Die Qual der Wahl: Wechselkursregime für Entwicklungsländer

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Die Qual der Wahl: Wechselkursregime für Entwicklungsländer*
von Martina Metzger**
Finanzkrisen sind weder in Industrie- noch in Entwicklungsländern ein neues Phänomen.
Seit Finanzsysteme sich in der Menschheitsgeschichte etabliert haben, kommt es in unregelmäßigen Abständen zu krisenhaften Erscheinungen dieser Systeme mit sich daran anschließenden sozio-ökonomischen Verwerfungen in teilweise dramatischem Ausmaß. Neben
der EWS-Krise 1992/93 war das letzte Jahrzehnt in ökonomischer Hinsicht u.a. durch schwere Zahlungsbilanz- oder, wie sie häufig auch bezeichnet werden, Währungskrisen in Entwicklungsländern geprägt, denen eine ansteigende Auslandsverschuldung, insbesondere im
kurzfristigen Bereich, und sogenannte Spekulationsattacken auf ihren Wechselkurs vorausgingen. Auf diesen Abwertungsdruck wurde neben der Inanspruchnahme internationaler
Kreditlinien durch eine Freigabe des Wechselkurses u.a. in Mexiko (1994), Südostasien
(1997), Russland (1998), Brasilien und Kolumbien (je 1999) reagiert, wenn nicht wie in Argentinien und Ecuador für eine weitgehende Dollarisierung optiert wurde – eine besonders
drastische Art, den Wechselkurs aufzugeben, in dem eine vollständige Verdrängung der
heimischen durch eine wertstabilere Währung zugelassen und somit der Wechselkurs de
facto abgeschafft wird.
Als gemeinsames Moment dieser Finanzkrisen wird immer wieder die Bindung der jeweiligen
heimischen Währung vorzugsweise an den US Dollar bzw. an einen Währungskorb, in dem
der US Dollar den überwiegenden Anteil stellt, und der damit einhergehenden Überbewertung hervorgehoben, die sich dann zwangsläufig in einer entsprechenden Abwertung niederschlage. Als Erklärung sowohl für die Krisen selbst als auch ihre Intensität wird auf das exzessive Festhalten am falschen bzw. nicht korrekten Preis in Form eines nominal stabilen
Wechselkurses seitens dieser Länder verwiesen. Damit unterstellen solche Argumentationslinien implizit nicht nur, daß die genannten Krisen Resultate eines fehlerhaften Design von
Geld- und Wechselkurspolitik der von den Krisen betroffenen Ländern seien, sondern auch
daß sie durch eine frühere Korrektur des Wechselkurses und somit entsprechend umfangreiche Abwertungen verhindert werden hätten können. Diesen Erklärungsmustern für Finanzkrisen soll hier widersprochen werden.
*
Veröffentlicht in: Heise, A. (ed.), Neue Architektur der Weltwährungsordnung, Marburg: Metropolis,
S. 131-159. Ein Teil der folgenden Ausführungen basiert auf: A Never Ending Story: Developing
Countries‘ Choice of an Exchange Rate Anchor, in: DIW Vierteljahresheft 1/99, S. 86-93. Für Anregungen und Kritik danke ich Karola Arndt und Barbara Fritz.
**
Berliner Institut für Finanzmarktforschung (email: [email protected]). Forschungsgebiete:
Geldtheorie und -politik, Entwicklungstheorie und –politik.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf zwei innerhalb der scientific community miteinander konkurrierende Wechselkursregime aus der Perspektive eines Entwicklungslandes, wobei besonderes Augenmerk auf die mit beiden Wechselkursregimen verbundenen Restriktionen
gelegt wird. Entsprechend dem keynesianischen Selbstverständnis, das diesem Beitrag zugrunde liegt, erfordert Entwicklung einen internen Einkommenbildungsprozeß bei gleichzeitiger Wahrung stabilitätspolitischer Anforderungen in Form von relativ geringen Inflations- und
Abwertungsraten der heimischen Währung. Während die Einkommensbildung als Resultat
eines kreditfinanzierten Akkumulationsprozesses gefaßt werden kann, bildet die makroökonomische Stabilität die entscheidende Restriktion der Einkommensbildung, da nur sie gewährleisten kann, daß die Einkommensbildung in der jeweiligen nationalen Währung vollzogen wird. Ökonomien, die mit dem Begriff ‘Entwicklungsländer‘ belegt werden, zeichnen sich
jedoch durch eine Einkommensbildung aus, die sich entweder teilweise oder sogar zum
überwiegenden Anteil aus Fremdwährung speist und die in einer Überbewertung verbunden
mit Abwertungserwartungen mündet.1
Der Wahl des Wechselkursregimes wird insofern eine hohe entwicklungspolitische Relevanz
beigemessen, da mit ihr entweder durch eine Fixierung des nominalen Wechselkurses eine
stabilitätspolitische Absicherung der jeweils eingeschlagenen Entwicklungsstrategie erfolgen
oder durch eine Konstanz des realen Wechselkurses ein investitionsgeleiteter Einkommensbildungsprozeß, der sich in Produktions- und Exportoffensiven niederschlägt, überhaupt ermöglicht werden soll. Nationale makroökonomische Stabilität versus internationale Konkurrenzfähigkeit bilden somit das Gegensatzpaar, das die Debatte um ein für Entwicklungsländer adäquates Wechselkursregime prägt und das sich in der alternativen Gegenüberstellung
von nominalem und realem Wechselkursanker widerspiegelt. Ob die beiden Wechselkursregime den in sie gesetzten Erwartungen gerecht werden können und die Wahl des Wechselkursregimes tatsächlich eine (entwicklungs-)strategische Entscheidung beinhaltet, soll im
folgenden näher beleuchtet werden. Dazu werden in den zwei sich anschließenden Abschnitten Vor- und Nachteile nominaler und realer Währungsanker diskutiert, an die sich ein
kurzer Überblick über die aus den weltwirtschaftlichen Veränderungen ergebenen Restriktionen für die Stabilisierungsbemühungen von Entwicklungsländern anschließt. Die Frage, inwieweit sich die aktuelle von Ökonomen geführte Debatte der Aufgabe, eine ökonomische
Interpretation der Krisen zu liefern, selbst als krisentauglich erweist, ist dem vierten Abschnitt
1
Zur generellen Instabilität einer auf der Akkumulation von Fremdwährungsverschuldung beruhenden
Entwicklungsstrategie, die hier explizit nicht problematisiert, aber implizit Grundlage der Ausführungen
ist vgl. ausführlicher Metzger, Of Magic Dragons and Other Strange Beasts: A Reassessment of the
Latin American and Asian Crises, Diskussionsbeiträge des Fachbereiches Wirtschaftswissenschaft
der Freien Universität Berlin Nr. 40/98.
vorbehalten. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse in thesenhafter Form vor- und
damit zur Diskussion gestellt.
Obwohl der Vortrag von der Asienkrise motiviert war, beschränken sich die nun vorliegenden
Ausführungen nicht nur auf die südostasiatischen Länder (Indonesien, Malaysia, Philippinen,
Südkorea, Thailand), sondern nehmen aus zwei Gründen auch Bezug auf Lateinamerika.
Einerseits verfügen lateinamerikanische Länder über langjährige Erfahrungen sowohl mit
unterschiedlichen Währungsordnungen als auch mit ihrem jeweiligen Scheitern und andererseits soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß das Wesen von Finanzkrisen, wiewohl
es sich in regionalen Erscheinungsformen äußert, nicht auf einen spezifischen regionalen
Begründungszusammenhang zurückgeführt werden kann. Der empirische Verweis dient zur
Illustration der abstrakten Argumente und beansprucht insofern keineswegs, eine umfassende Analyse oder Einschätzung der ökonomischen Geschichtsschreibung dieser Länder zu
sein.
