(a) Gleichungen erster Ordnung Eine lineare DG erster Ordnung hat

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1.3.4
Lineare DGen
(a) Gleichungen erster Ordnung
Eine lineare DG erster Ordnung hat die allgemeine Form
y ′(x) + a(x)y(x) = b(x),
(72)
mit zwei fest vorgegebenen Funktionen a(x) und b(x).
Gl. (72) heißt homogen, wenn b(x) = 0 ist. Wie man direkt nachrechnet, ist dann die
allgemeine Lösung gegeben durch
y(x) = c e−A(x) ,
c ∈ R,
(73)
R
wobei A(x) = xx0 dt a(t) eine Stammfuntion zu a(x) ist. Wie es sein muß, hat diese Lösung
genau einen freien Parameter c. Die Integrationskonstante x0 in A(x) ist kein weiterer freier Parameter, da der Übergang von x0 zu einem alternativen Wert x′0 in Gl. (73) lediglich
einen konstanten Vorfaktor liefert, der durch den freien Parameter absorbiert werden
kann.
Die inhomogene Gleichung (72), mit b(x) 6= 0, besitzt die spezielle Lösung
−A(x)
yinh(x) = e
Z
x
dt b(t) e+A(t) .
(74)
x0
wie man leicht nachprüft. Um weitere Lösungen zu finden, beachten wir, daß die Differenz
y(x) = y1 (x) − y2 (x) zweier Lösungen eine Lösung der homogenen DG sein muß, denn
h
i
h
i
y ′)x) − a(x) y(x) = y1′ (x) + a(x)y1 (x) − y2′ (x) + a(x)y2 (x) = 0.
{z
|
b(x)
}
|
{z
b(x)
(75)
}
(Im letzten Schritt wurde ausgenutzt, daß y1 (x) und y2 (x) jeweils Lösungen der inhomogenen DG sind.) Daher ist die allgemeine Lösung der inhomogenen linearen DG einfach
die Summe der allgemeinen Lösung der zugehörigen homogenen DG und einer speziellen
Lösung yinh(x) der inhomogenen DG,
y(x) = c e−A(x) + e−A(x)
Z
x
dt b(t) e+A(t) ,
x0
x0 , c ∈ R.
(76)
Auch hier ist x0 kein zweiter unabhängiger Parameter (neben c), denn der Übergang von
einem Wert
x0 zu einem anderen x′0 hat denselben Effekt wie der Übergang von c zu
R
c′ = c + xx′0 dt b(t)e+A(t) .
0
18
BEISPIEL
Als Beispiel aus der Elektrotechnik betrachten wir eine Spule mit Induktivität L, die
mit dem ohmschen Widerstand R in Serie geschaltet ist. Fließt ein zeitlich variierender
Strom I(t), so fällt an R die Spannung RI(t) ab. Nach dem Induktionsgesetz ist die
˙
an der Spule abfallende Spannung gleich LI(t).
Die Summe dieser Spannungen (Serienschaltung!) muß gleich der angelegten Spannung U(t) sein. Mit der Wechselspannung
U(t) = U0 cos(ωt) führt dies auf eine inhomogene lineare DG erster Ordnung,
˙ + RI(t) = U0 cos(ωt)
LI(t)
˙ + κI(t) = U0 cos(ωt),
I(t)
L
⇔
κ :=
R
. (77)
L
Hier ist a(t) = κ und b(t) = UL0 cos(ωt). Die allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen
˙ = −κI(t) (mit U0 = 0) ist auch ohne Gl. (73) einfach zu finden,
DG I(t)
Ihom (t) = I0 e−κt ,
I0 ∈ R.
(78)
Diese Lösung beschreibt einen Gleichstrom, der zur Zeit t = 0 die Stärke I0 hat und
exponentiell abklingt, da keine Spannung anliegt (U0 = 0), die ihn unterstützen könnte.
Die spezielle Lösung (74) der inhomogenen Gleichung lautet
−κt
Iinh (t) = e
Z
0
t
dt′
U0
′
cos(ωt′ )eκt ,
L
wenn wir t0 = 0 wählen, sodaß A(t) ≡
Rt
t0
(79)
dx a(x) = κt. Integration ergibt
x=t
i
U0 −κt
eκx h
Iinh (t) =
e
κ
cos(ωx)
+
ω
sin(ωx)
L
κ2 + ω 2
U0 cos(ωt + φ) U0
κ
√
+
=
e−κt .
