3. Oligopol Im vorangegangenen Kapitel haben wir, bis auf die etwas künstliche Diskussion im Rahmen der angreifbaren Märkte, die Marktmacht eines einzelnen Unternehmens betrachtet, das sich keinerlei Wettbewerb stellen muß. Wie schon in der Einleitung des Kapitels 2 angeklungen ist, liefert dieser Fall für keinen realen Markt eine treffende Beschreibung. Vielmehr ist der Regelfall, daß ein Gut in einem Umfeldvon mehr oder weniger guten Substituten steht, die typischerweise von einem anderen Unternehmen angeboten werden. Die eigene optimale Entscheidung hängt daher von den Entscheidungen der Konkurrenten ab. Es ist gerade diese Interdependenz, die in der Oligopoltheorie im Vordergrund des Interesses steht. Selbstverständlich hat die Art und Stärke der Interdependenz auch Auswirkungen auf die Preise, die sich im Markt bilden. Im Kontext der Preistheorie wird dann interessieren, von welchen Determinanten "der Marktpreis" abhängt. Wir beginnen mit den klassischen Formen der Oligopoltheorie und fügen dann mehr und mehr Strukturelemente, wie Werbung, Qualität usw., hinzu. Zwischen diesen Analysen, die in erster Linie ein preistheoretisches Erkenntnisziel verfolgen, werden wir nun einige Strukturelemente der Spieltheorie einschieben. 3.1 Die Urväter der Oligopoltheorie: Cournot und Bertrand In beiden Konzeptionen (à la Cournot und à la Bertrand) ist der Ausgangsunkt der Markt für ein homogenes Gut. Märkte für homogene Güter sind zwar nicht diejenigen, die man am häufigsten beobachtet, aber sie lassen sich in der Regel leichter analytisch fassen. Deshalb beginnt man typischerweise mit diesem Fall. Natürlich gibt es durchaus Märkte, für die die Beschreibung durch ein homogenes Gut zutrifft. Häufig angegebene Güter dieser Art sind Zement, Salz, Zucker usw. Stellen wir uns zunächst vor, daß wir nur zwei Unternehmen in einem Markt haben: der Fall des Duopols. Betrachten wir den Fall, in dem die Unternehmen dieselbe lineare Kostenstruktur haben: C (x i) = c x i Wie könnte man sich vorstellen, daß beide Unternehmen über den Preis entscheiden? Wenn wir annehmen, daß die Nachfrage nach dem homogenen Gut immer zu dem Anbieter mit dem günstigsten Preis abwandert, ist die Nachfrage, der sich z.B. das Unternehmen 1 gegenübersieht für p1 < p2 x ( p1 ) x1 ( p1 , p 2 ) = x( p1 ) / 2 für p1 = p 2 0 für p1 > p2 2 Geht das erste Unternehmen davon aus, daß das zweite Unternehmen den Preis p2 fordert, wird es also einen Gewinn von Null machen, wenn es einen höheren Preis fordert. Solange der Preis p2 über den Grenzkosten c liegt, macht es einen höheren Gewinn, wenn es denselben Preis fordert, und einen fast doppelt so hohen Gewinn, wenn es das Unternehmen etwas unterbietet. Solange das zweite Unternehmen einen solchen Preis p2 > c, fordert, wird das erste Unternehmen den Preis unterbieten. Gegeben dieser niedrigere Preis p1 des ersten Unternehmens wird das zweite Unternehmen jedoch einen Anreiz haben, das erste Unternehmen seinerseits zu unterbieten. Folglich kann in diesem Modell kein Preis eine Prognosekraft haben, der über den Grenzkosten c liegt, da er stets unterboten wird. Bleibt die Frage, ob bei einem Preis von p1 = p2 = c ein Anreiz besteht, abzuweichen. Man macht sich