FÜR VERANTWORTUNG IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT. Prinzipien der Wirtschaftskammer Salzburg FÜR VERANTWORTUNG IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT. Prinzipien der Wirtschaftskammer Salzburg Salzburg, November 2009 INHALT Vorwort Für eine Kultur der Verantwortung 07 Präambel Eine Renaissance der Ethik 10 1. Kapitel Von der Sozialen zur Humanen Marktwirtschaft 13 2. Kapitel Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen 19 3. Kapitel Verantwortungsvolle Bürger für eine verantwortungsvolle Politik 22 Grundbegriffe 26 07 Vorwort FÜR EINE KULTUR DER VERANTWORTUNG VON DER SOZIALEN ZUR HUMANEN MARKTWIRTSCHAFT – DAS GESELLSCHAFTLICHE ENGAGEMENT VON UNTERNEHMERINNEN UND UNTERNEHMERN – VERANTWORTUNGSVOLLE BÜRGER FÜR EINE VERANTWORTUNGSVOLLE POLITIK Warum Prinzipien für eine „Kultur der Verantwortung“ in Wirtschaft und Politik? Die Antwort knüpft an die drängenden aktuellen Entwicklungen an: Unter dem Eindruck der Finanzkrise und der tiefgreifenden weltweiten Rezession, die massive Folgewirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft mit sich gebracht haben und uns noch lange beschäftigen werden, ist es dringend geboten, einem verantwortungsvollen, langfristig orientierten Wirtschaften eine neue Grundlage zu geben. Ebenso ist es unverzichtbar geworden, unsere Gesellschaft – unter Beibehaltung von demokratischen und marktwirtschaftlichen Bedingungen – zu einer klima- und umweltverträglichen Form des Lebens und Wirtschaftens weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt bedarf es einer neuen Form der Aufgabenteilung zwischen Bürgern und Staat, einer Anpassung der (sozial-)staatlichen Strukturen, um deren finanzielle Last auch für spätere Generationen bewältigbar zu halten. So ergibt sich aus Sicht der Wirtschaftskammer Salzburg deutlich die Notwendigkeit einer Positionsschärfung bzw. Akzentuierung der bisherigen Prinzipien wirtschaftlichen und politischen Handelns: – Dies umfasst zum einen den Ordnungsrahmen, d. h. die Wirtschaftspolitik, basierend auf den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft (siehe Grundbegriffe auf Seite 26), deren Grundlagen und Instrumentarien zu erweitern sind. KommR Julius Schmalz, Präsident der Wirtschaftskammer Salzburg – Eine erneuerte Positionierung betrifft auch die Unternehmerschaft, die sich nicht nur den Auswirkungen einer globalisierten Wettbewerbswirtschaft gegenübersieht, sondern einer wachsenden Nachfrage vieler Konsumenten nach nachhaltigen und verantwortungsvollen Wirtschaftsprozessen, Produkten und Dienstleistungen. Ebenso rückt in der Wirtschaft immer mehr die Notwen- Dr. Johann Bachleitner, Direktor der Wirtschaftskammer Salzburg 08 Vorwort digkeit in den Vordergrund, durch effiziente Verwendung von natürlichen Ressourcen einen Beitrag zur Erhaltung der Biosphäre zu leisten. – Für sachliche und langfristige Orientierung Der Aufforderung nach einer stärkeren Wahrnehmung der Verantwortung kann sich auch die Politik nicht entziehen, die sachlichen Entscheidungen und einer langfristigen Orientierung den Vorzug gegenüber populistischen und oft nicht sachgemäßen Überlegungen geben sollte – ungeachtet der Notwendigkeit, dass in Wirtschaft und Politik auch flexibel und rasch entschieden werden muss. Unternehmerische Tatkraft im Zentrum Wirtschaftskammer ist „Zukunftskammer“ Wir sind davon überzeugt, dass der „Unternehmergeist“ in der Sicherung der Zukunftsfähigkeit eine zentrale Rolle spielt. Der kreative Impuls zur Innovation, zur Erneuerung geht wesentlich aus der Wirtschaft hervor. Und schon jetzt zeigen Untersuchungen (etwa die Studie „Salzburgs Wirtschaft trägt Verantwortung“), dass die Unternehmerinnen und Unternehmer in vielfältiger Weise ihr Engagement für die Gesellschaft beweisen, zusätzlich zu ihrer volkswirtschaftlichen Rolle als Träger