V Vorlesung Ringvorlesung Forschungs‐ und Anwendungsfelder der Klinischen Psychologie Anwendung experimenteller Paradigmen zur Erforschung psychischer Störungen II Trauma und Alkoholkonsum Ihre Dozent für heute Dr. rer. nat.. Sebastian Trautmann, Dipl.-Psych. Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie Falkenbrunnen, Raum 317 [email protected] Forschungsthemen: Auswirkungen von belastenden und traumatischen Ereignissen für Entstehung und Behandlung psychischer Störungen Zusammenhang zwischen belastenden Ereignissen und Substanzkonsum Folgen von militärischen Einsätzen für die psychische Gesundheit Schwerpunkte der heutigen Veranstaltung ZIEL 1 Einführung in die Rolle von belastenden Ereignissen bei der Entstehung von problematischem Alkoholkonsum ZIEL 2 Einführung in die Rolle von automatischen Prozessen („Attentional Bias“) bei der Entstehung von problematischem Alkoholkonsum ZIEL 3 Einblick in die Anwendung eines experimentellen Paradigmas zur Untersuchung des alkoholbezogenen Attentional Bias im Zusammenhang mit belastenden (traumatischen) Ereignissen Literatur Lehrbuch Klinische Psychologie und Psychotherapie Kapitel Alkoholmissbrauch und –abhängigkeit (Lindenmeyer, J.) Vertiefende Literatur: Keyes et al. (2012). Stress and Alcohol. Alcohol Research: Current Reviews, 34(4), 391-400. Lijffijt, M. et al. (2014). Stress Modulates Illness-Course of Substance Use Disorders: A Translational Review. Frontiers in Psychiatry, 5. Field, M. & Quigley, M. (2009). Mild stress increases attentional bias in social drinkers who drink to cope: A replication and extension. Experimental and Clinical Psychopharmacology, 17, 312-319. Al’Absi (2007). Stress and Addiction: Biological and Psychological Mechanisms. Academic Press. Gliederung 1.Hintergrund 2.Fragestellungen 3.Methodik 4.Erste Studienergebnisse 5.Zusammenfassung 5 Hintergrund • Nach Schätzungen der WHO sind 5.9% der globalen Krankheitslast auf den Konsum von Alkohol und illegalen Drogen zuzurück zu führen (WHO, 2009) • Exzessive Formen des Alkoholkonsums sind ursächlich mit einer Reihe von somatischen Erkrankungen (Kardiovaskuläre Erkrankungen, Leberzerrhose) und dem Auftreten von psychischen Störungen assoziiert • Diese sind für ein Drittel aller “Disability-adjusted life years (DALYs)” verantwortlich (Rehm et al., 2009) DALYs = “Sum of years of potential life lost due to premature mortality and the years of productive life lost due to disability” (WHO, 2010) 6 Hintergrund Störungen durch Alkoholkonsum (nach DSM-IV) • Alkoholmissbrauch • Alkoholabhängigkeit Kritische Konsummuster • Schädlicher Konsum nach ICD-10 (nachweisbare psychische • • oder körperliche Schäden, aber keine Abhängigkeit) Riskanter Konsum (12g Alc./Tag für Frauen, 24g Alc. /Tag für Männer) Binge Drinking (5 alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit) 7 Hintergrund Wittchen & Hoyer (2011) 8 Hintergrund • Entstehung von Störungen durch Substanzkonsum und kritischen Konsummustern ist komplex und abhängig von vielen Faktoren Risikofaktoren für Substanzkonsum und Störungen durch Substanzkonsum (nach Hasin & Keyes, 2011) 9 Hintergrund • Es gibt eine Vielzahl von stressreichen (belastenden) Ereignissen, die mit der Entstehung von Störungen durch Substanzkonsum assoziiert sein können Severity Mild Severe Life course Childhood Adulthood Chronicity Acute Chronic Expectedness Anticipated Unexpected Type of threat Emotional Physical Consequence of mental health status Likely Unlikely Dimensionen von belastenden Ereignissen (Keyes et al., 2011) 10 Hintergrund • Eine besonders schwere Form belastender Ereignisse stellen traumatische Ereignisse dar Traumatisches Ereignis nach DSM-IV A1 Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten A2 Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. 