Kapitel 10_2005

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KAPITEL 10
PROTEINE
___________________________________________________________________________
10.1.
10.1.1.
10.1.2.
10.1.3.
10.1.4.
10.1.5.
10.1.6.
10.2.
10.2.1.
10.2.1.1.
10.2.1.2.
10.2.1.3.
10.2.1.4.
10.2.2.
10.2.3.
ZUSAMMENFASSUNG
1
VIELE PROTEINE SIND AN SICH STÄNDIG WIEDERHOHLENDEN
SCHLÜSSELPROZESSEN BETEILIGT.
2
Die Histokompatibilitätsantigene sind die
Identifikationskarten der individuellen Zelle.
Es gibt zwei Klassen von Transportproteinen: die
Transportproteine, welche Energie benötigen,
und die Kanalproteine, welche keine Energie
benötigen.
Zytokine sind lösliche Proteine oder Glykoproteine,
welche hauptsächlich als chemische Kommunikatoren
auf kleinem Raum wirken.
Prionen sind nicht-mikrobielle Proteine, welche
Ursache ansteckender Krankheiten sein können.
Die Immunglobuline sind die humoralen Mediatoren
der Immunantworten.
Transkriptionsfaktoren sind intrazelluläre
Proteine, welche an regulatorische Sequenzen der
DNA binden.
2
5
6
12
15
17
DEFEKTE DER SYNTHESE, DES ABBAUS ODER DER AUSSCHEIDUNG
VON PROTEINEN KÖNNEN SICH IN FORM VERSCHIEDENER
KRANKHEITEN MANIFESTIEREN.
20
Intrazelluläre Proteinablagerungen können Hinweis
auf eine veränderte Proteinsynthese oder eine
abnorme Struktur der Proteine sein.
21
Viruskrankheiten.
Störungen des Zyto- oder Membranskeletts.
l-Antitrypsin-Mangel
Alzheimer Krankheit.
22
26
28
29
Unter der Amyloidose werden extrazelluläre
Ablagerungen nicht-löslicher, fibrillärer Proteine
in verschiedenen Organen bei verschiedenen
Krankheiten verstanden.
«Hyalin» und «Fibrinoid» sind teils extrazelluläre,
teils intrazelluläre Ablagerungen von
Proteingemischen.
35
38
10.3.
10.4
BEI MALIGNEN TUMOREN KÖNNEN PROTEINE AN UNGEWÖHNLICHEN
ORTEN ODER IN UNGEWÖHNLICHER MENGE ERSCHEINEN.
39
PROTEINE KÖNNEN MITTELS IMMUNHISTOCHE-MISCHER METHODEN
IM HISTOLOGISCHEN SCHNITT ODER ZYTOLOGISCHEN PRÄPARAT
SICHTBAR GEMACHT WERDEN.
39
ZUSAMMENFASSUNG
Störungen von Proteinen können in erheblichem Ausmass Körperfunktionen
beeinträchtigen. Sie können sich auch morphologisch manifestieren; Beispiele dafür sind die
Mallory Bodies in den Hepatozyten, die Speicherung von Vorstufen des 1-Antitrypsins (AT)
beim 1-AT-Mangel in den Hepatozyten, die «Viruseinschlüsse» in verschiedenen Zellen bei
Viruserkrankungen und Amyloidablagerungen.
Zu den wichtigsten Proteinen, welche die Funktion der Zellen in ihrem Umfeld definieren,
sichern und steuern, gehören: die Histokompatibilitäts-Antigene, die Proteine im Dienste der
Signaltransduktion, die Transport- und Kanalproteine, die Proteine der «Phase der akuten
Antwort», Zytokine, Chemokine (eine Untergruppe der Zytokine), Immunglobuline,
Transkriptions- und Wachstumsfaktoren. Die Histokompatibilitätsantigene sind die
Identifikationskarten der individuellen Zelle. Man unterscheidet zwei Sets von
Histokompatibilitätsantigenen: die Proteine der Klasse 1 des Major Histocompatibility Complex
(MHCP-1) und jene der Klasse 2 (MHCP-2). Die Transportproteine spielen grundsätzlich die
Rolle membrangebundener Enzyme. Ein Teil der Transportproteine benötigt für ihre Funktion
Energie. Ein Vertreter dieser Gruppe ist das P-Glycoprotein, auch Multidrug Resistance Protein
(MDR) genannt. Zytokine sind lösliche Proteine oder Glykoproteine, welche hauptsächlich als
chemische Kommunikatoren auf kleinem Raum wirken. Sie moderieren schwergewichtig
entzündliche Prozesse (z.B. der Tumornekrosefaktor-a), die Entstehung von Thromben und der
disseminierten intravasalen Gerinnung und sie kontrollieren Intensität und Dauer der
verschiedenen Immunantworten (Interleukine). Die Chemokine (eine Familie der Zytokine)
stehen in erster Linie im Dienst der Chemotaxis, der Rekrutierung von Leukozyten und der
Migration von Lymphozyten und dendritischen Retikulumzellen. Prionen sind nicht-mikrobielle
Proteine, welche ansteckende, degenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems
hervorrufen. Transkriptionsfaktoren sind intrazelluläre Proteine, welche an regulatorische
Sequenzen der DNA binden. Sie bilden als tertiäre Messengers das letzte Glied in der
Signaltransduktion. Defekte in der Proteinsynthese können ein Zuviel oder ein Zuwenig an
Proteinen bewirken. Bei einer Abbaustörung oder verminderten Ausscheidung kommt es zu einer
intrazellulären oder extrazellulären Ablagerung (z.B. bei Virusinfekten, bei Krankheiten, die mit
einer Störung des Zyto- oder Membranskeletts einhergehen, beim 1-AT-Mangel und bei der
Alzheimer Krankheit). Bei der Alzheimer-Krankheit sind pathologische Proteinablagerungen
extrazellulär in den Plaques des Hirngewebes (Amyloid Protein ) und intraneuronal (fibrilläre
Tangles, phosphoryliertes Tau-Protein) vorhanden.
Die Amyloidose steht für extrazelluläre Ablagerungen nicht-löslicher, fibrillärer Proteine
in verschiedenen Organen bei verschiedenen Krankheiten. Ursache der AL-Amyloidose
(Amyloid light chain) ist meistens eine monoklonalen Überproduktion der  oder  Leichtketten,
einer AA-Amyloidose (Amyloid associated) eine chronische Entzündung. «Hyalin» und
«Fibrinoid» sind teils extrazelluläre, teils intrazelluläre Ablagerungen von Proteingemischen.
Bei malignen Tumoren können Syndrome auftreten, die nicht direkt auf eine Destruktion
des umgebenden Gewebes oder die Fernwirkung des Tumors via Metastasen zurückzuführen
sind, sondern auf Proteine, welche vom Tumorgewebe pathologischerweise synthetisiert und als
Hormone oder Antigene wirksam werden können. Die Syndrome werden als paraneoplastische
Syndrome bezeichnet.
Proteine können mittels immunhistochemischer Methoden im histologischen Schnitt
oder zytologischen Ausstrichpräparat sichtbar gemacht werden.
Proteine haben vielfältige Aufgaben, vor allem als intra- und extrazelluläre Bausteine,
Rezeptoren, Oberflächenproteine, Transmitter oder Sekretionsprodukte. Defekte der Proteine
führen zu Beeinträchtigungen der Körperfunktionen und manifestieren sich morphologisch, z.B.
als Mallory Bodies in den Hepatozyten, Ablagerungen von Vorstufen des 1-Antitrypsins beim
1-Antitrypsin-Mangel in den Hepatozyten oder als «Viruseinschlüsse» in verschiedenen
Zellen bei Viruserkrankungen.
10.1.
VIELE
PROTEINE
SIND
AN
SICH
STÄNDIG
WIEDERHOLENDEN SCHLÜSSELPROZESSEN BETEILIGT.
Zu den Proteinen, welche die Funktion der Zellen in ihrem Umfeld definieren, sichern
und steuern, gehören: die Histokompatibilitäts-Antigene, die Proteine im Dienste der
Signaltransduktion, darunter die Transkriptionsfaktoren, die Transport- und Kanalproteine, die
Proteine der Phase der akuten Antwort, Zytokine, Chemokine, Immunglobuline und
Wachstumsfaktoren. Die Proteine im Dienste der Signaltransduktion sind im Kapitel 5
(Signaltransduktion), die Proteine der Phase der akuten Antwort im Kapitel 1 (Zellschädigung)
und die Wachstumsfaktoren im Kapitel 7 (Wundheilung) im Detail besprochen.
10.1.1.
Die Histokompatibilitätsantigene sind die Identifikationskarten der
individuellen Zelle.
Zellen können sich gegenseitig durch «Schnüffeln» oder durch Berühren erkennen. Die
Informationen, die sie durch «Schnüffeln» wahrnehmen, werden ihnen durch extrazelluläre
Signalmoleküle (first messengers) vermittelt. Die Kontakte durch Berühren setzen voraus, dass
die Zellen miteinander in Kontakt treten können.
Alle Zellen haben auf ihrer Oberfläche ein Set von Markern in Form von Glykoproteinen
zur Verfügung, welche ihnen erlauben, sich gegenseitig zu identifizieren. Diese Marker werden
Histokompatibilitäts-Antigene oder HLA (Human Leucocyte Antigen) genannt. Die Gene,
welche die HLA kodieren, sitzen in Form eines Clusters auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6.
Der Cluster wird als Major Histocompatibility Complex (MHC) oder als HLA-Komplex
bezeichnet (Tab.10-1). Auf dem gleichen Chromosom liegen auch drei Gene für Komponenten
des Komplementsystems und das Gen für den Tumornekrosefaktor (TNF). Der MHC-Komplex
kodiert zwei Klassen von Proteinen: die MHC-Protein Klasse 1 (MHCP-1) und Klasse 2 (MHCP2). Die MHC-Gene, welche die MHCP-2 codieren, werden auch als «Immunantwortgene»
bezeichnet. Die Expression dieser Gene ist Voraussetzung (1) für die Aktivierung von TLymphozyten durch die Antigen-präsentierenden Zellen und (2) die Selektion der TLymphozyten bei der Reifung im Thymus. Es sind Defekte der MHCP-2 bekannt. Ursache dieser
Defekte sind Störungen der Gene der Regulationsproteine, welche die Expression der MHC-Gene
für die Proteine der Klasse 2 steuern.
Tab.10-1
Man unterscheidet drei Sets von Proteinen des MHC-Komplexes: die Proteine der Klasse 1 (MHCP-1) und die
Proteine der Klasse 2 (MHCP-2). Zu den Proteinen der Klasse 3 gehören unter anderem Proteine der
Komplementkaskade, die Hitzeschock-Proteine und die Tunornekrosefaktoren.
___________________________________________________________________________
MHCP-1
MHCP-2
___________________________________________________________________________
Genlocus
Struktur des Proteins
A, B, C
Glykoprotein
ß2-Mikroglobulin
DR, DQ, DP
-Kette
-Kette
Vorkommen
auf den meisten kernhaltigen
somatischen Zellen
auf Blutplättchen
auf den meisten immunkompetenten
Zellen
Monozyten
Makrophagen
B-Lymphozyten
aktivierte T-Lymphozyten
auf Spermatozoen
auf Endothelzellen und Fibroblasten
nach Induktion durch -Interferon
auf den antigen-präsentierenden Zellen
Präsentation des
Antigens gegenüber ...
Zytotoxischen T-Lymphozyten
(Killer-Zellen)
Helfer T-Lymphozyten
Vielfalt
Herkunft des
präsentierten Peptids
Gross
In der Zelle hergestellt (virale,
Tumor- oder eigene Proteine)
Klein
Aus phagozytierten Plasmamembranen
und extrazellulären Proteinen
PräsentationsMechanismsu
via Golgi-Apparat
(nach intrazellulärer Synthese)
via Endosomen und Lysosomen
(nach Phagozytose)
Primäre Funktion Vermittlung der Zytolyse
Antigen-Präsentation
Mikrobielles Agens
Virus
Bakterium
___________________________________________________________________________
Die MHC-Proteine zeigen drei wichtige Eigenschaften: (1) Sie regulieren die Interaktion
zwischen den Effektorzellen der Immunantwort. Sie stellen den «Personalausweis» oder «Pass»
der Effektorzellen dar. Sensibilisierte zytotoxische T-Lymphozyten zerstören z.B. Zellen, welche
mit einem Virus infiziert sind, nur dann, wenn die infizierten Zellen das gleiche MHCP-1
besitzen wie die zytotoxischen T-Lymphozyten. Diese Bedingung wird als HLA-Restriktion
bezeichnet. (2) Die Expression verschiedener MHCP-1 und MHCP-2 ist mit einem erhöhten
Risiko für verschiedene Krankheiten verbunden (Abb.10-1). Die Ursache dieses Phänomens ist
nicht definitiv geklärt. (3) Bei Organtransplantationen wird angestrebt, dass die MHCP-1 und
MHCP-2 des Empfängers und Spenders eine möglichst weitgehende Übereinstimmung zeigen.
