Programmheft-Text Signale Signale – vom gellenden Angstschrei in vorgeschichtlicher Zeit bis zum lautlosen elektrischen Impuls unserer hochtechnisierten Welt reichen sie tief in unser kommunikatives Repertoire. Signale warnen, schützen, verängstigen, rufen zum Aufbruch und künden von Heimkehr, markieren die Reiche von Göttern und Kaisern, befehlen Menschen wie Tieren, begleiten Leben und Sterben. Signale haben einen uralten Verstärker: das Horn. Kein Instrument ist so unlösbar mit ihnen verbunden wie dieses Machtsymbol aus dem Tierreich. Das sogenannte Muschelhorn (präziser: Schneckenhorn) ist eines der ältesten Signal- und Kultinstrumente der Menschheit. Von den Tiefen der Weltmeere wurde es auf das „Dach der Welt“ getragen und über den Globus verbreitet. Den antiken Hochkulturen Süd- und Mittelamerikas war es ebenso bekannt wie den Assyrern und Griechen. Auf den Inseln Ozeaniens kündigte es die Schiffe europäischer Entdecker an und in hinduistischen wie buddhistischen Riten Asiens tönt es reich verziert noch heute. Die ersten Signalgeber haben Menschen aus allem gefertigt, was sie in ihrer natürlichen Umwelt vorgefunden haben. Tierhörner, Meeresschnecken, hohle Baumstämme: alles konnte verwendet werden, um die Aufmerksamkeit von Menschen, Tieren und Göttern auf sich zu lenken, Geister zu beschwören oder Feinde einzuschüchtern. Beispielhaft für das Horn im eigentlichen Sinne steht das Schofar, das uns in der Bibel immer wieder begegnet. Von der Genesis bis zur Apokalypse wird es mit verschiedenen Bezeichnungen wie z.B. Signalhorn, Widderhorn, Lärmhorn, Lärmposaune, Schofarhorn oder Kriegshorn erwähnt. In der jüdisch/christlichen Tradition ist es ein multifunktionaler Klangkörper, der für Signale des täglichen Gebrauchs bis zu heiligen Riten Verwendung fand. Seinen mythologischen Ursprung hat das Schofar in der Geschichte von Abraham und Isaak, nach der Gott auf ein Menschenopfer verzichtet, indem er einen Widder als Opfertier sendet. So bezeichnet das Schofar ursprünglich ein Widderhorn, doch das klanglich reichere Horn des Kudus wird auch heute noch gleichwertig verwendet. Das vielleicht bekannteste Bespiel für die Macht des Schofars ist der Einsturz der Mauern von Jericho, und am Tag des „Jüngsten Gerichts“ prophezeit die Bibel ebenfalls den Ruf des Schofars. Signale sind auch Teil unserer musikalischen Welt; mehr oder weniger konkret, doch allgegenwärtig, und so stehen sie im Mittelpunkt des heutigen Abends. Sechs kurze Musikstücke skizzieren die Geschichte des Signales von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. An den Sinfonien und Divertimenti können wir dann erleben, auf welche besondere Weise es Einzug in der Kunstmusik gehalten hat. Signale sind zwar schon in der Musik des Barock in Opernhäusern und Konzertsälen erklungen, doch war ihr musikalischer Gehalt zunächst nicht weit vom Lärm der Treibjagd entfernt. Von dort aus fand das Hornsignal seinen Weg über den Hinterhof in die kunstvoll gestalteten Säle der Schlösser und Paläste. In verblüffend kurzer Zeit entdeckten Hornisten und Komponisten auch die virtusose Seite des Horns. Aus den „Jägerhornisten“ wurden Berufsmusiker, die ihren Instrumenten Klänge bis in die allerhöchsten Lagen entlocken konnten, und den anderen Bläsern im Orchester schon bald an Geschicklichkeit und Wendigkeit in nichts mehr nachstanden. Künstliche Hörner aus Metall wurden bereits von antiken Kulturen hergestellt. Die Römer zogen mit Cornu, Buccina, Lituus gen Norden, wo sie auf die Klänge der in gleicher Kunstfertigkeit gebauten Luren ihrer germanischen und keltischen Feinde stießen. Die im Mittelalter verwendeten Jagdhörner aus Horn, Elfenbein und Metall waren Schätze, mit denen sich Fürsten und Könige schmückten. Auch wenn sie meist nur einen Ton hervorbrachten, konnten mit ihnen jagende Menschen und Hunde präzise gelenkt werden. Erst die langen konischen Jagdhörner des französischen Hofes machten es möglich, mit mehr als 20 überblasenen Obertönen vielstimmige Jagdsignale zu blasen. Doch waren es böhmische Musiker, die diese Klänge in die barocke Kunstmusik integrierten. Anders in der Musik der Klassik. Jagd- und Posthornsignale wurden zwar nach wie vor auch wörtlich zitiert, aber es genügten immer feinere Andeutungen, um die Welt der Jagd zu assoziieren, und schließlich brauchte man nicht einmal mehr Hörner dazu. Ihre Klangsprache wurde so eindeutig, dass auch ein Streichquartett oder ein Klavier die Jagd auf