Lineare Differenzengleichungen und Polynome Franz Pauer Vortrag

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Lineare Differenzengleichungen und Polynome
Franz Pauer
Institut für Mathematik, Universität Innsbruck,
Technikerstr. 13/7, A-6020 Innsbruck, Österreich.
[email protected]
Vortrag beim ÖMG-LehrerInnenfortbildungstag
2009 in Wien
17. April 2009
1
Einleitung
Lehrplan 8. Klasse AHS: Beschreiben von Syste”
men mit Hilfe von . . . Differenzengleichungen oder
Differentialgleichungen“
Lehrplan der Höheren Lehranstalt für Elektrotechnik, III. Jahrgang: Differenzengleichungen, Zahlenfolgen, . . .
Ziele dieses Vortrags:
• einfache Darstellung der Theorie der linearen
Differenzengleichungen (in einer Variablen, mit
konstanten Koeffizienten)
• Lösungsverfahren mit Hilfe der Division mit Rest
von Polynomen
• Aus Zeitgründen leider nicht: Modellierung von
interessanten Problemen aus Wirtschaft, Technik und Naturwissenschaften
2
Inhalt:
Folgen und ihre Darstellung, Rechnen mit Folgen
Lineare Differenzengleichungen: Definition,
Beschreibung der Lösungsmenge, Existenz von
Lösungen
Beschreibung von Differenzengleichungen mit
Hilfe von Polynomen
Lösen von Differenzengleichungen mit Hilfe der
Division mit Rest von Polynomen
Bemerkung: R könnte im weiteren immer durch C
oder Q ersetzt werden.
3
Folgen
Eine Folge in R ist eine Funktion von N nach R.
Darstellung von Folgen:
f : N −→ R , j 7−→ f (j)
ODER
(f0, f1, f2, f3, . . .) = (fj )j∈N = (f (j))j∈N
ODER
•
•
•
2
•
1
0
2
•
2
1
1
2
3
4
5
...
−1
•
4
(Genaue) Beschreibung von Folgen
(durch endlich viele Daten)
• Durch Angabe eines Verfahrens, wie für jede
Zahl j ∈ N das j-te Folgenglied“ f (j) berech”
net werden kann.
Zum Beispiel:
Für alle j ∈ N sei f (j) := j 2 − 3j + 2.
Oder:
1 2j .
Für alle j ∈ N sei f (j) := j!
• Durch Angabe von Bedingungen, die von genau einer Folge f erfüllt werden.
Zum Beispiel:
f (0) = 0, f (1) = 1,
und für alle j ∈ N: f (j +2) = f (j +1)+f (j).
5
Lineare Differenzengleichungen
Eine lineare Differenzengleichung (der Ordnung n)
ist die folgende Aufgabe:
• Gegeben sind reelle Zahlen c0, c1, . . . , cn mit
cn 6= 0 und eine Folge h in R.
• Gesucht ist eine gute Beschreibung“ der Men”
ge L(c0, . . . , cn; h) aller Folgen f in R mit der
Eigenschaft:
für alle j ∈ N ist
c0·f (j)+c1·f (j+1)+. . .+cn·f (j+n) = h(j) .
Diese Folgen f heißen Lösungen der Differenzengleichung.
Wenn h = 0 ist, heißt die Differenzengleichung homogen.
6
Interpretation als System von linearen Gleichungen
mit unendlich vielen Unbekannten und unendlich
”
vielen Gleichungen“:
c0 · f (0)+ c1 · f (1)+ c2 · f (2)+ c3 · f (3)+
c0 · f (1)+ c1 · f (2)+ c2 · f (3)+
c0 · f (2)+ c1 · f (3)+
c0 · f (3)+
... =
... =
... =
... =
... =
In jeder Zeile nur endlich viele Summanden 6= 0!
Unbekannte“: f (0), f (1), f (2), . . ..
”
7
h(0)
h(1)
h(2)
h(2)
...
Einschub 1:
Rechnen mit Folgen
Sei F die Menge aller Folgen in R. Für
f = (f0, f1, f2, . . .) ∈ F, g = (g0, g1, g2, . . .) ∈ F
und
b ∈ R ist
f + g := (f0 + g0, f1 + g1, f2 + g2, . . .)
und
b · f := (bf0, bf1, bf2, . . .).