Die MHCP der Zellen eines transplantierten Organs können beim Empfänger als Antigene
wirken und eine Abstossungsreaktion (Host versus graft- oder Graft versus host-Reaktion)
hervorrufen.
Abb.10-1
Verschiedene Krankheiten manifestieren sich häufiger bei Patienten, welche verschiedene Allele für
verschiedene MHCP besitzen: Das relative Risiko (Häufigkeit der Manifestation einer Krankheit bei
exponierten Personen verglichen mit der Häufigkeit der Krankheitsmanifestation bei nicht exponierten
Personen) für diese Krankheiten ist erhöht. IDDM: Diabetes mellitus Typ I. Reiter Syndrom: Krankheit mit
Konjunktivitis, Uretheritis, Polyarthritis und Hautexanthem.
10.1.2.
Es gibt zwei Klassen von Transportproteinen: die Transportproteine,
welche Energie benötigen, und die Kanalproteine, welche keine
Energie benötigen.
Die Transportproteine (auch Carrierproteine genannt) beziehen die Energie über eine
Hydrolysierung von vorher gebundenen ATP-Molekülen. Die Carrierproteine werden deshalb der
Familie der ATP-bindenden «Kassetten-Proteine» (ABC) zugeordnet. Den Namen «KassettenProteine» erhielten diese Proteine wegen ihrer Funktionsweise: Wenn ATP in das Protein
«hineingeschoben» wird (wie eine Kassette in ein Wiedergabe-Gerät), tritt das Protein in Aktion.
Die Carrierproteine spielen grundsätzlich die Rolle von membrangebundenen Enzymen.
Man kann die Carrierproteine - abhängig von ihrem Energiebedarf - wiederum in zwei Gruppen
einteilen: (1) in die Gruppe, bei der die benötigte Energie von der Menge der transportierten
Moleküle abhängt und (2) in die Gruppe, bei der Energie nur für den Start der Funktion der
Moleküle (Öffnung des Ionenkanals) benötigt wird. Zwei wichtige Vertreter der ersten Gruppe
sind die Ionen-ATPasen und das P-Glykoprotein. Die Na+- und K+-Ionen-ATPase z.B. pumpt
aktiv Na+-Ionen aus der Zelle heraus und K+-Ionen in die Zelle hinein. Auf der dem Zytoplasma
zugewandten Oberfläche besitzt das membrangebundene Protein Bindungsstellen für Na+ und
ATP, auf der Richtung Extrazellularraum gelegenen Oberfläche die Bindungsstelle für K +.
Einige Ca2+-Ionen-Pumpen sind ebenfalls membrangebundene ATPasen.
Das P-Glycoprotein, auch Multidrug Resistance Protein (MDR) genannt, wurde 1986
entdeckt. Die Bezeichnung «P» erhielt es, weil vorerst vermutet wurde, dass das Protein die
Permeabilität der Zellmembran steuere (P: Permeability). Das P-Glycoprotein gehört jedoch
heute - wie der «Cystic Fibrose Transmembrane Conductance Regulator» (CFTR, siehe Kapitel
9: Kohlenhydrate) - eindeutig in die Familie der «Kassettenproteine». Das Protein ist
physiologischerweise in verschiedenen Zellen anzutreffen: in Epithelzellen (Hepatozyten, Zellen
der Nebennierenrinde, der Gallecanaliculi, des Gastrointestinaltraktes, der Nierentubuli und
Lungenalveolen), in Zellen der Plazenta, in Endothelzellen der Blut-Hirn-Schranke und des
Hodens sowie in Stammzellen des Knochenmarks. Die Hauptaufgabe des P-Glykoproteins ist die
Elimination von fremden Substanzen aus der Zelle. So ist das Protein z.B. für die Resistenz des
Malaria-Erregers Plasmodium falciparum gegenüber Chloroquin verantwortlich.
Zellen maligner Tumoren können das P-Glykoprotein vermehrt exprimieren. Zwischen
der Konzentration der P-Glykoproteine in einem Tumor und der Antwort auf eine Chemotherapie
gegen den Tumor ist eine Korrelation mit negativem Vorzeichen zu beobachten: Die
Chemotherapie hat nur einen geringen Effekt, wenn viel P-Glykoprotein auf den Tumorzellen
vorhanden ist. Denn das P-Glykoprotein transportiert das Chemotherapeuticum wieder aus der
Zelle heraus, bevor es seine Wirkung entfalten kann. Cyclosporin, Verapramil und
Kortikosteroide können diese Pumpfunktion des P-Glykoproteins hemmen. Tumoren, welche viel
P-Glykoprotein exprimieren, zeigen auch mehr Gefässinvasionen und Lymphknotenmetastasen
als Tumoren mit weniger «P-Glykoprotein-Pumpen».
Die Kanalproteine benötigen für ihre Funktion keine Bioenergie. Sie bilden hydrophile
Poren, welche durch die Membran hindurchreichen. Alle Kanalproteine gestatten den gelösten
Molekülen einen passiven Membrandurchtritt (auch als «passiver Transport» oder «erleichterte
Diffusion» bezeichnet). Ist das zu transportierende Molekül ungeladen, treibt der
Konzentrationsgradient den passiven Transport an; ist das Molekül geladen, beeinflussen sowohl
der Konzentrationsgradient als auch die elektrostatische Potentialdifferenz seinen Transport.
10.1.3.
Zytokine sind lösliche Proteine oder Glykoproteine, welche
hauptsächlich als chemische Kommunikatoren auf kleinem Raum
wirken.
Die Zytokine moderieren verschiedene wichtige Prozesse: die akute und chronische
Entzündung, die Entstehung der Thromben und die Immunreaktionen. Die Zytokine werden
hauptsächlich in Leukozyten gebildet, können aber auch von anderen Zellen synthetisiert werden.
Die meisten Zytokine werden auf eine Stimulation hin direkt synthetisiert und sezerniert; einige
werden jedoch in intrazellulären Granula oder in der extrazellulären Matrix (ECM) gespeichert
und stehen deshalb zum Zeitpunkt einer Stimulation sofort zur Verfügung. Die Zytokine wirken
autokrin, parakrin oder endokrin; sie sind grundsätzlich in nur geringen Konzentrationen
vorhanden.
Die Zytokine können nach zwei Kriterien eingeteilt werden: (1) nach ihrer chemischen
Struktur (Tab.10-2) und (2) nach ihrer Wirkung oder Herkunft. Von ihrer Struktur her werden
sechs Familien von Zytokinen unterschieden, von ihrer Wirkung oder Herkunft her sieben
Gruppen (Interferone, inflammatorische Zytokine, Lymphozyten-abhängige Zytokine,
Makrophagen-abhängige Zytokine, Chemokine, hämatopoietische Wachstumsfaktoren und
transformierende Wachstumsfaktoren).
Tab.10-2
Die Zytokine werden in sechs Familien eingeteilt.
___________________________________________________________________________
Zytokin-Familie
Vertreter
___________________________________________________________________________
Hämatopoietine
IL-2 bis IL-7, IL-9, IL-10, IL-12, IL-13, IL-15
G-CSF, GM-CSF, M-CSF
Erythropoietin
CNTF
INF-, INF-, INF-
Epidermale Wachstumsfaktoren
EGF, TGF-,
Zytokine mit «-Kleeblatt-Konfiguration»
IL-1
aFGF, bFGF
Tumornekrosefaktoren
TNF-, TNF-
Zytokine mit «Cystein-Knoten»
NGF, TGF-, PDGF, VEGF
Chemokine
___________________________________________________________________________
CSF
CNTF
aFGF
bFGF
G-CSF
GM-CSF
IFN
IL
M-CSF
PDGF
TNF
VEGF
Kolonie-stimulierende Faktoren
Ciliarer neurotrophischer Faktor
Sauerer Fibroblasen-Wachstumsfaktor
Basischer Fibroblasten-Wachstumsfaktor
Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor
Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor
Interferon
Interleukin
Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor
Plättchen-Wachstumfaktor
Tumornekrosefaktor
Vaskulärer endothelialer Wachstumfaktor
Chemokine (Tab.10-3) sind spezielle Zytokine, welche primär im Dienst der selektiven
Rekrutierung von Leukozyten für die spezifische und unspezifische Abwehr stehen und so die
Migration von Zellen aus den Blutgefässen in den extravaskulären Raum kontrollieren. Sie lösen
diese Aufgabe dadurch, dass sie eine gerichtete Bewegung der von ihnen beeinflussten Zellen
bewirken (Abb.10-2). Man ordnet die Chemokine - entsprechend ihrer Struktur - drei Gruppen
zu: (1) Die C- (-) Chemokine sind ausschliesslich chemotaktisch für Lymphozyten. (2) Die CC(-) Chemokine sind vorwiegend chemotaktisch für Lymphozyten, Monozyten, basophile und
eosinophile Granulozyten; und (3) die CXC- (-) Chemokine wirken besonders auf neutrophile
Granulozyten. Die für die Chemokine verwendeten Abkürzungen leiten sich von der chemischen
Struktur der Moleküle ab: CC bedeutet, dass die ersten beiden Cystein-Moleküle des Chemokins
unmittelbar hintereinander liegen; bei den CXC-Zytokinen liegt zwischen ihnen eine andere
Aminosäure. Die meisten Chemokine werden unter pathologischen Bedingungen von Zellen
verschiedener ortständiger Gewebe und von infiltrierenden Leukozyten gebildet. Neuerdings sind
zwei weitere Funktionen der Chemokine entdeckt worden: die Hemmung und Stimulation der
Angiogenese und der Myelopoiese.
Tab.10-3
Die verschiedenen Chemokine stehen vor allem Dienste der Chemotaxis (siehe Kapitel 23:
Entzündungsreaktionen) und der Migration und Rekrutierung von Leukozyten, darunter auch der
immunkompetenten Zellen. Die Tabelle ist nicht vollständig.
___________________________________________________________________________
Biologische Aktivität
ChemokinRezeptoren
___________________________________________________________________________
Migration
naiver T-Zellen zu den Lymphknoten und Peyer Plaques
naiver T-Zellen innerhalb der lymphatischen Gewebe
der Gedächtnis T-Zellen 2 in die lymphatischen Gewebe
der Gedächtnis T-Zellen in die Haut
der Gedächtnis T-Zellen in die Darmmukosa
der Gedächtnis T-Zellen in Entzündungsherde
Chemokine
TCA-4, MIP 1
CCR7
SDF-1
CXCR4
TCA-4, MIP
CCR7
MDC
CCR4
TECK
CCR9
MCP
CCR2
RANTES, MIP
CCR5
der TH1-Zellen (Effektorzellen)
MCP
CCR2
RANTES, MIP
CCR5
IP-10
CXCR3
der TH2-Zellen (Effektorzellen)
Eotaxin
CCR3
MDC
CCR4
SDF-1
CXCR4
B-Zellen
TCA-4, MIP
CCR7
SDF-1
CXCR4
der dendritischen Zellen in die lymphatischen Gewebe
TCA-4, MIP
CCR7
der dendritischen Zellen in die Haut
MIP
CCR6
der dendritischen Zellen in Entzündungsherde
MCP
CCR2
RANTES, MIP
CCR5
IL-8
CXCR1
von hämatopoietischen Stammzellen
SDF-1
CXCR4
von prä-B-Zellen
SDF-1
CXCR4
Rekrutierung von
Monozyten
PBF-4
RANTES, MIP
CCR5
MCP
CCR2
IL-8
CXCR1
neutrophilen Granulozyten
IL-8
CXCR1
MIP
CCR6
PBP, PBF-4
eosinophilen Granulozyten
Eotaxin
CCR3
RANTES, MIP
CCR5
basophilen Granulozyten
IL-8
CXCR1
Fibroblasten
PBP
___________________________________________________________________________
Tab.10-3 (Fortsetzung)
___________________________________________________________________________
Biologische Aktivität
ChemokinRezeptoren
___________________________________________________________________________
Aktivierung von
Monozyten
Lymphozyten
neutrophilen Granulozyten
eosinophlen Granulozyten
basophilen Granulozyten (Histaminfreisetzung)
Proliferation von
hämatopoietischen Stammzellen
prä-B-Zellen
Endothelzellen
Chemokine
MCP
TCA-4, MIP
IL-8
MIP
RANTES, MIP
RANTES
CCR2
CCR7
CXCR1
CCR6
CCR5
CCR5
MIP
CCR6
MIP
CCR6
IL-8
CXCR1
PBF-4
Blutplättchen
PBF-4
glatten Muskelzellen
PBF-4
___________________________________________________________________________
1
Bei den MIP und MCP wird nicht zwischen den einzelnen Typen unterschieden.