1. Nominale Währungsanker als Stabilisierungsinstrument
Die makroökonomische Stabilität eines Landes drückt sich in einer niedrigen Inflationsrate
und einem konstanten oder sogar unter Aufwertungsdruck stehenden Wechselkurs aus. Ein
nominaler Währungsanker genießt unter Entwicklungsländern deshalb eine so hohe Attraktivität, da mit ihm scheinbar zwei Ziele gleichzeitig erreicht werden können: Annahmegemäß
erfolgt ein Import (i) der Preisniveaustabilität der Ankerwährung und (ii) der Glaubwürdigkeit,
diesen Wechselkurs aufgrund der Bindung und damit der Aufgabe der geldpolitischen Souveränität zu stabilisieren. Ein Währungsanker sollte deshalb in einem Anstieg der Liquiditätsprämie der entsprechenden Währung resultieren, da die Liquiditätsprämie auf dem Vertrauen
der Wirtschaftssubjekte in die Stabilität der jeweiligen Währung beruht. Im Falle eines Erfolgs
ist die Zentralbank in der Lage, die Zinsen zu senken und dadurch den heimischen Einkommensbildungsprozeß zu unterstützen. Die Rationalität eines Währungsankers beruht somit
mittel- bis langfristig auf der Stimulierung der wirtschaftlichen Dynamik unter Bedingungen
makroökonomischer Stabilität. Das mit der Bindung einer schwachen an eine harte Währung
verknüpfte Problem besteht in der Prävention einer Überbewertung der heimischen Währung, die spätestens mit der Wechselkursbindung einsetzt. Eine überbewertete Währung
verursacht sinkende Exporterträge und steigende Importausgaben, was sich in einer Passivierung der Leistungsbilanz widerspiegelt, Abwertungserwartungen schürt und somit die
Existenz dieses Wechselkursregimes ernsthaft bedroht. Deshalb erfordert die Aufrechterhaltung eines nominalen Währungsankers eine relativ schnelle Zurückführung der inländischen
Inflationsrate auf das Inflationsniveau des Ankerwährungsraumes, wofür im wesentlichen
drei unterschiedliche Politikfelder zur Verfügung stehen: (a) die Geldpolitik, (b) die Fiskalpolitik und (c) die Einkommenspolitik.
( a) Eine restriktive Geldpolitik gilt als das effektivste Instrtument, inflationäre Tendenzen
über den Transmissionsriemen Investitionstätigkeit abzuschwächen. Aber obwohl Argentinien und Brasilien außerordentliche Erfolge bei der Reduzierung ihrer Inflationsraten erzielt
haben - von einem vormals vierstelligen auf ein jetzt einstelliges Niveau – benötigten sie
dennoch mindestens vier Jahre, um die heimischen Preissteigerungsraten an das USamerikanische Niveau anzugleichen. Neun Jahre nach Einführung des Plan Cavallo weist
Argentinien eine (geringfügige) Deflation auf, die jedoch nicht ausreicht, um die während der
ersten vier Jahre akkumulierte Überbewertung des argentinischen Peso auszugleichen. Die
Regierungen beider Länder haben die zu Beginn der Konvertibilitätsprogramme einsetzende
Überbewertung ihrer Währung sogar als ein hilfreiches Instrument begrüßt, das Preiserhöhungen inländischer Produzenten nach oben deutlich limitieren könnte. Ein aufgrund des
preisbedingten Importsoges härterer Wettbewerb durch internationale Konkurrenten auf dem
heimischen Markt würde die notwendige Anpassung nur unterstützen – so die lateinamerikanische Argumentationslinie. Argentiniens spürbare De-Industrialisierung und Brasiliens zunehmende Regression zum Rohstoffexporteur sind Konsequenzen einer Politik, die die
Überbewertung der heimischen Währung in Kauf nimmt.2 Aber der Prozeß in die Überbewertung stellt sich nicht nur Ländern mit einer langen Tradition hoher Inflationsraten als ein
Problem dar, sondern allen Ländern, die ein positives Inflationsdifferential zu ihrer Ankerwährung aufweisen. Die südostasiatischen Volkswirtschaften realisierten trotz langjähriger einstelliger Inflationsraten, mit der Ausnahme von Malaysia, eine durchschnittlich um zwei bis
sechs Prozentpunkte höhere Inflationsrate als die Vereinigten Staaten.3
Höhere (Real-)Zinsen im Inland im Vergleich zu denjenigen im Ankerwährungsland
attrahieren darüber hinaus Portfolioinvestitionen von internationalen Gläubigern und induzieren heimische Wirtschaftssubjekte mit Zugang zum internationalen Kapitalmarkt, sich im
Ausland in Fremdwährung zu verschulden. Dies galt für alle südostasiatischen Länder vor
dem Ausbruch der Asienkrise und trifft auf Lateinamerika weitestgehend heute noch zu. Eine
zunehmende Verschuldung in Fremdwährung durch inländische Wirtschaftsakteure und/oder
kurzfristige Kapitalzuflüsse erschweren es den monetären Autoritäten jedoch, die Überbewertung zu verringern, da eine Überbewertung nicht nur durch höhere inländische Inflationsraten im Vergleich zu den Hartwährungsländern unter Bedingung eines fixen Wechselkurses
verursacht, sondern auch durch Nettokapitalimporte erhärtet werden kann.
2
Vgl. Fritz (1999), S. 29-30.
(b) Eine Fiskalpolitik, die darauf abzielt, einen Budgetüberschuß durch Senkung der Ausgaben bzw. Erhöhung der Steuereinnahmen oder einer Kombination von beidem zu generieren, wird häufig als komplementäres Instrument zur Zinspolitik betrachtet. Aber Ausgabenkürzungen vorzunehmen, ist nicht nur alleine von der Bereitschaft und der Fähigkeit der im
Haushaltsprozeß involvierten Akteure abhängig und somit kein Verwaltungsakt, wie dies
häufig im- oder sogar explizit unterstellt wird. Der überwiegende Anteil der Budgetausgaben
muß kurzfristig als quasi-fix interpretiert werden. Fast alle regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen können diesen quasi-fixen Ausgaben zugeordnet werden, insbesondere jedoch solche für Löhne und Gehälter, Mieten, Defizite von Staatsunternehmen, den Schuldendienst
und öffentliche bzw. staatlich garantierte Sozialversicherungen. Während die letzten beiden
zu den langfristigen Verbindlichkeiten gehören, die in jedem Fall bedient werden müssen und
nicht für Einsparungen zur Verfügung stehen, basieren die übrigen Verpflichtungen als absolutes Minimum auf Ein-Jahres-Verträgen und können deshalb nicht einfach annuliert werden.
Die Reorganisation des öffentlichen Dienstes, einschließlich der Privatisierung staatlicher
Unternehmen, und eine Restrukturierung der Budgetausgaben analog neuer Prioritäten sind
sogar mittel- bis langfristige Projekte. Somit ist der Handlungsspielraum der Regierung zur
Reduzierung der öffentlichen Ausgaben und von dieser Seite des Budgets, die Geldpolitik zu
entlasten und den nominalen Anker zu stabilisieren, in hohem Maße begrenzt.
Eine Regierung bestimmt die Bemessungsgrundlage einer Steuer und den jeweiligen Steuersatz. Die Steuereinnahmen variieren jedoch entsprechend den in einer Ökonomie vorherrschenden Wachstumsraten und der Dynamik der Einkommensbildung. In einer Periode
akzelerierenden Wachstums können deshalb bei gleichem Steuersatz und –
bemessungsgrundlage höhere Steuereinnahmen erwartet werden als in Zeiten der Stagnation oder Depression. Neben den einstelligen Inflationsraten waren die außergewöhnlich hohen Wachstumsraten das herausragende Merkmal des südostasiatischen Entwicklungsweges. Zwischen 1985 und 1995 stieg in allen von der Asienkrise betroffenen Ländern, mit
Ausnahme der Philippinen, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen jährlich um knapp
sechs Prozent (Malaysia) bis zu acht Prozent (Thailand) .4 Das durchschnittliche BIPWachstum wies in der Zeit von 1980 bis 1995 eine noch darüber hinausgehende Rate von
immerhin sechs Prozent in Malaysia bis fast neun Prozent in Südkorea auf.5 Alle hier betrachteten südostasiatischen Länder realisierten deshalb - wenig überraschend - nach einem
Jahrzehnt anhaltenden Wachstums Mitte der 90er Jahre mindestens einen ausgeglichenen
Haushalt wie z.B. Südkorea oder sogar einen beträchtlichen Budgetüberschuß wie Thai-
3
Vgl. World Bank (1997), Anhang, Tabelle 2.
Vgl. Word Bank (1997), Anhang, Tabelle 2.
5
Vgl. Word Bank (1997), Anhang Tabelle 11; eigene Berechnungen.
