Strategie und Organisation Medikationssicherheit steigern und Kosten senken Patientenbezogene Arzneimittelversorgung durch Unit-dose-Verfahren : R. Großmann, N. Backes, Prof. Dr. H. Brunner ie Kosten für Arzneimittel im stationären Sektor in Deutschland sind in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Waren es 1991 noch 8,8 Euro pro Pflegetag, so machten sie im Jahre 2001 mit durchschnittlich 13,09 Euro pro Pflegetag den größten Teil des medizinischen Bedarfs im Krankenhaus aus. D Mit der Unit-dose-Versorgung seiner eigenen Apotheke kann das Krankenhaus Kosten sparen und die Medikationssicherheit seiner Patienten optimieren. Die Niederlande wenden das Verfahren bereits flächendeckend an. In Deutschland setzen beispielsweise das Klinikum Leverkusen und das Kreiskrankenhaus Gummersbach auf den Erfolg dieses Systems. Die traditionelle stationsbezogene Arzneimittelversorgung, wie sie in den meisten deutschen Krankenhäusern praktiziert wird, ist stark auf die Logistikprozesse fokussiert. Sie ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl möglicher Medikationsfehler und daraus resultierenden Mehrkosten der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung. Dazu besteht die Gefahr einer mangelhaften Qualität und einer schlechten Dokumentation der Arzneimitteltherapie. Dies hat mehrere Ursachen. Die Pflegekräfte der Stationen sind neben ihren eigentlichen pflegerischen Aufgaben für das Stellen und die Verteilung der Medikamente zuständig. Durch die Zusammenstellung der Arzneimitteldosen und deren Verteilung an die Patienten geht ihnen Arbeitszeit verloren, die sonst für ihre eigentlichen Aufgaben am Patienten verwendet werden könnte. Dadurch sind die Mitarbeiter der Pflege häufig überlastet, die Qualität der pflegerischen Versorgung sinkt. Die benötigten Arzneimittel werden stationsbezogen in der Krankenhausapotheke angefordert, so dass in der einzigen pharmazeutischen Instanz keine Kontrolle der individuellen Arzneimitteltherapien möglich ist. Welcher Patient wann welche Medikamente in welcher Form erhält, ist nur schwer nachzuvollziehen. Irrtümer und Fehler bei der Medikation Dabei lauern Gefahren auf allen Stufen des stationären Medikationsprozesses: von der Diagnose über Verordnung, Verschreibung, Bestellung in der Apotheke bis hin zur Bereitstellung, Applikation und Dokumentation. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent der verabreichten Medikationsdosen in deutschen Krankenhäusern in irgendeiner Art und Weise fehlerhaft sind. Das heißt, jede fünfte Arzneimittelgabe birgt das Risiko schwerwiegender Gesundheitsschäden für den Patienten in sich. Durch solche Irrtümer bei der Medikation können sich Krankheitszu- f&w 4/2004 21. Jahrg. 383 Strategie und Organisation stände verschlechtern, Besserungen langsamer einstellen. Durch nicht erkannte mögliche Wechselwirkungen bei Einnahme mehrerer Arzneimittel können neue Erkrankungen entstehen. Aus alledem kann ein verlängerter Krankenhausaufenthalt und möglicherweise sogar eine Einweisung oder Verlegung auf eine Intensivstation resultieren. Beides geht mit höheren Behandlungskosten pro Fall einher, was mit der Abrechnung nach DRG besondere Bedeutung erlangt. Denn wird künftig nur noch eine Pauschale pro Fall unabhängig von den tatsächlichen Kosten gezahlt, verhindert die Verlängerung der Verweildauer durch eine insuffiziente Arzneimitteltherapie einen betriebswirtschaftlich wichtigen positiven Deckungsbeitrag einer stationären Behandlung. Unit-dose-Versorgung in den Niederlanden In den Niederlanden hingegen ist seit Jahrzehnten flächendeckend ein patientenindividuelles Arzneimittelversorgungssystem implementiert: die Unit-dose-Versorgung. Das TweeSteden Hospital in Tilburg war 1972 