leicht klar, daß dies nicht der Fall ist. Bei gegebenem Preis des anderen Unternehmens lohnt es sich nicht, zu unterbieten, weil dann Verluste entstehen. Ein höherer Preis lohnt sich auch nicht, weil dann der Absatz gleich Null ist. Die Preise p1 = p2 = c reflektieren also eine stabile Situation: Sie sind Gleichgewichtspreise im Bertrand-Modell oder kurz: sie bilden das Bertrand-Gleichgewicht. Diese Argumentation führt also zu dem erstaunlichen Ergebnis, daß unter den Modellannahmen zwei Unternehmen genug sind, um das Ergebnis der vollständigen Konkurrenz zu generieren. Alle Marktmacht ist vollkommen erodiert. Das obige Modell ist das sogenannte Bertrand-Modell. Es modelliert also Preiswettbewerb. Das Ergebnis stößt typischerweise und berechtigt auf Bedenken. Das Ergebnis dieses Modells wird deshalb auch oft Bertrand-Paradox genannt. Einige Kritikpunkte seien hier erwähnt, ohne daß wir an dieser Stelle weiter darauf eingehen. Das Modell geht u.a. davon aus, daß die Nachfrage extrem beweglich ist und nur dem Preis folgt. Markentreue u.ä. gibt es in diesem Modell nicht. Es nimmt auch an, daß die Unternehmen stets genügend Kapazitäten haben, um alleine den Markt zu bedienen. Es tut sich damit die Frage auf, warum die Unternehmen soviel Kapazitäten bereithalten, wenn sie sie nie einsetzen und nichts zu verteidigen haben (sie machen im Gleichgewicht ja einen Gewinn von Null). Die Entscheidung bzgl. der Kapazitäten müßte daher ebenfalls modelliert werden, was hier nicht der Fall ist. Schließlich könnten die Unternehmen auf die Idee kommen, den Konkurrenten nicht zu unterbieten, damit dieser sie auch nicht unterbietet. Diese Idee läßt sich in diesem Modell gar nicht sinnvoll formulieren. Es ist also reichlich Skepsis angebracht, wenn dieses Modell als Beschreibung der Realität verwendet würde. Dies ist allerdings auch nicht das Anliegen von Bertrand gewesen. Dieses "Modell" war Vehikel für eine Polemik Bertrand's gegenüber Cournot, in der Bertrand versucht, 3 das Cournot-Modell als das bis dahin geltende Standardmodell in Frage zu stellen. Schauen wir uns deshalb nun das Cournot-Modell etwas genauer an. Der zentrale Unterschied des Cournot-Modells gegenüber dem Bertrand-Modell liegt in der Auswahl der Entscheidungsvariablen. Während dies im Bertrand-Modell der Preis ist, ist dies im Cournot-Modell die Absatzmenge (Produktionsmenge). Im Gegensatz zu dem Fall des Monopols ist dieser Unterschied im Oligopolfall zentral. Beide Modelle liefern sehr unterschiedliche Ergebnisse. Wie sollte also ein Unternehmen, das mit einem anderen im Wettbewerb steht, seine Menge festsetzen? Wenn das Unternehmen 2 die Menge x 2 anbietet, sieht sich das Unternehmen 1 der PreisAbsatzfunktion P( x 1 + x 2 ) gegenüber. Der Gewinn ist also P( x 1 + x 2 ) x 1 - c x 1. Wenn das zweite Unternehmen eine Menge x 2 anbietet, ist es demnach das Beste für das erste Unternehmen, seine Menge so zu wählen, daß dieser Gewinn maximal wird, was zu der Bedingung erster Ordnung P'( x 1 + x 2 ) x 1 + P( x 1 + x 2 ) - c = 0 führt, aus der man die optimale Menge x 1 in Abhängigkeit der Menge x 2 berechnen kann. Ist z.B. die Preis-Absatzfunktion linear P( x 1 + x 2 ) = a - b( x 1 + x 2 ), so läßt sich