Tremor: Nichtinvasive Technik mit Ultraschall lindert Symptome

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Pressemitteilung
Tremor: Nichtinvasive Technik mit Ultraschall lindert Symptome
16. Mai 2013 – In einer Machbarkeitsstudie für ein gänzlich neues Verfahren ist es erstmals
gelungen, eine der häufigsten Bewegungsstörungen – den essenziellen Tremor – im Gehirn durch
die äußerliche Anwendung von Ultraschallwellen erfolgreich zu behandeln. Bei dem Verfahren
konzentrierten kanadische Neurochirurgen Ultraschall aus 1024 Schallgebern mithilfe der
Magnetresonanztomographie auf einen nur zwei Millimeter großen Bereich im Zwischenhirn
(Nucleus ventrointermedius internus, Vim) und erhitzten diesen auf etwa 60 Grad. In dieser Arbeit,
die jetzt in The Lancet Neurology erschienen ist, wurde Vim jeweils nur auf einer Seite des Gehirns
ausgeschaltet, wodurch das Zittern der Hände auf der anderen, kontralateralen Körperseite nach
einem Monat um nahezu 90 Prozent abnahm. Auch drei Monate nach der Behandlung betrug die
Verbesserung im Durchschnitt noch mehr als 80 Prozent. „Ähnliche Erfolge werden bislang nur mit
der Tiefen Hirnstimulation oder der invasiven Thermokoagulation erzielt“, erklärt Professor
Günther Deuschl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Direktor der Klinik für Neurologie
an der Universität Schleswig-Holstein in Kiel. Der weltweit renommierte Tremor-Experte
kommentierte die Methode in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift.
„Es handelt sich um eine interessante Machbarkeitsstudie, die zeigt, dass ein völlig neues
Läsionsprinzip in diesen Fällen wirksam ist“, so Professor Deuschl. „Allerdings sind mögliche
Nebenwirkungen wie lokale Blutungen oder sich postoperativ ausdehnende Läsionen nach nur vier
Patienten noch nicht einschätzbar. Auch hat die Methode den Nachteil, dass eine Inaktivierung des
Gewebes nicht reversibel ist, wie bei der Tiefen Hirnstimulation, und es ist noch unbekannt, wie
zielgenau das Verfahren ist.“ Es sei aber ein neues Therapieprinzip, dessen Entwicklung man
aufmerksam beobachten sollte.
Knapp jeder Hundertste in der Bevölkerung und nahezu jeder Zwanzigste über 65 leidet unter
essenziellem Tremor, einer Bewegungsstörung, bei der meist die Hände und oft auch der Kopf sowie
die Stimme zittern. Gegenstände zu halten oder danach zu greifen, fällt den Betroffenen schwer, fast
alle sind in ihren sozialen Aktivitäten eingeschränkt und bis zu einem Viertel muss wegen der
Krankheit den Beruf wechseln oder sich berenten lassen. Zur Behandlung dieser
Bewegungsstörungen können Neurologen zwar auf eine Vielzahl von Medikamenten zurückgreifen,
sie helfen aber nicht allen Patienten und ihr Einsatz ist häufig durch Nebenwirkungen begrenzt. Dann
kann bei schweren Fällen eine Operation sinnvoll sein, bei der Elektroden in einem Nervenkern des
Thalamus implantiert werden, dem Nucleus ventrointermedius internus (Vim). Etwa 70 Prozent der
Patienten erzielen dadurch eine dramatische Besserung, erklärt Deuschl, jedoch sind diese Eingriffe
wie jede Operation mit dem Risiko von Blutungen und Infektionen verbunden.
Zerstörung von Gehirnregion mittels Schallwellen
Die Methode, über die Professor Andres M. Lozano von der Universität Toronto und seine
Mitarbeiter in The Lancet Neurology berichten, erfordert keine Öffnung des Schädels. Die Patienten,
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 16. Mai 2013
bei denen Medikamente keine Wirkung gezeigt hatten, lagen bei der Prozedur wach in einem
Magnetresonanztomographen (MRT), der das Zielgebiet des Vim darstellte. Gleichzeitig war ihr Kopf
mit einer stereotaktischen Apparatur verbunden, die von 1024 Positionen aus Ultraschallwellen
durch den Schädel auf den Zielpunkt sendete, sodass sich im Schnittpunkt dieser Wellen das Gewebe
erhitzte und inaktiviert wurde. Die Temperatur dort wurde ebenfalls mithilfe des MRT kontrolliert
und von anfänglich 44 Grad auf bis zu 63 Grad gesteigert, während die Patienten wiederholt
hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkungen getestet wurden. Unmittelbar nacheinander erhielten die
Patienten zwischen 12 und 29 Beschallungszyklen, bis das Zittern in dem betroffenen Arm fast
vollständig verschwunden war. „Die Patienten zeigten eine unmittelbare und anhaltende
Verbesserung beim Zittern der dominanten Hand“, berichten Lozano und Kollegen und belegen dies
unter anderem mit gezeichneten Spiralen, die vor und nach der Behandlung angefertigt wurden.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Nach einem Monat hatte sich das Zittern im behandelten Arm um durchschnittlich 89,4 Prozent
verringert, nach drei Monaten immer noch um 81,3 Prozent. Grob- und Feinmotorik verbesserten
sich ebenfalls: Auf der Skala CRST, Teil B, gingen die Behinderungen nach einem Monat um 45,5
Prozent zurück, nach drei Monaten waren es noch 39,6 Prozent. Bereits verlorene Fähigkeiten, wie
den Namen zu schreiben oder ohne Strohhalm aus einer Tasse zu trinken, kehrten nach der
Behandlung wieder zurück. Auch die neue Prozedur der MRT-geleiteten Ultraschall-Thalamotomie ist
nicht frei von Nebenwirkungen: Ein Patient hatte Missempfindungen in Daumen und Zeigefinger, die
auch nach drei Monaten nicht verschwanden, ein weiterer erlitt während der etwa sechsstündigen
Prozedur eine tiefe Venenthrombose, die drei Monate lang mit Arzneien behandelt werden musste.
Quellen
 Lipsman N et al: MR-guided focused ultrasound thalamotomy for essential tremor: a proof-of-concept study.
Lancet Neurol. 2013 May;12(5):462-8.
 Deuschl G, Raethjen J, Hellriegel H, Elble R. Treatment of patients with essential tremor. Lancet Neurol. 2011;
10(2): 148-61.
 Deuschl G. New hope for severe essential tremor? Lancet Neurol. 2013; 12(5): 420-2.
Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Günther Deuschl
Direktor der Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Kiel, Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel
Tel.: +49 (0) 431 597 8500
E-Mail: [email protected]
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
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c/o albertZWEI media GmbH
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Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 16. Mai 2013
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Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 16. Mai 2013
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