2
Die Gedächtnis-T-Zellen werden in zwei Subgruppen unterteilt: in die CCR7-Rezeptor
positiven (CCR7+) und CCR7-Rezeptor negativen (CCR7-). Die CCR7+ Gedächtniszellen
exprimieren das L-Selektin, was ein Hinweis dafür ist, dass sie vor allem in die Lymphknoten
wandern; die CCR7- besitzen das L-Selektin nicht und finden sich vor allem an den Wirkungsorten
in peripheren, nicht lymphatischen Geweben. Die CCR7 + werden deshalb auch als «zentrale
Gedächtniszellen» bezeichnet, die CCR7- als «Effektor-Gedächtniszellen».
IP-10
MIP
MCP
PBP
PBF-4
RANTES
SDF-1
TCA-4
TECK
Inducible Protein-10 (10 Kilodaltons)
Makrophagen inflammatorisches Protein (MIP-1, MIP-2, MIP-3)
Monozyten chemotaktisches Protein (MCP-1, MCP-2, MCP-3)
Plättchen basisches Protein
Plättchenfaktor-4 (Oncostatin)
Regulated upon activation, normal T-expression presumably secreted
Stroma cell Derived Factor-1
Thymus derived chemotactic agent
Thymus expressed chemokine
Molekularpathologisch ebenso wichtig wie die Chemokine selber sind deren Rezeptoren
(Heparin-ähnliche Glykosaminoglykane) auf der Oberfläche vieler Zellen und in der ECM, an
welche sie binden. Die Verteilung dieser Rezeptoren entspricht einer «Fahrrinne», in der die
immunkompetenten Zellen (Lymphozyten, Antigen-präsentierende Zellen) an ihren Einsatzort
gelangen können. Wenn verschiedene Chemokine und Chemokinrezeptoren benötigt werden, um
die Zellen richtig zu lotsen, spricht man von «Multistep navigation».
Abb.10-2
Die Chemokine lösen eine gerichtete Zellbewegung aus, entweder (1) über eine Anheftung der Zelle an ein
Substrat oder (2) eine Abkoppelung der Zelle von einem Substrat. Die Zelle bewegt sich dann entweder über
die Ausbildung von Pseudopodien oder über Kontraktionen des Zytoskeletts.
Die Chemokine binden an spezifische Rezeptoren. Diese Rezeptoren werden auch von
infektiösen Agentien [z.B. Herpesviren und Human Immunodeficiency Viren (HIV)] benützt.
Beim Eintritt der HIV in die Zellen spielen zwei Faktoren eine Schlüsselrolle: (1)
Kofaktoren zum Glykoprotein 120 (gp120), welches auf der Oberfläche der Viren liegt, und (2)
Suppressorfaktoren, welche durch aktivierte CD8-Lymphozyten gebildet werden und die
Virusreplikation in aktivierten CD4-Lymphozyten hemmen (Abb.10-3). Die Kofaktoren des
gp120 auf der Oberfläche der vom HIV angegriffenen Zellen sind die beiden
Chemokinrezeptoren CXCR4 und CCR5. CXCR4 (auch «Fusin» genannt) wird von den T-tropen
Viren (Viren, welche sich nur in transformierten T-Lymphozyten vermehren) benützt, CCR5 von
den HIV, welche nur Monozyten und Makrophagen zu infizieren vermögen (M-trope Viren). Es
ist inzwischen bekannt, dass eine homozygote Mutation des CCR5 vor einem Infekt mit dem Mtropen HIV schützt und eine heterozygote Mutation den Ausbruch des AIDS um zirka zehn Jahre
zu verzögern vermag. Ein relativer Schutz vor einem Infekt mit einem T-tropen HIV wird auch
durch eine Mutation des Liganden des CCR5 (SDF-1: Stroma cell Derived Factor-1)
gewährleistet. Der mutierte Ligand löst eine verstärkte Bildung von normalem SDF-1 aus. Die so
erhöhte Konzentration des SDF-1 reicht aus, um den CXCR4 kompetitiv zu blockieren und die
Bindung des HIV an die T-Lymphozyten zu verunmöglichen.
Auf eine Ansteckung mit dem HIV hin folgt gewöhnlich eine lange Latenzzeit. Dahinter
verbirgt sich wahrscheinlich eine durch CD8+-Lymphozyten vermittelte Suppression der Virusinfizierten CD4+Zellen (Abb.10-3). Diese Suppression wird durch einen «Cell Antiviral Factor»
(CAF), welcher von den die CD8+-Zellen abgegeben wird, vermittelt. Diese antivirale Funktion
der CD8+-Zellen wird durch das IL-2 der nicht-infizierten TH1-Lymphozyten verstärkt, weil IL2 die CD8+-Zellen stimuliert. Das von den TH1-Zellen ebenfalls sezernierte INF- blockiert die
TH2-Zellen und reduziert so die durch IL-10 vermittelte Hemmung der Sekretion des CAF. Unter
diesen Bedingungen können die CD8+-Zellen genügend CAF bilden. Beim Fortschreiten der
Krankheit stellt sich aber allmählich ein Überwiegen der Expression der Zytokine der TH2Zellen ein («Dominanz der TH2-Zellen»). Dies führt gleichzeitig zu einer Hemmung der TH1Zellen und zu einer verminderten Sekretion des CAF durch die CD8+-TH-Zellen.
Abb.10-3
Die infizierten CD4+Zellen verharren in einem stabilen Status, weil sie durch CD8 +-Lymphozyten
supprimiert werden. Dies ist durch eine «Dominanz der TH1-Zellen» gewährleistet. Weicht diese «Dominanz
der TH1-Zellen» einer «Dominanz der TH2-Zellen» kommt es zu einer Reduktion der antiviralen Aktivität
der CD8+-Lymphozyten (siehe Text).
Es konnte neuerdings nachgewiesen werden, dass verschiedene von Viren gebildete
Proteine mit Interleukinen interagieren können. Diese viralen Proteine werden als Virokine
bezeichnet. So kann das Vacciniavirus ein Protein sezernieren, welche IL-1 bindet, oder das
Myxomavirus ein Protein, welches an den Rezeptor für das IFN- andockt, oder das
Cytomegalievirus ein Protein, welches dem Rezeptor des Makrophagen inhibitierenden Proteins
1 (MIP-1) sehr ähnlich ist.
Der Tumornekrosefaktor (TNF) ist der Hauptmediator für die Entzündungs- und
Schockreaktionen des Organismus. Es werden zwei Typen des TNF unterschieden: (1) Der TNF (Kachektin) wird von Makrophagen gebildet. Er wird als Antwort auf unspezifische Reize
verschiedener Bakterien sezerniert. (2) Der TNF- (Lymphotoxin) wird von den T- und BLymphozyten sowie den Fibroblasten als Antwort auf einen Stimulus durch ein Antigen oder
einen mitogenen Reiz gebildet.
Die potentesten Stimulatoren für den TNF- sind bakterielle Toxine [vor allem
Lipopolysaccharide gramnegativer Bakterien (LPS)] und INF-. Die LPS werden im Blut an das
LPS-bindende Protein (LPSBP) gekoppelt transportiert). Der TNF kommt sowohl in
membrangebundener als auch in löslicher Form vor. Der TNF- kann an zwei verschiedene
Rezeptoren binden: an den Tumornekrosefaktor-Rezeptor-1 (TNFR1) und an den TNFR2. Diese
beiden Rezeptoren gehören in die Familie der Rezeptoren, zu welcher auch der Rezeptor für den
Nerven-Wachstumsfaktor und für das Fas-Protein (Fas-Ligand genannt) gezählt werden. Der
Name «Tumornekrosefaktor» stammt von der ursprünglichen Beobachtung her, dass Tumoren
bei Patienten mit schweren bakteriellen Infekten nekrotisch werden können. Dieses Phänomen ist
gut erklärbar: Bakterielle Endotoxine können - an das LPSBP gekoppelt - über eine Bindung an
das CD14-Oberflächenprotein der Makrophagen die Makrophagen zu einer verstärkten Abgabe
des TNF-, des IL-6 und von Stickoxid (NO) stimulieren. Der TNF- schädigt unter anderem die
Endothelzellen der Gefässe in der Umgebung seines Wirkungskreises (Tab.10-4), sodass sich
Mikrothromben oder eine disseminierte intravasale Gerinnung begleitet von einer Hypoxie
entwickeln können. Da der TNF- aber auch neutrophile Granulozyten zur Bildung von freien
Radikalen anregt, wird die durch die Hypoxie bereits eingeleitete Gewebedestruktion noch
verstärkt. Der TNF- vermag ebenfalls einen direkten Effekt auf den Hypothalamus auszuüben
mit dem Resultat eines verminderten Appetites. Andererseits scheint der TNF- die Bildung des
Transkriptionsfaktors MyoD, welcher für die Differenzierung und Ausreifung der Myozyten von
Bedeutung ist, zu hemmen, und zwar über eine Aktivierung des NF-B (Nuclear Factor-B): Der
aktivierte NF-B supprimiert die mRNA des MyoD. Dies Fakten erklären teilweise den
Gewichtsverlust (Kachexie) bei Patienten mit einem malignen Tumor. Das NO induziert eine
Vasodilatation, welche zu einem «warmen», nicht durch einen Blutverlust bedingten Schock
(Endotoxin-Schock) führen kann.
Tab.10-4
Der TNF-a hat sehr verschiedene und vielfältige Funktionen (siehe Text). Im Vordergrund steht die Funktion
als Hauptmediatoren der Entzündung.
___________________________________________________________________________
Ort der Wirkung
Art der Wirkung
___________________________________________________________________________
Zellen (generell)
Endothelzellen
Direkte zytotoxische Wirkung (Mechanismus nicht defnitiv klar)
Reduktion der antithrombotischen Wirkung des Oberflächenproteins
Thrombomodulin
Gesteigerte Synthese prothrombotischer Faktoren (Thromboplastin und
Gerinnungsfaktor IX): Folge ist eine intravasale Gerinnung
Expression von Adhäsionsmolekülen für neutrophile Granulozyten
(ELAM-1, ICAM-1, VCAM-1): Folge ist ein ermehrtes Rolling der
neutrophilen Granulozyten
Reduktion der Synthese der Lipoprotein-Lipase: Folgen sind (1) eine
eduktion der Triglyzeride und freien Fettsäuren in den Lipozyten mit der
Möglichkeit, dass sich eine Kachexie entwickelt und (2) eine gesteigerte
Synthese von Interleukin-1 (IL-1)
Neutrophile Granulozyten Chemotaxis
Degranulierung
Stimulierung der Bildung freier Radikale
___> Gewebenekrosen
Verstärkung der Adhärenz an die Endothelzellen und an andere neutrophile
Granulozyten
Fettstoffwechsel
Hemmung der Fettsäuren-Synthetase
Hemmung der Acetyl-Coenzym A-Carboxylase
Quergestreifte Muskulatur Hemmung des Transkriptionsfaktors MyoD (siehe Text)
Thymozyten
Proliferation
Fibroblasten
Aktivierung
Zytotoxische T-Lymphozyten
Reifung
Gesteigerte Expression der MHCP
Gesteigerte Expression von Interleukin-6 (IL-6)
Epithelzellen der intrahepatischen Cholestase
Gallengänge
___________________________________________________________________________
10.1.4.
Prionen (protein related infectious agent) sind nicht-mikrobielle
Proteine, welche Ursache ansteckender Krankheiten sein können.
Die Prionen-Erkrankungen gehören in die grosse Gruppe der degenerativen
Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Die Krankheiten weisen die folgenden Merkmale
auf: (1) Es sind keine mikrobiellen Partikel nachweisbar. (2) Es fehlt primär eine Entzündungsoder immunologische Reaktion. (3) Die Krankheit ist mit Plaques im Hirngewebe assoziiert. Um
diese Plaques herum ist das Hirngewebe vakuolisiert. Dieses Phänomen hat der Krankheit auch
den Namen «spongioforme Encephalopathie» eingebracht (Abb.10-4). (4) In den Plaques um die
vakuolisierten Areale herum oder diffus im Hirngewebe wird ein abnormales Protein abgelagert.
(5) Eine Schädigung von Nucleinsäuren (z.B. durch eine Bestrahlung des Hirngewebes) hemmt
das Auftreten der Krankheit nicht. (6) Das Gen, welches das nicht-infektiöse Protein kodiert, ist
bekannt. Es ist physiologischerweise vor allem in Lymphozyten und Neuronen aktiv.
Abb.10-4
Das Hirngewebe von Patienten, welche an einer Prionenkrankheit leiden, zeigt schwammförmige Vakuolen.
Davon stammt die für die Krankheit auch verwendete Bezeichnung «spongioforme Enzephalopathie» ab
[spongia (lateinisch) = der Schwamm].
