung
oder rezidivierenden depressiven
Störung. Ausschlusskriterien waren
die Diagnosen Dysthymie, “Double
Depression” oder persistierende depressive Störung ohne Episoden einer Major Depression, eine Dauer der
gegenwärtigen depressiven Episode
von mehr als 2 Jahren (dies war der
Fall bei 13 Patienten), akute Suizidalität, Vorliegen einer Abhängigkeit
von Alkohol- oder illegalen Drogen,
drogeninduzierte depressive Störung,
psychotische Störung, schwere somatische Erkrankung.
Die psychiatrische Diagnose wurde
nach den Kriterien der ICD-10 gestellt.
Bei der Mehrheit der in München rekrutierten Patienten war die Diagnose
auch mit einem „Strukturierten klinischen Interview nach DSM-IV für
Achse-I-Störungen“ (SKID I) gestellt
worden. In einer Subkohorte der Patienten aus Nürnberg (n=87) basierte
die Diagnose zusätzlich auf einem
strukturierten klinischen Interview
(Composite International Diagnostic
Interview, CIDI) nach den Kriterien
des DSM-IV. Hierfür wurde die deutsche computergestützte Form (DIAX) [18] verwendet, basierend auf
CIDI Version 1.1 [19].
Nachdem den Patienten das Vorgehen beschrieben worden war, gaben
diese ihr schriftliches Einverständnis
gemäß der Deklaration von Helsinki.
Die Ethikkommission der medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München gab ihr
Einverständnis vor Studienbeginn.
Onset-of-Depression
Inventory
(ODI)
Um die Geschwindigkeit des Ein­
setzens der letzten sowie früherer
Episoden und der ersten depressiven Episode zu erfassen, wurde das
“Onset-of-Depression
Inventory”
(ODI) entwickelt.
94
Der ODI ist ein strukturiertes
Patienteninterview, mit dem zunächst das Vorkommen gegenwärtiger oder vergangener manischer
oder hypo­manischer Episoden in
der Anam­nese der Patienten erhoben wird. Im nächsten Teil des ODI
wird das Einsetzen der zuletzt erlebten depressiven Episode fokussiert.
Der Patient wird nach dem Datum
des Einsetzens erster Symptome und
der Dauer bis zur Entwicklung der
voll ausgeprägten Depression befragt
(unterschieden in 9 Kategorien: 0 bis
30 Minuten; >30 bis 60 Minuten; >1
bis 3 Stunden; >3 bis 24 Stunden; >1
bis 3 Tage; >3 bis 7 Tage; >1 bis 4
Wochen; >1 bis 4 Monate; mehr als
4 Monate). Darüber hinaus werden
die Symptome untersucht, mit denen
die letzte depressive Episode begann
(unterschieden in 11 Kategorien: depressive Stimmung; Freudlosigkeit;
Interesseminderung; Zunahme von
Müdigkeit; Schlafstörungen; Verän­
derungen der Stimmungslage am
Tage; Energielosigkeit; Änderungen
des Appetits; Minderung der Libido;
Störungen der Konzentration; Suizida­
lität). Zusätzliche Symptome (etwa
Angst) können ebenfalls erfasst werden. Akute kritische Lebensereignisse
(Typ und Datum) in den 14 dem
Einsetzen der Symptomatik vorausgegangenen Tagen werden notiert.
Vorausgegangene
Behandlungen
(Medikation, Elektrokrampftherapie
und Psychotherapie) sowie Än‘­
derungen der Behandlung werden
dokumentiert.
Zusätzlich zur zuletzt erlebten Epi­
sode werden Beginn und Ende der
vorangegangenen und der ersten depressiven Episode (im Falle einer rezidivierenden depressiven Störung)
im ODI charakterisiert.
Außerdem werden folgende klinische Variablen erhoben: Gesamtzahl
depressiver Episoden; psychiatrische
Komorbidität; Summenscore in der
Hamilton-Depressionsskala
(17Item-Ver­sion [11]); Gesamtdauer der
de­pressiven Episoden; Gesamtdauer
der Behandlungen in Kliniken.
Die Interviews mit dem ODI wurden
durchgeführt von vier Ärzten mit
mehrjähriger klinischer Erfahrung
(B.H.-T., F.S., M.S. und W.S.) und einer klinisch erfahrenen Psychologin
(A.-C. B.). Die Interviews wurden
nach Stabilisierung und Besserung
der depressiven Symptomatik durchgeführt.
Statistische Analyse
Die Daten wurden mit dem
Statistikprogramm SPSS (Version
12.0) ausgewertet. Wir berechneten
Spearman-Brown-Korrelationsko­
effizienten zwischen Geschwindig­
keitsparametern für die depressive
Episode.
Unterschiede zwischen Patienten mit
UD und BD in kontinuierlichen, normal verteilten Variablen (etwa Alter)
wurden mit dem t-Test für unabhängige Gruppen getestet. Die Mediane für
die Geschwindigkeit des Einsetzens
depressiver Episoden wurden mit dem
nonparametrischen Mann-WhitneyU-Test verglichen. Proportionen wurden mit dem Chi-Quadrat-Test nach
Pearson verglichen, der Gültigkeit
hat, wenn mehr als 80% der Felder
Erwartungswerte über 5 haben. Wenn
dies nicht der Fall war, wurde Fishers
exakter Test für den Vergleich zweier dicho­tomer Variablen angewandt.
Um valide Schwellenwerte für die
Unterscheidung zwischen Patienten
mit UD und BD hinsichtlich der
Geschwindigkeit des Einsetzens der
letzten depressiven Episode zu erhalten, wurde eine „receiver operating
characteristic“ (ROC)-Kurve konstruiert. Die entsprechende „area under the curve” (AUC-Wert) und eine
Tabelle, welche die Koordinaten der
ROC-Kurve zusammenfasst, wurden
hierfür berechnet.
Ergebnisse
Soziodemographische und kli­ni­
sche Charakteristika
33 von 141 Patienten mit UD (23.4%)
und 24 von 74 Patienten mit BD
Geschwindigkeit des Depressionsbeginns: Ein Unterscheidungsmerkmal ...
(32.4%) wurden aufgrund akuter kritischer Lebensereignisse in den zwei
Wochen vor Einsetzen der Depression
von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Die am häufigsten von den
Patienten selbst berichteten akuten
kritischen Lebensereignisse waren alltägliche Stressoren (z.B. belästigende
Telefonanrufe, Wohnungsumzüge)
(UD: 27.3%; BD: 37.5%), Trennung
vom Lebensgefährten und zwischenmenschliche Konflikte (UD:
n = 10, 30.3%; BD: n = 5, 20.8%),
beschäftigungsbedingte
kri­tische
Lebensereignisse (z.B. Ar­beits­­
platzverlust) (UD: n = 6, 18.2%;
BD: n = 4, 16.7%), Tod naher An­
gehöriger (UD: n = 5, 15.2%; BD: n
= 2, 8.3%).
95
Demographische und klinische Merk­
male der verbleibenden Patien­ten
mit BD versus UD sind in Tabelle
1 dargestellt. Von den Patienten mit
UD hatten 80 (74.1%) eine rezidivierende depressive Störung. 48 (96%)
der Patienten mit BD berichteten von
mehr als einer depressiven Episode.
Charakteristika des Beginns der
depressiven Episoden
Die Assoziation zwischen der
Geschwindigkeit des Beginns der
zuletzt erlebten und jener der vorangegangenen depressiven Episode
war hoch signifikant (rho = 0.66; p
< 0.001; für Patienten mit UD: rho =
0.52; p < 0.001; für Patienten mit BD:
rho = 0.61; p < 0.001).
Abbildung 1a zeigt die Häufig­
keits­verteilung hinsichtlich der Ge­
schwindigkeit des Beginns der letz­ten
depressiven Episode für alle Patienten.
Der Median für Patienten mit UD
(N=108) lag bei dieser Variablen
zwischen 1 und 4 Monaten; im
Gegensatz dazu berichteten Patienten
mit BD (N=50) über ein weit schnelleres Einsetzen der letzten depressiven Episode (Median: zwischen
4 und 7 Tagen). Die entsprechende
Gruppendifferenz war signifikant (Z
= -7.46; p < 0.001). Abbildung 1b
gibt detaillierte Informationen über
die Geschwindigkeit des Beginns
der letzten depressiven Episode für
Patienten mit UD versus BD wieder.
Die zuletzt erlebte depressive Episode
Variablen
Unipolare Depression
(N=108)
Depressionen bei bipolarer
affektive Störung (N=50)
p
Alter (in Jahren) (M±s)
47.62 ± 14.13
48.89 ± 11.71
0.58a
Geschlecht (männlich/weiblich)
37%/63%
52%/48%
0.08+b
stationär/ambulant (%)
9.3%/90.7%
52%/48%
<0.001***b
HAMD-17-Summenwert (M±s)
14.20 ± 5.48
11.74 ± 5.10
0.04*c
Anzahl depressiver Episoden (M±s)
2.06 ± 0.81
2.80 ± 0.495
<0.001***c
Behandlungsdauer der aktuellen depressiven
Episode bei stationären Patienten (M±s)
71.82 ± 19.98
85.85 ± 69.56
0.71c
Dauer der aktuellen depressiven Episode
(in Tagen) (M±s)
218.26 ± 170.89
155.13 ± 155.26
0.06+c
Tabelle 1: Demographische und klinische Charakteristika der Stichprobe
Anmerkungen:
a
t-test für unabhängige Stichproben (zweiseitig); b χ2-Test für zwei unabhängige Stichproben (zweiseitig);
c
Mann-Whitney-U-Test (zweiseitig); HAMD-17 = Hamilton-Depressionsskala (17-Item-Version [11]);
M = (arithmetischer) Mittelwert; N = Stichprobengröße; s = Standardabweichung.
+
p ≤ 0.10; * p ≤ 0.05; ** p ≤ 0.01; *** p ≤ 0.001 (nicht-adjustierte Signifikanzniveaus).
Hegerl et al.
96
= 0.86; 95% K.I. = 0.797-0.92; p
< 0.001) (siehe Abbildung 2). Ein
Schwellenwert von einem Monat unterschied die Gruppen der Patienten
sehr gut: 46 von 50 Patienten mit BD
(92%) hatten ein rascheres Einsetzen,
74 von 108 Patienten (68.5%) mit UD
hatten ein langsameres Einsetzen der
gegenwärtigen depressiven Episode
berichtet.
Abbildung 1 a und b: Häufigkeitsverteilung der Variablen “Geschwindigkeit
des Beginns der letzten depressiven Episode” a.
in der ganzen Kohorte (N=158); b. bei Patienten
mit unipolarer Depression (N=108) und bei
Patienten mit bipolarer affektiver Störung (N=50).
setzte bei 29 von 50 Patienten mit BD
(58%) innerhalb einer Woche ein, was
allein bei 8 (7,4%) von 108 Patienten
mit UD der Fall war.
Eine ROC-Analyse unterstreicht die
obengenannten Ergebnisse und zeigte, dass Patienten mit UD und jene
mit BD insgesamt hinreichend unterschieden werden konnten (AUC
Von den Patienten mit BD (N = 50)
hatten 7 (14%) einen “Switch” aus
einer Manie in die letzte depressive
Episode erlebt. Die übrigen Patienten
mit BD waren euthym vor der letzten
depressiven Episode. Wenn bipolare
Patienten, die einen “Switch” erlebt
hatten, von der Analyse ausgeschlossen wurden, blieben die Unterschiede
zwischen Patienten mit UD versus
BD hinsichtlich der Geschwindigkeit
des Beginns der letzten depressiven
Episode signifikant (Mann-WhitneyU-Test: Z = -6.99; p < 0.001).
Tendenziell fand sich eine positive Assoziation zwischen der
Geschwindigkeit des Beginns und
der des Abklingens der zuletzt erlebten depressiven Episode (rho = 0.20;
p = 0.09). Bei getrennter Betrachtung
ließ sich weder bei Patienten mit BD
noch DU eine derartige Korrelation
statistisch nachweisen.
Geschwindigkeit des Depressionsbeginns: Ein Unterscheidungsmerkmal ...
Abbildung 2: Ergebnisse der ROC-Analysen: Unterschiede zwischen Patienten mit unipolarer Depression (UD; N=108) und Patienten mit
bipolarer affektiver Störung (BD; N=50) hinsichtlich der Geschwindigkeit des Beginns der letzten depressiven Episode. Die
Achsen geben die Wahrscheinlichkeit (p) wieder, dass Patienten
mit UD/BD ein langsameres Einsetzen der letzten depressiven
Episode haben als vom entsprechenden Schwellenwert angezeigt (z.B. 1 Monat; UD: 68.5%; BD: 8%). h = Stunde; Min. =
Minute.
Diskussion
Untersucht wurde die Geschwindig­
keit des Einsetzens depressiver
Episoden bei unipolarer Depression
(UD) und bipolarer Depression (BD).
Sie könnte einen bedeutenden klinischen Aspekt zur Unterscheidung
von UD und BD darstellen, welcher
unseres Wissens in der klinischen
Forschung bisher weitgehend unbeachtet blieb. Es zeigten sich intraindividuell ähnliche Geschwindigkeiten
des Einsetzens depressiver Symp­to­
matik in verschiedenen Episoden.
Sowohl in der Gruppe mit UD als auch
der mit BD war die Geschwindigkeit
des Beginns der zuletzt erlebten und
der vorangegangenen Episode positiv korreliert. Dies lässt vermuten,
dass es sich um ein stabiles Merkmal
handelt, welches möglicherweise auf
unterschiedliche neurobiologische
Mechanismen hinweist.
Die Hypothese, dass die Geschwin­
digkeit des Beginns depressiver Epi­
soden schneller bei Patienten mit BD
als bei Patienten mit UD ist, wurde
durch die Ergebnisse deutlich bestätigt. Schnelles Einsetzen der depressiven Episode (innerhalb eines
Monats) war häufiger bei Patienten
mit BD als UD (92% vs. 31,5%).
Die beobachtete Differenz in der
Geschwindigkeit des Beginns depressiver Episoden ergab sich nicht
aufgrund der Unterschiede in der
Häufigkeit vorangegangener akuter kritischer Lebensereignisse, die
zu einem schnelleren Einsetzen der
97
Episoden führen können (etwa akute
Verlusterlebnisse): Die Grup­pen unterschieden sich nicht signi­fikant hinsichtlich des prozentua­len Anteils solcher Ereignisse und die beobachteten
signifikanten Unterschiede zeigten
sich nach Ausschluss der Patienten mit
akuten kritischen Lebensereignissen.
Eben­falls nach Ausschluss von 7
Patienten, die einen „Switch“ aus der
vorangegangenen (hypo)manischen
Episode erlebt hatten, zeigten sich
statistisch signifikante Unterschiede
zwischen Patienten mit UD und BD
hinsichtlich der Geschwindigkeit des
Beginns der zuletzt erlebten depressiven Episode.
In der Literatur findet sich nur eine
retrospektive Vergleichsstudie, in
der über das Einsetzen depressiver
Epi­soden bei Patienten mit UD und
BD berichtet wurde [9]: Dort wurde
bei 44.8% der Patienten mit BD, aber
nur bei 15.9% der Patienten mit rezidivierender depressiver Störung ein
plötzlicher Beginn gefunden. Dieses
Ergebnis ist jenen unserer Studie ähnlich, in der sich depressive Episoden
bei 42% der Patienten mit BD innerhalb von drei Tagen entwickelten,
im Gegensatz zu 4.7% der Patienten ­
mit UD.
Ein weiteres Ergebnis dieser Studie
bezieht sich auf die Frage, ob die
Geschwindigkeit des Beginns einer depressiven Episode die
Geschwindigkeit ihres Abklingens
zu prädizieren erlaubt. Dies wurde
nicht bestätigt. Weder bei Patienten
mit UD noch mit BD korrelierte die
Geschwindigkeit des Beginns einer depressiven Episode mit deren
Abklingen.
Es ergeben sich einige Ein­schrän­
kungen der Aussagekraft dieser
Studie:
1.) Bei Untersuchungen der Ge­
schwindigkeit des Beginns
de­pressiver Episoden müssen als mögliche Auslöser
der Episode akute kritische
Lebensereignisse berücksichtigt werden. Die Definition
und valide Untersuchung sol-
Hegerl et al.
2.) 3.) 4.) 5.) cher Lebensereignisse ist bekanntermaßen schwierig [7].
Dieses Problem dürfte unsere
Ergebnisse jedoch kaum tangiert haben, weil depressive
Episoden mit identifizierbaren
vorausgegangenen akuten kritischen Lebensereignissen von
der weiteren Analyse der Daten
ausgeschlossen wurden.
Der Einfluss von Psychotherapie
und Pharmakotherapie wurde nicht kontrolliert. Somit ist
nicht auszuschließen, dass unterschiedliche medikamentöse
Compliance in beiden Gruppen
oder gar das Absetzen der antidepressiven Medikation Ein­
fluss auf die Ergebnisse gehabt
haben.
In die Studie wurden neben
Patienten mit Bipolar-I-Störung
(n=15) auch Patienten mit
Bipolar-II-Störung (n=1) eingeschlossen (bei 34 Patienten
konnte nicht mehr ermittelt
werden, ob sie eine BipolarI- oder Bipolar-II-Störung hatten). Zwei Patienten erfüllten
die diagnostischen Kriterien
für Rapid Cycling. Für eine
Berücksichtigung dieser diagnostischen Untergruppen war
die statistische Power nicht
ausreichend. Für weiterführende Studien wäre es wünschenswert, den unipolar depressiven Patienten eine homogenere Gruppe von Patienten im
Rahmen des bipolar affektiven
Spektrums gegenüberzustellen.
Eine weitere Einschränkung ist,
dass die Interviewer nicht verblindet waren hinsichtlich der
Diagnose der Patienten und es
nicht ausgeschlossen werden
kann, dass dies in einigen Fällen
Einfluss auf die Ergebnisse der
Studie gehabt hat.
Darüber hinaus ist zu erwähnen,
dass die meisten Patienten nach
klinischer Besserung interviewt
wurden. Sie mussten sich erinnern, wie die letzte und die vorangegangene bzw. erste depres-
98
sive Episode begann. Bei einigen
Patienten lagen diese Ereignisse
bereits mehrere Monate zurück,
was die Validität der Berichte
der Patienten einschränkt.
6.) ODI-Validierungsstudien stehen
noch aus.
Unter
Berücksichtigung
dieser
Ein­schrän­kungen konnte in dieser
Studie gezeigt werden, dass die Ge­
schwindigkeit des Beginns depressiver Episoden ein relevanter klinischer
Aspekt ist, welcher in zukünftigen
Studien sorgfältiger berücksichtigt
werden sollte. Für die Behandler
ist es wichtig zu wissen, dass ein
schnelles Einsetzen einer bestimmten depressiven Episode (innerhalb
einer Woche) häufiger im Rahmen
bipolarer affektiver Störungen zu
beobachten ist und weniger häufig
bei unipolaren Depressionen. Die
Geschwindigkeit des Beginns depressiver Episoden mag ebenso hilfreich sein, um pathophysiologisch
homogenere Subgruppen innerhalb
unipolarer und bipolarer affektiver
Störungen zu definieren. Bedeutende
Fragen für die weitere Forschung
sind u.a., ob sich Patienten mit raschem versus langsamem Beginn
depressiver Episoden hinsichtlich des
Ansprechens auf Medikamente und
genetischer Aspekte voneinander unterscheiden.
Literatur
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
Die vorliegende Arbeit entstand im
Rahmen des vom Bundesministerium
für
Bildung
und
Forschung
(BMBF; FKZ 01 GI 9922/0222)
geförderten
Kompetenznetzes
Depression/Suizidalität. Sie wurde vom Bayerischen Ministerium
für Wissenschaft, Forschung und
Kunst (im Kontext des Promo­
tionsstipendiums für Frau Dipl.Psych. Anja-Christine Bottner) gefördert.
[10]
[11]
[12]
[13]
Abrams R., Taylor M.A.: A comparison
of unipolar and bipolar depressive illness. American Journal of Psychiatry
137, 1084-1087 (1980).
Akiskal H.S.: Classification, diagnosis
and boundaries of bipolar disorders: a
review. In: Maj M., Akiskal H.S., LopezIbor J.J., Sartorius N.: Bipolar Disorder.
Wiley, Chichester 2002.
Angst J., Sellaro R., Stassen H.H.,
Gamma A.: Diagnostic conversion from
depression to bipolar disorders: results
of a long-term prospective study of hospital admissions. Journal of Affective
Disorders 84, 149-157 (2005).
Benazzi F.: Clinical differences between
bipolar II depression and unipolar major
depressive disorder: lack of an effect of
age. Journal of Affective Disorders 75,
191-195 (2003).
Benazzi F.: Melancholic outpatient
depression in Bipolar-II vs. unipolar.
Progress in Neuropsychopharmacology
and Biological Psychiatry 28, 481-485
(2004).
Coryell W., Endicott J., Maser J.D.,
Keller M.B., Leon A.C., Akiskal H.S.:
Long-term stability of polarity distinctions in the affective disorders. American
Journal of Psychiatry 152, 385-390
(1995).
Dohrenwend B.P.: Inventorying stressful life events as risk factors for psychopathology: Toward resolution of the
problem of intracategory variability.
Psychological Bulletin 132, 477-495
(2006).
Fisfalen M.E., Schulze T.G., DePaulo
J.R. Jr., DeGroot L.J., Badner J.A.,
McMahon F.J.: Familial variation in episode frequency in bipolar affective disorder. American Journal of Psychiatry
162, 1266-1272 (2005).
Gassab L., Mechri A., Gaha L., Khiari
G., Zaafrane F., Zougaghi L.: Bipolarity
correlated factors in major depression:
about 155 Tunisian inpatients. Encephale
28, 283-289 (2002).
Goldberg J.F., Harrow M., Whiteside
J.E.: Risk for bipolar illness in patients
initially hospitalized for unipolar depression. American Journal of Psychiatry
158, 1265-1270 (2001).
Hamilton M.: A rating scale for depression. Journal of Neurology, Neurosurgery
and Psychiatry 23, 56-61 (1960).
Mitchell P.B., Wilhelm K., Parker G.,
Austin M.-P., Rutgers P., Malhi G.S.:
The clinical features of bipolar depression: a comparison with matched major
depressive disorder patients. Journal of
Clinical Psychiatry 62, 212-216 (2001).
Perlis R.H., Brown E., Baker R.W.,
Nierenberg A.A.: Clinical features of
bipolar depression versus major depres-
Geschwindigkeit des Depressionsbeginns: Ein Unterscheidungsmerkmal ...
sive disorder in large multicenter trials.
American Journal of Psychiatry 163,
225-231 (2006).
[14] Schneck C.D., Miklowitz D.J., Calabrese
J.R., Allen M.H., Thomas M.R.,
Wisniewski S.R., Miyahara S., Shelton
M.D., Ketter T.A., Goldberg J.F., Bowden
C.L., Sachs G.S.: Phenomenology of rapid cycling bipolar disorder: data from the
first 500 participants in the Systematic
Treatment Enhancement Program.
American Journal of Psychiatry 161,
1902-1908 (2004).
[15] Strober M., Carlson G.: Bipolar illness
in adolescents with major depression:
clinical, genetic, and psychopharmacologic predictors in a three- to four-year
prospective follow-up investigation.
Archives of General Psychiatry 39, 549555 (1982).
[16] Winokur, G.: Duration of illness prior to
hospitalization (onset) in the affective
disorders. Neuropsychobiology 2, 87-93
(1976).
[17] Winokur G., Coryell W., Endicott J.,
Akiskal H.: Further distinctions between
manic-depressive illness (bipolar disorder) and primary depressive disorder
(unipolar depression). American Journal
of Psychiatry 150, 1176-1181 (1993).
[18] Wittchen H.-U., Pfister H.: Instruktionsmanual zur Durchführung von DIA-X
Interviews. Swets Test Services, Frankfurt am Main 1997.
[19] World Health Organization: Composite
International Diagnostic Interview, Version 1.1. World Health Organisation,
Genf 1993.
99
Professor Dr. med. Ulrich Hegerl
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie,
Universitätsklinikum Leipzig
[email protected]
Originalarbeit
Original
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 100–111
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter
Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
Christiane Roick1, Jana Schindler2, Matthias C. Angermeyer3, Anita Fritz-Wieacker4,
Steffi Riedel-Heller4 und Stefan Frühwald5
1
Universität Leipzig, Stiftungsprofessur für Gesundheitsökonomie
2
Vogtland-Klinikum Plauen, Klinik für Psychiatrie und Psychiatrie
3
Center for Public Mental Health, Gösing am Wagram
4
Universität Leipzig, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
Psychosozialer Dienst, Caritas der Diözese St. Pölten
5
Schlüsselwörter:
Schizophrenie – Gesundheitsverhalten
– Deutschland – Österreich
Keywords:
Schizophrenia – health habits – Germany
– Austria
Das Gesundheitsverhalten schizophren erkrankter Patienten: ein
typisches Verhaltensmuster?
Anliegen: Schizophren Erkrankte
haben in vielen Lebensbereichen einen ungesünderen Lebensstil als die
Allgemeinbevölkerung. Die vorliegende Studie analysiert, ob das ungesunde Verhalten ein typisches, überregionales Muster darstellt und ob psychosoziale Folgen der Schizophrenie
(Alleinleben, Erwerbslosigkeit) das
Verhalten beeinflussen. ­ Methode:
Schizophren erkrankte, ambulant
behandelte Patienten in Deutschland (N=95) und Österreich (N=97)
wurden zu Ess- und Trinkverhalten,
Nikotinkonsum und körperlichen
Aktivitäten befragt. Die Auswertung
erfolgte durch Regressionsanalysen.
Ergebnisse: Das Gesundheitsverhalten schizophren erkrankter Patienten
in Deutschland und Österreich ist
ähnlich. Die österreichischen Pro© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
banden zeigten nur beim Zigarettenkonsum und der Nahrungsmittelwahl
einen etwas ungesünderen Lebensstil, waren aber am Wochenende körperlich aktiver. Das Alleinleben hatte
keinen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten, aber Erwerbslosigkeit war
mit geringerer körperlicher Aktivität
an Werktagen verbunden. Schlussfolgerungen: Das Gesundheitsverhalten
schizophren erkrankter Patienten
weist nach unseren Ergebnissen ein
typisches, überregionales Muster auf.
Psychosoziale Folgen der Schizophrenie erklären das Gesundheitsverhalten der Patienten jedoch kaum.
Health habits of patients with schizophrenia: a general pattern?
Objective: Schizophrenia patients
have in many aspects an unhealthier
lifestyle than the general population.
The aim of this study is to determine if disadvantageous health habits of schizophrenia patients present
a general pattern that repeats itself
in other regions and if psychosocial
consequences of schizophrenia (singleness, unemployment) influence
patients’ health habits. Methods:
95 schizophrenia outpatients from
Germany and 97 from Austria were
examined regarding eating-, drinking-, smoking- and physical-activity
habits. Differences in health habits
and the influence of psychosocial pa-
rameters were examined with regression analyses. Results: Health habits
of schizophrenia patients in Germany
and Austria were very similar. Subjects from Austria lived unhealthier
only regarding cigarette consumption
and grocery choices, while they had
a healthier lifestyle regarding physical activity on the weekend. Singleness had no influence on health habits, unemployment was connected
with less physical activity on workdays. Conclusions: Health habits of
schizophrenia patients seem to have
a general pattern, but psychosocial
consequences of schizophrenia explain little about the patients’ health
habits.
Einleitung
Schizophren erkrankte Patienten
haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für
körperliche Erkrankungen, insbesondere für Übergewicht, Diabetes,
Herz- und Kreislauf-Erkrankungen
sowie bösartige Neubildungen [10,
11, 20, 24, 33, 39]. Zudem ist bei ihnen die Sterblichkeit an Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes höher
als in der Allgemeinbevölkerung [3,
5, 31]. Über die Ursachen der erhöhten Morbidität und Mortalität mit
körperlichen Erkrankungen ist bislang relativ wenig bekannt. Nur der
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
Zusammenhang zwischen neuroleptischer Medikation und Übergewicht
bzw. Diabetes ist relativ gut untersucht [7, 38, 43]. Allerdings wurde
das Phänomen der Gewichtszunahme
bei schizophrenen Erkrankten auch
schon vor der Einführung von Neuroleptika beobachtet [41] und nicht alle
Patienten, die Neuroleptika erhalten,
nehmen gleichermaßen an Gewicht
zu [2]. Ebenso liegt das häufigere
Auftreten eines Typ-2-Diabetes nicht
nur an der Einnahme von Medikamenten, sondern es besteht zudem offensichtlich ein Zusammenhang mit
der schizophrenen Erkrankung selbst
[34, 37]. Das bedeutet, dass außer den
Nebenwirkungen der Pharmakotherapie auch der Lebensstil der Erkrankten Einfluss auf die hohe somatische
Komorbidität bei schizophrenen Psychosen haben könnte. Dieser Aspekt
wurde jedoch bislang nur unbefriedigend untersucht [7]. Während einige
Studien das Gesundheitsverhalten
diagnostisch inhomogener Gruppen
von psychisch Kranken analysierten
[8, 40], beleuchteten andere nur Einzelaspekte des Gesundheitsverhaltens
schizophrener Patienten [9, 14, 24,
26-28] oder ermöglichten Vergleiche
mit dem Gesundheitsverhalten der
Allgemeinbevölkerung nur unter erheblichen methodischen Einschränkungen [4].