der Beschäftigung, Ausbildner der Jugend und Hauptfinancier des sozialen Netzes. Die Wirtschaftskammer Salzburg versteht sich als „Zukunftskammer“: Sie greift im Interesse ihrer Mitglieder neue Trends auf, ortet neue Entwicklungen, macht sie für die Unternehmerschaft fassbarer und unterstützt den notwendigen Wandel. Die Wirtschaftskammer Salzburg will einen Beitrag dazu leisten, dass diese Transformation in die richtige Richtung weist – und diese liegt ihrer Einschätzung nach in einer neuen ethischen Fundamentierung des Wirtschaftsprozesses, in einer „Kultur der Verantwortung“ in Wirtschaft und Politik. Diese Kultur des Wirtschaftens benötigt viele Impulse zu ihrer Ausformulierung. Ihre Konturen sind erst grob definiert, ihre Instrumente noch nicht fertiggebaut. Eine „Verantwortungswirtschaft“ zu schaffen ist ein offener Prozess, der viele Partner braucht und viele Anstöße. Ein Impuls war die intensive Auseinandersetzung mit der Verantwortung in der Wirtschaft im Rahmen unseres Schwerpunktjahres 2009 – „Wirtschaft trägt Verantwortung“. Aus diesem Themenschwerpunkt ist die vorliegende Positionierung der Wirtschaftskammer Salzburg hervorgegangen. Sie soll über das Jahr 2009 hinaus wirken, sie formuliert ergänzende Leitprinzipien unserer Wirtschaftspolitik und unseres Handelns in Interessenvertretung, Service und Wissensvermittlung – mit der Hoffnung auf Übernahme und Nachahmung. 10 Präambel EINE RENAISSANCE DER ETHIK UNSERE GLOBALE GESELLSCHAFT STEHT VOR TIEFGREIFENDEN VERÄNDERUNGEN. WIR SIND VOR DIE NOTWENDIGKEIT GESTELLT, AUF DRÄNGENDE PROBLEME UMFASSENDE UND RICHTIGE ANTWORTEN ZU GEBEN. Verantwortungslosigkeit führte in Sackgasse Viele der uns intensiv beschäftigenden Herausforderungen haben ihre Ursache darin, dass der ethischen Komponente unseres Handelns in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr der notwendige Stellenwert eingeräumt wurde. „Verantwortung zu übernehmen“, d. h. die Folgen für das eigene oder auch fremde Verhalten zu tragen, ist unter dem Druck vieler Anforderungen – überzogene Rentabilitätserwartungen, unübersichtliche Komplexität der gesellschaftlichen Verantwortungsebenen, Lockerung der gesellschaftlichen Bindungen etc. – zu weit in den Hintergrund verschoben worden. Überdeutlich wurde vor allem in den vergangenen Monaten der weltweiten Finanzkrise, dass Verantwortungslosigkeit in die ethische und letztlich ökonomische Sackgasse führt. Darum ist eine Neuorientierung – und zwar nicht nur im Finanzsektor – der einzig erfolgversprechende Weg. Aus diesem Grund stehen Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere in der derzeitigen Wirtschaftskrise und angesichts der globalen ökologischen Herausforderungen, vor einer Renaissance des ethischen Verhaltens. Laut „State of the Future 2009“ des „Millennium Projects“ (das führende Netzwerk der Zukunftsforschung) wird der ethischen Orientierung in der Wirtschaft die Schlüsselposition für die zukünftige globale Ökonomie schlechthin zugemessen. Keine andere Zukunftsstrategie hat im Rahmen des „Millennium Projects“ von den teilnehmenden Experten mehr Zustimmung geerntet. Konzepte wie „Corporate Social Responsibility“, die auf das Management gesellschaftlicher Verantwortung abzielen, werden daher massiv an Bedeutung gewinnen. Gesellschaft unser Handeln in all seinen Vorbedingungen und Auswirkungen in ökonomischer, ökologischer und gesellschaftlicher Hinsicht nicht mehr lokal eingegrenzt werden kann. Zukunftsfähigkeit in der Wirtschaft Schauplatz für Verantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft, für die Erprobung und Verwirklichung nachhaltiger Wirtschaftsprozesse ist gleichfalls nicht ein fernes oder virtuelles Land, sondern es sind unsere Regionen, unsere Städte und Gemeinden. In ihnen ist die Zukunftsfähigkeit zu sichern. Dort ist auch in Kooperation zwischen