2
2
2
2
L
L κ +ω
κ +ω
x=0
(80)
Hier wurde das Additionstheorem cos(ωt + φ) = cos(ωt) cos φ − sin(ωt) sin φ angewandt,
cos φ = √
κ
,
κ2 + ω 2
sin φ = √
−ω
.
κ2 + ω 2
(81)
Die allgemeine Lösung I(t) der inhomogenen DG (77) ist nun die spezielle Lösung (80) plus
die allgemeine Lösung (78) der homogenen DG,
I(t) = I0 e−κt +
U0 cos(ωt + φ)
√
,
L
κ2 + ω 2
I0 ∈ R.
19
(82)
Dabei haben wir den Vorfaktor von e−κt aus Gl. (80) in den Wert des frei wählbaren Parameters I0 einbezogen. Abgesehen von dem exponentiell abklingenden Gleichstromanteil
I0 e−κt beschreibt Gl. (82) einen Wechselstrom mit der Frequenz ω der angelegten Wechselspannung U0 cos(ωt), der aber gegenüber letzterer um den durch Gl. (81) festgelegten
Winkel φ phasenverschoben ist. Im Grenzfall κ → 0 hoher Induktivität L gilt φ → − π2 +0.
Mit verschwindender Induktivität geht φ → 0 − 0. Der Strom I(t) hinkt der Spannung
U(t) immer um |φ| hinterher.
(b) Gleichungen n-ter Ordnung
Unsere Aussagen über lineare DGen erster Ordnung haben eine natürliche Erweiterung:
Die allgemeine Lösung einer linearen DG n-ter Ordnung,
n−1
X
ak (x) y (k) (x) + y (n) (x) = b(x),
(83)
k=0
ist gleich der Summe
allg
spez
allg
yinh
(x) = yinh
(x) + yhom
(x)
(84)
spez
allg
einer speziellen Lösung yinh
(x) mit der allgemeinen Lösung yhom
(x) der zugehörigen
homogenen Gleichung,
n−1
X
ak (x) y (k) (x) + y (n) (x) = 0.
(85)
k=0
Sind y1 (x) und y2 (x) Lösungen der homogenen Gleichung (85), so ist auch jede Linearkombination y(x) = c1 y1 (x) + c2 y2 (x) mit beliebigen reellen Zahlen c1 und c2 eine Lösung,
wie man durch Einsetzen sofort erkennt. Die beiden Funktionen y1 (x) und y2 (x) heißen linear unabhängig, wenn sich die Nullfunktion nur auf triviale Weise als Linearkombination
darstellen läßt, wenn also die Forderung
c1 y1 (x) + c2 y2 (x) = 0
(86)
nur durch die Wahl c1 = c2 = 0 zu erfüllen ist. Das Paar y1 (x) = ex und y2 (x) = e−x ist
linear unabhängig. Ebenso das Paar y1 (x) = cos(x) und y2 (x) = sin(x). Dagegen bilden
die beiden Funktionen y1 (x) = ex und y2 (x) = 2ex ein linear abhängiges Paar, denn
2y1(x) − y2 (x) = 0
(87)
ist eine nichttriviale Darstellung der Nullfunktion (mit c1 = 2 und c2 = −1).
20
Ein System aus n Funktionen yk (x) heißt linear unabhängig, wenn die Nulldarstellung
c1 y1 (x) + c2 y2 (x) + ... + cn yn (x) = 0
(88)
nur mit der trivialen Wahl c1 = c2 = ... = cn = 0 möglich ist.
Zu einer homogenen linearen DG n-ter Ordnung kann man n Lösungen y1 (x), ..., yn (x)
finden, die ein linear unabhängiges System von Funktionen bilden. Die allgemeine
Lösung ist dann die Linearkombination
allg
yhom
(x) = c1 y1 (x) + c2 y2 (x) + ... + cn yn (x)
(89)
mit beliebigen reellen Zahlen c1 , c2 , ..., cn .
Der Spezialfall n = 1 hiervon ist explizit gegeben in Gl. (73). Für n ≥ 2 ist das linear
unabhängige Funktionensystem {y1 (x), ..., yn (x)} keineswegs eindeutig. So ist etwa im Fall
n = 2 mit {y1 (x), y2 (x)} auch das Paar {cy1 (x)+y2 (x), y1 (x)−cy2 (x)} für beliebiges c ∈ R
ein linear unabhängiges Paar von Lösungen (warum ?).