Wir haben deshalb kürzlich eine Pilotstudie durchgeführt, in welcher der
Lebensstil schizophrener Patienten
umfassend analysiert und den Ergebnissen einer Bevölkerungsumfrage
gegenübergestellt wurde [36]. Wir
untersuchten ambulant behandelte,
schizophren erkrankte Patienten aus
Ostdeutschland und verglichen deren
Angaben direkt mit den Angaben von
Probanden aus der ostdeutschen Allgemeinbevölkerung. Unsere Studie
zeigte in Übereinstimmung mit den
Ergebnissen anderer Studien, dass
schizophrene Patienten im Vergleich
zur Allgemeinbevölkerung in vielen
Bereichen einen ungesünderen Lebensstil als die Allgemeinbevölkerung
haben. Sie essen seltener Lebensmittel, die für häufigen Konsum empfoh-
len werden; sie trinken mehr Kaffee;
frühstücken seltener und essen öfter
noch spät am Abend. Zudem ist nicht
nur die Anzahl der Raucher, sondern
auch die Zahl der von den Rauchern
konsumierten Zigaretten bei schizophrenen Patienten größer als in der
Allgemeinbevölkerung. Darüber hinaus gelingt es schizophren Erkrankten deutlich seltener und im Mittel
erst sechs Jahre später als Rauchern
in der Allgemeinbevölkerung, das
Rauchen langfristig aufzugeben. Im
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
sind schizophren Erkrankte überdies
sowohl in ihrer Freizeit als auch im
Verlauf normaler Werk- und Wochenendtage deutlich weniger körperlich
aktiv [36].
Bislang bleibt bei den eingangs erwähnten Studien jedoch unklar, ob
das Gesundheitsverhalten schizophrener Patienten ein typisches Muster
darstellt, das auch bei schizophren
Erkrankten in anderen Regionen wiedergefunden werden kann. Zudem ist
noch wenig bekannt über die Ursachen des abweichenden Gesundheitsverhaltens schizophren Erkrankter.
Bislang konnte nur gezeigt werden,
dass Nikotin schizophren Erkrankten
auch als Selbstmedikation dient, um
die Nebenwirkungen von Neuroleptika abzuschwächen, Negativsymptome zu kompensieren und kognitive
Defizite, die mit der Schizophrenie
verbunden sind, auszugleichen [18].
Auch der starke Kaffeekonsum schizophrener Patienten könnte mit einer
günstigen Beeinflussung von Negativsymptomen in Verbindung stehen
[21]. Die Negativsymptome selbst
können wiederum dazu führen, dass
schizophren Erkrankte weniger motiviert sind, sich in ihrer Freizeit zu
bewegen [17], oder morgens später
aufstehen [36].
Neben diesen, direkt mit der schizophrenen Erkrankung verbundenen
Ursachen, können aber auch die psychosozialen Folgen der Schizophrenie den Lebensstil der Erkrankten ungünstig beeinflussen. So lebt im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein
deutlich höherer Prozentsatz schizo-
101
phrener Patienten allein und/oder ist
von Erwerbslosigkeit betroffen [1].
Das Alleinleben kann es erschweren,
Sport zu treiben, spazieren zu gehen
oder für sich selbst zu kochen. Arbeitslose sind in der Regel geringeren
körperlichen Anforderungen ausgesetzt als Erwerbstätige. Zusätzlich
führen die aufgrund der Erwerbslosigkeit zur Verfügung stehenden
geringeren finanziellen Mittel dazu,
dass weniger Geld für vergleichsweise teure gesunde Lebensmittel, wie
Obst und Gemüse, ausgegeben werden kann [25].
Inwieweit die genannten psychosozialen Konsequenzen der schizophrenen Erkrankung Einfluss auf den Lebensstil der Patienten haben, wurde
bislang noch nicht untersucht. Die
vorliegende Studie verfolgt deshalb
zwei Ziele. Zum einen soll geklärt
werden, ob das von der Allgemeinbevölkerung abweichende Gesundheitsverhalten schizophrener Patienten ein
generelles Muster darstellt und daher
auch in anderen Untersuchungsregionen replizierbar ist. Zum anderen soll
analysiert werden, inwieweit die psychosozialen Konsequenzen der Schizophrenie das Gesundheitsverhalten
der Erkrankten beeinflussen.
Für die vorliegende Untersuchung
wurden schizophrene Patienten in
Deutschland und Österreich befragt,
weil in den beiden Nachbarländern
die gleiche Sprache gesprochen wird
und das medizinische und psychiatrische Versorgungsangebot vergleichbar gut ist.
Der Untersuchung liegen folgende
Hypothesen zugrunde:
• Der ungesunde Lebensstil schizophrener Patienten stellt ein typisches Muster dar und findet sich
daher nicht nur bei schizophren
Erkrankten in Deutschland, sondern auch bei schizophren erkrankten Patienten in Österreich wieder.
• Der ungesunde Lebensstil schizo­­
phrener Patienten wird durch psychosoziale Konseque­nzen der schizophrenen Er­kran­­kung (Erwerbslosigkeit und Alleinleben) moderiert.
Roick, Schindler, Angermeyer, Fritz-Wieacker, Riedel-Heller, Frühwald
Stichprobe und Methode
Stichprobe
95 schizophren erkrankte Patienten aus Deutschland (Plauen), die in
unserer Pilotstudie im Gesundheitsverhalten deutliche Unterschiede im
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
gezeigt hatten [36], wurden mit 97
schizophrenen Patienten aus Österreich (St. Pölten) verglichen.
Plauen ist eine sächsische Kleinstadt
mit einer Größe von 102 km2 und
69.000 Einwohnern [45]. St. Pölten wurde als Untersuchungsregion
in Österreich gewählt, da es in seiner kleinstädtischen Struktur sowie
der Größe und der Einwohnerzahl
mit Plauen vergleichbar ist. In der
niederösterreichischen Stadt leben
50.000 Einwohner auf einer Fläche
von 109 km2 [19].
Zur Probandenrekrutierung wurden
die ambulanten Einrichtungen beider Untersuchungsregionen gebeten,
alle Patienten im Alter zwischen 18
und 79 Jahren mit der Diagnose einer Schizophrenie (ICD10 F20; [46])
über die geplante Studie zu informieren. Den Patienten wurden die Ziele
der Untersuchung erläutert und sie
wurden auf die Möglichkeit hingewiesen, die Studienteilnahme ohne
Angabe von Gründen zu verweigern.
Die Probandenrekrutierung erfolgte
konsekutiv mit dem Ziel, in jeder Region ca. 100 Probanden zu befragen.
Patienten mit kognitiven Problemen
und Erkrankte, die nicht in der Lage
waren, den Studienfragebogen selbst
auszufüllen, wurden von der Studie
ausgeschlossen.
In Plauen wurden 115 Patienten gebeten, an der Studie teilzunehmen.
19 Personen (17%) verweigerten die
Teilnahme, 96 (83%) stimmten einer
Untersuchung zu. Allerdings konnte
der Fragebogen eines Teilnehmers
aufgrund unzureichender Angaben
nicht in die Auswertung einbezogen
werden.
In St. Pölten wurden 121 Patienten
gebeten, an der Studie teilzunehmen. Davon verweigerten 22 Personen (18%) die Teilnahme, 99 (82%)
stimmten einer Untersuchung zu, jedoch konnten zwei Fragebögen aufgrund unzureichender Angaben nicht
ausgewertet werden. Damit umfasste
die untersuchte Stichprobe insgesamt
192 Probanden (Plauen: N=95, St.
Pölten: N=97).
Die Datenerhebung fand zwischen
August 2004 und Oktober 2005 statt.
Untersuchungsmethode
Die Probanden erhielten einen Fragebogen zum Selbstausfüllen und
konnten, wenn sie Schwierigkeiten
mit der Beantwortung hatten, einen
Projektmitarbeiter um Hilfe bitten.
Die soziodemographischen Daten der
Studienteilnehmer und die Angaben
zu ihrem Gesundheitsverhalten wurden unter Verwendung der jeweiligen Sektionen aus dem Deutschen
Bundesgesundheitssurvey 1998 [42]
erfragt. Die Sektionen des Bundesgesundheitssurveys wurden als Messinstrument ausgewählt, weil die damit
in der deutschen Allgemeinbevölkerung erhobenen Daten für wissenschaftliche Zwecke frei zugänglich
sind und somit ein direkter Vergleich
des Gesundheitsverhaltens schizophren erkrankter Patienten mit dem
der deutschen Allgemeinbevölkerung
möglich ist.
Bei der Untersuchung des Ess- und
Trinkverhaltens wurden Daten zur
Häufigkeit des Konsums bestimmter
Nahrungsmittel und Getränke im vergangenen Jahr erhoben. Die Antworten waren auf einer 7-stufigen Likertskala zu codieren, die von 0 (nie) bis
6 (mehrmals täglich) reichte. Um das
detailliert erfragte Ernährungsverhalten sinnvoll zusammenfassen zu
können, wurden alle Nahrungsmittel
entsprechend der Empfehlungen internationaler Guidelines für gesunde
Ernährung einer der folgenden drei
Kategorien zugeordnet: Nahrungsmittel, die für häufigen, mäßigen oder
seltenen Konsum empfohlen werden
[32]. Zusätzlich wurde erhoben, welche Mahlzeiten die Probanden normalerweise an Werktagen einnehmen.
102
Die Menge des konsumierten Alkohols wurde, differenziert nach den
unterschiedlichen Arten alkoholischer Getränke, in Litern bzw. Zentilitern erfragt. Die angegebenen Alkoholmengen wurden auf der Basis des
durchschnittlichen Alkoholgehalts
der gängigen alkoholischen Getränke in Gramm Alkohol umgerechnet.
Dazu wurden die von Möller et al.
publizierten Umrechnungswerte verwendet [29]. Die durchschnittliche
tägliche Trinkmenge wurde anhand
der Häufigkeit des Alkoholkonsums
im vergangenen Jahr und anhand der
durchschnittlichen Trinkmenge bei
Alkoholkonsum ermittelt. Außerdem
wurden die Probanden gefragt, ob
sich ihr Alkoholkonsum im Vergleich
zu früher verändert hat.
Bei der Beurteilung des Rauchverhaltens wurden drei Gruppen unterschieden: Personen, die nie geraucht
haben; Personen, die aufgehört haben
zu rauchen und Personen, die gegenwärtig rauchen. Für letztere Gruppe
wurde der durchschnittliche Zigarettenkonsum pro Tag erfasst.
Die körperliche Aktivität wurde zum
einen danach beurteilt wie viel Zeit
die Probanden in den letzten 3 Monaten im Laufe eines 24-stündigen Tages
durchschnittlich mit bestimmten Aktivitäten verbrachten. Die Aktivitäten
wurden entsprechend der mit ihnen
verbundenen körperlichen Belastung
in drei Schweregrade eingeteilt: körperlich nicht anstrengende, mäßig
anstrengende und anstrengende Aktivitäten. Zum anderen wurde erfasst,
wie oft und wie lange die Probanden
in ihrer Freizeit sportlichen Aktivitäten nachgingen.
Statistische Analyse
Zur Untersuchung der soziodemographischen Unterschiede zwischen
beiden Stichproben wurden der Chi2Test bzw. der Mann-Whitney-U-Test
verwendet. Die Prüfung auf statistisch signifikante Unterschiede im
Gesundheitsverhalten der Probanden
aus Plauen und St. Pölten (Hypothese 1) erfolgte mit linearen oder
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
logistischen
Regressionsanalysen
unter Kontrolle derjenigen soziodemographischen Parameter, die sich in
beiden Subgruppen signifikant unterschieden (Bildungsniveau, Beschäftigungsstatus, Wohnsituation, Anzahl
der bisherigen stationären und teilstationären Aufenthalte). Parallel zur
Untersuchung der Gesamtstichprobe
wurden geschlechtsspezifische Analysen durchgeführt. Diese Ergebnisse
werden im Interesse einer übersichtlichen Darstellung im Folgenden aber
nur erwähnt, wenn sie sich deutlich
von den Ergebnissen der Gesamtanalyse unterscheiden. Die Berechnungen wurden mit den Statistik-Programmen SPSS (Version 12.0) und
STATA (Version 8.2) durchgeführt.
Um zu prüfen, ob die psychosozialen Folgen der Schizophrenie das
Gesundheitsverhalten der Patienten
modifizieren (Hypothese 2) wurden
lineare Regressionsanalysen durchgeführt. Dafür wurde in den Bereichen
Ernährung, Trinkverhalten, Rauchen
und körperliche Aktivität jeweils ein
wesentlicher Aspekt des Gesundheitsverhaltens als abhängige Variable
ausgewählt. Als unabhängige Variablen wurden die primär interessierenden Variablen Erwerbslosigkeit und
Alleinleben in das Modell aufgenommen, sowie als Kontrollvariablen soziodemographische Parameter (Alter,
Geschlecht, Ausbildungsniveau) und
Indikatoren für die Krankheitsschwere (Krankheitsdauer, Unterbringung
in beschützten Wohnformen und Anzahl der bisherigen stationären und
teilstationären Aufenthalte).
Ergebnisse
Analyse der Stichproben-Eigenschaften und möglicher Selek­
tionseffekte
Um mögliche Selektionseffekte identifizieren zu können, wurden basale
soziodemographische Daten der 41
Patienten, die ihre Teilnahme an der
Studie verweigert hatten, mit den Daten der 192 schizophrenen Patienten
verglichen, die teilgenommen hatten.
Zwischen Teilnehmern und NichtTeilnehmern fanden sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich
der Geschlechtsverteilung (p=0,517),
des Alters (p=0,284), und dem Anteil
der beiden Patientengruppen in jeder Untersuchungsregion (p=0,715).
49% der Patienten begründeten die
Verweigerung ihrer Teilnahme an der
Studie mit einer generellen Skepsis
gegenüber Studien, 20% konnten
aufgrund akuter Krankheitssymptome nicht teilnehmen, 15% aufgrund
Zeitmangels, 10% hatten keine Lust
an einer Befragung teilzunehmen
und 7% verweigerten ihre Teilnahme
aufgrund einer spezifischen Aversion
gegen das Thema der Studie.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über
die soziodemographischen Merkmale der Probanden aus Plauen und
St. Pölten. Beide Stichproben unterscheiden sich nicht hinsichtlich der
Geschlechtsverteilung, des Alters,
des Familienstands und der Dauer
der schizophrenen Erkrankung. Der
Anteil der Probanden ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist in St.
Pölten jedoch signifikant höher als in
Plauen (p=0,001). Im Gegensatz dazu
ist der Anteil an gegenwärtig nicht
erwerbstätigen Probanden in Plauen
signifikant höher (p=0,007). Auch
hinsichtlich des Krankheitsverlaufs
gibt es Unterschiede zwischen beiden
Gruppen. So lebt bei den Probanden
aus Plauen ein wesentlich größerer
Prozentsatz in beschützten Wohnformen (p=0,001) und die Zahl der
bisherigen stationären und teilstationären Aufnahmen ist in der Plauener
Stichprobe im Mittel ebenfalls höher
als in St. Pölten (p<0,001).
Um den Einfluss dieser Stichprobenunterschiede kontrollieren zu können,
erfolgte die Prüfung auf statistisch signifikante Unterschiede im Gesundheitsverhalten der Probanden aus
Plauen und St. Pölten mit linearen
oder logistischen Regressionsanalysen unter Kontrolle der Variablen
Ausbildungsniveau, Beschäftigungsstatus, Wohnsituation sowie Anzahl
103
der bisherigen stationären und teilstationären psychiatrischen Aufenthalte.
Vergleich des Gesundheitsverhaltens der Probanden aus Deutschland und Österreich
Hinsichtlich der Anzahl und der Art
der Mahlzeiten, welche die Probanden gewöhnlich an Werktagen zu
sich nahmen, bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den
Probanden aus Plauen und St. Pölten
(Tabelle 2). Die österreichischen Probanden nahmen jedoch tendenziell
häufiger noch am späten Abend etwas
zu sich. Dieser Unterschied erreichte
bei den Männern das Signifikanzniveau (p=0,026). Zudem zeigt Tabelle 2, dass die Probanden aus Plauen
seltener Nahrungsmittel aßen, die für
seltenen Konsum empfohlen werden
(p=0,011), aber häufiger Nahrungsmittel konsumierten, die für mäßigen
(p=0,021) oder häufigen Konsum
(p=0,026) empfohlen werden.
Das Trinkverhalten der schizophren
erkrankten Patienten aus Plauen
und St. Pölten unterschied sich in
10 von 12 untersuchten Bereichen
nicht signifikant. Die Probanden aus
St. Pölten tranken allerdings häufiger Mineralwasser (p=0,021) und
seltener Bier (p=0,033; Tabelle 2).
In der geschlechtsspezifischen Analyse zeigte sich zudem, dass Frauen aus Plauen mehr Wein und Sekt
tranken (p=0,002), während bei den
männlichen Patienten beider Untersuchungsregionen diesbezüglich kein
signifikanter Unterschied bestand
(p=0,344).
Die schizophrenen Patienten aus
Plauen konsumierten pro Tag durchschnittlich 8,2 Gramm (SD 19,2) reinen Alkohol, während die Patienten
aus St. Pölten 6,4 Gramm (SD 18,9;
p=0,218) zu sich nahmen. 38% der
Probanden aus Plauen und 45% der
Probanden aus St. Pölten gaben an,
früher mehr Alkohol getrunken zu
haben (p=0,292).
Roick, Schindler, Angermeyer, Fritz-Wieacker, Riedel-Heller, Frühwald
Geschlecht, Anteil der Männer N (%)
Alter, Mittelwert (SD)
104
Plauen
(N=95)
St. Pölten
(N=97)
p Wert
49 (52)
46 (47)
0,565
42,1 (13.0)
42,0 (12,3)
0,950
Familienstand %
Ledig
52
55
Verheiratet
22
14
Geschieden / Getrennt lebend
24
28
Verwitwet
2
3
0,561
Berufliches Ausbildungsniveau, %
Universität / Hochschule
9
4
Lehre / Fachschule / Berufsfachschule
72
49
Keine abgeschlossene Berufsausbildung
14
40
Noch in Ausbildung
2
3
Sonstiges
3
4
86,3
70,1
0,007
12,8 (11,5)
11,7 (9,1)
0,951
23,2
6,2
0,001
7,6 (6,5)
5,7 (7,3)
<0,001
Zur Zeit ohne Erwerbstätigkeit, %
Dauer der schizophrenen Erkrankung in Jahren,
Mittelwert (SD)
Unterbringung in beschützter Wohneinrichtung, %
Bisherige stationäre bzw. teilstationäre Aufenthalte in
der Psychiatrie, Mittelwert (SD)
0,001
Tabelle 1: Soziodemographische Stichprobenmerkmale und Parameter des Krankheitsverlaufs der Probanden aus
Plauen (Deutschland) und St. Pölten (Österreich)
Auch das Rauchverhalten der Probanden aus Plauen und St. Pölten unterschied sich nicht signifikant (Tabelle
3). In beiden Regionen war der Anteil
der Probanden, die noch nie geraucht
hatten, die gegenwärtig rauchten und
die erfolgreich mit dem Rauchen aufgehört hatten, ähnlich groß. Auch das
Alter, in dem die Probanden im Mittel mit dem Rauchen anfingen bzw.
das Alter, in dem es ihnen gelang,
mit dem Rauchen aufzuhören, war in
beiden Untersuchungsregionen ähnlich. Nur beim Zigarettenkonsum der
gegenwärtigen Raucher zeigte sich,
dass die schizophren erkrankten Patienten aus St. Pölten im Mittel deutlich
mehr Zigaretten pro Tag rauchten als
die Patienten aus Plauen (p=0,008).
Die Zeit, welche die schizophren erkrankten Patienten aus Plauen und St.
Pölten an Werktagen durchschnittlich
mit körperlich nicht anstrengenden,
mäßig anstrengenden oder anstrengenden Aktivitäten verbrachten, unterschied sich nicht signifikant (Tabelle 4). Am Wochenende waren die
österreichischen Probanden jedoch
körperlich etwas aktiver als die deut-
sche Vergleichsgruppe (p=0.038).
Der Anteil der schizophren Erkrankten, die angaben, in ihrer Freizeit
überhaupt keinen Sport zu treiben,
war in beiden Untersuchungsregionen ähnlich. Bei den Probanden, die
in ihrer Freizeit sportlichen Aktivitäten nachgingen, fand sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der
damit verbrachten Zeit.
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
105
Plauen
St. Pölten
p Wert +
3,4 (0.8)
3,5 (1,0)
0,545
Probanden die frühstücken, %
78
65
0,265
Probanden die ein zweites Frühstück zu sich nehmen, %
19
31
0,531
Probanden die zu Mittag essen, %
91
94
0,304
Probanden die nachmittags eine Zwischenmahlzeit zu sich nehmen, %
40
45
0,255
Probanden die zu Abend essen, %
100
84
–
Probanden die einen Spätimbiss zu sich nehmen, %
14
35
0,088
Für seltenen Konsum empfohlene Nahrungsmittel 1, Mittelwert (SD)
1,9 (0,9)
2,3 (1,0)
0,011
Für mäßigen Konsum empfohlene Nahrungsmittel 2, Mittelwert (SD)
3,4 (0,6)
3,1 (0,7)
0,021
Für häufigen Konsum empfohlene Nahrungsmittel 3, Mittelwert (SD)
3,1 (0,7)
2,9 (0,9)
0,026
Mineralwasser, Mittelwert (SD)
4,8 (1,4)
5,3 (1,5)
0,021
Obst- und Gemüsesäfte, Mittelwert (SD)
3,3 (1,6)
3,3 (2,2)
0,787
Milch, Mittelwert (SD)
3,1 (1,8)
3,7 (2,1)
0,565
Schwarztee, Mittelwert (SD)
1,1 (1,6)
1,1 (1,6)
0,829
Kaffee, Mittelwert (SD)
4,7 (2,0)
4,6 (2,1)
0,559
Sportlergetränke, Mittelwert (SD)
0,4 (1,1)
0,6 (1,5)
0,381
Kalorienreduzierte Getränke, Mittelwert (SD)
2,2 (1,9)
1,8 (2,0)
0,373
Limonade, Cola, Tonic, Mittelwert (SD)
2,9 (2,0)
2,9 (2,2)
0,781
Alkoholfreies oder -reduziertes Bier, Mittelwert (SD)
0,4 (0,8)
0,5 (1,0)
0,422
Normales Bier, Mittelwert (SD)
1,3 (1,7)
1,0 (1,6)
0,033
Wein und Sekt, Mittelwert (SD)
1,0 (1,2)
0,8 (1,5)
0,155
Hochprozentige alkoholische Getränke, Mittelwert (SD)
0,4 (1,0)
0,4 (1,1)
0,488
Essverhalten
Anzahl der Mahlzeiten pro Tag, Mittelwert (SD)
Mahlzeiten, die an Werktagen überlicherweise eingenommen werden
Konsum von Nahrungsmitteln #
Konsum von Getränken #
Tabelle 2: Essverhalten und Konsum von Nahrungsmitteln und Getränken bei schizophren Erkrankten in Plauen
(Deutschland) und St. Pölten (Österreich
Anmerkungen:
+
Die Berechnung der p-Werte erfolgte unter Kontrolle des Ausbildungsniveaus, des Erwerbsstatus’, der Wohnsituation und der
­Anzahl der bisherigen stationären und teilstationären psychiatrischen Aufenthalte.
#
Die Items sind skaliert von 0 (nie) bis 6 (mehrmals täglich).
1 Pommes frites/Bratkartoffeln; Kuchen/Kekse/Süßigkeiten/Schokolade; Kartoffelchips/Cracker/Erdnüsse; fast food (Bratwurst/
Hamburger/Kebab/Pizza) (4 Items).
2 Frischkäse/Yoghurt/Quark; Fisch; Käse/Butter; Roggenmischbrot/Weißbrot und Brötchen; Eier; Fleisch/Wurst (6 Items).
3 Frisches Obst; Rohkostsalat/Gemüse; Vollkornbrot/Vollkornbrötchen; Haferflocken und Müsli; gekochtes Gemüse, Nudeln/Reis
(6 Items).
Roick, Schindler, Angermeyer, Fritz-Wieacker, Riedel-Heller, Frühwald
106
Plauen
St. Pölten
p Wert +
Gegenwärtiges Rauchverhalten
Schon immer Nichtraucher, %
30
25
0,326
Tägliche Raucher, %
56
59
0,577
Gelegenheitsraucher, %
6
3
0,162
Nichtraucher seit > 1 Jahr, %
6
12
0,128
Nichtraucher seit < 1 Jahr, %
1
0
–
Derzeitige und ehemalige Raucher:
Alter bei Beginn des Rauchens, Mittelwert (SD)
17,4 (5,1)
20,6 (9,1)
0,097
Nichtraucher seit > 1 Jahr:
Alter bei Beendigung des Rauchens, Mittelwert (SD)
46,7 (14,7)
37,5 (11,7)
0,489
Tägliche Raucher:
Anzahl der Zigaretten pro Tag, Mittelwert (SD)
18,6 (9,3)
25,6 (13,3)
0,008
Tabelle 3: Nikotinkonsum bei schizophren Erkrankten in Plauen (Deutschland) und St. Pölten (Österreich)
Anmerkungen:
+
Die Berechnung der p-Werte erfolgte unter Kontrolle des Ausbildungsniveaus, des Erwerbsstatus’, der Wohnsituation und der
­Anzahl der bisherigen stationären und teilstationären psychiatrischen Aufenthalte.
Plauen
St. Pölten
p Wert+
Körperliche Aktivität an einem Werktag (24 Stunden) in Stunden
Körperlich nicht anstrengende Aktivitäten 1, Mittelwert (SD)
22,2 (2,1)
21,4 (2,8)
0,476
Körperlich mäßig anstrengende Aktivitäten 2, Mittelwert (SD)
1,4 (1,6)
1,6 (1,8)
0,913
Körperlich anstrengende Aktivitäten 3, Mittelwert (SD)
0,4 (1,1)
0,9 (2,4)
0,298
Körperliche Aktivität an einem Wochenendtag (24 Stunden) in Stunden
Körperlich nicht anstrengende Aktivitäten 1, Mittelwert (SD)
22,9 (1,6)
22,3 (1,9)
0,028
Körperlich mäßig anstrengende Aktivitäten 2, Mittelwert (SD)
0,8 (1,0)
1,2 (1,4)
0,038
Körperlich anstrengende Aktivitäten 3, Mittelwert (SD)
0,2 (0,9)
0,5 (1,0)
0,138
46,8
37,9
0,273
50,0 (50,2)
59,6 (61,5)
0,606
Probanden, die überhaupt keinen Sport treiben, %
Trainingsstunden pro Jahr bei Probanden die Sport treiben, Mittelwert (SD)
Tabelle 4: Körperliche Aktivität schizophren Erkrankter in Plauen (Deutschland) und St. Pölten (Österreich)
Anmerkungen:
+
Die Berechnung der p-Werte erfolgte unter Kontrolle des Ausbildungsniveaus, des Erwerbsstatus’, der Wohnsituation und der
Anzahl der bisherigen stationären und teilstationären psychiatrischen Aufenthalte.
1
z.B. schlafen, ruhen, sitzende und leichte Aktivitäten
2
z.B. joggen, aufräumen, Fahrrad fahren, schwimmen
3
z.B. schwere Sachen tragen, schwere Gartenarbeit, Holzhacken
-0,004
-0,095
-0,282
0,001
-0,003
-0,337
0,020
3,127
Alter in Jahren
Allein lebend (0 nein, 1 ja)
Keine abgeschlossene Berufsausbildung
(0 nein, 1 ja)
Erwerbstätig (0 nein, 1 ja)
Dauer der schizophrenen Erkrankung in Jahren
Unterbringung in Beschützter Einrichtung
(0 nein, 1 ja)
Anzahl der bisherigen stationären/teilstationären Aufenthalte
Konstante
0,13
0,000
0,028
0,046
0,694
0,997
0,035
0,416
0,435
0,001
p Wert
2,287
0,021
2,114
0,074
0,277
3,257
3,202
0,053
-3,631
Koeffizient
0,03
0,669
0,914
0,567
0,627
0,931
0,270
0,215
0,661
0,158
p Wert
Trinken
Durchschnittlicher
Alkoholkonsum
(g Alkohol pro Tag)
20,423
0,300
0,292
0,131
0,932
2,593
0,089
-0,221
-6,777
Koeffizient
0,12
0,000
0,063
0,922
0,287
0,716
0,275
0,966
0,022
0,001
p Wert
Rauchen
Anzahl der
Zigaretten
pro Tag
(Raucher und Nichtraucher)
Tabelle 5: Multiple Regressionsanalyse der Prädikatoren des Gesundheitsverhaltens schizophren erkrankter Patienten
R2
0,389
Geschlecht (0 männlich, 1 weiblich)
Koeffizient
Ernährung
Aufnahme von
Nahrungsmitteln die für
häufigen Konsum empfohlen
werden (Häufigkeit)
20,784
-0,016
0,693
0,030
-1,428
-0,224
0,217
0,014
0,734
Koeffizient
0,12
0,000
0,622
0,254
0,213
0,005
0,638
0,601
0,465
0,074
p Wert
Körperliche Aktivität
Körperlich nicht
anstrengende Aktivitäten
an Werktagen
(Stunden)
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
107
Roick, Schindler, Angermeyer, Fritz-Wieacker, Riedel-Heller, Frühwald
Der Einfluss psychosozialer Faktoren der Schizophrenie
Tabelle 5 zeigt die Ergebnisse der
Regressionsanalysen, die durchgeführt wurden um zu prüfen, ob die
psychosozialen Folgen der schizophrenen Grunderkrankung das Gesundheitsverhalten der Erkrankten in
den Bereichen körperliche Aktivität,
Ernährung sowie Alkohol- und Nikotinkonsum modifizieren.
