Probleme der diagnostischen Klassifikation im Kindes

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Probleme der diagnostischen Klassifikation im Kindes- und
Jugendalter
Zur derzeitigen Situation
Die Entwicklungen der Klassifikationssysteme bis hin zum DSM-IV und ICD-10 haben viele
Verbesserungen mit sich gebracht und wesentliche Bedürfnisse der Klassifikation in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie gelöst, wobei natürlich weiterhin Fragen offen bleiben. Trotz
gewisser Vorzüge dimensionaler Diagnostik sind die Klassifikationssysteme schon aus
kommunikativen Gründen von großem Vorteil. Klassifikationssysteme stellen keine
Ätiologiemodelle auf, beschreiben aber den zu erwartenden Verlauf. In dieser prognostischen
Nutzbarkeit liegt ihr klinischer Wert.
Ziele und Konsequenzen von Klassifikation
Das primäre Ziel von Klassifikationssystemen ist es, Störungen oder Problemsituationen
von Kindern und Jugendlichen zu erfassen. Durch Klassifikation wird eine Vielzahl
klinischer Bilder auf eine überschaubare Menge typischer Symptomkonstellationen
reduziert. Die Klassifikation sollte eher auf Fakten als auf Konzepten aufbauen und es
möglich machen, von gegenwärtigem Verhalten auf zukünftiges zu schließen. Dies gilt
sowohl für den Verlauf einer Erkrankung als auch für die Auswirkungen, die diese auf die
weitere Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen hat. Problematisch ist hier z.B., dass die
normalerweise in der Jugend beginnenden Essstörungen nicht als Störungen des Kindes- und
Jugendalters klassifiziert werden. Reliabilität und Objektivität der Systeme müssen
natürlich auch gegeben sein, was durch die operationalen Definitionen auch weitgehend
erreicht wird. Zur Reliabilität trägt noch bei, dass nach den gleichen, leicht beschaffbaren
Informationen (Symptomen) gesucht wird. Die Systeme sollten also in diesem Sinne auch
ökonomisch sein. Eine möglichst vollständige Beschreibung verschiedener psychischer
Störungen mit Klassen ähnlicher Differenzierung (logisch konsistente Systeme), die sich
gegenseitig ausschließen sollten, verbessert die Reliabilität der Diagnoseklassen weiter.
Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Validität von Klassifikationssystemen. Bei
kategorialen Systemen handelt es sich hierbei um die prädiktive Validität, d.h. die Diagnose
sollte den weiteren Verlauf der Störung vorhersagen können.
Die meisten heute gängigen Klassifikationssysteme sind mehrdimensional, so dass sich
Störungsbilder möglichst ausführlich auf verschiedenen Achsen beschreiben lassen.
Derzeit benutze multiaxiale kategoriale Klassifikationssysteme
ICD-10
Achse 1: Klinisch psychiatrisches Syndrom
Achse 2: Umschriebene Entwicklungsstörung
Achse 3: Intelligenzniveau
Achse 4: Körperliche Symptomatik
Achse 5: Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände
Achse 5: Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung
Diagnosen der Achse 1 entsprechen den F-Diagnosen, bis auf einige Entwicklungsstörungen,
die der Achse 2 zugeordnet werden.
Für die Klassifikation auf den Achsen 2-4 ist unerheblich, ob die Diagnosen als im
Zusammenhang mit der Diagnose der Achse 1 gesehen werden.
Auf der 5. Achse werden aktuelle (max. ½ Jahr zurückliegende) abnorme psychosoziale
Umstände klassifiziert.
Auf der 6. Achse soll der aktuelle Funktionszustand des Patienten bzgl. der Beziehung zur
Familie und Peers, der Bewältigung sozialer Situationen, lebenspraktischer Fähigkeiten,
Anpassung in der Schule und Freizeitaktivitäten eingeschätzt werden. Es sollte dabei der
Zustand der letzten drei Monate, den die Störung verursacht hat, betrachtet werden.
Außerdem gibt es für kleine Kinder die „Zero-to-Three“-Klassifikation mit 5 Achsen:
Achse 1: Primärdiagnose (psychische Störung)
Achse 2: Vorhandensein bzw. Art der Beziehungsstörung
Achse 3: Körperliche und Entwicklungsstörungen bzw. –bedingungen
Achse 4: Psychosoziale Stressoren
Achse 5: Funktionsniveau der emotionalen Entwicklung
Achse 2 beschreibt die Beziehungsqualität, da Störungen junger Kinder vorzugsweise im
Kontext von Beziehungen existieren. Auf diesen Kontext bezieht sich auch meist die
Behandlung.
