Somatische Mutationen Hepatozelluläre Karzinome Ludwig Wilkens, Brigitte Schlegelberger Institut für Zell und Molekular pathologie Medizinische Hochschule Hannover Zusammenfassung Hepatozelluläre Karzinome (HCC) ge hören weltweit zu den häufigsten ma lignen Tumoren. Als auslösende Fak toren sind Hepatitis B und Hepatitis CVirusinfektionen, Aflatoxine und Al koholabusus seit langem bekannt. Durch CGHAnalysen an mittlerweile mehr als 400 HCC konnten Zugewin ne in 1q, 6p, 7p, 7q, 8q, 17q und X sowie Verluste in 4q, 6q, 8p, 16p, 16q und 17p als typische chromosomale Imbalancen definiert werden. Die häu figsten molekulargenetischen Verän derungen führen zu Alterationen der Zellzykluskontrolle und der p53, WNT und JAK/STATSignalwege. Mikroarrayanalysen haben erste Ein blicke in das globale Genexpressions profil unterschiedlicher Typen von HCC vermittelt und werden in Zukunft zu einem besseren Verständnis der Tumorigenese führen. Summary Hepatocellular carcinomas are among the most frequent malignant tumors worldwide. Hepatitis B and hepatitis C viral infections, aflatoxins and misuse of alcohol have long been known to be inducing factors. By means of CGHanalyses on more than 400 HCC, gains of 1q, 6p, 7p, 7q, 8q, 17q and X as well as losses of 4q, 6q, 8p, 16p, 16q and 17p could be defined as typical chromosomal imbalances. The most frequent molecular changes lead to alterations of the cell cycle control and to alterations of the p53, WNT and JAK/STAT pathways. Microarray analyses have given the first comprehensive insight into the global gene expression profile of different types of HCC and will in future lead to a better understanding of their tumorigenesis. Keywords Hepatozelluläre Karzinome – HCC – CGH – LOH – AXIN1 – SOCS1 – P53 – WNT – Mikroarray 152 medgen 14 (2002) Einleitung Weltweit erkranken jedes Jahr circa 1 Millionen Menschen an einem hepa tozellulären Karzinom (HCC). Die Inzi denz des HCC schwankt von ca. 3% aller Malignome in Mitteleuropa und bis zu 60% in Teilen Südafrikas. We sentliche ätiologische Faktoren sind Hepatitis B und Hepatitis CVirusin fektionen, Alkohol sowie die Aflatoxi ne in verdorbenen Nahrungsmitteln (1). Selten werden HCC durch eine Hämochromatose ausgelöst. Ätiolo gisch wirkt bei allen Faktoren ein lang andauernder entzündlicher Reiz. Im allgemeinen äußern sich hepato zelluläre Karzinome mit unspezifi schen Symptomen. Zumeist werden sie erst in einem späten Stadium er kannt. Die Diagnostik stützt sich zu nächst auf die bildgebenden Verfah ren der Sonografie und Computerto mografie. Die endgültige Diagnose bleibt der histopathologischen Beur teilung von Aspirations oder Stanz biopsien der Leber vorbehalten. Die Prognose des HCC ist äußerst schlecht. Die 2 JahresÜberlebensra te liegt bei 522%. Die vollständige chirurgische Resektion des Tumor knotens, eventuell mit anschließender Lebertransplantation, ist nur selten möglich. Ein neuer Therapieansatz ist die percutane oder arterielle Applika tion von Äthanol in den Tumor. Mit diesem Verfahren konnte allerdings keine Verlängerung des Gesamtüber lebens erreicht werden. Somatische Mutationen Abb 1 Typische chromosomale Imbalancen hepatozellulärer Karzinome Grüne Balken rechts neben den Chromosomen zeigen Regionen, in denen gehäuft Zugewinne, rote Balken links neben den Chro mosomen zeigen Regionen, in denen gehäuft Verluste beschrie ben