Man unterscheidet zwei Formen von Prionen: die normalen (harmlosen, PrPC-Form)
und die pathogenen (PrPRES-Form). Die pathogenen Prionen können beim Menschen vier
Krankheitsbilder hervorrufen: (1) die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), (2) die Fatale
Familiäre Schlaflosigkeit (FFI), das (3) Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS) und (4)
Kuru, eine CJD-ähnliche Erkrankung der Eingeborenen Neuguineas, die angeblich durch
rituellen Kannibalismus weitergegeben wird. Die CJD tritt mit einer Häufigkeit von zirka 1 zu
1'000'000 Personen pro Jahr auf. Die Latenzzeit zwischen dem Auftreten der pathogenen Prionen
und dem Ausbruch der Krankheit wird auf 5-7 Jahre geschätzt.
Das normale PrP (PrPC) des Menschen kann in zwei Ausprägungen vorhanden sein:
Entweder ist an der Position 129 die Aminosäure Methionin oder die Aminosäure Valin
vorhanden. Neuere Untersuchungen zeigten, dass das PrPC zwei verschieden strukturierte
Zonen aufweist: (1) wendeltreppenartige Abschnitte (-Helices) und (2) zwei als -Faltblätter
bezeichnete, leiterähnliche Abschnitte. Eine der «Wandeltreppen» verbindet in Form eines
Zwischenbogens die beiden «Leiterstangen» und ist deshalb vom übrigen Teil des Proteins etwas
abgewandt. Dadurch erhält das ganze Molekül eine spezielle Beweglichkeit. Es sind Hinweise
darauf vorhanden, dass es in pathogenen Prionen am «Zwischenbogen» zur Bildung eines
zusätzlichen -Faltblattes («Leiterstange») gekommen ist. Eine solche Umfaltung könnte durch
eine «falsche» Aminosäure im «Zwischenbogen» nach einer Mutation verursacht sein.
Bereits vor 30 Jahren wurde zur Erklärung der Pathogenese der Prionen-Erkrankungen
die «Protein-only»-Hypothese aufgestellt. Diese Hypothese postuliert, dass eine
Konformationsänderung des PrPC in den Neuronen durch gleichzeitig vorhandene PrPRES
hervorgerufen wird und sich schneeballartig fortsetzen kann. Ausgangspunkt dieses Prozesses ist
ein Kontakt zwischen einem PrPRES und einem PrPC. Dieser Kontakt bewirkt, dass sich das
normale PrPC «umfaltet» und zu einem PrPRES wird. Das PrPC ist also mit einem Substrat in
einem chemischen Prozess zu vergleichen, welcher vom PrPRES katalysiert wird (Abb.10-5).
Der genaue Mechanismus dieser katalytischen Konversion (auch als «Matrizenmodell»
bezeichnet) ist noch nicht bekannt. Das neu entstandene PrPRES tritt wiederum mit einem
normalen PrPC in Kontakt. Der Prozess setzt sich fort, bis die Menge an PrPRES in den
Neuronen ein kritisches Ausmass erreicht hat und eine Vakuolisierung der Neuronen eintritt.
Diese Vakuolisierung ist wahrscheinlich Ausdruck einer Schädigung der intraneuronalen
Lysosomen.
Abb.10-5
Die «Protein-only-Hypothese» postuliert, dass pathologische Prion-Proteine (PrPRES) aus normalen PrionProteinen (PrPC) durch Umfaltung einer a-Helix in den PrPC)unter Einwirkung der PrPRES entstehen
können. In Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass die Prionenkrankheit ausbleibt, wenn im Hirngewebe
kein normales Prion vorhanden ist.
Für die «Protein-only»-Hypothese spricht, dass meistens eine gute Übereinstimmung
zwischen der Menge an PrPRES und dem sogenanntem «infektiösen Agens» festgestellt werden
konnte. Zusätzlich war nachweisbar, dass die Abwesenheit des normalen PrPC zu einem
vollständigen Schutz gegenüber einer Infektion mit Prionen führt. Andererseits steht der Beweis
noch aus, dass PrPRES auch in vitro PrPC in einen infektiösen Erreger umzuwandeln vermag.
Alternativ zum vorgestellten Modell der Konversion wird ein «Kristallisationsmodell» diskutiert.
Dieses Modell unterscheidet sich vom Modell der Konversion durch die Annahme, dass die
physiologische Bildung von PrPRES pathologisch gesteigert sei.
10.1.5.
Die Immunglobuline
Immunantworten.
sind
die
humoralen
Mediatoren
der
Das Immunsystem ist einer der wichtigsten Verteidigungsmechanismen des Organismus'
gegen Bakterien, Viren, Pilze und andere Fremdmoleküle, die Infektionen oder eine
Zellschädigung anderer Art verursachen können. Die Reaktion des Immunsystems läuft
grundsätzlich in zwei Phasen ab: (1) Erkennung und Identifikation der gefährlichen oder
eingedrungenen Moleküle und (2) Auslösung einer spezifischen Abwehr. Die Abwehr kann
wiederum über zwei Achsen erfolgen: (1) über Antikörper (AK), die an das Antigen (AG) binden
und dadurch das AG neutralisieren oder (2) über die Mobilisierung von Zellen (Effektorzellen),
welche das AG und seinen Träger aufspüren und den Träger dann zerstören (siehe Kapitel 24:
Immunpathologie). Die AK an sich sind für die Bekämpfung eines Krankheitserregers nicht sehr
wirksam. Mit den Signalen aber, die sie auslösen können, werden spezialisierte Zellen und
weitere Proteine rekrutiert, um die Zellen, welche das AG enthalten, zu zerstören.
Die AK sind Immglobuline mit einer spezifischen Affinität zu den AG. Entsprechend
ihrer Struktur und Wirkungen werden verschiedene Typen von Immunglobulinen
unterschieden (Tab.10-5). Das Immunglobulin M (IgM) wird fast ohne Zeitverzug unmittelbar
nach der Konfrontation des Organismus mit einem AG gebildet. Allerdings ist IgM ein
«minderwertiger» AK, der schnell wieder abgebaut wird. Seine Schutzwirkung ist begrenzt, doch
sorgt er für eine Art «erste Hilfe», solange noch keine wirkungsvolleren AK verfügbar sind.
Bedeutend hochwertiger sind die IgG-AK. Deren Produktion kommt allerdings erst zirka zehn bis
vierzehn Tage nach dem ersten Kontakt mit dem AG in Gang.
Tab.10-5
Überblick über die verschiedenen Antikörper.
___________________________________________________________________________
Eigenschaften
Antikörperklasse
_________________________________________________________
IgM
IgD
IgG
IgA
IgE
___________________________________________________________________________
Schwere Ketten





Leichte Ketten
 oder   oder   oder   oder   oder 
Zahl der Grundeinheiten 5
1
1
1 oder 2 1
% des gesamten 10%
< 1%
75%
15%
<1%
Immunglobulins
Komplementaktivierung ++++
++
«Erste_Hilfe»
++++
Sekundäre
++++
Immunantwort
Bindung an Rezeptoren +
++++
von ACP
Durchquerung der
+
Plazenta
Bindung an
+
Makrophagen und
neutrophile
Granulozyten
Bindung an
+
Mastzellen, basophile
und eosinophile
Granulozyten
Fixation der Komple+
+
ment C1-Komponente
Transport durch
+
+
Epithelzellen
In Körpersekreten*
+
___________________________________________________________________________
APC
*
Antigen-präsentierende Zellen: Makrophagen, neutrophile Granulozyten
Speichel, Bronchial- und Urogenitalsekret, Milch
Die Form der Immunglobulin-Moleküle ist für ihre Wirkung von grosser Bedeutung. IgM
besteht aus fünf einzelnen Untereinheiten, verfügt also über zehn potentielle Bindungsstellen mit
AG. Sein Wirkungsspektrum ist darum sehr breit. Weil das Molekül aber relativ gross ist, bleibt
seine Wirkung weitgehend auf den Blutkreislauf beschränkt; es kann nur sehr beschränkt in die
Gewebe hineindiffundieren.
IgG ist der AK der ausgereiften Immunantwort. Er besteht (im Gegensatz zu IgM und
IgA) wie IgD und IgE aus nur einer Einheit. IgG ist ein kleines, «zähes» Molekül mit einer
Lebensdauer von zirka einem Monat. Diese Eigenschaften kommen z.B. dem Fötus zugute, wenn
gegen Ende der Schwangerschaft die Mutter ihre IgG auf den Fötus überträgt. Auf diese Weise
ist das Neugeborene während seiner ersten Lebenswochen vor Infektionskrankheiten geschützt.
IgA besteht aus zwei Untereinheiten und ist vor allem auf Schleimhäuten, die mit der
Umwelt direkt in Kontakt kommen, vorhanden. Es kann Krankheitserreger abfangen, bevor sie in
den Körper eindringen. Bei modernen Immunisierungskonzepten spielt die Anregung der
Produktion von IgA eine wichtige Rolle, weil man auf diese Weise eine Infektion im
frühestmöglichen Stadium verhindern will. Das Molekül ist gegen proteolytische Enzyme, die in
fast allen Körpersekreten vorhanden sind, durch eine ins Molekül integrierte J-Kette und ein
Polypeptid, Sekretions-Komponente genannt, geschützt.
10.1.6.
Transkriptionsfaktoren sind intrazelluläre Proteine, welche an
regulatorische Sequenzen der DNA binden.
Die Transkriptionsfaktoren (TF) (Tab.10-6) bilden als tertiäre Messengers das letzte Glied
in der Signaltransduktion: Sie übertragen das Signal aus dem Zytoplasma in den Zellkern. Dort
lagern sie sich üblicherweise an die Promotor-Region des entsprechenden Gens und gleichzeitig
an die Polymerase an. Die Bindungsstellen an der DNA werden Transscription Factor Response
Elements (TFREs) genannt.
Tab.10-6
Die Transkriptionsfaktoren stellen das Endglied der Signaltransduktion dar.
___________________________________________________________________________
TranskriptionsTranskription
Transkription
Transkription
Faktoren
assoziiert mit ...
aktiviert durch
gehemmt durch
___________________________________________________________________________
Activator Protein-1
Zellproliferation
Phorbol-Ester
(AP-1, Heterodimer
Blockade aktivierter GR
TNF-
aus Fos- und JunIL-1
Proteinen)
Nuclear factor B
Stickstoff-Monoxid-Synthese
TNF-
(NF-B)
Cyclooxygenase
Wasserstoff-Peroxid
Chemokinen (IL-8, RANTES)
Ozon
Virusinfekte
Adhäsionsmolekülen
(ICAM-1, VCAM-1)
Blockade aktivierter GR
STATs (Signed
Zytokine (IL-2, IL-6, IL-5)
Transduction Activated
via Janus-Kinasen
Transscription factors)
STAT-1
STAT-2
STAT-3
Glukocortikoide
___________________________________________________________________________
Tab.10-6 (Fortsetzung)
___________________________________________________________________________
TranskriptionsTranskription
Transkription
Transkription
Faktoren
assoziiert mit ...
aktiviert durch
gehemmt durch
___________________________________________________________________________
cAMP-Response Hemmung des AP-1 und der
Element Binding GR
Protein (CREB)
___________________________________________________________________________
GR
TNF
IL
RANTES
ICAM
VCAM
Glucocorticoid-Rezeptoren
Tumornekrosefaktor
Interleukin
Regulated upon Activation, Normal T-Expression persumably Secreted
Intercellular Adhesion Molecule
Vascular Cellular Adhesion Molecule
TF können auf verschiedene Arten aktiviert werden: (1) via Rezeptoren auf der
Zelloberfläche oder (2) durch eine Bindung mit intrazytoplasmatischen Liganden (z.B.
Glucocorticoide, Schilddrüsenhormone, Vitamin D). Die Hauptaufgabe der aktivierten TF besteht
in einer Weitergabe eines kurzdauernden externen Signals an den Zellkern, um länger dauernde
Mechanismen des Zellwachstums, der Zelldifferenzierung und der Zellfunktion in Gang zu
setzen. Manche der TF kommen in vielen Zellen vor, andere wiederum sind zellspezifisch.
Ein wichtiger, in die Entzündung involvierter Transkriptionsfaktor ist der Nuclear
Factor-B (NF-B). Er wurde ursprünglich als Regulator der Expression des Gens für die Leichtketten in B-Lymphozyten der Maus entdeckt. Der NF-B liegt in einer aktivierten und
einer inaktivierten Form vor. In der aktivierten Form entspricht er einem heterodimeren Molekül
bestehend aus zwei Proteinen, dem P65-Protein (auch relA genannt) und dem P50-Protein
(Abb.10-6a). In der inaktiven Form ist NF-B an die Proteine IB und IB gebunden und
befindet sich im Zytoplasma der Zellen. Nach einer Zellstimulation wird das Molekül IB durch
eine spezifische Kinase phosphoryliert. Dadurch wird es vom NF-B abgekoppelt. Der frei
gewordene NF-B diffundiert in den Zellkern und übt dort seine Wirkung aus.
