Befunde zur Bedeutung des Vaters

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Universität Regensburg
WS 2005/2006
Institut für Psychologie
Lehrstuhl Prof. Lukesch
Dr. Michele Sobczyk
Rechtspsychologische Aspekte der
Sachverständigentätigkeit am Familiengericht
Befunde zur Bedeutung des Vaters
Stephanie Weinzierl
1
Gliederung
1. Einleitung
S. 3
1.1 Kurzer Überblick über die Anfänge der Vaterforschung S.3
1.2 Konzept der Vaterschaft heute
2. Befunde der Vaterforschung
S.4
S.6
2.1 Wann beteiligen sich Väter?
S.6
2.1.1 Eigenschaften des Vaters
S.6
2.1.2 Eigenschaften des Kindes
S.8
2.1.3 Eigenschaften der Mutter
S.8
2.1.4 Andere Faktoren
S.9
2.2 Bindung an den Vater
S.9
2.3 Wie beteiligen sich Väter?
S.10
2.4 Konsequenzen für die Entwicklung des Kindes
S.11
2.4.1 Kognitive Konsequenzen
S.11
2.4.2 Soziale und emotionale Konsequenzen
S.16
2.4.3 Konsequenzen für die Geschlechtsrollenentwicklung S.17
2.4.4 Individuation
S.22
2.4.5 Psychopathologische Befunde
S.23
3. Diskussion
S.27
2
1. Einleitung
1.1 Kurzer Überblick über die Anfänge der Vaterforschung
Nach dem 2. Weltkrieg stieg durch kriegsbedingte Abwesenheit vieler Väter zum
ersten Mal das Interesse der Allgemeinheit in bezug auf die Frage, welche Rolle
der Vater für die Entwicklung des Kindes spielt. Die ersten Untersuchungsansätze
zu diesem Problem waren zunächst vor allem defizitorientiert, das heißt, man
interessierte sich für die Folgen der Vaterabwesenheit für das Kind (Fthenakis,
2002). Dieser Ansatz war vorherrschend bis Ende der 60er Jahre. Da sich
Familien mit nur einem Elternteil erheblich von „intakten“ Familien
unterscheiden, wie z.B. durch eine veränderte Familienstruktur, gehäuft
finanzielle Probleme oder erhöhte Belastung des alleinerziehenden Elternteils,
meistens
der
Mutter,
ist
eine
Interpretation
der
Ergebnisse
von
Vaterabwesenheitsstudien stets schwierig. Später begann man die Vater-KindBeziehung direkt zu untersuchen, wobei man sich methodisch an die MutterKind-Forschung anlehnte. Besonderes Interesse galt in der Folge vor allem auch
der Aufteilung von Aufgaben im Haushalt und bei der Erziehung (Fthenakis,
2002) sowie der Qualität der Vater-Kind-Bindung.
Ab Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre begann man, den Vater als Teil eines
komplexeren Systems zu sehen und sich daher mit möglichen Wechselwirkungen
mit anderen Faktoren, sowie indirekten Effekten des väterlichen Engagements,
z.B. über die Mutter, zu beschäftigen. Auch wurden zunehmend Studien zu nichttraditionellen Familienstrukturen, wie z.B. Stieffamilien, Alleinerziehenden,
Geschiedenen, homosexuellen Vätern oder verschiedenen Kulturen durchgeführt
(Fthenakis, 2002).
Seit den 90er Jahren wurde vermehrt die Frage nach den mittel- bis langfristigen
Auswirkungen des Vaters auf die Entwicklung des Kindes untersucht (Fthenakis,
2002). Außerdem richtete sich das Interesse auf Veränderung der Vaterrolle und
des Vaterschaftskonzepts.
3
1.2 Konzept der Vaterschaft heute
Zu Nachkriegszeiten wurde fehlendes väterliches Engagement als Ursache für
viele soziale und psychiatrische Probleme angesehen, woraufhin die Forderung
nach mehr Partizipation der Männer bei der Erziehung und Betreuung von
Kindern laut wurde. Dies bezog sich allerdings nicht auf Aufgaben im Haushalt.
Durch den Zutritt der Frauen zum Arbeitsmarkt und die sexuelle Revolution
wurde die Position der Frauen gestärkt. Innerhalb der letzten 30 Jahre ist die
väterliche Partizipation bei innerfamiliären Aufgaben stetig gestiegen (Fthenakis,
2002).
Die Unterscheidung von Parson (1955, zitiert nach Hetherington & Deur, 1976)
zwischen der männlichen, instrumentellen Rolle des Brotverdieners und der
expressiven Rolle der Frau, die die Kinder pflegt und versorgt, wird heute nicht
mehr ohne weiteres unterstützt, da klar ist, dass auch Männer expressive
Funktionen übernehmen (können). Trotzdem sind Väter nach wie vor sowohl im
Haushalt, als auch bei der Kinderbetreuung weniger beteiligt als Mütter (siehe
Tabelle 1). Auch gibt es große Unterschiede zwischen Vätern, was Art und
Qualität ihres Engagements für die Kinder betrifft.
4 Monate
Spielen mit dem Kind
Sich beim Essen um das Kind
kümmern
Das Kind baden
Windeln wechseln
Das Kind zu Bett bringen
Das Kind anziehen
Nachts das Kind versorgen
Information über Erziehung und
Entwicklung
Kinderbetreuung organisieren
Besuche beim Kinderarzt
Einkauf von Kindersachen
18 Monate
Mann
beide
Frau
Mann
beide
Frau
9
1
1
1
1
0
65
60
72
48
20
44
26
39
27
51
79
56
2
0
4
0
2
0
81
76
71
52
43
37
17
24
25
48
55
63
0
0
0
46
34
29
54
66
71
0
0
0
30
29
19
70
71
81
1
1
95
35
4
64
1
0
94
80
5
20
Tabelle 1: Aufgabenverteilung der Ehepartner bei der Kinderbetreuung. Daten von Ersteltern, 4
bzw. 18 Monate nach der Geburt. Erkenntnisse aus der LBS-Familien-Studie (Kalicki, Peitz,
Fthenakis & Engfer, 1996, zitiert nach Fthenakis, 2002).
4
Üblicherweise tritt nach Geburt ein sogenannter „Traditionalisierungseffekt“ ein,
das heißt die Aufteilung von Aufgaben im Haushalt wird traditioneller: der Vater
wird zum „Brotverdiener“ während die Mutter vermehrt Aufgaben im Haushalt
übernimmt und sich im Beruf stärker einschränkt (Fthenakis, 2002).
Trotzdem werden heute vermehrt Forderungen an Väter gestellt, die von Lamb
(1987) auf drei Dimensionen definiert werden (zitiert nach Fthenakis, 2002):
1. Interaktion bzw. Engagement, also die Zeit, die der Vater gemeinsam mit
seinem Kind verbringt
2. Die Dimension der Verfügbarkeit schließt neben der Zeit, die in direkter
Interaktion mit dem Kind verbracht wird auch die Zeit ein, in der
kindbezogene Aufgaben im Haushalt erledigt werden, sowie die Zeit, in der
zwar keine direkte Interaktion stattfindet, der Vater aber anwesend ist und
als Ansprechpartner zur Verfügung steht.
3. Verantwortlichkeit, das heißt die Zeit, in der der Vater die alleinige
Verantwortung für das Kind trägt und Aufgaben übernimmt, wie z.B.
Arztbesuche oder Babysitten.
Ein weiterer Versuch väterliches Engagement auf verschiedenen Dimensionen zu
definieren stammt von Bruce & Fox (1997, zitiert nach Fthenakis, 2002).
Aufgrund der Durchsicht von 150 Studien aus den Jahren 1986 bis 1996
postulierten sie vier grundlegende Komponenten des väterlichen Engagements:
1. Betreuungsfunktionen: dazu gehört das Versorgen von physischen
Bedürfnissen des Kindes, z.B. zu Bett bringen, Baden, Füttern, Anziehen,
Versorgen im Krankheitsfall
2. Sozial-emotionale Funktionen: umfasst Kameradschaft und Fürsorge, also
z.B. direkte Interaktion, Spiel, Ausflüge oder Unterhaltung
3. Instruktive Funktionen: Aufgaben bei der Vermittlung von Fertigkeiten,
Wissen, moralischen und religiösen Vorstellungen, wie z.B. Hausaufgabenbetreuung
4. Exekutive Funktionen: gemeint ist die Führungsrolle der Eltern, also z.B.
Regeln aufstellen, Hilfe bei Entscheidungen, Kontrolle, Planung von
Aktivitäten
Es ist klar, dass das Konzept vom Vater als „Ernährer“, das in den 70er Jahren
noch unangefochten war, heute nicht mehr ausreicht. Zwar ist die Aufgabe als
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„Brotverdiener“ nach wie vor ein Bestandteil von guter Vaterschaft, diese umfasst
aber auch andere Beiträge des Vaters, wie oben genannt.