4
land.6 Mit dem Ausbruch der Asienkrise 1997 und dem sich daran anschließenden sozioökonomischen Einschnitt erfolgte jedoch – ebenso wenig überraschend – das abrupte Ende
einer Phase der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Die Bilanz des gesamten öffentlichen
Sektors Thailands, das sich zumindest in dieser Hinsicht positiv herausragend darstellte,
kehrte sich aufgrund schrumpfender Einnahmen und einem sprunghaften Anstieg der Zahlungsverpflichtungen exakt von einem Überschuß 1996 zu einem Defizit 1998 in Höhe von
drei Prozent je BIP um.7
Von diesem negativen Multiplikatoreffekt auf die öffentlichen Haushalte sind insbesondere
Länder betroffen, die auf das Instrument einer Hochzinspolitik zurückgreifen, um ihre Inflationsrate so schnell wie möglich den von den Hartwährungsländern gesetzten Standards anzugleichen und damit ihren nominal fixierten Wechselkurs zu verteidigen. Während die Steuereinnahmen ceteris paribus sinken, erhöhen sich die öffentlichen Zahlungsverpflichtungen
aufgrund eines ansteigenden inländischen Schuldendienstes und krisenbedingter Mehrausgaben im Sozialbereich. Im Extremfall sind Regierungen, wie beispielsweise die brasilianische, mit einer Situation konfrontiert, in der sie eine expansive Fiskalpolitik als Folge ihrer
restriktiven Geldpolitik implementieren müssen.8 Eine solche expansive Fiskalpolitik spiegelt
dann aber keineswegs eine politisch motivierte Abkehr von einem Austeritätsprogramm wider, sondern sie ist simple Konsequenz einer zur Aufrechterhaltung der Wechselkursanbindung eingeleiteten Rezession oder gar Depression. Der ‚Latin American Way of Adjustment‘
endet in einem umgekehrten Oliveira-Tanzi-Effekt, bei dem unter Bedingung eines
Disinflationsprozesses die öffentlichen Einnahmen kontinuierlich abnehmen, was weitere
Ausgabenkürzungen in den Bereichen Soziales oder Subventionen erfordert.9
Erst wenn die makroökonomische Stabilität als etabliert zu betrachten ist, so daß die Zentralbank nicht (mehr) auf eine Hochzinspolitik zur Verteidigung des nominalen Ankers angewiesen ist, und sich die Gewinnerwartungen regeneriert haben, kann mit einem Anstieg der
öffentlichen Einnahmen unter einem gegebenen Steuersystem gerechnet werden. Demnach
ist ein Budgetüberschuß einerseits vorwiegend ein Marktresultat und keineswegs eine kurzbis mittelfristige Politikvariable und andererseits das Ergebnis einer hohen Akkumulationsdynamik und kennzeichnet damit nicht den Beginn, sondern das erfolgreiche Ende eines Stabilisierungsprozesses.
6
Vgl. Radelet/Sachs (1998), Tabelle 8.
Vgl. IMF (1998a), S. 121-125 für Thailand und S. 66-70 für Südkorea; für die Auswirkungen der Krise
auf das philippinische Budget siehe Deutsche Bank Research (1998), S. 7-8.
8
Um Portfolioumschichtungen im Anschluß an die Asienkrise zu dämpfen, wurden die kurzfristigen
Zinssätze Brasiliens zwischen 1997 und Ende 1998 nahezu um das Doppelte angehoben. Der öffentliche inländische Schuldendienst und das Haushaltsdefizit stiegen als Konsequenz empfindlich an.
7
(c) Unter Einkommenspolitik kann eine Tarifpolitik gefaßt werden, die sowohl in Phasen der
Vollbeschäftigung als auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit auf eine Erhöhung der Löhne und
Gehälter entsprechend des durchschnittlichen Produktivitätszuwachses der heimischen Industrie orientiert. Eine notwendige Voraussetzung für eine solchermaßen definierte Einkommenspolitik sind demnach Lohnverhandlungen auf zentraler Ebene, an denen neben der
Regierung Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Hauptakteure und –
verhandlungspartner darstellen. Um jedoch eine nominale Währungsanbindung durch die
Einkommenspolitik unterstützend zu flankieren, muß die Regierung eine Strategie verfolgen,
Lohnabschlüsse durchzusetzen, bei denen die Nominallohnerhöhungen unterhalb des Produktivitätsanstiegs liegen, um den anfänglichen Preisniveauschub und die höhere inländische Inflationsrate im Vergleich zu derjenigen des Ankerwährungslandes zu kompensieren.
Ob die Gewerkschaften bereit sind und über den dafür nötigen Handlungsspielraum verfügen, solche Lohnabschlüsse in dem erforderlichen Ausmaß bzw. der Häufigkeit zu akzeptieren, hängt von ihrer historischen Erfahrung mit solchen ‚pacto sociales‘ oder auch ‚Bündnisse für Arbeit‘, der Zustimmung ihrer Mitglieder und den sich ihnen bietenden Alternativen ab.
Dies sind alles Faktoren, die eine Regierung zu beeinflussen versuchen kann, aber sie unterliegen nicht ihrer alleinigen Gestaltung. Darüber hinaus beruht eine funktionierende Einkommenspolitik auf einem hohem Organisationsgrad sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber, so daß gewährleistet ist, daß auf zentraler Ebene erzielte Verhandlungsergebnisse von der überwiegenden Mehrheit der inländischen Arbeitnehmer und Unternehmen ohne
Zusatzvereinbarungen übernommen werden. Ist ein Arbeitsmarkt hoch fragmentiert – wie in
den meisten Entwicklungsländern – oder sehr flexibel – wie neoklassische Ökonomen es
euphemistisch bezeichnen – ist eine Einkommenspolitik, die übergreifend für (fast) alle Unternehmen, Branchen, Regionen oder miteinander konkurrierende Gewerkschaften Gültigkeit
hat, fast unmöglich.
Zusammenfassend kann deshalb festgehalten werden, daß eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik weder eindeutige noch in jedem Fall adäquate Instrumente darstellen, mit denen ein
positives Inflationsdifferential reduziert und eine Überbewertung der Währung verhindert und
damit die zwei unverzichtbaren Bedingungen für die Aufrechterhaltung eines nominalen Ankers etabliert werden können. Eine restriktive Politik wirkt gesamtwirtschaftlichen Preisauftriebstendenzen entgegen, kann dies aber nur durch die Vernichtung von Produktionskapazitäten, so daß der nächste Aufschwung bedeutend früher mengenmäßig beschränkt wird,
was sich, wenn auf die Einleitung einer Stabilisierungskrise verzichtet wird, entweder in inflationären Tendenzen oder ansteigenden Importen und deshalb einer weiteren Schwächung
der heimischen Währung widerspiegelt. Somit verursacht eine restriktive Geld- und Fiskalpo9
Mein Dank gilt Barbara Fritz, die mich auf diesen Punkt hingewiesen hat.
litik zunächst eine Verminderung des Aktivitätsniveaus der heimischen Ökonomie und ein
Rückgang der Staatseinnahmen. Dennoch erfolgt aufgrund einer Hochzinspolitik alleine keine Reduzierung oder gar Umkehrung von Abwertungserwartungen, sondern steigende Zinsen sind ökonomischer Ausdruck von Abwertungserwartungen und können lediglich die am
Markt sichtbare heimische Nachfrage nach Devisen durch eine Unterdrückung der Einkommensbildung verringern. Kann der Einkommensbildungsprozeß nicht in dem Ausmaß restringiert werden, dem es dem Land erlaubt, mindestens eine ausgeglichene Leistungsbilanz
zu erzielen, so münden steigende Abwertungserwartungen zwangsläufig in einer Zahlungsbilanzkrise und in der Aufgabe der Parität. Von einem pessimistischen Blickwinkel aus betrachtet – wofür einige lateinamerikanische Länder als Beispiel dienen können – stellen zeitgleich steigende kurzfristige Nettokapitalimporte, ein konstantes oder sogar ansteigendes
Haushaltsdefizit10 und (abhängig davon, inwieweit der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt verschlossen ist und somit in heimischer Währung denominierte Verschuldung nicht
oder nur geringfügig in Fremdwährung konvertiert werden kann) eine Verlangsamung des
Wirtschaftswachstums sowie abnehmende Inflationsraten die wahrscheinlichsten Resultate
eines Anpassungsprozesses unter den Bedingungen eines nominalen Ankers dar - und können langfristig doch eine Aufgabe der Wechselkursbindung nicht verhindern. Selbst kurzfristige Zinssätze von real 40 Prozent und umfangreiche internationale Kreditlinien, vor allem
des IWF, waren für Brasilien nicht ausreichend, seinen Wechselkurs im Sog der Asienkrise
zu stabilisieren, so daß zu Beginn des Jahres 1999 die gut vier Jahre währende Bindung des
brasilianischen Real an den US Dollar suspendiert wurde.