Wie deutlich wird, steht eine fehlende Berufstätigkeit in Zusammenhang
mit einer geringeren körperlichen
Aktivität an Werktagen. Auf die anderen untersuchten Bereiche des Gesundheitsverhaltens hat die fehlende
Erwerbstätigkeit jedoch keinen signifikanten Einfluss. Ob schizophren
Erkrankte allein leben oder nicht, hat
in keinem der untersuchten Bereiche
signifikanten Einfluss auf das Gesundheitsverhalten.
Betrachtet man die Kontrollvariablen, so findet sich ein signifikanter
Einfluss des Geschlechts auf das Ernährungs- und das Rauchverhalten,
wobei Frauen jeweils ein gesundheitsbewussteres Verhalten zeigen.
Das Alter ist ein Prädiktor für den Nikotinkonsum, der mit zunehmendem
Alter geringer wird. Ein niedrigeres
Bildungsniveau, das sich in einem
fehlenden Berufsabschluss widerspiegelt, prädiziert einen selteneren
Konsum von gesunden und empfohlenen Lebensmitteln.
Die Dauer der schizophrenen
Grunderkrankung hat keinen Einfluss
auf das Gesundheitsverhalten. Dagegen steht das Leben in beschützten
Wohnformen in Zusammenhang mit
einem selteneren Konsum von gesunden und empfohlenen Lebensmitteln,
während ein häufigerer Konsum dieser Lebensmittel durch eine höhere
Zahl stationärer oder teilstationärer
Voraufnahmen prädiziert wird.
Betrachtet man die Varianzaufklärung
in den Modellen, wird deutlich, dass
mit einem R2 von 0,12 – 0,13 in den
Bereichen Ernährung, Nikotinkonsum
und körperliche Aktivität offensichtlich einige bedeutsame Einflussfaktoren auf das Gesundheitsverhalten
identifiziert werden konnten. Anders
ist dies bei dem Regressionsmodell
zum Alkoholkonsum, das die geringste Varianzaufklärung hat (R2=0,03)
und in dem keine der untersuchten
Variablen einen signifikanten Einfluss auf das Trinkverhalten hat.
Diskussion
Aus unserer Pilotstudie war bekannt,
dass schizophren erkrankte Patienten
in Deutschland in vielen Bereichen
einen ungesünderen Lebensstil als
die Allgemeinbevölkerung haben
[36]. Sie nehmen seltener Lebensmittel zu sich, die für häufigen Konsum
empfohlen werden, sie frühstücken
seltener, essen häufiger spät abends
und trinken mehr Kaffee. Zudem ist
nicht nur der Anteil der Raucher unter den schizophrenen Patienten größer als in der Allgemeinbevölkerung,
sondern die Raucher konsumieren
auch deutlich mehr Zigaretten pro
Tag. Der Prozentsatz derjenigen, die
vor längerer Zeit mit dem Rauchen
aufgehört haben, ist unter den schizophrenen Patienten geringer. Zudem
gelingt schizophren Erkrankten das
Aufgeben des Rauchens im Mittel
erst sechs Jahre später als der Allgemeinbevölkerung. Im Vergleich
zur Allgemeinbevölkerung bewegen
sich schizophrene Patienten im Laufe
eines normalen Werk- oder Wochenendtages weniger und Sport spielt in
ihrer Freizeitgestaltung eine geringere Rolle.
Die vorliegende Studie hat nun gezeigt, dass sich das Gesundheitsverhalten schizophren erkrankter
Patienten in vergleichbaren Untersuchungsregionen in Deutschland und
Österreich in den meisten Parametern
nicht signifikant unterscheidet. Unterschiede bestehen lediglich beim Zigarettenkonsum der Raucher und der
Nahrungsmittelauswahl, wobei die
Probanden aus Österreich eine etwas
ungesündere Lebensweise zeigen,
sowie bei der körperlichen Aktivität
am Wochenende, wo die Probanden
108
aus Österreich eine etwas gesündere
Lebensweise zeigen. Zudem trinken
schizophren Erkrankte aus Österreich
häufiger Mineralwasser und seltener
Bier als die Probanden aus Deutschland, wobei letzterer Aspekt sicher
auch damit in Zusammenhang steht,
dass in Deutschland generell mehr
Bier getrunken wird als in Österreich
[47]. Die vorliegende Untersuchung
zeigt somit ein weitgehend ähnliches Gesundheitsverhalten der schizophren Erkrankten in Deutschland
und Österreich und bestätigt damit
die eingangs geäußerte Vermutung,
dass eine ungesunde Lebensweise
spezifisch für schizophren erkrankte
Patienten ist.
Erwerbslosigkeit und Alleinleben,
psychosoziale Konsequenzen der
Schizophrenie, beeinflussten das Gesundheitsverhalten der Erkrankten
in geringerem Ausmaß als eingangs
vermutet. Das Alleinleben hatte in
keinem der untersuchten Bereiche
Einfluss auf das Gesundheitsverhalten der Probanden. Die fehlende
Berufstätigkeit stand lediglich in
Zusammenhang mit einer geringeren
körperlichen Aktivität an Werktagen
und bestätigt damit die Vermutung,
dass Erwerbstätige körperlich mehr
gefordert sind als nicht Erwerbstätige. Auf die körperliche Aktivität
an Wochenenden und auf die in der
Freizeit mit sportlichen Aktivitäten
verbrachte Zeit hatte die Berufstätigkeit ebensowenig Einfluss wie auf
den Verzehr von Nahrungsmitteln,
die für häufigen Konsum empfohlen
werden.
Darüber hinaus bestätigt unsere Studie die aus Untersuchungen der Allgemeinbevölkerung bekannte Tatsache, dass das Gesundheitsverhalten
durch das Alter, das Geschlecht und
das Bildungsniveau der Probanden
modifiziert wird [13]. So konsumieren Frauen in der Allgemeinbevölkerung häufiger gesunde Lebensmittel
wie Obst und Gemüse und rauchen
seltener [6, 16, 44]. Bei den schizophren erkrankten Probanden findet
sich dieser Zusammenhang ebenfalls.
Dagegen ist das Geschlecht bei schi-
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
zophren erkrankten Patienten kein
signifikanter Prädiktor für den Alkoholkonsum, obwohl es in der Allgemeinbevölkerung so ist, dass Frauen
weniger Alkohol trinken [44].
Ein niedriges Bildungsniveau ist in
der Allgemeinbevölkerung ein starker Prädiktor für einen allgemein
ungesünderen Lebensstil [35] und für
eine ungesündere Ernährung (weniger Obst und Gemüse) [16]. Dieser
Zusammenhang ließ sich auch bei
den von uns untersuchten schizophren Erkrankten beobachten.
Auch das Lebensalter modifiziert in
der Allgemeinbevölkerung das Gesundheitsverhalten, wobei ein höheres Alter mit häufigerem Konsum von
Obst und Gemüse [16], geringerem
Nikotinkonsum [22], aber auch mit
geringerer körperlicher Aktivität [12]
assoziiert ist. Auch bei den von uns
untersuchten schizophren Erkrankten
wurde der Nikotinkonsum mit zunehmendem Alter geringer, während das
Gesundheitsverhalten in den anderen
Bereichen nicht durch das Alter moderiert wurde.
Unter Kontrolle des Lebensalters
hatte die Dauer der schizophrenen
Grunderkrankung in unserer Studie
keinen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten der Probanden. Dies spricht
dafür, dass sich der ungesunde Lebensstil schon bei Erkrankungsbeginn manifestiert. Interventionen zur
Verbesserung des Gesundheitsverhaltens schizophrener Patienten sind
deshalb schon in frühen Phasen der
Erkrankung sinnvoll und notwendig.
Zudem hat unsere Studie gezeigt,
dass die Unterbringung in beschützten Wohnformen in Zusammenhang
mit einem selteneren Konsum von
gesunden und empfohlenen Lebensmitteln steht. Dies spricht dafür, dass
zur Verbesserung des Gesundheitsverhaltens schizophrener Patienten
nicht nur eine Verhaltensprävention,
sondern auch eine Verhältnisprävention erforderlich ist, denn offensichtlich entspricht der Speiseplan in
beschützten Wohneinrichtungen bislang nicht den von Ernährungswis-
senschaftlern empfohlenen Standards
einer gesunden Ernährung.
Dass schizophren Erkrankte mit einer größeren Zahl stationärer oder
teilstationärer Voraufnahmen häufiger gesunde Lebensmittel konsumieren, verwundert zunächst. Der
Grund dafür besteht möglicherweise
darin, dass im Rahmen der stationären und teilstationären Versorgung in
Deutschland und Österreich mittlerweile regelmäßig Kurse zum Thema
gesunde Ernährung und Gewichtsreduktion angeboten werden, während
ambulante Patienten schlechter Zugang zu entsprechenden Angeboten
haben. Es könnte daher sein, dass stationär behandelte Patienten durch die
Kurse mehr über gesunde Ernährung
wissen und daher häufiger gesunde
Lebensmittel konsumieren.
Da in unserer Studie nur ambulant
behandelte schizophren Erkrankte untersucht wurden, sind schwer
kranke Patienten, die oft stationär
behandelt werden und wenig Zeit in
der Gemeinde verbringen, in unserer
Stichprobe wahrscheinlich unterrepräsentiert. Die Beschränkung auf
ambulante Patienten ist jedoch auch
ein Vorteil. Einerseits sind schwer
kranke Patienten dadurch nicht überrepräsentiert, wie es in Stichproben
mit stationären Patienten häufig der
Fall ist, und andererseits können die
alltäglichen Verhaltensweisen der Patienten bei der Rekrutierung aus dem
ambulanten Versorgungsbereich genauer beschrieben werden.
Da unsere Studie auf Selbstauskünften der Probanden basiert, können
Verzerrungen aufgrund eines erwünschten Antwortverhaltens oder
des Herunterspielens bestehender
Probleme, z.B. mit dem Alkoholkonsum, nicht ausgeschlossen werden. Da die Wahrscheinlichkeit des
Auftretens dieser Phänomene aber in
beiden Stichproben gleich groß ist, ist
eine valide Beschreibung der Unterschiede zwischen den Probanden aus
Deutschland und Österreich trotzdem
möglich.
Die vorliegende Untersuchung ging
von der Beobachtung aus, dass schi-
109
zophrene Patienten in Deutschland
ein in vielen Lebensbereichen ungünstigeres
Gesundheitsverhalten
zeigen, als die deutsche Allgemeinbevölkerung [36]. Die Studienergebnisse haben deutlich gemacht, dass
schizophren erkrankte Patienten in
Österreich ein in vielen Bereichen
ähnliches und tendenziell sogar ungünstigeres Gesundheitsverhalten als
die deutsche Vergleichsgruppe haben.
Allerdings kann das Gesundheitsverhalten der österreichischen Probanden nicht direkt mit dem der österreichischen Allgemeinbevölkerung
verglichen werden, weil dafür keine
Daten vorliegen. Mehrere Untersuchungen der Allgemeinbevölkerung
sprechen jedoch dafür, dass das Gesundheitsverhalten in den Nachbarländern Deutschland und Österreich
ähnlich ist [47-50]. Deshalb kann die
beobachtete ungesunde Lebensweise
der Probanden in Österreich tatsächlich als Spezifikum der Lebensweise schizophrener Patienten gewertet
werden und ist wahrscheinlich nicht
auf eine ungesündere Lebensweise
der österreichischen Allgemeinbevölkerung zurückzuführen.
Schlussfolgerungen
Obwohl das Gesundheitsverhalten
schizophrener Patienten ein spezifisches, in unterschiedlichen Regionen replizierbares Muster zu haben
scheint, ist es bislang nur ansatzweise
gelungen, wesentliche, mit der schizophrenen Erkrankung in Verbindung
stehende Ursachen dieses Verhaltens
zu identifizieren. Auch Erwerbslosigkeit und Alleinleben, die psychosozialen Folgen einer schizophrenen
Erkrankung, tragen wenig oder gar
nichts zur Erklärung des abweichenden Gesundheitsverhaltens der Patienten bei. Künftige Untersuchungen
müssen deshalb prüfen, welchen
Einfluss andere Parameter, wie die
Krankheitssymptomatik, auf das Gesundheitsverhalten haben.
Roick, Schindler, Angermeyer, Fritz-Wieacker, Riedel-Heller, Frühwald
Zum Gesundheitsverhalten schizophrener Patienten in Österreich lagen bislang noch keine Daten vor.
Mit unserer Studie konnte gezeigt
werden, dass schizophren Erkrankte
in Österreich ein ähnlich ungünstiges Gesundheitsverhalten aufweisen wie in Deutschland und dass sie
damit eine wichtige Zielgruppe für
gesundheitsfördernde
Interventionen sind. Besonders im Hinblick auf
die Nahrungsmittelauswahl und den
Zigarettenkonsum der Raucher, wo
schizophren Erkrankte aus Österreich
eine noch ungesündere Lebensweise
als Patienten aus Deutschland zeigen,
sind Interventionen erforderlich.
Präventive Maßnahmen sollten Informationen über gesunde Ernährung
beinhalten und die Patienten dazu
motivieren, für sich selbst zu kochen.
Sport und sonstige körperlichen Aktivitäten sollten in der psychiatrischen
Versorgung einen höheren Stellenwert
bekommen als bislang. Zudem sollten
schizophren Erkrankte massiv dabei
unterstützt werden, das Rauchen aufzugeben. Da ein langfristiger Erfolg
für viele Patienten jedoch nur schwer
zu erreichen ist, kann die Reduktion
der Zahl der täglich gerauchten Zigaretten ein leichter erreichbares und
trotzdem sinnvolles Teilziel sein [23].
Entsprechende Interventionen sollten
in die gemeindepsychiatrische Versorgung integriert und bereits zu Beginn einer schizophrenen Erkrankung
vermittelt werden. Darüber hinaus
muss das medizinische Personal aber
auch dafür sensibilisiert werden, neben den psychischen auch die physischen Probleme schizophren erkrankter Patienten wahrzunehmen und zu
behandeln. Denn bislang erhalten die
Betroffenen trotz ihres ungesunden
Lebensstils immer noch eine schlechtere somatische Versorgung als körperlich Kranke [15, 30].
110
Literatur
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
[15]
Agerbo E., Byrne M., Eaton W.W.,
Mortensen P.B.: Marital and labor market status in the long run in schizophrenia. Archives of General Psychiatry 61,
28-33 (2004).
Allison D.B., Casey D.E.: Antipsychotic-induced weight gain: a review of the
literature. Journal of Clinical Psychiatry
62 Suppl 7, 22-31 (2001).
Brown S.: Excess mortality of schizophrenia. A meta-analysis. British Journal
of Psychiatry 171, 502-8 (1997).
Brown S., Birtwistle J., Roe L., Thompson C.: The unhealthy lifestyle of people with schizophrenia. Psychological
Medicine 29, 697-701 (1999).
Brown S., Inskip H., Barraclough B.:
Causes of the excess mortality of schizophrenia. British Journal of Psychiatry
177, 212-7 (2000).
Center for disease control and prevention: Prevalence of healthy lifestyle
characteristics - Michigan, 1998 and
2000. Morbidity and Mortality Weekly
Report 50, 758-61 (2001).
Connolly M., Kelly C.: Lifestyle and
physical health in schizophrenia. Advances in Psychiatric Treatment 11, 12532 (2005).
Daumit G.L., Goldberg R.W., Anthony
C., Dickerson F., Brown C.H., Kreyenbuhl J., et al.: Physical activity patterns
in adults with severe mental illness.
Journal of Nervous and Mental Disorders 193, 641-6 (2005).
de Leon J., Tracy J., McCann E., McGrory A., Diaz F.J.: Schizophrenia and
tobacco smoking: a replication study in
another US psychiatric hospital. Schizophrenia Research 56, 55-65 (2002).
Dickerson F.B., Pater A., Origoni A.E.:
Health behaviors and health status of
older women with schizophrenia. Psychiatric Services 53, 882-4 (2002).
Dixon L., Weiden P., Delahanty J., Goldberg R., Postrado L., Lucksted A., et al.:
Prevalence and correlates of diabetes in
national schizophrenia samples. Schizophrenia Bulletin 26, 903-12 (2000).
Elizondo-Armendariz J.J., Guillen Grima F., Aguinaga Ontoso I.: Prevalence
of physical activity and its relationship
to sociodemographic variables and lifestyles in the age 18-65 population of
Pamplona, Spain. Revista Española de
Salud Pública 79, 559-67 (2005).
Gillis A.J.: Determinants of a health-promoting lifestyle: an integrative review.
Journal of Advanced Nursing 18, 345-53
(1993).
Hughes J.R., McHugh P., Holtzman S.:
Caffeine and schizophrenia. Psychiatric
Services 49, 1415-7 (1998).
Jeste D.V., Gladsjo J.A., Lindamer L.A.,
Lacro J.P.: Medical comorbidity in
[16]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]
[27]
[28]
[29]
schizophrenia. Schizophrenia Bulletin
22, 413-30 (1996).
Johansson L., Thelle D.S., Solvoll K.,
Bjorneboe G.E., Drevon C.A.: Healthy
dietary habits in relation to social determinants and lifestyle factors. British
Journal of Nutrition 81, 211-20 (1999).
Koga M., Nakayama K.: Body weight
gain induced by a newer antipsychotic
agent reversed as negative symptoms
improved. Acta Psychiatrica Scandinavica 112, 75-6 (2005).
Kumari V., Postma P.: Nicotine use in
schizophrenia: the self medication hypotheses. Neuroscience and Biobehavioral Reviews 29, 1021-34 (2005).
Land Niederösterreich: Das Land Niederösterreich. 2006: http://www01.noel.
gv.at/scripts/ru/ru2/stat.asp?NR=30201.
Lichtermann D., Ekelund J., Pukkala E.,
Tanskanen A., Lonnqvist J.: Incidence
of cancer among persons with schizophrenia and their relatives. Archives of
General Psychiatry 58, 573-8 (2001).
Lucas P.B., Pickar D., Kelsoe J., Rapaport M., Pato C., Hommer D.: Effects of
the acute administration of caffeine in
patients with schizophrenia. Biological
Psychiatry 28, 35-40 (1990).
Manzoli L., Di Giovanni P., Dragani V.,
Ferrandino M.G., Morano J.P., Rauti
I., et al.: Smoking behaviour, cessation
attempts and the influence of parental
smoking in older adult women: a crosssectional analysis from Italy. Public
Health 119, 670-8 (2005).
McChargue D.E., Gulliver S.B., Hitsman
B.: Would smokers with schizophrenia
benefit from a more flexible approach to
smoking treatment? Addiction 97, 78593 (2002).
McCreadie R.G.: Diet, smoking and cardiovascular risk in people with schizophrenia: descriptive study. British Journal of Psychiatry 183, 534-9 (2003).
McCreadie R.G., Kelly C., Connolly
M., Williams S., Baxter G., Lean M., et
al.: Dietary improvement in people with
schizophrenia: randomised controlled
trial. British Journal of Psychiatry 187,
346-51 (2005).
McCreadie R.G., Macdonald E., Blacklock C., Tilak-Singh D., Wiles D., Halliday J., et al.: Dietary intake of schizophrenic patients in Nithsdale, Scotland:
case-control study. British Medical Journal 317, 784-5 (1998).
McEvoy J.P.: Schizophrenia, substance
misuse, and smoking. Current Opinion
in Psychiatry 13, 15-9 (2000).
McEvoy J.P., Allen T.B.: Substance
abuse (including nicotine) in schizophrenic patients. Current Opinion in
Psychiatry 16, 199-205 (2003).
Möller H.-J., Laux G., Deister A.: Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2001.
Das Gesundheitsverhalten schizophrener erkrankter Patienten: ein typisches Verhaltensmuster?
[30] Munk-Jorgensen P., Mors O., Mortensen
P.B., Ewald H.: The schizophrenic
patient in the somatic hospital. Acta
Psychiatrica Scandinavica 407, S96-9
(2000).
[31] Osby U., Correia N., Brandt L., Ekbom
A., Sparen P.: Mortality and causes of
death in schizophrenia in Stockholm
county, Sweden. Schizophrenia Research 45, 21-8 (2000).
[32] Painter J., Rah J.H., Lee Y.K.: Comparison of international food guide pictorial
representations. Journal of the American
Dietetic Association 102, 483-9 (2002).
[33] Paton C., Esop R., Young C., Taylor D.:
Obesity, dyslipidaemias and smoking
in an inpatient population treated with
antipsychotic drugs. Acta Psychiatrica
Scandinavica 110, 299-305 (2004).
[34] Peet M.: Diet, diabetes and schizophrenia: review and hypothesis. British Journal of Psychiatry 47, S102-5 (2004).
[35] Pronk N.P., Anderson L.H., Crain A.L.,
Martinson B.C., O'Connor P.J., Sherwood N.E., et al.: Meeting recommendations for multiple healthy lifestyle
factors. Prevalence, clustering, and
predictors among adolescent, adult, and
senior health plan members. American
Journal of Preventive Medicine 27, 2533 (2004).
[36] Roick C., Fritz-Wieacker A., Matschinger H., Heider D., Schindler J.,
Riedel-Heller S., et al.: Health habits of
patients with schizophrenia. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology
42, 268-76 (2007).
[37] Ryan M.C., Collins P., Thakore J.H.:
Impaired fasting glucose tolerance in
first-episode, drug-naive patients with
[38]
[39]
[40]
[41]
[42]
[43]
[44]
[45]
schizophrenia. American Journal of Psychiatry 160, 284-9 (2003).
Sernyak M.J., Leslie D.L., Alarcon R.D.,
Losonczy M.F., Rosenheck R.: Association of diabetes mellitus with use of
atypical neuroleptics in the treatment of
schizophrenia. American Journal of Psychiatry 159, 561-6 (2002).
Silverstone T., Smith G., Goodall E.:
Prevalence of obesity in patients receiving depot antipsychotics. British Journal
of Psychiatry 153, 214-7 (1988).
Strassnig M., Brar J.S., Ganguli R.:
Nutritional assessment of patients with
schizophrenia: a preliminary study.
Schizophrenia Bulletin 29, 393-7
(2003).
Tardieu S., Micallef J., Gentile S., Blin
O.: Weight gain profiles of new antipsychotics: public health consequences.
Obesity Reviews 4, 129-38 (2003).
Thefeld W., Stolzenberg H., Bellach
B.M.:
Bundes-Gesundheitssurvey:
Response, Zusammensetzung der Teilnehmer und Non-Responder-Analyse.
Gesundheitswesen 61, S57-61 (1999).
Vieweg W.V., Sood A.B., Pandurangi
A., Silverman J.J.: Newer antipsychotic
drugs and obesity in children and adolescents. How should we assess drugassociated weight gain? Acta Psychiatrica Scandinavica 111, 177-84 (2005).
von Bothmer M.I., Fridlund B.: Gender
differences in health habits and in motivation for a healthy lifestyle among
Swedish university students. Nursing &
Health Sciences 7, 107-18 (2005).
Weck S., Mennel F.: Stadt Plauen. 2006:
http://www.plauen.de/.
111
[46] World Health Organization: The ICD10 classification of mental and behavioral disorders: clinical descriptions and
diagnostic guidelines. World Health Organisation, Geneva 1992.
[47] World Health Organization: Adult per
capita alcohol consumption. 2001:
http://globalatlas.who.int/globalatlas/
dataQuery/reportData.asp?rptType=1.
[48] World Health Organization: BMI /
Overweight / Obesity - prevalence.
2002: http://www.who.int/ncd_surveillance/infobase/web/InfoBasePolicyMaker/CountryProfiles/QuickCompare.
aspx?DM=5&Countries=40%2c276&Y
ear=2002&sf1=all&Sex=all.
[49] World Health Organization: Mortality
- Communicable, maternal, perinatal
and nutritional conditions. 2002: http://
www.who.int/ncd_surveillance/infobase/web/InfoBasePolicyMaker/CountryProfiles/QuickCompare.aspx?DM=1
0&Countries=40,276&Year=2002&sf1
=all&Sex=all.
[50] World Health Organization: The World
Health Report 2002. 2002: http://www.
who.int/whr/2002/en/.
Dr. med. Christiane Roick, MPH
Universität Leipzig, Stiftungsprofessur für
Gesundheitsökonomie, Leipzig
[email protected]
Originalarbeit
Original
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S.112–123
Führt Mobbing zur posttraumatischen
Belastungsstörung? Implikationen von
Stressverarbeitung und Persönlichkeit
Barbara Kreiner, Christoph Sulyok und Hans-Bernd Rothenhäusler
Univ.-Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Graz
Schlüsselwörter:
Mobbing – Posttraumatisches Be­lastungs­
störung – Stressverarbeitung – Per­
sönlichkeit – gesundheitsbezogene Leb­
ensqualität
Key words:
Mobbing – posttraumatic stress disorder
– coping strategies – personality – healthrelated quality of life
Führt Mobbing zur posttrauma­
tischen Belastungsstörung? Impli­
kationen von Stressver­arbei­tung
und Persönlichkeit
Anliegen: In bisherigen Unter­suchun­
gen wurde gezeigt, dass Mobbing
eine Vielzahl von Angst-, Depres­
sionsund
psychosomatischen
Symptomen bei Betroffenen hervor­
rufen kann. Ziel dieser Studie war
es zu untersuchen, wie häufig eine
posttraumatische Belastungsstörung
(PTBS) auftrat und welche Faktoren
jene Mobbing-Betroffenen, die keine
PTBS entwickelten von denen mit
einer PTBS unterschieden. Methode: Mittels SKID Interview ermittel­
ten wir bei 20 Mobbing-Betroffenen
das Auftreten einer PTBS. Mobbing
wur­de hierbei als Trauma angesehen.
Ergebnisse: Es zeigte sich, dass 55%
der Befragten eine PTBS aufgrund
der Kriterien des SKID Interviews en­
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
twickelten und 70% an ausgeprägten
posttraumatischen Stresssymptomen
(Impact of Event Skala, IES) litten.
Mittels MANOVA konnte gezeigt
werden, dass Mobbing-Betroffene
mit aktueller PTBS tendenziell höhe­
re posttraumatische Stress- (IES) und
Depressionssymptomatik (Beck De­
pression Inventar) sowie signifikant
geringere
Lebensqualitätskennzif­
fern (Fragebogen zum Gesundheits­
zu­stand), insbesondere im Hinblick
auf körperliche Schmerzen, aufwie­
sen. Bezüglich ihrer Persönlichkeit
(Freiburger
Persönlichkeitsinven­
tar) zeigten sich multivariat keine
signi­fikanten Unterschiede. In den
uni­variaten Vergleichen erzielten
Mobbing-Betroffene mit PTBS ten­
denziell höhere Werte in den Ska­len
soziale Orientierung und körper­liche
Beschwerden. In ihrer Stressverarbei­
tung (Stressverar­beitungsfragebogen)
verwandten sie generell weder ver­
mehrt positive noch negative Copin­
gstrategien. Insgesamt nützten Mob­
bing-Betroffene mit PTBS jedoch
häufiger Kontrollstrategien, Vermei­
dung, Abkapselung und gedankliche
Weiterbeschäftigung zur Stressve­
rarbeitung. Schlussfolgerung: Po­
sttraumatische Belastungsstörungen
infolge von Mobbing können häufig
auftreten. Sie sollten folglich in der
Routineversorgung Mobbing-Betrof­
fener gezielt berücksichtigt werden.
Does mobbing cause posttraumatic
stress disorder? Impact of coping
and personality
Introduction: Previous research has
documented that a variety of anxi­
ety, depressive, and psychosomatic
symptoms are present in a substan­
tial portion of mobbing victims. This
study aimed to explore the frequen­
cy of posttraumatic stress disorder
(PTSD) among mobbing victims, and
to investigate how PTSD was linked
to pertinent psychometric scales.
Method: We recruited 20 mobbing
victims and conducted the Structural
Clinical Interview (SCID) to assess
PTSD according to DSM-IV criteria.
The trauma criterion was homogene­
ously defined as mobbing. Results:
55% of our entire sample had a cur­
rent PTSD, and 70% suffered from
severe posttraumatic stress symptoms
according to the Impact of Event
Scale. Using multivariate analysis
of variance (MANOVA), we found
that mobbing victims with a current
PTSD tended to demonstrate higher
levels of stress and depressive symp­
toms, and less quality of life (SF 36
Short-Form Health Survey), especial­
ly in terms of bodily pain, compared
with those without a PTSD diagnosis.
