109 - HyperhidroseHilfe.de

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Internet-User mit primärer Hyperhidrose:
Gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychopathologische Aspekte
Martina Čarná & Anna Wittmann
An der Fakultät für Psychologie der Universität Wien wurde im Rahmen von zwei Diplomarbeiten
eine Online-Studie zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sowie der
physiologischen und psychischen Symptombelastung bei Internet-UserInnen mit primärer
Hyperhidrose durchgeführt. Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse
dieser Studie.
Einleitung
Unter primärer Hyperhidrose versteht man eine chronische dermatologische Erkrankung mit unklarer
Ätiologie, die durch exzessives Schwitzen meist im Bereich der Handflächen (palmar), Achseln
(axillär), Fußsohlen (plantar) oder im Gesicht und am Kopf (craniofacial) charakterisiert ist. Im
Unterschied zur sekundären Hyperhidrose handelt es sich um eine idiopathische Erkrankung, deren
Ätiologie zurzeit noch nicht geklärt ist. Das erstmalige Auftreten liegt oftmals bereits in der Kindheit
oder im jungen Erwachsenenalter (Hornberger et al., 2004). Die Angaben zur Prävalenz liegen im
Bereich von 1–3%, der diesbezügliche Wert einer US-amerikanischen Studie beläuft sich auf 2,8%
(Strutton, Kowalski, Glaser & Stang, 2004), d. h. dass immerhin jeder 35. an dieser dysfunktionalen
Störung der Schweißdrüsen leidet. Viele Personen mit primärer Hyperhidrose sind von starken
Einschränkungen im Berufs- und Privatleben betroffen, was zur Minderung der Lebensqualität und
Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens der Personen führen kann (Strutton, Kowalski,
Glaser, & Stang, 2004). Medizinische Hilfe wird oftmals erst sehr spät aufgesucht (Lear und Kollegen,
2007; Ottomann und Kollegen, 2007). Vielfach informieren sich betroffene Personen im Internet, wo
ein breites Spektrum an Informationen über Hyperhidrose zu finden ist, welche jedoch keineswegs
als Ersatz für medizinische Hilfe angesehen werden können (Wittmann, 2009).
1
Methoden und Zielsetzung der Studie
In der vorliegenden Untersuchung wurde eine explorative Strategie angewendet, um Informationen
über gesundheitsbezogene Lebensqualität sowie zusätzliche physiologische und psychische
Symptombelastung bei Internet-UserInnen (die mittlerweile einen Großteil der Bevölkerung
darstellen) mit übermäßigem Schwitzen bzw. primärer Hyperhidrose zu untersuchen. Die Umfrage
war von Dezember 2008 bis Juli 2009 online zugänglich und wurde in 44 kooperierenden
hyperhidrosespezifischen sowie gesundheitsbezogenen Foren und Webseiten beworben.
Ziel dieser Studie war es zu untersuchen, in welchen Bereichen der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität sich die StudienteilnehmerInnen von einer gesunden Normpopulation sowie der
Normstichprobe
mit
anderen
chronischen
Hauterkrankungen
unterscheiden.
Es
wurden
krankheitsspezifische Charakteristika und deren Einfluss auf tägliche Aktivitäten und auf das
subjektive Wohlbefinden untersucht. Im weiteren Teil der Studie wurden soziale Ängstlichkeit sowie
Symptome von Depression und Körperdysmorpher Störung (einer somatoformen Störung, die durch
übermäßige Beschäftigung mit einem eingebildeten körperlichen Mangel oder einer vegetativen
Auffälligkeit und daraus resultierenden Leidenszuständen charakterisiert ist) erfasst.
Ergebnisse
An der Befragung nahmen 869 Internet-User aus dem gesamten deutschsprachigen Raum teil, von
denen etwa drei Viertel (645 Personen) entsprechend Screening-Fragebogen zur Selbstbeurteilung
an primärer Hyperhidrose litten. Die Altersverteilung der Stichprobe reichte von 12 bis 81 Jahre,
wobei das durchschnittliche Alter 29 Jahre betrug. Die meisten TeilnehmerInnen wohnten zum
Erhebungszeitpunkt bei ihren Eltern oder alleine und verfügten über eine Bildung mit Matura. Bei
45,7% der Personen mit primärer Hyperhidrose war am stärksten der axilläre und bei 17,8% der
craniofaciale Bereich betroffen. 17,2% transpirierten am stärksten im palmaren und 6,5% im
plantaren Bereich, während bei 4,0% eine andere Körperregion (meist Rücken, Brust oder Gesäß)
2
betroffen war. Ein Drittel der TeilnehmerInnen berichtete über eine positive Familienanamnese. Das
durchschnittliche Alter beim erstmaligen Auftreten der primären Hyperhidrose lag beim 17.