politischen Gebietskörperschaften, Bürgern und Unternehmen das notwendige „Sozialkapital“ zu bilden, das hilft, zukunftsfähige Lösungen zu finden. In den Regionen Zukunftsfähigkeit sichern In den Regionen entscheidet sich das Gelingen einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität. Daher ist auch einer Belebung und Neugestaltung der Regionalpolitik unter diesen Gesichtspunkten großes Augenmerk zu schenken. Eine neue Regionalpolitik Doch alle theoretischen Modelle haben sich in der Praxis zu bewähren und vor Ort. Schon jetzt sind Wirtschaftlichkeit und Ethik kein Widerspruch. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer leben täglich die enge Verbindung von Ethik und unternehmerischem Erfolg vor, wobei die wichtige Rolle der KMU in diesem Zusammenhang nicht immer ausreichend wahrgenommen wird. Diese wesentliche wirtschaftliche Kraft nimmt nach unserer Ansicht jedoch eine der Schlüsselrollen für den Erhalt der Zukunftsfähigkeit ein, wobei sich die Bemühungen der WKS, den Prinzipien der Nachhaltigkeit und Verantwortung konkret zum Durchbruch zu verhelfen, an alle heimischen Unternehmen richten. Schauplatz Regionen Verantwortung kann am besten und wirksamsten für den jeweils Nächsten und das Nächstliegende wahrgenommen werden (Subsidiarität). Dabei darf aber nicht ausgeblendet werden, dass in einer globalen Im Rahmen der Ordnungspolitik kommt dabei nach Ansicht der WKS dem Wertesystem der Sozialen Marktwirtschaft eine zentrale Bedeutung zu, allerdings ist dieses Konzept aus dem 20. Jahrhundert an heutige Notwendigkeiten der globalen Zukunftssicherung anzupassen. 13 1. Kapitel VON DER SOZIALEN ZUR HUMANEN MARKTWIRTSCHAFT MIT DEN PRINZIPIEN DER NACHHALTIGKEIT, EIGENVERANTWORTUNG UND SOLIDARITÄT EIN NEUES LEITBILD FÜR DIE WIRTSCHAFT SCHAFFEN. Die dynamische wirtschaftliche Entwicklung Österreichs der letzten Jahrzehnte hat zu hoher, im europäischen Spitzenfeld liegender Wertschöpfung, zu mehr Arbeitsplätzen und weitestgehend Vollbeschäftigung sowie zu materiellem Wohlstand geführt, vor allem aber auch die Schaffung eines umfassenden Systems sozialer Sicherheit ermöglicht. Weltweit hat das Wachstum der Volkswirtschaften neben stark steigendem Sozialprodukt und verteilbarem Volkseinkommen aber auch zu neuen gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Problemen, schließlich zu einer dramatischen Krise des internationalen Finanzsystems und zu einer tiefen, seit acht Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Krise der globalen Wirtschaft geführt. Erfolgreiche Marktwirtschaft System-Unzufriedenheit wächst Die höhere ökonomische Effizienz unseres marktwirtschaftlichen Ordnungssystems und die damit verbundene leichtere Finanzierbarkeit des sozialen Systems und der infrastrukturellen Aufgaben des Staates sind zwar unbestritten. Dennoch hat die Lebensqualität Ist materieller Wohlstand Lebensqualität? 14 04 Krisenursache: Das Fehlen von Verantwortung 1. Kapitel der Menschen nicht in gleichem Maße wie das Sozialprodukt zugenommen. Die qualitative Entwicklung der Gesellschaft, gemessen an der Lebenszufriedenheit, sozialen Gerechtigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit hat nicht mit der Steigerung des materiellen Wohlstands aus der Wirtschaftsleistung des Staates und des Volkseinkommens Schritt gehalten. Vielfach wird daher auch überlegt, andere Indikatoren als das Bruttoinlandsprodukt zur Berechnung des Wohlstandes zu entwickeln. schaftlichen System pauschal angelastet. Eine der Ursachen dafür liegt eher in der zu geringen Durchsetzung von Verantwortung auf allen Ebenen. Märkte sind letztlich Veranstaltungen, in denen Menschen auch sozial und ethisch handeln können, wobei erst geeignete systemkonforme Grundlagen eine faire und gleiche Startposition für alle in der Wirtschaft Tätigen ermöglichen. Ergänzend dazu