No significant differences in person­
ality factors (Freiburg Personality
Inventory) between mobbing-victims
with and without PTSD were evident
by multivariate analysis. Univari­
ate statistics, however, revealed that
mobbing-related PTSD showed a
trend towards higher scores in social
orientation and somatic complaints.
Führt Mobbing zur posttraumatischen Belastungsstörung? Implikationen von Stressverarbeitung und Persönlichkeit
There was no general evidence that
mobbing victims with a PTSD used
more often negative and positive
coping strategies (SVF – Stress Cop­
ing Questionnaire). However, they
showed a tendency to employ control
strategies, avoidance, social with­
drawal, and cognitive preoccupation.
Conclusion: Posttraumatic stress
disorder subsequent to mobbing can
occur frequently. PTSD therefore
should be specifically considered in
routine care.
Einleitung
Der Begriff Mobbing beschreibt ne­
gative kommunikative Handlungen
(von einem oder mehreren anderen),
die gegen eine Person gerichtet sind,
sehr oft über einen längeren Zeitraum
bestehen und damit die Beziehung
zwischen Täter und Opfer kennzeich­
nen [18]. Zapf [40] spricht von Mob­
bing bei feindseligen Interaktionen
am Arbeitsplatz, wo einzelne Perso­
nen von Vorgesetzten oder Kollegen
schikaniert werden. Im Rahmen der
Stressforschung lässt sich Mobbing
als extreme Form sozialer Stressoren
einordnen. Dabei sind die am häufig­
sten gesetzten Mobbing-Handlungen:
Hinter dem Rücken schlecht über je­
manden sprechen, abwertende Blicke
oder Gesten und Kontaktverweige­
rungen [15].
Auswirkungen von Mobbing-Hand­
lungen können sehr unterschiedlich
sein. Neben betrieblichen Folgen,
wie schlechteres Betriebsklima und
Betriebsergebnis, erhöhten Fehlzei­
ten und Krankenständen, Kündigun­
gen und Personalfluktuation gibt es
eine Vielzahl von psychischen und
physischen Beschwerden bei den
betroffenen Individuen selbst: Ner­
vosität, Apathie, Konzentrations­
schwierigkeiten und psychosomati­
sche Beschwerden [16]. Auch treten
im Gefolge von Mobbing depressive
Erkrankungen [27,26] und kardio­
vaskuläre Erkrankungen [14] auf.
Weitere psychische Folgen können
Selbstzweifel,
Selbstunsicherheit,
Orientierungslosigkeit, Verzweiflung,
gereizte bis aggressive Stimmung und
Gedankenkreisen bis hin zu Suizid­
gedanken sein. Gleichfalls zeigt sich
nicht selten zwanghaftes Denken, in
dem von Betroffenen unentwegt über
das eigene Leid geklagt wird. Unwil­
len und Abwendung im sozialen Um­
feld des Mobbing-Betroffenen sind
die Folge. In diesem Zusammenhang
kann es zu schwerwiegenden psychi­
schen Folgestörungen wie Alkoholund Drogenabhängigkeitssyndrome,
Angststörungen und posttraumati­
sche Belastungsstörungen kommen
[16, 17].
Unter posttraumatische Belastungs­
störungen (PTBS) versteht man nach
der ICD-10 [5] „eine verzögerte oder
protrahierte Reaktion auf eine extre­
me Bedrohung oder eine Situation
außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes (kurz
oder lang anhaltend), die fast bei je­
dem eine tiefe Verzweiflung hervor­
rufen würden“ (S.169). Hauptkriteri­
um nach dem DSM-IV [31] stellt das
Vorhandensein eines traumatischen
Ereignisses dar (Kriterium A). Wei­
tere Kardinalsymptome sind wieder­
holte, unausweichliche Erinnerung an
das belastende Erlebnis (Flashbacks
bzw. Intrusionen) (Kriterium B),
sozialer Rückzug und Vermeidung
(Kriterium C) sowie ein Zustand ve­
getativer Übererregung (Kriterium
D). Laut DSM-IV besteht in den USA
eine durchschnittliche Lebenszeitprä­
valenz von 8% bei der erwachsenen
Allgemeinbevölkerung.
Bei Mobbing als Ursache für PTBS
ergibt sich oft das Problem der Nicht­
erfüllung des Kriteriums A. Anderer­
seits wird Mobbing von verschiede­
nen Autoren als kumulatives Trauma
angesehen, das sehr wohl im Ausmaß
seiner Stresssymptomatik schwerwie­
genden Traumata entsprechen kann,
wie z.B. dem Überfahren von Perso­
nen durch Zugführer, Vergewaltigun­
gen, Kriegseinsätze [17, 21, 23].
Wie häufig Mobbing auftritt, ist
schwer zu sagen. Laut Zapf [40]
schwankt die Prävalenzrate zwischen
113
0,3% und 26,6%, was auf Selektions­
effekte und unterschiedliche Mög­
lichkeiten der Messung von Mobbing
zurückgeführt werden kann [38].
Prinzipiell empfiehlt Zapf daher, sich
an Studien mit großen Stichproben zu
orientieren. So nennt er die Untersu­
chungen von Einarsen und Skogstad
[7] und Leymann [18], in denen Prä­
valenzraten zwischen 1,2% und 3,5%
angegeben werden. In zwei rezenten
Studien finden sich jedoch deutlich
höhere Prävalenzraten: Niedermann
et al. [27] untersuchten 7.694 franzö­
sische Arbeiter, von denen immerhin
10,95% der Männer und 12,78% der
Frauen von Mobbing betroffen wa­
ren. In einer von Pranjic et al. [28]
in Bosnien – Herzegovina durchge­
führten Untersuchung waren 26% der
befragten Ärzte direkt von Mobbing
betroffen.
Weitaus weniger Studien geben dar­
über Auskunft, wie häufig sich PTBS
als Folge von Mobbing entwickelt.
Leymann und Gustafsson [17] haben
64 Mobbing Opfer untersucht, von
denen 59 eine PTBS-Symptomatolo­
gie entwickelten. Einarsen [6] unter­
suchte in einer norwegischen Stich­
probe 102 Mobbing-Betroffene, von
denen 75% PTBS-Stresssymptome
aufwiesen. Matthiesen und Einarsen
[21] berichteten, dass 63% der un­
tersuchten Mobbing-Betroffenen an
PTBS-Kernsymptomen wie intrusi­
ve Rekollektionen und Vermeidung
litten.
Ursachen für Mobbing können in
der Organisation bzw. dem System,
der Person des Täters und der Person
des Opfers gesehen werden [40]. Was
die Persönlichkeit des Täters betrifft,
stellt Stucke [35] fest, dass Täter
mehrheitlich durch stark ausgepräg­
ten Narzissmus und geringe Selbst­
konzeptklarheit charakterisiert sind.
Als Faktoren, die in der Person des
Mobbing-Betroffenen liegen, werden
ebenfalls Persönlichkeitseigenschaf­
ten und Stressbewältigungsstrategien
diskutiert [26, 30, 33, 37]. So zeigen
Rammsayer und Schmiga [29], dass
Mobbing-Betroffene höhere Werte in
den beiden Big Five-Persönlichkeits­
Kreiner, Sulyok, Rothenhäusler
dimensionen „Neurotizismus“ und
„Offenheit für Erfahrung“ aufweisen.
Generell verwenden Mobbing-Be­
troffene häufiger negative Stressver­
arbeitungsweisen, zeigen ein erhöhtes
soziales Unterstützungsbedürfnis und
kapseln sich eher von anderen ab.
In der Zusammenschau gibt es in der
Literatur keine uns bekannten An­
haltspunkte dafür, ob solche Persön­
lichkeitsdimensionen und Stressver­
arbeitungsstile innerhalb der Gruppe
von Mobbing-Betroffenen auch die
Entstehung von PTBS erklären könn­
ten. Außerdem wurde in den bisheri­
gen Untersuchungen auf eine PTBSDiagnosestellung nach den derzeit
gültigen
Klassifikationssystemen
DSM-IV und ICD-10 verzichtet.
Ziel unserer Studie ist es, sich syste­
matisch auf Unterschiede innerhalb
der Mobbing-Betroffenen zu konzen­
trieren. Wie häufig tritt eine PTBS
nach dem DSM-IV eigentlich auf?
Warum entwickelt sich bei einigen
Mobbing-Betroffenen eine PTBS, bei
anderen indes nicht? Münker-Kramer
[24] listet zehn Risikofaktoren für die
Entstehung einer PTBS auf. Hiernach
sind beispielsweise Personen, die an
einer ständigen Übererregung leiden
und bereits vor dem Durchleben der
belastenden Situation eine Tendenz
zu depressiven Syndromen aufwei­
sen, eher gefährdet, eine PTBS zu
entwickeln. Wenn nun spezifische
Stressbewältigungsstrategien und da­
mit verbundene Persönlichkeitsmerk­
male Risikofaktoren für die Beein­
trächtigung durch Mobbing darstel­
len können, stellt sich uns die Frage,
ob diese Faktoren auch bei MobbingBetroffenen die Entwicklung einer
PTBS fördern können.
Methode
Prozedere
Das SKID Interview wurde von ei­
nem speziell geschulten Psycholo­
giestudierenden im letzten Abschnitt
(C.S.) durchgeführt, der von einer
klinischen Psychologin (B.K.) und
114
einem Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapeutische Medizin (H.B.R.) supervidiert wurde. Dabei wur­
de Mobbing als Trauma-A-Kriterium
festgelegt. Gleichzeitig wurde eine
Reihe von Selbstbeurteilungsfrage­
bögen den an unserer Studie teilneh­
menden Mobbing-Betroffen vorge­
legt.
Stichprobe
Es handelt sich um eine explorative
Studie mit einer konsekutiven Stich­
probe in der jene Mobbing-Betroffe­
ne berücksichtigt wurden, die inner­
halb eines Zeitraums von 12 Monaten
in die Mobbing-Sprechstunde unserer
Ambulanz an der Grazer Universi­
tätsklinik für Psychiatrie bzw. in die
Sprechstunde der Arbeiterkammer
Graz gekommen sind. Als zusätzli­
ches Kriterium wurde ermittelt, wel­
chen aktiven und passiven Mobbing­
handlungen die Personen ausgesetzt
waren. Es sei betont, dass in unsere
Studie nur Mobbing-Betroffene ein­
geschlossen wurden, bei denen min­
destens fünf von den von Leymann
[18] beschriebenen Mobbinghand­
lungen zu eruieren waren. Unsere
Mobbing-Sprechstunde wurde von
einer interdisziplinären Arbeitsgrup­
pe (Psychologen, Psychiater, Allge­
meinmediziner, Betriebsrat, Personal­
direktion) zum Thema Konfliktlösun­
gen am Universitätsklinikum - LKH
Graz begründet. Die Sprechstunde ist
allgemein zugänglich, an der Ambu­
lanz der Grazer Universitätsklinik für
Psychiatrie angesiedelt und eine erste
Beratung erfolgt generell durch die
dort tätige Psychologin. Insgesamt
wurden 20 Mobbing-Betroffene ein­
geschlossen, wobei es sich um zwei
Männer und 18 Frauen im Alter von
23 bis 58 Jahren (MD = 44.5; SD
=9.24) handelte. 45% der Personen
waren ledig, 25% verheiratet und
20% geschieden. Bezüglich der Aus­
bildung ist festzuhalten, dass 13 Stu­
dienteilnehmer einen Pflichtschulab­
schluss und sieben Matura aufwie­
sen. Drei Personen hatten einen aka­
demischen Titel, sieben absolvierten
eine berufsbildende Schule, 6 einen
Lehrabschluss und eine Person eine
Meisterprüfung. Die überwiegende
Mehrheit (19 Personen) war vollzeit­
beschäftigt, nur eine Teilnehmerin
arbeitete als Teilzeitkraft. 75 % der
untersuchten Personen waren Ange­
stellte, 10% Arbeiter und je 5% waren
selbständig, Studierende oder Beam­
te. Tabelle 1 gibt eine Zusammenfas­
sung der soziodemographischen Da­
ten. Mittels Chi-Quadrat Tests wurde
nachgewiesen, dass sich die beiden
Gruppen (Mobbing-Betroffene mit
und ohne PTBS) in den genannten so­
zioökonomischen Daten nicht unter­
schieden. Das gilt auch für das Alter,
wonach zum Zeitpunkt der Untersu­
chung Personen mit PTBS im Mittel
47 Jahre und Personen ohne PTBS 41
Jahre alt waren (t(18) = -1.48, p = .16).
Mobbing-Betroffene mit PTBS litten
durchschnittlich 37 Monate (SD =
29.20), jene ohne PTBS durchschnitt­
lich 26 Monate (SD=25.86) unter den
Mobbing-Handlungen (t(18) = -1.14, ­
p = .27).
Erhebungsmethoden
SKID – Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV von Wittchen,
Zaudig und Fydrich [39]
Das SKID Interview dient der Erfas­
sung und Diagnostik ausgewählter
psychiatrischer Störungen. In unse­
rer Untersuchung haben wir jenen
Abschnitt des Interviews verwendet,
der sich mit Posttraumatischen Be­
lastungsstörung (PTBS) beschäftigt.
Zusätzlich haben wir das PTBS Sup­
plement mit der Liste von PTBS aus­
lösenden Situationen vorgegeben.
Impact of Event Scale (IES) von
Horowitz [11]
Die Impact of Event Scale (IES) misst
individuelle Belastungsreaktionen im
Kontext von belastenden Lebenser­
eignissen [9]. Sie wird in der Ver­
laufdiagnostik von PTBS eingesetzt
und erhebt mit den beiden Skalen In­
trusion (Aufdrängen von belastenden
Gedanken) und Vermeidung (von
Gefühlen und Erinnerungen, die mit
dem belastenden Ereignis assoziiert
sind) zwei charakteristische syndro­
Führt Mobbing zur posttraumatischen Belastungsstörung? Implikationen von Stressverarbeitung und Persönlichkeit
Stichprobenvariablen
Geschlecht
Familienstand
Wohnsituation
Schulausbildung
Berufbildender Abschluss
Beschäftigungsmodus
Berufsstatus
Einkommen
Gruppenvergleiche
Chi2
p
0.02
.88
1.41
3.13
.61
.08
.82
.09
.01
.24
.08
.44
.78
.37
.76
.94
Prozentuale Häufigkeit in den Gruppen
Mobbing Betroffene
ohne PTBS
Mobbing-Betroffene
mit PTBS
Frauen
88.9
90.0
Männer
11.1
9.1
Ledig/Single
Verheiratet/feste
Partnerschaft
Geschieden/getrennt
66.7
27.3
11.1
54.5
22.2
18.2
Allein
66.7
18.2
Bei den Eltern
11.1
9.1
Mit Kindern und Partner
11.1
18.2
Mit Kindern
11.1
54.5
Pflichtschulabschluss
55.6
72.2
Matura/Abitur
44.6
27.3
Kein Abschluss
11.1
0
Lehrer
22.2
36.4
Berufbildende Schule
33.3
36.4
Meisterprüfung
11.1
9.1
Universität
22.2
18.2
Vollzeit
100
90.9
Teilzeit
0
9.1
Selbständig
11.1
0
Arbeiter(in)
11.1
9.1
Angestellte(r)
55.6
90.9
Beamte(r)
11.1
0
Studierende(r)
11.1
0
Gehalt
88.9
90.9
Elterliche Unterstützung
11.1
0
0
9.1
Aktiv
22.2
9.1
Passiv
77.8
90.9
Rente/Pension
Mobbinghandlung
.64
.43
Tabelle 1: Gruppenvergleiche und prozentuale Häufigkeit verschiedener soziodemographischer Daten der Mobbing
Betroffenen ohne PTBS (n=9) und mit PTBS (n=11)
Anmerkung: Die Chi2 Tests prüfen die Gleichverteilung der soziodemographischen Variablen in den beiden Gruppen MobbingBetroffene mit und ohne PTBS
115
Kreiner, Sulyok, Rothenhäusler
male Cluster der PTBS. Die beiden
Subskalen werden zu einem Gesa­
mtsummenwert addiert. Laut Corneil
[4] unterteilt die IES folgende PTBSSchweregrade: 0-8 Punkte subkli­
nische, 9-25 Punkte leichte, 26-43
Punkte mittelschwere und ab 44
Punkte schwere PTBS-Ausprägung.
SF-36 Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Bullinger und Kirchberger [3]
Der SF-36 ist ein krankheitsübergrei­
fendes Instrument zur Erfassung der
gesundheitsbezogenen Lebensqual­
ität. Diese wird auf acht Dimensionen
erfasst: Körperliche Funktionsfähig­
keit, körperliche Rollenfunktion,
kör­per­liche Schmerzen, allgemeine
Ge­sundheitswahrnehmung, Vitalität,
soziale Funktionsfähigkeit, emotion­
ale Rollenfunktion und psychisches
Wohlbefinden. Die einzelnen Ska­
lenrohwerte werden gewichtet und
schließlich transformiert, wodurch
man für jede Skala eine Prozentang­
abe erhält (100 bedeutet hervorra­
gende Lebensqualität). Die interne
Konsistenz der Subskalen liegt
zwischen α = .57 und α = .94.
Beck-Depressions-Inventar
(BDI)
von Hautzinger, Bailer, Worall und
Keller [10]
Das BDI erhebt mittels Selbst­
beurteilung den Schweregrad ein­
er depressiven Symptomatik, in
dem depressive Beschwerden, wie
z.B. traurige Stimmung, Pessimis­
mus, Versagen, Unzufriedenheit,
Schuldgefühle, Reizbarkeit, sozialer
Rückzug, Schlafstörungen, abge­
fragt werden. Die Reliabilität des
Inventars ist gegeben. So liegt die
interne Konsistenz in Abhängigkeit
von der Stichprobe zwischen α = .73
und α =.95. Die konvergente Valid­
ität mittels Korrelation mit anderen
Selbstbeurteilungsskalen depressiver
Symptomatik beträgt r = .76.
116
FPI-R, Freiburger Persönlichkeitsinventar von Fahrenberg, Hampel und
Selg [8]
Der FPI-R ist ein Selbstbesch­
reibungsinventar, das die Persönli­
chkeit aufgrund von faktorenana­
lystisch bestimmten Dimensionen
erhebt: Lebenszufriedenheit, soziale
Orientierung, Leistungsorientierung,
Gehemmtheit, Erregbarkeit, Aggres­
sivität, Beanspruchung, körperliche
Beschwerden,
Gesundheitssorgen
und Offenheit. Zusätzlich gibt es die
zwei Sekundärskalen Extraversion
und Emotionalität. Die interne Kon­
sistenz der Skalen liegt zwischen α
= .73 und α = .83. Die empirische
Validität ist durch die Korrelation
mit Selbst- und Fremdeinstufungen
belegt.
SVF-120 Stressverarbeitungsfragebogen von Janke, Erdmann und Kallus [12]
Der SVF-120 erfasst die Reaktionen
in belastenden Situationen und die
unterschiedlichen kognitiven und
ver­haltensbasierten Stressverarbei­
tungsstrategien. Auf einer fünfstu­
figen Ratingskala von „gar nicht“
bis „sehr wahrscheinlich“ schätzen
die Probanden 120 Aussagen ein,
die 20 Subskalen zugeordnet sind:
Bagatellisierung, Herunterspielen,
Schuldabwehr, Ablenkung, Ersatzbe­
friedigung, Selbstbestätigung, Situ­
ationskontrolle, Reaktionskontrolle,
positive Selbstinstruktion, soziales
Unterstützungsbedürfnis,
Vermei­
dung, Flucht, soziale Abkapselung,
gedankliche
Weiterbeschäftigung,
Re­si­gnation,
Selbstbemitleidung,
Selbst­beschuldigung,
Aggression,
Phar­makaeinnahme und Entspan­
nung. Wir haben die Standardform
(SVF 120) verwendet, da sie im
Vergleich zur Kurzversion zusät­
zlich sieben Subskalen enthält (z.B.
die klinisch relevante Strategie der
Pharmakaeinnahme). Weiters unter­
scheiden Sekundärskalen zwischen
positiven (stressreduzierenden) und
negativen (stressvermehrenden) Ve­
rarbeitungsstrategien. Die positiven
Strategien setzen sich aus drei Be­
reichen zusammen: kognitive Be­
wältigungsstrategien (Positiv 1),
Ablenkung von der Belastung bzw.
Hinwendung zu stressinkompatiblen
Situationen (Positiv 2) und Maßnah­
men zur Kontrolle des Stressors (Pos­
itiv 3). Das Verfahren ist theoretisch
gut abgesichert, weil die internen
Konsistenzen (Cronbach`s Alpha)
der Subtests zwischen α = .66 und
α = .92 und die Re-testreliabilität
nach etwa vier Wochen zwischen α
= .69 und α = .86 liegen.
Statistische Auswertung
Alle folgenden Berechnungen wur­
den mit dem Computerprogramm
SPSS Version 14.0 durchgeführt.
Um mögliche soziodemographische
Einflüsse auszuschließen, verglichen
wir die beiden Gruppen (MobbingBetroffene mit PTBS versus Mob­
bing-Betroffene ohne PTBS) mittels
Chi-Quadrat Verfahren.
Die Auswertung der Hauptfragestel­
lung, wie häufig bei Mobbing-Betrof­
fenen auch PTBS auftritt, erfolgte
rein deskriptiv. Generell wurden
für die statistischen Berechnungen
die Rohwerte der Skalen herang­
ezogen, da der Fokus auf den Un­
terschieden der beiden Gruppen lag.
Außerdem spiegeln Rohwerte im
Allgemeinen exakt gefundene Werte
wider. Schließlich werden durch Nor­
mierung bedingte Streuungsverschie­
bungen vermieden.
Aufgrund inhaltlicher Überlegungen,
die Heterogenität der in den Frag­
estellungen berücksichtigten Kon­
strukte betreffend, wurden vier mul­
tivariate Varianzanalysen berechnet.
Zuvor wurde die Normalverteilung
und Varianzhomogenität mittels Kol­
mogorov-Smirnov bzw. Levine-Test
überprüft. Eine solche konservative
multivariate Verrechnung bietet auch
den Vorteil der integrierten AlphaAdjustierung. Da unsere Studie einen
ausschließlich explorativen Charak­
ter aufwies und als Teststatistik die
Pillai-Spur verwendet wurde, die sich
als robust gegen Voraussetzungsver­
letzungen erweist [36] und bei klei­
neren Stichproben nach Bortz [2]
Führt Mobbing zur posttraumatischen Belastungsstörung? Implikationen von Stressverarbeitung und Persönlichkeit
Ergebnisse
eher zu konservativen Entscheidun­
gen führt, wurden auch bei lediglich
einer tendenziellen Signifikanz der
konservativen multivariaten Tests der
MANOVA, die Tests der Zwischen­
subjektfaktoren (univariate Gruppen­
vergleiche) in der Interpretation be­
rück­sichtigt.
Zunächst wurde eine multivariate Var­
ianzanalyse (MANOVA) bezüglich
der posttraumatischen Stresssymp­
tomatik berechnet. In einer weiteren
MANOVA wurde der Bereich der
Lebensqualität erfasst. Ebenfalls auf­
grund der heterogenen Konstrukte
wurde jeweils eine MANOVA das
Copingverhalten und eine MANOVA
die Persönlichkeitseigenschaften be­
treffend berechnet. Zur MANOVA
bezüglich des Copingverhaltens ist
zu sagen, dass der SVF 120 Skalen
auf unterschiedlichen Abstraktion­
sniveaus erfasst. Um eine Verzerrung
der Ergebnisse aufgrund dieser un­
terschiedlichen Abstraktionsniveaus
auszuschließen, wurde die MANOVA
ausschließlich mit den Sekundärska­
len (integrative positive und negative
Stressverarbeitungsskalen) berech­
net. Aufgrund des explorativen Char­
akters der gesamten Untersuchung,
wurden auch die weiteren Subskalen
in einzelnen Gruppenvergleichen un­
tersucht.
Führte Mobbing zur Entwicklung
einer PTBS?
Für die Diagnostik einer PTBS wa­
ren in unserer Untersuchung die Kri­
terien des DSM-IV [31] zu erfüllen,
die mittels SKID Interview ermittelt
wurden. Es zeigte sich, dass 11 (55%)
unserer 20 interviewten Mobbing-Be­
troffenen unter einer nach DSM-IV
zu klassifizierenden PTBS litten.
Zusätzlich wurde die IES Skala [11]
verwendet, die Auskunft über das
Vorhanden-Sein einer Stresssympto­
matik gibt, die auf eine PTBS hin­
weist. Um den Zusammenhang der
beiden Maße zu bestimmen, wurden
Pearson Korrelationen zwischen der
Anzahl der genannten Symptome im
SKID Interview und den einzelnen
Skalen der IES berechnet. Es zeigten
sich Korrelationen in der Höhe von r
= .39 (p = .09) mit der Gesamtskala, r
= .25 (p = .29) mit der Vermeidungs­
skala und r = .50 (p = .03) mit der
Intrusionsskala. Der IES zur Folge
wiesen nur zwei Personen unserer
Stichprobe keine klinisch relevante
Ausprägung einer Stresssymptoma­
tik auf, je vier Personen eine leichte
oder mittlere Ausprägung und zehn
Personen eine schwere Ausprägung.
Hiernach waren 70% unserer unter­
suchten Mobbing-Betroffenen von
posttraumatischen Stresssyndromen
nach der IES betroffen.
Ohne PTBS
117
Worin unterschieden sich die Mob­
bing-Betroffenen, die eine PTBS
entwickelten von jenen MobbingBetroffenen, die keine PTBS zeigten?
War die Dauer der Mobbing-Situation ein Belastungsfaktor?
Die beiden Gruppen der MobbingBetroffenen mit und ohne PTBS un­
terschieden sich weder im Hinblick
auf die Dauer der Mobbing-Handlun­
gen (t18 = -1.14 , p = .27) noch auf den
Zeitraum der zuletzt erfolgten Mob­
bing-Handlung (t18 = .91, p = .38).
Stellte die Stresssymptomatik einen
Belastungsfaktor dar?
In einem Vergleich mittels MANO­
VA zeigten Mobbing-Betroffene mit
PTBS im Vergleich zu jenen ohne
PTBS zum einen höhere Werte im
IES-Gesamtscore, zum anderen in der
IES-Subskala Intrusion. Bezüglich
der IES-Subskala Vermeidung war
nur eine statistische Tendenz nach­
zuweisen. Mobbing-Betroffene mit
PTBS wiesen im Mittel einen Wert
von 50.18 (SD = 18.61) auf, Mob­
bing-Betroffene ohne PTBS erziel­
ten einen mittleren Gesamtwert von
30,67 (SD=16.98). Tabelle 2 fasst die
ISE-Resultate zusammen.
Mit PTBS
M
SD
M
SD
F
P
Gesamtwert (ISE)
30.67
16.98
50.18
18.61
5.89
.03*
Intrusion (ISE)
16.67
6.96
26.64
10.01
6.37
.02*
Vermeidung (ISE)
14.00
10.63
23.55
11.06
3.82
.07
Tabelle 2: Mittelwerte, Standardabweichungen und Signifikanzen (Test der univariaten Zwischensubjekteffekte) in den
ISE-Skalen (Summenscores)
Anmerkung: Der multivariate Test der MANOVA ist tendenziell signifikant (F(2,17) = 3.08, p = .07).
Kreiner, Sulyok, Rothenhäusler
Gab es Unterschiede in der Depressionssymptomatik?
Es zeigte sich, dass Mobbing-Betrof­
fene mit PTBS nur tendenziell höhe­
re BDI-Depressionswerte hatten als
jene ohne PTBS (t = -1.81, p = .09).
Mobbing-Betroffene mit PTBS wie­
sen im Mittel einen BDI-Wert von
18,73 (SD = 8,67) auf, Mobbing-Be­
troffene ohne PTBS hingegen einen
durchschnittlichen BDI-Wert von
11,78 (SD = 8,43).
118
War die Lebensqualität bei den Mobbing-Betroffenen mit PTBS stärker
beeinträchtigt?
In dem multivariaten Test der MA­
NOVA fanden sich bei den MobbingBetroffenen mit PTBS im Vergleich
zu jenen ohne PTBS signifikant stär­
kere Einbußen in der gesundheitsbe­
zogenen Lebensqualität (F(8,11) = 3.65,
p = .03). Dieser Unterschied galt vor
allem für die SF-36 Domäne der kör­
perlichen Schmerzen. In Tabelle 3
sind die Mittelwerte (M), Standard­
Ohne PTBS
abweichungen (SD) und Signifikan­
zen der SF-36 Skalen dargestellt.
Stellt die Stressverarbeitung Risikobzw. Gesundheitsfaktoren bei der
Entwicklung eines PTBS dar?