2. Befunde der Vaterforschung
2.1 Wann beteiligen sich Väter?
Wie oben bereits erwähnt gibt es große Unterschiede bezüglich des Engagements
von Vätern beim Großziehen der Kinder. Es stellt sich die Frage, warum dies so
ist, bzw. welche Faktoren es gibt, die das Interesse und den Einsatz der Väter
beeinflussen.
Zum einen gibt es da natürlich historische und kulturelle Einflüsse. Diese können
aber nicht erklären, woher die Unterschiede im Engagement von Vätern mit
demselben kulturellen Hintergrund stammen.
2.1.1 Eigenschaften des Vaters
Eine wichtige Rolle spielt zum Einen das Alter des Vaters. So wurde festgestellt,
dass sich vor allem junge, unverheiratete Väter dem Kind gegenüber kaum
engagieren und auch nur geringe finanzielle Unterstützung bieten (Fthenakis,
1999). Väterliche Partizipation zeigt sich hier vor allem bei Spiel- und
Erholungsaktivitäten. Jüngere, verheiratete Männer steigern häufig ihr berufliches
Engagement, um der Familie mehr finanzielle Sicherheit zu gewähren. Ältere
Väter dagegen befinden sich häufig bereits in einer stabileren, häufig besser
bezahlten Arbeitsposition, die durch mehr Erfahrung gesicherter ist, und können
sich dementsprechend flexibler an die Rolle als Vater anpassen (Fthenakis, 1999).
Wie bei der Diskussion des Alters bereits erwähnt, spielt auch der Familienstand
des Vaters eine Rolle bei dessen Engagement. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass
geschiedene Väter, die nicht das Sorgerecht erhalten haben, sich weniger an der
Betreuung der Kinder beteiligen. Ihr Engagement beschränkt sich größtenteils auf
Spiel und Freizeit, sowie finanzielle Unterstützung. Zudem nimmt die Zeit, die
geschiedene Väter mit ihren Kindern verbringen mit der Zeit häufig ab (Fthenakis,
1999).
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Weiterhin hat sich gezeigt, dass Väter mit höherem Bildungsniveau sich stärker
beteiligen und mehr Zeit mit ihren Kindern bei intellektuell orientierten
Tätigkeiten, wie z.B. vorlesen, verbringen (Fthenakis, 1999).
Eine sehr wichtige Rolle spielt der Beschäftigungsstatus des Vaters. Es hat sich
gezeigt, dass sich Väter mit mittlerem Beschäftigungsstatus oft stärker engagieren
als
Väter
aus
der
Arbeiterschicht
oder
aber
solche
in
hohen
Managementpositionen oder Selbstständige (Fthenakis, 1999). Dabei ist unter
anderem natürlich wichtig, wie flexibel der Mann in seinen Arbeitszeiten ist bzw.
wieviel Spielraum ihm bleibt. Auch die Belastung durch den Job spielt eine Rolle,
da Anforderungen im Haushalt und durch die Familie natürlich eine zusätzliche
Beanspruchung darstellen.
Eine große Rolle spielt auch die Motivation des Vaters, sich an der Fürsorge für
das Kind zu beteiligen. Diese hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter
anderem der eigenen Entwicklungsgeschichte, wozu z.B. Erfahrungen mit dem
eigenen Vater gehören. Dabei gibt es zwei widersprüchliche Hypothesen, wobei
die eine besagt, dass das vom eigenen Vater erfahrene Engagement, egal wie
niedrig oder hoch, wiederholt wird, während die andere postuliert, dass versucht
wird das fehlende Engagement des Vaters zu kompensieren (Fthenakis, 1999).
Bekannt ist, dass sich Väter, deren eigene Eltern sehr fürsorglich waren, stärker an
der Pflege der eigenen Kinder beteiligen (Fthenakis, 1999). Ein weiterer Faktor
sind möglicherweise Sozialisationserfahrungen des Vaters, die mit dem Umgang
mit Kindern zu tun haben, also z.B. ob er früher auf jüngere Geschwister
aufgepasst hat, vielleicht einen Job als Babysitter hatte, oder auch in einem
Jugendzentrum gearbeitet hat. Wichtig sind weiterhin natürlich bestimmte
Persönlichkeitszüge des Vaters, wie z.B. sein Selbstwertgefühl und, im
Zusammenhang damit, seine Kompetenzen und sein Selbstvertrauen im Umgang
mit Kindern, seine Vorstellung dazu, wie wichtig der Vater für die Entwicklung
des Kindes ist, sowie seine Einstellung zur Vaterschaft bzw. die Erwünschtheit
des Kindes (Fthenakis, 1999).
Von Bedeutung ist auch die Geschlechtsrollenorientierung des Vaters. Eine eher
traditionelle Einstellung zur Aufteilung der Aufgaben bei der Kinderbetreuung
geht mit der geringen Bereitschaft zur Übernahme von Betreuungsaufgaben einher
(Fthenakis, 1999).
7
2.1.2 Eigenschaften des Kindes
Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass auch die Eigenschaften des Kindes
Einfluss auf das Engagement des Vaters haben. So wird die Wahrnehmung des
Kindes als unkompliziert, gut gelaunt und aufmerksam zu vermehrter Interaktion
beitragen, während beim Umgang mit „schwierigen“ Kindern oft erhebliche
Frustration erlebt wird, was oft dazu führt, das sich der Vater zurückzieht
(Fthenakis, 1999).
Auch das Alter des Kindes ist von Bedeutung, da Väter sich vor allem bei älteren
Kindern, vor allem im Schulalter engagieren, besonders dann, wenn es im
Haushalt nur wenige Kinder gibt, und diese leibliche Kinder des Mannes sind. Es
hat sich gezeigt, dass sich in verschiedenen Kulturen eine engere Vater-KindBindung erst entsteht, wenn das Kind ein gewisses Alter erreicht hat (Grossmann,
Grossmann, Fremmer-Bombik, Kindler, Scheuerer-Englisch, Winter, & Zimmermann, 2002). Außerdem sind Väter bei Söhnen engagierter als bei Töchtern, und
dieses Engagement ist stabiler. Diese Unterschiede scheinen mit dem Alter der
Kinder zu steigen und betreffen vor allem das Spielverhalten des Vaters und
weniger Aufgaben, die mit der Betreuung zu tun haben. Mädchen, die Brüder
haben, erfahren indes mehr Interesse durch ihre Väter, als solche, die keine Brüder
haben (Fthenakis, 1999).
2.1.3 Eigenschaften der Mutter
Wichtig ist zum einen, ob der Vater der alleinige „Brotverdiener“ ist, oder ob auch
die Mutter arbeitet, da Berufstätigkeit der Mutter natürlich dazu führt, dass sie
selbst weniger Zeit für die Kinder hat und vermehrt Aufgaben der Pflege und
Betreuung vom Vater übernommen werden müssen.
Ein weiterer Faktor ist die Einstellung der Mutter zur Vaterschaft, sowie das
Zutrauen, dass sie in die Fähigkeiten des Mannes bei der Kinderbetreuung setzt.
Fthenakis (1999, S. 85) schreibt:
Mütter, die schon vor der Geburt des Kindes ihrem Partner die Fähigkeit
absprechen, das Kind angemessen zu betreuen und engagiert, sensibel und
kompetent auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, geben ihm wenig
Möglichkeiten, sich an der Betreuung und Versorgung des Kindes zu
8
beteiligen. Stattdessen übernehmen diese Frauen die anfallenden Aufgaben
selbst. Dies kann dazu führen, daß die ursprünglich durchaus vorhandene
Motivation des Mannes durch gutgemeinte Anweisungen oder Kritik
untergraben wird. Ein geringes väterliches Engagement ist somit auch
Resultat des mütterlichen Verhaltens.
2.1.4 Andere Faktoren
Ein kritischer Faktor in diesem Zusammenhang ist die Qualität der Ehe. Während
sich Mütter bei Konflikten in der elterlichen Beziehung eher verstärkt der Pflege
und Betreuung der Kinder zuwenden, verschlechtert sich in diesem Fall die
Interaktion zwischen Vater und Kind (Fthenakis, 1999).
2.2 Bindung an den Vater
Untersuchungen zur sozialen Entwicklung von Kindern bauen häufig auf dem
theoretischen Rahmen der Bindungstheorie von Bowlby (1969, zitiert nach Lamb,
1980) auf. Diese besagt, dass kleine Kinder, die ja allein völlig hilflos sind,
biologisch dazu bestimmt sind, die Nähe von Erwachsenen zu suchen, die sie vor
Gefahren schützen. Während der ersten beiden Lebensmonate wird relativ
unterschiedslos die Nähe von verschiedenen Erwachsenen gesucht. Personen, mit
denen eher häufig interagiert wird, werden dann zu Bindungspersonen. Allgemein
wird angenommen, dass Bindung ab einem Alter von sieben bis acht Monaten
beginnt (Ainsworth, 1969; Lamb 1978, zitiert nach Lamb, 1980). Der Theorie
nach ist die Mutter-Kind-Bindung von größter Bedeutung und wirkt sich prägend
auf alle späteren Beziehungen aus. Weitere Bindungspersonen, so auch der Vater,
sind zwar positiv anzusehen, bleiben aber im Vergleich zur Mutter nebensächlich
(zitiert nach Lamb, 1980).
