Günter Bärwolff Höhere Mathematik für Naturwissenschaftler und

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Günter Bärwolff
Höhere Mathematik
für Naturwissenschaftler und Ingenieure
unter Mitarbeit von
Gottfried Seifert
28. September 2007
Vorwort
In dem vorliegenden Buch sind zum einen langjährige Erfahrungen bei der projektorientierten Zusammenarbeit zwischen Mathematikern, Physikern und Ingenieuren in interdisziplinären Arbeitsgruppen zur Lösung angewandter mathematischer Aufgaben, zum anderen die Erfahrungen bei der mathematischen
Grundausbildung von Ingenieurstudenten an der Technischen Universität Berlin zusammengeflossen. Dabei konnten wesentliche Vorstellungen der Kollegen
D. Ferus, R.D. Grigorieff, D. Krüger, K. Kutzler und H. Bausch, die ich in den
vergangenen 10 Jahren auch in meinen Vorlesungen verwendet habe, dankenswerterweise genutzt werden.
Dieses Lehrbuch hat zum Ziel, in einem Band die mathematischen Inhalte zu behandeln, die üblicherweise im Grundstudium der Ingenieure und Physiker vermittelt werden. Da somit in einem Band ein sehr breites Spektrum zu bearbeiten war, haben wir uns speziell bei den Themen ”Funktionentheorie”, ”Partielle
Differentialgleichungen”, ”Integraltransformationen” und ”Variationsrechnung
und Optimierung” nur auf Grundlagen konzentriert, die in der Mathematikausbildung von Ingenieuren an der Technischen Universität Berlin seitens der Ingenieurfakultäten für wichtig erachtet wurden. Der Inhalt des Buches bildet die
Mathematikkurse weitestgehend ab, die an der Technischen Universität Berlin im
Ingenieurgrundstudium vermittelt werden.
Auf Vorschlag einiger in der Mathematikausbildung von Ingenieuren tätigen Fachkollegen anderer Universitäten wurde der ursprünglich vorgesehene Rahmen
um Kapitel zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik beträchtlich erweitert.
Diese beiden Kapitel wurden im Wesentlichen von meinem langjährigen Kollegen G. Seifert geschrieben, der durch kritische Hinweise und Verbesserungsvorschläge auch an Teilen des übrigen Textes mitgewirkt hat.
Um das Buch lesbar zu gestalten, war es nicht immer möglich, nur Begriffe zu
verwenden, die schon ausführlich besprochen und definiert sind. Gemeint ist damit, dass man z.B. reelle Zahlen verwendet, ehe man in einem Abschnitt den
Begriff der reellen Zahl mathematisch definiert, um z.B. binomische Formeln zur
Berechnung von (a + b)n im Abschnitt über natürliche Zahlen überhaupt behandeln zu können. Ein anderes Beispiel sei hier mit dem Vektorbegriff genannt, der
in dem Sinne verwendet wird, wie er im Physikunterricht in der Schule eingeführt wurde, um wichtige Ungleichungen oder Operationen mit komplexen Zahlen graphisch darzustellen. Später werden dann die Vektoren als gerichtete Pfeile
einer bestimmten Länge als Elemente spezieller abstrakter Vektorräume behandelt. Wir waren bestrebt, die aus Darstellungs- und Lesbarkeitsgründen vorab
verwendeten Begriffe in den betreffenden thematischen Abschnitten zu definieren.
Das Buch soll einerseits Studierenden der Ingenieur- und Naturwissenschaften
bei der Mathematikausbildung an der Universität oder Fachhochschule ein nütz-
VI
Vorwort
licher Begleiter sein, andererseits aber auch dem in der Praxis tätigen Ingenieur
oder Physiker als Nachschlagewerk dienen. Neben Ingenieuren und Naturwissenschaftlern richtet sich das Buch durch das breite Themenspektrum bis hin zur
nichtlinearen Optimierung und Wahrscheinlichkeitsrechnung/Statistik auch an
Techno- und Wirtschaftsmathematiker oder Betriebs- und Volkswirte, die an einer fundierten mathematischen Ausbildung als Grundlage für eine seriöse Unternehmensführung interessiert sind. Bei der Vermittlung der mathematischen Inhalte spielt der Aspekt der praktischen Nutzung der dargelegten Methoden und
Instrumente eine wesentliche Rolle. Allerdings kann es mit diesem Buch nicht
nur darum gehen, Studierende, die schnell und ”irgendwie” ihren Mathematikkurs überstehen wollen, anzusprechen. Das Buch richtet sich vor allem an Leute,
die an Mathematik und am Verständnis von Inhalten interessiert sind. Deshalb
wird im Rahmen der Möglichkeiten von 870 Seiten eine weitestgehend stimmige Darstellung der angesprochenen Themen angestrebt. Will man das erreichen,
müssen auch recht theoretisch anmutende Themen wie z.B. die Eigenschaften
von Funktionenreihen oder die Eigenschaften von Determinanten und Matrizen
in der linearen Algebra diskutiert werden. Beweise von Sätzen und Formeln führen wir in der Regel dort, wo es um das Erlernen von Beweistechniken geht, oder
wo mit den Beweisen durch konstruktive Methoden das Verständnis von Inhalten gefördert oder die mathematische Allgemeinbildung erweitert wird. Die Voraussetzungen von Sätzen und mathematischen Aussagen werden nicht immer in
der schärfstmöglichen Form angegeben. Als Beispiel sei etwa die Forderung der
stetigen Differenzierbarkeit einer Funktion genannt, deren Ableitung eigentlich
nur integrierbar sein muss, weil sie in einem Integralausdruck verwendet wird.