In der globalen Betrachtung der Se­
kundärskalen der positiven und ne­
gativen Stressverarbeitungsstrategien
des SVF 120 mittels MANOVA zeig­
te sich kein Unterschied in den bei­
den Gruppen der Mobbing-Betroffe­
nen mit und ohne PTBS. Betrachteten
Mit PTBS
M
SD
M
SD
F
P
Körperliche Funktionsfähigkeit
81.11
27.93
75.45
29.53
.19
.67
Körperliche Rollenfunktion
36.11
43.50
43.18
43.43
.13
.72
Körperliche Schmerzen
62.22
25.63
30.82
17.97
10.36
<01**
Allgemeine Gesundheit
58.78
22.47
55.45
23.73
.10
.75
Vitalität
42.78
23.86
28.64
21.69
1.92
.18
Soziale Funktionsfähigkeit
52.78
25.60
36.36
24.01
2.18
.16
Emotionale Rollenfunktion
44.44
47.14
21.14
26.91
1.93
.18
Psychisches Wohlbefinden
49.33
22.72
34.18
22.44
1.23
.15
Tabelle 3: Mittelwerte und Standardabweichungen und Signifikanzen (Test der univariaten Zwischensubjekteffekte) in
den SF-36-Skalen
Anmerkung: Der multivariate Test der MANOVA ist signifikant (F(8,11) = 3.65, p = .03)
Ohne PTBS
Mit PTBS
M
SD
M
SD
F
P
Negative Strategien
11.33
6.64
15.00
3.24
2.20
.14
Positive Strategien
13.38
2.96
14.06
2.98
.25
.62
Positiv 1
12.56
2.46
11.53
3.96
.45
.51
Positiv 2
12.47
3.96
12.20
4.05
.02
.88
Positiv 3
21.04
17.87
18.83
2.64
2.20
.25
Tabelle 4a: Mittelwerte, Standardabweichungen und Signifikanzen (Test der univariaten Zwischensubjekteffekte) in
den SVF Skalen (Summenscores)
Anmerkung: Der multivariate Test der MANOVA ist nicht signifikant (F(5,13) =2.08, p=.13)
Führt Mobbing zur posttraumatischen Belastungsstörung? Implikationen von Stressverarbeitung und Persönlichkeit
Ohne PTBS
119
Mit PTBS
M
SD
M
SD
t-Wert
P
Bagatellisierung
13.67
3.71
10.00
5.29
1.73
.10
Herunterspielen
10.89
4.26
9.60
5.08
.60
.56
Schuldabwehr
13.11
4.17
15.00
5.83
-.80
.43
Ablenken von Situationen
13.78
3.99
12.90
5.47
.40
.70
Ersatzbefriedigung
11.56
6.88
12.20
5.49
-.23
.82
Selbstbestätigung
14.44
5.61
13.60
6.02
.32
.76
Entspannung
10.11
8.05
10.10
3.63
.00
.99
Situationskontrolle
15.78
5.38
20.30
3.13
-.2.27
.04*
Reaktionskontrolle
15.44
3.00
18.60
3.03
-2.28
.04*
Positive Selbstinstruktion
15.22
5.91
17.60
5.33
-.92
.37
Soziales Unterstützungsbedürfnis
14.78
4.66
15.70
7.07
-.33
.74
Vermeidung
13.44
6.21
19.00
2.98
-.244
.03*
Flucht
11.33
7.58
14.70
6.71
-.103
.32
Abkapselung
7.11
5.23
12.60
5.25
-2.28
.04*
Gedankliche Weiterbeschäftigung
14.89
7.30
22.30
2.31
-3.05
.01**
Resignation
10.89
7.69
11.40
3.57
-.19
.86
Selbstbemitleidung
11.78
8.55
13.70
4.30
-.63
.54
Selbstbeschuldigung
12.00
7.07
11.90
3.96
.04
.97
Aggression
8.78
4.15
9.30
6.25
-.21
.84
Pharmakaeinnahme
5.22
4.82
8.00
7.29
-.97
.35
Tabelle 4b: Mittelwerte, Standardabweichungen und Signifikanzen in den SVF Skalen (Summensores)
Anmerkung: Für die Einzelgruppenvergleiche wurden t-Tests berechnet
wir speziell die einzelnen Subskalen,
so gab es mittels t-Tests signifikante
Unterschiede in den Subskalen Situa­
tionskontrolle, Reaktionskontrolle,
Ver­meidung und gedankliche Weiter­
beschäftigung (Tabelle 4a und Tabelle 4b).
Gab es auch Unterschiede zwischen
Mobbing-Betroffenen mit und ohne
PTBS in ihrer Persönlichkeit?
Mittels MANOVA konnte im mul­
tivariaten Test kein Hinweis darauf
gefunden werden, dass die FPI-RPersönlichkeitsfaktoren einen Schutz­
faktor gegen eine PTBS Erkrankung
unserer Mobbing-Betroffenen dar­
stellte. Denn unsere beiden Gruppen
unterschieden sich generell nicht.
In den Zwischensubjektvergleichen
konnten Tendenzen in den Subskalen
„soziale Orientierung“ und „körper­
liche Schmerzen“ gefunden werden
(Tabelle 5).
Kreiner, Sulyok, Rothenhäusler
120
FPI-Skalen
Ohne PTBS
Mit PTBS
M
SD
M
SD
F
p
Lebenszufriedenheit
5.44
3.13
6.27
2.69
.41
.53
Soziale Orientierung
6.78
2.82
9.64
1.75
7.74
.01*
Leistungsorientierung
6.11
2.37
7.10
2.95
.65
.43
Gehemmtheit
5.67
2.92
4.82
1.94
.60
.45
Erregbarkeit
4.22
2.28
6.00
3.44
1.77
.20
Aggressivität
3.11
2.62
4.36
3.23
.88
.36
Beanspruchung
5.22
3.35
7.09
2.91
1.78
.20
Körperliche Beschwerden
4.11
3.41
6.91
2.11
4.92
.04*
Gesundheitssorgen
4.67
2.74
5.00
2.00
.10
.76
Offenheit
5.22
2.68
4.91
3.24
.05
.82
Extraversion
5.00
1.94
7.00
3.74
2.10
.17
Emotionalität
6.11
3.16
8.00
3.16
1.80
.20
Tabelle 5: Mittelwerte, Standardabweichungen und Signifikanzen (Test der univariaten Zwischensubjekteffekte) in den
FPI-Skalen (Summenscores)
Anmerkung: Der multivariate Test der MANOVA ist nicht signifikant F(12,7)=1.70, p=.25
Diskussion
Für das zeitgerechte Erkennen und
Behandeln von PTBS als Folge von
Mobbing ist es von klinischer Rel­
evanz, Angaben über die Prävalen­
zraten aufzustellen. In dieser Studie
konnte zwar nur eine geringe Stich­
probe an Mobbing-Betroffenen be­
rücksichtigt werden, aber gerade in
Ermangelung an Untersuchungen mit
Hilfe von strukturierten klinischen
Interviews zur Diagnosestellung von
PTBS bei Mobbing-Betroffenen stel­
len unsere Studienergebnisse einen
gewichtigen Beitrag dar. Dass 55%
unserer interviewten Mobbing-Be­
troffenen zum Zeitpunkt der Evalua­
tion an einer PTBS litten, stützt die
studienbasierte Evidenz, dass Mob­
bing zu PTBS führen kann. Betra­
chtet man die Entwicklung einer post­
traumatischen
Stresssymptomatik
mit­tels IES, so wiesen 70% unserer
Mobbing-Betroffenen eine klinisch
relevante Symptomatik auf. Dieser
Befund steht auch im Einklang mit
der bisherigen Literatur [6, 21], in
der Häufigkeitsraten zwischen 63%
und 75% berichtet werden.
Was die Lebensqualität betrifft, ist es
auffällig, dass unsere Mobbing-Be­
troffenen mit PTBS deutlich stärker
unter körperlichen Schmerzen litten
als jene ohne eine PTBS. Im Vergleich
zu der von Bullinger und Kirchberger
[3] publizierten Normstichprobe von
nicht chronisch Erkrankten schnitten
unsere untersuchten Mobbing-Betrof­
fenen mit und ohne PTBS deutlich
ungünstiger ab und zeigten insgesamt
eingeschränkte Lebensqualitätsken­
nziffern in allen acht gesundheitsb­
ezogenen Bereichen. Unsere unter­
suchten Mobbing-Betroffenen hatten
folglich einen Gesundheitszustand zu
beklagen, der körperliche Aktivitäten
und die Arbeit stark einschränkte.
Ebenfalls war die Widerstandskraft
gegenüber anderen Erkrankungen
geschwächt und die persönliche
Gesundheit wurde als angegriffen
beurteilt. Sie fühlten sich verstärkt
müde, erschöpft und energielos.
Was waren nun aber Faktoren bei un­
seren Mobbing-Betroffenen, die das
Auftreten einer PTBS begünstigten
beziehungsweise verhinderten? Die
Literatur geht davon aus, dass die
Persönlichkeit und Stressverarbei­
tungsstrategien für die Entstehung
einer Mobbing-Situation relevant
sind [16, 30, 40, 41]. Stressverarbei­
tungsstrategien, wie sie im SVF 120
erfasst werden, sind als individuelle
Tendenzen zu verstehen, bestimmte
Stressverarbeitungsweisen situation­
sunabhängig einzusetzen. Ramsayer
et al. [29] zeigten, dass sich Mob­
Führt Mobbing zur posttraumatischen Belastungsstörung? Implikationen von Stressverarbeitung und Persönlichkeit
bing-Betroffene von Nicht-Betrof­
fenen nicht generell in der Verwend­
ung von positiven Stressstrategien
unterschieden, dass sie aber sehr wohl
vermehrt in der Lage waren, Stress­
belastungen zu bagatellisieren und zu
relativieren. Im Vergleich dazu ver­
wandten unsere Mobbing-Betroffen
mit PTBS zur Reduktion von Stress
vor allem Kontrollstrategien. Das be­
deutet, sie versuchen, vermehrt Kon­
trolle über die belastende Situation zu
gewinnen. Deshalb analysierten sie
die Mobbingsituation genau, planten
mögliche Maßnahmen zur Verbesse­
rung der Mobbingsituation und ver­
suchten auch aktiv in das Geschehen
einzugreifen. Im Allgemeinen wird
diese Form der Stressbewältigung
als besonders konstruktiv angesehen
[12] und sollte demnach vor der En­
twicklung eines PTBS schützen. Un­
sere Mobbing-Betroffenen mit PTBS
betrieben einen hohen Aufwand, um
die belastende Situation zu kontrol­
lieren. Wenn sie dabei aber scheit­
erten, dann bedeutete das wiederum
einen Zuwachs von negativen Ge­
fühlen wie Hilflosigkeit oder Ver­
sagen, was zur Senkung des Selbst­
wertes führte und damit indirekt das
Auftreten einer PTBS förderte. Ein
solches erfolgloses Einsetzen von
Stressbewältigungsstrategien kommt
unter Mobbing-Betroffenen generell
häufig vor. Knorz und Zapf [15] bzw.
Zapf und Gross [41] berichteten, dass
nur 12% bzw. überhaupt nur 6% ihrer
untersuchten Mobbing-Betroffenen
„erfolgreiche
Stressbewältiger“
waren, also daran glaubten, dass sich
die Arbeitssituation aufgrund ihrer
Bemühungen verbessert hatte.
Die erhöhte Kontrolle betrifft im
Allgemeinen aber auch die eigene
Reaktion auf die belastende Situ­
ation. So versuchten unsere Mob­
bing-Betroffenen mit PTBS negative
Emotionen wie innere Erregung erst
gar nicht entstehen oder sich diese
nicht anmerken zu lassen und kämpf­
ten gegen bereits bestehende Erre­
gung an. Wenn sich jemand ohnehin
schon zusammenreißt und versucht
nicht die Fassung zu verlieren, der
Konflikt jedoch nicht gelöst werden
kann, dann ist man höherer Frustra­
tion ausgesetzt. Es wäre interes­
sant zu untersuchen, ob generell die
Frustrationstoleranz bei den Perso­
nen mit aktueller PTBS niedriger
liegt. Schmiga und Rammsayer [33]
fanden bereits erhöhte Reaktionskon­
trollwerte bei Mobbing-Betroffenen
im Vergleich zu Nicht-Betroffenen
und argumentierten übereinstimmend
mit Schickerath und Kneip [32], dass
ein habituelles Unterdrücken von of­
fenen Aggressionen im engen Zusam­
menhang mit dem Auftreten von psy­
chosomatischen Beschwerden stehe.
Auch in unserer Untersuchung kon­
nten wir eine deutlich eingeschränkte
Lebensqualität der Mobbing-Betrof­
fenen bezüglich ihrer körperlichen
Beschwerden feststellen. Der Be­
reich der Reaktionskontrolle spielt
also nicht nur bei der Entstehung
von Mobbing, sondern auch bei der
Entwicklung einer PTBS eine Rolle.
Reaktionskontrolle sollte folglich in
der psychologischen und psychother­
apeutischen
Behandlungssituation
eine besondere Bedeutung beigemes­
sen werden.
Schmiga und Rammsayer [33]
berichteten weiters, dass MobbingBetroffene im Vergleich zu Nicht
- Betroffenen vermehrt negative
Stressverarbeitungsweisen einsetz­
ten. Wir konnten nicht beobachten,
dass jene Mobbing-Betroffenen mit
PTBS generell häufiger stressver­
mehrende Strategien benützten als
jene ohne PTBS. Auffällig ist allerd­
ings, dass sich Mobbing-Betroffene
mit PTBS insgesamt stärker mit der
Mobbingsituation gedanklich weiter­
beschäftigten. Sie konnten sich weni­
ger gut von der erlebten Belastung
distanzieren, die negativen Gedanken
und Vorstellungen drängten sich im­
mer wieder auf und somit wurden die
belastende Situation und die damit
einhergehende Erregung in einer
kognitiven Perspektive prolongiert.
Vor diesem Hintergrund sollen spe­
zifische kognitive Kapazitäten der
Betroffenen beansprucht werden, und
es wird fast unmöglich, positivere
121
Strategien wie Entspannung oder das
Herunterspielen der Gegebenheiten
oder der eigenen Reaktion einzu­
setzen [12]. Außerdem tendierten un­
sere Mobbing-Betroffenen mit PTBS
verstärkt dazu, die belastende Mob­
bingsituation zu vermeiden und sich
zurückzuziehen. Sie gingen Kontak­
ten mit Mitmenschen verstärkt aus
dem Weg und zogen es vor, alleine
zu sein. Sozialer Rückzug stellt dem­
nach einen wesentlichen Faktor dar,
der das Auftreten und die Entwick­
lung einer PTBS begünstigen kann
und könnte hiernach vorteilhaft in
die Therapie Mobbing-Betroffener
integriert werden.
Der Einfluss von Persönlichkeitsfak­
toren in der Entstehung einer Mob­
bing-Situation wurde von Leymann
(1996) abgelehnt. Geht man davon
aus, dass sich bei 12 untersuchten
FPI-R-Persönlichkeitsdimensio­
nen nur zwei als unterschiedlich er­
wiesen, könnte man vermuten, dass
die persönlichen Eigenschaften nur
einen geringen Einfluss auf die Ent­
wicklung einer PTBS haben sollten.
Beachtenswert war allerdings, dass
unsere Mobbing-Betroffenen mit
PTBS häufiger soziale Verantwor­
tung übernahmen und ihre Hilfsbere­
itschaft oder Sorgen gegenüber ihren
Mitmenschen ausdrückten. Eine zu
hohe soziale Orientierung ist demnach
ein Risikofaktor für die Entwicklung
einer PTBS. In der Literatur [16] wird
häufig von psychosomatischen Be­
schwerden bei Mobbing-Betroffenen
berichtet. Innerhalb der unserer Mob­
bing-Betroffenen manifestierte sich
auch, dass jene mit PTBS von einem
gestörten Allgemeinbefinden berich­
teten. Sie gaben an, unter Schlaf­
störungen, Kopfschmerzen, Verstop­
fungen, Magenverstimmungen oder
zittrigen Händen zu leiden.
Gerade auch die nicht signifikanten
Ergebnisse unserer Studie sind von
Interesse. Denn es gibt in der Lit­
eratur [30, 37, 40] Hinweise dafür,
dass die Persönlichkeitsdimension
Neurotizimus ein Charakteristikum
von Mobbing-Betroffenen darstellt.
Neurotizismus steht für emotionale
Kreiner, Sulyok, Rothenhäusler
Labilität und einer Tendenz zur emo­
tionalen Überempfindlichkeit, dahi­
ngehend, dass es im limbischen Sys­
tem eine geringe Erregungsschwelle
gibt und bereits Reize von geringer
Intensität Reaktionen hervorrufen.
Hohe Neurotizismuswerte gehen
mit Ängsten, unangenehmen Gefüh­
len und Sorgen einher und häufiger
treten somatische Beschwerden wie
Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit oder
Verdauungsstörungen auf [1]. In der
FPI-R-Skala Emotionalität werden
die wesentlichen Komponenten der
Persönlichkeitsdimension
Neuro­
tizimus abgebildet [8]. Wir konnten
analog zu Rammsayer und Schmiga
[29] nachweisen, dass hohe Neuro­
tizismuswerte mit negativen Stress­
verarbeitungsstrategien bei unseren
Mobbing-Betroffenen
unabhängig
vom Vorliegen einer PTBS assoziiert
waren (r = .74). Wir sind daher der
Ansicht, dass Neurotizismus keinen
Risikofaktor für die Entstehung von
PTBS bei Mobbing-Betroffenen
darstellt.
Ausblick und Limits
Auch wenn unsere Studie auf einer
geringen Stichprobenzahl beruht, so
gibt es doch wichtige Ansätze für die
weitere Forschung und Behandlung
von Mobbing-Betroffenen. Das Mob­
bing als kumulatives Traumata [23]
beschrieben werden kann, spiegelt
sich auch in den hohen ISE-Gesa­
mtscores in unserer Untersuchung.
Dennoch bleibt, gerade angesichts
der aktuellen Ansätze zur genaueren
Strukturierung der komplexen Diag­
nosegruppe der Anpassungsstörun­
gen durch beispielsweise die Arbe­
itsgruppen von Maerker in Zürich
und Linden in Berlin, in Zukunft
eine Untersuchung zum Zusam­
menhang zwischen Mobbing und
Stress-Response-Konzept bei der
Anpassungsstörung [22], der post­
traumatischen Verbitterungsstörung
[20] und der Arbeitsplatzphobie [19]
durchzuführen.
122
Im Verständnis von Mobbing als dy­
namischen Prozess zwischen Täter
und Betroffenen [25] sollte in der
Behandlungssituation
tatsächlich
beim Mobbing-Betroffenen selbst
angesetzt werden und nicht nur bei
der Mobbing-Situation. Insbesondere
müssen Strategien erarbeitet werden,
die gegen die soziale Abkapselung
und gedankliche Weiterbeschäftigung
mit der Mobbingsituation ankämpfen.
Außerdem sollte genau hinterfragt
werden, ob die eventuell vermehrt
eingesetzten Kontrollstrategien auch
erfolgreich sind oder womöglich die
Symptomatik verstärken. In der psy­
chologischen Behandlung der Mob­
bing-Betroffenen an unserer Klinik
haben sich Techniken zur Stress- und
Problemanalyse (z.B. nach Kaluza
[23]) und die Erarbeitung von sub­
jektiv als erfolgreich und erfolglos
erlebten Copingstrategien bewährt.
Wesentlich sind eine Erarbeitung
von irrationalen Gedankenmustern
und eine Bewusstseinsförderung der
eigenen, persönlichen Anteile an der
Entstehung und Aufrechterhaltung
einer Mobbing-Situation. Hilfreich
sind die Förderung von Selbstverbali­
sationsfähigkeiten mit Hilfe von Rol­
lenspielen und auch Elementen des
Weisheitstrainings [34]. Ebenfalls
sollten Ansätze aus verschiedenen
Selbstsicherheitstrainings integriert
werden. Diese Therapieansätze sind
allerdings immer auf das einzelne
Individuum abzustimmen und kön­
nen beispielsweise keine Mediation­
sarbeiten mit allen beteiligten Konf­
liktparteien ersetzen. Auf jeden Fall
sollten in der Routineversorgung
von Mobbing-Betroffenen gezielt
psychiatrische Komplikationen in
Gestalt von posttraumatischen Belas­
tungsstörungen berücksichtigt wer­
den.
Interessenskonflikt: Es besteht kein
Interessenskonflikt
Literatur
[1] Amelang, M. & Bartussek, D.: Differen­
tielle Psychologie und Persönlichkeits­
forschung (5.Auflage). Kohlhammer,
Stuttgart 2001.
[2] Bortz, J.: Statistik für Sozialwissenschaf­
ter (5. vollst. überarb. Auflage). Sprin­
ger, Berlin 1999.
[3] Bullinger, M. & Kirchberger, I.: Der
SF-36 Fragebogen zum Gesundheitszu­
stand. Hogrefe, Göttingen 1995.
[4] Corneil, W., Beaton, R., Murphy, S.,
Johnson, C. & Pike, K.: Exposure to
tramatic incidents and prevalence of
posttraumatic stress symptomatology in
urban firefighters in two countries. Jour­
nal of Occupational Health Psychology.
4 (2), 131-141 (1999).
[5] Dilling, H., Mombour, W. & Schmidt,
M.H. (Hrsd).: Internationale Klassifika­
tionen psychischer Störungen. Klinsichdiagnostische Leitlinien. Hans Huber,
Bern 2000.
[6] Einarsen, S.: The nature and couses of
bullying at work. International Journal
of Manpower, 20, 16-27 (1999).
[7] Einarsen, S. & Skogstad, A.: Prevalence
and risk groups of bullying and harrass­
ment at work. European Journal of work
and organizational psychology, 5, 185202 (1996).
[8] Fahrenberg, J., Hampel, R. & Selg, H.:
Das Freiburger Persönlichkeitsinventar
FPI – Revidierte Fassung FPI-R und
teilweise geänderte Fassung FPI-A1,
Handweisung (6. Auflage). Hogrefe,
Göttingen 1994.
[9] Ferring, D. & Filipp, S.H.: Teststatis­
tische Überprüfung der Impact of Event
Skala: Befunde zu Reliabilität und Sta­
bilität. Diagnostica, 40, 344-362 (1994).
[10] Hautzinger M, Bailer M, Worall W, Kel­
ler F.: BDI Beck-Depressions-Inventar
2., überarbeitete Auflage. Hogrefe, Göt­
tingen 1995.
[11] Horowitz, M.J, Wilner, N.R. & Alvarez,
W.: Impact of Event Scale: a measure of
subjective stress. Psychosomatic Medi­
cine, 41, 209-218 (1979).
[12] Janke, W., Erdmann, G., Kallus, W.&
Boucsein W.: Stressverarbeitungsfrage­
bogen (SVF 120) – Kurzbeschreibung
und grundlegende Kennwerte. Hogrefe,
Göttingen 1997.
[13] Kaluza, G.: Stressbewältigung. Train­
ingsmanual zur psychologischen Ge­
sundheitsförderung. Springer, Heidel­
berg 2005.
[14] Kivimäki, M., Virtanen, M., Vartia, M.,
Elovainio, M., Vahtera, J & KeltikangasJärvinen, L.: Workplace bullying and
the risk of cardiovascular disease and
depression. Occup. Environ. Med. 60,
779-783 (2007).
[15] Knorz, C. & Zapf, D.: Mobbing: Eine
extreme Form sozialer Stressoren am
Führt Mobbing zur posttraumatischen Belastungsstörung? Implikationen von Stressverarbeitung und Persönlichkeit
[16]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
Arbeitsplatz. Zeitschrift für Arbeitsund Organisationspsychologie, 1, 12-22
(1996).
Kolodej, C.. Mobbing - Psychoterror am
Arbeitsplatz und seine Bewältigung.
Facultas, Wien 2005.
Leymann, H. & Gustafsson, A.: Mobbing
at Work and the DEvelopment of Posttraumatic Stress Disorders. European
Journal of work and organizational psy­
chology, 5, (2), 251-275 (1996).
Leymann, H.: Mobbing: Psychoterror am
Arbeitsplatz und wie man sich dagegen
wehren kann. Rowohlt, Reinbek bei
Hamburg 1993.
Linden, M. & Muschalla, B.: Arbeit­
splatzbezogene Ängste und Arbeitsplatz­
phobie. Nervenarzt, 78, 39-44 (2007).
Linden, M., Rotter, M., Baumann, K. &
Lieberei, B.: Posttraumatic Embitter­
ment Disorder. Definition, Evidence, Di­
agnosis, Treatment. Hogrefe, Göttingen
2007.
Matthiesen, S.B. & Einarsen, S.: Psychi­
atric distress and symptoms of PTSD
among victims of bullying at work. Brit­
ish Journal of Guidance & Counselling,
32, (3), 335-356 (2004).
Maercker, A., Einsle, F. & Köllner, V.:
Adjustment disorders as stress response
syndromes: A new diagnostic concept
and its exploration in a medical sample.
Psychopathology, 40, 135-146 (2007).
Mikkelsen, E., G. & Einarsen, S.: Basic
assumptions and symptoms of post-trau­
matic stress among victims of bullying
at work. European Journal of work and
organizational psychology, 11, (1), 87111 (2002).
Münker-Kramer, E.: Akute Belas­
tungsreaktion. Posttraumatische Be­
lastungsstörung. In W. Beiglböck, S.
Feselmayer & E. Honemann (Hrsg.),
Handbuch der klinisch-psychologischen
Behandlung (2.Auflage) (S.293-322).
Springer, Wien 2006.
Neuberger, O.: Mobbing. Übel mitspielen
in Organisationen (2.Auflage). Hampp,
München 1995.
[26] Niedl, K.: Mobbing/Bullying am Ar­
beitsplatz. Eine empirische Analyse
zum Phänomen sowie zu personalwirt­
schaftlich relevanten Effekten von sys­
tematischen Feindseligkeiten. Hampp,
.München 1995.
[27] Niedhammer, I., David, S. & Degioanni,
S.: Association between workplace bul­
lying and depressive symptoms in the
french working population. Journal of
psychosomatic and research, 61, 251259 (2006).
[28] Pranjic, N., Males-Bilic, L., Beganlic, A.
& Mustajbegovic, J.: Mobbing, Stress,
and work ability index among phsysi­
cians in Bosnia and Herzegovina: Sur­
vey Study. Croat Med J., 47, 750-758
(2006).
[29] Rammsayer, T. & Schmiga, K.: Mob­
bing und Persönlichkeit: Unterschiede in
grundliegenden Persönlichkeitsdimen­
sionen zwischen Mobbing-Betroffenen
und Nicht-Betroffenen. Wirtschaftspsy­
chologie, 2, 3-11 (2003).
[30] Rammsayer, T., Stahl, J. & Schmiga,
K.: Grundlegende Persönlichkeitsmerk­
male und individuelle Stressverarbei­
tungsstrategien als Determinanten der
Mobbing-Bettroffenheit.
Zeitschrift
für Personalpsychologie, 5, (2), 41-52
(2006).
[31] Saß, H., Wittchen, H.U. & Zaudig, G.:
Diagnostisches und Statistisches Manual
Psychischer Störungen (DSM-IV-TR).
Textrevision. Hogrefe, Göttingen 2003.
[32] Schickerath, J. & Kneip, V.: Mobbing am
Arbeitsplatz: Interaktionelle Problembe­
reiche, psychosomatische Reaktionsbil­
dungen und Behandlungsansätze. Wirt­
schaftspsychologie, 4, 45-60 (2002).
[33] Schmiga., K. & Rammayser, T.: Mob­
bing und Persönlichkeit: Unterschiede
in habituellen Stressverarbeitungswei­
sen zwischen Mobbing-Betroffenen und
Nicht-Betroffenen. Wirtschaftspsycho­
logie, 1, 84-92 (2004).
[34] Schippan, B., Baumann, K. & Linden,M.:
Weisheitstherapie – kognitive Therapie
der posttraumatischen Verbitterungsstö­
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
123
rung. Verhaltenstherapie, 14, 284-293
(2004).
Stucke, T.S.: Persönlichkeitskorrelate
von Mobbing – Narzissmus und Selbst­
konzeptklarheit als Persönlichkeitskor­
relate bei Mobbingtätern. Zeitschrift für
Arbeits- und Organisationspsychologie,
46, (4), 216-221 (2002).
Tabachnick, B.B. & Fidell, L.S.: Using
multivariate statistics. Allyn and Bacon,
Boston 2001.
Vartia, M.: The source of bullying – psy­
cholgical work environment and organi­
zational climate. European Journal of
work and organizational psychology, 5,
203-214 (1996).
Willingstorfer, B., Schaper, N. & Son­
ntag, K.: Mobbingmaße und – faktoren
sowie bestehende Zusammenhänge
mit sozialen Arbeitsplatzbedingungen.
Zeitschrift für Arbeits- und Organi­
sationspsychologie, 46, (3), 111-125
(2002).
Wittchen, H.U., Zaudig, M. & Fydrich,T.:
Strukturiertes Klinisches Interview für
DSM-IV Achse I und II – Handanwei­
sung. Hogrefe, Göttingen 1997.
Zapf, D.: Mobbing in Organisationen
– Überblick zum Stand der Forschung.
Zeitschrift für Arbeits- und Organisa­
tionspsychologie, 43, 1-25 (1999).
Zapf, D. & Gross, C.: Conflict escalation
and coping with workplace bullying:
A replication and extention. European
Journal of work and organizational psy­
chology, 10, (4), 497-522 (2001).
