Powered by Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/geklonte-menschen-sindnicht-zu-befuerchten/ Geklonte Menschen sind nicht zu befürchten Einem internationalen Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Dr. Shoukhrat Mitalipov an der Oregon Health & Science University, USA, ist es vor Kurzem erstmals gelungen, humane embryonale Stammzellen mit Klontechnik herzustellen. Dieser Durchbruch wirft Fragen zu neuen Möglichkeiten und Gefahren der Anwendung beim Menschen auf. Professor Dr. Marcel Leist von der Universität Konstanz, der bei seiner Forschung humane embryonale Stammzellen einsetzt, gibt im Interview mit Bettina Baumann für die BIOPRO eine Einschätzung zu dieser neuen Entwicklung. Was genau ist die große Neuerung, der große wissenschaftliche Durchbruch, der den Forschern hier gelang? Prof. Dr. Marcel Leist forscht an der Universität Konstanz mit humanen embryonalen Stammzellen © privat Die große Neuerung ist hauptsächlich technischer Art. Klonen an sich ist eine Technik, die tausende Jahre alt ist. Es bedeutet lediglich die Erzeugung genetisch identischer Individuen, wie sie auch in der Natur bei der ungeschlechtlichen Vermehrung vorkommen kann. Insofern ist dieses Wort hier nicht sehr nützlich. Die Autoren verwenden eine von vielen Klonierungstechniken, nämlich die Übertragung eines Zellkerns aus einer gewöhnlichen Körperzelle in eine Eizelle. Diese sogenannte „somatic-cell nuclear transfer“-Technik (SCNT, somatischer Zellkerntransfer) wurde vor 50 Jahren von John Gurdon entwickelt und 2012 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Das "Klonschaf" Dolly und tausende andere Tiere wurden so erschaffen. Jetzt wurde die Technik auf menschliche Zellen übertragen. Dazu mussten die Forscher hauptsächlich die Nährmedien etwas anpassen, in denen die Zellen kultiviert werden. Können Sie kurz zusammenfassen, wie die Technik funktioniert? Aus befruchteten Eizellen entwickelt sich normalerweise ein Embryo mit den genetischen Eigenschaften der befruchteten Eizelle. Möchte man andere genetische Eigenschaften, muss man eine andere genetische Information bereitstellen. Diese Information wird im Zellkern gelagert. In der Praxis entfernt man daher den Zellkern der Eizelle und setzt den Zellkern einer anderen Zelle, z.B. aus einer Hautzelle, der zu klonierenden Person ein. Danach lässt man die Eizelle sich normal entwickeln, bei Tieren zum Beispiel in einer Leihmutter. Wieso hat es so lange gedauert, die Technik für menschliche Zellen anzuwenden, obwohl sie für andere Säugetiere schon vor vielen Jahren eingesetzt wurde? Das liegt zu einem großen Anteil sicherlich daran, dass in vielen Ländern diese Forschung gar nicht möglich ist. Man benötigt ja zum Beispiel menschliche Eizellen, deren Verfügbarkeit eingeschränkt und rechtlich reguliert ist. In England wurden solche Arbeiten deshalb vor ein paar Jahren mit Rindereizellen und menschlichen Zellkernen durchgeführt. Nur wenige Labors haben tatsächlich an menschlichem SCNT gearbeitet, da es ja keine praktische Anwendung gibt. Sind die durch Kerntransfer erzeugte Eizelle und eine „normal“ befruchtete Eizelle funktionell identisch? Die Publikation des Forscherteams um Shoukhrat Mitalipov zeigt, dass beide zumindest sehr ähnlich sind. Ob es wirklich funktioniert, daraus einen Mensch zu erzeugen, weiß man nicht, da das verboten ist. Aus Tierversuchen ist aber bekannt, dass sich das vermutlich schwieriger gestaltet, als es scheint. Beim Kerntransfer kann es zu kleinen Schäden kommen, und auch die Umprogrammierung der Körperzelle kann unvollständig sein, ohne dass man das in den frühen Stadien bemerkt. Viele notwendige Charakterisierungen stehen noch aus. Wo liegen die Unterschiede zu den bereits bekannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS Zellen)? Ohne den Einsatz von humanen Stammzellen wären solche menschlichen Nervenzellen den Forschern nicht zugänglich (grün: Neuronen, rot: Astrozyten, blau: Zellkerne). © Prof. Dr. Marcel Leist Diese Zellen sind gesetzlich und ethisch weniger problematisch. Man benötigt dafür keine Eizellen und muss keinen Zellkern physikalisch manipulieren. Bei der iPS-Methode werden