Ein optimistischeres Szenario beruht auf der Annahme, daß eine nominale Währungsanbindung erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sowohl von der Inflationsrate als auch vom
staatlichen Budget keine destabilisierenden Effekte mehr ausgehen und deshalb eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik obsolet ist. Der nominale Anker dient hier lediglich zur Stabilisierung des Wechselkurses gegenüber dem bzw. den Haupthandelspartnern und damit der
Erwartungsbildung von Exporteuren, Importeuren und Vermögenseigentümern sowie ihrer
Kapital- und Leistungsbilanztransaktionen. Stellt sich die Anbindung für die ökonomischen
Akteure zunächst als dauerhaft dar, so ist es aufgrund des immer noch existierenden positiven (realen) Zinssatzdifferentials zwischen In- und Ausland sowohl für heimische Schuldner
rational, verstärkt Verbindlichkeiten in Fremdwährung, vorzugsweise der Ankerwährung, als
auch für internationale Gläubiger attraktiv, Forderungen gegenüber der heimischen Währung
aufzubauen. Und je sicherer die Aufrechterhaltung einer Parität erscheint, desto mehr ausländische Verschuldung ohne Deckung wird akkumuliert und löst einen Prozeß aus, der in
10
Die offiziellen Daten in Bezug auf z. B. Argentinien und Mexiko weisen vergleichsweise geringe
Haushaltsdefizite aus. Dies ist irreführend, da einmalige Privatisierungserlöse als Einnahmen und
nicht als Defizitfinanzierung aufgeführt werden.
einem sogenannten ‚currency mismatch‘ mündet. „What went wrong? Part of the answer
seems to be that these countries became victims of their own success. [...] This success had
led domestic and foreign investors to underestimate the countries‘ economic weaknesses.“11
Dieser Einschätzung kann hier nicht zugestimmt werden, da das Phänomen, das der IWF als
‚Erfolg‘ bezeichnet, gerade die Schwäche des Finanzsektors der fraglichen südostasiatischen Länder ausmacht. Diese Länder galten als international anerkannte Metaphern für
einen erfolgreichen Entwicklungsweg, gerade weil sie in der Lage waren, umfangreiche private Nettokapitalimporte zu attrahieren, mit denen der Aufholprozeß bzw. ein schneller Anschluß an das Einkommensniveau der Industrieländern finanziert werden sollte. Kontinuierliche Nettokapitalimporte, oder deutlicher ausgedrückt, eine Akkumulation von Fremdwährungsverschuldung destabilisiert jedoch die Aufrechterhaltung eines nominalen Ankers und
vermindert den geld- und fiskalpolitischen Handlungsspielraum der Zentralbank bzw. des
Finanzministeriums, unterstützend zugunsten des unter Abwertungsdruck geratenen Wechselkurses einzugreifen. Daher unterschätzten die internationalen Gläubiger und heimischen
Schuldner nicht die Destabilitätspotentiale der südostasiatischen Finanzmärkte, sondern sie
verursachten sie maßgeblich. Wenn das IWF-Zitat auch wenig Erkenntnis über die Schwäche der Finanzmarktentwicklung Südostasiens zu vermitteln vermag, so offenbart es dennoch eine nicht minder bedeutende Schwäche, in diesem Fall der mainstream economics.
Mainstream economics interpretiert private im Gegensatz zu staatlichen Nettokapitalimporten
als ein Zeichen der Nachhaltigkeit und der Stabilität eines Entwicklungsprozesses, obgleich
deutlich sein sollte, daß ein Preis, wie der Wechselkurs es darstellt, nicht in der Lage ist, zwischen einzelnen ökonomischen Akteuren zu differenzieren. Es ist die Aktivität, die ihn destabilisiert und nicht der Akteur, der die Aktivität durchführt. Abschließend kommt man deshalb
nicht umhin festzustellen, daß ein Wechselkursregime, das auf der Bindung der Währung
eines Entwicklungslandes an eine Hartwährung beruht, selbst unter der Annahme eines optimistischeren Szenarios, eine riskante Entwicklungsstrategie darstellt.12
2. Internationale Konkurrenzfähigkeit mit realen Währungsankern13
Als eines der wesentliche Vorteile eines realen Ankers (crawling peg) gegenüber einem nominalen Anker gilt gemeinhin, daß über die Anpassung des nominalen Wechselkurses durch
Abwertungen eine Stabilisierung des realen Wechselkurses erreicht werden kann, dessen
Höhe die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Produkte auf dem Weltmarkt bestimmt.
Während bei einem fixen Wechselkurs überhaupt keine Anpassung möglich ist, weisen fle-
11
IMF (1998b), S. 3.
Eine Studie über 87 Bindungen lateinamerikanischer Währungen an den US Dollar im Zeitraum von
Ende der 50er bis Anfang der 90er Jahre zeigt, daß ein nominaler peg im Durchschnitt nur 29 Monate
aufrechterhalten wurde. Vgl. hierzu Klein/Marion (1994).
12
xible Wechselkurse eine hohe Volatilität auf und tendieren zu einem sogenannten
overshooting. Ein crawling peg scheint daher für Entwicklungsländer angesichts der ihnen
unterstellten höheren Sensibilität gegenüber externen Schocks und ihrer schlechten monetären Performance der bestmögliche Kompromiß zwischen Flexibilität und Stabilität zu sein.
Dennoch sind mit einem realen Anker zwei wesentliche Probleme verbunden: (a) zunächst
ist es unabdingbar, einen gleichgewichtigen realen Wechselkurs zu identifizieren, an den der
nominale Wechselkurs überhaupt erst angepaßt werden kann; und (b) selbst unter der Annahme, daß der gleichgewichtige Wechselkurs bestimmt werden kann, birgt der Anpassungsprozeß das Risiko einer Abwertungs-Inflations-Spirale in sich.
(a) Da reale Wechselkurse nicht direkt am Markt beobachtbar sind, wurden unterschiedliche
Verfahren entwickelt, die ihrer Schätzung und Extrapolation auf der Grundlage empirischer
Daten dienen.14 Aber die technische Perfektionierung der Suche nach einem gleichgewichtigen (realen) Wechselkurs enthebt uns nicht der Notwendigkeit, den ökonomischen Zustand
klar zu definieren, bei welchem von einem Gleichgewicht auszugehen ist. Ein Gleichgewicht
gilt als etabliert, wenn der Wachstumsprozeß sowohl der internen als auch externen makroökonomischen Restriktion unter Bedingung einer nachhaltigen Leistungsbilanz entspricht,
wobei „(a)ny path that satisfies intertemporal budget constraints, and that can be followed
indefinitely without surprises that would make agents wish that they had not acted as thay
did, is sustainable.“15 Das solchermaßen definierte Gleichgewicht eines realen Wechselkurses existiert m.E. überhaupt nicht: weder historisch, da in der Menschheitsgeschichte kein
Entwicklungspfad unbegrenzt verfolgt werden konnte noch theoretisch, da ein Entwicklungspfad ohne Überraschungen bedingt, daß die Erwartungen eines jeden Wirtschaftssubjekts
über eine zukünftige ökonomische Begebenheit oder eine Abfolge von wirtschaftlichen Vorfällen tatsächlich dem Auftreten der Begebenheit bzw. der Reihe von Vorfällen exakt entsprechen müssen. Zusätzlich ist erforderlich, daß jede konkrete ökonomische Begebenheit in
der Gegenwart Erwartungen bei allen Marktakteuren bereits in der Vergangenheit in einer
Form ausgelöst haben muß, die keine Divergenz zwischen diesen Erwartungen und den
konkreten Ereignissen zuläßt. Dies ist eine Restriktion, an der noch nicht einmal die Hypothese der rationalen Erwartungen gebunden ist. Absolute Sicherheit hinsichtlich zukünftiger
Ereignisse und Entwicklungen stellt m.E. deshalb auch kein Spezialfall eines Erwartungsbildungsprozesses mit einer Varianz von Null dar, sondern impliziert die Suspension der Kategorie Zukunft selbst, da Zukunft inhärent durch Unsicherheit charakterisiert ist. Edwards
schlägt eine weniger restriktive Definition vor, indem er den gleichgewichtigen realen Wech-
13
Auf die Einarbeitung v.a. der lateinamerikanischen Erfahrungen mit einem crawling peg wurde in
diesem Abschnitt aufgrund der Komplexität und des damit verbundenen Umfangs verzichtet.
14
Vgl. Williamson (1985), S. 19ff.; für einen Überblick über aktuellere Ansätze zur Berechnung von
gleichgewichtigen Wechselkursen vgl. Williamson (1994a).
selkurs an eine Leistungsbilanz von Null bindet. Aber in seinem Grundmodell abstrahiert er
von internationaler Kapitalmobilität, so daß seine Definition eher ein Resultat pragmatischmathematischer Überlegungen als von ökonomischer Natur ist.16 In einer Modifikation seines
Modells integriert er formal Kapitalmobilität, verändert jedoch nicht den Kern seiner Argumentation: „The simplest way to incorporate capital flows into the model is by assuming that
they are restricted to the government, and by treating them as exogenous.“17 Unter der Annahme einer offenen Volkswirtschaft und damit internationaler Kapitalmobilität wird hier und
im folgenden eine ausgeglichene Leistungsbilanz als Indikator für einen gleichgewichtigen
realen Wechselkurs verstanden, da eine Volkswirtschaft in dieser Konstellation weder Verbindlichkeiten noch Forderungen gegenüber dem Rest der Welt aufbaut und somit die Nettovermögensposition des Landes unverändert bleibt. Diese Definition läßt jedoch die Frage
völlig offen, ob ein solcher Wechselkurs einen Entwicklungsprozeß mit dem Ziel der Erhöhung der Pro-Kopf-Einkommen zu unterstützen oder gar zu induzieren vermag.