Für + und · in F gelten die Rechenregeln eines
Vektorraums, also: Folgen sind Vektoren.
8
Wichtige Beobachtungen
Gegeben seien reelle Zahlen c0, c1, . . . , cn mit
cn 6= 0. Wir betrachten die dadurch gegebene
homogene lineare Differenzengleichung.
• Wenn f und g Lösungen dieser Differenzengleichungen sind, dann auch f + g.
• Wenn f eine Lösung ist und b eine reelle Zahl,
dann ist auch b · f eine Lösung.
Also:
L(c0, . . . , cn; 0) ist ein Untervektorraum von F!
Er kann also durch Angabe (irgend)einer Basis
gut beschrieben“ werden.
”
9
Gegeben seien reelle Zahlen c0, c1, . . . , cn mit
cn 6= 0 und eine Folge h. Wir betrachten die dadurch gegebene lineare Differenzengleichung.
• Wenn f und g Lösungen dieser Differenzengleichung sind, dann ist f − g eine Lösung der entsprechenden homogenen Differenzengleichung.
• Wenn f (irgend)eine Lösung dieser linearen Differenzengleichung ist, dann erhält man alle Lösungen, indem man beliebige Lösungen der entsprechenden homogenen linearen Differenzengleichung zu f addiert.
Also:
L(c0, . . . , cn; h) kann durch Angabe (irgend)einer
Lösung f und (irgend)einer Basis g1, . . . , gk von
L(c0, . . . , cn; 0) beschrieben werden.
Dann ist
L(c0, . . . , cn; h) = {f +
k
X
bigi | b1, . . . , bk ∈ R } .
i=1
10
Existenz von Lösungen
Es seien a0, . . . , an−1 reelle Zahlen ( Anfangsbe”
dingungen“). Dann gibt es genau eine Folge f so,
dass
• f (i) = ai, 0 ≤ i ≤ n − 1, und
• c0 · f (j) + c1 · f (j + 1) + . . . + cn · f (j + n) =
h(j) , j ∈ N, ist.
Insbesondere:
L(c0, . . . , cn−1; h) ist nicht leer und L(c0, . . . , cn; 0)
ist ein n-dimensionaler Vektorraum.
Also:
Der Lösungsraum einer linearen Differenzengleichung
der Ordnung n ist n-dimensional. Zu vorgegebenen
n Anfangsbedingungen gibt es genau eine Lösung
einer linearen Differenzengleichungen.
11
Berechne f induktiv:
• f (0) = a0, . . . , f (n − 1) = an−1,
• f (n) = c−1
n (h(0) − c0f (0) − c1f (1) −
. . . − cn−1f (n − 1))
• f (n + 1) = c−1
n (h(1) − c0f (1) − c1 f (2) −
. . . − cn−1f (n))
• f (n + 2) = c−1
n (h(2) − c0f (2) − c1 f (3) −
. . . − cn−1f (n + 1))
• f (n + 3) = . . .
12
Beispiel:
a0 = 0, a1 = 1,
f (j + 2) − f (j + 1) − f (j) = 0, j ∈ N.
• f (0) = 0, f (1) = 1
• f (2) = f (1) + f (0) = 1
• f (3) = f (2) + f (1) = 2
• f (4) = f (3) + f (2) = 3
• f (5) = f (4) + f (3) = 5
• ...
Diese Folge heißt Folge der Fibonacci-Zahlen.
13
Shifts“
”
Sei f eine Folge in R.
Für ` ∈ N sei s` ∗ f die Folge in R mit
für alle j ∈ N ist (s` ∗ f )(j) := f (j + `)
Beispiel:
f
s∗f
= (1, 2, −1, 1, 2, 2, . . .)
= (2, −1, 1, 2, 2, . . .)
s2 ∗ f = (−1, 1, 2, 2, . . .)
s3 ∗ f = (1, 2, 2, . . .)
14
Beispiel:
f
•
•
2
•
2
•
1
•
2
1
0
1
2
3
4
...