Univ. Doz. Dr. Hans-Bernd Rothenhäusler
Universitätsklinik für Psychiatrie der
Medizinischen Universität Graz
[email protected]
Fallbericht
Case report
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 124–126
Der Weichselzopf (Plica polonica) – eine aktuelle
Kasuistik zu einem historischen Krankheitskonzept
Florian Wolf, Martin Scherr, Dirk Scherthöffer, Josef Bäuml und Hans Förstl
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum des Saarlandes
Schlüsselwörter:
Plica polonica – Weichselzopf – Trichom
– Wahnerkrankung – Paraphrenie
Key words:
considered as cause, consequence
and treatment of mental disease. The
historical development of “plica polonica” is briefly reviewed as an example of early and once popular psychiatric disease concepts.
plica polonica – dreadlocks – trichoma
– delusional disorder – late paraphrenia
Einleitung
Der Weichselzopf (Plica polonica)
– eine aktuelle Kasuistik zu einem
historischen Krankheitskonzept
Wir berichten über eine 62-jährige Patientin mit einer chronischen
Wahnerkrankung, die wegen drohender Selbstgefährdung auf einer
geschützten psychiatrischen Station
untergebracht wurde. Die Patientin
zeigte bei Aufnahme eine auffallende Verfilzung der Haare, die in
der medizinischen Literatur des
19. Jahrhunderts als Hexen- oder
Weichselzopf (plica neuropathica
oder polonica) bezeichnet und als
Ursache, Ausdruck und gleichzeitig
Heilverfahren psychischer Störungen
angesehen wurde.
Trichoma (Plica polonica) – a contemporary case with a historical
disease
We describe a 62-year-old patient
with a chronic delusional disorder
who presented with severely matted
hair (“plica polonica”). Until the late
19th century such dreadlocks were
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
Psychische Störungen werden heute nach standardisierten Kriterien
diagnostiziert, die durch eine
Anpassung an neue Erkenntnisse einem ständigen Wandel unterworfen
sind. Dennoch erscheinen manche
frühe Beschreibungen psychischer
Störungen auch nach Jahrhunderten
so charakteristisch, dass sie eine
Diagnose nach modernen Kriterien
nahe legen [3]. Bei anderen historischen Berichten wurden die ätiologischen und therapeutischen Konzepte
so in den Vordergrund gerückt, dass
die dahinter stehenden Störungen aus
heutiger Sicht schwer verständlich
bleiben. Dies liegt zum einen an der
unklaren Symptomschilderung, zum
anderen daran, dass manche der historischen Leitsymptome heute kaum
mehr beobachtet werden.
Wir berichten über eine Patientin,
deren auffallende Erscheinung einem Krankheitskonzept aus der
Renaissance entspricht, das bis ins
19. Jahrhundert für eine große Zahl
vielfältiger psychischer Störungen
verantwortlich gemacht wurde.
Kasuistik
Anamnese und Befund
Eine 62-jährige Patientin wurde von
ihren Kindern in die psychiatrische
Klinik gebracht. Sie berichteten, ihre
Mutter habe seit etwa 10 Jahren das
Haus nicht mehr verlassen und sich
bevorzugt im Keller aufgehalten, da
sie befürchtete, abgehört, beobachtet und verfolgt zu werden. Sie habe
auch nur noch bestimmte, besonders
„reine“ Nahrungsmittel zu sich genommen.
Die äußerlich verwahrloste Patientin
betonte im Aufnahmegespräch wiederholt, dass sie ihren Aufenthalt in
der Klinik ablehne, da ihr sozialer
Rückzug schließlich ihre eigene Entscheidung sei. Entsprechend gab sie
sich zunächst misstrauisch, ablehnend und dysphorisch. Von Anfang
an machte sie eine Reihe paranoid
wirkender Andeutungen (sie sei Opfer eine Rufmordes etc.), die allerdings vage und verrätselt blieben.
Die Patientin war zunächst nur wenig
mitteilsam, wobei aber die sporadischen Äusserungen sprachlich sehr
differenziert wirkten.
Von den Angehörigen war zu erfahren, dass die Haare der Patientin vor
Jahren - zeitgleich mit ihrem Rückzug und dem Auftreten ihrer wahnhaften Symptome – stark zu verfilzen
begannen. Die schlanke Patientin war
insgesamt etwas ungepflegt, wobei
das stark verfilzte Kopfhaar als dominierendes Merkmal hervorstach.
Ansonsten war die körperliche Untersuchung unauffällig, ebenso wie die
Ergebnisse der Laboruntersuchungen
und einer kranialen Kernspintomographie.
Neuropsychiatrische Symptome bei Sotos-Syndrom. Kasuistik und Literaturübersicht
Wir diagnostizierten eine chronisch
wahnhafte Störung (ICD-10: F22.0).
Wegen des späten Krankheitsbeginns,
der spärlichen Andeutungen über
Wahrnehmungen und Gedanken
sowie der allenfalls geringen intellektuellen Beeinträchtigung nach
langem Krankheitsverlauf, wurden
die Kriterien einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie (ICD-10:
F20.0) nicht hinreichend erfüllt; wir
stellten die Diagnose einer späten
Paraphrenie.
Therapie und Verlauf
Zu Beginn des stationären Aufenthaltes hatte die Patientin alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen verweigert. Sie zog sich zurück
und führte Selbstgespräche. Nach intramuskulärer Gabe von 8 mg Fluspirilen wöchentlich wurde sie deutlich
zugänglicher und nahm an Therapieprogrammen teil. Schließlich ließ
sich die Patientin auf eigenen Wunsch
die verfilzten Haare entfernen. Dabei
wurden weder Parasiten, noch Auffälligkeiten der Kopfhaut entdeckt.
Anschließend erwähnte die Patientin,
dass sie bei Aufnahme dachte, ihre
Haarverfilzung sei für Strahlen undurchdringlich und daher wichtig für
ihren Schutz.
Diskussion
Die extreme und irreversible Verfilzung der Kopf-, aber auch der
Achsel- und Schamhaare ging unter
verschiedenen Bezeichnungen in die
medizinische Literatur ein: „Weichselzopf“ durch das angeblich endemische Auftreten in Polen während
des späten Mittelalters und der Renaissance (Plica polonica sive neuropathica) [4;10], „Hexenzopf“ [5],
„Trichoma“, „Elflock“, „Dreadlock“
(englisch), oder„kotun“ (polnisch)
(Abbildung 1). Während Dreadlocks
als Modeerscheinung akzeptiert
Abbildung 1: Weichselzopf (mit Ge­
nehmigung des Medizinhistorisches
Museums der Charité, HumboldtUniversität, Berlin; unsere Patientin
gab keine Zustimmung zur Veröffent­
lichung ihres Portraits).
werden, ­ finden sich Hinweise auf
extreme Haarverfilzungen im pathologischen Kontext nur noch selten.
Dabei werden dermatologisch meist
Eigenheiten der Haarbeschaffenheit,
mechanische Manipulationen, Haarpflegemittel und nur selten psychische Faktoren diskutiert [6].
Seit der Erstbeschreibung durch Johannes Schenck von Grafenberg
(1584) war die Plica polonica ein fester medizinisch-wissenschaftlicher
Topos, der Anlass zu gelehrten Debatten bot [9]. Einige sahen im Weichselzopf eine eigenständige Krankheit
mit vielfältiger Symptomatik, manche sogar ein mystisches Zeichen.
So wurden in frühen Erklärungsversuchen u.a. Hexen und Kobolde für
die Entstehung des „Hexenzopfes“
verantwortlich gemacht [7]. Andere
diskutierten klimatische Verhältnisse,
das Tragen von Pelzmützen, diätetische Faktoren oder auch die feuchten
Ausdünstungen des Lehmbodens in
Polen [2]. Nach Butzke [2] war die
Weichselzopfkrankheit durch einen
stadienhaften Verlauf gekennzeichnet
mit Prodromalsymptomen wie Kopfschmerz, Licht- Geräusch- und Be-
125
rührungsempfindlichkeit, Übelkeit,
Tinnitus, Ophthalmopathien, Knochen- und Gelenkschmerzen, sowie
Obstipation, Diarrhoe und Schlafstörungen und schliesslich den durch
Joseph Frank definierten klassischen
Symptomen „pavor, taedium, melancholia, mania“ [nach 2]. Die klinische Bandbreite reichte von affektiven Störungen bis zu Symptomen,
die den Verdacht auf somatoforme,
hysterische, epileptische oder meningo-enzephalitische Erkrankungen
nahe legen.
Es wurde befürchtet, dass ein Entfernen des Filzzopfs zu Komplikationen in anderen Organsystemen,
oder einer Verschärfung der neuropsychiatrischen Symptomatik führen
könne. Die Plica polonica selbst galt
als Ausdruck eines physiologischen
Heilungsprozesses und so wurde mitunter der Zopf nach Abklingen der
Symptome belassen [4; 10].
Als Volksmittel wurde aber gelegentlich das „Umbinden eines abgezogenen Igels um den Kopf“ empfohlen.
Ärzte unternahmen bis ins 19. Jahrhundert Therapieversuche mit Aderlässen, abführenden Mitteln und unterschiedlichsten Phytotherapeutika
[2]. Da man auch eine Verbindung
zwischen Plica polonica und Syphilis vermutete, wurde die Plica mit
quecksilberhaltigen Elixieren und
Dämpfen behandelt [2;10]. Die neuropsychiatrischen Symptome einer
vermeintlichen Plica und einer echten
Vergiftung mit volatilem Quecksilber
sind schwer zu trennen (Stimmungslabilität, Angst, Erregung, Muskelzucken, Seh-, Hör-, Sprach- und
Gangstörungen, Merkschwäche, Persönlichkeitsveränderung und Poly­
neuropathie) [8].
Nur selten war in der medizinischen
Literatur der nahe liegende Zusammenhang mit mangelnder Hygiene
herausgearbeitet worden. Beschorner
unternahm 1843 [1] erstmals in einer
umfangreichen epidemiologischen
Studie den Versuch, systematisch
nachzuweisen, dass das Phänomen
vorrangig durch schlechte Körper­
pflege und Armut bedingt war,
Kessler, Kraft
während die gleichzeitig beobachteten
psychischen Störungen in keinem direkten Zusammenhang standen.
Fazit für die Praxis
Bei unserer Patientin ließ sich eine
zeitliche Parallele zwischen Beginn
und Ausprägung von Wahnideen und
selbst gewählter Depravation einerseits und der Plica andererseits nachweisen. Auch hatte sie der Verfilzung
eine schützende Funktion zugesprochen, wobei diese Interpretation von
uns therapeutisch nicht aufgegriffen
wurde. Die Entfernung des Filzzopfs
fiel zeitlich mit einer nachhaltigen
klinischen Besserung zusammen.
Diese augenscheinliche Koinzidenz
erscheint geeignet, professionelles
Verständnis für ein lächerlich anmutendes Krankheitskonzept von erstaunlicher Langlebigkeit zu wecken,
das die Medizin von der Renaissance
bis ins 19. Jahrhundert beschäftigte.
126
Literatur
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
Beschorner F (1843) Der Weichselzopf.
Nach statistischen und physiologischen
Beziehungen dargestellt. F. Hirt, Breslau
Butzke EL (1859) Denkschrift über den
Weichselzopf. T. Grieben, Berlin
Förstl H, Angermeyer M, Howard R
(1991) Karl Philipp Moritz’ Journal of
Empirical Psychology (1783 – 1793):
an analysis of 124 case reports. Psychol
Med 21:299-304
Förstl H, Elliger H (1995) Dreadlocks
and Mental Disease. An old argument
and an early epidemiological study
(1843). Br J Psychiatry 166:701-702
Grimm J (1854) Teutonic Mythology Vol.
II. Dover Publications, Mineola New
York, S 474
Kwinter J., Weinstein M. (2006) Plica
neuropathica: novel presentation of a
rare disease. Clin Exp Dermatol 31:790792
Lessing MB (1839) Ist der Weichselzopf
eine ursprünglich deutsche Krankheit?
In: Casper JL (Hrsg.) Wochenschrift für
die gesamte Heilkunde. A. Hirschwald,
Berlin 40:641-656
Risher JF, Amler SN (2005) Mercury Ex­
posure: Evaluation and Intervention The
Inappropriate Use of Chelating Agents
in the Diagnosis and Treatment of Puta­
tive Mercury Poisoning. Neurotoxicology 26:691–699
[9]
Schenck von Grafenberg J (1584) Ob­
servationum medicarum rarior. Lib.
VII. Lib. I de capite, observatio XIII de
tricis incuborum. Frobeniana, Basel
[10] Wunderlich, CA (1853) Handbuch
der Pathologie und Therapie. 2.Band,
2.Auflage, Ebner und Seubert, Stuttgart,
262-263
Interessenkonflikt
Die Autoren verwenden und verord­nen unter
anderem Produkte von Johnson & Johnson.
Dabei besteht keine finanzielle oder anderweitige Abhängigkeit.
Hans Förstl
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie TU München
[email protected]
Kritisches
Essay
Critical
Essay
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 127–131
Empowerment als Ziel sozialpsychiatrischer
Bemühungen
Hartmann Hinterhuber1, Ullrich Meise1 und Eva-Maria Hinterhuber2
1
2
Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck
Maecenata Inst. für Philanthropie und Zivilgesellschaft, Humbolt-Universität, Berlin
Schlüsselwörter:
Psychiatrie – Empowerment – Betroffenenbewegung
Keywords:
Psychiatry – empowerment – consumer
movement
Empowerment als Ziel sozialpsy­
chia­trischer Bemühungen
Bei Empowerment handelt es sich
um ein neues Konzept, das über die
Befreiungstheologie und die feministische Ideologie Eingang in die
verschiedensten Disziplinen gefunden hat, wobei das Spektrum von der
Psychiatrie und Psychologie über die
Philosophie bis hin zur Politologie
reicht. Das Empowerment-Konzept
beansprucht sowohl ein mehrdimensionales als auch ein Mehr-EbenenKonzept zu sein: Empowerment kann
verschiedene Formen annehmen, seine Relevanz reicht vom Individuum
über Organisationen bis hin zu größeren Systemen. In der Psychiatrie
ist Empowerment eine erfolgreiche
Strategie der Selbstbefähigung, sie
muß jedoch, da nicht jeder Betroffene
zu jedem Zeitpunkt dazu in der Lage
ist, die Grenzen und die Begrenztheit
ihrer Methoden respektieren.
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
Empowerment as a goal of social
psychiatric endeavour
Empowerment is a new concept that
has found its way via recognition
in liberation theology and feminist
movement, in to varied disciplines
ranging from psychiatry and psy­
chology through philosophy to poli­
tical science. Empowerment claims
to be both a multi-dimensional and
multi-level concept. It can take
different forms and its relevance
reaches from the individual over
organisations to larger systems.
In psychiatry empowerment is a
success­ful self enabling strategy.
The boundaries and limitations of its
methods must, however, be respected
as not every affected person is in a
position at all times of using it.
I.
In seiner fundierten Stellungnahme
zu den "Trends und Entwicklungen
in der Psychiatrie", schrieb Norman
Sartorius noch im Jahr 2002: "Die
meisten der psychisch Schwerkranken
haben keine Stimme und zählen nicht:
Ihre Familien haben oft weder das
Wissen, noch die Fähigkeit, um ihr
Wohl mit jener Kraft und Energie
zu kämpfen, mit der zum Beispiel
Eltern körperlich kranker Kinder es
tun, wenn sie Interessensverbände
gründen oder sich auf andere Weise
für Gesundheitsprogramme einsetzen.
Die Patienten sind - auch heute noch
- oft nicht willens - sogar, wenn ihr
Gesundheitszustand es ihnen erlauben
würde, für ihre Rechte zu kämpfen. Um
zu kämpfen, müssten sie sich selbst als
Patienten deklarieren: Die sozialen
Nachteile, die Diskriminierungen,
die für gewöhnlich auf die Einstufung
einer Person als psychisch krank
folgen, sind so stark, dass nur wenige
Patienten andere von ihrer Krankheit
wissen lassen wollen."
Empfanden es noch in der Ver­gan­
gen­heit Psychiater notwendig, ihre
Stimme den ihnen anvertrauten Pa­
tienten zu geben und für diese zu
sprechen, ergreifen diese – dank der
Empowerment-Bewegung – für sich
selbst das Wort, sie re­kla­mieren
ihre Mitbestimmung in der Pla­
nung psychosozialer Ein­rich­tun­
gen und kämpfen erfolg­reich
um ihre Einbindung in Ent­schei­
dungsprozesse. Darüber hinaus for­
dern und entwickeln sie Alter­nativen
im therapeutischen, sozialen und
rehabilitativen Prozess. Betroffene
sind somit heute in vielen Bereichen
anzutreffen, die vor wenigen Jahren
noch ausschließliche Domäne der
professionellen Helfer waren: Sie
leiten Selbsthilfegruppen, sind Inte­
ressensvertreter, Case Ma­na­­ger und
engagieren sich in Arbeits­projekten.
Die Zukunft wird zu den großen
Errungenschaften der Medizin und
besonders der Psychiatrie des 20.
Jahr­­hunderts die Entwicklung der
Psychopharmakotherapie
zählen.
Psychopharmaka haben das Bild der
Psychiatrie und die Not des einzelnen
Kranken grundlegend verändert, sie
leiten den Heilungsprozess ein und
unterstützen die notwendigen Schritte
aus der psychischen Einengung in
Hinterhuber, Meise, Hinterhuber
jene freie, reife und ausgewogene
Persönlichkeit, die der Betroffene
– befreit von Angst, Depression,
Halluzination und Wahn – sein
kann. Dazu benötigt er jedoch die
Kompetenz und die Möglichkeit, seine
Umwelt so zu verändern, dass sich in
ihr ein gesundes Leben verwirklichen
lässt. Die Empowerment-Bewegung
setzt gerade hier an, sie macht sich
stark mit größtem Nachdruck jene
Mängel zu beheben, auf die Norman
Sartorius hingewiesen hat.
In der modernen Psychiatrie sind
anstelle der Zwangsmaßnahmen pa­
tientenorientierte Be­handlungs­pro­
gramme getreten, der Kranke ist eine
Persönlichkeit mit allen menschlichen
Rechten. Die Umsetzung einer pa­
tien­tengerechten Psychiatrie, und
insbesondere die Verwirklichung der
sich heute darbietenden Möglichkeiten
der Selbstbefähigung und Selbst­
ermächtigung, stellen eine der
größten ethischen Herausforderungen
für unsere Gesellschaft dar. Ziel ist
die Partizipationschancen der von
psychischer Erkrankung Betroffener
zu erhöhen: Empowerment hat den
Paternalismus in der Psychiatrie
abgelöst.
Empowerment kann mit "Selbst­
befähigung" oder "Selbst­be­mäch­
tigung" übersetzt werden, auch mit
"Selbstbefähigung", "Zu­wachs an
Gestaltungsmacht", "Selbstkom­­pe­
tenz" oder "Mitwir­kungs­mög­lich­
keit". Empowerment bedeutet somit
die Summe aller Bemühungen der
betroffenen Menschen, sich die
verloren gegangenen Fertigkeiten
und Fähigkeiten wieder anzueignen
und Macht und Einfluss bezüglich
der Lebensgestaltung zu gewinnen.
Empowerment hat somit immer
auch die "Stärkung der Eigenmacht"
der Betroffenen zum Ziel. Dieser
Prozess ist von den professionellen
Hilfsstrukturen zu unterstützen - diese
können ihn jedoch nicht von sich aus
"verordnen".
128
In seiner Entstehungsgeschichte
geht der Begriff "Empowerment"
zu­rück auf die amerikanische
Black-Power-Bewegung, auf die Be­
freiungstheologie in Lateinamerika
(im besonderen auf Paolo Freires
"Pädagogik der Unterdrückten" und auf
die Bemühungen von Leonardo Boff),
auf die verschiedenen feministischen
Strömungen, sowie auf die Arbeiterund Gewerkschaftsbewegung im
angelsächsischen Raum.
II.
Das Konzept des Empowerments
stemmt sich gegen den in vielen
Sozialbereichen, auch in der
Psy­chiatrie, immer noch weit
verbreiteten defizitären Blickwinkel
auf eine Patientengruppe, die mit
Mängeln behaftet ist und stellt
dieser Sichtweise eine Betonung der
Potentiale und Ressourcen dieser
Menschen gegenüber. Folgedessen
zielt Empowerment primär auf die
Stärkung der noch vorhandenen
Ressourcen und auf eine Ermutigung,
diese Möglichkeiten zu fördern,
auszubauen und weiterzuentwickeln.
Patienten mit Selbstkompetenz be­
mühen sich, Möglichkeiten zur
Mitgestaltung ihrer Umwelt zu
schaffen und auf der politischen
Ebene Einfluss zu nehmen.
Der Empowerment-Bewegung geht
es auch um die Schaffung demo­
kratischer Strukturen und um den
Abbau von Hierarchien in den
Institutionen wie Krankenhäuser,
Wohn­heimen, Tageskliniken und Be­
rufs­trainingszentren. Die Empo­wer­
ment-Bewegung setzt sich intensiv
mit Machtstrukturen auseinander.
Ziel ist immer, den Betroffenen mehr
Macht zu geben: Macht etwas zu
verändern, das eigene Schicksal in
die Hand nehmen zu können, in der
Gruppe mächtiger zu sein und somit
Forderungen stellen zu können, mit
dem Ziel, respektiert und akzeptiert
zu werden. Alle diese Überlegungen
gründen in der Machtlosigkeit,
ja Ohnmacht, in die sowohl die
Erkrankung selbst als auch – sekundär
– die Gesellschaft die Betroffenen ge­
stürzt hat.
Viele Patienten erleben Machtlosigkeit
auf unterschiedlichen Ebenen: Beim
Großteil der schizophren Erkrankten
stehen paranoide Erlebnisweisen im
Vordergrund, sie fühlen sich fremden
Mächten und Gewalten ausgeliefert.
Diese Ohnmacht wiederholt sich
bei vielen Patienten wiederum beim
Eintritt in eine psychiatrische Klinik,
sie werden bei der Therapieplanung
und bei der Erstellung der Re­
habilitationsprogramme nicht einge­
bunden. Das Ausgeliefertsein wird
wiederum als Hilflosigkeit und
Ohnmacht erlebt.
In der Sichtweise des Empowerments
verändern die traditionellen Heilberufe
ihr Tätigkeitsfeld: Die professionelle
Sozialarbeit beispielsweise sieht sich
zunehmend als koordinierende und
vermittelnde Unterstützung, immer
im engen Zusammenwirken mit den
Betroffenen.
Der Prozess der Selbstbefähigung
muss aber von den professionellen
Hilfsstrukturen unterstützt werden diese können ihn nicht von sich aus
"verordnen". Empowerment ist somit
ein aktiver Prozess, der sowohl von
den Betroffenen als auch von den
professionellen Helfern getragen
werden muss. Empowerment ist aber
kein geradliniger Prozess, er ist in der
Tat von Umwegen und manchmal
Rückschritten gekennzeichnet.
III.
Grundsätzlich unterscheiden wir 2
Formen von Empowerment:
– Empowerment der Betroffenen
– Empowerment der Gemeinde
Die Stärkung der Betroffenen er­
folgt durch eine Verbesserung des
Selbstwertgefühls und eine inten­
si­ve Auseinandersetzung mit den
The­menbereichen
"Krank­heits­ur­­­
sachen", "Psychopathologie", "Diag­
Empowerment als Ziel sozialpsychiatrischer Bemühungen
nostik", "Pharmakotherapie" und
"Psychotherapie".
Ziele des Empowerments der Ge­
meinde ist das Senken der Schwelle
zwischen Psychiatrie und "Außenwelt"
sowie eine Kompetenzerhöhung
durch Wissensvermittlung an die
Bevölkerung. Letzteres inkludiert
nicht nur eine breit gefächerte und
weit gestreute fachliche Information,
sondern auch die Möglichkeit zum
(anonymen)
Erfahrungsaustausch
von Betroffenen.
Der Definition von Schwerin (1995:
81) setzt sich Empowerment aus acht
Komponenten zusammen. Es sind
dies:
• Selbstachtung (self-esteem),
• Selbsteinschätzung (self-efficacy;
die positive Einschätzung der
eige­nen Stärken),
• Wissen und Fähigkeiten (know­
ledge and skills),
• Politisches Bewusstsein (political
awareness),
• Soziale Teilhabe (social partici­
pation),
• Politische Partizipation (political
participation),
• Politische Rechte und Verpflich­
tungen (political rights and res­
pon­si­bilities),
• Ressourcen (resources) .
•
•
•
•
•
IV.
Insgesamt werden sechs Hand­
lungsfelder unterschieden – das
persönliche, soziale, politische, öko­
nomische, kulturelle und recht­liche
Empowerment.
• Das persönliche Empowerment
ist auf die „Subjektbildung durch
Selbstbewusstsein und Ei­gen­­
ständigkeit“ gerichtet; dies meint
einen
Zuwachs
bzw.
die
Entwicklung von „voice, spa­
ce, choice“ im Sinne der Artiku­
la­tion von Interessen und
Pro­blemen, der Ausdehnung
von Handlungsräumen in der
Öffentlichkeit und im Privaten
und
einem
Zugewinn
an
Handlungsmöglichkeiten und Ver­
handlungsmacht.
Rechtliches Empowerment strebt
die Stärkung des Rechtbe­­wusst­
seins an; zu den diesbezüglichen
Feldern zählen formale Rechts­
sicherheit und die Nutzung be­
stehender Rechte.
Soziales Empowerment zielt
auf eine kollektive Stärkung ab
(Sichtbarkeit und soziale Präsenz,
Partizipation am öffentlichen
Le­ben oder Forderung der
Respektierung durch andere Mit­
glieder der Gemeinschaft).
Politisches Empowerment visiert
politische Subjekte an (Politische
Alphabetisierung, Partizipation an
politischen Gremien, Politische
Organisierung und Einfluss auf
politische Institutionen).
Kulturelles Empowerment zielt
auf ein Mehr an Einfluss und
Präsenz im kulturellen Bereich
ab.
Ökonomisches
Empowerment
schließlich meint „den Prozess
der Überlebens­sicherung bis hin
zu ökonomischer Unabhängigkeit
von Menschen zwischen indi­
vidueller Erwirtschaftung des
Lebens­notwendigen und kollek­
tiver
Sicherung
tragfähiger
Lebens­bedingungen (sustainable
livelihood)." (Rodenberg und
Wichterich 1999)
V.
Von Betroffenen wird Empowerment
durch folgende Eigenschaften defi­
niert (Judy Chamberlain):
1.Sich die Fähigkeit anzueignen,
eigene Entscheidungen zu tref­
fen
2.Zugang zu Informationen und
Ressourcen zu besitzen
3.Aus verschiedenen Handlungs­
alter­nativen wählen zu können
4.Sich durchzusetzen
5.Die Gewissheit zu haben, als
Individuum etwas bewegen zu
können
129
6.Lernen, kritisch zu denken und
Konditionierungen nicht nur
zu durchschauen, son­dern auch
abzulegen. Nicht die Fallge­
schichte, sondern die Le­bens­
geschichte ist von Bedeutung:
a) Lernen, neu zu definieren,
wer wir sind (mit eigener
Stimme sprechen).
b) Lernen, neu zu definieren,
was wir tun können.
c) Lernen, unsere Beziehungen
zu den Institutionen neu zu
definieren.
7. Lernen, Ärger und Wut zu
verstehen und adäquat aus­zu­
drücken.
8. Sich als Teil einer Gruppe zu
begreifen.
9. Die Überzeugung vertreten, dass
jeder Mensch Rechte hat, auch
Psychiatriepatienten.
10.Änderungen im eigenen Leben
und im Umfeld zu bewirken:
Dadurch wird das Wissen
gestärkt, über Kompetenz und
Kontrolle zu verfügen.
11.Neue, subjektiv wichtige Fähig­
keiten erlernen.
12.Lernen, die Wahrnehmung
an­de­rer bezüglich der ei­ge­
nen Kompetenz und Hand­
lungsfähigkeit zu korrigieren.
13.Lernen, "sichtbar" zu sein:
"coming out" demonstriert
Selbst­bewusstsein.
14.Lernen, dass Eigenmächtigkeit,
Wachstum und Veränderung ein
fortlaufender Prozess ist.
15.Lernen, sich ein positives
Selbstbild zu erarbeiten und
Stigmatisierungen zu über­win­
den.
VI.
Um die Möglichkeiten des Empower­
ments zu nutzen, ist es notwendig,
sowohl bei den Betroffenen als auch
bei den professionellen Helfern ein
neues Rollenverständnis zu erarbeiten.
Psychosoziale Einrichtungen sind
aufgefordert "Bedingungen und eine
Hinterhuber, Meise, Hinterhuber
Arbeitshaltung zu entwickeln, die es
ermöglichen, soziale Kräfte zu wecken
oder sie zu entdecken." (Keupp 1997)
Vordringlich sind Wege aufzuzeigen,
die es den einzelnen Kranken oder
definierten Gruppen ermöglichen,
Kontrolle über ihr eigenes Leben
und ihr Sozialgefüge zu gewinnen:
Dadurch werden sie befähigt, die
dafür erforderlichen Ressourcen zu
akquirieren und auszubauen.
