ZF Essstörungen - Fachschaft Psychologie Freiburg

Werbung
Essstörungen
Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Vorlesung und Literatur von Tuschen und Bender
Beschreibung der Störung
Kennzeichen
Sowohl bei der Anorexia nervosa als auch bei der Bulimia nervosa zeigen sich
Auffälligkeiten bei der Menge der Nahrung, die konsumiert wird. Es kann sowohl zu
Nahrungsverweigerung als auch zu übermäßiger Nahrungsaufnahme kommen. Dazu
kommen die sehr starke Angst vor einer Gewichtszunahme, ein verzerrtes Körperbild und
eine dysfunktionale Einstellung zum Körper.
Diagnostik
Anorexia Nervosa (DSM-IV)
-
sehr geringes Körpergewicht ( BMI < 17,5) oder auch unter 85 % des zu erwartenden
Gewichts
Intensive Angst vor einer Gewichtszunahme
Körperbildstörungen (Körper wird trotz Untergewicht als zu dick wahrgenommen)
Bei Frauen nach der Menarche: Amenorrhoe
Spezifikationen: Restriktiver Typus (geringes Gewicht durch reine Selbstkontrolle) vs.
Binge Eating und Purging Type (hin und wieder Essattacken und danach Erbrechen,
Verwendung von Abführmittel oder Ähnliches)
Weitere Merkmale:
-
-
dieses geringe Gewicht selbst herbeigeführt durch restriktives Essverhalten bis hin
zur Nahrungsmittelverweigerung
Verdeckte gegensteuernde Maßnahmen wie exzessives Sporttreiben oder
Bewegungsdrang, Diuretika (Tabletten, um Wasser aus dem Körper
auszuschwemmen), Laxantien (Abführmittel)
Affektive Instabilität
heimliches exzessives Wiegen
permanente Gedanken an Essen, Kalorientabellen betrachten
kochen für andere
bei restriktivem Typus: Rigidität  zwanghafte Verhaltensweisen (zeigen auch
eigentlich Gesunde in Fastenstudien)
nicht in der Öffentlichkeit essen
biologische Konsequenzen (Haarausfall, Osteoporose, Zahnschäden, HerzKreislaufprobleme, Ödeme)
-
trotz kritischen Gesundheitszustands wird Störung oft geleugnet und Therapie
abgelehnt
sehr hohe Sterberate (durch gesundheitliche Folgen und Suizid)
Differenzialdiagnose
-
körperliche Ursachen des Gewichtsverlustes (Hirntumore, internistische
Erkrankungen)
- Gewichtsverlust infolge einer depressiven Störung
 keine Körperschemastörungen
- bizarres Essverhalten bei Schizophrenie (allerdings zentrale Merkmale der
Schizophrenie bei Essstörungen nicht gegeben)
Bulimia Nervosa (DSM-IV)
-
Wiederholte Essanfälle mit Erleben von Kontrollverlust
Unangemessenes Kompensationsverhalten (noch mehr Essen, um abzunehmen über
Erbrechen usw.)
Drei Monate lang mindestens 2 Mal pro Woche Essanfälle
Selbstwahrnehmung übertrieben stark von Figur und Gewicht abhängig
Weitere Merkmale:
-
im Durchschnitt normalgewichtig
extreme Sorgen um die Figur
starre Diätregeln (nicht ganz so extrem wie bei Anorexia), die von Essanfällen
unterbrochen werden
Essanfälle meist heimlich unter starken Scham- und Ekelgefühlen (und Angst vor
Gewichtszunahme)
Kurz- und mittelfristige Strategien gegen Zunahme (kurz: erbrechen usw.;
mittelfristig: Sport, Diät usw.)