die Bedingung erster Ordnung wie folgt schreiben: a - c - 2b x 1 - b x 2 = 0, was zu der Entscheidung x1 ( x2 ) = a − c − bx 2 2b führt. Diese Beziehung zwischen der Menge, die das erste Unternehmen in Abhängigkeit der Menge des zweiten Unternehmens optimal wählt, wird oft Reaktionsfunktion des ersten Unternehmens genannt. Diese Namensgebung ist etwas irreführend. Es geht hier nicht um die tatsächliche Reaktion eines Unternehmens. Am besten interpretiert man die Menge x 2 als die Menge, von der das erste Unternehmen erwartet, daß sie das zweite Unternehmen wählt. Offensichtlich ist diese Erwartung nur dann rational, wenn das zweite Unternehmen auch einen Anreiz hat, diese Menge zu wählen. Die "Reaktionsfunktion" ist also nur ein Gedankenexperiment, 4 das das erste Unternehmen anstellt, um zu sehen, wie es seine Menge wählen sollte, falls das Unternehmen 2 die Menge x 2 wählt. Um sich nun eine rationale Erwartung bilden zu können, kann sich das erste Unternehmen in die Lage des zweiten Unternehmens versetzen. Wenn dieses erwartet, daß das erste Unternehmen die Menge x 1 wählt, wird es völlig analog zu der obigen Argumentation die Menge x 2 wählen, die unter dieser Erwartung seinen Gewinn maximiert. Diese Menge ergibt sich aus der Bedingung erster Ordnung P'( x 1 + x 2 ) x 2 + P( x 1 + x 2 ) - c = 0. Daraus ergibt sich die "Reaktionsfunktion" des zweiten Unternehmens. Im Fall einer linearen Preis-Absatzfunktion ergibt sich hier: x 2 ( x1 ) = a − c − bx1 2b Man beachte jedoch, daß dies alles Überlegungen des ersten Unternehmens sind. Wenn das Unternehmen 2 x 1 erwartet, wird es die Menge anbieten, die die "Reaktionsfunktion" angibt. Welche Erwartungen werden nun rational sein? Nur solche, die sich auch bestätigen: Die Erwartung x 2 ist nur dann rational, wenn sie für dieses Unternehmen eine optimale Antwort auf die eigene Entscheidung x 1 ist: x 2 = x2 ( x1 ) Ebenso ist die Erwartung x 1 des zweiten Unternehmens nur dann rational, wenn sie für das erste Unternehmen eine optimale Antwort auf die Entscheidung x 2 ist: x1 = x1 ( x 2 ) Dies ergibt zweit Bedingungen für die rationalen Erwartungen der beiden Unternehmen, die die beiden Mengenentscheidungen und die entsprechenden Erwartungen bestimmen. Im linearen Fall ergeben sich die beiden Bedingungen x1 = x1 ( x2 ) = a − c − bx 2 2b x 2 = x2 ( x1 ) = a − c − bx1 . 2b 5 Daraus errechnet man die Mengen x1C = x2C = a−c . 3b Diese Mengenentscheidung beruht also darauf, daß sich die Unternehmen wechselseitig Gedanken darüber machen, welche Entscheidung das jeweils andere Unternehmen und es selbst treffen wird. Die Mengen, bei denen diese Überlegungen zu konsistenten Entscheidungen führen (rationale Erwartungen), werden dann gewählt. Diese Situation ist wieder stabil in dem Sinn, daß kein Unternehmen einen Anreiz hat, mit seiner Entscheidung abzuweichen oder seine Erwartung zu revidieren. Es gilt Π 1 ( x1C , x2C ) ≥ Π 1 ( x1 , x 2C ) ∀ x1 Π 2 ( x1C , x 2C ) ≥ Π 2 ( x1C , x 2 ) ∀ x 2 . Die erste Ungleichung gilt, weil x1C die gewinnmaximale Entscheidung ist, wenn x 2C erwartet wird. Deshalb hat das erste Unternehmene keinen Anreiz abzuweichen, und x1C ist eine rationale Erwartung für das zweite Unternehmen bzgl. der