Fortpflanzungsmedizin – Neubewertung des Bildes vom Menschen?

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Fortpflanzungsmedizin – Neubewertung des Bildes vom Menschen?
Fortpflanzungsmedizin – Quo Vadis?
Was will die Gesellschaft?
Erich Grießler
Institut für Höhere Studien, Abteilung für Soziologie
20.6.2010
Hintergrund
• Projekt “Genetic Testing and Changing ‘Images of Human Life’ in the Clinical and Political Domains of Pre‐Implantation Genetic Diagnosis and Pre‐Natal Diagnosis”
• gefördert von BMW_F, FFG, GEN‐AU‐
Programm (2007‐2011)
• gemeinsam mit Dr. Mariella Hager
“Genetic Testing and Changing ‘Images of Human Life’
in the Clinical and Political Domains of Pre‐Implantation Genetic Diagnosis and Pre‐Natal Diagnosis”
Pränataldiagnostik
Klinische Domäne
Politische Domäne
Pränataldiagnostik in der klinischen Domäne
Diskussion um Schadenersatzänderungsge
setz (2010)
Präimplantationsdiagnostik PID in der klinischen Domäne
Reform des Gentechnikgesetzes (2005)
IVF
IVF in der klinischen Domäne
Diskussion um Urteile des EGMR zu Eizellenspende (2009)
Schwangerschaftsabbruch (Spätabbruch/innerhalb der Fristenregelung)
Schwangerschaftsabbruch in der klinischen Domäne
Debatte um Fristenregelung und deren Umsetzung 1974‐…
Weitere Informationen: www.ihs.ac.at/steps/humanlife/
Methoden
• Jänner 2009 bis Februar 2010 • 25 leitfadengestützte, qualitative, face to face Interviews mit betroffenen Frauen und VertreterInnen relevanter Berufsgruppen und Fachrichtungen. –
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6 betroffene Frauen
9 MedizinerInnen
3 Humangenetiker
4 PsychologInnen bzw. PsychotherapeutInnen
3 Labormitarbeiterinnen
Kinderwunsch
• Steht im Zentrum. Ordnet den Bereich, richtet ihn aus.
• Es geht um die Erfüllung des „Kinderwunsches“/löst „Unfruchtbarkeit“ ab
• Steht für betroffene Frauen im Zentrum
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dominiert andere Lebensbereich wird als schmerzhaft und dringend beschrieben
Leerstelle im Leben
negativ für Geschlechtsidentität
Kind als Zeichen der Partnerschaft
• „naturgesetzlich“ und verständlich aber auch „tyrannisch“
(ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen)
• Zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Biographie
• Problematik des späteren Kinderwunsches (Ältere PatientInnen)
Relevante soziale Praktiken
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Beobachten, z. B. Zyklus der Frau, Teilung der befruchteten Eizellen
Darstellens z. B. Ultraschall, Vergrößerungen durch verschieden auflösungsstarke Mikroskope
Gewinnen von Ei‐ und Samenzellen
Verstärkens und Konzentrieren, z. B. hormonelle Stimulation der Frau zur Hyperovulation
Kultivieren, z. B. waschen, wärmen, nähren von befruchteten Eizellen
Begutachten und Klassifizieren, z.B. Spermiogramm, Klassifizierung des Embryos
Auswählen, z. B. der Samenzelle bei ICSI oder des Embryo für Transfer
Zusammenführen, z. B. Ei‐ und Samenzelle (IVF, ICSI), Embryonentransfer
Konservieren von Ei, Samen, Embryonen
Aufklären und Beraten über Methode, Therapie, Fortsetzung, Alternativen; aber auch psychotherapeutische Beratung
Entscheiden, z. B. Form, Fortsetzung, Pause oder Abbruch der, und Alternativen zur Therapie
Dokumentieren, z. B. PatientInnenakte, Dokumentation der Entwicklung von Embryonen
Wie sind AkteurInnen in Praktiken eingebunden? Arbeitsteilig
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Frauen
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ÄrztInnen
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Insbesondere vor und bei der Gewinnung, sowie nach dem Embryotransfer Zyklus beobachten, Ursachen abklären lassen, Hormone einnehmen, sind Objekt von Interventionen an ihrem Körper (Untersuchungen, Punktion, Embryotransfer, Schwangerschaftstest), beobachten ihren Körper auf Anzeichen einer Schwangerschaft, sind oftmals die zentral Entscheidenden über die Richtung des Therapieverlaufs und Alternativen.
direkten Kontakt mit PatientInnen
entscheiden über Therapieverlauf
darstellen, gewinnen, auswählen, zusammenführen(Embryotransfer)
aufklären und beraten.