Dieser Theorie widersprechend ließen sich in einer Längsschnittuntersuchung von
Lamb (1980) keine Unterschiede in der Bindung zu Vater und Mutter von Kinder
im Alter von 7, 8, 12 und 13 Monaten feststellen. Tatsächlich zeigte sich in einer
weiteren, ebenfalls längsschnittlichen, Untersuchung von Kindern im Alter von
15, 18, 21 und 24 Monaten eine Präferenz von Jungen für den Vater. Bei
9
Mädchen ließen sich dagegen keine eindeutigen Präferenzen erkennen. Lamb
(1980) sieht in diesen Geschlechtsunterschieden den Beginn einer Identifizierung
mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, der den frühen Erwerb einer
geschlechtlichen Identität unterstützt. Dieser Prozess setzt bei Jungen scheinbar
früher ein und ist bei Mädchen auch weniger intensiv (Biller, 1976, zitiert nach
Lamb, 1980).
2.3 Wie beteiligen sich Väter?
Bei den beiden oben zitierten Längsschnittuntersuchungen zeigte sich außerdem,
dass sowohl Jungen als auch Mädchen auf eine Interaktion mit dem Vater
positiver reagieren, als mit der Mutter. Diese Unterschiede liegen aber, so Lamb,
nicht an einer stärkeren Bindung zum Vater als zur Mutter, sondern an deren
unterschiedlichen Interaktionsstilen.
Väter engagieren sich auf andere Art und Weise für das Kind. Dabei spielt
natürlich zum einen die Rolle des „Ernährers“ eine wichtige, wenn auch eine
indirekte Rolle. Dies ist aber nicht der einzige Beitrag, den Väter leisten. Zwar
beteiligen
sie
sich
weniger
als
Mütter
an
den
täglich
anfallenden
Versorgungsaufgaben, obwohl sie dies durchaus können, dafür aber verstärkt bei
der direkten Interaktion mit dem Kind, vor allem beim Spiel (siehe Tabelle 1). Es
hat sich auch gezeigt, dass Mütter und Väter unterschiedliche Arten haben, mit
dem Kind zu spielen. Mütter spielen eher konventionelle Spiele, sie sprechen viel
mit dem Kind und imitieren die Geräusche des Babys (Parke, 1982), oder sie
versuchen, durch bewegen von Spielzeug die Aufmerksamkeit des Kindes zu
erregen. Das Spiel mit dem Vater ist dagegen aufregender und körperlicher, eher
darauf angelegt, physisch anregend zu wirken (Kindler & Grossmann, 2004,
Lamb, 1980) und weniger vorhersehbar (Clarke-Stewart, 1980). Väter regen auch
mehr als Mütter zum Wetteifern und zur Unabhängigkeit an (Flouri & Buchanan,
2002).
Die Forschung beschreibt Väter durch folgende Rollen:
1. als interessanten, weil andersartigen Interaktionspartner, der andere und
aufregendere Dinge mit dem Kind macht als die Mutter;
2. als Herausforderer, der das Kind auffordert, Neuartiges zu tun, das es
sich ohne seine Hilfe nicht zutrauen würde (...);
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3. als Vermittler von Bereichen der Umwelt (z.B. Feuer, Wasserkraft,
Klippen und Baumhöhen), die ohne seine sorgsame Umsicht für das
Kind zu gefährlich oder ohne sein Wissen uninteressant wären (...);
4. als Vermittler von Spielen und Festivitäten der jeweiligen Kultur (...);
5. als Lehrer und Mentor seines eigenen Könnens und dem Wissen, wie
man eine Familie ernährt (...).
(Grossmann et al., 2002, S.47)
Das bedeutet, während die Mutter eher eine Art „sicheren Hafen“ darstellt, zu
dem sich das Kind flüchten kann, wenn es Angst hat oder traurig ist (Lamb,
1980), fördert der Vater eher die Exploration und wirkt dabei als Basis der
Sicherheit und des Schutzes, so dass mehr gewagt werden kann: „In der
unterstützenden Nähe des Vaters und unter seinen umsichtigen Augen erfährt das
Kind kaum Angst, und wenn sie aufkommt, kann sie durch die Unterstützung des
Vaters schnell in erneute Neugier umgewandelt werden“ (Grossmann et al., 2002,
S.46).
2.4 Konsequenzen für die Entwicklung des Kindes
Nachdem die Forschung nun festgestellt hat, dass Kinder sowohl zum Vater als
auch zur Mutter eine Bindung aufbauen und beide Elternteile als Quelle der
Sicherheit und des Schutzes ansehen (Lamb, 1980), ist es durchaus nachvollziehbar, dass auch der Vater, ebenso wie die Mutter, bzw. die Erfahrungen des Kindes
mit ihm, die kindliche Entwicklung beeinflusst.
2.4.1 Kognitive Konsequenzen
Es hat sich gezeigt, dass elterliches Verhalten unter anderem stark mit der
kognitiven Entwicklung des Kindes korreliert. Eine Studie von Yarrow,
Rubinstein und Pedersen von 1975 fand bereits bei fünf Monate alten Babys einen
positiven Zusammenhang zwischen „Menge und Mannigfaltigkeit der sozialen
Stimulation (...) und dem Niveau ihres psychischen Leistungsvermögens“ (Parke,
1982, S.78). Dabei zeigt sich, dass die Eltern der kognitiv fortgeschritteneren
Kinder diese als Reaktion auf Signale des Babys stimulierten. Die Autoren
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vermuten, dass Babys bei ihrer Auseinandersetzung mit der Umwelt lernen, ob
und wie sehr sie auf ihre Mitmenschen und ihre Umwelt Einfluss haben können.
Der Glaube an die eigene Wirksamkeit und Fähigkeit wiederum unterstützt die
kognitive Entwicklung.
Clarke-Stewart (1980) fand in ihrer Langzeituntersuchung von 14 Kindern im
Zeitraum von einem bis zweieinhalb Jahren positive Zusammenhänge zwischen
deren IQ und dem väterlichen Engagement im Spiel, seiner positiven Einstellung
zum Kind, seinen Erwartungen an die Unabhängigkeit des Kindes, sowie der
Dauer der einzelnen Interaktionen. Außerdem zeigten sich hierbei Unterschiede
bezüglich des Geschlechts des Kindes. Während bei Jungen für die kognitive
Entwicklung scheinbar eher physische Stimulation und Spiel wichtig sind, zeigten
sich bei Mädchen stärkere Korrelationen mit positiver, verbaler, sozialer und
verständnisvoller Interaktion mit dem Vater. Parke (1982, S.82) beschreibt die
Ergebnisse dieser Studie folgendermaßen:
Die Geschicklichkeit eines Vaters als Spielkamerad, besonders bei physisch
stimulierendem Spiel, steht mit der geistigen Entwicklung von Jungen mehr
in Verbindung als mit der von Mädchen. Im Gegensatz dazu förderten Väter
den kognitiven Fortschritt ihrer Töchter durch verbale Stimulation wie
Sprechen, Loben und Komplimente sowie durch Empfänglichkeit für die
sozialen Initiativen ihrer Töchter.
Amato (1994, zitiert nach Flouri & Buchanan, 2002) konnte zeigen, dass sich eine
enge Beziehung zum Vater in der Kindheit positiv auf Bildung und Karriere
auswirkt. Außerdem wird angenommen, dass Vaterabwesenheit zu den
verringerten akademischen Leistungen von Kindern alleinerziehender Mütter
beiträgt (Flouri & Buchanan, 2002). Dieser Einfluss des Vaters wirkt sich
scheinbar stärker auf die Entwicklung von Jungen aus als auf die von Mädchen,
deren kognitive Fähigkeiten eher durch die Mutter beeinflusst werden (Laucht,
2003).
Der Einfluss des Vaters zeigt sich bis ins Erwachsenenalter und wird hier oft
anhand von Zulassungsprüfungen, wie z.B. der „American College Entrance
Examination“ untersucht. Landy, Rosenberg und Sutton-Smith (1969, zitiert nach
Hetherington & Deur, 1976) stellten fest, dass weibliche Collegestudenten, deren
Väter Nachtschicht arbeiteten und dadurch für ihre Kinder wenig verfügbar
waren, im Vergleich zu anderen schlechtere Ergebnisse im quantitativen Teil des
Tests zeigten.