(b) Unter der Annahme, daß ein gleichgewichtiger realer Wechselkurs identifiziert wurde,
kann der nominale Wechselkurs entsprechend des positiven Inflationsdifferentials gegenüber
den Haupthandelspartnern angepaßt werden.18 Allerdings haben permanente Abwertungen
einige negative Nebeneffekte: (i) ein Anstieg des Schuldendienstes auf Fremdwährungsverbindlichkeiten berechnet in heimischer Währung und (ii) eine Zunahme des inländischen
Preisniveaus.
Eine Abwertung des nominalen Wechselkurses wertet in heimischer Währung denominiertes
Vermögen ab und in Fremdwährung kontrahierte Verbindlichkeiten auf. Die überwiegende
Mehrheit der Anhänger eines crawling-peg-Regimes propagiert deshalb parallel zur Abwertung einen entsprechenden kompensatorischen Anstieg des Zinssatzes, so daß sich die reale Verzinsung der inländischen Vermögenswerte nicht verändert und umfangreiche Kapitalabflüsse verhindert werden können.19 Aber ein Gleichgewicht auf dem Devisenmarkt erfordert, daß die Summe des inländischen realen Zinssatzes plus der Liquiditätsprämie der heimischen Währung der Summe aus dem realen Zinssatz plus der Liquiditätsprämie der
Fremdwährung entspricht. Dementsprechend bedarf eine Abwertung der heimischen Währung eines überproportionalen Anstiegs des nationalen Zinsniveaus um die Abwertungsrate
15
Williamson (1994b), Fußnote 3, S. 180 (Hervorhebung nicht im Original).
Vgl. Edwards (1994), S. 65.
17
Edwards (1994), S. 70 (Hervorhebung natürlich nicht im Original!).
18
Der gleichgewichtige reale Wechselkurs wird nicht nur durch ein Inflationsdifferential bestimmt. Er
schwankt auch aufgrund von Produktivitätsdifferenzen, externen Schocks und einer nicht proportionalen Veränderung der Einkommenselastizitäten von Import- und Exportnachfrage. Die Ausführungen
werden auf diese strukturellen Veränderungen nicht eingehen, da sie zu integrieren, die Argumentation nur bestärken, aber nicht modifizieren würde.
19
Vgl. z.B. Williamson (1981), S. 11.
16
und der durch die Abwertung verringerten heimischen Liquiditätsprämie. Eine Aufwertung
der ausländischen Verbindlichkeiten, die mit einer Zinssatzerhöhungen im Inland einher
geht, stellt für alle heimischen Wirtschaftsakteure eine zusätzliche Belastung dar, unabhängig davon in welcher Währung ihre Zahlungsverpflichtungen denominiert sind. Die abwertungs- oder zinsbedingte Verminderung der Gewinnspanne der verschuldeten Unternehmen
setzt sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitsuchenden unter Druck, Lohnzugeständnisse zu
akzeptieren, da ceteris paribus die betroffenen Unternehmen ihre Produktionskapazitäten so
lange reduzieren, wie die höheren Kosten nicht vollständig durch nominale Lohnverluste
(oder Steuerbefreiungen) neutralisiert werden können.
Das zweite mit einem crawling peg Regime verknüpfte Risiko besteht darin, daß permanente
Abwertungen inflationäre Tendenzen stimulieren. Nur unter der Bedingung, daß alle bis zur
Abwertung getätigten Importe nach der Abwertung auf Null reduziert werden können, bleibt
ein Preisniveauschub aus. Gelingt dies nicht, so verursacht eine Abwertung immer einen
Anstieg der absoluten heimischen Preise der importierten Güter. Sowohl traditionelle Importe
und die zur Verfügung stehenden inländischen Produktionskapazitäten bestimmen das Ausmaß des Preisniveauschubs, während demgegenüber die Frage, ob und in welcher Höhe die
gesamtwirtschaftliche Inflationsrate infolgedessen ansteigt von der Stabilität der Nominallöhne, oder, in anderen Worten, von der Akzeptanz realer Lohnverluste determiniert wird. Unter
traditionelle Importe sind solche Güter zu fassen, die kurzfristig nicht substituiert werden
können (z. B. Energie) und daher auch nach einer Abwertung weiter importiert werden müssen, was sich in einem Anstieg der dafür erforderlichen Importausgaben und dem korrespondierenden Angebot an heimischer Währung auf dem Devisenmarkt widerspiegelt. Aber
selbst unter der Annahme einer hohen Preiselastizität der Nachfrage für den überwiegenden
Anteil der importierten Güter, resultiert eine Abwertung in einem Preisniveauschub, produziert die inländische Industrie nahe oder bereits an der Kapazitätsgrenze. Je umfangreicher
demnach die traditionellen Importe ausfallen und je weniger das gesamtwirtschaftliche Angebot eine preisinduzierte Verlagerung der Importnachfrage zu heimisch produzierten Gütern
quantitativ zu befriedigen in der Lage ist, desto stärker ist der Preisniveauschub. Aber je
stärker der Preisniveauschub ist und je häufiger er sich wiederholt, desto weniger werden
(tatsächliche und potentielle) Arbeitnehmer gewillt sein, weitere Einkommensverluste hinzunehmen.
Aus diesem Grund setzt eine Abwertungs-Inflations-Spirale nicht das Auftreten eines externen Schocks voraus oder wie Genberg es umschreibt „(...) a disturbance to exchange rates,
due for an instance to an unanticipated monetary expansion.“20 Halten die monetären Autori20
Genberg (1981), S. 90.
täten auch dauerhaft an einem realen Währungsanker fest, sind sie bis zur Zurückführung
der heimischen Inflationsrate auf diejenige(n) der Ankerwährung(en) nicht nur gezwungen,
eine restriktive Politik zu implementieren, die sowohl die laufenden Gewinne als auch die
Gewinnerwartungen der Unternehmen deutlich verringern, sondern sie müssen darüber hinaus Reallohnverluste im Umfang des Produktionskostenanstiegs durchsetzen, um dem Aufkommen einer Lohn-Preis-Spirale, die dann in eine Abwertungs-Inflations-Spirale übergeht,
jegliche Grundlagen zu entziehen. Und während es ex ante nicht möglich ist zu bestimmen,
welches Niveau die realen Zinssätze tatsächlich erreichen müssen, um eine
Portfolioumschichtung von Vermögenseigentümern aus der heimischen zugunsten einer harten Fremdwährung zu verhindern, wird das Angebot an heimischer Währung auf dem Devisenmarkt von international verschuldeten heimischen Akteure mit Sicherheit deutlich ansteigen. Im Gegensatz zu der angeblichen Stabilisierung der Gewinnerwartungen von international tätigen Investoren, heimischen Im- und Exporteuren verursacht ein crawling peg Regime weitreichende Inflations- und Abwertungserwartungen, sollte der Einkommensbildungsprozeß von den monetären Autoritäten nicht entsprechend restringiert werden können.
Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß Entwicklung behindert oder gar zurückgeworfen wird, weshalb hier nur der Schluß gezogen werden kann, daß ein Wechselkursregime,
das auf kontinuierlichen Abwertungen basiert, selbst ein Störfaktor des Markt- und Entwicklungsprozesses ist.
3. Internationales Umfeld
Die in den vorangegangenen Abschnitten dargelegten Überlegungen hinsichtlich der Schwierigkeiten, die sich für ein Entwicklungsland bei der Wahl seines Wechselkursregimes ergeben, haben generelle Gültigkeit und sind nicht einer konkret zu untersuchenden historischen
Periode zuzuordnen. Unabhängig sowohl von der unilateralen Wahl eines konkreten Wechselkursregimes durch ein Entwicklungsland als auch von der multilateral vorherrschenden
Weltwährungsordnung sehen sich Entwicklungsländer dem Zwang zur Stabilisierung ihrer
Währungen ausgesetzt, wollen sie nicht Gefahr laufen, daß ihre Ökonomien durch eine ausländische wertstabilere Währung bewirtschaftet wird. Allerdings haben sich die weltwirtschaftlichen Bedingungen für eine solche Stabilisierung in den letzten drei Jahrzehnten deutlich verschlechtert.