es ist fraglich, wie groß die Menge der aufgenommenen Nahrung sein muss, um von
einem „objektiven“ und nicht von einem „subjektiven“ Essanfall zu sprechen
ICD-10 setzt keine bestimmte Anzahl an Essanfällen voraus (nach einer Studie ist der
Unterschied in der Psychopathologie bei solchen Fällen auch nicht groß)
Differentialdiagnose
-
gegenüber körperlichen Störungen (über Sorgen um die Figur und die Angst vor
einer Gewichtszunahme)
gegenüber Anorexia: Bulimia nur als Diagnose, wenn keine Anorexia vorliegt
(Anorexia häufig in der Vorgeschichte der Bulimia)
Binge- Eating- Störung
-
wiederholte Essanfälle mit Erleben von Kontrollverlust
deutliches Leiden wegen der Essanfälle
Häufigkeit: an mindestens 2 Tagen pro Woche für die Dauer von 2 Monaten
-
Es werden keine Maßnahmen zur Verhinderung einer Gewichtszunahme eingesetzt
Folge: Adipositas
Abgrenzung von den anderen Störungen empirisch sinnvoll
Epidemiologie
-
Inzidenzraten trotz gesellschaftlicher Entwicklungen stabil
Komorbidität:
Allgemein:
- affektive Störungen (Depression ca. 50 %; auch als Folge der körperlichen
Auszehrung bei Anorexia)
- Angststörungen
Anorexia:
- Kontaktstörungen (bis hin zur sozialen Isolation)
- Zwangsstörungen
Bulimia:
- Angststörungen (v.a. soziale Phobie, GAS und PTB)
- Borderline- Persönlichkeitsstörungen
Verlauf
Anorexia:
-
Beginn meist im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter
zweigipflige Verteilung (14 und 18) für Anorexia
hohe Persistenz und chronischer Verlauf
10 % Mortalität aller stationären Patienten  höchste Rate
Bulimia:
-
Beginn M=22
50 % der Fälle hatten bereits Anorexia
bessere Prognose
allgemein:
-
chronisch
störungsspezifische Merkmale (Ausmaß an Überbewertung von Figur und Gewicht)
als gute Verlaufsprädiktoren
Folgeprobleme:
Niedrige Körpertemperatur, Entzündungen der Speiseröhre, Herzrhythmusstörungen, trockene
Haut, Elektrolystörungen (Kaliummangel)  Nierenfunktionsstörung und Minderung der
Muskelaktivität, Menstruationsstörungen, Zahnschäden, Osteoporose, Haarausfall
Psychische und sozial Konsequenzen:
-
Depression
Konzentrationsprobleme
Gedankliche Fixierung ans Essen
Scham- und Schuldgefühle / Selbstvorwürfe
Affektive Labilität (Reizbarkeit, geringe Belastbarkeit)
Soziale Isolation
Ätiologie
-
vielfältige Faktoren
die verschiedenen Essstörungen haben viele gemeinsame Faktoren
Integratives Erklärungsmodell
Genetische Faktoren
-
Konkordanzraten schwanken stark zwischen verschiedenen Studien aufgrund von
methodischen Problemen; es ist allerdings von genetischem Einfluss auszugehen
Soziokulturelle Faktoren
-
extremes Schlankheitsideal in der Gesellschaft, das Frauen unter normativen Druck
setzt
pubertäre Entwicklungen stehen bei Frauen im Gegensatz zum Schlankheitsideal,
da sich der Fettanteil vervielfacht
Unzufriedenheit mit der Figur ist sehr weit verbreitet  Prädiktor für Essstörung
Diäten
-
-
Bulimia beginnt oft nach Diäten  Körper erzeugt Essanfälle, um Deprivation
auszugleichen
Diäten können zu Depressionen führen:
Fehlen von Kohlehydraten  Tryptophanmangel  reduzierte Serotoninsynthese 
erniedrigter Serotoninspiegel  erhöhte Gefahr depressiver Stimmung
Ruheumsatz wird bei Diäten reduziert
Verringerung der Körpertemperatur und Zyklusstörungen (evolutionär sinnvoll:
Sparen und keine Kinder bei Mangel)
Diäten schlagen langfristig meist fehl (95 % bei 5-Jahreszeitraum)
Jojo- Effekt
Schnelle Gewichtszunahme nach Diät als Gesundheitsrisiko
Persönlichkeitsmerkmale
-
oft ausgeprägte Leistungsorientierung und Perfektionismus
Gefühl der Kontrolle über sich und die Umwelt durch Kontrolle der Nahrung
(besonders bei Anorexia)  Forschungsstand unklar
Essen (oder eben nicht) als dysfunktionale Strategien, um mit intensiven Affekten