Hier wurde die Stetigkeit der Ableitung gefordert, obwohl die schwächere Forderung der Integrierbarkeit ausgereicht hätte. Allerdings haben für die Anwendung relevante Funktionen in der Regel stetige Ableitungen, so dass die stärkere
Voraussetzung dann meist erfüllt ist.
Im Anhang werden in einer kompakten Sammlung wichtige Formeln zu den einzelnen Kapiteln zusammengefasst. Da die Lösungen der in jedem Kapitel gestellten Aufgaben recht ausführlich dargestellt werden, werden sie aus Platzgründen
zum Download im Internet auf www.elsevier.de als pdf- und als ps-Datei angeboten.
Für an vertiefender Literatur und an lückenlosen Nachweisen interessierte Leser werden im Anhang zu den einzelnen Kapiteln mathematische Monographien
angegeben.
Herrn Dr. Andreas Rüdinger als verantwortlichen Lektor von Elsevier – Spektrum Akademischer Verlag möchte ich zum einen für die Anregung zu diesem
Lehrbuch und zum anderen für die problemlose Zusammenarbeit von der Vertragsentstehung bis zum fertigen Buch meinen Dank aussprechen. Insbesondere
in der Endphase der Fertigstellung des Manuskripts war die unkomplizierte Zusammenarbeit mit Frau Barbara Lühker von Elsevier – Spektrum Akademischer
Verlag hilfreich.
Zu guter letzt möchte ich Frau Gabriele Graichen, die die vielen Grafiken auf dem
Computer erstellt hat, für die effiziente Zusammenarbeit herzlich danken, ohne
die das Buch nicht möglich gewesen wäre.
Berlin, August 2004
Günter Bärwolff
Vorwort
VII
Vorwort zur 2. Auflage
Den Vorschlägen von Fachkolleginnen und -kollegen folgend, wird die 2. Auflage
um zwei Themengebiete ergänzt. Einmal wird das Kapitel ”Gewöhnliche Differentialgleichungen” um einen Abschnitt zu Zweipunkt-Randwertproblemen und
Rand-Eigenwertproblemen erweitert. Des Weiteren wurde ein Kapitel zur Thematik ”Tensorrechnung” hinzugefügt. Das Kapitel ”Partielle Differentialgleichungen” wurde auch mit Bezug auf den neuen Abschnitt zu Randwertproblemen
durch meinen Kollegen Gottfried Seifert umfassend überarbeitet. Die Formelsammlung wurde entsprechend ergänzt. Die sorgfältige Durchsicht der 1. Auflage, die
sich daraus ergebende Überarbeitung durch G. Seifert und die Aufbereitung vorhandener sowie die Erzeugung neuer Grafiken durch Frau Gabriele Graichen haben dem Buch zweifellos sehr gut getan. Ebenso ausgesprochen dankbar bin ich
Frau B. Lühker und Herrn Dr. A. Rüdinger von Elsevier – Spektrum Akademischer Verlag für das akribische Lesen des Manuskripts, speziell der neu hinzugekommenen Themen, und die klugen Hinweise. Besonders bei der indexträchtigen Tensorrechnung hat das zur rechtzeitigen Korrektur einer Reihe von Flüchtigkeitsschreibfehlern beigetragen.
Außerdem wurden selbstverständlich berechtigte Hinweise von Lesern berücksichtigt, insbesondere ein wesentlich umfangreicherer Index erstellt, und das Erratum der 1. Auflage eingearbeitet.