Abb.10-6a
Der Nuclear factor-kB (NF-kB) ist ein heterodimeres Molekül, welches aus den beiden Proteinen P50 und P65
besteht. Er wird durch das Molekül IkBa gehemmt. Im Zellkern wirkt NF-kB als Transkriptionsfaktor für
verschiedene Proteine. Er wird durch eine Phosphorylierung von IkBa aus dem Komplex mit IkBa freigesetzt.
Cyclosporin hemmt die Aktivierung des NF-kB.
Der Transkriptionsfaktor NF-B reguliert die Expression verschiedener Proteine
(proinflammatorische Zytokine, Chemokine, inflammatorische Enzyme, Adhäsionsmoleküle und
Rezeptoren) und kann via verschiedene Stimuli aktiviert werden [Zytokine, Proteinkinase CAktivatoren, Oxidantien (z.B. Ozon), Viren, immunogene Stimuli, Lipopolysaccharide und
Ultraviolettstrahlen]. Eine Aktivierung von NF-B kann eine koordinierte, gleichzeitige
Expression verschiedener Gene wichtiger Entzündungsmediatoren bewirken. Dies ist
beispielsweise bei einer akuten Entzündung für die Rekrutierung und Aktivierung der
neutrophilen Granulozyten der Fall. Dazu werden das Adhäsionsmolekül E-Selectin, das
Chemokin Interleukin-8 und der Tumornekrosefaktor  benötigt. NF-B kann aber auch die
Stickoxid-Synthase exprimieren oder die Cyclooxygenase-2, ein Enzym, welches für die
Synthese von Prostaglandinen und Thromboxan A2 zuständig ist.
Der NF-B steuert seine Wirkung selber: Das Auftreten des NF-B induziert die Synthese
von IB, weil das IB-Gen eine Erkennungssequenz für B besitzt. Das IB tritt in den
Zellkern ein, bindet dort an den NF-B, transportiert den NF-B aus dem Zellkern ins
Zytoplasma und beendet so die Arbeit des NF-B im Zellkern.
Glukokortikoide können die Wirkung der NF-B bei chronischen Entzündungen
hemmen. Dies geschieht wahrscheinlich auf zwei Arten (Abb.10-6b). (1) Die Glukokortikoide
werden im Zytoplasma an den Glukokortikoid-Rezeptor gebunden. Dann wird der Komplex in
den Zellkern transportiert. Dort wirkt er direkt als Transkriptionsfaktor, in dem er an das
Glukokortikoid-Response Element des IB-Gens bindet und die Expression von IB induziert.
IB blockiert den NF-B.(2) Der Komplex bestehend aus dem Glukokortikoid und
Glukokortikoid-Rezeptor bindet im Zellkern direkt an den NF-B (P50 + P65). Dadurch wird die
Bindung des NF-B an die DNA verunmöglicht .
10.2.
DEFEKTE DER SYNTHESE, DES ABBAUS ODER DER
AUSSCHEIDUNG VON PROTEINEN KÖNNEN SICH IN FORM
VERSCHIEDENER KRANKHEITEN MANIFESTIEREN.
Defekte in der Proteinsynthese können ein Zuviel oder ein Zuwenig an Proteinen
bewirken; bei einer Abbaustörung oder verminderten Ausscheidung kommt es zu einer
intrazellulären oder extrazellulären Ablagerung und dadurch zur Beeinträchtigung von
Organfunktionen. Auch die Enstehung maligner Tumoren ist schlussendlich auf eine Störung von
Proteinen zurückzuführen: Die bei malignen Tumoren nicht korrekt funktionierenden Proteine
sind oft an der Steuerung und Kontrolle des Zellzyklus oder an der Zellproliferation beteiligt
(siehe Kapitel 21: Tumoren).
Abb.10-6b
Die Glukokortikoide können den Nuclear Factor-kB (NF-kB, P50 + P65) auf zwei Arten hemmen: (1) direkt
durch eine Bindung des Komplexes Glukokortikoid/Glukokortikoid-Rezeptor an den NF-kB und (2) indirekt
durch eine Induktion der Expression des NF-kB-Inhibitors (IkBa).
10.2.1.
Intrazelluläre Proteinablagerungen können Hinweis auf eine
veränderte Proteinsynthese oder eine abnorme Struktur der Proteine
sein.
Pathologische
intrazelluläre
Proteinablagerungen
sind
morphologisches
Schlüsselmerkmal bei verschiedenen Krankheitsbildern (Tab.10-7), vor allem bei Virusinfekten,
bei Krankheiten, welche mit einer Störung des Zyto- oder Membranskeletts einhergehen, beim
1-Antitrypsinmangel (AT) und bei der Alzheimer Krankheit.
Tab.10-7
Pathologische intrazelluläre Proteinablagerungen kommen in verschiedenen Organen vor und können
morphologisches Begleitsymptom verschiedener Krankheiten sein.
___________________________________________________________________________
Typ der
Typ des Organ
Ursache
Beispiele von Krankheiten
Ablagerung
Proteins
___________________________________________________________________________
Intrazellulär
Hyalin
Haut
Virusinfekt
Hyalin
Leber
Strukturanomalien des
Zytoskeletts
Hirn
Erythrocyten
Extrazellulär
Hyalin
Hyalin
Leber
Nierentubuli
Plasmazellen
Amyloid
multipel
Amyloid
Hirn
Hyalin
multipel
Hyalin
Nierenrinde
Fibrinoid
Strukturanomalien des
Membranskeletts
Gestörte Proteinsynthese
Proteinurie
Gesteigerte Funktion
der Plasmazellen
Tumoren des lymphopoietischen Systems
Chronische
Entzündungen
Gestörte Synthese und
gestörter Katabolismus
von Proteinen
Fusion von Kollagenfasern
Störungen der mesangialen Matrix der
Glomerula
Störungen der Blutgefässwand
Nekrose in Bindegewebe
Verruca vulgaris (Papillomavirus)
Condyloma accuminatum
(Papillomavirus)
Zytomegalie (Herpesvirus)
Herpes genitalis
Molluscum contagiosum
(Variolavirus)
Aethylabusus
Alzheimer Krankheit
Hereditäre Sphärozytose
1-Antitrypsinmangel
Nephrotisches Syndrom
Chronische Entzündungen
Plasmocytom
kanAmyloidose
Amyloidose
Alzheimer Krankheit
Narben, Ulcera
Diabetes mellitus,
Glomerulonephritis
Hypertonie
Ulcera
Rheumatismus nodosus
Sklerodermie
Lupus erythematodes
Dermatomyositis
Nekrose in Blutgefäss- Polyarteriitis nodosa
wänden
Nekrotisierende Arteriitis
___________________________________________________________________________
10.2.1.1.
Viruskrankheiten.
Viren sind bewegliche, in Proteine eingehüllte Gene. Sie enthalten entweder RNA oder
DNA. Viren synthetisieren ihre eigenen Proteine selber oder lassen sie von den infizierten Zellen
synthetisieren und lagern sie in den infizierten Zellen ab. Die meisten Viren besitzen zwei
verschiedene Hüllen: die Hülle unmittelbar um die Nukleinsäure herum (Capsid) und die
Virushülle (äussere Hülle) (Abb.10-7). Zur Herstellung der äusseren Hülle fügen die Viren die
neu synthetisierten Proteine ihrer Membran in die Zellmembran der Wirtszelle ein. Anschliessend
knospen die virale Nukleinsäure, das Capsid, die Lipid-Doppelschicht der Zellmembran und die
in die Zellmembran eingelagerten viralen Membranproteine als ein neu generiertes Virus aus der
Zelle aus (Abb.10-8).
Abb.10-7
Die Viren besitzen eine Proteinhülle unmittelbar um ihre DNA oder RNA herum (Capsid). Daneben verfügen
sie über eine zweite äussere Hülle, in die zusätzlich Glykoproteine eingelagert sind. Das Human
Immunodeficiency Virus (Erreger von AIDS, ein RNA-Virus) dockt mit diesen Proteinen seiner äusseren
Hülle an die Rezeptoren der von ihm infizierten Zellen an.
Viren gelangen über spezifische Lipoprotein-Rezeptoren der Wirtszelle in die
Wirtszelle hinein. Der Eintritt in die Zellen kann über die apikale Zellmembran (z.B.
Influenzavirus) oder über die basolaterale Zellmembran (z.B. Stomatitisvirus) erfolgen. Die
Transkription der DNA-Viren erfolgt in zwei Schritten: (1) Im ersten Schritt werden die «frühen»
Proteine synthetisiert. Diese werden für die Synthese der neuen viralen DNA benötigt. (2) Im
zweiten Schritt werden die Gene der «späten» Proteine transkribiert. Diese «späten» Proteine sind
Bestandteile der beiden Hüllen (Capsid und äussere Virushülle). Die Polymerasen, welche für die
Transkription der DNA gebraucht werden, stammen meistens von der infizierten Wirtszelle. Die
Replikation der RNA-Viren erfolgt über die viruseigene reverse Transkriptase (eine RNAabhängige DNA-Polymerase).
Abb.10-8
Für den Austritt der Viren aus einer Zelle bedienen sich die Viren der Zellmembran, indem sie die Proteine
der Virushülle vorübergehend in der Zellmembran der Wirtszelle deponieren.
Ein Virus kann eine Wirtszelle auf fünf verschiedene Arten beeinflussen. (1) Der
Virusinfekt limitiert sich selbst, strukturelle Veränderungen in der Zelle bleiben aus («latenter»
Infekt) (Abb.10-9a). (2) Das Virus induziert den Untergang der Wirtszelle (Abb.10-9b). Der
Zelluntergang kann verschiedene Ursachen haben: (i) eine starke, intrazelluläre Vermehrung von
Viruspartikeln, (ii) eine Unterbrechung normaler synthetischer Aktivitäten der Wirtszelle durch
Proteine, welche durch das Virusgenom exprimiert worden sind, oder (iii) eine immunologische
zytotoxische Abwehrreaktion, welche durch virale, in die Zellmembran eingelagerte Proteine
ausgelöst wird. (3) Das Virus induziert Änderungen an den Oberflächenproteinen der
Zellmembran. Dies ist vor allem typisch für Viren der Gruppe der Paramyxoviren. Folge solcher
Veränderungen sind Fusionen zwischen infizierten und nichtinfizierten Zellen, die sich in Form
von Riesenzellen manifestieren (Abb.10-9c). Ein Beispiel dafür sind die Warthin-Finkeldy
Riesenzellen in Lymphknoten von Patienten mit Masern. (4) Im Zellkern oder im Zytoplasma der
Wirtszellen bilden sich Einschlusskörper. Diese können aus viralen Proteinen bestehen, aber auch
aus vermehrt synthetisierten zellulären Proteinen (Abb.10-9d und Tab.10-8). (5) Einige
Virusinfekte können eine Proliferation der Wirtszelle induzieren (Abb.10-9e). Beispiele dafür
sind die verschiedenen Tumoren, welche durch einen Virusinfekt hervorgerufen werden oder die
infektiöse Mononukleose, eine Lymphadenitis vor allem junger Erwachsener.
Abb.10-9
Es können fünf verschiedene Effekte von Viren auf die Wirtszelle unterschieden werden: (a) kein Effekt, (b)
Zelluntergang (häufig), (c) Bildung von Riesenzellen, (d) entweder intrazytoplasmatische oder intranukleäre
Viruseinschlüsse und (5) eine Proliferation der Wirtszellen.
Tab.10-8
Virusinfekte können sich morphologisch durch intrazytoplasmatische oder intranukleäre Einschlüsse in den
Wirtszellen manifestieren.
___________________________________________________________________________
Virus
Einschlüsse
Organbefall
Krankheit
___________________________________________________________________________
DNA
Adenoviren
Hep-a-DNA Virus
Hepatitis B Virus
Herpesviren
Herpes simplex Virus
Varizellavirus
Zytomegalievirus
Papovaviren
Papillomavirus
Poxviren
Orthopox-Virus
Variolavirus
Intranukleär
Intrazytoplasmatisch
Leber
Hepatitis
Intranukleär
Genitaltrakt
Mundhöhle
Gingiva-Stomatitis
Genitaltrakt
Intrauterine Infekte
Intrazytoplasmatisch
Intrazytoplasmatisch
Intrazytoplasmatisch
Haut
Haut
Verruca vulgaris
Condyloma accuminatum
Intrazytoplasmatisch
Haut
Molluscum contagiosum
Intranukleär
Intranukleär
RNA
Paramyxoviren
Intrazytoplasmatisch
Respirationstrakt
Mumpsvirus
Intrazytoplasmatisch
Glandula parotis
Reoviren (respiratory, enteric, orphan)
Intrazytoplasmatisch
Darmtrakt
Retroviren
Ocornaviren
HIV
Intrazytoplasmatisch
Acute Immunodeficiency
Rhabdoviren
Intrazytoplasmatisch
Syndrome (AIDS)
___________________________________________________________________________
HIV
Human Immunodeficiency Virus
10.2.1.2.