haben die jüngste globale Krise eines vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Finanzsystems, das sich weitgehend von der Realwirtschaft abgekoppelt hat, und der internationale Konjunktureinbruch mit einer tiefen Rezession in den meisten Industrieländern nicht nur zu einer Wertediskussion, sondern auch zu einer ordnungspolitischen Diskussion geführt, in deren Rahmen das System der Sozialen Marktwirtschaft häufig als Ganzes in Frage gestellt wurde. Es ist aus Sicht der WKS nach wie vor unbestritten, dass das Erreichen der wesentlichen wirtschaftspolitischen Ziele wie Vollbeschäftigung, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Geldwertstabilität, Schutz der Umwelt durch nachhaltige Ressourcenverwendung, Verteilungsgerechtigkeit (auch generationenübergreifend) und geordnete Staatsfinanzen, mit dem gesellschaftlichen Oberziel der Mehrung des Gemeinwohls und der Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt, nur im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft bei strikter Befolgung der Grundsätze dieses Ordnungsmodells am effizientesten erreichbar sind, nämlich Zu Unrecht werden nunmehr Fehlentwicklungen wie etwa das Marktversagen oder der zu geringe Wettbewerb in manchen Märkten, das Fehlverhalten von Akteuren etwa in der internationalen Finanzwirtschaft, aber auch staatliches Versagen, etwa in der Kontrolle der Finanzmärkte, dem sozial-marktwirt- Soziale Marktwirtschaft bleibt Basis – auf Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie unternehmerische Initiative mit einem durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden, 16 04 – den sozialen Charakter der Sozialen Marktwirtschaft durch die rechtliche Sicherung des Wettbewerbs, die staatliche Korrektur des Einkommenskreislaufes zugunsten wirtschaftlich Schwacher und die Sozialbindung des Eigentums zu verankern. Die Prinzipien der Verantwortung, Nachhaltigkeit und Solidarität als Wertegrundlage für eine „Humane Marktwirtschaft“ Langfristige Ziele anpeilen 17 1. Kapitel Nicht erst die Ursachen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern die permanenten Verstöße gegen die wesentlichen Grundsätze und Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft erfordern eine eingehende Diskussion und Besinnung aller am wirtschaftlichen Geschehen beteiligten Gruppen auf die gesellschaftlichen Grundwerte, auf denen unser Ordnungssystem aufbauen soll. Die WKS will daher eine neue Diskussion über dieses Wertesystem einleiten, in dessen Zentrum stehen sollen: – – – Nachhaltigkeit in ökonomischer und ökologischer Hinsicht, (Eigen-)Verantwortung und Solidarität gegenüber sozial Schwachen, aber auch im Sinne der „Generationengerechtigkeit“. Eine Soziale Marktwirtschaft, die einer Wer- te- und Verantwortungsorientierung unterliegt, wird so zur „Humanen Marktwirtschaft“ erweitert. Ganz im Sinne des von Hans Jonas formulierten „Prinzips Verantwortung“ mit dessen Ethik für die technische Zivilisation: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Ein Grundwertekatalog mit den Prinzipien der Verantwortung, Nachhaltigkeit und Solidarität soll als Richtschnur wirtschaftlichen und politischen Handelns in unserer Wirtschaftsordnung verstanden werden und dient auch als Handlungsorientierung für die Arbeit der Wirtschaftskammer Salzburg. Wirtschaft, Staat und Bürger tragen Verantwortung Dies heißt für die Wirtschaft, verstärkt Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt möglichst langfristiger Unternehmensziele zu treffen, sowohl was Investitionen und betriebliche Perspektiven insgesamt als auch die Rentabilitätserwartungen zum eingesetzten Kapital betrifft. Nachhaltigkeit und Verantwortung bedeuten in ökologischer Hinsicht, bei betrieblichen Entscheidungen der auch ökologisch vorteilhafteren, nachhaltigen Lösung den Vorzug zu geben. Gleichfalls nehmen