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Einen guten Überblick über die Forschung zur Vaterabwesenheit und deren
Effekte auf die kognitive Entwicklung von Kindern gibt Shinn (1978). Dabei
identifiziert sie mehrere Faktoren, die das Ausmaß dieser Effekte beeinflussen
und gibt mögliche Erklärungen an.
Eine wichtige Rolle spielt demnach die Frage, welche kognitiven Faktoren
betroffen sind. Es hat sich gezeigt, dass die Mutter vor allem wichtig ist für die
Entwicklung von verbalen Fähigkeiten (was nach dem oben erwähnten
Interaktionsstil von Müttern mit ihren Kindern nicht weiter überraschend ist),
während durch den Vater eher quantitative Fähigkeiten gefördert werden.
Üblicherweise sind bei Frauen die verbalen Fähigkeiten besser ausgebildet,
während bei Männern quantitative Fähigkeiten überwiegen. Carlsmith (1964,
zitiert nach Hetherington & Deur, 1976) fand bei Jungen, die ohne Vater
aufwachsen, einen eher femininen kognitiven Stil, also relativ bessere verbale als
quantitative Fähigkeiten. Dieses Muster war stärker ausgeprägt, je früher die
Abwesenheit des Vaters einsetzte und je länger sie andauerte.
In einer Studie von Blanchard und Biller (1970, zitiert nach Hetherington & Deur,
1976) wurden Jungen aus der dritten Klasse in vier Gruppen bezüglich kognitiver
Fähigkeiten untersucht: 1. früher Vaterverlust (vor einem Alter von 5 Jahren), 2.
später Vaterverlust, 3. geringe Anwesenheit des Vaters (weniger als sechs
Stunden pro Woche) und 4. hohe Anwesenheit des Vaters (mehr als zwei Stunden
pro Tag). Erhoben wurden schulischer Erfolg sowie die Ergebnisse in einem
Leistungstest. Am besten schnitt die Gruppe mit hoher Vateranwesenheit ab, am
schlechtesten die Gruppe der frühen Vaterabwesenheit. Die beiden anderen
Gruppen (geringe Anwesenheit des Vaters und später Vaterverlust) lagen
dazwischen. Auch diese Ergebnisse zeigen, dass der Zeitpunkt der Abwesenheit
wichtig ist, und dass scheinbar vor allem die Jahre der frühen Kindheit prägend
sind. Auch spielt nicht allein die An- bzw. Abwesenheit des Vaters eine Rolle,
sondern auch dessen Engagement bezüglich des Kindes.
Weiterhin ist der Grund für die Abwesenheit des Vaters von Bedeutung. Ist der
Vater gestorben? Wurde die Familie verlassen? Oder kam es zu einer
möglicherweise konfliktreichen Scheidung bzw. Trennung? Mehrere Forscher
haben gezeigt, dass vor allem Scheidung sehr schädlich sein kann (u.a. Ferri,
1976; Santrock, 1972, zitiert nach Shinn, 1978). Dies ließe sich dadurch erklären,
dass der Scheidung wahrscheinlich eine eher gespannte und mit Streitereien und
13
Konflikten behaftete Situation vorausgeht, die für das Kind natürlich Stress,
bereits vor der Trennung, bedeuten würde. Für diese Hypothese spricht auch, dass
in verschiedenen Untersuchungen ein Vaterverlust durch Tod vor allem dann
abträgliche Effekte zeigte, wenn diesem eine längere, für das Kind wohl
belastende, Phase der Krankheit vorausging (Douglas, Ross, & Simpson, 1968,
zitiert nach Shinn, 1978). Möglich ist auch, dass der Vater zwar „da“ ist, aber kein
Interesse am Kind zeigt. Auch diese Situation wirkt sich negativ auf die kognitive
Entwicklung aus (Biller, 1974, zitiert nach Shinn, 1978), was auch gegen die
Hypothese spricht, dass Väter nur aufgrund ihrer finanziellen Unterstützung für
die Familie Einfluss hätten. Zwar ist ein Sinken des Einkommens des
alleinerziehenden Elternteils bzw. ein Steigen der Kosten bei Scheidungen nicht
selten, und ein nicht zu unterschätzender Einfluss des sozioökonomischen Status
auf die Entwicklung geistiger Fähigkeiten nachgewiesen (Shinn, 1978), jedoch ist
dies nicht der einzige wichtige Faktor. So wurden auch in Familien, in denen
Väter aufgrund ihres Militärdienstes nicht anwesend waren, die Familie aber
natürlich finanziell unterstützten, verminderte kognitive Leistungen der Kinder
gefunden (Hillebrand, 1970, zitiert nach Shinn, 1978).
Eine Alternativerklärung für Vaterabwesenheitseffekte wäre die verminderte
Aufmerksamkeit, die Kinder dadurch von Seiten der Eltern erfahren. Dieser
Mangel an Interaktion könnte eine Determinante ihrer kognitiven Entwicklung
sein (Shinn, 1978). Kinder mit geschiedenen Eltern erfahren nicht nur weniger
Aufmerksamkeit durch den abwesenden Elternteil, meistens den Vater, sondern
auch durch den anwesenden (die Mutter). Aber nicht nur die Quantität der
Interaktionen sinkt, sondern häufig auch die Qualität. In einer Untersuchung von
Hetherington, Cox und Cox (1975, zitiert nach Shinn, 1978) stellten geschiedene
Eltern weniger Anforderungen an die Reife ihrer Kinder und erklärten oder
begründeten seltener eine Meinung oder Entscheidung den Kindern gegenüber.
Das bedeutet, dass negative Auswirkungen der Vaterabwesenheit unter anderem
auch davon abhängig sind, wie sehr die Mutter durch ihre Rolle als Alleinerzieher
belastet wird, also wieviel Zeit und Energie sie weiterhin ihren Kindern widmen
kann bzw. wieviel Stress sie durch ihren Beruf und die Führung des Haushaltes
hat. Es ist nicht weiter überraschend, dass alleinstehende, berufstätige Frauen
weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen als verheiratete Frauen, interessanter
ist das Ergebnis von Robinson (1978, zitiert nach Shinn, 1978), dass
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alleinstehende Hausfrauen ihren Kindern mehr Zeit widmeten als verheiratete.
Dies wird von Shinn dahingehend interpretiert, dass alleinerziehende Mütter, die
finanziell besser gestellt sind zusätzliche Zeit mit ihren Kindern verbringen, die
sie sonst dem Ehemann gewidmet hätten. Das würde heißen, dass es möglich
wäre, negative Auswirkungen durch das Aufwachsen ohne Vater durch
vermehrtes Engagement der Mutter zu kompensieren. In Anbetracht des
Interaktionsstils von Müttern mit ihren Kindern würde dies auch erklären, warum
einige Untersuchungen von vaterlos aufgewachsenen Kindern verbesserte verbale
Fähigkeiten fanden (Jones, 1975, Oshman, 1975, Vroegh, 1973, zitiert nach
Shinn, 1978). Weiterhin unterstützt wird die Aufmerksamkeitshypothese durch
Befunde von Mackler, die zeigen, dass bei Kindern, die schulisch erfolgreich
waren, üblicherweise zumindest ein Elternteil (hier meistens die Mutter) großes
Interesse am Kind und an dessen Ausbildung zeigte (Herzog & Sudia, 1973,
zitiert nach Shinn, 1978). Lambert und Hart (1976, zitiert nach Shinn, 1978)
fanden, dass Kinder, bei denen sowohl Mutter als auch Vater großen Wert auf
deren Bildung legten, bis zu sieben Monate voraus waren im Lesen und in
Mathematik, verglichen mit Kindern, deren Väter weniger Interesse zeigten.
Ein weiterer Faktor, der eng mit den eben erwähnten Ergebnissen zusammenhängt
und der die kognitive Entwicklung von Kindern beeinflussen kann, ist der
Erziehungsstil der Eltern. Parke (1982, S. 87 f):
(...) Forscher haben gezeigt, daß Väter einen direkten Einfluß auf die
kognitive Entwicklung ihrer Töchter ausüben, der jedoch nicht immer
positiv zu sein braucht. (...) In einer solchen Studie stellte Jeanne Block
beispielsweise fest, daß insbesondere Väter ihre Töchter wahrscheinlich
ganz subtil davon abhalten, Leistung zu bringen. Väter kümmerten sich
weniger darum, daß die Töchter die Aufgabe [Problemlöseaufgabe bzw.
komplexes Puzzle] lösten, sondern beschäftigten sich allem Anschein nach
mehr mit zwischenmenschlichen Aspekten der Situation; (...) Bei ihren
Söhnen dagegen sahen die Väter auf die Leistung, die Ausführung. (...)
Auch legten Väter für ihre Söhne höhere Normen fest. (...) Bei Mädchen
neigten sie dazu, auch ungefragt Hilfestellung zu leisten; dadurch
ermutigten sie zu einer unangemessenen Unselbständigkeit, eine Tendenz,
die in der ganzen Schulzeit vorherrscht.