Achse 3 umfasst körperliche Störungen, Entwicklungsrückstände und psychische Diagnosen
jenseits derer, die in den Systemen für 0-3- Jährige definiert sind.
Achse 4 mit psychosozialen Stressoren, die als akut oder überdauernd eingeschätzt werden.
Achse 5 ist eine Einschätzung, wie das Kind seine Erfahrungen organisiert und in seiner
Funktionsweise ausdrückt. Es werden alters- bzw. entwicklungsbezogene Kategorien als
Maßstab angelegt.
DSM-IV
Achse 1: Klinische Symptome und V- Codierung
Achse 2: Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen
Achse 3: Körperliche Störungen und Zustände
Achse 4. Schweregrad psychosozialer Belastungsfaktoren
Achse 5: Globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus
Achse 1 beschreibt psychische Störungen und Zustände des Abschnitts V (keine Störung, aber
Anlass zur Beobachtung: z.B. antisoziales Verhalten, Simulation)
Auf den ersten beiden Achsen sind Mehrfachdiagnosen möglich.
Auch hier Achse 3 unabhängig vom Zusammenhang mit Achse 1.
Achse 4 fragt nach dem Schweregrad von Belastungsfaktoren, die zum Ausbruch oder zum
Wiederauftreten einer Störung geführt haben könnten (1 Jahr
Achse 5 enthält eine Bewertung des aktuellen und des besten psychosozialen und beruflichen
Funktionsniveaus.
Unterschiede
DSM IV: Krankheit beinhaltet Funktionsbeeinträchtigung, ICD trennt hier und stützt den
Krankheitsbegriff auf die Abnormität von Verhaltensmustern. Das ICD lässt kombinierte
Diagnosen zu während im DSM verschiedene Diagnosen nebeneinander aufgezählt werden
müssen.
Diagnostische Instrumente zur Klassifikation psychischer Störung im Kindes- und
Jugendalter
Klassifikation sollte sich ökonomisch auf das Sammeln der wichtigen, nicht allzu schwer
erreichbaren Daten, beschränken. Ob dies gelingt, ist von Informationsinstrumenten
abhängig, deren Effekt wiederum informantenabhängig ist.
Kinder sind gute Informanten, wenn es um ihre Befindlichkeit geht, nicht jedoch, wenn
externalisierende Störungen festgestellt werden sollen. Jugendliche sollten besser selbst zu
externalisierenden Störungen befragt werden, da den Eltern der Überblick über deren
Verhalten (v.a. Sexualverhalten und Substanzkonsum) fehlt. Ansonsten sind normalerweise
die Eltern die besten Informanten. Ab 8 sind Kinder mit durchgehender Verlässlichkeit
befragbar, ab 12 sollten Diagnosen nicht mehr allein auf Elternangaben gestützt werden.
Lehrer überschätzen externalisierende und unterschätzen internalisierende Störungen.
Die Methodenauswahl ist bei der Diagnostik sehr wichtig, da mehrstufige Verfahren sicherer
sind als reine Fragebogenverfahren.
Strukturierte oder halbstrukturierte Interviews sind sinnvoll für Untersuchungen, die über
das klinische Ziel einer Behandlung hinausgehen. Sie suchen ein festgelegtes
Informationsspektrum ab und sind streng formalisiert. Symptome und ihre Ausprägungen
können exploriert werden und andere Symptome und Störungen ausgeschlossen.
Resultierende Diagnosen sind sehr nah an den Kriterien der Klassifikationssysteme. Ein
Nachtteil dieser Interviews ist der Trainingsaufwand für den Interviewer. Die Möglichkeit des
Nachfragens ist ein entscheidender Vorteil von Interviews gegenüber Fragebögen.
Komorbidität und dimensionale Diagnostik
Das ICD-10 lässt kombinierte Diagnosen zu (z.B. hyperkinetische Störung des
Sozialverhaltens). Dies wird damit begründet, dass diese Störungen weit öfter zusammen
auftreten als es ihre Prävalenzraten erwarten lassen.