Unternehmen die Verantwortung gegenüber Kunden, Mitarbeitern und anderen Anspruchsgruppen aktiv wahr (siehe Kapitel 2). und stattdessen ist das (eigen-)verantwortliche und engagierte Handeln als Rollenmodell zu forcieren. Verantwortung vor allem dahingehend einzufordern, dass seine Entscheidungsträger auch den Mut zu unpopulären Entscheidungen haben und die Bereitschaft aufbringen, partikuläre Interessen zugunsten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtinteresses zurückzustellen. Verantwortungsvolle Politik erfordert, langfristige, über Wahlperioden hinausreichende Perspektiven in allen Feldern der Politik zu entwickeln, etwa im Bereich der Bildung, in der Innovationsorientierung, der Finanzierung der Alters- und Gesundheitsversorgung, in der Umwelt- und Energiepolitik oder im Hinblick auf den Abbau der angehäuften Schuldenlast. Im Verhältnis zu den Bürgern sind Anspruchs- und Gefälligkeitsdemokratie, ausufernde Gratis- und Ausnahmenmentalität der Bürger, grassierender Verantwortungstransfer und wachsende Vollkasko-Mentalität in einer Risikogesellschaft zurückzudrängen Wirtschaft und Gesellschaft brauchen nicht mehr Staat, sondern einen effizienteren, „kostengünstigeren“ Staat, der die notwendigen infrastrukturellen, sozialen und wissensbasierten Rahmenbedingungen für eine „Humane Marktwirtschaft“ bereitstellt. Zum anderen ist vom Staat verstärkt Mut zu unpopulären Entscheidungen 19 2. Kapitel DAS GESELLSCHAFTLICHE ENGAGEMENT VON UNTERNEHMEN IN EINER HUMANEN MARKTWIRTSCHAFT IST DIE ERKENNTNIS, DASS SICH UNTERNEHMERISCHES HANDELN UND ETHISCHE ORIENTIERUNG NICHT AUSSCHLIESSEN, ZU EINER SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT GEWORDEN. Der Prozess hin zu diesem Verständnis ist allerdings bereits eingeleitet: Vielen Unternehmerinnen und Unternehmern ist es eine Selbstverständlichkeit, auf Basis von ethischen Werten Geschäfte zu betreiben und Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden, Geschäftspartner und „Stakeholder“ des Unternehmens zu tragen. Darüber hinaus sind viele Unternehmen wertvolle Partner der „Zivilgesellschaft“ (Hilfsdienste, Vereine, kulturelle Organisationen etc.) und unterstützen wichtige Leistungen für das Gemeinwohl. Untersuchungen wie „Salzburgs Wirtschaft trägt Verantwortung“ zeigen eine enorme Dichte und Vielfalt an Formen des Engagements in und außerhalb des Betriebes. Viele Unternehmer „investieren“ – bewusst strategisch, aber auch vielfach ohne Bezug zu ihrem Unternehmen – in die Gesellschaft als Ausdruck ihrer ethischen Überzeugung. In diesem Zusammenhang tritt die WK Salzburg mit Nachdruck dafür ein, das so- Unternehmen, Partner der Zivilgesellschaft 20 04 Prinzip Freiwilligkeit Für ein Klima der Ermutigung 21 2. Kapitel ziale Engagement von Unternehmen – sei es als „Corporate Social Responsibility“ oder als „Corporate Citizenship“ verstanden – grundsätzlich als freiwillige Leistung zu definieren, welche die gesetzlichen Vorschriften (für Arbeitnehmer, Umwelt etc.) übertrifft oder ergänzt. Die Verrechtlichung von CSR widerspricht dem Charakter ethischen Handelns, das immer eine bewusste individuelle Entscheidung für die Verantwortung darstellt. Wesentlich wichtiger ist die Schaffung eines Klimas der Ermutigung für Verantwortung in der Wirtschaft und eine verstärkte gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung von verantwortungsvollem Unternehmertum. Die WKS sieht es als ihre Aufgabe an, das Bewusstsein für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln durch geeignete Maßnahmen (Aktionen, Projekte, Kampagnen) zu stärken, aber auch die Öffentlichkeit weiterhin auf diese Rolle der Unternehmen aufmerksam zu machen. Verantwortung als Management-Aufgabe Auch wenn Unternehmer primär die Verantwortung für den Unternehmenserfolg zu tragen haben, ist es doch immer auch