Es gibt aber auch Zusammenhänge zwischen väterlichem Verhalten und der
Entwicklung von Jungen. So wurden negative Korrelationen zwischen väterlicher
Strenge und dem IQ ihrer Söhne gefunden (Radin, 1972, 1973, zitiert nach Shinn,
1978).
15
2.4.2 Soziale und emotionale Konsequenzen
Es hat sich gezeigt, dass das Engagement des Vaters für sein Kind, vor allem in
der frühen Kindheit, eine protektive Rolle gegen spätere psychologische Unangepasstheit im späteren Leben darstellt. Flouri und Buchanan (2003) haben bei der
Durchsicht mehrerer Forschungsergebnisse festgestellt, dass Kinder von stärker
involvierten Vätern sich sozial kompetenter zeigen, psychologisch besser
angepasst sind, weniger antisoziales Verhalten zeigen, mehr erfolgreiche, intime
Freundschaften führen, stärkere interne Kontrollüberzeugungen pflegen und eine
bessere Fähigkeit zur Empathie besitzen.
Ein positiver Einfluss des Vaters auf das Sozialverhalten seiner Kinder zeigt sich
in deren direkter Umgebung durch positivere Interaktionen zwischen den
Geschwistern und spannungsfreie Beziehungen zu Gleichaltrigen (Fthenakis,
1999). Die soziale Kompetenz im Umgang mit Gleichaltrigen korreliert außerdem
mit dem Umgang des Vaters mit negativen Gefühlen im Spiel (Gottman, Katz, &
Hoover, 1997, zitiert nach Kindler & Grossmann, 2004). Bei einer Untersuchung
von Kindern, deren Väter aufgrund von Kriegsdienst im 2. Weltkrieg während der
frühen Kindheit abwesend waren, fand Stolz (1954, zitiert nach Parke, 1982) bei
diesen Kindern im Alter zwischen 4 und 8 Jahren verschlechterte Beziehungen zu
Gleichaltrigen. Parke gibt als möglichen Grund für dieses Defizit zumindest für
Söhne, dass Kinder, die ohne Vater aufwachsen, eventuell weniger Gelegenheiten
haben, ein angemessenes Verhalten zu lernen. Vielleicht sind sie daher im
Umgang mit Gleichaltrigen zu schüchtern und ängstlich, oder sie scheuen vor
rauhen Spielen zurück (wir erinnern uns, dass Väter sehr viel mehr als Mütter zu
einem stark körperlichen, für das Kind sehr aufregenden und stimulierenden
Spielstil neigen). Aufgrund derartiger Verhaltensmuster wäre es nicht
ungewöhnlich, von anderen Jungen nicht akzeptiert zu werden.
Auch später, im Jugendlichen- und frühen Erwachsenenalter ergaben sich
Zusammenhänge: eine gute Spielbeziehung zum Vater korreliert demnach mit der
späteren Qualität von engen Beziehungen zu Gleichaltrigen und Partnern
(Grossmann et al., 2002). Diese Zusammenhänge werden von Grossmann et al.
(S. 63) folgendermaßen interpretiert:
Wenn also Väter, die so viel mächtiger als ihre kleinen Kinder sind, mit
ihrem Kind während ihres gemeinsamen Spiels so umgehen, dass sich das
16
Kind verstanden, angenommen und nicht bevormundet oder gar bedroht
fühlt, dann entsteht offenbar beim Kind eine Grundeinstellung zu
Partnerschaft, die auch bei einer Ungleichheit der Macht den anderen in
seiner Eigenart akzeptiert und unterstützt.
Korrelationen von väterlicher feinfühliger und angemessener Herausforderung im
Spiel zeigten sich nicht nur im interpersonalen Bereich, bei Vorstellungen von
Freundschaft und späterer Partnerschaft, sondern auch mit dem Vertrauen des
Kindes in sich und andere, bei Belastung und in neuen Situationen, sowie mit
einem positiveren Bild von sich als liebenswerter Person (Grossmann et al.,
2002). „Optimale Väter unterstützen die Selbständigkeit ihrer Kinder und
Jugendlichen, sie vermitteln ein Modell von engeren Beziehungen, das
interpersonellen Raum zulässt, und sie sind ein Vorbild für Beziehungen
außerhalb der Familie“ (Shulman & Seiffge-Krenke, 1997, S. 218, zitiert nach
Grossmann et al., 2002).
Selbständigkeit und Selbstwert hängen also eng zusammen mit sozialen
Beziehungen. Als Ergebnis einer Studie von Stadler (2002) zeigte sich, dass
Väter, die im Streitgespräch die Autonomie ihrer Töchter fördern, sich positiv auf
deren Anpassung im Bereich „Partnerschaft“ auswirken, indem sie ihre
Autonomie und ihr Selbstbewusstsein stärken. Wird dagegen Feindseligkeit von
Seiten des Vaters (oder auch der Mutter) erlebt, wirkt sich dies negativ aus auf die
Entwicklung des Selbstwertes (Ryan, Deci & Grolnick, 1995, zitiert nach Stadler,
2002).
Es scheint, dass eine sichere Bindung zum Vater eine gewisse Sicherheit im
Alltag gibt. Man konnte feststellen, dass Babys mit viel Kontakt zum Vater besser
mit fremden Situationen fertig werden, dem Stress, der beim Alleinsein mit
Fremden entsteht besser gewachsen sind und sich unbekannten Erwachsenen
gegenüber auch freundlicher zeigen (Parke, 1982). Auch Grossmann et al. (2002)
fanden Zusammenhänge zwischen einer guten Spielbeziehung zum Vater und
dem Selbstvertrauen, mit dem Kinder ihre Welt erkunden.
2.4.3 Konsequenzen für die Geschlechtsrollenentwicklung
Sicher kann man generell sagen, daß vaterlose Jungen es in der Regel nicht
leichter, sondern schwerer haben, im Hinblick auf ihre Geschlechtsrolle
17
Sicherheit zu gewinnen. Dies gilt für Jungen, die von früher
Vaterabwesenheit betroffen sind, häufiger und in stärkerem Ausmaß als für
solche, die erst später ohne Vater aufwachsen. (Schon, 2002, S.136)
Die meisten Sozialisationstheorien betonen die Rolle der Eltern bei der
Geschlechtsrollenentwicklung. Diese läuft über Identifikation, vor allem mit dem
gleichgeschlechtlichen Elternteil, Imitation von Verhaltensmustern, Belohnung
und Bestrafung, sowie den Erwerb von sozialen Rollen ab, und kann durch die
Abwesenheit des Vaters unterbrochen oder zumindest verlangsamt werden.
(Hetherington & Deur, 1976 ).
Rollendifferenzierung beginnt schon sehr früh. Wie bereits erwähnt findet direkt
nach
der
Geburt
des
ersten
Kindes
eine
Traditionalisierung
der
Aufgabenverteilung der Ehepartner statt, sowohl was das „Geldverdienen“
betrifft, als auch den Haushalt und die Versorgung des Babys. Dem Kind werden
von Geburt an bestimmte Geschlechtsrollen vorgelebt. Die Beziehung der Eltern
zueinander wird dabei zum Modell für eigene spätere Beziehungen (Fthenakis,
1999). Dabei spielen die Rollen, die den Geschlechtern üblicherweise zugesprochen werden eine große Rolle. Demnach soll die Frau nachgiebig, liebevoll
und sensibel sein, der Mann dagegen dominant, unabhängig und kompetent.
Babys werden, abhängig davon, welchen Geschlechts sie sind, von ihren Eltern
unterschiedlich behandelt. Mädchen erscheinen ihnen zerbrechlicher und
niedlicher,
Jungen
viel
robuster,
obwohl dem faktisch
nicht so
ist.
Dementsprechend gehen Eltern mit männlichen Säuglingen energischer und
kraftvoller um (Hoffman, 1977).
Häufig zeigt sich auch ein komplementäres Verhalten der Eltern: Väter halten ihre
kleinen Töchter öfter sehr eng, Söhne dagegen weniger oft. Bei Müttern zeigt sich
ein entgegengesetztes Muster (Lamb, 1980). Dafür stimulieren Väter ihre Söhne
mehr, sehen sie öfter an und spielen mehr mit ihnen, Mütter tun dies bei ihren
Töchtern
häufiger.
Das
heißt,
beide
Elternteile
drücken
dem
gegen-
geschlechtlichen Kind gegenüber öfter ihre Zuneigung aus, stimulieren aber das
gleichgeschlechtliche Kind mehr und schenken diesem mehr Aufmerksamkeit
(Lamb, 1980). Insgesamt zeigt sich mehr positive Interaktion der Eltern mit
Kindern desselben Geschlechts (Redican, 1976 zitiert nach Lamb, 1980). Diese
auffälligen Unterschiede sind beim Vater stärker ausgeprägt (Lamb, 1980).