sind Fragestellung Bisher beruht die Diagnose des He patozellulären Karzinoms fast aus schließlich auf der Morphologie. Zy togenetische und molekulargeneti sche Untersuchungen haben einen wesentlichen Beitrag zum Verständ nis der Pathogenese Hepatozellulärer Karzinome geleistet. Es stellt sich die Frage, ob diese Erkenntnisse für eine genetische Subtypisierung und eine prognostische Beurteilung der HCC genutzt werden können, und inwie weit sich aus diesen Erkenntnissen neue gentherapeutische Behand lungsstrategien abgeleiten lassen. Zytogenetische Veränderungen Aufgrund der geringen Proliferations rate der Tumorzellen in vitro ist eine Karyotypisierung beim HCC kaum möglich. In den letzten 10 Jahren wurden weniger als 20 karyotypisier te primäre HCC oder HCCZelllinien beschrieben. Dabei waren wiederkeh rend die Chromosomenregionen 1q, 4q, 6q, 8p, 8q, 16p, 17p und 17q von Aberrationen betroffen (2). Durch LOHAnalysen wurde der wiederkeh rende Verlust der Regionen 1p36, 4q28, 6q, 8p1121, 8q2124, 16p11, 17p13 und 17q11 bestätigt (3). Mit der Einführung der Comparativen Genomischen Hybridisierung (CGH) wurde die Darstellung genetischer Im balancen auch ohne die Anzüchtung von Tumorzellen möglich. Mittlerwei le wurden CGHUntersuchungen in mehr als 400 HCC beschrieben. Als häufigste Aberrationen zeigten sich Zugewinne in 1q, 6p, 7p, 7q, 8q, 17q Abb 2 Schema des WNT&Signalwegs In hepatozellulären Karzinomen treten gehäuft Mutatio nen im ßCateninGen CTNNB1 und im AXIN1Gen auf, die die Degradation von ßCatenin verhindern und zu ei ner Akkumulation von ßCatenin und konstitutiven Akti vierung der TCF4Zielgene führen. (nach H. Clevers, Nature Genet. 24:207, 2000) und X sowie Verluste in 4q, 6q, 8p, 16p, 16q und 17p (Abbildung 1) (4). Durch genomische MikroarrayAnaly sen an einem kommerziell erhältlichen cDNACHIP mit 57 Onkogenen iden tifizierten Takeo et al. (5) Amplifikatio nen der CCND1, FGF3/4, SAS/ CDK4, TERC, MET und MYCGe ne. Die parallel durchgeführte CGH zeigte einen Zugewinn der entspre chenden Chromosomenregionen. Innerhalb dieser Regionen ließ sich durch die MikroarrayAnalyse eine unterschiedlich starke Amplifikation einzelner Gene, z.B. von CCND1 und FGF3/4 in 11q13, nachweisen. Dies unterstreicht das höhere Auflösungs vermögen genomischer Microarrays im Vergleich zur CGH. Molekulargenetische Veränderungen P53 Durch Aflatoxine induzierte HCC zei gen gehäuft Punktmutationen im Co don 249 des P53Gens (1). P53 be wirkt u.a. eine Hemmung der Cyclin D1induzierten Zellzyklusprogression am Übergang von der G1 in die S Phase. Auch andere Komponenten dieses Signalwegs zeigen gehäuft Veränderungen in HCC. p16, ein Inhi bitor der Cyclinabhängigen Kinase CDK4, wird in HCC durch Punktmuta tionen, eine aberrante Methylierung oder durch Deletionen inaktiviert. Cy clin D1 wird in primären HCC und HCCZellinien häufig überexprimiert. Im transgenen Mausmodell konnte die Bedeutung der Cyclin D1Überex pression für die Karzinogenese des HCC bestätigt werden. In der Chromosomenregion 17p13, in der das P53Gen lokalisiert ist, treten gehäuft chromosomale Verluste auf. Es ist jedoch nicht geklärt, ob diese chromosomalen Verluste regelmäßig zu einer Inaktivierung des P53Gens führen. Als ein weiteres, in 17p13 lo kalisiertes Tumorsuppressorgen wur de vor kurzem das HCCS1Gen be schrieben (6). Es wird in HCC bialle lisch, durch sog. Loss of