möglich, gesellschaftliche Integrität und Verantwortungsbewusstsein als grundlegenden Wert in die unternehmerischen Prozesse zu integrieren. Diese Vorgehensweise ist am besten bewusst als Managementaufgabe wahrzunehmen. Untersuchungen zeigen, dass die bestehenden Managementmethoden wie CSR zu wenig bekannt sind. Vieles an CSR-Leistungen geschieht zufällig, ohne Nachhaltigkeit. Das unbestritten vorhandene Engagement wird manchmal auch mit Absicht nicht in unternehmensstrategischer Hinsicht genutzt, eine Haltung, die freilich auch zu akzeptieren ist. Gleichfalls wird von Seiten der Unternehmer nicht immer gesehen, dass CSR durch das Management möglicher Risken nicht nur das Verhältnis zu den Interessenpartnern („Stakeholdern“) verbessert, sondern durch Reputationsgewinn und Kooperation mit der Zivilgesellschaft auch (unternehmerische) Chancen eröffnet. Denn gesellschaftlicher und betrieblicher Nutzen lassen sich kombinieren und in Balance bringen. Weder ist CSR eine rein betriebliche Effizienzstrategie noch ein moralisches Konzept ohne betriebswirtschaftlichen Rückbezug. Ebenso gilt aber auch, dass bewusste strategische CSR nicht nur nachhaltiger, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht wirksamer wird. Die WK Salzburg unterstützt daher wirksame Bestrebungen, die darauf abzielen, CSR als Management- und Führungsmodell insbesondere auch im Bereich der KMU stärker zu verankern. Dies kann auch im Rahmen von Kooperationen und Erfahrungsnetzwerken zu CSR stattfinden, etwa durch Bildung eines Erfahrungs- und Wissensnetzwerks. Gleichfalls wird die WK Salzburg im Rahmen ihres Wissensmanagements die Schaffung von Aus- und Weiterbildungsangeboten für CSR unterstützen. Verantwortung für die Gesellschaft schließt die Verantwortung für die Biosphäre mit ein. Mit ihren Einrichtungen – zum Beispiel dem umwelt service salzburg – leistet die WK Salzburg einen wichtigen Beitrag zu einer Weiterentwicklung unserer Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette. Auch hier stellt sich die WKS für die Zukunft die Aufgabe, durch verstärktes Wissensmanagement ei- nen Beitrag zu leisten, technologische Instrumente und Managementmethoden für nachhaltiges Wirtschaften für eine vielfältige Verwendung in der Praxis bekannt zu machen. Für eine neue Standortpolitik hält die WK Salzburg eine stärkere Durchsetzung der innovationsintensiven „Green Economy“ (neue Technologien und Dienstleistungen für Klima- und Umweltschutz) für besonders wichtig. Diese eröffnet nicht nur technologische und wirtschaftliche Chancen und stärkt die Forschung und Entwicklung, sondern erweitert auch den Branchenmix der heimischen Wirtschaft. Mit ihrer Energiepolitik tritt die WK Salzburg für die Forcierung der erneuerbaren Energien, durchgängige Energieeffizienz, verstärkte Forschung für erneuerbare Energien, einen nachhaltig sparsameren Umgang mit Energie und eine wirksame Förderpolitik für erneuerbare Energien ein. „CSR“ hat gesellschaftlichen und betrieblichen Nutzen „Green Economy“ forcieren 22 04 3. Kapitel VERANTWORTUNGSVOLLE BÜRGER FÜR EINE VERANTWORTUNGSVOLLE POLITIK ENGAGIERTE BÜRGERINNEN UND BÜRGER SIND FÜR DIE BEWÄLTIGUNG DER HERAUSFORDERUNGEN UNVERZICHTBAR GEWORDEN, DENN NICHT ALLES KANN UND SOLLTE DER STAAT LEISTEN. Für eine neue Rollenverteilung Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt sich immer deutlicher, dass schon allein die Komplexität und Dimension der Herausforderungen nicht mehr durch die alleinige Lösungskompetenz von „Staat“ oder „Markt“ bewältigt werden können. Traten bisher Probleme auf, erfolgte vielfach entweder der „Ruf nach dem Staat“, d. h. nach neuen teuren Regelungen oder noch größeren finanziellen Zuwendungen, oder, je nach ideologischer Ausrichtung, die Überantwortung der Probleme an den Markt bzw. die Marktkräfte. In beiden Richtungen ist allerdings