Körperzellen wieder zu Stammzellen reprogrammiert. Vereinfacht gesagt wird dabei eine Hautzelle durch Zusatz von ‚Chemikalien‘ direkt in eine Zelle umgewandelt, die einer befruchteten Eizelle entspricht. Das ist für jeden Menschen möglich, auch für Männer. Aus solchen iPS-Zellen können dann wieder Nervenzellen oder Leberzellen hergestellt werden, die transplantierbar sind und exakt für den Patienten passen, dessen Zellen zur Herstellung genutzt wurden. Stellt diese Technik zur Erzeugung embryonaler Stammzellen eine Alternative zum Einsatz „herkömmlicher“ embryonaler Stammzellen oder sogenannter „iPS-Zellen“ dar? Die iPS-Technologie ist so weit entwickelt und etabliert, dass es kaum absehbar ist, dass die viel schwierigere und problematischere SCNT-Technologie eine Alternative darstellen könnte. Gerade in Deutschland sehe ich keine tatsächlichen Konsequenzen, da hier prinzipiell nicht mit SCNT gearbeitet wird. Vielleicht gibt es jedoch Nischenanwendungen für die regenerative Medizin von Krankheiten, die auf mitochondrialen Mutationen basieren. Genau genommen sind nämlich nur etwas mehr als 99,9 % der genetischen Information im Zellkern gespeichert, der Rest befindet sich in den sogenannten Mitochondrien. Diese Zellorganellen stammen in iPSZellen von den ursprünglichen vorhandenen Mitochondrien des Zell-Spenders ab. Eventuell vorhandene Schädigungen im mitochondrialen Erbgut sind also auch nach der Umwandlung zu iPS-Zellen noch vorhanden. Die SCNT-Technik bietet eine leichte Möglichkeit gesunde Mitochondrien zur Verfügung zu stellen, da hier nur der Zellkern vom Patienten, die Mitochondrien aber direkt von der Spendereizelle übernommen werden. Welche Auswirkungen könnte diese neue Entwicklung für die Gesellschaft haben? Sind Experimente zum reproduktiven Klonen von Menschen zu befürchten? Sicherlich nicht in westlichen Demokratien. Die iPS-Technologie bietet außerdem eine Alternative für viele Anwendungen und ist fest etabliert, ohne dass es Probleme damit gibt. Tatsächlich haben aber der letztjährige Nobelpreis und die ihm zugrundeliegenden Arbeiten von John Gurdon und Shinja Yamanaka zur Umprogrammierung von Körperzellen zu pluripotenten Stammzellen wie alle großen Entdeckungen unser Weltverständnis verändert. Natürlich muss sich die Gesellschaft damit beschäftigen. Unsere Welt hat sich gewandelt, seit wir wissen, dass wir uns über eine Hautzelle oder einen Tropfen Blut fortpflanzen, oder zumindest uns Ersatzorgane züchten können. In Österreich gibt es eine Firma, die das sogar aus den im Urin vorhandenen, abgeschilferten Zellen macht, so dass man gar keinen körperlichen Eingriff mehr braucht. Professor Dr. Marcel Leist ist der Leiter des Doerenkamp-Zbinden Lehrstuhls für in vitro Toxikologie und Biomedizin an der Universität Konstanz. Er erforscht pharmakologische und toxikologische Mechanismen, Methoden und Modellsysteme im Zusammenhang mit der Entwicklung und Schädigungen des Nervensystems. Dabei setzt er embryonale Stammzellen ein, um anderweitig nicht zugängliche Zelltypen zu erzeugen, mit deren Hilfe neurodegenerative Erkrankungen oder neurotoxische Substanzen untersucht werden können. Darüber hinaus kommen in seinem Labor Stammzellen zur Erforschung der Auswirkungen von Schadstoffen während der neuronalen Entwicklung zum Einsatz. Fachbeitrag 24.06.2013 Bettina Baumann BioLAGO © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH Weitere Informationen Originalveröffentlichung: Human Embryonic Stem Cells Derived by Somatic Cell Nuclear Transfer Masahito Tachibana, Paula Amato, Michelle Sparman, Nuria Marti Gutierrez, Rebecca Tippner-Hedges, Hong Ma, Eunju Kang, Alimujiang Fulati, Hyo-Sang Lee, Hathaitip Sritanaudomchai, Keith Masterson, Janine Larson, Deborah Eaton, Karen Sadler-Fredd, David Battaglia, David Lee, Diana Wu, Jeffrey Jensen, Phillip Patton, Sumita Gokhale, Richard L. Stouffer, Don Wolf, Shoukhrat Mitalipov; Cell - 6 June 2013 (Vol. 153, Issue 6, pp. 1228-1238) n: Prof. Dr. Marcel Leist Fachbereich Biologie Universität Konstanz E-Mail: marcel.leist(at)uni-konstanz.de Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers Fortschritt dehnt bioethische Grenzen