Berlin, November 2005
Günter Bärwolff
Inhaltsverzeichnis
1
Grundlagen
1.1 Logische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Grundlagen der Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4 Die natürlichen Zahlen und die vollständige Induktion
1.5 Ganze, rationale und reelle Zahlen . . . . . . . . . . . .
1.6 Ungleichungen und Beträge . . . . . . . . . . . . . . . .
1.7 Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.8 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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177
181
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3 Reihen
3.1 Zahlenreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Funktionenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Gleichmäßig konvergente Reihen . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Operationen mit Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.6 Komplexe Potenzreihen, Reihen von exp x, sin x und cos x
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211
2 Analysis von Funktionen einer Veränderlichen
2.1 Begriff der Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . .
2.3 Elementare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Grenzwert und Stetigkeit von Funktionen . . . . . . .
2.5 Eigenschaften stetiger Funktionen . . . . . . . . . . .
2.6 Differenzierbarkeit von Funktionen . . . . . . . . . . .
2.7 Lineare Approximation und Differential . . . . . . . .
2.8 Eigenschaften differenzierbarer Funktionen . . . . . .
2.9 TAYLOR-Formel und der Satz von TAYLOR . . . . . . .
2.10 Extremalprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.11 BANACHscher Fixpunktsatz und NEWTON-Verfahren
2.12 Kurven im R2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.13 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.14 Volumen und Oberfläche von Rotationskörpern . . .
2.15 Parameterintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.16 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.17 Numerische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.18 Interpolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.19 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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X
INHALTSVERZEICHNIS
3.7
3.8
3.9
3.10
Numerische Integralberechnung mit Potenzreihen
Konstruktion von Reihen . . . . . . . . . . . . . . .
FOURIER-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Lineare Algebra
4.1 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 CRAMERsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4 Lineare Gleichungssysteme und deren Lösung . . . . .
4.5 Allgemeine Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.6 Orthogonalisierungsverfahren nach ERHARD SCHMIDT
4.7 Eigenwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.8 Vektorrechnung im R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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366
5 Analysis im Rn
5.1 Eigenschaften von Punktmengen aus dem Rn . . . . . .
5.2 Abbildungen und Funktionen mehrerer Veränderlicher
5.3 Kurven im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4 Stetigkeit von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5 Partielle Ableitung einer Funktion . . . . . . . . . . . .
5.6 Ableitungsmatrix und HESSE-Matrix . . . . . . . . . . .
5.7 Differenzierbarkeit von Abbildungen . . . . . . . . . .
5.8 Differentiationsregeln und die Richtungsableitung . . .
5.9 Lineare Approximation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.10 Totales Differential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.11 TAYLOR-Formel und Mittelwertsatz . . . . . . . . . . .
5.12 Satz über implizite Funktionen . . . . . . . . . . . . . .
5.13 Extremalaufgaben ohne Nebenbedingungen . . . . . .
5.14 Extremalaufgaben mit Nebenbedingungen . . . . . . .
5.15 Ausgleichsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.16 NEWTON-Verfahren für Gleichungssysteme . . . . . . .
5.17 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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395
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400
402
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414
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423
425
6 Gewöhnliche Differentialgleichungen
6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Allgemeine Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3 Allgemeines zu Differentialgleichungen erster Ordnung . . . . .
6.4 Differentialgleichungen erster Ordnung mit trennbaren Variablen
6.5 Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung . . . . . . . . . .
6.6 Durch Transformationen lösbare Differentialgleichungen . . . . .
6.7 Lineare Differentialgleichungssysteme erster Ordnung . . . . . .
6.8 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung . . . . . . . . . . .
6.9 Anmerkungen zum ”Rechnen” mit Differentialgleichungen . . .
6.10 Numerische Lösungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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483
486
XI
INHALTSVERZEICHNIS
6.11
6.12
6.13
6.14
6.15
Potenzreihen zur Lösung von Differentialgleichungen . .
BESSELsche und LEGENDREsche Differentialgleichungen .
Rand- und Eigenwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . .
Nichtlineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . .
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 Vektoranalysis und Kurvenintegrale
7.1 Die grundlegenden Operatoren der Vektoranalysis
7.2 Rechenregeln und Eigenschaften der Operatoren
der Vektoranalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3 Potential und Potentialfeld . . . . . . . . . . . . . .