Versagen zu orten bzw. vorauszusagen. So sind die öffentlichen Finanzen schon vor der Krise überfordert gewesen – ein Mehr an „Versorgungsmentalität“ und der weitere Ausbau staatlicher Leistungen durch Ausdehnung öffentlicher Schulden ist nicht mehr leistbar. Gleichfalls ist auch ein Marktversagen immer möglich, sei es durch ethisches Versagen, Verlust an Wettbewerb durch Monopole oder weil bestimmte gesellschaftliche Probleme einfach nicht „marktfähig“ sind. Eine neue Bürger-Gesellschaft Es braucht daher ein neues Verständnis von bürgerlicher Gesellschaft, ein neues Verständnis der Rollenverteilung von Staat, Markt und Bürgern, seien Letztere nun Individualpersonen oder Unternehmen („Corporate Citizens“). Verantwortungsvoll agierende Bürger sind gleichzeitig Voraussetzung und Adressaten 24 Mehr Bedarf nach bürgerschaftlichem Engagement 25 3. Kapitel für eine vom Staat einzufordernde verantwortungsvolle Politik. Verantwortung darf jedoch nicht nur vom Staat und den Unternehmen erwartet werden, sondern muss auch von den Bürgern in ihren vielfältigen Rollen als Wähler, Konsumenten, Eltern, Arbeitnehmer gelebt werden. Ein besonderer Ausdruck dieser Verantwortung ist das bürgerschaftliche Engagement, das immer mehr in das Zentrum einer neuen verantwortungsvollen Bürgerlichkeit rückt. Der wachsende Bedarf an „gesellschaftlicher Arbeit“ ist nur durch engagierte, selbstständig agierende Bürgerinnen und Bürger zu befriedigen, die im Sinne der Subsidiarität und der Solidarität gewillt sind, aktiv und in Kooperation mit anderen Bürgern Herausforderungen zu lösen oder für Zusammenhalt zu sorgen. Subsidiarität heißt jedoch nicht, dass engagierte Bürger und Unternehmen als Lückenbüßer für die Politik dienen, sondern dass sie staatliches Handeln ergänzen. Der Bedarf nach bürgerschaftlichem Engagement wird auch allein durch den demografischen und ökonomischen Wandel steigen. Bürgerschaftliches Engagement insbesondere in den Regionen wird damit ein lebenswichtiges Element für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Verantwortung: Erfolgsfaktor für Gesellschaft und Unternehmen Bürgerschaftliches Engagement von Personen oder Unternehmen (und natürlich Unternehmern) erbringt nach Ansicht der WK Salzburg enorm wichtige Leistungen: – Engagierte Bürger erhalten die Wertvorstellungen und sozialen Netze und erneuern die soziokulturellen Grundlagen unserer Gesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement fördert die soziale Integration, ermöglicht die Teilnahme an kommunalen oder gemeinschaftlichen Entscheidungen und erhöht letztlich die Akzeptanz von Demokratie. – Das Engagement von Bürgern für die Gesellschaft ermöglicht vielfältige Leistungen im Bereich von Sport, Kultur und sozialen Einrichtungen, die ohne Bürgerarbeit und Unterstützung der Wirtschaft oft nicht zustande kämen. – Gelebte Verantwortung wird damit zu einem Erfolgsfaktor für die Gesellschaft und die Unternehmen einer Region. Die WK Salzburg fördert die aktive Anerkennung zivilgesellschaftlichen Engagements im Sinne einer Humanen Marktwirtschaft. Die WK Salzburg unterstützt daher in vielfältiger Form das gesellschaftliche Engagement von Bürgern und Unternehmen. Die Wirtschaftskammer bietet Methoden der Kooperation von Unternehmen zur Lösung von gemeinsam erkannten gesellschaftlichen Problemen an und dient als Plattform für derartige Kooperationen. Die WK Salzburg tritt für eine Kultur der Verständigung, der Kooperation und des Vertrauens zwischen Wirtschaft und zivilgesellschaftlich engagierten Bürgern ein. Die Anwendung unternehmerischer Kompetenz und Methoden bei der Lösung der gesellschaftlichen Probleme ist dabei ein grundlegendes Anliegen. Wirtschaft, Politik und Bürger brauchen gemeinsame Leitbilder für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Eine derartige Leitidee kann und