Mögliche Mechanismen für das Zustandekommen eines solchen überzufälligen gemeinsamen
Auftretens:
- beide Störungen sind durch dieselbe Risikokonstellation bedingt
- eine Risikokonstellation trägt zu zwei verschiedenen, noch anders bedingten
Syndromen bei
- zwei häufig nebeneinander auftretende Risikokonstellationen, von denen eine zu zwei
Störungsbildern beiträgt, erzeugen eine parallele Störung
- eine Störung zieht eine andere nach sich
Störungen des Sozialverhaltens gehen sehr oft mit Depressiven Störungen einher
 Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92)
Hyperkinetische Störungen gehen oft mit oppositionellen oder dissozialen Störungen einher
 hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1)
Viele psychisch auffällige Kinder und Jugendliche haben mehrere Diagnosen. Das
Nebeneinanderstellen mehrerer Diagnosen vernachlässigt die mögliche Bedeutung der
Verknüpfung der Störungen; das früher gebräuchliche System von hierarchisch geordneten
wurde dagegen aufgegeben, da dadurch oft komorbide Störungen übersehen wurden.
Diese Probleme haben zu einer Bevorzugung von dimensionalen Beschreibungen der
Krankheitsbilder geführt. Man betrachtet also z.B. das Ausmaß an Hyperaktivität und
gestörtem Sozialverhalten nebeneinander. Da verschiedene Symptome korrelieren, werden
Syndrom- Cluster gebildet (z.B. sozialer Rückzug, Angst/Depressivität, aggressives
Verhalten…). Eine weitere Faktorenanalyse liefert meist die dichotome Unterscheidung
zwischen internalisierenden und externalisierenden Störungen. Sehr praktisch sind
dimensionale Diagnosen für therapeutische Zwecke (Veränderungsmessung von
Symptomen). Außerdem gab es Versuche, mehrer Syndrome zu Syndromspektren zu
verbinden.
Klassifikation und Falldefinition
Störungen sind dadurch definiert (nach DSM), dass die Personen auffallendes Verhalten
zeigen oder für sich selbst unangenehme Symptome erleben und ihre Funktion eingeschränkt
ist. Allerdings müssen die alltäglichen Funktionen selbst bei starken Symptomen nicht
eingeschränkt sein (z.B. bei nächtlichem Einnässen). Deshalb gibt es die 5.Achse (6. Achse
im ICD-10 für Kinder), mit der das Funktionsniveau eingeschätzt werden kann. Diese
Einschätzung eignet sich auch zur Überprüfung des Therapieerfolgs. In einer Studie zeigte es
sich, dass auch viele Kinder, die keiner kategorialen Diagnose zugeordnet werden konnten, in
ihrem Funktionsniveau deutlich eingeschränkt waren. Auch eine gering ausgeprägte
Symptomatik kann also den Alltag beeinträchtigen. Die Betrachtung des Funktionsniveaus
gibt oft erst Auskunft darüber, wie behandlungsbedürftig ein Fall ist. Es stellt sich also häufig
die Frage, ob man auch bei Personen, bei denen keine Störung klassifiziert werden kann, die
einschränkenden Symptome behandeln sollte, um damit präventiv Schlimmeres zu verhindern
(die Nichterfassung solcher Fälle ist eine Schwäche der Klassifikationssysteme).
Stadienspezifische Klassifikation
Heutige Systeme nehmen auf Krankheiten mit phasen- oder schubweisem Verlauf Rücksicht
(z.B. rezidivierende Depression: momentan Remission), was auch sinnvoll ist, da nicht zu
allen Phasen der Krankheit die gleichen Gegenmaßnahmen unternommen werden sollten.
Allerdings werden solche Verlaufsstadien nur bei Krankheiten betrachtet, die auch typische
Verlaufsgestalten zeigen: z.B. wird der körperliche Anteil von Essstörungen oft
vernachlässigt, den man aber zu einem gewissen Stadium der Krankheit (nach der
Gewichtssteigerung und der Therapie der Selbstwertproblematik) pharmakologisch behandeln
sollte.
Stadienspezifische Betrachtung ist also für ein besseres Verständnis von Störungen sehr
sinnvoll. Oft fallen bei Kindern und Jugendlichen auch verschiedene Stadien einer Störung
mit bestimmten Entwicklungsphasen zusammen, z.B. hyperkinetische Störungen, daraus
entwickeln sich Ticstörungen und später kommen nach Zwangssymptome hinzu. Wegen
dieser vertikalen oder sukzessiven Komorbidität gibt es Autoren, die das
Komorbiditätsprinzip für Kinder und Jugendliche ablehnen.
Optionen für die Weiterentwicklung der Klassifikationssysteme
Ist denk ich mal nicht so wichtig.
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