7.4 Skalare Kurvenintegrale . . . . . . . . . . . . . . .
7.5 Vektorielles Kurvenintegral – Arbeitsintegral . . .
7.6 Stammfunktion eines Gradientenfeldes . . . . . .
7.7 Berechnungsmethoden für Stammfunktionen . . .
7.8 Vektorpotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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565
8 Flächenintegrale, Volumenintegrale und Integralsätze
567
8.1 Flächeninhalt ebener Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
8.2 RIEMANNsches Flächenintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
8.3 Flächenintegralberechnung durch Umwandlung in Doppelintegrale 573
8.4 Satz von GREEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
8.5 Transformationsformel für Flächenintegrale . . . . . . . . . . . . . . 584
8.6 Integration über Oberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
8.7 Satz von STOKES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
8.8 Volumenintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
8.9 Transformationsformel für Volumenintegrale . . . . . . . . . . . . . 617
8.10 Satz von GAUSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
8.11 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
9 Partielle Differentialgleichungen
9.1 Was ist eine partielle Differentialgleichung? . . . . . . . . . . . .
9.2 Partielle Differentialgleichungen 2. Ordnung . . . . . . . . . . .
9.3 Beispiele von partiellen Differentialgleichungen aus der Physik
9.4 Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.5 Wärmeleitungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.6 Potentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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634
635
638
641
673
681
688
10 Funktionentheorie
10.1 Komplexe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.2 Differentiation komplexer Funktionen . . . . . . . .
10.3 Elementare komplexe Funktionen und Potenzreihen
10.4 Konforme Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . .
10.5 Integration komplexer Funktionen . . . . . . . . . .
10.6 Reihenentwicklungen komplexer Funktionen . . . .
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701
705
714
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XII
INHALTSVERZEICHNIS
10.7 Behandlung von Singularitäten und der Residuensatz . .
10.8 Berechnung von Integralen mit Hilfe des Residuensatzes
10.9 Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.10Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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722
728
733
11 Integraltransformationen
11.1 Definition von Integraltransformationen . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2 FOURIER-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.3 Umkehrung der FOURIER-Transformation . . . . . . . . . . . . . . .
11.4 Eigenschaften der FOURIER-Transformation . . . . . . . . . . . . . .
11.5 Anwendung der FOURIER-Transformation auf partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.6 LAPLACE-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.7 Inverse LAPLACE-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.8 Rechenregeln der LAPLACE-Transformation . . . . . . . . . . . . . .
11.9 Praktische Arbeit mit der LAPLACE-Transformation und der Rücktransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.10 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
735
736
738
743
744
762
769
12 Variationsrechnung und Optimierung
12.1 Einige mathematische Grundlagen . . . . . . . . . .
12.2 Funktionale auf BANACH-Räumen . . . . . . . . . .
12.3 Variationsprobleme auf linearen Mannigfaltigkeiten
12.4 Klassische Variationsrechnung . . . . . . . . . . . .
12.5 Einige Variationsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . .
12.6 Natürliche Randbedingungen und Transversalität .
12.7 Isoperimetrische Variationsprobleme . . . . . . . . .
12.8 Funktionale mit mehreren Veränderlichen . . . . . .
12.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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772
775
787
792
795
802
805
807
808
13 Elemente der Tensorrechnung
13.1 Tensoralgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.2 Tensoranalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.3 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
809
810
825
836
14 Wahrscheinlichkeitsrechnung
14.1 Zufällige Ereignisse . . . . . . . . . . . .
14.2 Wahrscheinlichkeit zufälliger Ereignisse
14.3 Zufallsgrößen . . . . . . . . . . . . . . .
14.4 Zufällige Vektoren . . . . . . . . . . . .
14.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . .
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840
846
855
871
897
15 Statistik
15.1 Stichproben . . . .
15.2 Punktschätzung . .
15.3 Intervallschätzung
15.4 Statistische Tests . .
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909
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746
748
751
755
INHALTSVERZEICHNIS
XIII
15.5 Korrelations- und Regressionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 932
15.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 942
A Formelkompendium
945
B Literaturhinweise
959
1 Grundlagen
In dem vorliegenden Kapitel werden Prinzipien dargestellt, die in den weiteren
Kapiteln als wichtiges Instrumentarium Verwendung finden. Dabei werden aus
der Schule bekannte Rechenregeln mit Zahlen und Gleichungen, induktives und
deduktives Herleiten von Formeln und Aussagen wiederholt, sowie die mathematische Beschreibung der Abhängigkeit bestimmter Variablen von Eingangsgrößen als Funktionen bzw. Abbildungen behandelt.
Natürliche, ganze, rationale und reelle Zahlen und ihre Bedeutung für die Lösung von Gleichungen werden dargestellt. Unverzichtbar in einem Grundlagenkapitel sind die komplexen Zahlen, die in fast allen Bereichen der angewandten
Mathematik benötigt werden. Der Fundamentalsatz der Algebra liefert Darstellungsformen von Polynomen, die grundlegende Aussagen über die Nullstellen
dieser wichtigen elementaren Funktionen gestatten.
Übersicht
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
1.7
1.8
Logische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundlagen der Mengenlehre . . . . . . . . . . . . .
Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die natürlichen Zahlen und die vollständige Induktion
Ganze, rationale und reelle Zahlen . . . . . . . . . .
Ungleichungen und Beträge . . . . . . . . . . . . . .
Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2
8
15
16
22
27
36
54
2
Kapitel 1: Grundlagen
1.1 Logische Grundlagen
Im Folgenden sollen die wichtigsten Begriffe der Aussagen- und Prädikatenlogik erläutert werden. Dabei geht es um Aussagen, Aussageformen, logische Ausdrücke. Diese werden benutzt, um mathematische Sachverhalte zu beschreiben,
z.B. einen mathematischen Satz, bei dem aus einer Voraussetzung A eine Behauptung B folgt. Bedeutet die Voraussetzung A, dass die Zahl b größer oder gleich
Null ist, dann ist die Behauptung B, dass die Gleichung x2 − b = 0 reelle Lösungen besitzt, richtig.
1.1.1
Aussagen und Aussageformen
Die Mathematik präsentiert sich in Aussagen, z.B.
A := ”625 ist durch 5, 25 und 125 teilbar”,
B := ”x2 + 1 = 0 hat keine reelle Lösung”,
C := ”Die Punkte P1 = (1,2), P2 = (2,4) und P3 = (5,5)
liegen auf einer Geraden,”
wobei A := B bedeutet, dass A durch B definiert wird. Aussagen sind dadurch
gekennzeichnet, dass man in der Regel in der Lage ist, klar zu entscheiden, ob sie
wahr oder falsch sind. Wenn wir mit ω(A), ω(B), ω(C) den jeweiligen Wahrheitswert (W für eine wahre Aussage und F für eine falsche Aussage) der Aussagen
A, B, C bezeichnen, erhält man sofort
ω(A) = W,
ω(B) = W
und im Ergebnis einer kleinen Skizze (Abb. 1.1) ω(C) = F . Hier wollen wir unter
ω(A) = W verstehen, dass durch ω der Aussage A der Wert W zugeordnet wird.
Entsprechend bezeichnen wir mit ω(A) = F die Zuordnung des Wertes F durch
ω für die Aussage A.
Wir postulieren:
Eine Aussage kann entweder wahr oder falsch sein - ein Drittes gibt es nicht.
Dieses Postulat bezeichnet man auch als ”Satz vom ausgeschlossenen Dritten”,
und damit arbeiten wir mit der klassischen zweiwertigen Logik. Wir definieren
nun den Begriff der Aussageform.
Definition 1.1. (Aussageform)
Eine Aussageform ist ein Satz, der eine oder mehrere Variable enthält und der
nach dem Ersetzen der Variablen durch konkrete Werte in eine Aussage übergeht.
Im Falle einer Variablen x verwenden wir die Schreibweise A(x) für eine Aussageform, z.B.
3
1.1 Logische Grundlagen
5
P3
P2
4
3
2
P1
1
1
2
3
4
5
Abb. 1.1. Geometrischer Beweis von ω(C) = F
A(x) := ”P1 = (1,2), P2 = (2,4) und P3 = (5, x) liegen auf einer Geraden”,
bzw. im Falle zweier Variablen x, y die Schreibweise B(x, y), z.B.
B(x, y) := ”x = 5y”.
Man sieht nun sofort, dass
A(10) wahr ist,
also
ω(A(10)) = W ,
und dass auch
B(25,5) wahr ist,
also
ω(B(25,5)) = W .
A(8) falsch,
also
ω(A(8)) = F ,
B(1,1) falsch,
also
ω(B(1,1)) = F .
Weiter ist z.B.
1.1.2
und auch
Logische Operationen und Aussagenverbindungen
Oft stehen Aussagen nicht allein, sondern eine interessierende Aussage ergibt
sich erst durch Verknüpfung anderer Aussagen mittels logischer Operationen.
Von dieser ”zusammengesetzten” Aussage ist dann zu prüfen, ob sie wahr oder
falsch ist.
Logische Operationen sind Operationen, die auf Aussagen angewandt neue
Aussagen bzw. Aussagenverbindungen erzeugen.
a) Negation
Die Negation einer Aussage A, bezeichnet durch
A
oder ¬A
(gesprochen: ”nicht A”),
ist eine Aussage, für die gilt:
4
Kapitel 1: Grundlagen
ω(A) = F ,
wenn ω(A) = W
ist,
ω(A) = W ,
wenn ω(A) = F
ist.