heterozygo zity auf dem einen Allel und durch Punktmutationen bzw. Methylierung auf dem anderen Allel, inaktiviert. WNTSignalweg In ca 80% der HCC lässt sich immun phänotypisch eine Überexpression von ßCatenin nachweisen. Mutatio nen im für ßCatenin kodierenden CTNNB1Gen treten deutlich seltener, in ca. 20% der HCC, auf. ßCatenin ist eine zentrale Komponente des WNTSignalwegs, der in der Embryo genese physiologischerweise an der Ausrichtung der Körperachse beteiligt ist: Nach Bindung des Wnt/ Wingless Liganden an den membranständigen Frizzled Rezeptor wird die Degrada tion von ßCatenin unterbunden, es transloziert in den Kern und verwan delt den transkriptionellen Repressor TCF4 in einen transkriptionellen Akti vator (Abb. 2). Die Degradation von ß Catenin wird durch einen Komplex aus APC, Axin und GSK vermittelt. Mutationen von CTNNB treten bevor zugt an Stellen auf, die für die Degra dation wichtig sind. Die Überexpres sion von ßCatenin kann in HCC auch durch inaktivierende Mutationen von AXIN1 hervorgerufen werden. Nach adenoviralem Gentransfer von Wild medgen 14 (2002) 153 Somatische Mutationen Abb 3 Histologisches Bild eines HCC in einer Leberbiopsie In der HEFärbung (a) eine geringe Unregelmäßigkeit der Zellkerne und eine leichte Verschiebung der Kern PlasmaRelation. In der Versilberung (b) eine beginnende Auflösung des Retikulinfasernetzes. Die Fluores zenzin situHybridisierung mit einer Zentromerspezifischen Sonde für das Chromosom 8 zeigt in den mei sten Zellen zusätzliche Signale. Durch Drehen am Feintrieb (c und d) sind die Signale in verschiedenen Fokus sierebenen sichtbar. typ AXIN1 wird das Tumorwachstum gehemmt und die Apoptose der Tu morzellen ausgelöst. JAKSTATSignalweg SOCS1 (alternativ JAB, SSI1) ist ein negativer Regulator des JAK/STAT Signalwegs und unterbricht die durch Zytokine vermittelte Signalweiterga be. In 65% der untersuchten primären HCC ließ sich eine aberrante Methy lierung von SOCS1 identifizieren (8). Sie führt zu einer konstitutiven Akti vierung von JAK2. Nach Transfektion von Wildtyp SOCS1 und durch den chemischen JAK2Inhibitor AG490 wurde in HCCZelllinien das Tumor wachstum gehemmt und die Apopto se induziert. Diagnostische Bedeutung zyto& genetischer und molekular& genetischer Veränderungen Obwohl die dargestellten zytogeneti schen Veränderungen mit hoher Re gelmäßigkeit beim HCC auftreten, sind sie nicht spezifisch für diese Tu morart. Vielmehr finden sich diese chromosomalen Imbalancen in wech selnder Kombinationen auch in zahl reichen anderen Tumoren. Unabhän gig davon können sie jedoch diagno stisch genutzt werden: Durch die in situHybridisierung an histologischen Schnitten oder an zytologischen Prä paraten lassen sich mehrere klonale numerische Chromosomenaberratio nen in HCC eindeutig nachweisen und schließen ein Adenom weitge hend aus (Abbildung 3). Besonders hilfreich ist die in situHybridisierung bei der histologisch oft schwierigen Abgrenzung des gut differenzierten 154 medgen 14 (2002) HCC von benignen Neoplasien wie dem hepatocellulären Adenom und reaktiven Läsionen (9). Prognostische Bedeutung zyto& genetischer und molekular& genetischer Veränderungen Bisher gibt es keine gesicherten Er kenntnisse über die prognostische Bedeutung zytogenetischer oder mo lekulargenetischer Veränderungen beim HCC. Weder für das histologi sche Grading noch für die Subtypi sierung in