Lansky (1967, zitiert nach Lamb,1980) stellte fest, dass auf Jungen mehr Druck
zur Übernahme einer Geschlechterrolle ausgeübt wird und dass dieser früher
18
beginnt als bei Mädchen. Dementsprechend sind Väter ab dem Beginn des
zweiten Lebensjahres sehr wichtig für die Geschlechtsrollenentwicklung ihrer
Söhne während diese Differenzierung bei Mädchen erst später beginnt und auch
weniger intensiv ist (Lamb, 1980). Außerdem werden Jungen stärker zu
unabhängiger Exploration der Umwelt ermutigt, z.B. wird ihnen früher als
Mädchen zugetraut, mit einer Schere umzugehen oder alleine die Straße zu
überqueren (Callard, 1964, zitiert nach Hoffman, 1977).
Die unterschiedlichen Interaktionsstile der Eltern ihren Töchtern und Söhnen
gegenüber, sowie die verstärkte Aufmerksamkeit, die dem gleichgeschlechtlichen
Kind
geschenkt
wird,
führen
bereits
sehr
früh
zu
unterschiedlichen
Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen: weibliche Säuglinge scheinen
sensibler bezüglich Geräuschen zu sein, sie sind als Kleinkinder verbal
produktiver und in der Adoleszenz verbal kompetenter. Jungen sind als Kinder
aktiver und sensibler für körperliche Stimulation, spielen rauher und mehr, und
öfter
mit
den
Eltern
(für
eine
Übersicht
über
die
verschiedenen
Untersuchungsergebnisse siehe Clarke-Stewart, 1980).
Bei Aufgaben im Haushalt erfolgt häufig eine traditionelle Zuweisung: Mädchen
sollen z.B. Geschirr spülen, Betten machen oder Abstauben, Jungen mähen öfter
den Rasen, tragen den Müll raus oder waschen das Auto (Hoffman, 1977).
Beide Elternteile ermutigen Söhne mehr, ihren Emotionsausdruck zu kontrollieren
als Töchter (Block, zitiert nach Hoffman, 1977), wobei Väter allgemein mehr
Wert auf Verhalten legen, das der Geschlechtsrolle angemessen ist (Lamb, 1980).
Zum Beispiel sind sie weniger tolerant bezüglich selbstaggressivem Verhalten bei
Söhnen als bei Töchtern, was aber nicht für Aggressionen gegenüber anderen gilt
(Block, zitiert nach Hoffman, 1977). Sie legen außerdem mehr Wert auf Leistung
bei ihren Söhnen (siehe Punkt 2.4.1), aber auch Mütter haben, ebenso wie Väter,
nach einer Untersuchung von Hoffman (1975, zitiert nach Hoffman, 1977)
unterschiedliche Vorstellungen bezüglich erstrebenswerter Eigenschaften ihrer
Söhne und Töchter: Jungen sollen fleißig, ehrgeizig, intelligent, hoch gebildet,
ehrlich, verantwortungsbewusst, unabhängig, und selbstsicher sein, und einen
starken Willen haben. Töchter wünscht man sich dagegen freundlich, selbstlos,
liebevoll und attraktiv, sie sollen ein gutes Benehmen zeigen, sich möglichst gut
und glücklich verheiraten, und gute Mütter werden.
19
Ein wichtiger Faktor bei der Geschlechtstypisierung ist, dass die Eltern warm und
fürsorglich sind, wobei hierbei vor allem der gleichgeschlechtliche Elternteil von
Bedeutung ist. Zeigen sich sowohl Mutter als auch Vater warmherzig, so ist dies
vorteilhaft für die Entwicklung der Weiblichkeit bei Mädchen. Für die
Entwicklung von Jungen scheint in dieser Hinsicht dagegen nur das Verhalten von
Seiten des Vaters wichtig (Parke, 1982).
Faktoren, die die Geschlechtsrollenentwicklung beeinflussen können wurden
daher häufig getrennt nach Söhnen und Töchtern untersucht. Ergebnis einer
Studie von Hetherington (1967, zitiert nach Hetherington & Deur, 1976) war, dass
Söhne von dominanten, maskulinen und warmen Vätern in ihrem Verhalten
ebenfalls sehr maskulin waren. Sind dagegen die Rollen der Eltern in der Familie
vertauscht, das heißt, die Mutter setzt sich bei Entscheidungen eher durch, so kann
dadurch die Geschlechtsrollenentwicklung beeinträchtigt sein. Bei gänzlicher
Vaterabwesenheit kann es zu einer Verlangsamung der Entwicklung der
Geschlechtsrollen kommen, vor allem dann, wenn diese bereits vor dem Alter von
5 Jahren auftritt.
Probleme mit den Geschlechtsrollen zeigen sich eher bei jüngeren Kindern als bei
älteren (Hetherington & Deur, 1976). Erklärt wird dies häufig dadurch, dass ältere
Kinder die Möglichkeit haben, den mangelnden Vater durch den Umgang mit
anderen männlichen Erwachsenen, wie z.B. Lehrern, auszugleichen. Unterstützt
wird diese Hypothese durch Befunde, die zeigen, dass sowohl ältere Brüder
(Roberts & Rosenberg, 1964, zitiert nach Hetherington & Deur, 1976) als auch
Kontakt zu erwachsenen Männern (Steinmel, 1960, zitiert nach Hetherington &
Deur, 1976) zum Teil Problemen bei der Geschlechtsrollenentwicklung von
vaterlos aufgewachsenen Jungen entgegenwirken können.
Söhne von abwesenden Vätern sind weniger aggressiv und dominant, zeigen mehr
„weibliche“
Züge,
wie
Abhängigkeit,
haben
ein
weniger
maskulines
Selbstkonzept und weniger maskuline Spielpräferenzen (Sears, 1951, zitiert nach
Hetherington & Deur, 1976). Häufig kommt es aufgrund von Kompensationsversuchen seitens dieser Söhne zu einem abwechselnd exzessiv maskulinen und
dann wieder eher femininen Verhalten (Lynn und Sawrey, 1959, zitiert nach
Hetherington & Deur, 1976).
Miller entwickelte 1958 die These, dass die Hypermaskulinität und „Toughness“,
die oft bei Adoleszenten der unteren Schichten gefunden werden kann, und oft bis
20
zur Delinquenz führt, eventuell durch den erhöhten Anteil von Vaterabwesenheit
bei den sozial Schwächeren, als Versuch, eine eher feminine Orientierung zu
kompensieren, erklärt werden kann (zitiert nach Hetherington & Deur, 1976).
Auf die Geschlechtsrollenentwicklung von Mädchen wirkt sich der Vater auf
andere Weise aus. Durch den Umgang mit dem Vater ist es Töchtern möglich,
Erfahrung und Sicherheit in der Interaktion mit Männern zu erwerben. Außerdem
erfolgt dabei eine Verstärkung von angemessenem Geschlechtsrollenverhalten.
Die Beziehungen von Töchtern zu Männern allgemein hängen noch in der
Adoleszenz und auch im Erwachsenenalter stark von ihren früheren Beziehungen
zum Vater ab, und deutlich weniger von denen zu ihrer Mutter (Parke, 1982).
Bei Mädchen, die ohne Vater aufwachsen, zeigt sich ein Muster, das
gegensätzlich ist zu dem von Söhnen, in Bezug auf den Zeitpunkt des Auftretens
und das abweichende Verhalten. Im Vorschulalter zeigen sich praktisch keine
Unterschiede zwischen Mädchen, die aus intakten Kernfamilien bzw. Familien
mit alleinerziehenden Müttern stammen. Mit zunehmendem Alter werden diese
Unterschiede aber immer merklicher, und zeigen sich in der Pubertät in Form von
unpassenden Verhaltensmustern gegenüber Männern. Dabei gibt es zwei Extreme,
in deren Richtung sich das Verhalten verschieben kann (Hetherington & Deur,
1970, zitiert nach Hetherington & Deur, 1976). Das eine Muster macht sich durch
Schüchternheit, starke sexuelle Ängstlichkeit und Gehemmtheit bei Anwesenheit
von Männern bemerkbar und ist eher assoziiert mit Vaterabwesenheit durch Tod.
Das andere Muster ist dem entgegengesetzt, besteht in promiskuitivem und
unangebracht bestimmtem, forderndem Verhalten Männern gegenüber und wird
verstärkt mit Vaterabwesenheit nach einer Scheidung oder Trennung in
Verbindung gebracht. Im Umgang mit Frauen zeigen beide Gruppen keine
Probleme. Eine mögliche Erklärung für dieses unangemessene Verhalten wäre,
dass Fähigkeiten für die Interaktion mit dem männlichen Geschlecht zunächst
durch den Umgang mit dem Vater erlernt, und später auf alle Männer generalisiert
werden (Hetherington & Deur, 1976).