subtile Weise andeuten konnte. Auch gesellte sich zu den leidenschaftlich schmetternden Klängen die stille Seite des Horns: Die Dreitonfolgeeiner „Hornquinte“ genügte, um endlose Weite und tiefe Stille auszudrücken. Es war der Klang des Hornes an sich, der - gleich der Stimme eines Sängers - die Seele des Hörers auf das innigste zu berühren vermochte. Die Cassatio in D-Dur Hob II D:22 stammt nicht von Joseph Haydn, auch wenn sie in der einzigen überlieferten Quelle, einer Abschrift, die heute in Prag liegt, seinen Namen trägt. Solche Fehlzuschreibungen gab es damals zu Hunderten, denn unter dem Namen des berühmten Haydn ließen sich Drucke ebenso wie Abschriften von professionellen Notenkopisten besser verkaufen. Von wem die originell besetzte und musikalisch anregende, aber von Haydns Stil weit entfernte Cassatio komponiert wurde, ist unbekannt. Unstrittig von Haydn stammt dagegen das Divertimento Hob II:8 mit seiner vielschichtigen Verwendung der Hörner vom wörtlich zitierten Posthornsignal bis zum kammermusikalischen Melodieinstrument. Zur Zeit der Wiener Klassik wurden die Hörner – wie in Mozarts Sinfonie A-Dur KV 134 – in der Regel paarweise verwendet und haben die Funktion einer harmonischen Grundierung. (Wenn einmal ausnahmsweise vier Hörner verwendet werden, wie etwa von Haydn in einigen Sinfonien Mitte der 1760er Jahre, von Mozart in der Sinfonie F-Dur KV 130 von 1772 oder vom unbekannten Autor des Divertimentos Hob. II:D22, so ist das stets etwas ganz Besonderes.) Dementsprechend nutzen die Hörner nun einen deutlich geringeren Tonvorrat als im Barock, Signale sind nur noch fragmentarisch zu finden oder sie sind auf rhythmische Figuren reduziert. Die klangliche Wirkung der Hörner tritt in den Vordergrund; Liegetöne vom zarten Pianissimo bis zum schmetternden Fortissimo bestimmen den klanglichen Raum des Werkes. Diesen hier entdeckten Raum konnten die Komponisten der Romantik nutzen, um mit ihren Signalen nicht nur in die Ferne, sondern auch „hinaus“ zu rufen. In der Kunst der Romantik wurde die Jagd als Metapher für die Freiheit von bürgerlichen Zwängen verstanden, für ein Leben, in dem der Zwiespalt zwischen Vernunft und Leidenschaft aufgehoben ist und sie wurde zum Sinnbild für das Spiel zwischen Liebenden. In dieser subtilen Welt zielten die Hornsignale nicht mehr darauf, die rauhen Jagdgesellen oder eine gierige Meute zu befehlen, sondern sie riefen ein liebendes Herz oder in eine innere Welt. Robert Schumanns Bezeichnung des Horns als „Seele des Orchesters“ drückt vielleicht am deutlichsten den Wandel aus, den das Instrument nach nur wenigen Jahrzehnten seiner Verwendung in der Kunstmusik durchlaufen hat. (romantik.) (2012) Hanno Siepmann Komponist, Pianist, Dirigent, Regisseur, Autor und Kabarettist. In der Philharmonie Berlin kamen mehrere seiner Chor- und Orchesterwerke zur Uraufführung. Für seine Kammeroper Alice wurde Siepmann mit dem „Neuköllner Opernpreis“ ausgezeichnet. Anfang 2006 gründete er das Ensemble BACH theater. Für die Musik der Spätromantik wurden Signale von unerhörter Kraft gebraucht, doch damit wurde das Signal auch wieder diesseitiger. Die Signale von Mahler bis Strawinsky nahmen gigantische Dimensionen an, und in dieser Form finden wir ihr Echo auch noch in den dramatischen Szenen der Kinofilme unserer Zeit. Ein „Krieg der Sterne“ wäre ohne sie undenkbar. Horn goes to Hollywood (2012) Verena Guido, Sängerin und Multi-Instrumentalistin und Komponistin widmet sich nach ihrem Barockflöten-Studium zunehmend dem Chanson und dem komponieren von Theatermusiken. Sie konzertiert in verschiedensten Musikensembles u.a. Ballhaus Nuevo, mit dem auch sie auch einige CDs einspielte. Signale der Gegenwart begegnen uns auf Schritt und Tritt. Wir erkennen ihre analogen Vorfahren noch am Klang, doch warnen, unterhalten und enervieren sie uns in erster Linie in digitaler Form. Als synthetische Klänge begegnen wir ihnen auch in der Kunstmusik unserer Zeitgenossen, und oft ist ihr Klangbild gar nicht weit von dem entfernt, was uns in unserem Alltag begegnet. Die Situation scheint ähnlich wie im Barock, als Jäger die ersten Signale in den Opernhäusern geblasen haben. Völker, hört sie Signale (2012) Stefan Döring, gelernter Jazzsaxophonist lebt und arbeitet in Köln. Seit über 10 schreibt er Jahren Auftragskompositionen für Theater, TV und Kino. Die von ihm vertonten Filme gewannen zahlreiche Preise u.a. den Bayrischen Fernsehpreis. Text: Christian Binde