die pseudoglanduläre, tra bekuläre, scirrhöse und fibrolamellä re Variante ließen sich genetische Marker identifizieren. Allerdings zei gen HCC in nichtzirrhotischen Le bern eine höhere Zahl chromosoma ler Imbalancen als HCC in Zirrhosele bern (1). Zugewinne in 6p, 11q, 20q und X sollen mit der Tumorgröße, Ver luste von 13q und Zugewinne von 8q mit einer schlechten, Amplifikationen von 8q21 mit einer guten Differenzie rung assoziiert sein. Sowohl Überex pressionen von ßCatenin als auch Mutationen des CTNNB1Gens deu ten auf einen ungünstigen klinischen Verlauf hin. Diese Daten stammen aus retrospektiven Analysen und müssen im Rahmen prospektiver mul tizentrischer Studien überprüft wer den. Diskussion und Ausblick Zytogenetische und molekulargeneti sche Untersuchungen sind heute nur selten integraler Bestandteil der Dia gnostik des HCC. Lediglich die in situHybridisierung zum Nachweis klonaler Chromosomenaberrationen wird in schwierig abgrenzbaren Fällen zur Differentialdiagnostik zwischen hepatozellulären Adenomen und Kar zinomen herangezogen. In der letzten Zeit wurden Tumorsuppressorgene, die bei der Entwicklung von HCC eine Rolle spielen, entdeckt und Alteratio nen des G1/SCheckpoints, des WNT und des JAK/ STATSignalwegs als typische molekulare Veränderun gen des HCC identifiziert. Es gibt er ste Hinweise, dass diesen molekula ren Veränderungen prognostische Be deutung zukommt. Mithilfe der MicroarrayTechnik, die es ermöglicht, in einem Untersu chungsansatz die Expression tausen der von Genen zu analysieren, wur den mittlerweile viral und nichtviral induzierte HCC untersucht. Gene für den leberspezifischen Stoffwechsel und die LeberzellDifferenzierung, für die Apoptose und die Zellzyklusregu lation waren in ihrem Expressionnive au verändert. Interessanterweise unterscheiden sich durch Hepatitis B und durch Hepatitis CVirus induzier te HCC in ihrem Expressionsprofil (10). Die transkriptionell veränderten Gene sind in Chromosomenregionen lokalisiert, die in HCC häufig amplifi ziert oder deletiert sind, so dass Chromosomenaberrationen die verän derte Genexpression erklären könn ten. Mikroarray und Proteomanaly sen werden in nächster Zukunft einen neuen, umfassenden Einblick in die Karzinogenese der HCC geben. Es bleibt abzuwarten, ob neue genthera peutische Behandlungskonzepte, z.B. die adenovirale Transfektion von Axin1, oder die Gabe des JAK2Inhi Literatur 1. Ozturk M: p53 mutation in hepatocellular car cinoma after aflatoxin exposure. Lancet 338:13561359, 1991 Somatische Mutationen bitors AG490 klinische Anwendung finden werden. Korrespondenzadresse PD Dr. med. Ludwig Wilkens Prof. Dr. med. Brigitte Schlegelberger Institut für Zell und Molekularpathologie Medizinische Hochschule Hannover CarlNeubergStrasse 1 30625 Hannover, Germany Tel. +495115324517 Fax +495115324521 [email protected] 2. Bardi G, Johansson B, Pandis N, Heim S, Mandahl N, Andren SA, Hagerstrand I, Mitelman F: Cytogenetic findings in three primary hepato cellular carcinomas. Cancer Genet Cytogenet 58:191195, 1992 3. Boige V, LaurentPuig P, Fouchet P, Flejou JF, Monges G, Bedossa P, BioulacSage P, Capron F, Schmitz A, Olschwang S, Thomas G: Concer ted nonsyntenic allelic losses in hyperploid he patocellular carcinoma as determined by a high resolution allelotype. Cancer Res 57:19861990, 1997 4. 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