LabormitarbeiterInnen assistieren bei der Gewinnung von Eizellen, arbeiten auf, beobachten, wählen Samen aus, führen Samen und Eizellen zusammen, kultivieren, zählen, begutachten und klassifizieren, konservieren und dokumentieren.
PsychologInnen behandeln Probleme im Kontext von IVF und Kinderwunsch. Wird routinemäßig angeboten, aber nicht von allen Paaren genutzt.
Partner in der unmittelbare ART Behandlung wenig präsent.
IHL der betroffenen Frauen
• aus der Medizin übernommen
– „Eizelle, Follikel, Embryo, Spermium“
• aber:
– Eizellen und Embryonen werden mit affektiven Qualitätsmerkmalen versehen, wie „schön“
• Das imaginierte Wunschkind steht im Hintergrund (framing). Die glückliche Entwicklung vollzieht sich stufenweise von –
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„schöne“ Eizelle
guter Samenqualität
über ein oder mehrere Embryos in guter Qualität bis zur eingetretenen Schwangerschaft
Risiken und Belastung
• Werden von Frauen in den Interviews in Kauf genommen und hintangestellt:
„Ich muss sagen, das habe ich nicht so schlimm empfunden. (…) Spritzen geben oder so, ist mir komplett egal. (…) Das war halt notwendig“ (F14:138‐142).
• Wenig direkte Hinweise auf Risiken und Belastungen. Aber indirekt im Rückblick:
– psychische Belastung (Unsicherheit, Warten)
– Strapazen zur Erreichung der Schwangerschaft
• Psychische und körperliche Belastung werden auch von ÄrztInnen, LaborantInnen, PsychotherapeutInnen thematisiert „Es ist schon belastend. (…) Auch die Vorbehandlung, die ist ja zum Teil so eine Art künstlicher Wechsel, und die Hormonbehandlungen, das ist kein Klacks, das ist unterschiedlich“ (A5:525‐527).
IHL ÄrztInnen
• medizinischen Begriffe
„Gameten“, „Kultivation“, „Blastozystenselektion“, „Kultur“, „Eizellpunktion“, „Nitrifikation“, „Transfer“ , „survival“ , „outcome“ , „match“
• Sachlichkeit, bei der Sicht auf Embryonen : „genetische Analyse“, „Qualitätsverlust“, „Zellmasse“, „Manipulation“, „Schwangerschaftsrate“, „Alles‐oder‐Nichts‐Prinzip“
• Aber: begleitet von affektiven Begriffen: „schöner “, „wunderschöner “, „energiereicher Embryo“, „schöne Blastozyste“, „schönste Samenfäden“, „mäßig starke“, „gute Eizelle“
• „schön“ Synonym für „gesund“
• Offene Frage: eigene Faszination oder Vereinfachung für Laien?
IHL‐LaborantInnen
• Sprache sehr stark von medizinischen Begriffen geprägt: „reine Eizelle ohne Kumulus“, „pathologisch morphologische Samenzelle“, „Ovozyten“ , „Zygote“, „Zellstadium“ , „Blastozyste“ , „Gameten“
• Embryo nicht rein instrumentell. Nicht nur „Arbeitsmaterial“ sondern potenzielles Leben (Vorsicht, Leben und Tod, Verantwortung)
• Ambivalenzen werden beim „Verwerfen“ von Embryonen sichtbar
– LaborantInnen: abhängig von Kinderwunsch und „Qualität“ (hätte etwas daraus werden können)
– Übernahme der Definition des IVF‐Fonds, der Schwangerschaft mit dem Herzschlag ab der 5. SSW definiert. Dies helfe beim„nicht
nachdenken zu müssen“
Machbarkeit
Unsicherheit Zwänge
• ÄrztInnen
– Frauen und die Gesellschaft seien nicht bereit seien, Kinderlosigkeit als Schicksalhaft hinzunehmen. IVF ist mit Machbarkeitsvorstellung
verbunden.
– Anderseits: ÄrztInnen selbst haben Ehrgeiz, wollen eine Schwangerschaft erreichen, mit IVF erfolgreich sein. Erklären eine Art von Befriedigung zu verspüren, wenn sie erfolgreich, und eine Art Kränkung und Frustration, aber auch einen Ansporn, wenn sie nicht erfolgreich waren
– Manche Frauen würden die Erfüllung des Kinderwunsches als vehemente Forderung an ÄrztInnen erheben.