(c) Konstante Koeffizienten
Wir wollen uns für den Rest dieses Abschnitts 1.3.4 auf den wichtigen Fall beschränken, in
dem die Koeffizienten ak (x) der linearen DG (83) nicht von x abhängen, sondern konstant
sind, ak (x) = ak = const. Da in diesem Fall die Variable x meistens die Zeit t darstellt,
werden wir von hier an statt x den Buchstaben t benutzen,
n−1
X
ak y (k) (t) + y (n) (t) = b(t).
(90)
k=0
Die allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen Gleichung,
n−1
X
ak y (k) (t) + y (n) (t) = 0.
(91)
k=0
läßt sich nun sehr leicht mit einem komplexen Ansatz finden,
y(t) = u(t) + iv(t).
(92)
Hier sind u(t) und v(t) zwei reelle Funktionen. Da die Koeffizienten ak der DG ebenfalls
reell sind, so ergibt dieser Ansatz in Gl. (91) nach Trennung von Real- und Imaginärteil
" n−1
X
k=0
(k)
ak u (t) + u
(n)
#
(t) + i
" n−1
X
ak v
(k)
k=0
21
(t) + v
(n)
#
(t) = 0.
(93)
Da beide eckigen Klammern reell sind, ist diese Beziehung nur erfüllbar, wenn jede Klammer einzeln verschwindet. Der komplexe Ansatz bringt also nichts neues, sondern lediglich
zwei äquivalente Versionen der ursprünglichen reellen DG! Sein Vorteil liegt darin, daß wir
die Lösung als reine Exponentialfunktion ansetzen können,
y(t) = c eiαt ,
(94)
mit zu bestimmender komplexer Konstante α = ω + iκ und beliebigem Koeffizienten
c = |c|eiφ . Hier sind ω und κ zwei zu bestimmende und |c| und φ zwei beliebig wählbare
reelle Zahlen. Zum Vergleich mit Gl. (92) notieren wir
h
i
c eiαt = |c|eiφ eiωt e−κt = |c| cos(ωt + φ) + i sin(ωt + φ) e−κt .
(95)
Der Ansatz (94) hat die einfache Eigenschaft
ẏ(t) = iαy(t),
ÿ(t) = −α2 y(t),
y (3) (t) = −iα3 y(t),
etc.
(96)
Jede Differentiation ist äquivalent zu einer einfachen Multiplikation mit dem Faktor iα !
Im Fall n = 4 ergibt sich etwa
n−1
X
k=0
i
h
ak y (k)(t) + y (n) (t) = a0 + ia1 α − a2 α2 − ia3 α3 + α4 y(t) = 0
(97)
und, weil wir nach nichttrivialen Lösungen y(t) 6= 0 suchen,
a0 + ia1 α − a2 α2 − ia3 α3 + α4 = 0.
(98)
Dies ist eine algebraische Gleichung vierten (n-ten) Grades in der komplexen Variable α.
Nach dem Fundamentalsatz der Algebra zerfällt sie über C in genau n = 4 Linearfaktoren,
(α − α1 )(α − α2 )(α − α3 )(α − α4 ) = 0.
(99)
Sind die n = 4 Lösungen α1 , α2 , α3 und α4 paarweise verschieden, so haben wir n = 4
linear unabhängige Lösungen der homogenen Gleichung,
yk (t) = ck eiαk t ,
k = 1, ..., n,
(100)
und damit deren allgemeine Lösung. Sind dagegen zwei der αk gleich, so liefert der Ansatz
(94) nur drei unabhängige Lösungen. In einem solchen Fall muß eine vierte Lösung auf
anderem Wege gefunden werden.
22
BEISPIEL
Beim getriebenen, gedämpften harmonischen Oszillator wirkt auf ein Teilchen (das sich
entlang der y-Achse bewegt) die Rückstellkraft −ky, die geschwindigkeitsabhängige Reibungskraft −γ ẏ, sowie eine antreibende Kraft F (t) = F0 cos(Ω t). Dann besagt Newtons
II. Gesetz,
mÿ(t) = −k y(t) − γ ẏ(t) + F0 cos(Ω t),
F0 > 0.