11 Hintergrund • Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Erleben traumatischer Ereignisse und Substanzkonsum/störungen (Chilcoat & Breslau, 1998; Jacobson et al., 2008) • Häufig wird eine ursächliche Rolle des Traumas mit der Entstehung psychischer Symptome (z.B. PTBS) als Mediator angenommen Selbstmedikationshypothese (Khantzian, 1997) 12 Hintergrund Die Selbstmedikationshypothese (Khantzian, 1997) Substanzkonsum stellt einen Versuch dar, Symptome psychischer Störungen selbst zu lindern. Dieser führt über negative Verstärkungsmechanismen zur Substanzstörung. Implizite Annahmen: 1. Substanzkonsum führt zu einer Linderung von Symptomen 2. Es gibt eine Passung von psychischen Symptomen und der Wirkung der konsumierten Substanz Beispiel: Eine Person mit Angst konsumiert Alkohol aufgrund des anxiolytischen Effekts von Alkohol 13 Hintergrund Unterstützung für die Selbstmedikationshypothese • Trauma geht häufig der Entstehung von Problemen mit Substanzkonsum voraus (Kilpatrick et al., 2000; Zimmermann et al., 2003) • Der Zusammenhang zwischen PTBS und inzidenten Substanzstörungen bleibt auch nach Kontrolle nach traumatischen Ereignissen bestehen (Reed et al., 2003) • Selbstmedikation wird häufig von Betroffenen berichtet (Leeies et al., 2010) 14 Hintergrund Kritik an der Selbstmedikationshypothese • Substanzkonsum führt nur unter bestimmten Bedingungen zu einer Reduktion der Symptome (Stevens et al., 2008) • Substanzkonsum kann auch zu einer Verstärkung der Symptome führen (Kushner, 2000) • Der Einfluss von zugrunde liegenden Faktoren wird nicht berücksichtigt (z.B. Gene) (Vanyukov et al., 2012) 15 Hintergrund Vanyukov et al. (2012) 16 Hintergrund Kritik an der Selbstmedikationshypothese • Substanzkonsum führt nur unter bestimmten Bedingungen zu einer Reduktion der Symptome (Stevens et al., 2008) • Substanzkonsum kann auch zu einer Verstärkung der Symptome führen (Kushner, 2000) • Der Einfluss von zugrunde liegenden Faktoren wird nicht berücksichtigt (z.B. Gene) (Vanyukov et al., 2012) Einbeziehung weiterer Prozesse nötig 17 Hintergrund HPA=hypothalamic-pituitary-adrenal, CRF=corticotropin releasing factor, ACTH=adrenocorticotropic hormone, SAM=sympathetic-adrenal-medullary Model, wie belastende Ereignisse sund substanzkonsum den Übergang von Substanzkonsum zu Substanzstörungen und Rückfall beeinflussen können (nach from Lijffijt et al., 2014) 18 1. Hintergrund Alkoholbezogener Attentional Bias (AB): • = Verzerrung der Aufmerksamkeit in Form einer gesteigerten Zuwendung hin zu Reizen, die mit Alkoholkonsum assoziiert sind (Field & Cox, 2008) • Wichtige Rolle des AB bei Entstehung und Aufrechterhaltung von Alkoholproblemen gut belegt • Erhöhtes Ausmaß von AB bei starken Trinkern im Vergleich zu Gelegenheitstrinkern (Sharma et al., 2001) • Ausmaß des AB sagt das Vorhandensein einer Abhängigkeit (Lusher et al., 2004) und die Trinkmenge vorher (Bruce & Jones, 2004) • Experimentell induzierter AB führt zu gesteigertem Craving und erhöhtem Alkoholkonsum (Field & Eastwood, 2005) • Verringerung des AB im Rahmen eines Trainings reduziert die Rückfallraten bei Alkoholabhängigen (Fadardi & Cox, 2009) Hintergrund Perception drug related stimulus Enhaced signaling of drug cues Increased drug related cognitions Increase dopaminergic activity Attentional bias Craving No attentional resources left for alternative cues Drug use and relapse Franken et al., 2003 Hintergrund HPA=hypothalamic-pituitary-adrenal, CRF=corticotropin releasing factor, ACTH=adrenocorticotropic hormone, SAM=sympathetic-adrenal-medullary Model, wie belastende Ereignisse sund substanzkonsum den Übergang von Substanzkonsum zu Substanzstörungen und Rückfall beeinflussen können (nach from Lijffijt et al., 2014) 21 Hintergrund