Entscheidungen des ersten Unternehmens. Die zweite Ungleichung kann analog begründet werden. Sie bildet ab, daß das zweite Unternehmen keinen Anreiz hat, von x 2C abzuweichen, und daß deshalb die entsprechende Erwartung für das erste Unternehmen rational ist. Diese Stabilitätseigenschaft führt wieder dazu, daß die so bestimmten Mengenentscheidungen das Gleichgewicht des Cournot-Modells genannt werden; kurz: das Cournot Gleichgewicht. In dem Duopolrahmen läßt sich die Lösung des Problems auch graphisch erreichen. Sie ergibt sich durch den Schnittpunkt der beiden "Reaktionsfunktionen". x2 "Reaktionsfunktion" von 1 x2C "Reaktionsfunktion" von 2 x1 6 Diese Überlegungen lassen sich direkt auf mehr als 2 Unternehmen verallgemeinern. Die Argumentation ändert sich dadurch nicht. Jedes Unternehmen muß dann rationale Erwartungen bzgl. der Entscheidungen aller Konkurrenten bilden. Kehren wir zum Duopolfall noch einmal zurück. Es wird nun offensichtlich, daß das CournotModell eine andere Vorhersage für den Marktpreis trifft als das Bertrand-Modell. In dem linearen Fall ergibt sich beispielsweise der Preis P( x1C , x2C ) = a + 2c a−c = c+ , 3 3 welcher größer als c ist, falls a > c. Das Cournot-Modell sagt also einen höheren Preis voraus als das Bertrand-Modell. Dies heißt auch, daß die Unternehmen im Markt ein gewisses Maß an Marktmacht behalten. Die Versorgung der Konsumenten wird gegenüber der sozial optimalen geringer sein, allerdings über dem Niveau liegen, das sich im Monopolfall einstellt. Wir sehen also, daß der Wettbewerbsdruck die Machtposition ein Stück einschränkt, diese jedoch nicht beseitigt, solange der Wettbewerb auf wenige Unternehmen beschränkt bleibt. Dies zeichnet ein deutlich realistischeres Bild von Marktverhalten als das Bertrand-Modell. Das Cournot-Modell hat auch sonst einige Vorteile. Beispielsweise hat auf der formalen Seite das Bertrand-Modell den Nachteil, daß es kein sinnvolles Gleichgewicht zuläßt, wenn die Durchschnittskosten auch fallen dürfen. Dies werden wir nicht näher erläutern. Der interessierte Leser kann z.B. in Tirole nachlesen. Diese Schwierigkeit taucht im Cournot-Modell nicht auf. Das Cournot-Modell - zumindest in dieser Form - ist jedoch auch mit einem Problem verbunden: Es gibt niemanden, der einen Preis setzt. Der Marktpreis ergibt sich dadurch, daß die beiden (oder mehr) Unternehmen ihre Cournotmengen auf den Markt bringen und die Nachfrage den entsprechenden Preis bestimmt. Man kann sich natürlich vorstellen, daß eine Marktseite ein Mengenangebot mit einer Preisforderung bzw. einem Preisangebot versieht. Der entsprechende Preissetzungsprozeß und die Entscheidungen, welche Marktakteure welchen Preis fordern bzw. bieten werden, werden in dem Modell nicht analysiert. Und dieser Prozeß kann natürlich theoretisch die Mengenentscheidungen beeinflussen. Wir werden allerdings später sehen, daß sich das Cournot-Ergebnis in einer bestimmten Form bestätigen läßt, wenn die Firmen Preise setzen und damit in Preiswettbewerb treten. Hier müssen wir jedoch auf dieses Defizit des Modells in seiner ursprünglichen klassischen Form hinweisen. Literatur: Tirole, J, (1989): The Theory of Industrial Organization, MIT-Press, Kap. 5.1-4