Wenn A beispielsweise die Aussage
A := ”25 ist eine Quadratzahl”
ist, und damit ω(A) = W gilt, so ist A die Aussage
A := ”25 ist keine Quadratzahl”,
was ja bekanntlich nicht richtig ist, so dass sich ω(A) = F ergibt.
b) Konjunktion
Die Konjunktion der Aussagen A und B bezeichnen wir durch
(gesprochen: ”A und B”),
A∧B
und verstehen darunter eine Aussage, die genau dann wahr ist, wenn sowohl A
als auch B wahr sind, d.h.
ω(A ∧ B) = W genau dann, wenn ω(A) = W und ω(B) = W ist.
Die Konjunktion A ∧ B der Aussagen
A := ”Politiker sagen immer die Wahrheit” und
B := ”alle Studenten haben mindestens eine 2 als Abiturabschluss”
ist auf jeden Fall falsch, also gilt ω(A ∧ B) = F , da ω(A) = F , unabhängig davon,
ob B zutrifft oder nicht.
Ein Beispiel für eine Konjunktion ist eine Reihenschaltung zweier Schalter, wobei nur dann Strom fließt, wenn beide Schalter geschlossen sind. Wir definieren
3 Aussagen A, B, C, und zwar sei A die Aussage, dass Schalter 2 geschlossen
ist, B die Aussage, dass Schalter 3 geschlossen ist, und C sei die Aussage, dass
zwischen den Knoten 1 und 4 Strom fließen kann.
1
2
3
Abb. 1.2. Reihenschaltung als Beispiel für die Konjunktion
ω(A) =
W
F
Schalter 2 geschlossen
Schalter 2 offen
ω(B) =
W
F
Schalter 3 geschlossen
Schalter 3 offen
4
5
1.1 Logische Grundlagen
ω(C) =
W
F
Leitung zwischen 1 und 4 geschlossen
.
Leitung zwischen 1 und 4 unterbrochen
Damit gilt C genau dann, wenn A und B gelten, also ist C = A ∧ B.
c) Alternative
Die Alternative der Aussagen A und B bezeichnen wir mit
A∨B
(gesprochen: ”A oder B”),
und verstehen darunter eine Aussage, die genau dann wahr ist, wenn mindestens
eine der beiden Aussagen A, B wahr ist:
ω(A ∨ B) = F genau dann, wenn ω(A) = F und ω(B) = F ist.
2
1
4
3
Abb. 1.3. Parallelschaltung als Beispiel für die Alternative, A, B, C wie oben definiert
Eine technische Realisierung der Alternative wäre eine Parallelschaltung zweier
Schalter, so dass nur dann kein Strom fließt, wenn beide Schalter geöffnet sind
(siehe dazu Abb. 1.3). Haben A, B, C dieselbe Bedeutung wie in Abb. 1.2, so gilt
jetzt C genau dann, wenn A oder B gilt (oder beide), also ist C = A ∨ B.
d) Implikation
Die Implikation der Aussagen A und B wird mit
A =⇒ B
(gesprochen: ”aus A folgt B”)
bezeichnet. Sie ist genau dann falsch, wenn aus einer wahren Voraussetzung (A)
eine falsche Schlussfolgerung (B) gezogen wird, d.h.
ω(A =⇒ B) = F genau dann, wenn ω(A) = W und ω(B) = F .
Hierzu ist anzumerken, dass man in der Mathematik bei korrekten Schlussfolgerungen aus einer falschen Voraussetzung sowohl falsche, als auch wahre Aussagen herleiten kann. Zum Beispiel ist der Satz
”Wenn 7 durch 3 teilbar ist, dann ist 2 · 7 durch 3 teilbar”
wahr (denn 7 ist ja nicht durch 3 teilbar).
6
Kapitel 1: Grundlagen
e) Äquivalenz
Die Äquivalenz zweier Aussagen A und B wird mit
A ⇐⇒ B
oder A ≡ B (gesprochen ”A gilt genau dann, wenn B gilt”,
oder ”A ist äquivalent zu B”)
bezeichnet und ist definiert durch
ω(A ⇐⇒ B) = W genau dann,
wenn A, B den gleichen Wahrheitswert haben.
Als Beispiel betrachten wir die Aussageformen A(a) :=”a=0” und B(b) :=”b=0”
und erhalten für die Aussagenverbindung A(0) ⇐⇒ B(1)
ω(A(0) ⇐⇒ B(1)) = F ,
da ω(A(0)) = W und ω(B(1)) = F gilt, also sind die Aussagen A(0) und B(1)
nicht äquivalent. Äquivalent sind hingegen die Aussagen
A := ”mindestens eine der Zahlen x, y ist gleich 0” und
B := ”xy = 0”.