Seit Mitte der 70er konkurrieren die drei die Weltwirtschaft dominierenden Länder (USA,
Bundesrepublik Deutschland und Japan) und seit den 80ern auch die Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union darum, ihre jährlichen Inflationsraten auf einen in der jüngsten Geschichte noch nie erreichten Tiefstand von durchschnittlich weit über 10 Prozent in den 70er
Jahren auf mittlerweile nur noch null bis zwei Prozent zu senken.21 Eine ähnliche Entwicklung läßt sich für die Fiskalpolitik nachzeichnen. Zu Beginn der 80er Jahre erfolgte insbesondere in Europa ein Politik-, häufig begleitet durch einen Regierungswechsel, hin zu einer
Phase der Konsolidierung der Staatsfinanzen.22 Nach dem weltwirtschaftlichen Einschnitt
1979-1981, im Zuge dessen die durchschnittlichen Budgetdefizite auf knapp 2% (Frankreich)
am unteren und 13% je BIP (Belgien) am oberen Ende zunächst noch anstiegen, reduzierten
sich die Budgetdefizite aufgrund jahrelanger Austeritätspolitik bis 1989 auf Null (Deutschland) bzw. 10% (Italien). Mit der Europäischen Währungsunion und den 1992 in Maastricht
verabschiedeten Konvergenzkriterien, die eine Obergrenze für das Budgetdefizit von 3% des
BIP und die Verschuldung des öffentlichen Sektors von 60% je BIP zwingend vorschreiben,
erfährt dieser Prozeß eine zusätzliche Dynamik. Bis Ende des gerade abgeschlossenen
Jahrzehnts wurden die Budgetdefizite mehrheitlich auf diese Größenordnung angepaßt, wobei einzelne Mitglieder der EWWU bereits Überschüsse realisieren können, während die
öffentliche Verschuldung noch bis Mitte der 90er Jahre anstieg, um dann zeitlich versetzt zur
Senkung der Defizite ebenfalls deutlich abzufallen.
Da die Vermeidung eines positiven Inflationsdifferentials zwischen der heimischen Ökonomie
und dem (entscheidenden) Rest der Welt eine notwendige, wenn auch keine hinreichende
Bedingung für die Stabilisierung des Wechselkurses sowohl im Rahmen eines nominalen als
auch realen Ankers darstellt, läßt sich dieses Unterfangen heute für Entwicklungsländer ungleich schwieriger zu bewerkstelligen, da die Inflationsraten der Währungsräume, an denen
sich Entwicklungsländer orientieren müssen, geld- und fiskalpolitisch flankiert kontinuierlich
gesunken sind.
4. Die Krisendebatte innerhalb der Wirtschaftswissenschaft
Obwohl strikt ökonomische Begründungszusammenhänge sowohl für Zahlungsbilanzkrisen
selbst als auch für die Häufigkeit, mit denen sie auftreten, existieren, bemühen viele zeitgenössische Ökonomen zunehmend außerökonomische Argumente, die den Rückzug interna21
Die durchschnittliche Inflationsrate der EU betrug 1980 13,8%, wobei Frankreich, Griechenland und
Portugal jährliche Preissteigerungsraten von über 20% zu verzeichnen hatten. Die Daten in diesem
Abschnitt stammen aus DIW (1996) und IWD (1995).
22
Auch in den USA kommt es mit dem Amtsantritt Ronald Reagans ebenfalls zu einem Richtungswechsel hin zu einer verstärkten (verbal-radikalen) Austeritätspolitik. Diese konnte aber aufgrund der
sich gegenseitig blockierenden Mehrheitsverhältnisse im Senat und Kongreß nicht wie angekündigt
umgesetzt werden. Für mainstream Ökonomen eine Ironie des Schicksals, daß die realen
Reagonomics durch eine expansive Fiskalpolitik aufgrund weitreichender Steuersenkungen einerseits
und Ausgabenerhöhungen vor allem im militärisch-industriellen Bereich charakterisiert sind. Sprunghaft ansteigende Staatsverschuldung und Budgetdefizite in den 80er Jahren werden von Budgetüberschüssen und entsprechend sinkender Staatsschuldquote in den 90ern abgelöst. Ein Paradebeispiel
für eine erfolgreiche Wirkungsweise keynesianischer Multiplikatoreneffekte ergänzt um eine
diskretionäre Geldpolitik.
tionaler Anleger aus einer Währung auf pessimistische Erwartungen dieser Anleger zurückführen, die aber nicht notwendigerweise den Fundamentaldaten23 des Währungsraumes, auf
den die Erwartungen sich beziehen, entsprechen und somit aus ökonomischen Gründen
nicht gerechtfertigt sein müssen. „However, the main point of second-generation models may
be stated this way: the real cause of currency crises is not so much what you are actually
doing, as what the financial markets suspect you might want to do.“24
Bei den angesprochenen außerökonomischen Argumenten handelt es sich insbesondere um
psychologische, soziologische oder politikwissenschaftliche Erklärungsmuster. Ersteres bezieht sich auf das sogenannte Herdentierverhalten von Vermögenseigentümern. „Several
important events in the aftermath of Mexico’s currency collapse showed how sensitive world
markets are to the arrival of news that may not be directly related to the fundamentals driving
asset returns in a particular country, and, hence, suggest that global investors may be susceptible to exhibiting ‚herding‘ behaviour.“25 Je stärker das Portfolio internationaler Anleger
auf verschiedene Länder differenziert wird, desto weniger verfolgen sie die konkrete ökonomische Entwicklung des Landes, gegenüber dem sie Forderungen halten, sind deshalb
schlecht informiert oder glauben es mindestens zu sein. Kündigt dann ein (relevanter) Investor einen Rückzug seiner Forderungen an bzw. verweigert er ihre Verlängerung, werten das
andere Anleger als Signal für eine bevorstehende Zahlungsunfähigkeit der entsprechenden
Ökonomie und sichern sich trotz gegenwärtig guter Fundamentaldaten ebenfalls gegen die
erwartete Abwertung durch eine Umschichtung ihrer Forderungen in eine Hartwährung ab.
Auf dem Devisenmarkt steigt sofort das Angebot an heimischer und die Nachfrage nach
Fremdwährung, wodurch die Ökonomie tatsächlich zahlungsunfähig wird. Um den panikartigen Ausstieg internationaler Gläubiger aus der heimischen Währung zu verhindern, werden
Entwicklungsländer angehalten, umfangreichere und aktuellere Informationen (aufbereitete
Daten und Statistiken über die Wirtschaftslage) zur Verfügung zu stellen und mehr Transparenz (bessere Vermittlung dieser Daten gegenüber internationalen Anlegern) walten zu lassen. Gelingt dies, werden Anleger bei prinzipiell guten Fundamentaldaten nicht nervös, da
sie um die Sicherheit ihrer Forderungen wissen, und die Krise bleibt aus.
Alle von Währungskrisen betroffenen Länder wiesen jedoch lange im Vorfeld ein Leistungsbilanzdefizit auf, das mit Nettokapitalimporten finanziert wurde. Da mit dem Aufbau von
Fremdwährungsverbindlichkeiten der Anspruch auf Tilgung und Zinszahlung verbunden ist,
wird mit jedem Fremdwährungsangebot in Form eines Kredites durch internationale Gläubi-
23
In Abhängigkeit von dem der Analyse zugrunde liegenden theoretischem Modell werden unterschiedliche Indikatoren, einschließlich eines ‚sustainable‘ Leistungsbilanzdefizites, für die Bewertung
sogenannter ‚guter Fundamentaldaten‘ herangezogen.
24
Krugman (1998a), S. 12.
ger eine darüber hinausgehende Fremdwährungsnachfrage des Landes kreiert. Analog zu
einer Nettovermögensposition, die Aufwertungserwartungen auslöst, bilden sich parallel zu
einer zunehmenden Nettoschuldnerposition Abwertungserwartungen, die kurzfristig durch
Zinssatzerhöhungen kompensiert, aber dauerhaft nicht neutralisiert werden können. Dieser
Prozeß ist inhärent instabil,26 wogegen sich internationale Gläubiger durch das Umschichten
lang- bzw. mittelfristiger in kurzfristige Forderungen abzusichern versuchen, um im Falle einer bevorstehenden Abwertung die Möglichkeit zu haben, sich durch den vorzeitigen Wechsel in eine Hartwährung den Konsequenzen einer Abwertung weitestgehend zu entziehen.