Lebensjahr und die durchschnittliche Erkrankungsdauer betrug 12 Jahre. Bei mehr als drei Viertel der
TeilnehmerInnen begann die Hyperhidrose bereits vor dem 25. Lebensjahr. Die meisten
TeilnehmerInnen mit primärer Hyperhidrose schätzten ihre Transpiration als schwer tolerierbar ein
und berichteten über häufige Einschränkungen bei der Ausübung täglicher Aktivitäten. Tabelle 1 zeigt
die relativen Häufigkeiten der Beeinträchtigung der TeilnehmerInnen bei unterschiedlichen sozialen
und Freizeitaktivitäten.
TABELLE 1. PROZENTE VON TEILNEHMERINNEN, DIE KEINE BIS EXTREME EINSCHRÄNKUNGEN BEI UNTERSCHIEDLICHEN
AKTIVITÄTEN AUFGRUND VON HYPERHIDROSE BERICHTETEN
nicht
eingeschränkt
leicht
eingeschränkt
ziemlich
eingeschränkt
stark
eingeschränkt
extrem
eingeschränkt
berufliche Aktivitäten
11,6%
31,1%
25,6%
18,8%
13,0%
Aufenthalt an öffentlichen Orten
11,4%
28,2%
28,2%
21,8%
10,4%
Erste Begegnung mit Personen
Händeschütteln
5,7%
14,9%
39,1%
20,3%
35,9%
18,7%
27,0%
28,8%
14,5%
27,4%
12,2%
8,7%
19,6%
8,1%
19,0%
Entwicklung persönlicher Beziehungen
12,7%
23,4%
25,8%
22,3%
15,8%
sexuelle Aktivitäten
24,4%
28,6%
19,4%
14,5%
13,1%
23,5
26,2%
20,1%
19,0%
11,2%
Aktivitäten/Situationen
Familientreffen oder unter Freunden
Sport
59,7% der TeilnehmerInnen mit primärer Hyperhidrose gaben an, das exzessive Schwitzen jemals mit
einem Mediziner besprochen zu haben, wobei der erste Arztbesuch im Durchschnitt erst fünf Jahre
nach dem Erkrankungsbeginn stattfand. 45,3% berichteten, mindestens eine Behandlungsmaßnahme
gegen übermäßiges Schwitzen eingesetzt zu haben. Am häufigsten wurde eine topische Behandlung
mit Aluminiumchlorid berichtet (44,2%), gefolgt von medikamentöser Therapie (17,1%), pflanzlichen
Präparaten (13,6%) und Iontophorese (10,9%). 10,2% der TeilnehmerInnen haben Botulinumtoxin
oder eine chirurgische Behandlung, 7,8% Psychotherapie oder Entspannungsverfahren und 7,3%
alternative Behandlungsmaßnahmen (wie z. B. Homöopathie oder Kinesiologie) eingesetzt. Die
3
höchste Behandlungszufriedenheit wurde von TeilnehmerInnen nach der Botulinumtoxin- oder der
chirurgischen Therapie berichtet, wohingegen die Anwendung pflanzlicher Präparate und alternativer
Behandlungsmaßnahmen zur geringsten Zufriedenheit führte.
Personen mit primärer Hyperhidrose wiesen eine signifikant niedrigere Lebensqualität als die
gesunde Normpopulation auf. Im Vergleich zu einer Normstichprobe mit anderen unterschiedlichen
chronischen Hauterkrankungen (wie z. B. Scabies, Akne, Urticaria, Psoriasis, Neurodermitis) konnte
ebenfalls eine signifikant niedrigere Lebensqualität in den meisten Bereichen festgestellt werden,
jedoch schätzten StudienteilnehmerInnen mit primärer Hyperhidrose ihre Lebensqualität in den
Bereichen, die sich auf körperliche Schmerzen, berufliche sowie alltägliche Beeinträchtigungen und
den allgemeinen körperlichen Gesundheitszustand beziehen, besser ein als Menschen mit anderen
dermatologischen Erkrankungen. Des Weiteren konnten bei den TeilnehmerInnen mit primärer
Hyperhidrose einige signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede festgestellt werden. Frauen
berichteten im Vergleich zu Männern über niedrigere Beeinträchtigung durch körperliche Gesundheit
oder emotionale Probleme bei sozialen Aktivitäten, sowie über geringere Einschränkungen bei der
Arbeit oder anderen täglichen Aktivitäten durch ihren körperlichen Gesundheitszustand. Es zeigte
sich, dass Personen, welche an einer Körperstelle übermäßig transpirieren, eine signifikant höhere
Lebensqualität aufweisen als jene mit vier oder mehreren hyperhidrotischen Körperarealen. Die
TeilnehmerInnen, bei denen das Schwitzen am stärksten im Bereich des Kopfes und des Gesichts
ausgeprägt war, berichteten über eine signifikant niedrigere Lebensqualität als Personen mit
palmarer und axillärer Hyperhidrose. Es wurden ebenfalls signifikante Unterschiede zwischen
TeilnehmerInnen
mit
unterschiedlicher
subjektiver
Zufriedenheit
mit
den
eingesetzten
Behandlungsmaßnahmen festgestellt. Personen mit höherer Behandlungszufriedenheit fühlten sich
laut ihren Angaben durch emotionale Probleme bei der Arbeit oder anderen täglichen Aktivitäten
weniger beeinträchtigt und berichteten über höheres psychisches Wohlbefinden als Personen mit
niedriger Behandlungszufriedenheit.