5
−1
•
s∗f
•
•
2
•
2
•
2
1
0
1
2
3
4
...
−1
•
s2 ∗ f
•
•
2
•
2
1
0
1
2
3
...
−1
•
15
Einschub 2:
Polynomfunktionen, Polynome
Seien n ∈ N und c0, c1, . . . , cn ∈ R.
Dann ist die Funktion
p : R → R,
z 7→ c0 + c1z + c2
z2
+ · · · + cn
zn
=
n
X
ci z i ,
i=0
eine Polynomfunktion von R nach R.
Die Zahlen c0, . . . , cn sind die Koeffizienten von p.
Wenn cn 6= 0 ist:
grad(p) := n ist der Grad von f und
lk(p) := cn der Leitkoeffizient von p.
Wir schreiben für p im weiteren
c0 + c1 s + c2
s2
+ . . . + cn
sn
oder
n
X
cisi
i=0
und sprechen dann von einem Polynom in der Variablen s mit Koeffizienten in R. Für die Menge dieser
Polynome schreiben wir dann R[s].
16
Für die Addition
n
X
cisi +
i=0
n
X
disi :=
i=0
n
X
(ci + di)si
i=0
und die Multiplikation
(
n
X
i=0
ci
si) · (
n
X
i=0
di
si)
:=
2n
X
(
i
X
cj · di−j )si
i=0 j=0
gelten die gleichen Rechenregeln wie für die Addition und Multiplikation von ganzen Zahlen.
17
Beschreibung von Differenzengleichungen
durch Polynome
Pn
Für p := i=0 cisi und f ∈
n
X
F sei
ci(si ∗ f ) ∈ F .
p ∗ f :=
i=0
Also: für alle j ∈ N ist
(p ∗ f )(j) =
n
X
cif (j + i) .
i=0
Sprechweise: die durch p und h gegebene lineare
”
Differenzengleichung“ bedeutet
die durch c0, c1, . . . , cn und h gegebene lineare
”
Differenzengleichung“.
Statt L(c0, c1, . . . , cn; h) schreiben wir dann einfach
L(p; h). Es ist
L(p; h) = {f ∈ F | p ∗ f = h } .
Beispiel: Die durch s2 −s−1 gegebene Differenzengleichung ist die homogene Differenzengleichung,
die durch 2, −1, −1 gegeben ist.
18
Noch einmal: Wichtige Beobachtungen
• Für Polynome p, q ∈ R[s], eine reelle Zahl b
und eine Folge f ist
(bp + q) ∗ f = b(p ∗ f ) + q ∗ f
und
(pq) ∗ f = p ∗ (q ∗ f ) = q ∗ (p ∗ f ) .
• Seien p, q ∈ R[s] und f ∈ F. Wenn p ∗ f = 0
ist, dann ist auch p ∗ (q ∗ f ) = 0.
L(p; 0) ist nicht nur ein R-Vektorraum, son”
dern sogar ein R[s]-Modul“.
19
Einschub 3:
Division mit Rest von Polynomen
Satz: Zu je zwei Polynomen q und p mit p 6= 0 gibt
es eindeutig bestimmte Polynome m und r mit den
Eigenschaften
q = m·p+r
und [r = 0 oder grad(r) < grad(p)] .
m . . . polynomialer Quotient von q und p
r . . . Rest von q nach Division durch p
Divisionsalgorithmus (Berechnung von m und r):
• Setze m := 0 und r := q.
• Solange r 6= 0 und grad(r) ≥ grad(p) ist,
ersetze r durch r − t · p
und m durch m + t, wobei
t := lk(r) · lk(p)−1 · sgrad(r)−grad(p) ist.
20
Beispiel: Seien
q := s4 +2s3 −2s2 +s−1
und
p := s2 −2 .
Wir berechnen mit dem oben angegebenen Verfahren Polynome m und r mit
q = m · p + r und
(r = 0 oder grad(r) < grad(b) = 2).
Dabei beginnen wir mit r := q und schreiben die
Zwischenrechnungen platzsparend untereinander.
s4 +2s3 −2s2
−s4
+2s2
+2s3
−2s3
+s
−1 = (s2 + 2s)p + r
+s −1
+4s
+5s −1
=: r
Also ist m = s2 + 2s und r = 5s − 1 .