Dabei kann der Anlaß, der von internationalen Anlegern als Signal für eine kurz bevorstehende Abwertung gewertet wird, durchaus nicht strikt ökonomischem Charakters wie z.B. die
Verweigerung einer Kreditverlängerung eines (anderen) Großgläubigers oder auch eine politisch sich zuspitzende Situation sein. Da ein Gläubiger bei ungesicherten Forderungen gegenüber einem Land durch eine Abwertung einen Vermögensverlust erleidet, ist es ökonomisch rational auf der Basis eines solchen Signals, die eigenen Forderungen gegenüber
dem entsprechenden Land abzubauen, wodurch die von herding-Anhängern so betonte Kettenreaktion hervorgerufen wird. Ursache des durch den Anlaß ausgelösten Währungswechsels sind jedoch Abwertungserwartungen von internationalen Anlegern, die bereits vor dem
Eintreten des Anlasses anhand der ökonomischen Entwicklung des Landes gebildet worden
sein müssen. Aus diesem Grund ist erstens ein hoher Anteil kurzfristiger Forderungen nicht
Ursache einer Zahlungsbilanzkrise, die es internationalen Anlegern angeblich erst erlaubt,
relativ schnell einen Währungswechsel vorzunehmen, sondern Ausdruck steigender Abwertungserwartungen. Aktuellere und umfangreichere Informationen können zweitens lediglich
den Zeitpunkt, an dem internationale Gläubiger eine Währung verlassen, stärker eingrenzen,
verhindern können sie dies jedoch nicht. International agierenden Investoren mangelt es drittens nicht grundsätzlich an Daten, sondern einigen Ökonomen an der adäquaten Methodik,
das vorhandene Datenmaterial interpretieren und die ökonomischen Instabilitätspotentiale
eines solchen Prozesses identifizieren zu können.
Soziologisch motivierte Argumente stellen als Ursache von Zahlungsbilanzkrisen eine exzessive Intervention des Staates in den Marktprozeß bzw. die enge personelle Verbindung
zwischen privaten und staatlichen Akteuren in den Mittelpunkt. Insbesondere im- oder gar
25
Calvo/Mendoza (1996a), S. 173. Siehe auch ihr ausführlicherer Beitrag (1996b).
Entspricht die Wachstumsrate des BIP bei gegebenem Wechselkurs der Verzinsung internationaler
Verbindlichkeiten, so vermag der Bestand an Auslandsverschuldung trotz kontinuierlicher Nettokapitalimporte unverändert bleiben Dies ist jedoch ein hoch fragiler Prozeß, da die für die Aufrechterhaltung
dieser Konstellation entscheidenden Variablen Auslandszinssatz, Wachstumsrate und Inflationsdifferential nicht oder nur geringfügig und sicherlich nicht exakt von den monetären Autoritäten bestimmt
werden können. Insofern markiert dies ein instabiles Gleichgewicht, das entweder in eine Entschuldungsphase oder – wie in den überwiegenden Fällen – in eine Akkumulation von Auslandsverschuldung mündet.
26
explizite staatliche Garantien zur Übernahme eines rein privatwirtschaftlichen Investitions-,
Kredit- oder Wechselkursrisikos stellten einen Anreiz dar, risikoreichere Investitionen zu tätigen bzw. höhere Verbindlichkeiten einzugehen, als private Akteure sie bei Fehlen einer
staatlichen Garantie und einer rein privatwirtschaftlichen Haftung unternähmen. „In Asian
countries (...) too many people seem to have been granted privilege without responsibility,
allowing them to play a game of ‚heads I win, tails somebody else loses‘.“27 Gewährt der
Staat privaten Akteuren diese Garantien nicht und wissen die Akteure, daß sie auch im Falle
einer Krise nicht mit einem bail-out rechnen können, so weisen sie kein moral-hazard Verhalten auf, sondern agieren entsprechend zurückhaltend und konform mit ihrer privaten Budgetrestriktion. Kommt es dennoch zu unrentablen Investitionen, so sollte ein übliches Insolvenzverfahren eingeleitet werden, das in aller Regel mit dem Bankrott des betroffenen Unternehmens endet. Ohne Garantien entstehen keine durch Auslandsverschuldung finanzierten
bubbles und somit erfolgt keine den Markt bereinigenden Krise (wenn von einzelnen unternehmerischen Fehlentscheidungen abgesehen wird).
Ein bail-out ist eine Form der kontrollierten Sozialisierung von Verbindlichkeiten des Unternehmens- oder Bankensektors, die in das Portfolio der Zentralbank oder des Finanzministeriums mit dem Ziel eingestellt werden, einen Konkurs der betroffenen Unternehmen bzw.
Banken zu verhindern. Der Staat kann darüber hinaus in Verhandlungen mit (internationalen)
Gläubigern versuchen, eine Reduzierung der Schuldenbestände und der Zinssätze oder eine
Verlängerung der Rückzahlungsfristen durchzusetzen. Verweigert der Staat ein bail-out, so
tritt an die Stelle der kontrollierten eine ‚anarchische‘ Sozialisierung. In diesem Fall werden
nicht die Verbindlichkeiten sozialisiert, sondern die Kosten ihrer Nichtbedienung durch den
Unternehmens- und Bankensektor, der damit seine Insolvenz anzeigt. Eine Insolvenz bedingt einerseits die Zerstörung entsprechender Produktionskapazitäten, Entlassungen und
ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit sowie andererseits eine Reduzierung der Steuerbasis und
eine krisenbedingte Erhöhung der Sozialausgaben. In einer extremen Variante, in der ein
relevanter Anteil des Banken- und Unternehmenssektors - wie in Asien und Lateinamerika –
betroffen ist, mündet eine ‚anarchische‘ Sozialisierung in einem run auf die restlichen, noch
solventen Banken, einer monetären Deintermediation sowie weitreichender sozialer und
wirtschaftlicher Marginalisierung. Beide Arten der Sozialisierung belasten das staatliche
Budget und vermindern den fiskalpolitischen Spielraum erheblich, aber die mit einer anarchischen Sozialisierung verbundenen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten sind
m.E. in Asien und Lateinamerika als deutlich höher einzuschätzen als die eines bail-outs.
27
Krugman (1998b), S. 1-2.
Damit wird erstens deutlich, daß ein bail-out auf makroökonomischer Ebene eine Konsequenz, aber keineswegs eine Ursache einer Zahlungsbilanzkrise darstellt. Eine kategorische
Zurückweisung der ex post Übernahme der Fremdwährungsverbindlichkeiten durch den
Staat ist darüber hinaus kein keynesianisches Argument, da es komplett von den mit einem
Konkurs ganzer Sektoren verbundenen kumulativen Multiplikatoreneffekten abstrahiert.
Explizite staatliche Wechselkurs- oder Kreditgarantien bewirken zweitens eine zeitliche Verlängerung eines instabilen Entwicklungsprozesses, verursachen diesen jedoch nicht.
Ohne solche Garantien würde eine Umschichtung der Forderungen von internationalen Anlegern in eine Hartwährung lediglich zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen, sie aber nicht obsolet werden lassen. Drittens beruht das bail-out Argument als Ursache für Zahlungsbilanzkrisen auf soziologischen oder kulturwissenschaftlichen Einschätzungen. Auch das Wissen
des Herrn Schrempp um die staatliche Übernahme von Verbindlichkeiten im Falle eines drohenden Konkurses veranlaßt ihn nicht, absichtlich oder willkürlich finanzielle Belastungen,
die mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Insolvenz des von ihm repräsentierten Konzerns resultieren, aufzunehmen. Wenn Herr Schrempp trotz impliziter staatlicher Garantie weiterhin
unternehmerisch, d.h. entsprechend der privatwirtschaftlichen Budgetrestriktion, agiert, asiatische oder lateinamerikanischer Manager aber nicht, so läßt sich das Argument des bailouts als Ursache einer Zahlungsbilanzkrise im Kern auf eine Frage der Mentalität und damit
der Kultur reduzieren.
Ein weiteres Indiz für die Deökonomisierung wirtschaftspolitischer Fragestellungen ist der
seit einiger Zeit beobachtbare Aufschwung der credibility-Debatte. Unter Glaubwürdigkeit
wird dabei der Wille und die Fähigkeit, eine angekündigte Politik auch unter Druck fortzusetzen, verstanden, und entspricht einem Erfahrungswert, der auf der Auswertung von Erfolg
und Scheitern vergangener Politikperioden basiert. Eine fehlende Glaubwürdigkeit von Regierungen oder der von ihnen geleiteten Institutionen führt dazu, daß selbst eine von der Orthodoxie generell als richtig eingestufte Politik (beispielsweise vollständig flexible Wechselkurse) von den Märkten bzw. internationalen Anlegern durch eine sprunghafte Umkehrung
der Kapitalströme bestraft wird. „The low-quality junk money produced by the central banks
in developing countries has been a drag on per capita economic growth (...) Although there is
nothing wrong with floating in principle, such a regime is plagued by practical problems in
developing countries, where most central banks have very poor records and lack credibility.„28 Sind Staaten willens, aber nicht fähig, eine konsistente Politik zu realisieren, können
sie ihre Glaubwürdigkeit durch eine regelgebundene Geld- und Wechselkurspolitik in Form
von Geldmengenzielen bzw. der Etablierung eines Currency Boards erhöhen, womit die
Zentralbank zu einer passiv agierenden Behörde degradiert werden soll. Einerseits erfolgte
28
Hanke (1996), S. 48.
damit die Implementierung nicht nur einer konsistenten, sondern vor allem glaubwürdigen
Politik und andererseits wird durch die Regelgebundenheit nationalen und internationalen
Anleger signalisiert, daß ihr in der entsprechenden Währung kontrahiertes Vermögen keinerlei politikinduzierter Entwertung ausgesetzt sei. Kein diskretionärer Spielraum, kein Glaubwürdigkeitsproblem, keine Krise.