soll eine in Kooperation zu entwickelnde „Kultur der Verantwortung“ in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sein. Sie ist der Kern einer neuen Humanen Marktwirtschaft. Engagierte Bürger und Unternehmen prägen und bereichern entscheidend das „Sozialkapital“, das ein fundamentales Element der Lebensqualität und letztlich der wirtschaftlichen Standortqualität einer Region darstellt. Dr. Kurt Oberholzer, Dkfm. Bernd Gaubinger Salzburg, 21. Oktober 2009 26 27 Grundbegriffe Corporate Citizenship (CC)* CC bezeichnet das Engagement von Unternehmen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld, um in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen Probleme des Gemeinwesens aufzugreifen. Dazu gehört die Hilfe durch Spenden oder Sponsoring („Corporate Giving“) ebenso wie die Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens („Corporate Volunteering“). Corporate Social Responsibility (CSR)* Die EU definiert CSR als freiwilliges Handeln, das von der Verantwortung des Unternehmens gegenüber seinen „Stakeholdern“ getrieben wird. Gesellschaftliche Verantwortung soll in den Geschäftsprozess integriert werden und nicht bloß Öffentlichkeitsarbeit um ihrer selbst willen sein. (UNO) eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne dadurch die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. „Corporate Sustainability“ beinhaltet eine Unternehmensführung, die darauf ausgerichtet ist, die Beiträge eines Unternehmens zur sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit zu optimieren. Soziale Marktwirtschaft* kann im Sinne von Alfred Müller-Armack, dem geistigen Schöpfer des Modells, als ordnungspolitische Idee verstanden werden, deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie unternehmerische Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden. Auf der Grundlage einer nicht sich selbst überlassenen, sondern sozial gesteuerten Marktwirtschaft kann ein vielgestaltiges System der sozialen Sicherung geschaffen werden. gleichs zu verbinden, wobei dem Staat die Aufgabe zukommt, den Ordnungsrahmen der Wirtschaft zu gestalten. Die wesentlichen Grundzüge der Sozialen Marktwirtschaft sind in – der rechtlichen Sicherung des Wettbewerbs, d. h. Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen, – der Umverteilung von Einkommen und Vermögen, d. h. der Schaffung von sozialem Ausgleich, – der Garantie des Privateigentums, jedoch mit der Betonung der Sozialbindung des Eigentums, – und der Stabilisierung der Konjunktur, d. h. der Vermeidung von Konjunkturkrisen, zu sehen. Soziale Interventionen des Staates sind – nach Müller-Armack – allerdings nur zu befürworten, sofern sie dem Grundsatz der Marktkonformität entsprechen. Die konkrete Ausgestaltung des Modells der Sozialen Marktwirtschaft bleibt angesichts der sich ständig verändernden Rahmenbedingungen und der damit verbundenen notwendigen dynamischen Anpassung eines Wirtschaftssystems offen. Stakeholder* sind Anspruchsgruppen eines Unternehmens, die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens beeinflussen oder von ihr beeinflusst werden. Dazu gehören die Mitarbeiter, aber auch Kunden, Lieferanten, Anteilseigner, Medien, lokale Gemeinschaften etc. Nachhaltigkeit* Nachhaltige Entwicklung bedeutet nach der Definition des Brundtland-Berichts von 1987 Richtungsweisender Sinn der Sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem Prinzip des sozialen Aus- * Diese Begriffserklärungen folgen mit freundlicher Genehmigung dem Buch „Verantwortung für die Gesellschaft, verantwortlich für das Geschäft“ von Birgit Riess (Hrsg.), Verlag Bertelsmann Stiftung. Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens. gugler cross media, Melk; UWZ 609; www.gugler.at Julius-Raab-Platz 1 | A-5027 Salzburg | T 0662/8888-0 | F 0662/8888-188 | E [email protected] | W wko.at/sbg