Spanagel et al., 2014 22 Hintergrund Eine kurze Zusammenfassung • Das Erleben belastender (und traumatischer) Ereignisse ist mit dem Risiko für Substanzstörungen und kritische Konsummuster assoziiert • Neben der Selbstmedikation von psychischen Symptomen spielen bei der Vermittlung zwischen Stress und Substanzkonsum vermutlich neurobiologische Prozesse eine Rolle • Aktivierung der HPA Achse • Sensitivierung des Belohnungssystems und damit verbundener motivationaler Prozesse (Dopaminsystem) höhere Anreizwirkung substanzbezogener Reize Hintergrund Experimentelle Untersuchung zu Stress und AB: • Leichter Stressor führt bei gesunden Gelegenheitstrinkern im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zu alkoholbezogenem AB und zu einem Anstieg des Cravings Field & Quigley (2009) • Diese Effekte sind abhängig von den Trinkmotiven der Person (Coping-Motiv) Führt auch das Erleben traumatischer Ereignisse zu solchen Veränderungen? Hintergrund Trinkmotive: Verstärkungsmotive z.B. „weil es einfach Spaß macht“ Copingmotive z.B. „um deine Probleme zu vergessen“ soziale Motive z.B. „um kontaktfreudiger, offener zu sein“ Konformitätsmotive z.B. „um dich nicht ausgeschlossen zu fühlen“ Cooper, 1994; Kuntsche, 2007 Fragestellung 1. Führt das Erleben eines belastenden Ereignisses zu einem alkoholbezogenem AB? 2. Führt das Erleben eines belastenden Ereignisses zu einem Anstieg des Cravings? Darauf hin wurde eine Studie zur Untersuchung dieser Fragestellungen beantragt und durchgeführt Studienleitung: Sebastian Trautmann Kooperationspartner: Judith Schäfer (Institut für Klinische Psychologie, TU Dresden) Katharina Trikojat (Institut für Biopsychologie, TU Dresden) Jan Richter (Physiologische und Klinische Psychologie, Universität Greifswald) Methoden • • Randomisiertes Kontrollgruppendesign (n=49 pro Gruppe) Analogstudie • Einschlusskriterien: • Männer und Frauen von 18 bis 40 Jahren • Ausschlusskriterien • Lifetime: PTSD Diagnose, sexuelles/Gewalttrauma, psychotische Störung, Substanzabhängigkeit (ohne Nikotinabhängigkeit) • Letzte 12 Monate: irgendeine Psychische Störung (ohne Nikotinabhängigkeit) • Erkrankungen und Medikamente mit Auswirkungen auf das Glococorticoidsystem eingreifen • Abstinenz (Alkoholkonsum <1mal/Monat) Methoden Variablen: UV: Traumabedingung vs Kontrollgruppe AV: Alkoholbezogener AB Craving Weitere V: Trinkmotivation Emotionsregulation Trait- und State-Ängstlichkeit Depressivität Empathie Alkoholkonsum Befindlichkeit Traumatische Ereignisse in der Vorgeschichte Impulsivität Hautleitfähigkeit Herzrate Speichelcortisol 3. Methoden Online-Screening Fragebogenblock I Speichelprobe -10min Baselinemessung EDA Speichelprobe -1min Film „Trauma“ Film „Kontrolle“ Messung EDA+Herzrate Speichelprobe +1min Messung AB (Dot Probe) Speichelprobe +10min Fragebogenblock II Speichelprobe +20min Bilderrating Speichelprobe +30min 3. Methoden Dot Probe Paradigma: Fixation cross (500ms) Pictures (500ms) Response + Zeit In Echtzeit sieht das so aus… + + + + + + + + 3. Methoden Filmparadigma: • Probanden in der „Trauma-Gruppe“ sehen eine 15-minütigen Filmsequenz, die realistisch eine brutale Vergewaltigungsszene darstellt (Irreversible, 2002) • Filmsequenz löst bei Probanden zuverlässig eine autonome Stressreaktion (erhöhte Herzrate und EDA) sowie subjektive Belastung aus und kann vorübergehend PTSD-ähnliche Symptome wie Intrusionen hervorrufen (Weidmann et al., 2009) • Kontrollbedingung: • Bauanleitung (Hornbach Baumarkt AG) • Film wurde anhand der gleichen Dimensionen wie in Weidmann et al., 2009 geratet und erwies sich als Kontrollfilm geeignet 3. Methoden Kontrollfilm 4. erste Ergebnisse Stichprobe n=3 Probanden aufgrund hoher Fehlerraten vorläufig ausgeschlossen • N=95 Studenten (Schulabschluss