Störungen des Zyto- oder Membranskeletts.
Der Raum einer Zelle wird durch die Proteine des Zytoskleletts strukturiert. Diese
Proteine verbinden Organellen an verschiedenen Orten in der Zelle und dienen als «Schienen» für
den Transport von Molekülen zwischen den Organellen. Zusätzlich stellen sie ein stützendes
Zellgerüst dar. Defekte des Zytoskeletts manifestieren sich hauptsächlich in einer Störung der
Lokomotion der Zellen (z.B. bei der Chemotaxis) und der Phagozytose. Das Zytoskelett wird von
den Actinfilamenten (Mikrofilamente), den Intermediärfilamenten und den Mikrotubuli gebildet.
Die Actinfilamente sind zweisträngige, helikale Polymere des Proteins Actin. Actin
macht zirka 5% der gesamten Proteinmenge einer Zelle aus. Die Actinfilamente sind dünn und
biegsam. Sie kommen vor allem in der «Zellrinde», unmittelbar unter der Zellmembran vor. Sie
verleihen der Zelle durch ihr Zusammenwirken mit den Mikrotubuli eine Polarität. Die
Actinfilamente haben auch Kontakt mit den Adhäsionsplaques der Zellen und beeinflussen auf
diese Art und Weise die Lage der Zelle bezüglich ihrer Umgebung.
Die Intermediärfilamente sind Polymere aus Faserproteinen. Sie verleihen der Zelle die
mechanische Stabilität. Sie können in drei Gruppen unterteilt werden (Tab.10-9).
Tab.10-9
Zu den Intermediärfilamenten gehören die Keratine, die vimentinartigen Proteine und die neuronalen
Intermediärfilamente. Der immunhistochemische Nachweis der einzelnen Intermediärfilamente stellt ein
wichtiges Hilfsmittel zur Klassifizierung von Tumoren in der pathologisch-anatomischen Diagnostik dar.
___________________________________________________________________________
Gruppe
Polypeptid
Vorkommen
___________________________________________________________________________
Keratine
Typ I (sauer)
Typ II (neutral/basisch)
Epithelzellen
Epithelzellen
Vimentinartige Proteine
Vimentin
Zellen mesynchemaler Herkunft
Desmin
Muskelzellen
Saures fibrilläres Gliaprotein
Astrozyten, Schwannzellen
Peripherin
Neuronen
Neuronale Intermediärfilamente Neurofilament-Proteine
Neuronen
___________________________________________________________________________
Die Mikrotubuli sind gerichtete und dynamische Strukturen, deren eines Ende relativ
schnell wachsen kann, und deren anderes Ende in das Zentrosom eingebettet ist. Es sind
Polymere aus Tubulinmolekülen.
Pathogenetische Veränderungen des Zytoskeletts werden oft durch eine nicht geregelte
Bindung von Molekülen an die Proteine des Zytoskeletts vermittelt (Tab.10-10). So führen
Phalloidine und Cytochalasin B zu strukturellen Veränderungen der Epithelzellen in den
Gallekanaliculi und können auf diesem Weg die Funktion der Gallekanaliculi stören und eine
Hyperbilirubinämie bewirken.
Tab.10-10
Die pathologischen Veränderungen am Zytoskelett können verschiedene Ursachen haben.
___________________________________________________________________________
ZytoskelettKrankheit/
Stoff, der an die ZytoWirkung
Komponente
Störung
skelettkomponente bindet
___________________________________________________________________________
Mikrotubuli
Alzheimer Krankhheit
Protein MAP-1
Protein MAP-2
Tau-Protein
Phosphoryliertes
Tau-Protein
Chediak-Higashi-Syndrom:
gestörte Phagozytose
Stabilisierung
Destabilisierung
Defekte Polymerisierung
Tubulin Diarrhoe
Hemmung der Zellteilung
Hemmung der Zellteilung
Hemmung der Zellteilung
Colchizin 1
Vinblastin
Vincristin
Griseofulvin
Hemmung der Polymerisierung
Actin
Gestörte Phagozytose
Cytochalasin B
Biliäre Störung
Phalloidine 2
Verminderung der
Polymerisierung
Stabilisierung der
Polymerisierung
Neurofilamente Neuropathien
Antabus
Aluminium
___________________________________________________________________________
MAP
1
2
Mikrotubuli assoziierte Proteine
Colchizin wird als Medikament gegen die Gicht eingesetzt.
Gegenmittel sind grosse Mengen von rohem Fleisch, dessen Actinfilamente Phalloidin binden können.
In der Leber kann es bei Alkoholabusus zu einer Aggregation von Intermediärfilamenten
kommen. Diese Aggregate manifestieren sich lichtmikroskopisch als die sogenannten «Mallory
bodies». Frank B.Mallory hat diese «hyalinen Massen» 1911 erstmals beschrieben. Ähnliche
Aggregate werden in Hepatozyten bei Adipositas, nach Dünndarmresektionen und bei biliären
Störungen, in Alveolarwandepithelien bei Asbestose und in einigen Leber- und
Lungenkarzinomen beobachtet. Beim Crooke-Hyalin in den Zellen der Adenohypophyse handelt
es sich ebenfalls um Aggregate von Intermediärfilamenten. Sie entstehen bei hohen
Plasmakonzentrationen von ACTH (adrenocorticotropes Hormon) und sind auf eine übermässige
Bildung von Intermediärfilamenten in den von ACTH gehemmten Zellen zurückzuführen.
Die Zilien der Flimmerepithelzellen und Spermien stehen in engem Kontakt zu den
Mikrotubuli.
Störungen
der
Funktion
der
Zilien
können
durch
Infekte,
Hypersensitivitätsreaktionen oder Nikotin hervorgerufen werden, aber auch genetisch bedingt
sein. Die wichtigste genetische Störung ist das «Syndrom der immobilen Zilien». Es besteht aus
den drei Leitsymptomen: Bronchiektasen infolge schwerer Pneumonien, chronische Sinusitis und
Situs inversus verschiedener Organe. Oft ist auch eine Infertilität vorhanden.
Vom Zytoskelett ist das Membranskelett zu unterscheiden. Es besteht aus einem
filamentösen Netzwerk von Proteinen, die an der inneren Oberfläche der Zellmembran
verschiedener Zellen, vor allem der Erythrozyten, angeordnet sind. Die wichtigsten Proteine des
Membranskeletts sind: Spectrin, Actin, Protein 4.1 und Ankyrin. Die Interaktion zwischen diesen
Proteinen definiert z.B. die Stabilität der Erythrozyten. Erythrozyten sind während ihrer
Zirkulation ständig Tubulenzen und Scherkräften ausgesetzt. Sie müssen deshalb flexibel und
dauerhaft «konstruiert» sein. Dies gewähren die Membranskelett-Proteine. Sind sie defekt,
können Krankheiten entstehen. So kommt es zu einer (hereditären) Sphärozytose, wenn die
Bindung von Spectrin an ein anderes Membranprotein gestört ist. Folge davon ist eine
Einschränkung der Membranelastizität: Es resultieren «unflexible» Erythrozyten (Sphärozyten),
welche schneller als normale Erythrozyten zerstört werden. Symptome der Krankheit sind:
Hämolyse, prähepatischer Ikterus, Erythrophagie in der Milz, Splenomegalie, Hämosiderose und
Gallensteine (bei 50-80% der Patienten).
10.2.1.3.
l-Antitrypsin-Mangel
l-Antitrypsin
(AT) ist ein in der Leber synthetisiertes Glykoprotein, welches die bei
einer Zellschädigung oder einer Entzündung auftretenden Proteasen unter Kontrolle halten sollte.
Die wichtigsten der durch AT überwachten Enzyme sind: Trypsin, Chymotrypsin, PankreasElastase, Haut-Kollagenase, Renin, Urokinase, Hageman-Faktor sowie neutrale Proteasen der
neutrophilen Granulozyten (Elastase, Kollagenase, Proteasen gegen Basalmembranen). AT
kommt in Lymphe, Speichel, Stuhl, Muttermilch, Duodenalsekret,
(Synovialflüssigkeit), Zervixschleim und Samenflüssigkeit vor.
Galle,
Synovia
Ein l-AT-Mangel ist morphologisch an PAS-positiven, tropfenförmigen Ablagerungen
im Zytoplasma der Hepatozyten zu erkennen. Die Ablagerungen liegen im glatten und rauhen
endoplasmatischen Retikulum (ER) und sind Diastase-resistent (im Gegensatz zu Glykogen).
Die PAS positiv angefärbten Moleküle sind Vorstufen des definitiven AT. Bei diesen
defekten Molekülen ist die Glutaminsäure in einem Peptidfragment durch Lysin ersetzt.
Dadurch kommt es im ER zu einer Störung der Ankoppelung der Moleküle an die Sialinsäure,
welche für die Abgabe der Moleküle an den Golgi-Apparat wichtig ist. Als einzige wirksame
Therapie des AT-Mangels bleibt nur die Lebertransplantation übrig.
Das l-AT-Molekül weist viele molekulare Varianten auf, welche von mindestens 25
Allelen auf dem Pi (Proteinase Inhibitor) Locus des Chromosoms 14 bestimmt werden. Der
absolute l-AT-Mangel wird autosomal-co-dominant vererbt. Er führt zu einem panlobulären
Lungenemphysen und bei zirka 10% der Patienten zusätzlich zu einer Leberzirrhose; rund 50%
der kindlichen Leberzirrhosen beruhren auf einem AT-Mangel. Die genaue Pathogenese der
Leberzirrhose beim AT-Mangel ist nicht klar.
Ein relativer AT-Mangel kann bei Nikotinabusus auftreten. Grund dafür ist eine
Inaktivierung des AT durch Thiolproteasen im Kondensat des Zigarettenrauches. Ein zusätzlicher
Grund sind Infiltrate von neutrophilen Granulozyten in der Bronchusschleimhaut, welche bei den
mit dem Abusus einhergehenden rezidivierenden Bronchitiden auftreten. Diese sezernieren
vermehrt Proteasen und führen so zur Störung des Gleichgewichtes zwischen den Proteasen und
Antiproteasen. Ein relativer l-AT-Mangel ist an der Entstehung des Lungenemphysems bei
Rauchern namhaft mitbeteiligt .
10.2.1.4.
Alzheimer Krankheit.
Eine immer grösser werdende Zahl älterer Menschen sind von einer progressiv
verlaufenden Demenz, der Alheimer Krankheit, betroffen. Sie führt zu einem kognitiven Defizit,
einer zunehmenden Vergesslichkeit, einer sinkenden Aufmerksamkeit und launenhaften
Stimmungsschwankungen, bei denen sich Aggressionen und Frustrationsgefühle abwechseln.
Das Morbiditätsrisiko für 75-85-Jährige beträgt im Mittel 10%.
Das Krankheitsbild wurde 1907 erstmals von Alzheimer mit folgenden Worten
beschrieben: «Über die ganze Hirnrinde zerstreut, besonders zahlreich in den oberen Schichten,
findet man miliare Herdchen, welche durch Einlagerung eines eigenartigen Stoffes in die
Hirnrinde bedingt sind. Der Stoff lässt sich ohne Färbung erkennen». Der erwähnte Stoff ist heute
als Amyloid Protein- (A) bekannt. A kann auf zwei Arten in den extrazellulären Raum
gelangen: entweder durch eine Freisetzung aus zugrunde gegangenen Neuronen oder eine aktive
Sekretion aus den Neuronen.
Als Risikofaktoren für eine Alzheimer Krankheit gelten heute: Alter, Trisomie 21, das
Vorhandensein des 4-Allels des Apolipoproteins E, Mutationen im Gen, welches das Amyloid
Precursor Protein (APP) kodiert, ein Schädel-Hirntrauma in der Anamnese oder eine Herpes
simplex-Encephalopathie.
Morphologische Charakteristika der Alzheimer Demenz sind: eine Hirnatrophie,
vorwiegend der Frontal- und Temporallappen, extrazelluläre Plaques im Hirngewebe und
intraneuronale Proteinablagerungen (fibrilläre Tangles) (Abb.10-10 und Tab.10-11). Die
Hirnatrophie ist Folge eines Verlustes von Neuronen.
Abb.10-10
Die senilen Plaques sind extrazelluläre Proteinablagerungen. Im Zentrum bestehen sie aus dem Ab. Am Rand
der Plaques sind Mikrogliazellen und Astrozyten vorhanden. Histologie-Bild
Tab.10-11
Die wichtigsten morphologischen Merkmale einer Alzheimer Demenz sind Hirnatrophie, Plaques und
neuronale Tangles.