das erste niederländische Krankenhaus, das die Arzneimitteldistribution auf ein Unit-dose-System umgestellt hat. Die verordneten Arzneimittel werden dabei für jeden Patienten für einen Tag zentral in der Krankenhausapotheke individuell verpackt und von Mitarbeitern der Apotheke direkt an die Patienten ausgegeben. Die einzelnen Arzneien werden in ein Tütchen verpackt, auf dem der Name des Medikamentes, die Chargennummer, Dosis, Haltbarkeit und der Patientenname vermerkt sind. Dadurch ist eine umfassende pharmakologische Beratung von Patienten und Pflegekräften möglich, und Medikationsfehler können vermieden werden. Meist begleitet ein Krankenhausapotheker auch die Visite. Im Allgemeinen wird diese patientenindividuelle Arzneimittelver- 384 f&w 4/2004 21. Jahrg. sorgung als Unit-dose-Versorgung bezeichnet. Dies ist allerdings nicht ganz korrekt. Denn Unit-dose ist per Definition eine „. . . Bezeichnung für die industriell oder durch die Apotheke konfektionierte Einzeldosis einer Arzneizubereitung.“ Eine patientenindividuelle Arzneimittelversorgung kann jedoch auch ohne einzeldosierte Medikamente durchgeführt werden. Gleichermaßen kann ein Unit-dose-System ohne eine patientenbezogene Verteilung etabliert werden. Im Sinne einer möglichst sicheren Versorgung empfiehlt es sich hingegen, beide Methoden zu kombinieren. Zur Vereinfachung wird jedoch in der Praxis eine solche Kombination als Unitdose bezeichnet. Die stationäre Arzneimittelversorgung wird in den Niederlanden ausschließlich von Krankenhausapotheken gewährleistet. Eine Möglichkeit der Versorgung von Krankenhäusern durch öffentliche Apotheken wie in Deutschland gibt es nicht. Dazu hat die Krankenhausapotheke in den Niederlanden einen viel bedeutenderen Stellenwert als in Deutschland. Sie garantiert als klinisch-pharmazeutisches Zentrum die Arzneimittelsicherheit für stationäre Patienten. Hier verfügt annähernd jedes Krankenhaus über eine eigene Apotheke. Durchschnittlich arbeiten 30 Personen in einer Krankenhausapotheke. Arzneimittelsicherheit merklich gesteigert Die Arzneimittelsicherheit konnte in den Niederlanden durch die flächendeckende Umstellung der Arzneimittelversorgung auf das patientenindividuelle Unit-dose-System merklich gesteigert werden. Auch das Auflösen von umfangreichen Medikamentenlagern auf den Stationen und die Vermeidung von Folgekosten der falschen Medikation brachten massive Einsparungen. Außerdem wurde die Qualität der medizinischen Versorgung gesteigert. Weiterhin hat sich gezeigt, dass sich eine patientenbezogene Arzneimittelversorgung positiv auf die Therapietreue des Patienten auswirkt. In den USA wird eine Arzneimittelkommissionierung nach Unit-dose von der American Society of Hospital Pharmacists (ASHP) seit den achtziger Jahren empfohlen. Auch das Institute of Medicine (IOM) hat eindeutig festgestellt, dass Unit-dose dazu beiträgt, Fehler zu reduzieren und Kosten zu vermeiden. Patientenbezogene Verteilung erleichtert Kostenträgerrechnung Für deutsche Krankenhäuser wird ein funktionierendes Controllingsystem in Zukunft immer mehr zur Existenzsicherung. Eine vollständige Dokumentation der im Krankenhaus erbrachten Leistungen ist unumgänglich, denn nur mit einer zuverlässigen, detaillierten Kostenträgerrechnung lassen sich Kosten und Deckungsbeiträge von Fallgruppen kalkulieren und strategische Maßnahmen zu Planung und Leistungsspektrum ergreifen. Eine patientenbezogene Verteilung und Dokumentation erleichtert die Implementierung einer Kostenträgerrechnung im Krankenhaus. In den Niederlanden (und den USA, Großbritannien, Spanien und anderen Ländern) ist der Krankenhausapotheker für die komplette Arzneimitteltherapie und -distribution mit den daraus resultierenden positiven Effekten