Es gilt ω(A ⇐⇒ B) = W .
f) Wahrheitswerttabellen
Für die besprochenen Aussagen bzw. Aussagenverbindungen ergibt sich die folgende Wahrheitswerttabelle:
A
A
A
B
A∧B
A∨B
A =⇒ B
A ⇐⇒ B
W
F
F
W
W
W
F
F
W
F
W
F
W
F
F
F
W
W
W
F
W
F
W
W
W
F
F
W
Die Operationssymbole ¬ (bzw. (·)), ∨, ∧, =⇒, ⇐⇒ nennt man Funktoren oder
auch Junktoren. Bei komplizierteren Aussagenverbindungen stellt man zur Entscheidung, ob die Aussage in Abhängigkeit von den Wahrheitswerten der beteiligten Aussagen und Aussagenverbindungen zutrifft oder nicht, die Wahrheitswerttabelle für die gesamte Aussagenverbindung und deren Bestandteile auf.
Dies wollen wir exemplarisch für die Aussagenverbindung
C := (A ∧ (B =⇒ A)) =⇒ B
tun. Die sorgfältige Betrachtung der einzelnen Bestandteile von C ergibt die Wahrheitswerttabelle
7
1.1 Logische Grundlagen
A
B
A
B
B =⇒ A
A ∧ (B =⇒ A)
C
W
W
F
F
W
F
W
F
F
F
W
W
F
W
F
W
F
W
W
W
F
W
F
F
W
W
W
W
Die Aussagenverbindung C ist also immer wahr. ”Immerwahre” Aussagenverbindungen werden Tautologien genannt.
Eine spezielle Äquivalenz von Aussagen bildet die Grundlage für den in der Mathematik gebräuchlichen indirekten Beweis. Wir betrachten die Wahrheitswerttabelle
A
B
A
B
A =⇒ B
B =⇒ A
(A =⇒ B) ⇐⇒ (B =⇒ A)
W
W
F
F
W
F
W
F
F
F
W
W
F
W
F
W
W
F
W
W
W
F
W
W
W
W
W
W
und stellen fest, dass die Aussagen A =⇒ B und B =⇒ A äquivalent sind. Will
man z.B. nachweisen, dass A =⇒ B gilt, also unter der Voraussetzung A die
Aussage B beweisen, so ist dies gleichbedeutend mit dem Beweis, dass aus B
das Gegenteil der Aussage A, also A, folgt. Wenn man statt A =⇒ B die äquivalente Aussage B =⇒ A nachweist, spricht man von einem indirekten Beweis.
Indirekte Beweise sind auch in folgender Form möglich. Angenommen, man will
beweisen, dass eine Aussage A wahr ist. Wenn man zeigen kann, dass aus der
Gültigkeit von A (d.h. ω(A) = W ) eine falsche Aussage B (ω(B) = F ) folgt, dann
ist ω(A) = W bewiesen. Denn bei ω(A =⇒ B) = W und ω(B) = F bleibt gemäß
Wahrheitswerttabelle f) nur ω(A) = F , also ω(A) = W . Ein Beispiel eines indirekten Beweises werden wir√
im Abschnitt über rationale Zahlen angeben, und zwar
werden wir zeigen, dass 2 keine rationale Zahl ist.
Abschließend wollen wir einige logische Regeln zusammenfassen.
Äquivalente Aussagen:
Für alle Aussagen A und B gelten die Beziehungen
a) A ≡ A,
b) (A =⇒ B) ≡ (A ∨ B) ≡ (B =⇒ A),
c) (A ⇐⇒ B) ≡ ((A =⇒ B) ∧ (B =⇒ A)) ≡ (A ⇐⇒ B),
d) A ∧ B ≡ A ∨ B,
e) A ∨ B ≡ A ∧ B.
Der Nachweis der Regeln ergibt sich sofort aus den Wahrheitswerttabellen der
zu vergleichenden Aussagenverbindungen.
8
1.1.3
Kapitel 1: Grundlagen
Quantoren
Bei Aussageformen A(x) oder B(x, y) ist oftmals die Frage interessant, für welche konkreten x oder y die Aussagen A bzw. B zutreffen oder nicht. Besondere
Bedeutung haben die Fälle ”für alle x mit einer vorgegebenen Eigenschaft” und
”es existiert mindestens ein x”. Für diese Fälle werden Quantoren, nämlich
”für alle x”
∀x
(Allquantor)
”es existiert ein x, so dass ...”