(101)
Dies ist eine inhomogene lineare DG zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten,
Gl. (90) mit n = 2,
ÿ(t) +
k
F0 iΩ t
γ
ẏ(t) + y(t) =
e .
m
m
m
(102)
Auf der RS haben wir die reelle Funktion cos(Ω t) durch die rein imaginäre Funktion
i sin(Ω t) zu eiΩ t ergänzt. Da alle Koeffizienten reell sind und die Lösung y(t) nur auf der
LS auftritt, wird deren Realteil dadurch nicht beeinflußt.
spez
1. Spezielle Lösung yinh
(t) der inhomogenen DG (102). Spätestens nach einer
gewissen Einschwingzeit wird dieser Oszillator mit der vorgegebenen Antriebsfrequenz Ω
mitschwingen,
spez
(t) = y0 eiΩ t = |y0 |ei(Ω t+φ) .
yinh
(103)
Die komplexe Amplitude y0 = |y0|eiφ sieht eine mögliche Phasenverschiebung φ vor. Mit
diesem Ansatz fällt in Gl. (102) der Faktor eiΩ t heraus, und es ergibt sich
h
− Ω2 + i
γΩ
F0
ki
y0 =
+
m
m
m
⇒
y0 =
F0
= |y0 |eiφ .
2
(k − mΩ ) + iγΩ
(104)
Daraus können die gesuchten Größen |y0 | und φ abgelesen werden,
|y0 | =
tan φ =
q
Re[y0 ]2 + Im[y0 ]2 = q
Im[y0 ]
γΩ
=−
.
Re[y0 ]
k − mΩ 2
F0
(k − mΩ 2 )2 + (γΩ )2
,
(105)
Dabei gilt −π ≤ φ ≤ 0, da Im[y0 ] ≤ 0.
23
2. Die allgemeine Lösung der homogenen DG
ÿ(t) +
γ
k
ẏ(t) + y(t) = 0
m
m
(106)
ergibt sich aus dem Ansatz y(t) = c eiαt , Gl. (94),
−α2 + i
γ
k
α+
= 0.
m
m
(107)
Diese quadratische (algebraische) Gleichung hat die beiden Lösungen,
α1,2 = i
1 q
γ
±
4km − γ 2 = ω1,2 + iκ1,2 .
2m 2m
(108)
Falls α1 6= α2 , so sind c1 eiα1 t und c2 eiα2 t mit beliebigen komplexen Zahlen c1 , c2 6= 0 zwei
linear unabhängige, dimensionslose Lösungen. Die Zahlen c1 , c2 sind so zu wählen, daß
h
fk (t) = Re ck eiαk t
i
(k = 1, 2)
(109)
zwei unabhängige reelle Lösungen sind. Dann ist
allg
yhom
(t) = y1 f1 (t) + y2 f2 (t)
(y1 , y2 ∈ R)
(110)
die allgemeine Lösung der homogenen DG (106).
Um ω1,2 ∈ R und κ1,2 ∈ R in Gl. (108) zu bestimmen, sind drei Fälle zu unterscheiden.
1. Fall (4km > γ 2 ):
ω1,2 = ±
1 q
4km − γ 2 ,
2m
κ1 = κ2 =
γ
.
2m
(111)
Dies liefert die beiden unabhängigen Lösungen c1 eiω1 t e−κ1 t und c2 e−iω1 t e−κ1 t . Die Wahl
c1 = 1 und c2 = −i ergibt zwei unabhängige reelle Lösungen (109),
f1 (t) = cos(ω1 t)e−κ1 t ,
f2 (t) = sin(ω1 t)e−κ1 t .
(112)
1 q 2
γ
±
=
γ − 4km > 0.
2m 2m
(113)
2. Fall (4km < γ 2 ):
ω1 = ω2 = 0,
κ1,2
24
Hier ergeben sich unmittelbar die beiden unabhängigen reellen Lösungen
f1 (t) = e−κ1 t ,
f2 (t) = e−κ2 t .
(114)
3. Fall (4km = γ 2 ): Nun ergibt sich zunächst wegen
ω1 = ω2 = 0,
γ
κ1 = κ2 =
=
2m
s
k
m
(115)
nur eine Lösung f1 (t) = e−κ1 t . Eine zweite Lösung f2 (t) muß erraten werden,
f1 (t) = e−κ1 t ,
f2 (t) = κ1 t e−κ1 t .
(116)
allg
3. Allgemeine Lösung yinh
(t) der inhomogenen DG (102), entsprechend Gl. (84),
allg
yinh
(t) = |y0 | cos(Ω t + φ) + y1 f1 (t) + y2 f2 (t) .
|
{z
spez
yinh
(t)
}
|
{z
allg
yhom
(t)
(117)
}
Die Wahl der freien Koeffizienten y1 und y2 ist durch die Anfangsbedingungen festgelegt,
allg
yinh
(0) = y(0),
allg
ẏinh
(0) = ẏ(0).
(118)
Dies sind zwei lineare Gleichungen für die beiden Unbekannten y1 und y2 .
25
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