__________________________________________________________________________
Morphologische Veränderungen PLAQUES
TANGLES
___________________________________________________________________________
Lokalisation
Extrazellulär
Grosshirnrinde
Hippocampus
Intrazellulär
Neuronen
Zusammensetzung
Monomere Aggregate aus A (A)
Amyloid Precursor Protein (APP)
Proteine der Phase der akuten Antwort
Amyloid P
C-reaktives Protein
1-Antitrypsin
2-Makroglobulin
Immunglobulin G
Komplementproteine 1
Clusterin (Antikomplement-Protein)
Glycosaminoglykane
Apolipoprotein E
Protein Tau (im Übermass
phosphoryliert)
1-Chymotrypsin
Ubiquitin
Proteoglykane
Fibroblasten-Wachstumsfaktor
Apolipoprotein E
an der Peripherie Geschwollene und fragementierte
Axone
Mikrogliazellen
Astrozyten (Makrogliazellen)
Ausdehnung
100-150 m
Korrelation mit dem
Mässig stark
Stark
Schweregrad der Demenz
___________________________________________________________________________
A
1
Amyloid Protein 
Das Vorhandensein von Komponenten des Komplementsystems ist ein Hinweis auf eine verstärkte Lyse
von Neuronen.
Bei der Pathogenese der Alzheimer-Krankheit kommt drei Proteinen eine
Schlüsselrolle zu: dem APP, A und dem Tau-Protein. Das APP ist ein Membran-assoziiertes
Protein. Es wird im Golgi-Apparat und glatten endoplasmatischen Reticulum der Neuronen und
Astrozyten synthetisiert, dann an die Zelloberfläche transportiert und via Endozytose wieder in
die Neuronen aufgenommen. An einzelnen Stellen steht das APP in enger Nachbarschaft zum
Protein Presenilin-1 (PS-1). Die Funktion des PS-1 ist nicht klar: Entweder ist es am
intrazellulären Transport des APP beteiligt oder es beeinflusst Enzyme, welche das APP
metabolisieren. Das APP scheint als Membranprotein über Interaktionen mit Second Messengers
in die Regulation des Zellwachstums und in die Steuerung der Funktion der Synapsen
(Gedächtnisbildung) involviert zu sein. Zusätzlich ist es ein potenter Proteasen-Hemmer. Das
Gen, welches das APP kodiert, liegt auf dem Chromosom 21. Schon seit langem ist bekannt, dass
Patienten mit einer Trisomie 21 («Mongoloismus») bereits im Alter von 40-50 Jahren Symptome
einer Alzheimer Krankheit entwickeln können.
Das APP kann an drei Stellen durch Enzyme aufgespalten werden: an der -, - und Stelle. Die entsprechenden Enzyme sind: die -, - und -Sekretase. Physiologischerweise wird
das APP an der -Stelle proteolysiert. Dabei entstehen harmlose Fragmente. Bei der Alzheimer
Krankheit dagegen wird das APP vor allem an der - und -Stelle gespalten (Abb.10-11). Dabei
entsteht das A. Die -Sekretase wurde erst vor kurzem identifiziert und wird nun BACE genannt
(-site APP Cleaving Enzyme). Bereits wird nach Medikamenten gesucht, welche das Enzym zu
hemmen vermögen.
Abb.10-11
Das Amyloid Precursor Protein (APP) wird im Golgi-Apparat und im endoplasmatischen Retikulum (ER)
synthetisiert. Es wird vorerst aus der Zelle abgegeben und wieder über eine Endozytose in die Zelle
aufgenommen. Das APP kann an drei Stellen proteolysiert werden (siehe Text).
Das A liegt im Zentrum der Plaques. Es zeigt drei Hauptwirkungen: (1) Es kann die
Neuronen stimulieren. Diese Funktion übt das Molekül mit einem Segment aus, welches grosse
Ähnlichkeiten mit der Substance P zeigt. (2) Es kann neurotoxisch wirken. Diese Eigenschaft hat
das Molekül dadurch, dass es in der Membran der Neuronen Ca2+-Ionen-Kanäle bilden kann. (3)
Es aktiviert den klassischen Weg des Komplementsystems.
Das Tau-Protein gehört in die Gruppe der Mikrotubuli-assoziierten Proteine (MAPs).
Die MAPs haben zwei Aufgaben: (1) Sie dienen dazu, die Mikrotubuli zu stabilisieren und so
gegen einen Zerfall zu schützen. (2) Sie wahren im neuralen Gewebe die Form der Zellen und die
Integrität der Synapsen; im Zytoplasma bilden sie aus Tubulin aufgebaute Röhren.
Die Funktion des Tau-Proteins wird wahrscheinlich durch das Apolipoprotein E
überwacht und gesteuert. Das Apolipoprotein E wird vor allem in den Astrozyten, aber auch in
Neuronen gebildet. Es hat zwei Bindungsstellen, eine für Proteine (z.B. auch für Proteine von
Rezeptoren), die andere für Lipide. Es bestehen starke Hinweise darauf, dass im Zytoplasma der
Neuronen das Apolipoprotein E3 vorübergehend mit dem Tau-Protein einen Komplex bildet.
Dieser Komplex dient dazu, das Tau-Protein an einer Homodimerisierung zu hintern, bevor es
mit den Mikrotubuli in Kontakt tritt. Wenn der Tau-Apolipoprotein E-Komplex mit einem
Mikrotubulus in Berührung gekommen ist, wird das Tau-Protein aus dem Komplex entlassen,
damit es - seiner Aufgabe entsprechend - mit dem -Tubulin interagieren kann. Im Gegensatz
zum Apolipoprotein E3 bindet das Apolipoprotein E4 das Tau-Protein nur schwach. Überwiegt in
den Neuronen das Apolipoprotein E4, so wird das Tau-Protein praktisch nicht mehr daran
gehindert, mit sich selber zu aggregieren. Folge davon ist eine intrazelluläre Ablagerung und eine
vermehrte Phosphorylierung des Tau-Proteins. Das Tau-Protein steht unter diesen Bedingungen
nicht mehr als Stabilisator der Mikrotubuli zur Verfügung. Die Ablagerungen des Tau-Proteins
ist morphologisch nach Jahren in Form von intraneuronalen Tangles sichtbar. Ablagerungen von
hyperphosphoryliertem Tau-Protein werden als Tauopathien bezeichnet (Tab.10-12).
Tab.10-12
Proteinablagerungen sind oft Ursache neurodegenerativer Erkrankungen des zentralen Nervensysems. Dazu
werden auch die Tauopathien (Ablagerungen von hyperphosphoryliertem Tau-Protein) gerechnet.
___________________________________________________________________________
Ort der Proteinablagerung
Neurodegenerative Krankheit
___________________________________________________________________________
Intraneuronal
Intranukleär
Zytoplasmatisch (neuritisch)
Extrazellulär
Huntington Krankheit
Amyotrophe Lateralsklerose
Parkinson Krankheit
Tauopathien
Alzheimer Krankheit
Trisomie 21
Pick Krankheit
Prion Krankheit
Alzheimer Krankheit
Trisomie 21
___________________________________________________________________________
Das Apolipoprotein E bindet nicht nur an das Tau-Protein, sondern auch an das A. Dazu
verwendet das Molekül seine zweite Bindungsstelle für Lipide. Diese Bindung ist bei der E4Isoform des Apolipoproteins stärker als bei der E3-Isoform. Es wird angenommen, dass der
Komplex A/Apolipoprotein dazu dient, in den Astrozyten synthetisiertes A in die Neuronen
abzutransportieren. Wird von den Astrozyten zu viel A gebildet oder ist zu viel Apolipoprotein
E4 vorhanden, kann nicht alles A in die Neuronen gelangen, weil (1) die Kapazität der
Rezeptoren für das Apolipoprotein auf der Oberfläche der Neuronen limitiert ist und (2) der
Komplex A/Apolipoprotein E4 instabil ist, sodass sich das A extrazellulär wieder vom
Komplex ablösen kann und liegen bleibt. Folge dieser Störungen ist eine verstärkte extrazelluläre
Ablagerung von A und Apolipoprotein E in den Plaques.
Die Alzheimer Krankheit kann familiär gehäuft oder sporadisch auftreten. Den familiär
gehäuften Formen der Erkrankung liegen deterministische Genveränderungen zugrunde.
Deterministisch bedeutet, dass die Krankheit autosomal dominant vererbt wird und sich bereits
früh (im Alter von 40-60 Jahren) manifestieren kann. Die genetische Dysfunktion führt zu einer
pathologisch verstärkten Ablagerung von Proteinen (z.B. A, Presenilin) im Hirngewebe
(Tab.10-13).
Tab.10-13
Die Alzheimer Krankheit kann familiär gehäuft oder sporadisch auftreten. Bislang sind drei
Genveränderungen bekannt, welche bei der familiären Form der Krankheit vorkommen. Für das Auftreten
der sporadischen Form prädisponiert ein homozygotes Vorhandensein des e4 Allels des Apolipoproteins E in
den Astrozyten.
___________________________________________________________________________
Genveränderung Gen
Lokalisation auf
Expression in
Protein in
Chromosom
___________________________________________________________________________
Deterministisch
APP-Gen
Presenilin 1
Presenilin 2
21
14
1
Neuronen
Neuronen
Neuronen
Zellmembran
Zellmembran
Zellmembran
Astrozyten 1
Zytoplasma
Mikrogliazellen Zytoplasma
Neuronen
Zytoplasma
___________________________________________________________________________
Sporadisch
1
Apolipoprotein E 19
Das Apolipoprotein E wird hauptsächlich in Astrozyten exprimiert.
Bei der sporadischen Form der Alzheimer Krankheit steht das Gen für das
Apolipoprotein E im Zentrum. Das Gen weist drei Allele auf: 2, 3 und 4, sodass sechs
verschiedene Genotypen definiert werden können (Tab.10-14). Diese Genotypen kommen
unterschiedlich häufig vor. Der Genotyp mit dem höchsten Risiko für die Entstehung einer
Alzheimer Krankheit ist der 4/4-Genotyp. Das Risiko, an einer Alzheimer Demenz zu
erkranken, beträgt für 4-Homozygote 3.58. In den USA weisen 64% der Patienten mit einer
Alzheimer Krankheit diesen Genotypen auf. Die Genotypen 2/2 und 2/3 scheinen dagegen für
die Alzheimer Krankheit sogar protektiv zu sein. In den Plaques von Patienten mit einem 4Allel ist eine stärkere Akkumulation des A zu beobachten und kommen mehr neurofibrilläre
Tangles vor als in einem Kollektiv ohne 4-Allel.
Tab.10-14
Die drei verschiedenen Allele des Apolipoproteins E erlauben die Definition von sechs verschiedenen
Genotypen. Diese Genotypen sind in der Bevölkerung unterschiedlich häufig ausgeprägt.
___________________________________________________________________________
Genotyp Häufigkeit
Beginn der sporadischen
Bindung des Apolipoproteins E an
in den USA (%) Alzheimer Krankheit
... das Tau-Protein
... das A
___________________________________________________________________________
2/2
<1
+
2/3
10
im Alter von > 90 Jahren
2/4
8
3/3
60
+
+
3/4
20
4/4
2
im Alter von < 70 Jahren +++
___________________________________________________________________________
10.2.2.
Unter der «Amyloidose» werden extrazelluläre Ablagerungen nichtlöslicher, fibrillärer Proteine in verschiedenen Organen bei
verschiedenen Krankheiten verstanden.
Lichtmikroskopisch erscheint Amyloid als homogene, eosinophile interzellulär gelegene
Substanz. Sie besteht zu 90% aus Proteinen, zu 10% aus Glykoproteinen. Makroskopisch
erscheinen Organe mit Amyloideinlagerungen glasig-wachsartig. Mikroskopisch erscheinen
Amyloidablagerungen in der Kongorot-Färbung orange und brechen (wegen ihrer -fibrillären
Struktur) doppelt. Elektronenmikroskopisch manifestiert sich Amyloid als lockeres
Maschenwerk von Fibrillen mit einer -Faltblattstruktur. Die Amyloidose wird deshalb
gelegentlich auch als -Fibrillose bezeichnet. Im Säugetier-Organismus kommen
Amyloidablagerungen physiologischerweise nicht vor.
Die moderne Klassifikation der Amyloidose basiert auf der Natur der VorläuferProteine, aus denen das Amyloid gebildet wird (Tab.10-15). Die Vorläufer-Proteine sind
Proteine, welche im Blutplasma zirkulieren.
Tab.10-15
Die moderne Klassifikation der Amyloidosen richtet sich nach den Vorläufer-Proteinen der fibrillären,
extrazellulär abgelagerten Amyloid-Proteine.