– Jedoch Nicht alles sei möglich und viele Versuche seien nötig. Kritik, dass Frauen zu spät in die Behandlung kämen und erleben die Machbarkeitsvorstelllung auch als Druck mancher Frauen
• Unsicherheit von ART wird von allen Beteiligten thematisiert und als schwer zu ertragen geschildert.
„Die In‐vitro‐Fertilisation kann keine Wunder wirken. Letztens war eine bei mir, die hat gesagt, ‚Na ja, ich habe geglaubt, das geht jetzt so einfach‘, die war auch schon 45“ (A7:109‐111).
„Dann brennt der Hut und dann wollen sie, dass man alles macht, was noch geht. (…) Und natürlich, wenn es nicht gleich klappt, dann kommt die Panik. Dann realisieren sie das erst, dass sie Zeit verloren haben und dass sie eigentlich viel früher auf die Idee hätten kommen sollen“ (A7:125‐129).
Transzendente Erklärungsversuche
trotz Machbarkeitsvorstellung, Rationalisierung und Technisierung der Reproduktion spielen transzendente Erklärungsversuche weiterhin eine Rolle
– „göttliche Fügung“
– „hätte einen tieferen Grund“
– „Schicksal“
– „Glück“
Eizellspende
• Wird über Kooperationen praktiziert
• Generell: Subpolitik (auch bei PID) durch „ART‐
Tourismus“ (Cross border reproductive care)
• ÄrztInnen sehen Eizellenspende relativ unproblematisch. Jedoch Vereinzelt Kritik an Ökonomisierung
• Labormitarbeiterinnen sehen sowohl Samenspende als auch Eizellspende problematisch
• Einstellungsunterschiede zwischen Partnern werden von allen beruflichen AkteurInnen thematisiert.
• (Hinweise zu Embryo‐sharing bzw. Forschung an Embryonen. Eltern würden eher Forschung zustimmen als anderen Paaren zu spenden).
Resümee I: „Images of Human Life“
Erfüllung des Kinderwunsches ist die zentrale Perspektive, an der sich die Erzählung ausrichtet. In sie ordnet sich auch das IHL ein. Sie sind verbunden mit den jeweiligen sozialen Praktiken, in die die AkteurInnen
eingebunden sind
• Unterschiede bei betroffenen Frauen, ÄrztInnen,, LaborantInnen
• Unterschiede auch bei: PsychotherapeutInnen und GenetikerInnen (beide bringen u.a. biographische Aspekte ein, analog zu KinderärtInnen bei PND)
• Hauptstrang: Technisierung, Rationalisierung, Machbarkeit
• Aber auch
– Unsicherheit und daraus resultierend wechselseitige Forderungen und (Selbst)Zwänge
– Transzendente Erklärungsversuche, um mit Unsicherheit umzugehen
– Leise Ambivalenzen hinsichtlich der „Würde des Embryo“ (Sichtbar beim Verwerfen)
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Resümee II: Was will die Gesellschaft?
• Wer ist, wer spricht legitimiert für „die“ Gesellschaft?
– Kinderlose Paare?
– Involvierte Professionen (ReproduktionsmedizinerInnen, GenetikerInnen, KrankenpflegerInnen, LaborantInnen, PsychtherapeutInnen …)?
– WählerInnen oder Grundgesamtheiten von Befragungen?
– PolitikerInnen?
• Zahlreiche Schwierigkeiten, zu erfahren, was „die“ Gesellschaft will:
– Trotz Enttabuisierung Sexualität und Kinderlosigkeit Tabuthema („Kinderwunsch“)
– Der Notwendigkeit eines informierten Diskurs stehen unterschiedliche Betroffenheit, Information, Kompetenz gegenüber. Daher Information und Diskussion notwendig
– Bestehende habitualisierte politische Konflikte, erschweren differenzierte, empirisch fundierte Diskussion
– Kleine n‐Fallzahlen, Verallgemeinerbarkeit?
Resümee III: • Bräuchte einen durch empirische Fakten informierten Diskurs jenseits von Vermutungen und stark von Wertvorstellungen geprägten Annahmen.
• Forschungsbedarf bzw. Rezeption: Welche internationalen und (österreichischen) Erfahrungen bestehen bei
– Auswirkungen von Eizellspende auf Spenderinnen
– Öffnung des Zugangs zu ART (single women, gleichgeschlechtliche Partnerschaften)?
– Leihmutterschaft
– Langzeiteffekte auf Eltern und Kinder
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