verantwortlich. Im Gegensatz dazu sind deutsche Krankenhausapotheker meist nur Einkäufer und Verteiler von Arzneimittelgroßpackungen. Weitere, in anderen Ländern gängige klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen, wie datenbankgestützte Arzneimittelinformationen oder „therapeutisches drug monitoring“, werden nur in wenigen deutschen Krankenhausapotheken angeboten. Dabei würde sich eine stärkere Kontrolle der Arzneimitteltherapie durch den Krankenhausapotheker kostensenkend auswirken. „Evidence-based-medicine“, gestützte Arzneimittelauswahl im Krankenhaus, Arzneimittelüberwachung, pharmazeutische Beratungen und Medikamentensubstitutionen verbessern die Qualität, verkürzen die Liegezeiten und vermeiden Kosten. Doch mittlerweile gibt es auch in Deutschland, wie im Klinikum Leverkusen oder im Kreiskrankenhaus Gummersbach, Unit-dose-Versorgungen. Die Apotheke des St. Elisabeth Krankenhauses in Oberhausen ist beispielsweise die erste Einrichtung, die eine spezielle Verschreibungssoftware zusätzlich zur Unit-dose-Versorgung etabliert und auch schon erste Erfahrungen gemacht hat. Doch von einer flächendeckenden patientenindividuellen Distribution sind wir noch weit entfernt. Qualitätssteigerung bei gleichzeitiger Kostensenkung Die patientenindividuelle Arzneimittelkommissionierung mit einer Unitdose-Distribution liefert einen wesentlichen Schlüssel zu einer dokumentierten und sicheren Arzneimitteltherapie im Krankenhaus. Auch wird das Berufsbild des Krankenhausapothekers hiermit wieder an seine Kernkompetenz – die Optimierung einer neutralen Arzneimittelinformation zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit – herangeführt. Der Apotheker wird zu einer wichtigen und unverzichtbaren Informationsquelle im modernen Krankenhausbetrieb. Dabei ist ein Blick über die Grenzen, gerade zu den direkten Nachbarn, den Niederlanden, hilfreich, um von positiven Erfahrungen anderer zu profitieren und sich daran zu orientieren. Die Umstellung verursacht Kosten, langfristig aber sind Einsparungen möglich Natürlich bedeutet eine Umstellung der Arzneimittelversorgung auf ein patientenindividuelles System erst einmal eine Investition und verursacht Kosten: entweder durch einen erhöhten Personalaufwand oder durch die Anschaffung eines Kommissionierautomaten und einer kompatiblen Verschreibungssoftware, die dem Arzt schon bei der Verschreibung mögliche Interaktionen der Medikamente elektronisch anzeigt. Langfristig lassen sich damit jedoch erhebliche Einsparungen realisieren. Vor allem die Investition in einen Kommissionierautomaten wird mit einer neuen Generation dieser Automaten, die in Kürze auf den Markt kommen werden und den bisherigen Automaten weit voraus sind, für größere Kliniken noch rentabler. Es lassen sich so bis zu 20 Prozent des Arzneimittelbudgets einsparen. Dazu kommen vermiedene Kosten eines verlängerten Krankenhausaufenthalts durch Fehlmedikationen, die jedoch nur schwer quantifizierbar sind, und Opportunitätskosten der Pflegekräfte. Trotz allem ist eine flächendeckende Umstellung der Arzneimittelversorgung vom traditionellen, in Deutschland vorherrschenden Modell hin zu einer patientenindividuellen Versorgung nach dem Unit-dose-System anzuraten: besonders für jedes einzelne Krankenhaus im Hinblick auf den in Zukunft schärferen Wettbewerb der Versorgungseinrichtungen zur langfristigen Sicherung seiner (wirtschaftlichen) Existenz. Literatur bei den Verfassern Anschriften der Verfasser: Robert Großmann Hagelkreuzstraße 101 46149 Oberhausen Norbert Backes Krankenhausapotheke Siegburg Ringstraße 49 53721 Siegburg Prof. Dr. Helmut Brunner Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie der Universität zu Köln Gleueler Straße 176–178 50935 Köln