mind. Abitur) • Versuchsgruppe • • n=47, 55.3% Frauen, Alter: MW=24.5 (SD=4.2) Kontrollgruppe • N=48, 54.2% Frauen, Alter: MW=22.9 (SD=3.4) 4. erste Ergebnisse Stichprobe Baseline sample characteristics Trauma group (n=47) Control group (n=48) Mean SD Mean SD P value STAI-T STAI-S BDI DERS 36.6 34.9 4.4 73.4 9.0 6.9 4.1 17.2 35.6 32.2 4.9 69.2 8.4 9.2 5.2 14.6 0.776 0.075 0.934 0.223 AUDIT Alcohol consumption (g)* DMQ-R coping ACQ-R 7.2 67.2 7.6 42.0 4.3 44.3 2.5 11.8 7.0 79.7 7.6 43.9 3.9 51.8 3.0 17.2 0.859 0.488 0.913 0.832 *Alcohol consumption per drinking occasion 4. erste Ergebnisse Stichprobe Baseline sample characteristics Trauma group (n=47) Control group (n=48) Mean SD Mean SD P value STAI-T STAI-S BDI DERS 36.6 34.9 4.4 73.4 9.0 6.9 4.1 17.2 35.6 32.2 4.9 69.2 8.4 9.2 5.2 14.6 0.776 0.075 0.934 0.223 AUDIT Alcohol consumption (g)* DMQ-R coping ACQ-R 7.2 67.2 7.6 42.0 4.3 44.3 2.5 11.8 7.0 79.7 7.6 43.9 3.9 51.8 3.0 17.2 0.859 0.488 0.913 0.832 *Alcohol consumption per drinking occasion 4. erste Ergebnisse Treatment check 40 60 Trauma 35 p<0.001* 30 Control 50 25 40 20 30 15 p<0.001* 20 10 10 5 0 0 MDBF mood Pre MDBF mood Post *Interaktion Gruppe-Zeit in random effects Regression STAI-S Pre STAI-S Post Reineboth & Mundhenke (2014) 4. erste Ergebnisse Herzrate (bpm) 90 Control Trauma 85 80 75 70 65 Zeit 4. erste Ergebnisse Craving Wenig traumatische Ereignisse 60.0 55.0 50.0 Gesamt SP p=0.047* 45.0 60.0 40.0 Control Trauma 55.0 p=0.011* 50.0 35.0 30.0 ACQ-R Pre ACQ-R Post 45.0 Viele traumatische Ereignisse 40.0 60.0 35.0 55.0 p=0.035* 50.0 30.0 ACQ-R Pre ACQ-R Post 45.0 40.0 35.0 *Interaktion Gruppe-Zeit in random effects Regression 30.0 ACQ-R Pre ACQ-R Post 4. erste Ergebnisse Craving Wenig traumatische Ereignisse 60.0 55.0 50.0 Gesamt SP p=0.047* 45.0 60.0 40.0 Control Trauma 55.0 p=0.011* 50.0 35.0 30.0 ACQ-R Pre ACQ-R Post 45.0 Viele traumatische Ereignisse 40.0 60.0 35.0 55.0 p=0.035* 50.0 30.0 ACQ-R Pre ACQ-R Post 45.0 40.0 35.0 *Interaktion Gruppe-Zeit in random effects Regression 30.0 ACQ-R Pre ACQ-R Post Attentional bias Bias in ms 25 ** 20 Control Trauma ** 15 Befunde sind unabhängig vom Trinkmotiv und der Anzahl vorangegangener traumatischer Ereignisse 10 5 0 -5 -10 -15 Low drinking ** p<0.01 High drinking = AUDIT score greater than 6 High drinking 5. Zusammenfassung • Das Trauma-Film Paradigma löst sowohl subjektiv als auch physiologisch eine Stressreaktion aus • Das Beobachten eines Traumas führt zu einem Anstieg des Cravings – vor allem bei Probanden mit potenziell traumatischen Ereignissen in der Vorgeschichte • Personen mit niedrigem Alkoholkonsum zeigen einen Anstieg im AB hin zu alkoholbezogenen Stimuli • Entgegen den Erwartungen findet sich bei Probanden mit höherem Alkoholkonsum eine Abwendung von alkoholbezogenen Stimuli nach Beobachten eines Traumas ? Konfundierung mit „Inhibition of Return“-Effekt bei salienten Stimuli Das sollten Sie dazu wissen… Was sind wichtige Konsummuster und Störungen (DSM-IV) im Zusammenhang mit Alkohol? Wie erklärt man sich den Zusammenhang zwischen belastenden Ereignissen und Substanzkonsum? Was sind wichtige Befunde und Modelle zur Rolle des Attentional Bias bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Alkoholproblemen? Wie kann man den Einfluss von belastenden Ereignissen auf einen alkoholbezogenen Attentional Bias untersuchen? Und das nächste mal… Einführung in die Rolle von belastenden Ereignissen bei der Entstehung von problematischem Alkoholkonsum Einführung in die Rolle von automatischen Prozessen („Attentional Bias“) bei der Entstehung von problematischem Alkoholkonsum Einblick in die Anwendung eines experimentellen Paradigmas zur Untersuchung des alkoholbezogenen Attentional Bias im Zusammenhang mit belastenden (traumatischen) Ereignissen