Obwohl die Zentralbank auf administrativem Wege eines Teils ihres Steuerungspotentials
beraubt werden kann, darf dies jedoch erstens nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie auch
innerhalb eines Currency Board Systems von ihrer ökonomischen Funktion dennoch Marktteilnehmerin bleibt, wenn auch in einer deutlich geschwächten Ausgangsposition.29 Obgleich
hier nicht bestritten werden soll, daß häufige populistische Politikwechsel oder sogenannte
stop-go-Zyklen weder vertrauensbildend noch wachstumsfördernd sind, wird von Entwicklungsländern zweitens geradezu eine Quadratur des Kreises erwartet, wenn sie glaubhaft
versichern sollen, daß sie auf der Basis von Nettokapitalimporten und einem konstantem
nominalen Wechselkurs an einer Wirtschaftspolitik langfristig festhalten, die die Bedingungen
ihres Abbruches bereits in sich trägt. Drittens symbolisiert die Verkürzung der wirtschaftspolitischen Diskussion auf das Einfordern einer ‚good governance‘ sowie der ‚richtigen‘ Vermittlung dieser guten Politik an die restlichen Marktakteure eine Ausblendung von den dem
jetztigen Weltwährungssystem inhärenten Instabilitäten.
5. Abschließende Bemerkungen
Ein nominaler Anker ist bei gegebenem positivem Inflationsdifferential nur dann aufrechtzuerhalten, wenn das entsprechende Land einen Produktivitätszuwachs bereinigt um die Nominallohnsteigerungen in Höhe von mindestens der Inflationsdifferenz realisieren kann. Mittelfristig muß die heimische Inflationsrate jedoch auf das Niveau der Währung, an die der
Wechselkurs gebunden ist, gesenkt werden. Gelingt dies nicht, vermindert sich nicht nur die
Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Exporte auf dem Weltmarkt, was sich in einem ansteigenden Leistungsbilanzdefizit niederschlägt, sondern verstärken sich Überbewertung und
damit Abwertungserwartungen, die als Kompensation eine heimische Zinssteigerung, staatliche Kapitalimporte oder/und eine staatliche Übernahme des Wechselkursrisikos für private
Akteure erfordern und dennoch langfristig die Aufgabe des pegs nicht verhindern können.
29
Was den Grad ihrer Verbreitung erklärt. Als wichtigste empirische Vertreter orthodoxer currency
boards, auf die sich ihre Ausführungen beziehen und insofern Musterbeispiele für alle Entwicklungsländer darstellen sollen, werden von Hanke und Schuler folgende Ökonomien genannt: Hongkong,
Gibraltar, die Cayman Islands, die Falkland Islands und nicht zu vergessen die Faroe Islands. Näheres dazu siehe unter Hanke/Schuler (1994), S. 57.
Auch mit einem realen Anker ist die Auflage verbunden, die Inflationsrate zumindest dem
Niveau der Haupthandelspartner anzunähern, sollen die Abwertungsraten stetig geringer
werden. Der Unterschied zu einem nominalen Anker besteht darin, daß dies nicht im Rahmen einer once-and-for-all-time Abwertung mit anschließender Stabilisierung des nominalen
Wechselkurses erfolgen muß, sondern step-by-step umgesetzt werden kann. Die Attraktivität
eines realen Ankers beruht demnach darauf, daß er unter Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit die externe Budgetgrenze scheinbar nach außen verschiebt, indem dem Land ein längerer Zeithorizont zur Anpassung eingeräumt wird. Tatsächlich jedoch wird die Anpassungslast
nur auf die Einkommens-, Fiskal- und vor allem Zinspolitik verlagert, die eine kontinuierliche
Entwertung des heimischen Vermögens, den im Vergleich zu einem nominalen Anker stärkeren Abwertungserwartungen sowie den von den Abwertungen ausgehenden Importpreisschub ausgleichen müssen, um einer Abwertungs-Inflations-Spirale zu entgehen.
Es existieren universelle Menschenrechte, aber meines Erachtens kein universell zu empfehlendes Wechselkursregime für Entwicklungsländer, die sich zwischen Stabilisierungszwängen und Anforderungen an die Einkommensbildung befinden. Die Stabilität einer Währung
und die externe Zahlungsfähigkeit einer Ökonomie werden nicht durch die Wahl eines konkreten Wechselkursregimes, sondern durch die Qualität der heimischen Währung determiniert. Eine externe Verschuldung schwächt die heimische Währung und eine auf Seiten der
Entwicklungsländer unilaterale Verpflichtung zu Devisenmarktinterventionen zugunsten ihrer
Währungen belastet nachhaltig die Entwicklungsbemühungen. Die Vorstellung, daß durch
die Implementierung eines allgemein gültigen Wechselkursregimes - sei es in Form eines
nominalen oder realen Ankers - das Dilemma der Unterentwicklung überwunden werden
könne, verkürzt das Problem von Entwicklung auf eine Frage des Designs von unterstellten
korrekten (absoluten oder relativen) Preisen. Wenn darüber hinaus eine geringe oder gar
keine Fremdwährungsverschuldung, eine geringere Inflationsrate sowie ein geringeres Budgetdefizit im Vergleich zum Währungsraum, an den der (nominale oder reale) Wechselkurs
gebunden ist, als Bedingungen für den Erfolg eines Wechselkursregimes vorausgesetzt werden, so stellte man damit eine Marktkonstellation an den Anfang der Ableitungskette von
Unterentwicklung zu Entwicklung, deren Fehlen ja gerade Unterentwicklung hervorruft.
Die in den letzten zwei bis drei Dekaden in vielen Industrieländern durchgeführte restriktive
Geld- und Fiskalpolitik bedingt insgesamt eine Härtung derjenigen Referenzwerte, die
Grundlage der Stabilisierungsbemühungen von Entwicklungsländern sind. Damit geht nicht
nur eine Erhöhung des Anpassungsdrucks auf diese Länder und eine Verringerung ihres
wirtschaftspolitischen Spielraumes einher, sondern nimmt auch die Wahrscheinlichkeit von
erratisch auftretenden Abwertungen und Zahlungsbilanzkrisen zu und dies völlig unabhängig
von dem konkret verfolgten Wechselkursregime.
Insofern offenbaren die in den 90er Jahren manifest gewordenen Finanzkrisen auch eine
Krise der Ökonomie als wissenschaftliche Disziplin. Psychologische, soziologische oder politikwissenschaftliche Erklärungsmuster lassen allenfalls Rückschlüsse darauf zu, in welcher
Ökonomie aus der Gruppe der von Zahlungsbilanzkrisen bedrohten Entwicklungsländern mit
hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Krise ausbricht, liefern jedoch keine grundsätzliche
Erklärung für das Phänomen Zahlungsbilanzkrisen an sich. Wenn sich der Kern der ökonomischen Analyse solcher Krisen auf subjektive Defekte oder individuelle, dem Marktprozeß
exogen vorgelagerte Erwartungen reduziert, ohne erklären zu können, welche ökonomischen
Entwicklungen Anlaß und Ursache für einen solchen Erwartungsbildungsprozesses gegeben
haben, so ist dies Ausdruck einer zunehmenden Unfähigkeit, ökonomische Prozesse mit
dem eigenen Instrumentarium interpretieren zu können. Eine Rückkehr zu einer theoretischen Fundierung der Wirtschaftspolitik erfordert jedoch keine De-Ökonomisierung, sondern
eine De-Mystifizierung marktwirtschaftlicher Mechanismen und Funktionsweisen, worunter
insbesondere die Aufgabe der Vorstellung einer Egalität der Märkte und damit die Anerkennung einer Hierarchie von Märkten zu zählen ist, aus der sich durch die Reintegration von
Vermögensmarktdispositionen in die ökonomische Analyse der geld- und fiskalpolitische
Spielraum sowie Investitions-, Produktions- und Beschäftigungsniveau ableiten lassen. Oder
anders ausgedrückt: dies bedingt eine Rückkehr zu JMK.
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