Ulrich Seibert weist mit Recht
darauf hin, dass die Bedürfnisse von
Psychiatrie-Patienten oft nicht den
Möglichkeiten der psychiatrischen
Einrichtungen entsprechen. Jede
psychiatrische
Institution
muss
sich immer wieder von neuem die
Frage stellen, inwieweit ihre thera­
peutischen Konzepte in der Lage
sind, ihren Patienten Empowerment
zu vermitteln: Psychiatrische Ein­
richtungen müssen in ihren Konzepten
die Voraussetzungen schaffen, dass
Empowerment gelingt, auf dass die
Patienten lernen können, im Rahmen
des Möglichen selbstbestimmte Ent­
scheidungen zu treffen, den Hand­
lungsspielraum zu erweitern und das
Leben eigenmächtig zu gestalten.
Zu Empowerment gehört konsti­
tutionell das Informationsrecht und
die Aufklärungspflicht. Aufklärung
und Informationsvermittlung haben
einerseits der emotionalen Situa­
tion der Betroffenen Rechnung
zu tragen und andererseits auch
mögliche kognitive Defizite zu
berücksichtigen.
VII.
Bernhard Badura, Professor für
Gesundheitswissenschaften an der
Universität Bielefeld, stellt eine
nicht ermutigende Systemanalyse
des heutigen Gesundheitswesens
an: Er kritisiert im Rahmen der
Krankenbehandlung die biome­­di­­
zi­nische Kopflastigkeit und die
Unterbewertung von zwischen­men­
schlichen Leistungen. Immer noch
wird vielen Patienten eine aktive
130
Rolle im Rahmen der Behandlung
verwehrt. Der Rückgewinnung oder
dem Erhalt von sozialer Integration,
Erwerbsfähigkeit und Lebensqualität
wird oft nicht der entsprechende
Stellenwert eingeräumt. Wörtlich
hält er fest: "Die Bewältigung einer
Krankheit findet zu Hause oder am
Arbeitsplatz, nicht aber im Rahmen
einer stationären Aufnahme statt".
Die von einer menschengerechten
Psychiatrie formulierten Ziele von
Behandlung und Rehabilitation haben
diese zuvor genannten Kritikpunkte
bereits berücksichtigt.
Die therapeutischen und rehabi­li­
tativen Ziele sind nicht ausschließlich
auf die Heilung oder Besserung
von Krankheitssymptomen ausge­
richtet. Es kann erst dann von
einer erfolgreichen Behandlung
ge­sprochen werden, wenn auch
nichtmedizinische Aspekte von
Gesundheit und Krankheit in die
Behandlung einfließen und in der
Gesamtbeurteilung
berücksichtigt
werden, so beispielsweise die
För­­derung und der Erhalt von
Fer­tigkeiten (die für eine soziale
Integration erforderlich sind), die
subjektive Lebensqualität, die Behand­
lungszufriedenheit von Patienten oder
das Wohlergehen der Angehörigen.
Das
komplexe
therapeutische
Ange­bot muss den Bedürfnissen
der einzelnen Patienten angepasst
werden und in seinem Lebensfeld zur
Verfügung stehen. Die Behandlung
darf sich nicht an den Bedürfnissen
von Institutionen, sondern an den
Bedürfnissen und dem Bedarf des
einzelnen Kranken orientieren.
Konzepte wie "Empowerment"
und "Salutogenese" spiegeln somit
eine neue Sichtweise wider, die die
moderne Psychiatrie aufgegriffen
hat. Diese Perspektiven ersetzen
die Defizitorientierung im Behand­
lungssetting, sie setzen an den
persönlichen und ökologischen Res­
sourcen des Patienten an, indem sie
vorhandene Fähigkeiten, Interessen
und Stärken fördern und nützen.
Die Patienten verlassen im Rahmen
der Behandlung ihre passive
Rolle, sie treten mit ihrer Umwelt
aktiv in Beziehung, setzen sich
mit ihrer Erkrankung auseinander
und bestimmen und gestalten ihre
Behandlung mit. Sie werden zu
verantwortlichen Akteuren, deren
subjektive Sicht und Meinung wichtig
ist.
Dieses Konzept setzt jedoch eine
partnerschaftliche Kommunikation
zwischen Behandlern und Patienten
voraus und erfordert die Qualifizierung
der Betroffenen in allen Aspekten ihrer
Erkrankung. Diese ihre neue Rolle
macht es möglich, dass Bedürfnisse
besser erkannt und Behandlungs- und
Rehabilitationsziele klarer formuliert
und vereinbart werden können.
Das Potential, das in der Selbsthilfe
liegt, wird dadurch gefördert und
therapeutisch genützt.
Sichtbares Ergebnis und Folge der
Empowerment-Bewegung ist der
Trialog, die gemeinsame Plattform
von Betroffenen, Angehörigen und
professionellen Helfern. Der Tria­
log ist ein Diskussionsforum für
allfällige Konflikte, er dient dem
gegenseitigen Austausch wichtiger
Erfahrungen und Informationen
und koordiniert oder initiiert ge­
meinsame Projekte. Empowerment
ist somit auch gleichbedeutend mit
"Gesundheitsförderung".
Empowerment als Ziel sozialpsychiatrischer Bemühungen
Literatur
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
Aktion psychisch Kranke: 25 Jahre
Psychiatrie-Enquete Band 1 und 2,
Psychiatrie-Verlag Bonn 2001
Amering M., Hofer H., Rath I: TrialogEin Erfahrungsbericht nach 2 Jahren
„Erster Wiener
Trialog“ in: Meise
U., Hafner F., Hinterhuber H. (Hrsg)
Gemeindepsychiatrie in Österreich,
VIP-Verlag Intergrative Psychiatrie
Innsbruck, 231- 252, 1998
Andresen B., Stark F., Gross J.
(Hrsg.): Mensch-Psychiatrie-Umwelt.
Psychiatrie-Verlag Bonn 1992
Antonovsky A.: Salutogenese. Zur
Entmystifizierung der Gesundheit. dgvtVerlag Tübingen 1997
Burchard J. M.: Lehrbuch der
systematischen
Psychopathologie.
Band 1 und 2, F. K. Schattauer Verlag Stuttgart 1980
Chamberlain J.: zitiert bei: Knuf A.,
Seibert U.: Selbstbefähigung fördern Empowerment und
psychiatrische Arbeit. Psychiatrie-Verlag
Bonn 2000
Erikson
E.H.:
Einsicht
und
Verantwortung. Stuttgart, Klett 1966
Friedman M.: Kapitalismus und
Freiheit. zitiert bei E. Waibl. Praktische
Wirtschaftsethik
Studienverlag Inns­
bruck Wien München Bozen 2001
Frühwald S, Bühler B, Grasl R,
Gebetsberger M, Matschnig T, Lönig F,
Frottier P: (Irr-) Wege in die Arbeitswelt Langzeitergebnisse arbeitsrehabilitativer
Einrichtungen für psychisch Kranke der
Caritas St. Pölten. Neuropsychiatr 20,
250-256, 2006
Haberfellner E.M., Schöny, Platz
T., Meise U.: Evaluationsergebnisse
Medizinischer Rehabilitation für Men­
schen mit psychiatrischen Erkrankungen
– ein neues Modell im komplexen
psychiatrischen Leistungsangebot. Neu­
ro­psychiatr 20, 215-218, 2006
Haller R., R. Prunnlechner-Neumann:
Forensische Psychiatrie - Die Rolle des
Faches zwischen Medizin, Justiz und
Öffentlichkeit. Neuropsychiatr 20, 1-3,
2006
Herriger N.: Empowerment in der
sozialen Arbeit, Kohlhammer: 2002.
Hinterhuber H.: Das Menschenbild in
Medizin und Psychiatrie. In: Bilder des
Menschen. H. Hinterhuber, M. P.
Heuser, U. Meise (Hrsg.). VIP-Verlag
Integrative Psychiatrie Innsbruck
82-91, 2003.
Hinterhuber H., Hinterhuber E.M.,
Katschnig H., Meise U.: Das
Menschenbild der Sozialpsychiatrie. In:
Bilder des Menschen. H. Hinterhuber,
M. P. Heuser, U. Meise (Hrsg.). VIPVerlag Integrative Psychiatrie Innsbruck,
98-108, 2003
[15] Hinterhuber H, Meise U.: Zum Stellenwert
der medizinisch-psychiatrischen Rehabi­
litation. Neuropsychiatr 21, 1-4, 2007
[16] Hinterhuber H, Rutz W, Meise U:
Psychische Gesundheit und Gesellschaft.
„….Politik ist nichts anderes als Medicin
im Großen.“ Neuropsychiatr 21,180186, 2007
[17] Katschnig H. (Hrsg.): Die andere Seite
der Schizophrenie: Patienten zu Hause.
3. Aufl. Edition Psychiatrie. Psychologie
Verlagsunion München 1989
[18] Katschnig H., Donat H., Fleischhacker
W., Meise U.: 4 x 8 empfehlungen zur
behandlung von schizophrenie. Edition
Pro Mente Linz 2002
[19] Kauder V. (Hrsg.): Personenzentrierte
Hilfen in der psychiatrischen Versorgung.
Psychiatrie-Verlag Bonn 1999.
[20] Keupp H.: Ermutigung zum aufrechten
Gang. dgvt-Verlag Tübingen 1997.
[21] Knuf A., Seibert U.: Selbstbefähigung
fördern - Empowerment und psychia­
trische Arbeit. Psychiatrie-Verlag Bonn
2000
[22] Meise U., Fleischhacker WW, Schöny
W: "Es ist leichter ein Atom zu zerstören,
als ein Vorurteil." Neuropsychiatr 16, 14, 2002
[23] Meise U., Wancata J.: „Es gibt
keine Gesundheit ohne psychische
Gesundheit“Die
Europäische
Ministerielle WHO-Konferenz für
Psychische Gesundheit; Helsinki 2005.
Neuropsychiatr 19, 151-154, 2006
[24] Meise U., Sulzenbacher H., Eder B., Klug
G., Schöny W., Wancata J.: Psychische
Gesundheitsversorgung in Österreich –
Eine Beurteilung durch unterschiedliche
Gruppen von Psychiatriebetroffenen
auf Grundlage der Empfehlung der
Weltgesundheitsorganisation.
Neuro­
psychiatr 20, 174-185, 2006
[25] Mohr L.: Ziele und Formen heil­pä­da­
gogischer Arbeit: eine Stu­­die zu "Em­
powerment" als Konzeptbe­griff in der
Geistig­be­hinder­tenpädagogik. Luzern:
Ed. SZH/CSPS, 2004
[26] Pfeiffer-Gerschel T., Wittmann M.,
Hegerl U.: Die „European Alliance
Against Depression (EAAD)“ – Ein
europäisches Netzwerk zur Verbesserung
der Versorgung depressiv erkrankter
Menschen. Neuropsychiatr 21, 51-58,
2007
[27] Rodenberg, B., Wichterich C.: Macht
gewinnen. Eine Studie über Frauen­pro­
jekte der Heinrich-Böll-Stif­tung im
Ausland, Berlin, 1999.
[28] Rössler W (Hrsg): Psychiatrische
Rehabilitation, Springer-Verlag BerlinHeidelberg-New York, 2004
[29] Sartorius N.: Perspektiven einer
künftigen Psychiatrie. Hrsg. Theodor
Meissel, Gerd Eichberger, Edition Pro
Mente 2002
[30] Seyeringer M., Friedrich F., Stompe T.,
Frottier P., Schrank B., Frühwald S: Die
131
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]
„Gretchenfrage“ für die Psychiatrie- Der
Stellenwert von Religion und Spiritualität
in der Behandlung psychisch Kranker.
Neuropsychiatr 21, 239-247, 2007
Schwerin E. „Empowerment: Trans­
forming Power and Powerlessness“, in:
ders., Mediation, Citizen ,Empowerment,
and Tranformational Politics, Westport
et al., 55-93, 1995
Schwerin, E.: „The Future of
Empowerment and Transformational
Politics“, in: ders., Mediation, Citizen
Empowerment, and Tranformational
Politics, Westport et al., 161-188, 1995
Schrank B., Amering M.: „Recovery“ in
der Psychiatrie. Neuropsychiatr 21, 4550, 2007
Theunissen G., Plaute W.: Handbuch Em­
powerment und Heilpädagogik. Frei­burg
im Breisgau: Lambertus Ver­lag 2002
Torrey EF.: Out of the shadows.
Confronting America's mental illness
crisis. New York, Chicester, Brisbane: John Wiley and Sons 1997.
Waibl E.: Der Rechenstift am Kran­
kenbett? Medizin im Spagat zwischen
Ethik und Ökonomie. Münchner
Qua­litäts­management Forum 21, 1999
Waibl E.: Praktische Wirtschaftsethik.
Studienverlag Innsbruck Wien München
Bozen 2001
Wikipedia
Enzyklopädie:
http://
de.wikipedia.org/wiki/Empowerment
Windfuhr M.: „Der Einfluß von NGOs
auf die Demokratie“, in: W. Merkel,
Demokratie in Ost und West, Frankfurt
a. M., 520-547, 1999
Univ.-Prof. Dr. Harmann Hinterhuber
Universitätsklinik für Psychiatrie
Medizinische Universität Innsbruck
hartmann.hinterhuber@ i-med.ac.at
Kritisches Essay
Critical Essay
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 132–136
Materie ist auch Geist! Anmerkungen zu
Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung
D. Yves von Cramon
Max-Planck-Institut für Neurologische Forschung Köln
I.
Was ist das Wesen der Dinge und was
ist das Ganze der Welt? Das sind die
beiden ontologischen Kernfragen.
Hirnforschung ist von jeher mit beiden Fragen eng verbunden.
Das Leib-Seele-, das Gehirn-Geist-,
das Gehirn-Bewusstseins-Problem,
ist ein ontologisches Problem, hat es
doch das Wechselspiel physikalischer
und mentaler Ereignisse zum Inhalt.
Bis heute gibt es für dieses Urproblem der Hirnforschung zwar manches Modell, aber keine umfassende,
widerspruchsfreie Konzeption. Dass
das Gehirn mentale Ereignisse hervorbringt, scheint offensichtlich, ob
aber mentale Ereignisse prinzipiell
auch ohne Gehirn stattfinden könnten, darüber besteht schon keine Einigkeit mehr.
Für Anhänger des Funktionalismus
beispielsweise sind mentale Zustände, also Überzeugungen, Wünsche,
Vorlieben, Abneigungen, aber auch
Schmerz oder Lust empfinden, ausschließlich durch ihre kausale Beziehung zu sensorischem Input oder
Verhaltens-Output oder durch ihre
kausale Beziehung zu anderen mentalen Zuständen bestimmt. In einer
solchen Sichtweise könnten mentale
Zustände auf vielerlei Weise realisiert
werden, auch ohne Gehirn.
Sind wir, wie Daniel Dennett (1996)
meint, aus nichts anderem als aus
geistlosen Robotern gemacht? Ist das
Phänomen Bewusstsein nur scheinbar geheimnisvoll? Könnte das, was
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
wir für freie Willensakte halten, letztlich ebenso komplex durch entsprechend konfigurierte Maschinen realisiert werden? Tritt irgendwann ein
„Monsieur Machine“ in unsere Welt,
wie ihn im 18. Jahrhundert schon Julien de la Mettrie (1747) entworfen
hatte?
Trotz all der eindrucksvollen Befunde und der daraus abgeleiteten Erkenntnisse, mögen sie auf klinischen
und experimentellen Hirnläsionen,
auf pharmakologischen ZNS-Wirkungen, auf elektro-physiologischen
Ableitungen und Stimulationen oder
auf Methoden der Bildgebung bei
Mensch und Tier beruhen, kann man
der Einsicht nicht ausweichen, dass
doch niemand noch verstanden hat,
wie beispielsweise Erleben und Erlebtes kausal, nicht korrelativ, mit
jenen schon so detailliert beschreibbaren elektro-chemischen und protein-chemischen Vorgängen in den
dreidimensional im Gehirn ausgespannten glioneuralen Netzen zusammenhängen.
Folgt man, wie vom seriösen Naturforscher unserer Zeit wie selbstverständlich erwartet, der ontologischen
Intuition, dass Natur und Kerneigenschaften mentaler Zustände auf
irgendeine Weise mit physikalischen
Ereignissen identisch sind, mag einen
schon erstaunen, wie überraschend
wenig die unglaubliche Fülle neurowissenschaftlicher Fakten Einfluss
genommen hat auf die Details und
das bedeutet im Kern auf die Präzisierung der materialistisch orientierten Philosophien des Geistes.
Die Gründe dafür dürften vielfältig
sein. Aus philosophischer Sicht mag
besonders ein Grund für die Schwierigkeit, die „essentia cerebri“ zu
begreifen, in noch kaum reflektierten und schon gar nicht aufgelösten
konzeptuellen Verhedderungen und
Mystifikationen liegen. Hier kommt
Philosophie ins Spiel, deren Domäne
es ist und bleibt, konzeptuelle Inkohärenzen aufzudecken.
Neurowissenschaftler sind gut beraten, sich künftig entschiedener und
gründlicher als bisher mit den mannigfaltigen konzeptuellen Inkohärenzen und ihren Auswirkungen auf
unsere Experimente auseinanderzusetzen. Eine gewisse Beliebigkeit,
ein konzeptuelles Rauschen in den
mit neurowissenschaftlichen Methoden aller Art und insbesondere
auch mit der „Neurobildgebung“ erhobenen Befunden dürfte auf nicht
erkannte konzeptuelle Inkohärenzen
zurückzuführen sein. Ich werde darauf später noch einmal etwas genauer
zurückkommen.
Die Philosophie ist nicht dazu da,
dem Neurowissenschaftler das nächste Experiment vorzuschlagen, wohl
aber dazu, das jeweils letzte, vorhergehende Experiment besser zu verstehen.
Ich will aber auch die Gegenposition
nicht verschweigen. Francis Crick
(1994) hält die Philosophie geradezu
für obsolet und stellt ihr das denkbar
schlechteste Zeugnis aus: „Philosophers have had such a poor record
over the last two thousand years that
they would do better to show a certain
modesty rather than the lofty superiority that they usually display” (Crick,
1994, S. 258).
Materie ist auch Geist! Anmerkungen zu Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung
Ein weiterer Grund für unsere offensichtlich kaum verrückbare Ignoranz
der Natur des psychoneuralen Wechselspiels, mag noch grundsätzlicher
sein und mit der wissenschaftstheoretischen Position des Reduktionismus
zu tun haben, der moderne Naturwissenschaften folgen, folgen müssen.
Danach sollten alle Phänomene der
Welt und somit auch die mentalen
Phänomene im Prinzip durch einen
Satz grundlegender Formeln, der
"Theorie von allem" zu erklären sein
Die grundlegendste Wissenschaft für
die Aufklärung der Beziehung zwischen mentalen Phänomenen und
Gehirn wäre demzufolge die Mikrophysik. Auch darauf werde ich noch
zurückkommen.
Aber Vorsicht: "More is different"!
Menschen lassen sich nicht auf ihr
Gehirn, auf ihr Nervensystem reduzieren. Menschen sind mehr als eine
enorme, komplex interagierende Ansammlung von Nerven- und Gliazellen, so wie ein Gemälde mehr ist als
eine Ansammlung und Verbindung
von Farbpigmenten und Pinselstrichen. "More is different". Dieser Satz
stammt von einem Festkörperphysiker, weil sich, so Philipp Warren
Anderson (1972), das Verhalten von
Kollektiven, schon eine große Zahl
von Atomen, eben nicht aus grundlegenden Gesetzen vorhersagen lässt.
Das verborgene Wechselspiel zwischen Gehirn und mentalen Zuständen mag letztlich im Schattenreich
der Mikrophysik verborgen sein oder
es mag durch eine reduktionistische
Denkweise maskiert werden.
Für die Zukunft jedenfalls ist Neurowissenschaftlern eine offene Geisteshaltung anzuraten, die sich bemüht,
die Schwächen der reduktionistischen
Wissenschaftsposition ernsthafter als
bisher zu reflektieren. Auch kann
nicht schaden, vermeintlich längst
überholte Ideen hervorragender Frauen und Männer unserer Geistesgeschichte zu dieser zentralen ontologischen Frage wieder in Betracht zu
ziehen. In meiner ganz persönlichen
Sicht ist es auch nicht verkehrt, sogar die Möglichkeit zuzulassen, dass
etwas in diesem Gehirn wirkt, das
aufzudecken, die für uns Menschen
erreichbare Erkenntnistiefe nicht ausreichen könnte. Noch ist die These
nicht widerlegt: „The brain is not
admittable by itself“. Ob es menschlicher Ratio notwendigerweise gelingen wird, eines wie fernen Tages
auch immer, die Beschaffenheit des
Kosmos im Großen wie im Kleinen
zu durchdringen, muss offen bleiben.
Lassen Sie mich ein weiteres persönliches Bekenntnis anschließen. Als
Grenzgänger zwischen Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und
Theologie folge ich Papst Benedikt
XVI sive Josef Kardinal Ratzinger
(2004), wenn er eine Gefahr darin
erblickt, dass die beispiellos erfolgreiche und darum gegenüber anderen
Methoden so überlegen und gelegentlich auch hochmütig auftretende naturwissenschaftliche Denkweise nur
das als Wirklichkeit akzeptiert, was
der Beschränkung auf das durch Beobachtung und wiederholbares Experiment Falsifizierbare zugänglich ist.
Gott kann in einer solchen Sichtweise
"per definitionem" nicht vorkommen.
Wenn die methodisch sinnvolle und
notwendige Beschränkung der naturwissenschaftlichen Denkweise in
eine grundsätzliche Beschränkung
umschlägt, dann wird sie zur Weltanschauung und, wie ich hinzufügen
möchte, zu einem Dämon.
Der in den Wissenschaften notwendige Zweifel kann sich nur darauf
beziehen, dass Erkenntnisse, die für
richtig gehalten werden, in Wirklichkeit falsch sein können. Sollten
aber wider Erwarten menschliche
Erkenntnisfähigkeiten
bestimmte
ontologische Tiefen nicht auszuloten
vermögen, dann gäbe es dafür kein
richtig oder falsch.
Gelegentlich steigt in mir die Gewissheit auf, die allerdings auch schnell
wieder ins Wanken gerät, dass die uralte Frage, ob in uns ein Prinzip, eine
Substanz wirkt – res extensa - oder
133
zwei Prinzipien oder Substanzen zusammenwirken – res cogitans und res
extensa - wie dies die Vertreter monistischer und dualistischer Positionen
über die Jahrhunderte hinweg, jeweils mit den Argumenten ihrer Zeit,
verfochten haben, vom Ansatz her
falsch gestellt sein könnte.
Im unergründeten Schattenreich der
Materie mögen sich Physik und Metaphysik letztlich nicht unterscheiden
oder mutiger gesagt, ist nicht denkbar, dass wir in diesem Zwischenreich der Realität des Geistigen begegnen könnten? Materie ist auch
Geist. Bevor Sie diese Überlegung
zurückweisen, bedenken Sie nur, dass
wir um das Gehirn und seine Funktionsweisen bis ins Letzte zu verstehen, die Möglichkeiten der Materie
bis ins Letzte durchschauen müssten,
was wir ganz offensichtlich nicht
können. Um den aus diesen Worten
aufgestiegenen metaphysischen Nebel wegzublasen, will ich Ludwig
Wittgensteins Rat befolgen: „Wovon
man nicht sprechen kann, darüber
muss man schweigen“ (1918).
II.
Lassen Sie mich im zweiten Teil meiner Überlegungen noch einmal das
Problem konzeptueller Inkohärenzen
aufgreifen und die Frage stellen, ob
die Inhalte unserer mentalen Existenz
tatsächlich so leicht zugänglich sind
wie uns dies die Alltagspsychologie
vorgaukelt.
Im Alltag tun wir unzählige Äußerungen, die sensorische Erfahrungen mit
mentalen Zuständen, mentale Zustände mit anderen mentalen Zuständen
und mentale Zustände mit Verhalten
kausal verketten. So merken wir beispielsweise an, dass der Geruch von
Bratkartoffeln bei Herrn X ein Hungergefühl auslöst; dass Frau Y eine
Diät machen will, weil sie dachte,
übergewichtig zu sein und so weiter
und so fort.
von Cramon
Letztlich aber mag die Alltagspsychologie, um eine drastische Formulierung von David Lewis (1969) zu
verwenden, nichts anderes sein als
ein Sammelsurium von uns allen geteilter Platitüden über Ursachen und
Gründe mentaler Zustände in uns
selbst und in Anderen, dass sie aber
eigentlich nichts mehr ist als eine „façon de parler“.
Wilfrid Sellars (1956) nannte dies,
wie ich finde treffend „the myth of
the given“. Er bezweifelte, dass unsere höchst gewöhnlichen Vorstellungen von den Ursachen und Gründen
mentaler Zustände einen derart privilegierten erkenntnistheoretischen
Status besitzen sollten. Um diesen
Mythos zu enttarnen, erfand er einen
anderen. Danach hätten sich unsere
Vorfahren, zunächst beschränkt auf
ein unmittelbares Verständnis von
Alltagshandlungen, schrittweise eine
Theorie angeeignet, die bestimmte
mentale Zustände als Ursachen dieser Alltagshandlungen postulierte.
Diese Theorie des Geistes – „theory of mind“ - hätten sie sodann auf
ihre Mitmenschen angewandt, um
deren Gedanken, Überzeugungen,
Wünsche, Vorlieben und Abneigungen zu erklären und vorherzusagen,
bis sie endlich das „mind-reading“
soweit vervollkommnet hätten, dass
sie glaubten, ihre eigenen mentalen
Zustände aus dieser verinnerlichten Theorie herleiten zu können. Ob
sich diese Entwicklung, die heute
als „Theorie-Theorie des Geistes“
bezeichnet wird, historisch so zugetragen hat oder nicht, ist für sich
genommen an dieser Stelle nicht bedeutsam.
Wohl aber die durch Sellars Zweifel
angestoßene Debatte darüber, ob die
Konzeption mentaler Zustände eben
nicht vom direkten Zugang zu den
„inner workings“ unseres Geistes
hergeleitet ist, sondern im Fall der
Theorie-Theorie von einem schlichten Bezugsrahmen, den wir kulturell
ererbt haben.
Was die zerebralen Korrelate einer
Theorie-Theorie angeht, so würde
man demzufolge in erster Annähe-
134
rung telenzephale Hirnregionen nennen wollen, die für die Repräsentation
von episodischem und semantischem
Gedächtnis, also von autobiographischem und Faktenwissen erforderlich sind. Als Spielwiese dieser
Informationen könnte der anteriore
präfrontale Cortex mit seiner außerordentlichen Fähigkeit zu abstrakter,
regelbasierter relationaler Integration
fungieren. Das „Material“, mit dem
er gefüttert wird, scheint in seinem
lateralen Abschnitt die Umwelt und
in seinem medianen Abschnitt Selbstbezogene, d.h. individuelle, subjektive Erfahrungen zu sein.
Alltagspsychologie tritt uns noch in
einer zweiten Form gegenüber, nämlich als mentale Simulationstheorie, die gerade in den Neurowissenschaften in den letzten Jahren große
Beachtung gefunden hat. Simulation wird, etwas phantasievoll vielleicht, gerne als „putting oneself in
the other´s place“ verstanden. In der
kognitiven Neurowissenschaft bezeichnet Simulation die für gewöhnlich automatische, nicht bewusste
Aktivierung zerebraler Mechanismen
als Antwort auf das beobachtete Verhalten Anderer - Mensch oder Tier -,
die mit der Produktion gleichen Verhaltes in einem selbst assoziiert sind.
Die Kernfrage der Simulationstheorie ist demnach, ob die zerebralen
Mechanismen, die zu Verstehen und
Vorhersagen von Verhalten Anderer
führen, denen ähneln, die wir für unser eigenes, „Erste-Person“ Verhalten
einsetzen.
In der Tat verfügt das Primatengehirn
über Strukturen, die zwei Aufgaben
zugleich dienen können: zum einen
werden diese Strukturen endogen als
Folge eigener Entscheidungen oder
Emotionen aktiviert, zum anderen
aber exogen durch den bloßen Anblick anderer menschlicher und tierischer Gesichter und Körper.
Autonome Reaktionen, wie sie für
verschiedene Emotionen als Korrelate der sie begleitenden Gefühle so
typisch sind, treten für gewöhnlich
als „Output“ der Verarbeitung emotionaler Stimuli auf. Die gleichen
Reaktionen werden aber auch ausgelöst, wenn man nur das Gesicht eines
Anderen sieht, das die entsprechende
Emotion ausdrückt.
Die Wahrnehmung des Verhaltens
unserer Mitmenschen und „MitTiere“ scheint vielfach in „double duty“-Systemen zu erfolgen. In
dieser Hinsicht berühmt, wegen der
Überdehnung dieses Konzeptes auch
ein wenig berüchtigt, sind hier die
„mirror neurons“, die Spiegelneurone zu nennen (Rizzolatti & Craighero, 2004). Im ventralen prämotorischen Cortex von Makaken erstmals
von Giacomo Rizzolatti und Kollegen entdeckt, dürften sie auch beim
Menschen vorkommen. Diese Spiegelneurone haben die erstaunliche
Eigenschaft, dass sie, wenn ein Individuum objektgeleitete Handlungen
eines bestimmten Typs ausführt oder
wenn dieses Individuum ein anderes
Individuum Handlungen des gleichen
Typs ausführen sieht, gleichermaßen
feuern. Ob und wie diese Spiegelneurone aber mit den Trägeren kognitiver Prozesse höherer Ordnung verhandeln, insbesondere mit solchen,
die das „putting onself in another´s
place“ ermöglichen, gilt es allerdings
erst noch herauszufinden.