21
2.4.4 Individuation
Der Vater wird häufig auch in seiner Funktion als Verbindung zur Außenwelt
genannt (Lamb, 1976, zitiert nach Clarke-Stewart, 1980), sowie in seiner Rolle
bei der Erleichterung des Separations-Individuationsprozesses in der Adoleszenz
(Shulman & Klein, 1993, zitiert nach Stadler, 2002). Jedoch beginnt seine Rolle
bezüglich der Individuation des Kindes bereits zu einem Zeitpunkt, an dem der
Säugling von der Welt außerhalb der Familie noch nicht allzu viel mitbekommt,
nämlich direkt nach der Geburt, einfach nur dadurch, dass er einen, von der
Mutter verschiedener, Interaktionspartner darstellt. Wie oben bereits beschrieben
verhalten sich Mütter und Väter ihren Kindern gegenüber unterschiedlich.
Dementsprechend macht das Kind bereits sehr früh erste Sozialisationserfahrungen. Auch wird es vom Vater verstärkt zu einer eigenständigen
Exploration der Umwelt ermutigt. Später gibt eine zusätzliche Bindungsperson
natürlich mehr Sicherheit, und Auseinandersetzungen mit dem einem Elternteil
werden dadurch als weniger gefährlich wahrgenommen, da der zweite nach wie
vor als Ansprechpartner und Quelle der Sicherheit vorhanden ist. Es ist nicht
schwer nachzuvollziehen, dass Kinder, die ohne Vater aufwachsen, von der
Mutter abhängiger sind als Kinder in intakten Kernfamilien. Dauerhafte
Abwesenheit des Vaters kann, nach Meinung von Fitzgerald und Lane (2000,
zitiert nach Stadler, 2002) in der frühen Kindheit zu vermehrter Abhängigkeit des
Kindes von der Mutter führen. Der Individuationsprozess in der Adoleszenz
würde dadurch weiter erschwert. Andererseits sei es dem Vater möglich, durch
Autonomie fördernde Verhaltensweisen das Selbstbewusstsein seiner Tochter zu
stärken und ihr dadurch die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in der
Adoleszenz zu erleichtern. Die Interaktionsmuster zwischen Vater und Kind, und
damit verbunden das Autonomie fördernde Verhalten des Vaters (das von Stadler
anhand eines Streitgesprächs erhoben wurde), scheinen eng mit dem
Arbeitsmodell von Bindung des Vaters zusammenzuhängen:
Väter mit einem sicheren Arbeitsmodell von Bindung sind engagiert in der
Streitsituation und wenig feindselig, ihre Kinder ziehen ihren Standpunkt in
der Diskussion selten zurück, sie üben mäßig Druck auf ihren Vater aus,
zeigen ein mittleres Maß an Zustimmung und verhindern nicht die eigene
Autonomie. Väter, deren positive Korrelation mit dem Prototyp
„dismissing“ sie in die Bindungsrepräsentationsgruppe „unsichervermeidend“ einteilt, sind in der Streitsituation wenig für Argumentation
22
zugänglich, sie üben Druck aus, stimmen ihrem Kind selten zu und sind
weniger engagiert, zeigen aber viel Feindseligkeit. Väter mit unsicherverwickelter Bindungsrepräsentation zeigen viel Argumentation in der
Streitsituation, sie üben wenig Druck im Hinblick auf eine
Meinungsänderung aus und sind wenig feindselig. (...) Ein Vater mit
unsicherem Bindungshintergrund reagiert in der Interaktion mit seinem
adoleszenten Kind entweder zu negativ oder zu positiv, eine ausgewogene
Balance zwischen Autonomie und Verbundenheit (...) gelingt ihm nie.
(Stadler, 2002, S. 114f)
Gerade in der Adoleszenz wäre es wichtig, die Exploration auf der Basis einer
sicheren Bindung zu ermöglichen, mit dem Ziel, die Lösung vom Elternhaus zu
erleichtern. Väter legen mehr Wert auf die Verhaltensautonomie ihrer Kinder als
Mütter und unterstützen dadurch wiederum den Individuationsprozess. Dieser ist
vor allem für Mädchen schwierig, da bei diesen, im Vergleich zu Jungen, die
biologische Reifung früher eintritt (Stadler, 2002).
2.4.5 Psychopathologische Befunde
Allgemein hat sich, bei Abwesenheit des Vaters während der kindlichen
Entwicklungsjahre, ein signifikant erhöhtes Risiko für psychische und
psychosomatische Störungen (z.B. depressive Erkrankungen, Angststörungen,
Beziehungsstörungen und andere, psychosozial beeinflusste Beeinträchtigungen)
bis ins späte Erwachsenenalter gezeigt (Franz, Lieberz, Schmitz, & Schepank,
1999). Über mehrere Korrelationsstudien wurde deutlich, dass verschiedene
Eigenschaften des Vaters, Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale, oder auch
psychische Störungen, ein erhebliches Risiko für die psychische Entwicklung
ihrer Kinder darstellen, vor allem was das Auftreten von externalisierenden
Störungen (wie z.B. Hyperaktivität, Aggressivität oder delinquentes Verhalten)
betrifft (Laucht, 2003). Allerdings ergab sich kein klares Muster bezüglich
spezifischer Folgen in Abhängigkeit von der väterlichen Symptomatik.
1. Anorexie
Die eben beschriebenen Befunde zur Individuation hängen eng zusammen mit
Untersuchungen zur Anorexie in der Adoleszenz, da bei dieser Störung oft nicht
genug Förderung der Autonomie durch den Vater erfolgt ist. Es hat sich gezeigt,
dass für Anorexie die Beziehung zum Vater prognostisch bedeutsamer ist als die
23
zur Mutter (Mattejat & Remschmidt, 1997, zitiert nach Stadler, 2002). Dabei hat
sich vor allem ein Einfluss der Bindungsrepräsentation des Vaters als bedeutsam
erwiesen, so dass eine unsichere Bindung als Risikofaktor gesehen werden kann.
Gelingt die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz, unter
anderem das Lösen vom Elternhaus, nicht so kann dies zu einer Krise und daraus
resultierend zu einer psychopathologischen Erkrankung führen. Aufgrund der
Beobachtung von 11 Familien mit anorektischen Jugendlichen stellten Minuchin,
Rosman und Baker 1978 fest, dass sich deren Väter eher konfliktvermeidend und
überfürsorglich verhielten (zitiert nach Stadler, 2002). 1998 fand Shek, dass ein
hohes Konfliktpotential zwischen Vater und Jugendlichem eine negative
Auswirkung auf die Skalen „Hoffnungslosigkeit“, „Unzufriedenheit mit dem
Leben“, „niedriger Selbstwert“ und „Gesundheit“ hatte (zitiert nach Stadler,
2002). Allerdings ließ sich kein homogenes Bild bezüglich der Familieninteraktion bei anorektischen Jugendlichen finden. Auch muss gesagt werden,
dass dies rein korrelative Ergebnisse sind, die zwar etwas aussagen über
Risikofaktoren bezüglich der Entwicklung einer Anorexie, die es aber nicht
erlauben, aus der Diagnose einer Anorexie Rückschlüsse über den Vater oder
dessen Bindungsrepräsentation zu treffen.
2. Conduct Disorder (CD)
Die beschriebenen Befunde zum CD stammen sämtliche aus einer Übersicht von
Phares (1996).
In mehreren Studien ergaben sich Zusammenhänge zwischen Auffälligkeiten auf
Seiten des Vaters und CD bei Jungen, nicht aber bei Mädchen. Reeves, Werry,
Elkind, & Zametkin (1987) untersuchten Jungen zwischen 5 und 12 Jahren mit
der Diagnose CD (wobei diese zu 89% außerdem mit ADHD diagnostiziert
waren) und verglichen sie mit einer nicht-klinischen Kontrollgruppe. Dabei zeigte
sich ein erhöhter Anteil von Persönlichkeitsstörungen und Alkoholismus der
Väter in der Experimentalgruppe. Ein Vergleich der Mütter ergab dagegen keine
signifikanten Ergebnisse. Lahey, Piacentini, McBurnett, Stone, Hartdagen und
Hynd (1988) fanden erhöhte Raten von Festnahmen und Haft, von Aggressionen
und Antisozialer Persönlichkeitsstörung sowie von Alkoholismus bei Vätern von
Kindern mit CD. Ähnliche Ergebnisse erhielten auch Schachar und Wachsmuth
(1990) beim Vergleich der Väter von 7 bis 11-jährigen Jungen mit CD mit einer
24
nicht-klinischen Gruppe. Es zeigte sich, dass die betroffenen Väter deutlich jünger
waren, außerdem ergab sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer mindestens
einmonatigen Trennung von Vater und Kind, sowie einer psychopathologischen
Vergangenheit des Vaters, wobei hier vor allem Drogenmissbrauch, Alkoholismus
und Antisoziale Persönlichkeitsstörungen von Bedeutung waren. Bei Müttern
ergaben sich wiederum keine signifikanten Ergebnisse. Dagegen scheint es, dass
für Mädchen die Mutter-Tochter-Beziehung aussagekräftiger ist.