4
48,7% der TeilnehmerInnen mit primärer Hyperhidrose waren laut den Ergebnissen von Fragebögen
zur Selbsteinschätzung in klinisch bedeutsamer Weise von sozialer Ängstlichkeit, 36,8% von
Symptomen der Major Depression und 21,1% von Symptomen der Körperdysmorphen Störung
betroffen. Am stärksten von sozialer Ängstlichkeit und Depressivität betroffen waren diejenigen,
welche zum Untersuchungszeitpunkt arbeitslos waren. Bei 27,7% lagen gleichzeitig erhöhte soziale
Ängstlichkeit und Depressivität vor. 66% der TeilnehmerInnen mit primärer Hyperhidrose gaben an,
während der Schweißausbrüche zusätzlich weitere körperliche Symptome zu erleben (z. B.
Hitzewallungen, Kälteschauer, Erröten, Herzklopfen, Zittern, Mundtrockenheit), wobei vorwiegend
Personen mit höherer sozialer Ängstlichkeit durch körperliche Symptome belastet waren.
TeilnehmerInnen, die zum Erhebungszeitpunkt an mehr als einer psychischen Störung litten, fühlten
sich durch die Hyperhidrose in signifikant höherem Ausmaß eingeschränkt als diejenigen ohne
psychische Symptombelastung. Schließlich wiesen die Personen mit primärer Hyperhidrose
signifikant höhere soziale Ängstlichkeit und Depressivität auf als TeilnehmerInnen, welche die
diagnostischen Kriterien für Hyperhidrose nicht erfüllten.
Fazit
Vorliegende Ergebnisse verdeutlichen, dass Hyperhidrose für die betroffenen Personen in beruflichen
sowie privaten Bereichen des alltäglichen Lebens eine Einschränkung darstellt und zu erheblichen
Beeinträchtigungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität führen kann. In der vorliegenden
Stichprobe von Internet-Usern mit übermäßigem Schwitzen wurden Häufigkeiten von Sozialphobie,
Depression und Körperdysmorpher Störung festgestellt, welche höher als die in der Literatur
berichteten Prävalenzraten für die Allgemeinbevölkerung liegen, und gleichzeitig höher sind als bei
den TeilnehmerInnen ohne Hyperhidrose. Personen mit psychischen Komorbiditäten empfanden die
Hyperhidrose
als
einschränkender
im
Vergleich
Symptombelastung.
5
zu
TeilnehmerInnen
ohne
psychische
Die Ergebnisse dieser Querschnittstudie erlauben natürlich keine Aussagen über kausale
Zusammenhänge. Die Bedeutung psychopathologischer Symptome für die Entstehung und
Aufrechterhaltung primärer Hyperhidrose ist bislang noch nicht vollständig geklärt und bedarf
weiterer Untersuchungen. Die vorliegenden Ergebnisse unterstützen jedoch die Annahme, dass
primäre Hyperhidrose mit beeinträchtigter Lebensqualität sowie niedrigerem psychischen
Wohlbefinden
zusammenhängt,
was
bei
der
Behandlung
von
HyperhidrosepatientInnen
berücksichtigt werden sollte. Nach weiterer Überprüfung der vorhandenen Ergebnisse erscheint eine
Implikation des klinisch-psychologischen Fachwissens für eine umfassende Behandlung von
HyperhidrosepatientInnen sinnvoll.
Die TeilnehmerInnen dieser Studie wurden über Werbebanner auf hyperhidrosespezifischen WebSeiten rekrutiert – Einfluss auf das Ergebnis dürfte also auch die Tatsache haben, dass die Kandidaten
nicht per Zufall ausgewählt wurden, sondern sich freiwillig gemeldet haben. Wer das tut, könnte
eventuell ein Motiv dafür haben. Dazu kommt: Diejenigen, die sich einer solchen Umfrage freiwillig
unterziehen, müssen von ihrer Ausprägung her nicht zwingend den Durchschnitt aller Internet-Surfer
mit übermäßigem Schwitzen darstellen. Obwohl die Teilnehmeranzahl in der vorliegenden
Untersuchung für eine Online-Studie gering ist, wurde im deutschsprachigen Raum bisher keine
andere Studie über primäre Hyperhidrose mit einer größeren Stichprobe durchgeführt.
Martina Čarná und Anna Wittmann würden sich gerne an dieser Stelle für Ihre Beteiligung an der
Erhebung nochmals herzlich bedanken.
6
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Strutton, D. R., Kowalski, J. W., Glaser, D. A. & Stang, P. E. (2004). US prevalence of hyperhidrosis and
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Wittmann, A.-M. (2009).
Internet-User
mit primärer
Hyperhidrose: gesundheitsbezogene
Lebensqualität. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien.
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