umzugehen
Geringes Selbstwertgefühl
Selbstdefinition stark von Figur und Gewicht abhängig
Sozialisationsfaktoren
-
-
-
dysfunktionale Interaktionsmuster in der Familie (Rigidität, geringe
Konfliktbewältigung, Überfürsorglichkeit), wobei schwer zu sagen ist ob als Folge
oder als Prädiktor
Töchter von Müttern mit gezügeltem Essstil essen im Labor mehr, wenn sie vorher
schon etwas gegessen haben („jetzt ist es auch egal“  Essen über kognitive
Kontrolle statt über Hunger oder nicht Hunger)
Missbrauch und sexuelle Traumata (erhöhen Risiko für alle psychischen
Erkrankungen)
Aufrechterhaltung
-
übermäßige Bedeutung der und Beschäftigung mit der Figur
Maßnahmen zur Gewichtskontrolle
biologische Veränderungen (Deprivation) sorgt für weiteres ständiges Denken an
Essen
Kontrollerleben bei Anorexia  positive Verstärkung
-
Ablenkung von starken Gefühlen durch Essanfälle bei Bulimia  negative
Verstärkung
Diagnostik
-
zuerst medizinische Diagnostik zur Abklärung, ob andere Krankheiten das
Untergewicht bedingen (normalerweise Sache des Arztes)
Psychologische Diagnostik: z.B. mit Fragebogen zum Figurbewusstsein, Dutch
Eating Behavior Questionnaire, Eating Disorder Inventory, Eating Disorder
Examination (EDE), Ernährungstagebücher
Intervention
Kognitiv- verhaltenstherapeutische Behandlung
Ernährungsumstellung:
Es soll ein Essstil erlernt werden, den die Anorexia- Patientinnen langfristig beibehalten
können, ohne depriviert zu sein oder Angst vor bestimmten Nahrungsmitteln haben zu
müssen. Einführung einer regelmäßigen Essstruktur und ausgewogener Ernährung.
Extreme Fälle sollten zuerst stationär behandelt werden.
Bei Bulimia soll das Essen normalisiert werden, um die Wahrscheinlichkeit von
Essanfällen zu verringern. Dabei werden „verbotene“ Lebensmittel in den Ernährungsplan
integriert, die als Mitauslöser von Anfällen gelten.
Veränderung von Einstellungen zum eigenen Körper und Gewicht
(Körperschemastörungen):
Um die negative Bewertung des eigenen Körpers zu verringern werden KörperExpositionsübungen durchgeführt (mit Video oder Spiegeln). Die Patientinnen sollen direkt
mit ihrer Erscheinung konfrontiert werden. Außerdem werden kognitive Interventionen
durchgeführt, um dysfunktionale Grundüberzeugungen umzustrukturieren.
Stressbewältigung ohne Essen
Verschiedene Methoden, um Patientinnen Möglichkeiten der Stressbewältigung ohne Essen
oder Verweigerung von Essen nahe zu bringen.
Interpersonelle Therapie
-
konzentriert sich auf die interpersonellen Belastungen, die zur Aufrechterhaltung
der Symptomatik beitragen
Analyse der lebensgeschichtlichen Bedingungen, der Qualität aktueller Beziehungen
und interpersoneller Probleme
Ansätze zur Veränderung dieser Probleme erarbeiten
Essen, Körperbild usw. werden nicht explizit thematisiert.
Psychopharmakotherapie
-
-
bei Anorexia vor allem trizyklische Antidepressiva (aufgrund der hohen
Komorbidität könnte den Essstörungen eine Depression zugrunde liegen); allerdings
keine zufrieden stellenden Effekte, wirken nur gegen komorbide Depression
bei Bulimia werden auch Antidepressiva eingesetzt und wirken auch; allerdings
deutlich schlechter als Psychotherapie
Studien über Wirksamkeit von Therapien
-
-
zur Verhaltenstherapie bei Anorexia zeigten sich bei einer Versorgungsstudie
Verbesserungen zum Ende der Therapie, Verschlechterungen bei einer 2-JahresKatamnese und deutlich Verbesserungen bei einer 6-Jahres-Katamnese
eine Metaanalyse zur Behandlung von Bulimia zeigte bessere Effekte der KBT
gegenüber der Pharmakotherapie
Fairburn- Studie: KBT wirkt am schnellsten, IPT langfristig vergleichbar; reines
Ernährungstraining eher schlecht
Herunterladen