___________________________________________________________________________
AmyloidoseVorläufer-Protein
Fibrilläres Protein
Klinische Symptome
Typen
(Amyloid-Protein)
___________________________________________________________________________
 oder  Leichtketten
Kardiomyopathie
Hepatomegalie
Proteinurie (Bence Jones Proteine)
Makroglossie
Orthostasestörungen
Neuropathie des autonomen und
peripheren Nervensystems
Ekchymosen
Carpaltunnelsyndrom
Abnormales Transthyretin Transthyretin
Neuropathie des autonomen und
peripheren Nervensystems
(gastrointestinale Symptome)
Kardiomyopathie
Glaskörpertrübung
Serum Amyloid A Protein Amyloid A Protein
Infektionskrankheiten (als
Ursache dieses Typs der
Amyloidose)
Hepatosplenomegalie
Proteinurie
Niereninsuffizienz
Orthostasestörungen
AL
Monoklonale Immunglobulin(primär) Leichtketten
ATTR
(familiär)
AA
(sekundär)
Andere
(familiär)
AApo A-1
Apolipoprotein A-1
Polyneuropathie
Nephropathie
Agel
Gelsolin
Gelsolin
Dystrophie der Kornea
Neuropathie
AFib
Fibrinogen A 
Fibrinogen A 
Nephropathie
Arterielle Hypertonie
ALys
Lysozyme
Lysozyme
Nephropathie
Hepatomegalie
AE
Prohormone
Polypeptide
Medulläres Schilddrüsenkarzinom
Ablagerungen im endokrinen
Pankreas
___________________________________________________________________________
AL
ATTR
AA
Bence Jones Proteine
AE
Apolipoprotein A-1
Amyloid Light Chains: Immunoglobulin-Leichtketten-Amyloid
Amyloid Trans-Thy-Retin: Familiäres, Transthyretin-assoziiertes Amyloid
Amyloid Associated: Amyloid A-Protein
Freie monoklonale Leichtketten im Urin
Endokrines Amyloid
Ursache der AL-Amyloidose ist meistens eine monoklonalen Überproduktion der  oder 
Leichtketten durch die Plasmazellen (z.B. bei multiplen Myelomen oder anderen
lymphopoietischen malignen Tumoren). Die AL-Amyloidose ist der am häufigsten auftretende
Amyloidose-Typ. Die familiären Amyloidosen werden autosomal-dominant vererbt. Im
Vordergrund der familiären Amyloidosen steht die Amyloid trans-thy-retin (ATTR)-Amyloidose.
Transthyretin ist ein Transportprotein für Thyroxin. Es wird vor allem in der Leber synthetisiert,
jedoch auch im Plexus chorioideus. In der Familienanamnese sind oft unklare neurologische
Krankheiten (z.B. Störungen der Motoneurone) anzutreffen. Das Serum Amyloid A-Protein
(SAA) gehört zu den Proteinen der Phase der akuten Antwort. Die häufigsten chronischen
Krankheiten, bei denen eine AA-Amyloidose beobachtet werden kann, sind: Tuberkulose,
chronische Osteomyelitis und Bronchiektasen.
Es
bestehen
verschiedene
Modelle
einer
möglichen
Pathogenese
der
Amyloidablagerungen. Fest steht, dass die Pathogenese multifaktoriell und für die verschiedenen
Amyloidtypen unterschiedlich ist. Diskutiert werden folgende vier Modelle: (1) Die VorläuferMoleküle (z.B. leichte Immunglobulin-Ketten) werden durch einen Ersatz von Aminosäuren
destabilisiert und dann abgelagert. (2) Lokal stimulieren chemische Einflüsse wie pHVeränderungen die Amyloidbildung. (3) Die Makrophagen nehmen die Vorläuferproteine auf,
bilden intrazellulär daraus Fibrillen, erschöpfen sich und gehen zugrunde; die Fibrillen werden
dabei freigesetzt und extrazellulär deponiert. (4) Die Makrophagen und Endothelzellen bauen die
Voräufer-Proteine partiell ab. Fragmente der Proteine werden in die Umgebung abgegeben und
aggregieren dort in Kombination mit Glykosaminoglykanen der extrazellulären Matrix (Abb.1012).
Am häufigsten kommt es bei einer Amyloidose zu Amyloid-Ablagerungen in den Nieren.
Das Amyloid erscheint hauptsächlich in den Glomerula, jedoch auch in den Gefässwänden. Bei
einem Gefässbefall sind Zeichen einer Ischämie mit einer konsekutiven Tubulusatrophie und
interstitiellen Fibrose zu beobachten. Eine Nierenamyloidose kann zu einem nephrotischen
Syndrom führen. In der Leber treten die Amyloidablagerungen zuerst im Disse'schem Raum auf,
später im Interstitium des Parenchyms und in der Wand der Sinus. Eine Leberfunktionsstörung
ist erst bei sehr ausgedehnten Ablagerungen zu beobachten. Im Herzen wird das Amyloid vor
allem subendokardial, im Myocard des Septum interventriculare, in der Wand der Vorhöfe und
der Gefässe abgelagert (Abb.10-13). Folge der Herzamyloidose können Veränderungen des
Elektrokardiogramms (Low voltage) und Herzrhythmusstörungen sein. Die senile ATTRAmyloidose (senile Herzamyloidose) bleibt klinisch oft unerkannt.
Abb.10-12
Das AL-Amyloid wird möglicherweise dadurch gebildet, dass die Makrophagen und Endothelzellen
Immunglobulin-Leichtketten aufnehmen und inkomplet verdauen. Nicht abgebaute Protein-Fragmente
werden an die Umgebung abgegeben und aggregieren dort. ein ähnlicher Prozess läuft mit dem Serum
Amyloid A-Protein ab. Fragmente dieses Proteins werden als AA-Amyloid extrazellulär abgelagert.
Abb.10-13
Bei älteren Patienten kann es - aus unerklärten Gründen - zu einer Ablagerung von Amyloid zwischen die
Herzmuskelfastern und in die Wand der interstitiellen Gefässe kommen. Die wolkigen Ablagerungen sind
extrazellulär gelegen und sehen sehr homogen aus. Sie können zu Rhythmusstörungen führen.
Eine Amyloidose wird meistens über eine Biopsie aus der Zunge, dem Rektum, der
Sehnenscheiden oder Nieren diagnostiziert.
10.2.3.
«Hyalin» und «Fibrinoid» sind teils extrazelluläre, teils intrazelluläre
Ablagerungen von Proteingemischen.
«Hyalin» ist ein unspezifischer deskriptiver morphologischer Begriff. Er kann für jede
morphologische Veränderung, welche sich in der Hämatoxilin-Eosin-Färbung als homogene,
rosafarbige, glasige, intra- oder extrazelluläre Ablagerung darstellt, verwendet werden. Als
intrazelluläres Hylin können die tröpfchenförmigen resorptiven Proteinablagerungen bezeichnet
werden, welche z.B. bei einem nephrotischen Syndrom in den Nierentubuluszellen beobachtet
werden. Amyloidablagerungen erfüllen zwar die Kriterien des Hyalins, werden aber vom Hyalin
unterschieden, weil das Amyloid färberisch, biochemisch und elektronenoptisch identifizierbar
ist.
«Fibrinoid» wird eine homogene extrazelluläre Proteinablagerung genannt, welche sich
einerseits mit Eosin (einem sauren Farbstoff) intensiv anfärbt, andererseits Färbeeigenschaften
des Fibrins aufweist und eine zelluläre Reaktion des umgebenden Gewebes auslöst. Fibrinoide
Proteinablagerungen werden in Demarkationszonen von Haut- oder Schleimhautnekrosen (z.B.
Magenulcus, Hautulcus), im Bindegewebe bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten und in
Blutgefässwänden bei Vasculitiden beobachtet. Die fibrinoiden Ablagerungen bestehen
hauptsächlich aus Zelltrümmern, Fragmenten der extrazellulären Matrix und Bestandteilen des
Blutplasmas.
10.3.
BEI MALIGNEN TUMOREN KÖNNEN PROTEINE AN
UNGEWÖHNLICHEN ORTEN ODER IN UNGEWÖHNLICHER
MENGE ERSCHEINEN.
Maligne Tumoren können Syndrome bewirken, die nicht direkt auf eine Destruktion des
umgebenden Gewebes oder die Fernwirkung des Tumors via Metastasen zurückzuführen sind,
sondern auf Proteine, welche vom Tumorgewebe pathologischerweise synthetisiert und als
Hormone oder Antigene wirksam werden. Die Syndrome werden als paraneoplastische Syndrome
bezeichnet. Werden Hormone nur im Tumorgewebe, nicht aber im Ursprungsgewebe, aus dem
der Tumor entstanden ist, gebildet, spricht man von einer ektopischen Hormonproduktion. Vor
allem bekannt ist die ektopische Sekretion von ACTH bei Bronchuskarzinomen. Folge davon ist
ein Cushing Syndrom.
10.4
PROTEINE KÖNNEN MITTELS IMMUNHISTOCHE-MISCHER
METHODEN
IM
HISTOLOGISCHEN
SCHNITT
ODER
ZYTOLOGISCHEN
PRÄPARAT
SICHTBAR
GEMACHT
WERDEN.
Die zellulären und extrazellulären Proteine, welche immunhistochemisch dargestellt
werden können, werden Epitope genannt. Eine immunhistochemische Darstellung von Epitopen
erfordert zwei Schritte: (1) Das Epitop wird monoklonalen Antikörpern, welche gegen das Epitop
gerichtet sind, ausgesetzt. (2) An den Antikörper, der mit dem Epitop reagiert, wird ein gegen ihn
gerichteter zweiter Antikörper gebracht. An diesen Antikörper ist ein Farbstoff gekoppelt.
Dadurch kann das Epitop im histologischen Schnitt oder zytologischen Präparat sichtbar gemacht
werden.
Der Nachweis spezifischer Epitope im Gewebe eines malignen Tumors kann von
wegweisender Bedeutung für eine korrekte Tumorklassifizierung sein (Tab.10-16, Abb.10-14).
Wird die Methode des immunologischen Nachweises von Epitopen an zytologischen Präparaten
eingesetzt, spricht man von Immunzytochemie.
Tab.10-16
Zelluläre Epitope können von wegweisender diagnostischer Bedeutung als pathologisch-anatomische
«Tumormarker» sein.
___________________________________________________________________________
Struktur Element
Protein/Amin
Zellen
___________________________________________________________________________
Zytoskelett
Intermediärfilamente
Keratine
CK 7
CK 20
Vimentin
Desmin
Neurofilamente
Epithelzellen
Kolon
Ovar
Mesenchymale Zellen
Quergestreifte und
Herzmuskulatur
Neuronen
Gliales fibrilläres saures Protein
Neuronen
Glatte Muskulatur
Actin
Vesikel
Membran-Proteine
Synaptophysin
Neuroendokrine Zellen
Sekretgranula
Matrix-Proteine
Chromogranine A,B,C
Leu 7 (CD57)
Neuroendokrine Zellen
Neuroendokrine Zellen
Zytoplasma
Enzyme
S 100-Protein
Neurale und neurogene Zellen
-Fetoprotein
Epithelzellen
Carcino-embryonales Antigen
Epithelzellen
(CEA)
Prostata-spezifisches Antigen
Prostata-Epithelzellen
MelanA
Melanozyten
HMB45
Melanozyten
Neuron-spezifische Enolase
Neuroendokrine Zellen
Prostatische alkalische
Prostata-Epithelzellen
Phosphatase
Plazentare alkalische Phosphatase
(PLAP)
Hormone
Amine
5-Hyroxytryptamin
Neuroendokrine Zellen
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Tab.10-16 (Fortsetzung)
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Struktur Element
Protein/Amin
Zellen
___________________________________________________________________________
Zellmembran
Adhäsionsmoleküle
Glykoproteine
Leucocytic common antigen
(LCA, CD 45)
CD3
CD5
CD10
CD20
CD34
CD68
CD79
CD2
Faktor VIII assoziiertes Antigen
Epitheliales Membran-Antigen
(EMA), B72.3 Ber-EP4
Granulozyten, Lymphozyten,
Plasmazellen
T-Lymphozyten
T-Lymphozyten
B-Lymphozyten
B-Lymphozyten
Endothelzellen
Monozyten, Makrophagen
B-Lymphozyten
T-Lymphozyten
Endothel
Epithelzellen
Epithelzellen
Zellkern Rezeptoren
Östrogen-Rezeptor
Progesteron-Rezeptor
Androgen-Rezeptor
Proteine der Proliferation Ki 67-Antigen, Cyclin D1
Transkriptionsfaktoren Myc
Suppressorproteine
P53, P27
Extrazelluläre
Matrix
Fibronectin
Laminin
Kollagene
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CK
CD
Zytokeratin
Cluster of Differentiation (Cluster Design protein)
Abb.10-14
In Lymphknoten, welche im Rahmen einer Neck dissection wegen eines Plattenepithelkarzinoms der
Mundhöhle untersucht wurden, fanden sich im Randsinus kleine, relativ monomorphe, teilweise tubulär
angeordete Zellen. Die Monomorphie liess differentialdiagnostisch an ein neuroendokrines Karzinom denken.
Die immunhistochemischen Untersuchungen ergaben, dass in den Halslymphknoten tatsächlich zusätzlich zu
den Metastasen des Plattenepithelkarzinoms auch Metastasen eines medullären Schilddrüsenkrazinos
vorhanden waren.
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