3. Delinquenz
Bei der Untersuchung von delinquenten Jugendlichen zeigte sich, dass Kinder aus
vaterlosen Familien hierbei überrepräsentiert waren (Gregory, 1965, zitiert nach
Hetherington & Deur, 1976). Klosinski (1986, S. 125) schreibt in seinem Überblick über die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung von delinquentem
Verhalten von Söhnen:
Mangelhafte Vaterfunktionen in bezug auf Führung und psycho-sexuelle
Determination begünstigen Störungen im Bereich des Selbstwert- und
Identitätserlebens und damit delinquente Entwicklung allgemein und
sexuelle Delinquenz im Besonderen.
Vor allem bei Söhnen kommt dem Vater in dieser Hinsicht eine wichtig Rolle zu.
Von Seiten des Vaters wahrgenommene Feindseligkeit wirkt sich auch stärker auf
die Entwicklung und Ausprägung der Persönlichkeitsmerkmale „Neurotizismus“
und „Aggressivität“ von Söhnen aus, als die von Seiten der Mutter (Bottenberg &
Gareis, 1975, zitiert nach Klosinski, 1986). Allgemein zeigen sich große
Parallelen zwischen Vater und Sohn bezüglich aggressivem und antisozialem
Verhalten (Stewart & De Blois, 1983, zitiert nach Klosinski, 1986) und es fand
sich ein erhöhtes Maß an väterlicher Strenge bei jugendlichen Delinquenten
(Lösel, Toman & Wüstendörfer, 1976, zitiert nach Klosinski, 1986). Wichtiger
scheinen in dieser Hinsicht allerdings die Emotionen, die hinter diesem
Erziehungsstil stecken, nicht einfach nur ob der Vater streng oder nicht streng ist.
Bei einem Vergleich der Wertvorstellungen zwischen Vater und Sohn fanden sich
größere Unterschiede bei Delinquenten verglichen mit Nichtdelinquenten (Feather
& Cross, 1975, zitiert nach Klosinski, 1986).
Interessanterweise scheint es, wie Brigham, Ricketts, & Johnson (1967, zitiert
nach Klosinski, 1986) feststellen konnten, bezüglich Konflikten mit den Eltern
25
Unterschiede zwischen Einzel- und Gruppenstraftätern zu geben, und zwar
dahingehend, dass bei Einzelstraftätern häufiger mütterliches Fehlverhalten im
Vordergrund steht. Auch fanden sich Unterschiede bezüglich der Straftaten. In
seinem Vergleich der Vater-Sohn-Beziehungen von 10 Sexualstraftätern mit
denen von 10 Brandstiftern, alle zwischen 15 und 21 Jahren fand Klosinski (1985,
zitiert nach Klosinski, 1986), dass bei 8 der 10 Sexualstraftäter der Vater fehlte
und auch kein anderer Partner der Mutter vorhanden war. Die Mutter-SohnBeziehung war gestört. Bei allen 10 Brandstiftern dagegen war der Vater bzw. der
Stiefvater vorhanden, wobei zum Zeitpunkt der Tat allerdings ein massiver
Konflikt zwischen beiden herrschte.
Delinquenz ist zwar bei Mädchen insgesamt seltener als bei Jungen, aber der
Anteil vaterloser Töchter bei delinquent gewordenen Mädchen ist höher als der
bei Jungen (Monahan, 1957, zitiert nach Hetherington & Deur, 1976). Diese
Delinquenz steht oft in Bezug zu sexuellen Fehltritten (Glaser, 1965, zitiert nach
Hetherington & Deur, 1976).
In seinem Überblick über die Effekte der Vaterabwesenheit in Bezug auf
Delinquenz fand Free (1991, zitiert nach Phares, 1996) eine stärkere Assoziation
zwischen Vaterabwesenheit und kleineren Delikten von Jugendlichen als mit
schwereren Verbrechen.
Allgemein wird jugendliche Delinquenz assoziiert mit schlechten Beziehungen zu
Vater und Mutter (Atwood, Gold & Taylor, 1989), Inkonsistenzen in den
familiären Kommunikationsmustern (Lessin & Jacob, 1989), wenig liebevoller,
konfliktreicher Vater-Sohn-Interaktion und nicht unterstützender, konfliktreicher
Mutter-Kind-Interaktion (Borduin, Pruitt & Henggeler, 1986), einem hohem
Niveau von elterlicher Aggression, elterlichen Konflikten und väterlicher Devianz
(McCord, 1979), sowie einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Missbrauch durch
Vater oder Mutter (Lewis, Pincus, Lovely, Spitzer, & Moy, 1987, alle
Untersuchungen zitiert nach Phares, 1996).
Im Übrigen sollte immer bedacht werden, dass die Rolle des Vaters bei der
Entstehung von delinquentem Verhalten nicht isoliert betrachtet werden sollte,
sondern als bedeutsamer Faktor im familiären Beziehungsgefüge, der sowohl
direkten als auch indirekten Einfluss ausüben kann und immer mit verschiedenen
Faktoren innerhalb der Familie, aber auch der Umwelt, interagiert.
26
4. Weitere Störungen
Es wäre zu ausführlich, hier den Einfluss des Vaters auf alle bekannten Störungen
zu erörtern, daher nur noch eine kurze Übersicht der von Phares genannten
Ergebnisse. Die Erkenntnisse zum Alkohol- bzw. Substanzmissbrauch bei den
Jugendlichen sind nur sehr begrenzt, es zeigten sich aber Assoziationen mit einer
verringerten Kommunikationsfähigkeit des Vaters (Jiloha, 1986). Weiterhin
ergaben sich Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Vaters und Depression
(z.B. Crook, Raskin, & Eliot, 1981), Suizid (u.a. Garfinkel, Froese, & Hood,
1982), Angststörungen (Gerlsma, Emmelkamp, & Arrindell, 1990) und
Schizophrenie bei ihren Kindern.
3. Schlussteil/Diskussion
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es unheimlich viele Faktoren gibt,
sowohl bezüglich des Vaters als auch anderer Bedingungen, die sich außerdem
wechselseitig beeinflussen und sich alle auf die Entwicklung des Kindes
auswirken. Dabei gibt es viele Möglichkeiten des Ausgleichs von ungünstigen
Einflüssen, so z.B. über die Mutter, über andere männliche Bezugspersonen oder
auch Geschwister. Außerdem ist es wichtig zu betonen, dass ein Verlust des
Vaters, bzw. eine negative Beziehung zu ihm keineswegs automatisch zu
Störungen der Entwicklung führen müssen, sondern lediglich die Vulnerabilität
für widrige Einflüsse erhöhen. Trotzdem sollte klar geworden sein, dass Väter bei
der Entwicklung ihrer Kinder eine entscheidende Rolle spielen, die sich qualitativ
von der der Mutter unterscheidet. Die Anwesenheit des Vaters wirkt sich
allerdings nicht immer positiv aus auf die Entwicklung des Kindes. Santrock
(1972, zitiert nach Shinn, 1978) fand schlechtere Ergebnisse bei einem IQ-Test
ein Jahr vor der Trennung vom Vater, was anhand der, durch Stress,
Trennungsprobleme sowie der konfliktreichen Beziehung der Ehepartner
auftretenden, verminderten Qualität der Interaktionen innerhalb der Familie
erklärt werden kann. Das Aufwachsen in einer “intakten“ Kernfamilie mit vielen
Konflikten wirkt sich möglicherweise ungünstiger aus, als eine Scheidung. Zum
Beispiel zeigten sich bei Jugendlichen aus derartigen Familien mehr Delinquenz
und psychosomatische Schwierigkeiten als bei Jugendlichen ohne Vater (Nye,
27
1957, zitiert nach Hetherington & Deur, 1976). Außerdem ist ein zwar
anwesender, aber am Kind uninteressierter Vater mindestens eben so schädlich,
wie ein abwesender, da zu dem Mangel an väterlicher Aufmerksamkeit noch ein
Gefühl der Zurückweisung und der Wertlosigkeit kommt.
Es sollte allerdings bedacht werden, dass viele der hier zitierten Ergebnisse bereits
älter sind, vor allem im Hinblick auf den Wandel der Familienstrukuren und die
erhöhte Anzahl an weniger traditionellen Familien heute, die steigende
Bereitschaft von Männern, sich immer mehr auch an der täglichen Pflege und
Betreuung der Kinder zu beteiligen, während Mütter vermehrt berufstätig sind,
kurz, ein Angleichen der Rollen von Mann und Frau, die beide immer androgyner
werden.
28
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