21
Lösen von Differenzengleichungen mit Hilfe der
Division mit Rest
P
i ∈ R[s], c 6= 0, h ∈ F und
Seien p = n
c
s
n
i
i=0
a0, . . . , an−1 ∈ R.
Sei f ∈ L(p; h) die Lösung mit Anfangswerten
f (j) = aj , 0 ≤ j ≤ n − 1.
Für ` ≥ n kann f (`) wie folgt berechnet werden:
• Dividiere s` mit Rest durch p :
s` = m` · p + r` und
(r` = 0 oder grad(r`) < n).
Sei r`j der Koeffizient von r` bei sj , also
r` =
n−1
X
r`j sj .
j=0
• Dann ist
f (`) = (m` ∗ h)(0) +
n−1
X
r`j aj .
j=0
22
Denn:
f (`) = (s` ∗ f )(0) =
= ((m` · p + r`) ∗ f )(0) =
= (m` ∗ (p ∗ f ))(0) + (r` ∗ f )(0) =
= (m` ∗ h)(0) +
n−1
X
r`j aj .
j=0
Beispiel:
Sei f die Fibonacci-Folge. Der Rest von s100 nach
Division durch s2 − s − 1 ist
(Berechnung in Maple mit rem(s100, s2 − s − 1, s))
354224848179261915075s+
+218922995834555169026 ,
wegen f (0) = 0 und f (1) = 1 ist
f (100) = 354224848179261915075 .
23
Beispiel:
Lineare Differenzengleichungen 1. Ordnung
Seien a, c ∈ R reelle Zahlen und h ∈ F. Berechne
die Folge f mit
(s − c) ∗ f = h
und
f (0) = a !
Anders formuliert: Für alle ` ∈ N sei
f (` + 1) − c · f (`) = h(`) und f (0) = a .
Division mit Rest von s` durch s − c ergibt
s` = m` · (s − c) + r
und
r ∈ R.
Daraus folgt
c` = 0 + r
und
`−1
X
s` − c`
m` =
=
cj · s`−1−j ,
s−c
j=0
also ist für alle ` ∈ N
f (`) =
`−1
X
cj · h(` − 1 − j) + c` · a .
j=0
24
Beispiel: Homogene lineare
Differenzengleichungen 2. Ordnung
Sei p := s2 + c1s + c0 ∈ R[s], c0 6= 0 und seien
x1, x2 die Nullstellen von p.
Dann ist (x`i)`∈N die Lösung der durch s − xi gegebenen homogenen linearen Differenzengleichung mit
Anfangswert 1.
Wegen
p ∗ f = ((s − x1)(s − x2)) ∗ f =
= (s−x1)∗((s−x2))∗f ) = (s−x2)∗((s−x2))∗f )
sind (x`i)`∈N Lösungen der durch p gegebenen homogenen Differenzengleichung, also auch alle Linearkombinationen davon.
Fall 1: x1 6= x2. Dann sind (x`1)`∈N und (x`2)`∈N linear unabhängig, bilden also eine Basis von L(p; 0).
Fall 2: x1 = x2. Dann bilden (x`1)`∈N und (`x`1)`∈N
eine Basis von L(p; 0).
25
Beispiel: Die Formel von Binet“
”
Die Fibonacci-Folge f ist die Lösung der durch
p := s2 − s − 1 und f (0) = 0, f (1) = 1
gegebenen Differenzengleichung.
Die Nullstellen von p sind
√
x1 :=
1+ 5
2
und x2 :=
√
1− 5 ,
2
also ist
f = u · (x`1)`∈N + v · (x`2)`∈N ,
mit u, v ∈ R so, dass 0 = f (0) = u + v und
1 = f (1) = u · x1 + v · x2 ist.
Man berechnet leicht: u = √1 und v = − √1 .
5
5
Das `-te Glied f (`) der Fibonacci-Folge ist somit
Ã
√ !` Ã
√ !`
1
1+ 5
1− 5 
√ 
−
.
2
2
5
26
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