Lassen Sie uns hier kurz inne halten
und die Ausgangsfrage nach dem Wert
der Alltagspsychologie noch einmal
zuspitzen: Was wäre, wenn sowohl
die Theorie-Theorie als auch die Simulationstheorie unzutreffend wären,
wie dies die Position des eliminativen
Materialismus ist. Dass wir mentale
Zustände, wie sie uns in der Alltagspsychologie, der „folk oder common
sense psychology“, erscheinen, nicht
auf neuro-wissenschaftlich fassbare Strukturen reduzieren können,
hätte dann seinen Grund darin, dass
alle mentalen Zustände, dass unsere
Überzeugungen, Wünsche, Vorlieben
und so weiter letztlich Fiktionen, also
nicht existent sind.
Materie ist auch Geist! Anmerkungen zu Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung
Menschliches Verhalten, würde daraus folgen, ließe sich vollständig
durch die Neurowissenschaften erst
dann erklären, wenn man auf den
Rückgriff auf jene primitiven Begriffe und Konzepte der Alltagspsychologie ganz und gar verzichtete. Jerry
Fodor (1987) hat diese doch beunruhigende Sichtweise so kommentiert: „If commonsense psychology
were to collapse, that would be, beyond comparison, the greatest intellectual catastrophy in the history of
our species”.
In diesen beinahe apokalyptisch anmutenden Zusammenhang gehört
auch die brisante These, dass das,
was wir als Ich erleben, letztlich nur
ein Artefakt ist, das sich im Umgang
mit sozialen Konventionen konstituiert, per se aber nicht existiert. Wer
rettet dann noch unsere unsterbliche
Seele?
III.
Im dritten Teil meiner Betrachtung
möchte ich, trotz der sehr wohl beherzigten Mahnung "more is different"
meine Neugierde doch noch einmal
auf die kleine Welt richten, nämlich
auf die Mikrophysik.
Die Lösung des Gehirn-BewusstseinsProblems mag erst dann gelingen,
so formulierte der Physiker Thomas
Görnitz, ein Schüler des jüngst verstorbenen Carl-Friedrich von Weizsäcker in einem Seminar, wenn sich
Wissenschaftler von den Zwängen eines vorquantischen Denkens befreien
und für die Lösung dieser Frage auch
kosmologische, also vor-biologische
Entwicklungen einbeziehen, Entwicklungen also, wie sie schon seit
der Entstehung des Kosmos ablaufen.
Fast alle Atome unserer Körper sind
durch zwei Supernova-Explosionen
hindurchgegangen.
Der Urgrund der Materie, so Thomas Görnitz (2005), ist Protyposis,
d.h. Quanteninformation. Die Ein-
beziehung einer abstrakten Quanteninformation ermöglicht ein neues
Verständnis von Materie, das die positiven Aspekte sowohl einer materialistisch-monistischen als auch einer
dualistischen Weltsicht zu bewahren
und die jeweiligen Nachteile zu überwinden erlaubt.
Aus der Schichtenstruktur von klassischer Physik, die die Welt durch
Fakten erfasst und Quantenphysik,
die diese in ihren Möglichkeiten beschreibt, mag ein naturwissenschaftlich begründetes Verständnis für das
Phänomen Bewusstsein erwachsen
und sogar ein Verständnis für die
Möglichkeit freier Willensentscheidungen. In der “Stanford Encyclopedia of Philosophy” (2007) liest sich
das so: „Quantum randomness might
indeed open up novel possibilities for
free will”.
Aus der Quantentheorie folgt, dass
Vorgänge in unserem Bewusstsein
und ebenso im Un- oder Vorbewussten keinesfalls vollständig determiniert sein können. Zwar sind die
Möglichkeiten und ihre zeitliche Entwicklung determiniert, nicht aber die
künftigen Fakten, was immerhin die
Option aufmacht, dass ich selbst und
nicht ein Anderes meine Entscheidungen bestimmt.
Quanteninformation, so heißt es, besitzt die reflexive Struktur, die für
eine Modellierung von Erleben erforderlich ist. In dieser Sichtweise ist
Bewusstsein verborgene, potenzielle
Information, die sich selbst kennt und
erlebt.
Der Mathematiker Roger Penrose
und der Anästhesist Stuart Hameroff
(siehe Penrose, 2001) haben Mitte
der neunziger Jahre ein Modell entworfen, nach dem Bewusstsein auf
nicht-algorithmischen, quantenmechanischen Effekten (wie z.B. dem
Einstein-Podolsky-Rosen-Phänomen, der Quanten-Verschränkung,
der Quanten-Nichtlokalität), letztlich
auf Gravitations-induzierten Reduktionen kohärenter Superpositionszustände in den Mikrotubuli des neuronalen Zellskelettes beruhen könnte.
135
Die Vorstellung, Bewusstsein anatomisch an Mikrotubuli fest zu machen,
wird damit begründet, dass man nach
einer zerebralen Struktur suchte, in
denen Quantenzustände lang genug
überleben, um durch Schwerkrafteinflüsse reduziert zu werden und nicht
nur durch Wechselwirkungen mit der
warmen und feuchten Umgebung im
lebenden Gehirn.
Ohne uns mit für quantenphysikalische Laien nicht zu bewertenden
Details der Diskussion über dieses
Modell weiter zu überfordern, sei
nur soviel angemerkt: nach meinem
Verständnis ist es durchaus legitim,
zu untersuchen, ob zerebrale Quanten-Ereignisse wirksam und relevant
sein könnten für diejenigen Aspekte
der Hirnaktivität, die mit mentalen
Ereignissen korreliert sind?
Dass sich Quantenphysiker mit dem
Gehirn-Bewusstseins-Problem beschäftigen, eröffnet Möglichkeiten,
auf der basalsten Ebene, auf der wir
bislang Materie beschreiben können,
nach einer Lösung für das Urproblem
der Hirnforschung zu fahnden.
IV.
Was folgt aus dem bisher Gesagten
für den Hirnforscher, die Hirnforscherin der Zukunft, für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen, die
sich nicht mehr mit dem Was und Wo
begnügen, sondern sich dem Wie im
Gehirn annähern wollen.
Weiterer Fortschritt in diesen ontologischen Fragen, so meine Hoffnung,
ist von einem klug orchestrierten
Zusammenspiel vieler Disziplinen
zu erwarten, unter denen die Physik,
die Mathematik, die Informatik, aber
eben auch Philosophie, Psychologie,
Sprachwissenschaften und natürlich
die Neurowissenschaften eine herausragende Rolle spielen.
Keine Disziplin hat für sich die konzeptuelle Tiefe und die methodische
Kraft, nach der das psychoneurale,
das ontologische Urproblem verlangt, immer vorausgesetzt, dass die
von Cramon
Lösung dieses Problems tatsächlich
in unserer mentalen Zuständigkeit
liegt.
Die genannten Disziplinen und gewiss noch andere werden nötig sein,
um in wechselseitigen und iterativen
Validierungsprozessen eine „co-evolutionäre Forschungsstrategie“ zu
entwickeln, wie sie vor Jahren schon
Barbara von Eckardt (1978) als Kernstück einer zukunftsweisenden Neurophilosophie gefordert hat.
Geeignete Strukturen, geeignete
Plattformen für ein solch weit gespanntes Unternehmen zu entwerfen
und in die Tat umzusetzen, ist gewiss
eine herkulische Aufgabe.
Keiner von uns Älteren, aber sehr
wahrscheinlich auch keiner von den
heute Jüngeren kann hoffen, die Lösung des Leib-Seele-Problems noch
zu Lebzeiten zu erfahren.
Aber mit jeder Erweiterung des Wissens über unser Gehirn, mit jeder
neuen Einsicht und mit jeder neuen
Frage, die sich dahinter auftut, mögen
wir die dieser wunderbaren Substanz
innewohnende Weisheit tiefer verehren, mögen wir ehrfürchtiger bestaunen, dass sie so in unserem Kosmos
entstanden ist.
136
Prof. Dr. D. von Cramon ist Direktor
am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in
Leipzig und am Max-Planck-Institut
für Neurologische Forschung in Köln.
Dieser Vortrag wurde am 22. September 2007 zur Feier des 40-jährigen
Bestehens der Fakultät für Medizin
an der TU München gehalten.
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
Literatur
[13]
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
Anderson, P.W.: More is different. Science 177, 393-396 (1972).
Crick, F.: The Astonishing Hypothesis
– the Scientific Search for the Soul. Ch.
Scribner & Sons, New York (1994).
De la Mettrie, J.O.: L’homme machine
– der Mensch, eine Maschine. Reclam,
Stuttgart, (1747/2001).
Dennett, D.C.: Kinds of Minds – Toward
the Understanding of Consciousness.
Basic Books, (1996).
Fodor, J.: Psychosemantics – the Problem of Meaning in the Philosophy of
Mind. MIT Press,Cambridge, Mass.
(1987).
Görnitz, T.: Protyposis. Philosophia naturalis 2 (2005)
Hameroff S, Penrose R. Conscious
events as orchestrated space-time selections. J. Consciousness Studies 3, 36-53
(1996)
[14]
[15]
Lewis, D.K.: Convention – a Philosophical Study. Harvard Univ. Press (1969).
Penrose, R.: Consciousness, the brain,
and spacetime geometry: an addendum.
Some new developments on the Orch
OR model for consciouness (2001).
Ratzinger, J. and Seewald, P.: Salz der
Erde. Christentum und Katholische Kirche im neuen Jahrtausend. Heyne Taschenbuch (2004).
Rizzolatti G., Craighero, L.: The mirrorneuron system. Ann. Rev. Neurosci. 27,
169-192 (2004).
Sellars, W.S.: Empiricism and the Philosophy of Mind. Univ. of Minnesota
Press, Minneapolis (1956).
Stanford Encyclopaedia of Philosophy.
http://plato.stanford.edu
Von Eckardt, B. : Inferring functional
localization from neurological evidence.
PSA, Vol.1, 319-328 (1978).
Wittgenstein, L.: Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Suhrkamp,
Frankfurt / M. (1918/1998).
Prof. Dr. D. Yves von Cramon
Max-Planck-Institut für Kognitions- und
Neurowissenschaften, Leipzig
[email protected]
Bericht
Report
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 137–139
Das „Tiroler Bündnis gegen Depression“ –
eine Leistungsbilanz
Angela Ibelshäuser1 und Ullrich Meise1,2
1
2
Gesellschaft für psychische Gesundheit – pro mente tirol
Klinik für Allgemeinpsychiatrie- und Sozialpsychiatrie, Department für Psychiatrie
und Psychotherampie, Medizinische Universität Innsbruck
The„Tyrolean Alliance against Depression“-a balance of activities
Das „Tiroler Bündnis gegen Depres­
sion“ ist Kooperationspartner des
„Euro­päischen Bündnisses gegen De­
pression ( EAAD) [1], das im Weißbuch zur Europäischen Ministeriel­
len WHO Konferenz für psychische
Gesundheit- Helsinki 2005- [2] explizit als gelungenes Bei­spiel für die
geforderten Akti­vitäten zur psychischen Gesundheitsförderung (Mental Health Promotion und Mental
Disorder Prevention) angeführt wird.
Diesbezüglich weist auch Österreich
einen Handlungsbedarf auf [3].
Ziele unserer Aktivitäten sind: eine
Entstigmatisierung von Betroffenen,
eine Verbesserung der Diagnose und
der Behandlung depressiv erkrankter Menschen und dadurch auch eine
Vorbeugung von Suiziden, eine Verbesserung des Verständnisses der Erkrankung Depression in der Bevölkerung und somit eine Veränderung des
Bewusstseins in der Öffentlichkeit
gegenüber psychischen Erkrankungen.
© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
Hintergrund
Methodik
Depressive Störungen gehören zu
den häufigsten und am meisten unterschätzten Erkrankungen unserer Zeit.
In Tirol leiden zum heutigen Tag rund
5% der Bevölkerung – 35.000 Menschen – an einer behandlungsbedürftigen Depression.
Die WHO geht davon aus, dass die
Depression bis zum Jahr 2020 in den
entwickelten Ländern zur zweithäufigsten Erkrankung werden wird. Betrachtet man die Beeinträchtigung der
Lebensqualität durch eine Depression
oder die mit ihr vergesellschaftete Gefährdung, wird der Handlungsbedarf
deutlich. Etwa 70% der Menschen,
die sich das Leben nahmen, waren
depressiv erkrankt (in Tirol über 100
Personen pro Jahr), wobei das Risiko
für Männer, an einem Suizid zu versterben, deutlich höher ist als jenes
für Frauen [4].
Das Thema „Depression“ wird von
der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen und oft missverstanden. Viele
Betroffene erkennen selbst nicht,
dass sie unter Depression leiden, sondern glauben, körperlich erkrankt zu
sein. Andere trauen sich aus Scham
und/oder Angst vor Stigmatisierung
und Ausgrenzung nicht, Hilfsangebote wahrzunehmen.
Der Mehrzahl der Betroffenen könnte erfolgreich geholfen werden, aber
nur eine Minderheit der Betroffenen
erhält derzeit eine adäquate Behandlung. Das persönliche Leid für Betroffene, deren Angehörige und Freunde
wäre vermeidbar.
Mit einem „4-Ebenen-Ansatz“, der
mindestens über 10 Jahre verfolgt
werden soll, müsste ein Großteil der
Bevölkerung erreicht werden:
• Öffentlichkeitsarbeit:
Durch eine intensive und breite
Informations- und Aufklärungsarbeit mittels Plakate, Flyer,
Broschüren, Videokasetten, CDROMs, Webseiten, Kinospot,
Aktionstagen, Schulaktion, Vorträgen, Medienberichten soll die
Bevölkerung für das Thema sensibilisiert werden. Die Kenntnisse
über die Erkrankung Depression
und somit die Einstellung zur Erkrankung und zu Betroffenen sollen dadurch auffällig verbessert
werden.
• Angebote für PatientInnen und
Angehörige:
Betroffene werden gezielt über
Hilfsangebote in Krisensituationen informiert; darüber hinaus
werden bestehende oder neu zu
gründende
Selbsthilfegruppen
unterstützt. Eine anonyme EmailBeratung für Betroffene steht zur
Verfügung.
• Kooperation mit Multiplika­
torInnen:
Berufsgruppen wie LehrerInnen,
SozialarbeiterInnen, SeeslorgerInnen, Pflegepersonal, PolizeibeamtInnen, die berufsbedingt viel
mit Menschen und/oder depressiven PatientInnen zu tun haben,
wirken als MultiplikatorInnen.
Ibelshäuser, Meise
Sie erhalten Informationsmaterial zur Weitergabe und werden
auf Wunsch in individuell zugeschnittenen Fortbildungsveranstaltungen informiert.
• Kooperation mit ÄrztInnen für
Allgemeinmedizin:
ÄrztInnen soll die Möglichkeit
angeboten werden, ihre Erfahrungen mit PatientInnen zu reflektieren; sie sollen – so gewünscht
– Unterstützung bei persönlichen
Fragen bekommen, denen sie in
ihrer Arbeit mit depressiven PatientInnen begegnen.
Struktur des Projektes
Dem Tiroler Bündnis haben sich ca.
30 Organisationen und Personen
als Partnerinnen und Partner angeschlossen, ca. 10 arbeiten aktiv in
der Steuerungsgruppe zur Koordination der tirolweiten Aktivitäten.
Dazu zählen u.a. Angehörigen- und
Betroffenen-Selbsthilfe,
Sozialpsychiatrische Vereine, Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck und
BKH Hall, FachärztInnen, Stadtmagistrat Innsbruck, Telefonseelsorge,
Berufsverbände (Tiroler Landesverband für Psychotherapie), ….
Auch ist es uns gelungen, dass sich
in den Bundesländern Steiermark,
Wien, Kärnten und Niederösterreich
„Bündnisse“ formiert haben, die die
Ziele und den Ansatz von EAAD in
ihrer Region vertreten und umsetzen.
Aktivitäten
Die Auftaktveranstaltung fand am
24. Feber 2005 statt.
• Öffentlichkeitsarbeit:
­– Intensive, kontinuierliche Medienarbeit (Pressekonferenzen
16, Medienpräsenz in Printmedien 80, TV und Radio 26,
Fachmedien 4)
138
–­ Video für Klinikfernsehen
(Sendezeit 10 Min., 2 Monate,
mehrfach täglich)
­– Kinospot (4 Orte, 2 Monate,
11 Säle)
­– Vorträge, Lesung, Aktionen
in Innsbruck und Tiroler Be­
zirken (48)
­– Beteiligung an Gesundheits­
tagen (5)
­– Schulaktionen;
Workshops
für SchülerInnen (Schulklassen 80, 1850 Schülerinnen
und Schüler), Evaluierung der
Einstellungsänderung
­– Informationsflyer, Inlay, Ankündigungsplakate, Handouts
(insg. 20.000)
• Angebote für Betroffene und
ihre Angehörigen:
–­ Homepage (www.buendnisdepression.at) und Emailberatung
–­ Förderung und Gründung
neuer Selbsthilfegruppen für
Betroffene und Angehörige
(Gründung neuer Selbsthilfegruppen: 3)
­– Medienarbeit zur Unterstützung der Arbeit der Selbsthilfegruppen
­– Fachtagung: „Tabu Suizid“ für
Hinterbliebene, Angehörige,
Freunde (s.u. und Personen,
die beruflich mit dem Thema
konfrontiert sind) (insg. ca.
130 Teilnehmer)
–­ Vorträge „Depression betrifft
die ganze Familie“ in Innsbruck und Tiroler Bezirken
(10 gemeinsam mit HPE gestaltete Vorträge, ca. 1100 Zuhörer)
• Kooperation mit Multiplika­
torInnen:
– Schulungen / Fachgespräche /
Fachtagung z.B. für:
­ Altenpflegepersonal (14 Schulungen, 150 Teilnehmer)
­– Polizei (Vorträge 1, 15 Teilnehmer)
­– MedizinstudenInnen, PsychologiestudentInnen (Vorträge,
­–
­–
­–
­–
­–
–­
Seminare 26, 1300 Teilnehmer)
Train the Trainer Seminar für
ReferentInnen der Schulaktion (20 Teilnehmer)
Dekane, Priester, SeelsorgerInnen (Vorträge 2, 40 Teilnehmer, Fachtagung Anfang
Juni 08: „Seelsorge und psychische Gesundheit“)
Führungskräfte (Vorträge 3,
80 Teilnehmer)
Workshop für Tiroler MedienvertreterInnen (Berichterstattung bei Suizid - Der Beitrag
der Medien zur Suizidprävention), Weiter-Verteilung des
Medien-Leitfadens „Berichterstattung bei Suizid“ innerhalb der Medien, Nominierung
für den Tiroler Medienpreis
Tirolissimo 2007 im Bereich
Pressearbeit,
eingereichtes
Projekt: „Suizidprävention“
Fachtagung: „Tabu Suizid“
(s.o. für Hinterbliebene, Angehörige, Freunde) und Personen, die beruflich mit dem
Thema konfrontiert sind
(insg. ca. 130 Teilnehmer)
2 Medienschulungen für
Bündnispartner
• Kooperation mit ÄrztInnen für
Allgemeinmedizin:
­ In Planung - bisher eine Schulung
(26 TNInnen)
Die Gesellschaft für psychische Ge­
sundheit- pro mente tirol, die die
Projektkoordination für das Projekt
übernommen hat, bietet seit über 30
Jahren für Menschen mit psychischen
Erkrankungen vielfältige Betreuungs- und Rehabilitationsangebote an
und bemüht sich gleichzeitig um die
Entstigmatisierung und Integration
der Betroffenen (www. gpg-tirol.at).
Ihnen sollen die Möglichkeiten eröffnet werden, von ihrer psychischen
Erkrankung zu genesen, die Krankheitsfolgen zu bewältigen, ihre oft
schwierigen Lebensumstände selbstbestimmt zu verbessern sowie neue
Lebensperspektiven und gesellschaft-
Das „Tiroler Bündnis gegen Depression“ – eine Leistungsbilanz
liche Teilhabe zu entwickeln. Dabei
sollen transkulturelle und geschlechtsspezifische Aspekte in Zukunft
stärker berücksichtigt werden [4].
Ein soziales Klima, das die wichtigen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt und schützt, sich gegen
Armut, Stigma und Ausgrenzung
wendet, trägt Wesentliches zur psychischen Gesundheit bei.
Literatur
[1] Pfeiffer-Gerschel T., Wittmann M.,
Hegerl U.: Die „European Alliance
Against Depression (EAAD)“ – Ein
europäisches Netzwerk zur Verbesserung der Versorgung depressiv erkrankter Menschen. Neuropsychiatr
21, 51-58 (2007)
[2] Meise U., Wancata J.: „Es gibt keine
Gesundheit ohne psychische Gesundheit“- Die Europäische Ministerielle
WHO-Konferenz für Psychische Gesundheit; Helsinki 2005. Neuropsychiatr 19, 151-154 (2006)
[3] Meise U., Sulzenbacher H., Eder
B., Klug G., Schöny W., Wancata J.:
Psychische Gesundheitsversorgung
in Österreich – Eine Beurteilung
durch unterschiedliche Gruppen von
139
Psychia­triebetroffenen auf Grundlage
der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation. Neuropsychiatr 20, 174185 (2006).
[4] Hausmann A., Rutz W., Meise U.:
Frauen suchen Hilfe – Männer sterben!
Ist die Depression wirklich weiblich?
Neuropsychiatr 22, 43-48 (2008)
Gesellschaft für Psychische Gesundheit –
pro mente tirol
„Tiroler Bündnis gegen Depression“
Univ.-Prof. Dr. Ullrich Meise,
Mag. Angela Ibelshäuser
Email: [email protected]
URL: www.buendnis-depression.at
Laudatio
Laudatio
Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 2/2008, S. 140–141
Univ.-Prof. Dr. Verena Günther – 50 Jahre
Hartmann Hinterhuber
Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck
logie, die Klinische Psychologie und
die Verhaltenstherapie ansteckend
und inspirierend.
Alle, die Frau Prof. Verena Günther
je begegnet sind und sie kennen lernen konnten, sind von ihrem persönlichen und – vor allem – menschlichen Engagement beeindruckt, von
ihrem Einsatz für die Univ.-Klinik
für Psychiatrie, für ihre Abteilung für
Klinische Psychologie, für die Wissenschaft, die Gesundheitspsychologie und – ganz besonders – für ihre
Familie, aber auch für die Gesundheits- und Frauenpolitik: Alle diese
Bereiche besitzen in ihr eine starke
Stimme und eine unermüdliche Fürsprecherin.
In herzlicher Verbundenheit feierten
am 21.02.2008 die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Abteilung
für Klinische Psychologie“ und der
„Psychotherapeutischen Ambulanz“
der Univ.-Klinik für Psychiatrie Innsbruck den runden Geburtstag der
Leiterin dieser erfolgreichen Einheit
und überbrachten ihr die herzlichsten
Glückwünsche. Alle Mitglieder des
Departments für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Innsbruck schließen sich in
Freundschaft und Verbundenheit den
vielen Wünschen in der Hoffnung an,
von Frau Prof. Verena Günther auch
in der weiteren Zukunft in Patientenbetreuung, Lehre und Forschung viele
Anregungen und Impulse empfangen
zu können. In der Tat ist ihr Enthusiasmus für die Gesundheitspsycho© 2008
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
Frau Prof. Günther bewahrt Gelassenheit, Ruhe und Humor auch in
schwierigen Situationen; sie beweist
Souveränität und Geschicklichkeit
im Umgang mit ihren vielen Patienten und Kreativität in der Lösung
komplexer Probleme. Die Univ.-Klinik für Psychiatrie Innsbruck erwartet auch in Zukunft für ihre Fragestellungen und Sorgen konstruktive
Lösungsvorschläge, wir erhoffen uns
von ihrem wissenschaftlichen Elan
neue Denkanstöße und kreative Lösungen.
Verena Günther wurde am 21.02.1958
in Innsbruck in eine große Familie
mit 5 Geschwister geboren. Ihr Vater, Univ.-Prof. Dr. Robert Günther,
formte ihre wissenschaftliche Orientierung und ihre Bereitschaft zu
großen sozialen und therapeutischen
Leistungen, ihre Mutter, Helga Günther geb.Seifert, Spross einer alt-
eingesessenen Innsbrucker Familie,
prägte ihre durch große Liebenswürdigkeit und hohe Empathie sowie
Realitätssinn und Bodenständigkeit
ausgezeichnete Persönlichkeit: Frau
Prof. Verena Günther ist durch große
Vorbilder geformt ein leistungsorientierter, zuvorkommender und liebenswürdiger Mensch.
Nach ihrer Matura am wirtschaftskundlichen Realgymnasium der
Ursulinen in Innsbruck begann sie
1976 an der Naturwissenschaftlichen
Fakultät der Leopold-Franzens-Universität ihr Studium, das sie 1981
mit dem Doktorat der Philosophie in
den Fachgebieten Psychologie und
Pädagogik abschließen konnte. Ihr
Dissertationsthema "Die Persönlichkeitsstruktur chronisch rheumatisch
erkrankter Frauen" war eine – verdiente – Hommage an ihren Vater!
1980 konnte sie als wissenschaftliche
Mitarbeiterin für die Univ.-Klinik für
Psychiatrie Innsbruck gewonnen werden. 1984 schloss sie ihre Ausbildung
in Gesprächspsychotherapie und 1987
jene in Verhaltenstherapie ab. 1990
wurde ihr bereits in Anerkennung ihrer Leistung und hohen Identität mit
der Klinik und ihrem Fachbereich die
Leitung der Abteilung für Klinische
Psychologie und der Psychotherapeutischen Ambulanz übertragen. 1991
erfolgte die Eintragung sowohl in die
Liste der "Klinischen Psychologen"
und "Gesundheitspsychologen" als
auch in jene der "Psychotherapeuten"
mit der Zusatzbezeichnung "Verhaltenstherapie". Nachdem sich Frau Dr.
Verena Günther 1988 als Lehrtherapeutin der Österreichischen Gesell-
Univ.-Prof. Dr. Verena Günther – 50 Jahre
schaft für Verhaltenstherapie etabliert
hatte und in die Ausbildungskommission berufen wurde, konnte sie sich
am 21.11.1994 an der Medizinischen
Fakultät der Universität Innsbruck
im Fachbereich "Medizinische Psychologie – Verhaltensmedizin" habilitieren. 2001 wurde ihr in Würdigung ihrer Verdienste der Titel einer
Außerordentlichen Universitätsprofessorin verliehen. Verena Günther
ist als exzellente Vortragende – wie
ihr Vater – eine hervorragende Hochschullehrerin.
Von 1995 bis 1999 war sie Vizepräsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, seit
Dezember 1996 ist sie in die Supervisorenliste des Berufsverbandes Österreichischer Psychologen eingetragen.
Ihr verdankt das Land Tirol auch die
Etablierung der ersten Raucherberatungsstelle. Gemeinsam mit Doz.
Dr. Martin Kopp leitet sie derzeit den
Forschungsschwerpunkt "Gesund-
heitspsychologie – Klinische Psychologie und Verhaltensmedizin" der
Univ.-Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Sozialpsychiatrie.
Nicht nur in Tirol, sondern auch in
Vorarlberg und in der Autonomen
Provinz Bozen – Südtirol wurden ihr
die wissenschaftliche Leitung von
postgraduellen universitären Lehrgängen anvertraut.
Verena Günther hat viele Kolleginnen und Kollegen wissenschaftlich
und psychotherapeutisch geformt,
einige konnte sie zur Habilitation
begleiten. Mit vielen wissenschaftlichen Beiträgen hat sie ihr Fach gefördert. Ihre Arbeiten haben ihr Lob und
Wertschätzung der internationalen
Scientific Community eingebracht,
die in ihr eine hervorragende Repräsentantin gefunden hat.
Heute zählt das wissenschaftliche
Oeuvre von Frau tit. Ao. Univ.-Prof.
Dr. Verena Günther mehr als 60
141
Originalarbeiten, sie ist Verfasserin
von zahlreichen Buchartikeln und
Lehrbuchbeiträgen und eines sehr
angesehen Raucherentwöhnungsprogramms. Sie ist auch Herausgeberin
von 3 Büchern.
Neben all diesen beruflichen und wissenschaftlichen Leistungen ist sie für
Ulli Meise die beste Ehegattin und
für ihren Sohn Christoph die allerbeste Mutter!
Die künftigen Jahrzehnte sollen Ihnen, liebe Frau Prof. Günther, Glück,
Freude und Harmonie bescheren, sie
soll Ihnen vor allem alle jene vielen
Menschen erhalten, die Ihnen nahe
sind.
Dies wünscht Ihnen von Herzen
Ihr
Hartmann Hinterhuber
Herunterladen