∃x
(Existenzquantor)
eingeführt. Betrachten wir beispielsweise die Aussageform A(x) =”x2 = 1” so
erhalten wir mit dem Allquantor ∀ die Aussage
P
:=
(∀x, reell : A(x))
=
(∀x, reell :”x2 = 1”)
und bemerken, dass ω(P ) = F gilt, da die Gleichung x2 = 1 nicht für alle reellen
Zahlen gilt. Für die Aussage
Q
:=
(∃x, reell : A(x))
=
(∃x, reell : ”x2 = 1”)
erhalten wir dagegen ω(Q) = W , da die Gleichung ja für die reelle Zahl x = 1
erfüllt ist.
Abschließend wollen wir die Verneinung von Aussagen der Form P := ∀x : A(x)
und Q := ∃x : A(x) betrachten. Es gilt
P = ∀x : A(x) := (∃x : A(x)) und
Q = ∃x : A(x) := (∀x : A(x)) .
Dass dies vernünftig ist, zeigt das folgende Beispiel. Wir betrachten die Aussageform
B(x) :=′′ x2 + x + 1 = 0′′
und die Aussage
P := (∃x, reell : B(x)) .
Wir stellen fest, dass die Aussage P falsch ist, da man keine reelle Zahl x finden
kann, die die Gleichung x2 + x + 1 = 0 erfüllt. Nach Definition ergibt sich
P = ∃x, reell : B(x) = (∀x, reell : B(x)) = (∀x, reell :”x2 + x + 1 6= 0”).
Da es keine reelle Zahl x gibt, die die Gleichung x2 + x + 1 = 0 erfüllt, ist ”logischerweise” für alle reellen Zahlen x die Ungleichheit x2 + x + 1 6= 0 erfüllt, und
damit ist die Aussage P wahr, also ω(P ) = W .
1.2 Grundlagen der Mengenlehre
1.2.1
Begriff der Menge und Mengenbeziehungen
Der Begriff der Menge wird in verschiedenen Bereichen unseres Lebens wie selbstverständlich benutzt. Auf die mathematisch strengen Grundlagen der Mengentheorie kann im Rahmen dieses Buches nicht eingegangen werden. Zum Verständnis des Stoffes ist ein so genannter ”naiver” Standpunkt ausreichend.
Deshalb verwenden wir die
9
1.2 Grundlagen der Mengenlehre
Definition 1.2. (CANTORsche ”naive” oder ”intuitive” Mengendefinition)
Eine Menge ist eine Zusammenfassung wohlunterschiedener Objekte der Anschauung oder des Denkens zu einem Ganzen (einer Gesamtheit).
Die darauf beruhende Mengenlehre nennt man CANTORsche, naive, intuitive
oder auch anschauliche Mengenlehre. Die in einer Menge A zusammengefassten Objekte nennt man Elemente von A. Um gewisse Antinomien im Rahmen
der naiven Mengenlehre auszuschließen, treffen wir die (naheliegende) Voraussetzung, dass man zu einer jeden Menge A und einem jeden Objekt x entscheiden
kann, ob x zu A gehört oder nicht: Für jede Menge A und jedes Objekt x gilt genau
eine der Relationen
x∈A
oder
x 6∈ A .
Eine Gesamtheit, die kein Element enthält, heißt leere Menge; wir bezeichnen sie
mit ∅.
Es gibt zwei Möglichkeiten der Charakterisierung bzw. Darstellung von Mengen:
1) die enumerative (aufzählende) Darstellung, d.h. die Elemente werden explizit
aufgelistet
A := {Otto, Ottmar, Ole, Oswald},
2) die deskriptive (beschreibende) Darstellung, d.h. die Charakterisierung der
Elemente durch eine Eigenschaft,
B := {n | ω(C(n)) = W },
(lies: ”B ist die Menge aller n, für die gilt: ω(C(n)) = W ”); dabei ist C(n) eine
Aussageform, z.B.
C(n) := ”n ist eine natürliche Zahl (n ∈ N) und es gibt ein p ∈ N mit n = 2p”.
In diesem Fall ist B die Menge der geraden natürlichen Zahlen 2N.
Ähnlich wie die Beziehungen ≤, = und < zwischen reellen Zahlen lassen sich
auch zwischen Mengen bestimmte Relationen erklären. Die Mengenbeziehungen Gleichheit, Teilmenge, echte Teilmenge sind wie folgt definiert:
(i) A heißt Teilmenge von B bzw. B heißt Obermenge von A, wenn jedes Element
von A auch Element von B ist:
x ∈ A =⇒ x ∈ B .
Schreibweise: A ⊆ B.
(ii) Die Mengen A und B sind gleich, wenn jedes Element von A auch Element
von B ist und jedes Element von B auch Element von A ist:
x ∈ A ⇐⇒ x ∈ B
Schreibweise: A = B.
bzw.
A⊆B∧B ⊆A.
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